Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen - Arena Analyse
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Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Zentrale Ergebnisse der qualitativen Expertenbefragung im Auftrag der Vinzenz Gruppe Krankenhausbeteiligungs‐ und Management GmbH
Der Bericht bemüht sich um eine gendergerechte Sprache, aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird dennoch an manchen Stellen die grammatikalisch männliche Form verwendet. Bettina Fernsebner‐Kokert, Walter Osztovics, Andreas Kovar Arena Analyse – Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Zentrale Ergebnisse der qualitativen Expertenbefragung im Auftrag der Vinzenz Gruppe Krankenhausbeteiligungs‐ und Management GmbH Wien, Januar 2018 Für den Inhalt verantwortlich: Walter Osztovics Kontaktdaten: Kovar & Partners GmbH, Dorotheergasse 7, 1010 Wien, T: +43 1 522 9220, F: +43 1 522 9220‐22, office@publicaffairs.cc, www.publicaffairs.cc Printed in Austria Satz und Layout: Kovar & Partners GmbH, Wien
Bettina Fernsebner-Kokert, Walter Osztovics, Andreas Kovar Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Zentrale Ergebnisse der qualitativen Expertenbefragung im Auftrag der Vinzenz Gruppe Krankenhausbeteiligungs- und Management GmbH
Inhalt Executive Summary .................................................................................... 5 1. Die Primärversorgung und ihre Neuordnung..................................... 5 2. Das Spital der Zukunft ........................................................................ 5 3. Zusammenarbeit zwischen intra- und extramuralen Versorgungsstrukturen .......................................................................... 6 4. Neue Medizinberufe .......................................................................... 6 5. Bereichsübergreifende Pflege ............................................................ 6 6. Die Rolle der Medizinischen Fakultät Linz ......................................... 7 7. Der Einfluss der bestehenden Strukturen, der Politik und der Finanzen ................................................................................................. 7 Untersuchungsdesign und Fragestellung ................................................... 9 1. Primärversorgung in Gefahr ................................................................. 12 Unterschiedliche Strukturen der Primärversorgung für Stadt und Land ............................................................................................................. 12 Sorge vor zunehmendem Versorgungsengpass auf dem Land ............ 15 Neues Berufsbild für Allgemeinmediziner ........................................... 16 2. Das Spital der Zukunft .......................................................................... 19 Spezialisierung, Arbeitsteilung und Kooperation................................. 19 Vernetzung der Disziplinen .................................................................. 22 Digitalisierung, Automatisierung ......................................................... 23 3. Vernetzung und maßgeschneiderte Zusammenarbeit ........................ 27 Krankenhäuser als Drehscheibe ........................................................... 28 Keine Trennung zwischen „Drinnen“ und „Draußen“.......................... 29 Passgenaue Schnittstellen ................................................................... 30 4. Neue Medizinberufe ............................................................................ 31 Innovative Differenzierung oder Wildwuchs? ..................................... 31 Akademisierung und veränderte Rollenbilder ..................................... 33 Standeskonflikte .................................................................................. 33 5. Bereichsübergreifende Pflege .............................................................. 35 6. Die Rolle der Medizinischen Fakultät Linz............................................ 38 Chance und Risiko für das OÖ-Gesundheitswesen .............................. 38
Instrument gegen den Ärztemangel .................................................... 39 Kritik am Zustandekommen und an der Konstruktion ......................... 40 7. Eine Frage der Strukturen .................................................................... 42 Finanzierung ......................................................................................... 43 Demografischer Wandel und medizinischer Fortschritt ...................... 46 Steuern der Nachfrage ......................................................................... 48 Eigen- und Gruppeninteressen ............................................................ 49 Ein Masterplan Gesundheit.................................................................. 50 Schlussfolgerungen und Empfehlungen ................................................... 52 1. Primärversorgung: Optionen offenhalten........................................ 52 2. Die Spitäler brauchen mehr Freiräume ............................................ 52 3. Grenzen überwinden, Netzwerke schaffen...................................... 53 4. Die Menschen im Mittelpunkt ......................................................... 54 5. Gesundheit ist ein Wirtschaftsfaktor und eine Wachstumsbranche 55 Teilnehmerinnen, Teilnehmer und Danksagung ...................................... 56
Executive Summary Die vorliegende Arena Analyse beruht auf der qualitativen Befragung von Stakeholdern aus dem Gesundheitsbereich. 94 Expertinnen und Experten aus allen Bereichen des Gesundheitswesens haben in ihren Beiträgen für die Arena Analyse „Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen“ Problemfelder, künftige Entwicklungen, Chancen und Risiken skizziert. Aus den gesammelten Beiträgen ergaben sich in der Auswertung die folgenden Cluster. Sie stellen die wesentlichen Problem- und Handlungsfelder dar, in denen in den kommenden Jahren Veränderungen in Oberösterreich zum einen eintreten und zum anderen notwendig sein werden: 1. Die Primärversorgung und ihre Neuordnung Aus mehreren Gründen erfüllt das bestehende System der Primärversorgung aus der Sicht vieler gesundheitspolitischer Entscheidungsträgerinnen und –träger seine Aufgabe nur unzureichend: Oberösterreich droht ein Mangel an niedergelassenen Allgemeinärzten. In geringerem Ausmaß wird es auch an niedergelassenen Fachärzten fehlen. Die herkömmliche Betriebsform der Ordination ermöglicht zudem nur beschränkte Öffnungszeiten. Als Folge dieser Unzulänglichkeit landen viel zu viele Patientinnen und Patienten in den Spitälern. In den kommenden Jahren wird sich die Primärversorgung daher fundamental wandeln, Betriebsformen wie Primary Health Care Center oder Gemeinschaftspraxen sind bereits in Erprobung. In Zukunft könnte die Organisation der Primärversorgung aus einem auf die regionalen Erfordernisse zugeschnittenen Mix aus Allgemeinmedizinerinnen und Allgemein- medizinern in Einzel- und Gruppenpraxen und Primärversorgungszentren bestehen. Die Digitalisierung wird die Betreuung von Patientinnen und Patienten ortsunabhängig machen und stellt damit eine Chance für die Primärversorgung dar. 2. Das Spital der Zukunft Im intramuralen Bereich wird es zu weiteren Schwerpunktbildungen in den einzelnen Krankenhäusern, aber auch zu neuen Kooperationen kom- men. Der Typus des unspezifischen Basis-Krankenhauses, das alle Fächer in durchschnittlicher Qualität abdeckt, wird weitgehend verschwinden, wobei eine gewisse Grundausstattung – interne Medizin, Grundversorgung bei Unfällen bzw. Notfällen – in jedem Haus vorhanden sein wird. Für kleinere Spitäler in weniger dicht besiedelten Regionen bietet die Schwerpunkt- bildung sogar eine Chance: Ein Krankenhaus, dessen Bestand mangels Patientenaufkommen gefährdet scheint, könnte sich mit einem entsprechenden Angebotsprofil neu positionieren. Genau wie der Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 5
Executive Summary extramurale Bereich werden auch die Spitäler auf einen Engpass bei qualifiziertem, gut ausgebildetem Personal zusteuern. Sicher ist auch, dass die Digitalisierung tief in die gewohnten Abläufe in den Spitälern eingreifen wird: Das Management und der gesicherte Austausch von Patientendaten werden Schlüsselfunktionen der medizinischen Versorgung werden. Die Digitalisierung wird die Organisation verbessern und vereinfachen – von kürzeren Wartezeiten bei Untersuchungen bis hin zu interdisziplinären Teambesprechungen via Videokonferenz. 3. Zusammenarbeit zwischen intra- und extramuralen Versorgungs- strukturen In Oberösterreich herrscht ein gutes Kooperationsklima und die Gesund- heitsversorgung befindet sich auf einem hohen Niveau, waren sich die befragten Expertinnen und Experten einig. Beides sind Voraussetzungen, um die notwendige Vernetzung der intra- und extramuralen Versorgungs- strukturen zu bewerkstelligen. Ein Szenario lautet: Die Krankenhäuser werden als zentrale Drehscheibe der Gesundheitsversorgung an Bedeutung gewinnen, durch Vernetzung mit dem niedergelassenen Bereich, aber auch als Schnittstelle mit dem Sozial- und dem Pflegebereich. Die Verantwortung für die Gesundheit muss von allen Beteiligten als gemeinsame Verantwortung begriffen werden. 4. Neue Medizinberufe Die Betreuung der Patientinnen und Patienten wird immer stärker arbeitsteilig und erzeugt Bedarf nach neuen Assistenz- und Spezialberufen. Gleichzeitig entstehen neue Berufsbilder als Antwort auf die differenzierte Nachfrage nach nicht-ärztlichen Gesundheitsdienstleistungen. Ein Teil wird zur Entlastung und Unterstützung bei Tätigkeiten dienen, die bisher überwiegend von Ärzten ausgeführt werden (durften). Hier reicht die Liste vom Anästhesietechnischen Assistenten über Funktionsdiagnostiker bis zu angelagerten Büroberufen, etwa in der medizinischen Dokumentation oder Spezialisten für die Auswertung medizinischer Daten. 5. Bereichsübergreifende Pflege In der Pflege droht ein Mangel an ausgebildeten Fachkräften, was angesichts des demografischen Wandels ein hohes Risiko für die Versor- gung darstellt. Verschärft wird die Situation durch eine immer kürzere Verweildauer im Krankenhaus und fehlende intensive nachklinische Betreuungseinrichtungen. Deshalb müssen in der Langzeitpflege neue Strukturen geschaffen werden, denn auch die Pflegeleistung von Familien- angehörigen wird kontinuierlich sinken. Es könnten neue, stärker durch Selbstorganisation getragene Pflegeformen wie etwa private Mikro-Träger Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 6
Executive Summary oder Pflege-Genossenschaften entstehen. Ein weiteres Szenario lautet: Integration der Pflege in den Gesundheitsbereich mit einer stärkeren organisatorischen Anbindung an Krankenhäuser. 6. Die Rolle der Medizinischen Fakultät Linz Die Medizinische Fakultät und das Kepler Universitätsklinikum eröffnen für das Technologie-Land Oberösterreich die Chance, auch als Standort für Spitzenmedizin und Forschung attraktiv zu werden. Nach überein- stimmender Aussage von Stakeholdern aus unterschiedlichen Bereichen setzt dies allerdings voraus, dass sich die universitären Einrichtungen mit anderen Partnern (vor allem Krankenhausbetreibern) vernetzen, um den einstweilen bestehenden Nachteil der geringen Größe auszugleichen. In Oberösterreich kann auf bereits bestehende Einrichtungen zurückgegriffen werden, Kompetenzzentren müssen auch in anderen Spitälern weiterhin möglich sein. Als Chance wird die Entwicklung eines Forschungs- und Lehrnetzwerks in Oberösterreich gesehen, bei dem die vorhandenen Kompetenzen an die Medizinische Fakultät angebunden werden. Kooperationen zwischen dem Kepler Universitätsklinikum und den bestehenden Krankenhäusern könnten zu einem oberösterreichischen Modell für ganz Österreich werden. 7. Der Einfluss der bestehenden Strukturen, der Politik und der Finanzen Zur Sicherung der Leistungsfähigkeit des Systems werden sowohl Steuerungsmaßnahmen als auch grundlegende Veränderungen nötig sein. Die Steuerung der Patientenströme sollte in den Augen der Arena Analyse- Expertinnen und Experten hohe Priorität haben. Dass eine solche Steuerung im bestehenden Finanzierungssystem schwer möglich ist, wird unter die Kategorie „Hohes Risiko für die Gesundheitsversorgung“ eingestuft. Dies deshalb, weil das Gesundheitssystem in den nächsten Jahren finanziell unter Druck kommen wird, der steigende Geldbedarf wird den Ruf nach effizienteren Strukturen verstärken. Die Erwartung, dass die Gesundheitsversorgung in Zukunft auch bei höherer Effizienz mehr Geld kosten wird, leitet sich aus zwei Beobachtungen ab: Zum einen erhöht die demografische Entwicklung den Bedarf an Gesundheitsleistungen. Die Menschen leben länger, dadurch verlängert sich auch jene Lebensphase, in der sie mehr an medizinischer Betreuung brauchen. Zum andern wirkt der medizinische Fortschritt als ständiger Kostentreiber. Hinzukommen, lautet ein Kritikpunkt, Eigeninteressen einzelner Player im Gesundheitssystem, die einer gesamtheitlichen Lösung nicht dienlich sind. Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 7
Executive Summary Abb.: Empfohlene Schwerpunkte für eine smarte Gesundheitspolitik, die künftigen Anforderungen gerecht wird – auf Basis der ExpertInnen-Beiträge Als Resümee der Arena Analyse lassen sich drei Schwerpunkte ableiten, die gesetzt werden sollten, um eine nachhaltig gute Gesundheitsversorgung sicherzustellen und darüber hinaus Impulse für die medizinische Forschung und den Wirtschaftsstandort zu geben: Die Vernetzung der Angebote im intra- und extramuralen Bereich Die Nutzung der Digitalisierung sowohl bei Verwaltung als auch bei der Behandlung Die Nutzung des Gesundheitssektors als zukunftsweisende Wachstumsbranche. Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 8
Untersuchungsdesign und Fragestellung Das Gesundheitswesen steht vor großen Umbrüchen und komplexen Her- ausforderungen. Die demografische Entwicklung und die steigende Lebens- erwartung führen dazu, dass die Anzahl der Menschen, die medizinische Behandlungen brauchen und Bedarf an Pflege haben, für längere Zeit beständig weiter steigen wird. Laut Bevölkerungsprognose der Statistik Austria werden in Österreich im Jahr 2030 knapp 23 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sein – aktuell sind es 18,6 Prozent. Verbunden damit ist ein anhaltendes Wachstum der Ballungsräume bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang in den ländlichen Gebieten. Auch Oberösterreich ist durch eine verstärkte demografische Verschiebung zugunsten der Zentralräume Linz und Wels bei einem weiter fortschreiten- den Bevölkerungsrückgang im ländlichen Raum gekennzeichnet. Diese Entwicklungen werden in der Gesundheitsversorgung Ansätze erfordern, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen: Es muss größer und gleichzeitig kleiner gedacht werden. Vernetzung und Kooperationen zwischen Einrichtungen und Trägern, ja sogar über die Grenzen etwa von Sozial- und Gesundheitsbereich hinaus, könnten tragfähige Lösungen ermöglichen, die den sich verändernden Parametern in der Gesundheitsversorgung gerecht werden. Mit der „Ziel- steuerung Gesundheit“ haben das Land Oberösterreich und die Sozialver- sicherung bereits Schritte in diese Richtung unternommen, um eine bedarfsorientierte Versorgung zu stärken. Gleichzeitig kann jedoch nicht mehr in „one size fits all“-Kategorien gedacht werden. Das bedeutet, dass künftig auch kleinräumige, regionale Lösungsansätze entwickelt werden müssen, zudem gilt es, Synergien zu nutzen. Dafür wiederum ist es notwendig, die rechtlichen Rahmenbedin- gungen so zu gestalten, dass diese maßgeschneiderten Versorgungs- modelle erprobt und implementiert werden können – also wird eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips erforderlich sein, um diese komplexen Herausforderungen bewältigen zu können. Digitalisierung und Automatisierung werden das Gesundheitswesen ebenso radikal verändern und erstmals die Möglichkeit eröffnen, dass große Teile der Versorgung ortsunabhängig werden. Gerade für Oberöster- reich als Technologiestandort werden sich Chancen in den Bereichen Tele- medizin, E-Health und Medizintechnik eröffnen. Nicht zuletzt gibt es mit der Medizinischen Fakultät einen neuen Player im Land, der Forschung und Versorgung vereint und als Anschlussstelle für weitere Zusammenarbeit im Krankenhausbereich dienen kann. Vor diesen gleichzeitig und vernetzt ablaufenden Veränderungen müssen auch die Grundlagen der Gesundheitsversorgung in Oberösterreich neu Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 9
Untersuchungsdesign und Fragestellung überdacht werden – obwohl oder gerade weil die Versorgung derzeit auf hohem Niveau gut funktioniert und in manchen ihrer Aspekte sogar öster- reichweit als Vorbild gilt, etwa was die Gebarung der Gebietskrankenkasse oder die Kooperation der unterschiedlichen Spitalsträger betrifft. Anlass zur Sorge gibt jedoch die Dynamik in einigen Teilen des Systems, vor allem bei der flächendeckenden Versorgung im niedergelassenen Bereich (Stichwort „Hausärztemangel“) sowie bei den Kosten für die öffent- lichen Spitäler. Dass diese strukturellen Herausforderungen in einer Zeit auftreten, wo sich die Welt der Medizin und der Gesundheitsdienst- leistungen weltweit im Umbruch befindet, kann als Chance begriffen werden: Der hausgemachte Reformbedarf und die durch den Fortschritt sowie die demografischen Veränderungen induzierten Veränderungen greifen ineinander und machen völlig neue Lösungen möglich. Allerdings ist es nicht einfach, angesichts der vielfältigen Entwicklungen den Überblick zu behalten, zumal es sich um Prozesse von unterschiedlicher Geschwindigkeit handelt, die zum Teil noch völlig an den Anfängen stehen, wo sich also noch nicht abschätzen lässt, ob die Auswirkungen, die sie potenziell haben können, auch tatsächlich eintreten werden. Für die Beobachtung und Bewertung solcher Entwicklungen hat sich das Instrument der Arena Analyse besonders bewährt. Die von Kovar & Partners entwickelte und regelmäßig angewandte Methode dient der Früh- erkennung von wichtigen Veränderungen zu einem Zeitpunkt. Die Arena Analyse richtet ihren Scheinwerfer auf sogenannte „emerging issues“, also Themen, die von der allgemeinen Öffentlichkeit noch nicht wahrgenom- men, im Kreise von Insidern aber bereits diskutiert werden. Expertinnen und Experten stoßen in ihrem eigenen Fachgebiet naturgemäß als erste auf neue Probleme oder neue Ideen. Sie erkennen dort Veränderungen schon zu einem Zeitpunkt, an dem die damit verbundenen Probleme noch nicht eskaliert sind, weshalb sich außerhalb ihres Fachgebiets noch niemand diesen Fragen widmet. Dieses spezifische Fachwissen kann mithilfe geeig- neter Befragungen zugänglich gemacht werden. Durch die Aufnahme einer ausreichend großen Anzahl von Expertinnen und Experten in das Panel der Befragten kann sichergestellt werden, dass kein wichtiges Thema über- sehen wird. Die Arena Analyse liefert also einerseits einen 360°-Rundumblick auf sich anbahnende Entwicklungen, andererseits frühzeitige Signale von bevorste- henden Veränderungen. Damit ermöglicht sie es den Entscheidungsträgern, also im vorliegenden Fall all jenen, die die Zukunft des Standorts Ober- österreich mitgestalten wollen, präventiv Maßnahmen zu ergreifen, um drohende Fehlentwicklungen zu verhindern. Für die vorliegende Studie wurden vier aufeinander folgende Phasen der Analyse durchgeführt: Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 10
Untersuchungsdesign und Fragestellung 1. Im ersten Schritt wurde ein Panel von 94 Expertinnen und Experten aus allen relevanten Fachgebieten befragt (siehe Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anhang). 2. Die Antworten wurden zu Gruppen geclustert, mit dem Ziel, die dahinter liegenden zentralen Faktoren für die Zukunftsfähigkeit des Standortes Oberösterreich zu finden. Diese sieben Faktoren bilden die Handlungsfelder, in denen Probleme auftreten können und wo Maßnahmen zur Sicherung greifen müssen. 3. Ein Workshop, der am 24. Oktober 2017 Linz stattfand, verfolgte vordringlich das Ziel, Empfehlungen für Handlungsoptionen zu den Handlungsfeldern zu erarbeiten. 4. Die Ergebnisse des Workshops wurden in einem vierten Schritt wieder in die Arena Analyse eingearbeitet. Um einen möglichst offenen Umgang mit den auftretenden Themen sicherstellen zu können, wurde allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zugesagt, dass ihre Beiträge nur anonymisiert ausgewertet werden – dies gilt sowohl für die großteils schriftlichen Beiträge und mündlichen Inter- views, als auch für Aussagen, die im Rahmen des Workshops gemacht wurden. Bei allen kursiv gesetzten Passagen im vorliegenden Bericht handelt es sich um wörtliche Zitate in diesem Sinn. Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 11
1. Primärversorgung in Gefahr In den heimischen Spitalsambulanzen bietet sich am Abend und an den Wochenenden seit Jahren dasselbe Bild: Neben echten Notfällen warten Patientinnen und Patienten mit einer mittelschweren Verkühlung oder leichten Schnittverletzung, die ins Spital gekommen sind, weil sie außerhalb des Krankenhauses keine entsprechende Versorgungsmöglichkeit vorfinden. Denn „wenn es ein Problem gibt, wird die Rettung gerufen, die dann ein Spital anfährt. Etwas anderes gibt’s ja nicht“. Die Ansicht, dass dieser Zustand geändert werden muss, wird von allen Beteiligten im Gesundheitssystem ohne Einschränkung geteilt. Die Entlastung der Krankenhausambulanzen durch den extramuralen Bereich steht seit Jahren ganz oben in der Beliebtheitsskala aller gesundheitspolitischen Diskussionen. Der Gang ins Krankenhaus, der für die Patientinnen und Patienten vielfach der einfachste und nicht selten der einzige Weg ist, stellt für das Gesundheitssystem die teuerste Variante dar. Die Lösung aus Sicht eines befragten Experten: „Es muss ein ausreichendes Angebot an Primärversor- gung geben, damit Patienten nicht gezwungen sind, auch mit geringeren Problemen gleich ins Spital zu gehen. 85% aller Fälle, die in der Primärver- sorgung anfallen, können auch dort behandelt und erledigt werden.“ Genau diese Alternative zum Weg in die Spitalsambulanz sollen künftig neue extramurale Einrichtungen bieten, nämlich die im geltenden Ziel- steuerungsvertag zwischen Bund, Ländern und den Sozialversicherungs- trägern verankerten Primary Health Care Center (PVE), mittlerweile auch auf neudeutsch Primärversorgungszentren (PVZ) genannt. In den PVE über- nehmen multidisziplinäre Teams rund um einen oder mehrere Hausärzte die Versorgung der Patientinnen und Patienten, sie entlasten dadurch die überfüllten Ambulanzen in den Krankenhäusern und sollen den prognostizierten Hausärztemangel abfedern. Laut Statistik Austria ist die Anzahl der Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner zwar in den vergangenen Jahren gestiegen - von 13.219 im Jahr 2013 auf 14.275 im Jahr 2015. Dennoch zeichnet sich jetzt ab, dass es immer schwieriger wird, Hausarztstellen auf dem Land nach zu besetzen. Hinzu kommt, dass bis 2020 knapp 31 Prozent der Allgemeinmediziner das Pensionsalter erreichen werden, bis 2030 werden sogar knapp drei Viertel (74 Prozent) 65 Jahre alt sein. Unterschiedliche Strukturen der Primärversorgung für Stadt und Land Die neuen medizinischen Versorgungsformen können und müssen daher unterschiedlich ausgestaltet sein, schließlich existieren im urbanen Bereich andere Erfordernisse und Voraussetzungen als im ländlichen Raum. Sprich: Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 12
1. Primärversorgung in Gefahr Es wird künftig vermutlich größere Primärversorgungszentren in den Städten und kleinere in den ländlichen Bereichen geben. „Es müssen neue Möglichkeiten der Versorgung und der Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern und den niedergelassenen Ärzten geschaffen werden“, meint ein Befragter. Österreichweit sollen bis 2020 jedenfalls rund 200 Millionen Euro in den Ausbau der Primärversorgung fließen. Als mögliches Hindernis wird das überaus komplexe Finanzierungssystem im Gesundheitswesen genannt, das eine zielgerichtete Steuerung des Gesamtsystems unmöglich mache. „Bedenklich dabei ist, dass neue (Mit)Finanzierungen entstehen, wie bspw. jene des Landes für die Primär- versorgung, welche die Finanzierung und Steuerung weiter verkomplizie- ren.“ In Oberösterreich gibt es aktuell zwei Primärversorgungs-Projekte: In den Primärversorgungszentren Enns und Marchtrenk arbeiten Ärztinnen und Ärzte mit Teams aus den Bereichen Pflege, Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Ernährungswissenschaft und Psychotherapie ebenso wie mit Hebammen und Sozialarbeitern zusammen. Darüber hinaus bestehen Kooperationen mit Fachärzten und Krankenhäusern. Ein drittes PHC soll in Haslach entstehen. Ein befragter Experte sieht hingegen die PHC nicht als geeignetes Konzept für die heimische Primärversorgung: „Man übernimmt Elemente aus anderen Gesundheitssystemen (Kanada, Skandinavien) und propft sie dem österreichischen auf. Beispiel PHC: Diese haben sich anderswo bewährt, passen aber nicht für Österreich.“ In den Beiträgen zur Arena Analyse „Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen“ wird die Frage, wie die Primär- versorgung neu organisiert werden soll, jedenfalls als wichtiges Zukunfts- thema gesehen. „Der Ausbau der wohnortnahen Primärversorgung ist ein prioritäres gesundheitspolitisches Thema der nächsten Jahre“, schreibt ein Teilnehmer. Ein anderer Experte geht davon aus, dass Primärversorgungs- zentren künftig „das neue ,Normal‘ in der Versorgung sein werden, Ordinationen wird es weiter geben, aber sie werden stärker vernetzt sein.“ Einer wohnortnahen medizinischen Versorgung wird also weiterhin hohe Bedeutung beigemessen, dabei könnten neue Strukturen entstehen, die „ein Mittelding zwischen der Einzelordination und dem PHC darstellen: Untereinander vernetzte Ordinationen, die Daten austauschen und auch auf zusätzliche ambulante Berufe zugreifen können (Pflege, etc.).“ Denn derzeit, so der kritische Befund, würde die Primärversorgung keinesfalls die aktuellen Erfordernisse erfüllen: „Österreichs primäre Versorgungsebene entspricht weder in qualitativen Dimensionen (siehe dazu z. B. die hohen vermeidbaren Krankenhausaufenthalte, kaum Einbindung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe, noch in der Service- dimension (z. B. die dominierende Struktur von Einzelpraxen mit einge- schränkten Öffnungszeiten) den heutigen Anforderungen“. Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 13
1. Primärversorgung in Gefahr Die Zukunft der primären Versorgung wird nach Ansicht der befragten Expertinnen und Experten in einer stärkeren Vernetzung und intensiveren Kooperation als es bisher der Fall war liegen – über Träger, Berufsgruppen und derzeitige Verwaltungsgrenzen hinaus. Als Chance für ein funktionie- rendes System wurde hervorgehoben, „dass die Wertigkeit der funktionie- renden abgestuften Versorgung erkannt wird und nicht nur ein bloßes schriftliches Bekenntnis darstellt. Volkswirtschaftlich und gesundheitspoli- tisch ist ein abgestuftes Versorgungsmodell gut und intelligent.“ Erwähnt wird in diesem Zusammenhang auch eine mögliche Verpflichtung für Wahl- ärzte, in einem bestimmten Ausmaß in Primärversorgungszentren mitzuar- beiten. Es wird geschätzt, dass die modernen Primärversorgungszentren mindestens ein Drittel der klassischen Ordinationen ersetzen werden: „Die Umsetzung wird politisch sicherlich fordernd und ist mit den Ärztekammern zu erarbeiten. Der Druck wird jedoch nicht von der Politik kommen, sondern von den Patienten, die solche Modelle klar präferieren werden – auch oder vielleicht sogar insbesondere im ländlichen Bereich.“ Allerdings brauche es noch eine Ergänzung der Rahmenbedingungen (z. B. Kommunalsteuer- befreiung bei Zukauf von Serviceleistungen). Insgesamt werde sich das System der Primärversorgung (niedergelassene Ärzte und in Zukunft mehr und mehr PVE) stärker von der Facharztversorgung (Secundary Care) trennen, prognostiziert ein Gesprächspartner: „Damit einhergehend wird es zu einer Anbindung der Fachärzte an die Spitäler bzw. Integration der Fach- ärzte in die Krankenhäuser kommen.“ Um die Patientenversorgung speziell im ambulanten Bereich aufrechtzuerhalten beziehungsweise zu verbessern, gilt es vermehrt Modelle der Kooperation zwischen den Spitälern und dem niedergelasse- nem Bereich zu entwickeln. „Dazu müssen die beteiligten Parteien (Land, Krankenkassen, Ärztekammer, Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, …) Lösungsmodelle zulassen, um die Ressourcen optimal nutzen zu können und dem Arztmangel in der Zukunft entgegenzuwirken.“ Als Grundvoraussetzung für eine Lenkung der Patientinnen und Patienten innerhalb einer abgestuften, optimierten Versorgung werden klar definierte Versorgungsaufträge gefordert. „Klare Zuständigkeiten in Bezug auf Versorgungsstufen, Fachbereiche, Gesundheitsberufe, definierte und evidenzbasierte Behandlungspfade, Angebotsstrukturen, die auch zuverlässig zugänglich sind, was aber diametral zu liebgewonnenen österreichischen ,Heiligen Kühen‘ steht, wo die absolute Freiheit sowohl für Patienten als auch für Ärzte das höchste Gut ist – auch wenn es zu schweren Fehlversorgungs- und Qualitätsproblemen führt.“ Ein anderer Teilnehmer meint: „Es muss klar definiert werden, was niedergelassene Allgemeinmedi- ziner und Fachärzte können und zwingend anbieten müssen“. Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 14
1. Primärversorgung in Gefahr Auch für Krankenhausambulanzen brauche es solche Versorgungs- aufträge, wobei klarzustellen sei, dass Krankenhausambulanzen kein subsidiäres Angebot gegenüber dem niedergelassenen Bereich darstellen. „Im Sinne des Best Point of Service (Qualität muss passen und Kosten gesamtökonomisch am günstigsten) ist die Krankenhausambulanz in vielen Bereichen die sinnvollste Anlaufstelle. Die Subsidiarität der Kranken- hausambulanzen wird ja von den Rechtsträgern der Krankenhäuser und dem Land nur deshalb postuliert, weil ihnen die Honorierung bzw. die Finanzierung für Ambulanzleistungen zu niedrig ist.“ Vorgeschlagen wurden in diesem Zusammenhang auch Versorgungsregionen, die den tatsächlichen Einzugsgebieten der Patientinnen und Patienten entsprechen – auch bundesländerübergreifend, zum Beispiel „der oberösterreichische Zentral- raum plus der Bezirk Amstetten in Niederösterreich.“ Kritisch bewertet ein Teilnehmer den Lösungsansatz einiger Krankenhäuser, in räumlicher Nähe vorgelagerte Zentren zu errichten, um den Patientenstrom bereits vor den überfüllten Ambulanzen zu steuern. „Das ist eine Fehlentwicklung, die keine Lösung bringt. Wenn die Spitäler selbst diese Zentren betreiben, haben sie keine Gatekeeperfunktion mehr, weil erst recht wieder die volle Diagnostik bei jedem Patienten zur Anwen- dung kommt. Zugangsregeln oder Gatekeeping müssen dafür sorgen, dass Patienten immer zuerst in die Primärversorgung kommen.“ Im Zusammenhang mit der Gatekeepingfunktion wurde Dänemark als mögliches Modell genannt. Dort zahlen Patientinnen und Patienten einen geringeren Sozialversicherungsbeitrag, wenn sie sich bereit erklären, nicht sofort eigenständig einen Facharzt oder ein Spital aufzusuchen, sondern sich immer zuerst an die Primärversorgung zu wenden. Gerade diese Lösung, nämlich „Gesundheitszentren“ im Umfeld der Krankenhäuser anzusiedeln, schlägt ein anderer Teilnehmer als gangbaren Weg vor: „An beziehungsweise im Umfeld der Spitäler, aber nicht in der intramuralen Struktur angesiedelte ,Gesundheitszentren‘ mit attraktiven Öffnungszeiten könnten eine Lösung darstellen; gegebenenfalls wären auch den Akutauf- nahmen vorgelagerte ,Triage-Ambulanzen‘ zur Kanalisierung der Patienten- ströme eine mögliche Lösung.“ Das sogenannte Manchester Triage System sieht Indikatoren vor, die anhand der Symptome eine Einschätzung der Dringlichkeit ermöglichen. Den Dringlichkeitsstufen sind zeitliche Rahmen zugeordnet, die beschreiben, wie rasch ein Patient von einem Arzt unter- sucht werden sollte. Sorge vor zunehmendem Versorgungsengpass auf dem Land Ein Modell wie das oben erwähnte mag als Lösung im städtischen Bereich oder im Zentralraum Linz und Wels vielleicht funktionieren. Doch ist damit das Problem der Erstversorgung in den ländlichen Regionen nicht gelöst. In mehreren Beiträgen wird daher auf die Gefahr vor einer zuneh- menden Ausdünnung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 15
1. Primärversorgung in Gefahr hingewiesen. „Zentralisierung ist eine existenzielle Gefährdung der periphe- ren Gesundheitsversorgung. Werden Personal und Patienten von der Peripherie in den Zentralraum abgeworben, wird zumindest die Kranken- hausversorgung nicht überleben können. Damit existiert kurzfristig nur noch der niedergelassene Bereich. Wenn diese Ärzte in Pension gehen, wird in der Peripherie kein Nachfolger mehr gefunden werden (da diese aktuell zumeist aus den Krankenhäusern kommen)“. Folglich würde mittel- bis langfristig die komplette regionale Versorgung in Frage gestellt sein. „Die extramurale Versorgung ist durch eine ausgeprägte Fehlverteilung (z. B. haus- und fachärztliche Versorgung in ländlichen Regionen, die im urbanen Bereich durch Ambulanzen und intramuralen Bereich kompensiert werden) geprägt“, schreibt eine Teilnehmerin in ihrem Beitrag. Das Wahlarztsystem würde „bessere Qualität suggerieren, die nicht nachgewiesen ist, offeriert schnelleren, serviceorientierten und spezialisierten/fachärztlichen Service/ Zugang sowie führt zur Verschiebung der Finanzierung aus SV/Steuer- System zur privaten Finanzierung.“ Als tragfähige Lösung wird unter anderem ein gemeinsames, abgestimmtes Zusammenwirken des extra- und intramuralen Bereiches genannt, um die Herausforderungen im Sinne einer sinnvollen wohnortnahen Versorgung zu bewältigen. „Gegenteilige Konsequenz wäre langfristig eine Zentralisierung von Gesundheitsversorgung in allen Bereichen. Wenn der intramurale Bereich in der Region nicht versorgt ist, wird langfristig auch der extramurale Bereich noch größere Versorgungsprobleme aufweisen.“ Weitere Vorschläge sehen eine Lösung in der Errichtung von Ambulanzzentren in den ländlichen Gebieten, die eine fachärztliche Versorgung rund um die Uhr bieten, „unter Umständen statt erzwungener Aufrechterhaltung von einzelnen Spitälern“, wie ein Teilnehmer schreibt. Unterstützt werden könnten diese Gesundheitszentren „von Dorf- schwestern, die den Versorgungsdruck aus den ,landarztsarmen‘ Gemeinden nehmen würden.“ Als künftiges Modell der Versorgung in den peripheren Regionen wird eine zweite Art von Primärversorgungszentren denkbar: Das PVE-Netzwerk. „Ein PHC muss nicht zwingend in einem Gebäude, an einem Ort lokalisiert sein. Es ist auch möglich, räumlich verstreute lokale Einheiten zu bündeln, also organisatorisch und personell zu verschränken und so ein schlagkräftiges Versorgungs-Center zu bilden“, lautet ein Expertenvorschlag. Neues Berufsbild für Allgemeinmediziner Um die Allgemeinmedizin für junge Ärztinnen und Ärzte wieder attraktiver zu machen und gezielt eine neue Hausarztgeneration aufzubauen, bedarf es eines neuen Berufsbildes und verbesserter Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 16
1. Primärversorgung in Gefahr Arbeitsbedingungen. In einem Beitrag heißt es dazu: „Die neue Primärversorgung mit größeren Einheiten oder Netzwerken soll die Arbeitssituation der AllgemeinmedizinerInnen attraktiver gestaltet werden (z.B. Teamarbeit). Durch die Einbeziehung anderer Gesundheitsberufe findet der Patient/die Patientin ein umfangreiches Versorgungsangebot vor und durch die Schaffung größerer Einheiten können Service und Öffnungszeiten ausgeweitet werden.“ Doch woran liegt es, dass immer weniger Jungmediziner als praktische Ärzte tätig sein wollen? Ein Teilnehmer ortet eine „permanente öffentliche Abwertung dieses Berufes (extrem viel Arbeit, wenig Geld, Benachteiligung gegenüber Fachärzten usw.) – das bringt logischerweise keinen Ansturm junger Allgemeinmediziner.“ Abgesehen davon müsse Allgemeinmedizin bereits an den Medizinuniversitäten entsprechend aufgewertet werden; z.B. durch eine Professur für Allgemeinmedizin bzw. eine besondere Promi- nenz in der fortlaufenden Aus- und Fortbildung sowie durch einen Unter- richt, in dem die für die spätere Berufsausübung notwendigen Fähigkeiten vermittelt werden. Auch ein anderer Interviewpartner für die Arena Analyse hebt die Bedeutung einer praxisnahen Ausbildung für Allgemein- mediziner hervor: „Ein weiteres zu wenig breit diskutiertes Thema ist die Ausbildung der Ärzte (universitär, aber auch postgraduell), insbesondere im Bereich der Allgemeinmedizin. Fertig ausgebildete Ärzte haben oft nicht das gelernt, was sie in der Praxis wirklich an Kompetenzen, Fähigkeiten und insbesondere auch Fertigkeiten brauchen würden. Sie sind damit vielfach nicht in der Lage, eine umfassende Primärversorgung anzubieten.“ Eine weitere Frage, die in den Beiträgen angesprochen wurde, lautet: Wie viele Allgemeinmediziner wird Oberösterreich in den nächsten Jahren überhaupt brauchen? „Das wissen wir nicht, weil sich gleichzeitig die Versorgungsstrukturen ändern.“ Vermutlich werde der Bedarf unterschätzt, so die Antwort, „denn ein gesundheitspolitisches Ziel lautet, Primärversor- gung auszubauen, um Spitalshäufigkeit zu senken.“ Zudem würden sich immer mehr Allgemeinmediziner bewusst dafür entscheiden, „keinen Kassenvertrag anzustreben, sondern als Wahlärzte zu arbeiten. Ein Kassenvertrag gilt als nicht attraktiv (was nur zum Teil berechtigt ist). Kassentarife sind so gestaltet, dass man ,Masse machen‘ muss.“ Ein befragter Experte sah in Effizienzsteigerungen die Möglichkeit, sowohl intra- als auch extramural mit weniger Arztstellen auszukommen. „Die Nachbesetzungsproblematik in den Krankenhäusern und im nieder- gelassenen Bereich würde sich damit reduzieren. Ergänzend zu dieser Effizienzsteigerung können die Arbeitsbedingungen der Ärzte attraktiver werden, wobei dem Bürokratieabbau ein großer Stellenwert zukommt“, lautet sein Fazit. Nicht zuletzt wurde auch eine Aufstockung der intramuralen Aus- bildungsplätze für Allgemeinmediziner gefordert. Diese, so ein Teilnehmer, Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 17
1. Primärversorgung in Gefahr seien in den vergangenen Jahren teils stark zugunsten der Facharzt- ausbildung gekürzt worden. Zudem würde das Ärztearbeitszeitgesetz dazu beitragen, dass die Turnusärzte und –ärztinnen, weniger Wochenstunden im Krankenhaus und damit bei ihrer Ausbildung verbringen. Auch die Schaffung von Teilzeitstellen wurde als Lösungsansatz genannt: „Wir müssen überlegen, wie wir zum Beispiel Ärztinnen, die nicht Vollzeit arbeiten wollen, weil sie kleine Kinder haben, in das System eingliedern können“, gibt eine Expertin zu bedenken. Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 18
2. Das Spital der Zukunft In der österreichischen gesundheitspolitischen Diskussion liegt der Fokus sehr stark auf den Problemen des niedergelassenen Bereichs sowie auf der Frage, wie die Gesundheitsversorgung zwischen extra- und intramuralen Einrichtungen effektiv und effizient organisiert werden kann. Für Ober- österreich im Speziellen gilt das noch viel mehr, hier wurde ja unter anderem auch die Errichtung einer medizinischen Fakultät mit der Notwen- digkeit begründet, dem Mangel an niedergelassenen Allgemeinärzten entgegenzuwirken. Was dabei in den Hintergrund tritt, ist die Tatsache, dass auch die Spitäler selbst vor tiefgreifenden Umwälzungen stehen, ausgelöst durch den Fortschritt in der Medizin einerseits und andererseits durch die technologische Revolution in Digitalisierung und Automatisierung. Spezialisierung, Arbeitsteilung und Kooperation Nach übereinstimmender Meinung der Expertinnen und Experten wird der Typ des unspezifischen Basis-Krankenhauses, das alle Fächer in durch- schnittlicher Qualität abdeckt, weitgehend verschwinden. Stattdessen werden sich die Spitäler mehr und mehr spezialisieren, indem sie entspre- chend ihrer Stärken Schwerpunkte bilden. Die oberösterreichische Spitals- landschaft der Zukunft wird nach dieser Einschätzung also eine Reihe von Krankenhäusern umfassen, die sich jeweils auf unterschiedliche Fächer spezialisiert haben, wobei eine gewisse Grundausstattung – interne Medizin, Grundversorgung bei Notfällen bzw. Erstversorgungsfällen– in jedem Haus vorhanden sein wird. „Es muss nicht jede Leistung an jedem Ort angeboten werden“, formuliert es ein Teilnehmer der Arena Analyse unverblümt. Ein anderes Zitat dazu: „Einer der großen Trends im Krankenhaus lautet ,Kooperation und Spezialisierung‘. Spitzenmedizin kann sich nur entwickeln und das Niveau gehalten werden, wenn die Fallzahlen entsprechend hoch sind. In Zukunft wird es kaum noch Spitäler geben, die alles machen, sondern immer mehr Schwerpunkte und Spezialisierungen.“ Auf die Gesundheitspolitik kommt eine neue Steuerungsaufgabe zu, nämlich dafür zu sorgen, dass in Summe alle Fächer im Bundesland (oder auch in entsprechender räumlicher Nähe in einem Nachbarbundesland) vertreten sind. Die Spezialisierung geht also mit einer neuen Form der Arbeitsteilung zwischen den Krankenhäusern einher. Diese Spezialisierung wird durch die steigenden Ansprüche infolge der Fortschritte in der Medizin mehr oder weniger erzwungen. Exzellenz in einem medizinischen Fach erfordert Spezialisierung auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte. Dazu gehört neben ständiger Weiterbildung auch die Möglichkeit, durch ausreichende Fallzahlen an Patientinnen und Patienten Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 19
2. Das Spital der Zukunft ausreichend praktische Erfahrung aufzubauen. Immer mehr Spezial- leistungen, so heißt es in einem Beitrag zur Arena Analyse, „können nur in Spezialkrankenhäusern mit entsprechenden Fallzahlen erbracht werden“. Die Spezialisierung dient der Qualität und wird zudem aus Kostengründen notwendig. Nur mehr die ganz großen (Universitäts-)Kliniken in den Groß- städten werden imstande sein, alle Fächer anzubieten und dafür ausrei- chende Fallzahlen aufzubringen, um Top-Spezialisten und –Spezialistinnen in diesen Disziplinen halten zu können. Ein Problem bei diesem Strukturwandel sehen die Teilnehmenden der Arena Analyse im Widerstand der Bevölkerung gegen das Abwandern von Spitalsabteilungen, an die sie sich gewöhnt hatten. Da dieser zu erwartende Widerstand aber nur auf einem Mangel aus Verständnis beruhe, werde hier umfassende und rechtzeitige Kommunikation gefragt sein: „Es muss auch den Menschen klar vermittelt werden, dass es sich bei der Schwerpunkt- bildung an Krankenhausstandorten nicht um Einsparungen handelt, sondern dass das der Qualität dient.“ Für kleinere Spitäler in weniger dicht besiedelten Regionen bietet die Schwerpunktbildung sogar eine Chance: Ein Krankenhaus, dessen Bestand gefährdet scheint, könnte sich mit einem entsprechenden Angebotsprofil neu positionieren: „Die Schaffung von Schwerpunkten stärkt Anbieter in der Peripherie: Bisherige kleinere Standorte werden aufgewertet, wenn sie bestimmte Schwerpunkte erhalten.“ Ein Experte meint sogar: „Für die Krankenhäuser in den Regionen sehe ich nur eine Chance, wenn sie sich spezialisieren.“ Eine solche Spezialisierung muss nicht unbedingt High-End-Medizin bedeuten. Eine Expertin meint, dass gerade kleinere Spitäler eine derzeit bestehende Lücke zwischen der eigentlichen Behandlung und der Pflege schließen könnten: „Eine Integration der Pflege ins bestehende Gesund- heitssystem brächte eine bessere medizinische Betreuung in den Pflege- Einrichtungen unter Nutzung der Kapazität der bestehenden Spitäler. Vor allem kleinere Spitäler könnten so in der Region gehalten werden“ (Siehe dazu auch Kapitel 6). Neben der Arbeitsteilung und der landesweiten Koordination erfordert die fortschreitende Spezialisierung der Krankenhäuser auch neue und intensivierte Formen der Zusammenarbeit. Ein Experte formuliert: „Die Spezialisierung bedingt auch mehr Kooperation, denn die Patienten müssen dorthin gebracht werden, wo es den jeweiligen Fächer-Schwerpunkt gibt.“ Daraus entstehen Herausforderungen für die jeweiligen Schnittstellen. Die Probleme, die derzeit an der Schnittstelle zwischen extra- und intramuraler Versorgung auftreten (Stichwort Doppelbefundungen, Stichwort Warte- zeiten), müssen beim Transfer von Patientinnen und Patienten zwischen Spitälern vermieden werden. Die Expertinnen und Experten setzen hier ihre Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 20
2. Das Spital der Zukunft Hoffnung in die Digitalisierung und ein zeitgemäßes Datenmanagement – wie unten näher beschrieben. Kooperationen können weit über den wechselseitigen gesicherten Austausch von Patienten und Patientendaten hinausgehen. Mehrere Expertinnen und Experten erwarten, dass die Schwerpunktbildung von vornherein als Gemeinschaftsprojekt von mehreren Spitälern gemeinsam geplant wird: Ein gemeinsamer Entwicklungsplan koordiniert die jeweilige Spezialisierung, insgesamt entsteht so ein mehr oder weniger loser Spitalsverbund an mehreren Standorten, wobei durch die wechselseitige Abstimmung die Qualität aller Beteiligten gesteigert werden kann. Diese Art der Kooperation wird als Chance gesehen, für die gerade in Oberösterreich gute Voraussetzungen herrschen, denn von den Teilnehmenden der Arena Analyse wird dem Land weitgehend übereinstimmend „gutes Kooperationsklima“ und „hohe Innovationsbereitschaft“ attestiert. Als gelungenes Beispiel einer bereits bestehenden Kooperation wurde „die Entwicklung der gemeinsamen Tumorzentren-Strukturen“ genannt. Das von den drei Krankenhausbetreibern gespag, Elisabethinen und Vinzenz Gruppe getragene System „könnte ein Best-Practice-Modell für andere Fächer und deren Kooperation darstellen.“ Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, dass nicht von allen Teilnehmenden der Arena Analyse ein sachorientiertes Konsensklima unter den Anbietern von Gesundheitsleistungen in Oberösterreich diagnostiziert wird. Stellvertretend für mehrere meint einer der Experten: „Zwischen den Krankenhäusern wurde gezielt ein Konkurrenzkampf aufgebaut. Auch zwischen den Facharztordinationen und den Spitalsabteilungen herrscht Konkurrenzstimmung. Deshalb gibt es zu wenig Kooperation.“ Ein weiteres Risiko, das auf die oberösterreichischen Spitäler nach Ansicht der teilnehmenden Expertinnen und Experten zukommt: Genau wie der extramurale Bereich werden auch die Spitäler auf einen Engpass beim qualifizierten, gut ausgebildeten Personal zusteuern. Das Heranbilden von Nachwuchs hält mit den steigenden Anforderungen nicht ausreichend Schritt, zudem sind auch im Spital viele Arbeitsplätze nicht ausreichend attraktiv für Personen mit einer Qualifikation, wie sie die künftigen Aufga- ben erfordern. Als Mangel wird in diesem Zusammenhang auch mehrfach genannt, dass Ärztinnen und Ärzte viel Zeit mit administrativen Aufgaben verbringen. „Die Bürokratie“ ist ein nicht unwesentlicher Grund, warum qualifizierte Medizi- ner, aber auch Top-Pflegekräfte, manche Arbeitsstellen in den Krankenhäu- sern als wenig verlockend einstufen. Schließlich aber erwächst aus der zunehmenden Spezialisierung der Spitäler eine völlig neue Aufgabe für die Betreiber oder die verantwortli- chen Geschäftsführer: „Die Krankenhäuser müssen ein Image aufbauen, gleichsam zur Marke werden.“ Ihr jeweiliger Schwerpunkt kann dabei als Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 21
2. Das Spital der Zukunft Aufhänger dienen, aber sie müssen auf jeden Fall für eine bestimmte Idee, ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil stehen, denn nur so können sie im Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen und zugleich bei den Patientin- nen und Patienten auf Akzeptanz stoßen. Vernetzung der Disziplinen Das weiter oben gelobte Modell der Kooperation der oberöster- reichischen Tumorzentren erhält noch aus einem zweiten Grund Lob: In diesen Zentren sind nämlich Tumorboards eingerichtet, also Arbeitsgrup- pen, in denen sich Fachärzte und –ärztinnen standort- und abteilungsübergreifend austauschen und beraten. Diese Art von interdisziplinärer Kooperation wird in den Spitälern in Zukunft stärker gefordert sein. Denn die immer weitergehende Spezialisierung hat auch einen gravierenden Nachteil: Sie verstärkt das Denken in Fächern oder – noch schlimmer – in Abteilungen und erschwert die Gesamtsicht auf die Patienten. „Spezialisierung und Subspezialisierung schaffen höhere Qualität, aber erschweren die Zusammenarbeit“, formuliert ein Teilnehmer der Arena Analyse und fügt ein konkretes, wenngleich bewusst zugespitztes Beispiel an: „Nehmen wir einen Patienten, der eine neue Hüfte braucht. Wenn die alte abgenützt wurde, ist er ein Fall für die Orthopädie. Wenn er gestürzt ist, ein Fall für die Unfallchirurgie. Warum eigentlich? Es ist doch immer der gleiche Eingriff.“ Ein anderer Beitrag beklagt: „Die Zusammenarbeit der Fachabteilungen funktioniert nicht. Es gibt keine kollegiale Gesamtbeur- teilung eines Patienten. Was fehlt, ist die symptomorientierte Vorgangs- weise.“ Für Patientinnen und Patienten mit unklaren Diagnosen oder mit Symptomen, die sich nicht eindeutig der einen oder anderen Abteilung zuordnen lassen, kann diese Situation mitunter zu langen Irrwegen führen, ehe sie beim richtigen Arzt landen. Zitat: „Qualität in der Versorgung bedeutet auch Versorgung aus einem Guss: Vor allem schwerer oder mehrfach Erkrankte leiden an nicht klaren Zuständigkeiten, mangelhafter Kommunikation und Kooperation, fehlender Patientenorientierung und Fehlbehandlungen – wobei diese Probleme keineswegs nur an der Schnitt- stelle intra- zu extramuralem Bereich bestehen, sondern primär innerhalb der jeweiligen Logiken“. Deshalb, so ein anderer Experte, werde „die Vernetzung der Disziplinen immer wichtiger. Sie wertet auch das Krankenhaus gegenüber dem extramuralen Bereich auf, denn nur das Spital kann die Vernetzung ohne großen Aufwand leisten.“ Als Lösung wird von einigen Experten der Case Manager empfohlen, und zwar in einer Form, die nicht primär die Effizienz der Behandlungswege im Blickpunkt hat, sondern das Wohlbefinden der Patienten. Ein solcher Case Arena Analyse Herausforderungen und Chancen im oberösterreichischen Gesundheitswesen Kovar & Partners 22
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