HIER WIRD STADT GEMACHT - DAS EMMENBRÜCKER INDUSTRIEGEBIET STEHT AN DER SCHWELLE ZUM NEUEN STADTTEIL. DIE KREATIVEN HABEN ES BEREITS FÜR SICH ...
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Hier wird Stadt Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender gemacht Das Emmenbrücker Industriegebiet NO 2 Februar 2013 CHF 8.– www.null41.ch steht an der Schwelle zum neuen Stadtteil. Die Kreativen haben es bereits für sich entdeckt.
ZS_13_Ins_1-4_041_rz_ZS_13_Ins_1-4_041 21.01.13 11:58 Seite 1 ANZEIGEN 9 3 Beste ReGIe Paul Thomas anderson GOlDeN GlOBe NOMINatIONeN BesteR sChauspIeleR BesteR sChauspIeleR Beste NeBeNDaRstelleR PhiliP seymour hoffman VENICE FILM FESTIVAL 2012 Joaquin Phoenix Joaquin Phoenix PhiliP seymour hoffman amy adams "Beeindruckend, verBlüffend – ein unglauBlicher film." T h e N e w Yo r k T i m e s ZAUBERSEE RUSSIAN MUSIC LUCERNE TAGE RUSSISCHER MUSIK LUZERN 22.–26. MAI 2013 KKL LUZERN – HOTEL SCHWEIZERHOF LUZERN – ST. CHARLES HALL MEGGEN joaquin phoenix WWW.ZAUBERSEE.ORG philip seymour hoffman amy adams IN KOOPERATION MIT DEM The Master Ab 14. Februar im Kino Bourbaki usikt M w w w . s t atna n s e 8. w w w. s a St 4. 4 ser rm 1 ge . 13 an m u us si ta ik kt g ag e.c e. h ch ser Hauptsponsor Co-Sponsoren Bild-/ Video-Partner Medien-Partner Hotel-Partner Partner der Stanser Musiktage
editorial Flächengewinn Auch wenn die Fusion mit den m 2 Denkmalpflege, die ZHB un- Agglomerationsgemeinden ge- ter Schutz zu stellen, stehen die scheitert ist – die Stadt Luzern Ampeln für die Neubaupläne wächst nach und nach über des Kantons vorerst auf Rot. ihre geografischen Grenzen Beschwerden sind zu erwar- hinaus. So wird nun etwa Lu- ten – dass am Ende gar der zern-Süd besser erschlossen. Ein gutes Beispiel dafür Bund eingreifen muss, hält René Regenass durchaus ist auch das Industriegebiet im Herzen von Emmen- für möglich. (Seite 11) brücke. Auf dem Gelände der Monosuisse AG (ehe- malige Viscosuisse) entsteht jetzt die Viscosistadt: In So unerwartet wie plötzlich erreichte uns im Janu- ihr sollen Kultur, Kleingewerbe und Industrie neben- ar die erfreuliche Nachricht: Das Théâtre La Fourmi einander stattfinden, ja vielleicht will sich hier auch zieht temporär ins ehemalige Hotel Anker. Und somit die Kunsthochschule langfristig einmieten. Doch was ist uns ein liebes Kulturhaus für mindestens ein Jahr auch immer in den nächsten Monaten tatsächlich wieder zugänglich. Wir freuen uns auf die Eröffnung kommt – schon einiges ist da. Pablo Haller hat sich am 1. Februar! auf dem Gelände umgeschaut und ist auf rege Be- triebsamkeit gestossen. (Seite 6) Während die Dinge in Emmenbrücke ins Rollen kommen, tritt man in Sachen Zentralbibliothek auf Martina Kammermann der Stelle, oder besser gesagt: mit dem Entscheid der kammermann@kulturmagazin.ch 3
guten tag Aufgelistet Guten Tag, Gütsch Guten Tag, CVP Luzern Welche Preise die Welt noch braucht Nachdem du wochenlang in den Schlagzeilen Du liessest den Abbau des Nachtstern-Angebots (und wer sie übergeben könnte) warst, fristest du noch immer ein Dasein als Geis- prüfen, du verlangst strengere Regeln für Nacht- terschloss – eigentlich war die ganze Aufregung clubs, und dein Kantonsrat Pius Zängerle aus Ad- umsonst. Doch sollte dich dein russischer Patron ligenswil (sic!) will in Luzern auf dem Bahnhof- 1. Beste sexistische Werbung nun tatsächlich und offiziell verkaufen wollen, platz ein Alkoholverbot einführen. Aber an die (Alice Schwarzer) weisst du jetzt immerhin, was in Sachen neuer Fasnacht gehen deine Exponenten dann doch 2. Bester Sozialschmarotzer Besitzer auf dich zukommt. Es liebäugeln mit dir gerne einen heben und etwas wild sein. Nur unter (Christoph Blocher) Geschäftsmann Hermann Beyeler, Montana-Di- dem Jahr soll man nicht dürfen – oder? Wir glau- 3. Förderpreis Medienvielfalt Zen- rektor Fritz Erni und auch FCL-Investor Bernhard ben, du hast etwas falsch verstanden: Die Genuss- Alpstaeg. Letzterem bereitet der FCL ja seit länge- feindlichen sind die Protestanten ... tralschweiz (Thomas Bornhauser) rem mehr Sorgen als Freude, da Trainer und 4. Bester Steuerhinterziehung Sportchef laut ihm «keine Ahnung von Fussball» Katholisch grüsst, 041 – Das Kulturmagazin (Peer Steinbrück) haben. Warum also nicht ein neues Bijoux, was 5. Arbeiter-Gleichstellungspreis Gutes fürs Gemüt. In diesem Fall bliebe nur zu hoffen, dass der künftige Küchenchef eine Ah- (Generalvikar Martin Grichting: nung vom Kochen hat, denn Herr Alpstaeg «Laientheologen gibt es weltkirch- schreckt bekanntlich nicht davor zurück, seinen lich gesehen gar nicht», NLZ Untergebenen grosszügig in die Suppe zu spu- 14.1.2013) cken. 6. Schönste kapitalistische Ausbeu- Sportlich, 041 – Das Kulturmagazin tung (Jean Ziegler) 7. Annerkennungspreis «Würdig altern» (Silvio Berlusconi) 8. Schönstes denkmalgeschütztes Stadtgebäude (Andrea Gmür, Kan- tonsrätin CVP, plädiert für den Neubau der ZHB mit integriertem Verwaltungsgericht, vgl. Seite 11) schön gesagt «Stadt und Land sollen ihre eigenständige Kultur leben. Sie muss sich an das Publikum vor Ort wenden.» nathalie unternährer, chefin kulturförderung kanton luzern (Seite 16) ANZEIGEN VEREINSTÄDTEPARTNERSCHAFT MAIHOFSTRASSE 102 LUZERNCHICAGO CH-6006 LUZERN WWW.LUZERN-CHICAGO.CH Gesucht: FARBMÜHLE Wohnatelier in Chicago ADMINISTRATIVE ASSISTENZ 1. Dezember 2013 – 30. November 2015 DER SCHULLEITUNG (80%) Professionelle Kulturschaffende aller Sparten aus dem Kanton Luzern können sich für Per 1.4.2013 oder nach Vereinba- einen Studienaufenthalt im Wohnatelier in Chicago bewerben. rung. Informationen siehe Die Stipendiendauer beträgt 4 bis 6 Monate. Webpage Bewerbungsunterlagen sind hier abrufbar: www.staedtepartnerschaften.stadtluzern.ch und www.luzern-chicago.ch (unter «Atelier in Chicago»). Gestaltungsschule 041 210 12 20 Kontakt: Verein Städtepartnerschaft Luzern – Chicago, Stadthaus, Hirschengraben 17, 6002 Luzern. E-Mails: claudia.willi@stadtluzern.ch oder kontakt@luzern-chicago.ch Farbmühle Luzern info@farbmuehle.ch www.farbmuehle.ch Anmeldefrist: 31. März 2013 4
Inhalt 6 hier tut sich was Ein Streifzug durch die Emmenbrücker Industrie- areale zeigt: Hier tut sich was. 16 frischer wind in der Chefetage Nathalie Unternährer, die neue Leiterin Kulturförderung des Kantons Luzern, spricht über sich und die Bedeutung der Kultur. KOLUMNEN 18 Gabor Feketes Hingeschaut 19 Hingehört: Urs Krähenbühl 20 Lechts und Rinks: Waffen töten – auch in der Schweiz 21 Nielsen/Notter 22 Gefundenes Fressen: Die Pastinake 11 ein vögeli im gärtli 67 Vermutungen Das Chaos um die Zentralbibliothek SERVICE 23 Bau. Ruswils Dorfkern neu gedacht ist perfekt. Muss zuletzt auch noch der 24 Kunst. Sammelkiste schöner Dinge 27 Wort. Anarchistische Modelle des Zusammenlebens Bund eingreifen? 30 Kino. Das «Festen» geht weiter: Mit «Jagten» 33 Musik. Mystisches in der Matthäuskirche 36 Handwerk. Präzision am Blasinstrument 38 Bühne. Das neue Drama von Guy Krneta 41 Kids. Das Luki*ju-Theater hat Geburtstag 42 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz 64 Impressum 65 Ausschreibungen / Preise KULTURKALENDER 43 Veranstaltungen 59 Ausstellungen Titelbild: Collage, Mart Meyer 12 minutiöse handarbeit Ueli Läuppi zeichnet seit Jahrzehnten Landkarten mit 3D-Effekt. Ohne Computer. PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 44 Südpol / Zwischenbühne 46 HSLU Musik / Kleintheater Luzern 48 ACT / Stattkino 14 interaktiv lesen 50 52 Chäslager Stans / Stadtmühle Willisau Romerohaus / Sousol E-Books sind auch in der Schweiz im 54 Luzerner Theater / LSO Bilder: Mo Henzmann 56 Kulturlandschaft Kommen. Und die meisten davon aus 58 60 Nidwaldner Museum / Kunsthalle Historisches Museum / Natur-Museum Luzern Luzern. 62 64 Kunstmuseum Luzern Museum im Bellpark 5
luzern-nord Es tut sich was in Luzerns Norden. In der Viscosistadt auf dem Monosuisse- Areal in Emmenbrücke wird der Luzerner Tatort produziert, musiziert und künstlerisch gearbeitet. Auch die Hochschule Luzern – Design & Kunst hat Interesse bekundet, sich hier einzumieten. Zeit, sich mal umzuschauen. Von Pablo Haller Kultur driftet nordwärts! 6
luzern-nord Am Eingang, beim Pförtnerhaus, steht hin- und Bildhauerin Nadja Iseli einer der ers- auf das Areal brächten, mit dem Kleinge- ter dem grossen Glasfenster Herr Burri, ten Kreativen, die das Areal für sich ent- werbe, der Industrie und dem geplanten Pförtner seit 45 Jahren. In anderthalb Jah- deckten. Bald schon kam dann auch Stur- Wohnanteil einen guten Mix machen. Der ren wird er pensioniert. 3500 Leute sind da zenegger, die davon vom Hörensagen er- Wohnanteil im Projekt ist limitiert. «Die in den Blütezeiten der Firma täglich ein fahren und einfach mal beim Immobilien- Vorschriften verlangen, dass Wohnraum und aus gegangen, wie er weiss. In den verantwortlichen Elmar Ernst angefragt ohne erhebliche Lärmbelästigung gelüftet 1970-ern gab es einen firmeninternen Kin- hat. Sie ist auch nicht ganz unschuldig, werden kann. Das ist beim Lärm der Ger- derhort. dass die Hochschule Luzern – Design & liswil- und der Thorenbergstrasse nur be- Die ehemalige Viscosuisse und Emmen- Kunst auf dem Areal eingemietet ist. «Ich dingt möglich», so Ernst. brücke sind untrennbar verbunden, seit sah die vielen Räume und habe Freunden, Für die Hochschule ergäbe sich eine 1906, als die Société de la Viscose Suisse, die ein Atelier suchten, davon erzählt. Fläche von über 8000 Quadratmetern für wie sie damals hiess, als erste erfolgreiche Auch Leuten von der Schule, zu denen ich Schulungsräume und Ateliers. Auch die Kunstseidefabrik in der Schweiz Garn aus Kontakt habe. Die waren sehr interessiert, Gemeinde Emmen unterstützt den Hoch- Holzzellulose herzustellen begann. Heute weil die Schule schon lange unter Platzpro- schulstandort auf dem Monosuisse-Areal. heisst ein Teil der ehemaligen Viscosuisse blemen leidet.» Übrigens: Es sollen noch Monosuisse AG und zählt insgesamt 165 einige Atelierräume zu vergeben sein. Monosuisse AG zieht nicht weg Mitarbeitende plus 18 Lernende. Dazu ge- Das Erste, was Ernst sagt, als ich mich hört ein Werk in Polen mit etwa 100 Mitar- Kommt die Kunsti? als Journalist vorstelle: «Wir als Monosu- beitenden. Die Kunsti hat im Bau 742 zwei Stöcke isse AG bleiben auf jeden Fall hier. Schrei- Auf dem Monosuisse-Areal – 84 000 mit rund 800 m 2 angemietet – Atelierplätze ben Sie das. Das war nicht bei allen bisheri- m2, eine Fläche so gross wie die Luzerner für Bachelorstudenten im dritten Jahr. gen Berichterstattung ganz klar.» Altstadt – entsteht nun die Viscosistadt. Eventuell wird es bald mehr. Laut «Em- Die Viscosistadt sei ein langfristiges Wohnen, Arbeit, Bildung und Kultur sol- menmail», dem Mitteilungsblatt der Ge- Projekt. «Wir fragten uns: Wie könnte das len nebeneinander stattfinden. Miriam meinde, ist die Monosuisse AG daran inter- Areal in 20 Jahren aussehen? Wir wollten Sturzenegger, die ihr Atelier seit bald drei essiert, den gesamten Bau 745 zu transfor- nicht, dass nach und nach abparzelliert Jahren auf dem Areal hat, führt mich her- mieren und der Hochschule langfristig zu und einfach irgendwas gebaut wird. Wir um. Sie schätzt das Nebeneinander von vermieten. Diese scheint interessiert. Ein wollten mitgestalten. Da haben wir auch Kunst, Kleingewerbe und Industrie hier. Grundsatzentscheid der politischen Ent- eine stadtplanerische Verantwortung, die Auch das Urbane: «Die Gerliswilstrasse hat scheidungsträger steht jedoch noch aus. wir als Grundeigentümer so wahrnehmen einen viel städtischeren Charakter, als dies Auf Anfrage meint Andreas Kallmann, wollen.» So wird es auf dem Areal aus heu- beispielsweise irgendwo in Littau zu finden Verwaltungsdirektor der Hochschule Lu- tiger Sicht kaum ein Einkaufszentrum ge- ist», so Sturzenegger. Im Bau 724, wo sie zern, man sei noch immer auf diesem ben. Und langfristig wird sich die Aufwer- ihr Atelier hat, sind neben den überbetrieb- Stand, ab Mitte Februar könne man ja tung des Geländes für die Monosuisse AG lichen Kursen der Chemielaboranten der nochmal nachfragen. wohl auch rechnen. Zentralschweiz, der Blaskapelle Viscosuisse «Wir würden uns sehr über die Hoch- Die Firma, die heute Teil der sich in Fa- und mehreren Architekturbüros auch eini- schule freuen», so Elmar Ernst, Leiter Im- milienbesitz befindenden Sefar Holding ge Kulturschaffende eingemietet. Der Mu- mobilien der Monosuisse AG, den ich im AG ist, hat einen städtebaulichen Studien- siker Ivo beispielsweise, der im Juli 2009 ersten Stock des Pförtnerhauses treffe. Es auftrag ausgeschrieben, den die Zürcher als erster Schweizer den Baltic Song Con- wäre einerseits ein grossartiger Startschuss EM2N Architekten gewannen, die bereits test in Schweden gewann. Er war zusam- für die Viscosistadt, andererseits würde der das ehemalige Toni-Areal in Zürich neu men mit der Architekturmodellbauerin experimentelle Geist, den die Studenten überbaut haben. Das Areal war – nachdem Ungefähr so wird das Areal in Zukunft aussehen: Hier die Fassade Ostseite. (Seite 6: Fassade Westseite links). Modelfotos: Hannes Henz 7
luzern-nord 1999 die Toni-Molkerei stillgelegt und 2000 liquidiert wurde – kulturell zwi- schengenutzt und von EM2N umgestaltet worden. Nach baulichen Verzögerungen sollen nun 2013 die Zürcher Hochschule der Künste, die Hochschule für Soziale Ar- beit und die Hochschule für Angewandte Psychologie in einer Campussituation ein neues Domizil finden. Gleichzeitig sind vielfältige kulturelle Nutzungen und rund 120 Wohnungen geplant. «Der Bebauungsplan legt bloss die Mas- se der Gebäude, die Verkehrsführung, die Freiflächen etc. fest», betont Ernst. «Wie die einzelnen Häuser am Ende aussehen, entscheidet die jeweilige Bauherrschaft. Man will ja keine Retortensiedlung, es soll authentisch aussehen.» Die Besitzer wollen Auf dem Monosuisse-Areal soll viel Neues gebaut werden, die industrielle Vergangenheit aber sichtbar bleiben. Quelle: EM2N Industrielle bleiben und sich nicht mit Im- mobilien herumschlagen. Deshalb suchen sie nach Investoren, die kaufen und im Rahmen des Projekts bauen. Künstler können bleiben Auch das Andenken an frühere Zeiten soll gewahrt werden: Ein Teil der grossen Shedhalle wird stehen gelassen. «Ökono- misch gesehen ist das schlecht, aber uns ist vertrag unterschrieben. «Erst habe ich mir AG einen Vertrag für 20 Jahre und ihr Bau es wichtig, dass die industrielle Vergangen- noch überlegt, ob es sinnvoll sei, einzelne 716 bleibt bestehen. Ort und Areal schätzt heit sichtbar bleibt. Was reinkommt ist of- Räume zu vermieten, ob es nicht besser sei, sie sehr. «Hier an der – ich sag jetzt mal – fen, von Kunsthalle bis Rollschuhpalast ist ganze Etagen zu vermieten – an eine Fir- Peripherie findet man eher noch Freiräu- alles möglich», sagt Ernst und lacht. Mitte ma, die sich hier ansiedeln würde bei- me. Andererseits ist es auch erstaunlich: Januar hat man den Bebauungsplan bei spielsweise. Aber nun sind wir glücklich Der Akku ist eine fünfminütige S-Bahn- der Gemeinde eingereicht. Das Bewilli- mit der momentanen Situation.» «Und die fahrt vom Luzerner Bahnhof entfernt, aber gungs- und Umzonungsverfahren – heute Mieten sind zahlbar», wie Miriam Stur- für viele hört die Stadt und das kulturelle ist das Areal Industriegebiet – dauert über zenegger sogleich anfügt. «Und ich fühle Leben an der Stadtgrenze auf.» ein Jahr. mich hier sehr willkommen. Diese Herz- Die heutigen Atelierräume übrigens lichkeit im Umgang ist besonders.» Auch Ein Teil des nördlichen Areals (Em- sollen auf unbestimmte Zeit bleiben. «So einige, die aus dem Frigorex-Areal vertrie- menweid), beispielsweise Gebäude an der nah am Wasser dürfte man heute gar nicht ben wurden, sind nun hier heimisch. Wie Merkurstrasse, gehört der Viscosuisse Im- mehr bauen», bemerkt Elmar Ernst. Er ist die Tänzerin Irina Lorez, die nun im obers- mobilien AG. In Nummer 19 sind verschie- selbst kulturell tätig, als Saxophonist bei ten Stock des Kunst- und Kulturunterneh- dene Ateliers, auch jenes von Mathias Wal- der Feldmusik Luzern (sie hat ihr Probelo- mens Akku ihren Proberaum hat. ther, der sich in seinen Arbeiten mit dem kal in der Emmenweid augenzwinkernd Zum Viscosistadt-Projekt befragt, sagt öffentlichen Raum auseinandersetzt. Er mit «Nordpol» angeschrieben). Er könne die Kuratorin der Kunstplattform Akku war 2005 einer der Pioniere in Emmenbrü- sich nicht vorstellen, was passieren müsste, Natalia Huser nur Positives. Es sei ein am- cke. «Da hatte es noch praktisch keine Ate- dass er den Kreativen von Bau 724 kündi- bitioniertes, gutes Projekt. Die Ausstellung liers hier», erinnert er sich. «Eine Firma, gen müsste. Zudem hätten die Architekten des Wettbewerbs fand im Akku-Foyer statt. ich weiss nicht mehr genau wie die hiess, erst grad umgebaut und einen Zehnjahres- Die Stiftung akku hat mit der Monosuisse hatte einen Showroom. Aber sie gingen 8
luzern-nord Emmenweid Swiss Steel Monosuisse-Areal Seetalplatz Villa Seebli © Google maps Das Emmenbrücker Industriegebiet im Überblick. (Villa Seebli: siehe nächste Seite) bald wieder, weil die Leute Angst hatten, reits zusammen mit den Fusionsverhand- auf dem Monosuisse- und den umliegen- hierher zu kommen.» Auch er hat keine lungen gescheitert sei, meint die städtische den Arealen mitzugestalten, Räume zu grossen Bedenken, dass er bald raus muss. Kulturchefin Rosie Bitterli: «Nein, dazu mieten, Veranstaltungen anzureissen etc. kann ich nichts Neues sagen. Ich sehe ei- Denn im Stadtzentrum werden die Räume Experimentelles Kulturhaus in der gentlich nicht, wie wir ohne Fusion von nicht zahlreicher. Emmenweid? der Stadt aus einen solchen Standort bepla- Die schönen Backsteingebäude aus der nen sollten. Eventuell wäre es eine Chan- Gründerzeit der Viscosi, dort wo heute die ce, wenn Kulturakteure und -institutionen Viscose-Bar, das Casino-Catering, die Kü- aktiv würden. Es muss ja nicht unbedingt chenhersteller Duss AG und Showrooms ‹die Stadt› sein, die etwas anreisst.» Seetalplatzumbau startete im Januar wie beispielsweise die Licht Galerie sind, Das ehemalige Industriegebiet in Em- Im Raum Seetalplatz/Bahnhof Emmenbrücke hat eine Vorgängerin der Monosuisse AG menbrücke hat erhebliches Potenzial, sich werden die Verkehrswege und den Flussraum neu gestaltet und das Gebiet städtebaulich vor einigen Jahren schon verkauft. Im Em- zu diesem Kulturbiotop zu mausern, das entwickelt. Die Luzerner Stimmbevölkerung menweid-Areal produziert aber auch noch mit dem Abriss des Frigorex-Areals in Lu- stimmte der Neugestaltung des Seetalplatzes die Firma Serge Ferrari Tersuisse SA ihre zern verloren ging. Die Stadt soll endlich, am 17. Juni 2012 mit einer Mehrheit von 68 Polyester-Garne. Diese Firma war einmal trotz und gerade wegen der gescheiterten Prozent zu. Mitte Januar begannen die Bau- ebenfalls ein Teil der Viscosuisse. Fusionsverhandlungen grösser gedacht arbeiten. Der Umbau des Seetalplatzes ist In der «Kulturagenda 2020» der Stadt werden. Von den Kulturschaffenden, den Teil des Gesamtprojekts Luzern Nord, das die Luzern ist von einem experimentellen Kul- Veranstaltern, dem Publikum. Der Satz der Siedlungsräume, den Hochwasserschutz und den Gesamtverkehr im nördlichen Teil der Stadt turhaus die Rede, das «zum Beispiel in der Kulturchefin, dass es ja nicht unbedingt Luzern, der Gemeinde Emmen und in angren- Emmenweid» entstehen soll. Darauf ange- die Stadt sein müsse, die etwas anreisst, zenden Gebieten koordiniert und plant. (ph) sprochen mit der Frage, ob das Projekt be- darf auch Ansporn sein, die Entwicklung 9
luzern-nord Privatpersonen unerwünscht Auf dem Gelände des Stahlgiganten Schmolz + Bickenbach in der Em- menweid steht die Villa Seebli, die seit zwölf Jahren von Privatpersonen bewohnt wird. Jetzt haben alle die Kündigung erhalten. Die 1898 erbaute Villa Seebli. Bild: zvg Die Villa Seebli thront mit ihrer lauschigen Vorwand. Man will keine Privatpersonen den europäischen Normen anpassen und Veranda mitten im Grünen – ein idylli- mehr auf dem Firmengelände und sich das Gelände für Privatpersonen unzugäng- scher Flecken ganz nahe im Industriegebiet vollständig abschotten», sagt Christian lich machen möchte. «Auf dem Werkareal Emmenbrücke. Ein paar Meter daneben Hunn. Eine schleichende Änderung in der kreuzen sich heute Grosstransporte mit steht das ehemalige Gärtnerhaus, das Haltung des Konzerns sei schon länger Spaziergängern und Kinderwagen. Wir ebenfalls bewohnt ist. Wenn dann auch spürbar. «Spätestens seit der deutsche möchten solche Gefahren vermeiden», sagt noch Heidi Happy und Blind Banjo Aregger Weltkonzern S + B die Aktienmehrheit Miletic. Dass die rechte Seite der Kleinen am Seebli-Open-Air auf der Veranda ste- übernommen hat, ist klar: Hier wird künf- Emme aufgewertet werden soll, kommt hen und in die Saiten greifen, ist die Stim- tig keine Rücksicht auf lokale Bedürfnisse dem Konzern darum gelegen. «Wir sind mung perfekt. Die feinen Konzerte, die mehr genommen, wie das die Firma früher mit der Gemeinde im Gespräch, ob und hier sporadisch veranstaltet werden, sind zu tun pflegte. Damals gab es noch einen was für Auswirkungen das auf die Wan- ein Geheimtipp. Die Villa Seebli wurde Kindergarten und andere Infrastrukturen derwege hat, die jetzt über unser Werkare- 1898 gebaut und diente den Direktoren als für Arbeiter und Anwohner. Heute ist S + B al führen.» Sommerresidenz. Ab den 60er-Jahren wa- ein Aktienpaket. Bei Reorganisationen ren Arbeiterinnen aus dem Stahlwerk von und Entscheidungen ist der Mensch kein Das Aus für eine Tradition Moos einquartiert. Als Christian Hunn vor Faktor mehr», sagen Hunn und Esther Mit der Abschottungsstrategie steht der zwölf Jahren gemeinsam mit Bekannten Ammann, die seit Jahren in der Villa da- Konzern S + B nicht alleine da: Kürzlich auf die Perle gestossen ist, war das Haus heim sind. Bei Swiss Steel hat man Ver- wurde auch der beliebte Kanal bei Rathau- ziemlich verlottert. Nach längeren Ver- ständnis für die Enttäuschung, bekräftigt sen vom CKW vollständig abgeriegelt und handlungen mit Swiss Steel – heute ein aber den Eigenbedarf. «Die Firma hat für Privatpersonen unzugänglich gemacht. Teil von S + B – bekamen sie einen Miet- Raumbedarf. Darum soll die Villa Seebli Dass jetzt auch S + B sein Gelände abschot- vertrag. Dieser beinhaltete, dass die Be- wieder ihrem ursprünglichen Zweck zuge- ten will, bedeutet wohl das Aus einer Tra- wohner selber für die Pflege des Hauses führt werden: Es soll kein firmenexternes dition, die Emmenbrücke bis heute prägt: sorgen. Das wurde auch gemacht: Es floss Mietobjekt mehr sein, sondern für die Be- Die Bevölkerung bekommt dann nichts viel Herzblut in die Renovation der Villa, triebsfeuerwehr, Schulungsräume oder mehr von den imposanten Arbeiten im die auf drei Stöcken drei Parteien unter- Ähnliches genutzt werden», sagt Dragan Stahlwerk mit. Keine verstohlenen Blicke schiedlichsten Alters beherbergt. Miletic, Leiter Werkinfrastruktur Swiss mehr in die riesigen Schmelzöfen und ja: Steel. Was genau dann dort untergebracht keine lauschigen Konzerte mehr in der Vil- Industrie schottet sich ab wird, könne erst evaluiert werden, wenn la Seebli. Im nächsten Sommer müssen alle aus- die Gebäude leer seien. Miletic bestätig aus ziehen. Grund: Eigenbedarf. «Das ist ein serdem, dass sich die Firma mittelfristig Christine Weber 10
Aktuell Muss das Bundesgericht den Schutz der Zentralbibliothek sicherstellen? Wenn diese Zeilen öffentlich sind, ist die ist nicht nur im Schweizerischen Inventar nicht mehr verstehen. «Die Umbauvorlage, Beschwerde gegen die Unterschutzstellung der Kulturgüter von nationaler Bedeutung 2010 vom Kantonsrat mit grosser Mehrheit der Zentralbibliothek vermutlich schon eingetragen, sondern auch im Inventar der genehmigt, garantiert eine moderne und eingereicht. Die Frist läuft noch bis zum 7. schützenswerten Ortsbilder der Schweiz publikumsbezogene Bibliothek mit neuen Februar. Für die zuständige Abteilung Im- (ISOS). Und genau hier dürfte der Kantons- Werten.» Dazu gehört zum Beispiel eine mobilien im Kantonalen Finanzdeparte- rat mit seinen Neubau-Motionen auflaufen. Vitrine über 30 Meter im Untergeschoss, in ment, insbesondere auch für Regierungsrat Im April 2009 hat das Bundesgericht bei welcher die ZHB endlich ihre eigenen wert- Marcel Schwerzmann, ist die dünne Mehr- einem Bauprojekt in Rüti/ZH gegen Kanton vollen Bestände präsentieren kann. All dies heit des Kantonsrates, welche Abriss und und Gemeinde entschieden und den Orts- kann man nachlesen in der Botschaft des Neubau der ZHB will, massgebend. Selbst bildschutz höher gewichtet. Ivo Zemp vom Regierungsrates an das Parlament vom Kantonsrätin und CVP-Frau Andrea Gmür- Bundesamt für Kultur, Sektion Denkmal- Frühjahr 2010. Schönenberger (49), welche die Neubau- pflege, sagt denn auch, ISOS-Objekte wie Motion eingereicht hat, denkt an die Be- die Luzerner Zentralbibliothek verdienten Die «Mitsprache» der Richter schwerdemöglichkeit. Sie kann schlicht den grösstmöglichen Schutz. Und weiter: Woher kommt denn überhaupt der Im- nicht nachvollziehen, was die Einheit Bib- «Man kann davon ausgehen, dass das Bun- puls für ein riesiges Haus mit Bibliothek liothek und Vögeligärtli für Stadtluzerne- desgericht, wenn es denn zur Rechtspre- und Kantonsgericht im Vögelgärtli? And- rinnen und -luzerner bedeutet. Die gebürti- chung käme, den Schutz durchsetzen wür- rea Gmür hat die Idee nach eigener Aussage ge Ostschweizerin – sie ist die Tochter des de.» im Freundeskreis aufgenommen. «Sie ist St.Galler alt Ständerats Jakob Schönenber- genial und setzt einen städtebaulichen ger (81) – scheint die Stadt nicht zu spüren, Was sich die Stadt mit einem Biblio- Schwerpunkt.» Im politischen Umfeld al- obwohl sie seit 1990 in Luzern lebt. theksbau mit integriertem Kantonsgericht, lerdings hört man, die CVP-Frau sei von so wie es in der Motion Gmür verlangt CVP-Verwaltungsrichter Andreas Korner – Vor der politischen Realität macht die wird, einhandeln würde, führte zu einer er ist als künftiger Präsident des neuen Beschwerde gegen den Denkmalschutzent- unvorstellbaren städtebaulichen Zerstö- Kantonsgerichts vorgeschlagen – auf diese scheid keinen Sinn. Um auf dem Sempa- rung der jetzigen Einheit Vögeligärtli mit Neubauvariante aufmerksam gemacht cherplatz einen grossen Neubau realisieren Bibliothek, Lukaskirche und Park. Auch worden. Denn nicht wahr: die Richter und zu können, bräuchte es eine Zonenplanän- das steht im Entscheid der Denkmalpflege, Richterinnen würden es schätzen, weiter- derung. Und diese hat vor den Stimmbür- wo es heisst: «Um genügend Raum für das hin inmitten der Stadt und nicht irgendwo gerinnen und Stimmbürgern der Stadt kei- Kantonsgericht und die ZHB zu schaffen, am Rande ihrer Arbeit nachgehen zu kön- ne Chance. Das zweite Hindernis ist ein müsste der Neubau gemäss einer Studie das nen. Korner winkt ab: «Die Idee stammt Vertrag zwischen Stadt und Kanton Luzern Volumen einer Blockrandbebauung mit nicht von mir, obwohl ich die Neubau-Mo- aus dem Jahr 1949, der eine Nutzungsbe- rund 60 000 Kubikmetern maximal aus- tion begrüsse.» Verwaltungsrichter Korner schränkung auf dem Sempacherplatz fest- nützen, so die heute bebaute Fläche ver- ist in der Standortsuche für das neue Kan- setzt. Ausserdem sind die Gründe, welche doppeln und die maximal mögliche Gebäu- tonsgericht Beauftragter von Obergericht für die Schutzwürdigkeit der Zentral- und dehöhe ausschöpfen.» Das heisst sechs und Verwaltungsgericht. So weit weg ist die Hochschulbibliothek sprechen, im Ent- Stockwerke hoch. Vermutung der richterlichen Einflussnah- scheid derart umfassend und einleuchtend me also nicht. aufgelistet, dass es schon fast mutwillig er- Alle diese Fakten sind bekannt. Und scheint, hier mit Beschwerden aufzufah- immer noch gibt es Kantonsräte, die dies Von René Regenass ren. nicht sehen wollen. Walter Stucki (FDP, Emmen) prophezeit in einem Leserbrief, Auf nationaler Ebene längst geschützt die bestehende ZHB könne kaum mehr zu Was viele nicht wissen: Die Luzerner einer funktionalen und modernen Biblio- Denkmalpflege hat nur nachvollzogen, was thek umgebaut werden. Bibliotheksdirek- schon längst erkannt wurde. Die Bibliothek tor Ueli Niederer kann solche Aussagen 11
porträt Seine Karten erzählen Geschichten Was zunächst nur eine Idee war, ist heute sein Lebenswerk. Seit bald 27 Jah- ren zeichnet Ueli Läuppi die Welt von Hand. Und seine Landkarten sind nicht bloss hübsch anzusehen, sie zeigen die Welt auch von einer anderen Seite. Von Andrea Nussbaumer; Bilder Mo Henzmann 12
porträt Spezielle Lampen säumen den Kiesweg zu Steine in den Weg gelegt und seine Eltern vielen solchen einzelnen Blockdiagram- Ueli Läuppis Holzchalet am Sonnenberg, ermöglichten ihm ein Geologiestudium an men entstehen Atlanten von ganzen Kon- sie sehen aus wie kleine steinerne Pavil- der ETH in Zürich. Dem jungen Mann öff- tinenten. lons. Er hält an und erzählt von einer sei- neten sich viele Türen: «Wir waren damals ner Reisen nach Bali, auf der er die Lam- in unserem Fachbereich nur vier Studen- Das Zeichnen von Landkarten ist eine pen entdeckte und per Schiff in die Schweiz ten und als Geologen sehr gefragt. Es ge- sehr genaue Arbeit, die viel Geduld erfor- bringen liess. Auch das Haus ist voller langten beispielsweise Erdölgesellschaften dert – denn Läuppi zeichnet alles von Hand Kunstgegenstände aus fernen Ländern. an uns, die uns weiter ausbilden wollten. und nicht etwa mit dem Computer. «Als Nun sitzt der 73-Jährige auf dem Sofa Ich lehnte ab. Aber wir hatten die Möglich- ich angefangen habe, gab es die techni- und erzählt von seinem Vater. Eine wichti- keit zu wählen, was wir machen wollten.» schen Möglichkeiten von heute noch ge Figur in seinem Leben, wie es scheint. Läuppi entschied sich für ein zweites Studi- nicht», erzählt er. Alles, was er braucht, «Ich erinnere mich noch gut. Als ich etwa um im Bauingenieurwe- sechs war, besuchte ich mit meinem Vater sen. Luzern und er zeigte mir, wie am Quai Bald darauf folgte die überall Kartoffeln angepflanzt wurden. Heirat mit Barbara, später Das machte mir grossen Eindruck.» Sein drei Söhne. Nach dem Stu- Vater habe ihm viel gezeigt. Beispielsweise dium war Läuppi lange als die Routen, die er mit seinem alten Ford in Geologe und Bauingenieur Amerika befahren hatte. in der Schweiz und im Viele verschiedene Routen sollte Ausland tätig. Er reiste und schliesslich auch der Sohn erkunden. Der erlebte viel, war aber selten weitgereiste Läuppi hat viel von der Welt zu Hause. Bis die Familie gesehen, und das wiederum zeigt sich in entschied, endgültig in der seinen Landkarten. Der Geologe, Bauinge- Schweiz zu leben. «So in- nieur und Geograf zeichnet seit Jahrzehn- teressant es auch war, ich ten von Hand ganze Kontinente. Dabei verbrachte zu wenig Zeit versucht er, das Relief dreidimensional mit meiner Familie.» So darzustellen. Nun sind sie in einer Sonder- liess sich die Familie Läup- ausstellung im Gletschergarten Luzern das pi in Kriens nieder. erste Mal ausgestellt. sind Papier, Tusche und Caran-d’Ache- Ueli Läuppi war schon immer wissbe- Eine Leidenschaft, die hält Farbstifte. Damit könne er überall an sei- gierig. Zeichnet er heute an einer Region, Schon während seiner Studienzeit war nen Karten arbeiten. Denn ja, natürlich, befasst er sich intensiv mit ihr – bis er sie Läuppi aushilfsmässig als Lehrer tätig, nun Läuppi ist auch heute noch viel unterwegs. versteht. Dafür zieht er sich gerne mal ein wurde dies zu seinem Hauptberuf. 1975 Bis heute sind Karten von Süd- und oder zwei Monate zurück. Sei es in sein Ar- wurde er Geografielehrer an der Kantons- Nordamerika sowie Europa und dem Ori- beitszimmer, ins Ferienhaus in England schule Luzern und dissertierte nebenbei ent entstanden. Für ein zusammengesetz- oder sonstwo in die Ferne. Er taucht dann mit einer Arbeit über die Gletscheraktivität tes Bild aus verschiedenen Blockdiagram- ein in eine andere Welt, liest viel, schaut in der Zentralschweiz. Damals schon zeich- men braucht Ueli Läuppi zwischen drei Filme, studiert Statistiken oder macht sich nete er regionale Landkarten für seine und vier Jahren. Eine lange Zeit. Und den- selbst ein Bild vor Ort. «Es ist mir wichtig, Schüler, um ihnen Regionen verständli- noch, die Freude hält: Wenn er Abwechs- alle Seiten einer Region zu kennen. Ich be- cher zu zeigen. Er zeichnete nicht normale lung brauche, nehme er sich die automa- schäftige mich mit der Geologie, aber auch Grundrisskarten, sondern dreidimensiona- tisch. «Dann lese ich ein gutes Buch oder mit der Geschichte, Kultur und der Religi- le Blockdiagramme, in denen Gebirgszüge verbringe Zeit in der Natur. Ausserdem on. So habe ich ein Gefühl dafür, wie die herausgehoben werden und so optisch aus zeichne ich immer wieder andere Regio- Menschen dort leben, sehe ihre Möglich- den Landschaften heraustreten. nen und entdecke so viel Neues.» keiten, aber auch ihre Probleme. Die Kar- Das Zeichnen gefiel ihm. So hörte er Aktuell zeichnet Läuppi an einer neuen ten helfen mir, Zusammenhänge besser zu auch nicht auf damit, als er pensioniert Asienkarte. Unermüdlich trägt er präzise verstehen», erzählt Läuppi. wurde. Im Gegenteil. Er spann die Idee Berg für Berg ein. Danach fehlen noch weiter. Läuppi probierte vieles aus, bis er Karten von Australien und Teilen Afrikas. Alle Möglichkeiten offen eine Technik entwickelte, die passte. Jedes Ein Ende ist also noch in weiter Ferne. Ueli Läuppi ist 1939 in Baden geboren. Blockdiagramm bildet einen Ausschnitt Sonderausstellung Uelis Maps – Die Welt Die Zeit nach dem Krieg war hart. Den- von 1100 auf 1100 Kilometer, was ungefähr von Hand gezeichnet. Bis 15. September noch wurde seinem Wissenshunger keine der Grösse von Spanien entspricht. Aus 2013, Gletschergarten Luzern 13
digital Sie bringen Bücher zum Sprechen E-Books werden immer beliebter – die Digitalisierung be- deutet für das gedruckte Buch aber nicht nur Konkurrenz, sondern bringt auch neue Chancen. Laurent und Thierry Gachnang wissen sie zu nutzen und krempeln von Luzern aus den Schweizer Buchmarkt um. Von Dominik Hertach, Bild Franca Pedrazzetti Die Zahlen sind beeindruckend: Im letzten Jahr hat Damit haben sie Erfolg: Die Liste ihrer Kunden liest sich in den USA der Marktanteil der verkauften E-Books sich wie das Who's Who der Schweizer Verlagshäuser: von rund 6 auf stolze 25 Prozent vervierfacht. In der Limmat, Schwabe, Zytglogge, Weltbild, Beobachter, Schweiz beträgt der Anteil der verkauften E-Books zwar Orell Füssli – aber auch viele kleine wie Edition E (Emil erst um 5 Prozent, doch die Stossrichtung ist klar: Das Steinberger) oder der Luzerner Verlag Der gesunde digitale Buch ist auf dem Vormarsch. Ex Libris etwa hat Menschenversand. Eine Mischung aus Verlegenheit und den Umsatz mit E-Books im letzten Jahr verfünffacht, Stolz huscht Laurent Gachnang beim Präsentieren der Orell Füssli verdoppelt und die Zahl der angebotenen E- Liste über das Gesicht. Einen anderen, relevanten Mit- Books flott verzehnfacht. bewerber auf dem Schweizer Markt gibt es bis heute Mittendrin stehen die beiden 27-jährigen Zwillings- nicht. Bloss: Warum machen dies die grossen Verlage brüder Laurent und Thierry Gachnang mit ihrer Firma nicht selber? Der Jungunternehmer weiss keine über- mbassador. Vom Büro am Luzerner Löwenplatz aus zie- zeugende Antwort, sagt etwas von schwerfälligen hen sie die Fäden und überspannen die ganze Schweiz Strukturen, von Prozessen und dass sie halt schon 2010 mit ihrem Netz: Sie produzieren aus gedruckten Bü- damit begonnen hätten, lange bevor der erste iBooksto- chern E-Books, reichern sie wo möglich mit multimedi- re von Apple in der Schweiz freigegeben worden war. alem Inhalt an und sorgen dafür, dass die Bücher in On- line-Shops erhältlich sind. Derzeit beliefern sie rund 30 Vom Party- zum Buchmarkt Shops, von Apples iBookstore über Amazon, ebook.com, Vermutlich ist es aber das: Die beiden Brüder sind buch.ch oder weltbild.ch bis hin zu den US-Shops von Macher und stürzen sich mit Elan in etwas Neues. Mit Barnes&Noble oder Baker&Taylor. Dank der selbst ent- 18 haben sie das erste Mal die Schüür gemietet, ein wickelten Software sind die E-Books mit einem Klick in Konzert veranstaltet – «und es hat geklappt», freut sich allen Shops, und Gachnangs rechnen für die Kunden Laurent noch heute spitzbübisch. Parallel zu seinem ab, was wo wie oft verkauft wird. Ziel sei es, ein globales Studium in populären Kulturen folgten weitere Konzer- Distributionsnetz aufzubauen, auch, um dem Bestreben te quer durch die Schweiz. Sein Bruder Thierry von grossen Shops wie Apple entgegenzuwirken, ein in arbeitete nach der Matura bei einem Musiklabel und sich abgeschlossenes System zu installieren, sagt Lau- machte sich 2008 mit einem eigenen digitalen Musik- rent Gachnang. «Uns ist wichtig, dass ein Verlag mit sei- vertrieb selbstständig. Von nun an ging alles Hand in nen Büchern Zugang in alle relevanten Onlineshops er- Hand, sie vertrieben Musik, veranstalteten Konzerte hält und nicht plötzlich ein Shop eine übermässige und Partys fast rund um die Uhr. Beflügelt vom Erfolg Marktmacht erhält.» krallten sich die Zwillinge 2010 nach dem «Froschkönig»- 14
digital E-Book-Pioniere: Die Zwillinge Laurent und Thierry Gachnang (27). Konkurs den Club im Krienser Schlund, starteten mit gross und könne bis hin zu möglichen «neuen Formen dem «Wilhelm» neu, aber nicht durch – ein halbes Jahr des literarischen Schreibens» führen, ist Burki über- später war Schluss, zu wenig Umsatz, Stecker raus, die zeugt. In die gleiche Richtung zielt der Luzerner Litera- Party war vorbei. «Inzwischen sind wir froh darum», turnetzwerker Beat Mazenauer: Oft ginge in der eBook- sagt Laurent. pro-oder-contra-Diskussion vergessen, dass sich Bücher Seither trimmen sie den Schweizer Buchmarkt auf und E-Books eigentlich gut ergänzten. «Das Buch bietet digital, helfen Verlagen, den Schritt in die Zukunft zu ein hohes haptisches Vergnügen und meist noch besse- wagen. – Oder schaufeln sie dem Buchhandel das Grab? ren Lesekomfort für die Augen; das elektronische Buch Die Digitalisierung und der damit einhergehende Struk- ist dafür flexibel und äusserst handlich auch unterwegs. turwandel sei nicht zu stoppen, sagt Dani Landolf, Ge- Das Motto muss demnach sein: Das eine tun, das andere schäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verle- nicht lassen.» Zudem sei das Potenzial der E-Books heu- gerverbandes. Insgesamt stehe der Schweizer Buch- te erst erahnbar; «multimediale Bücher mit Anbindung markt aber besser da als gemeinhin in der Öffentlichkeit ans Netz, also an Karten und Bibliotheken, oder frei wahrgenommen. «Viele Verlage und Buchhändler seh- wählbare Sammelbände mit Texten nach Wahl etc.». en in der Digitalisierung neue Chancen.» Das gedruckte Just daran arbeiten Thierry und Laurent Gachnang Buch werde nicht verschwinden, möglich aber, dass es mit ihrem Unternehmen. Nach Musik und Büchern zu einer Segmentierung komme: Hier der Krimi auf dem kommt dieses Jahr noch das Medium Film ins mbassa- E-Reader, da ein mit hohen Qualitätsansprüchen pro dor-Sortiment. Ein erstes Projekt mit Emil Steinberger duzierter Roman, ein Kunstbuch oder ein Kochbuch – ist bereits am Entstehen. «Text, Videos, Games, Interak- selbstverständlich gedruckt. Und noch besser: eine Ver- tivität, Film – alle digitalen Inhalte werden zusammen bindung von beidem, gedruckt und digital, was neue verschmelzen», sagt Laurent. «Und damit wird das Modelle erlaube. Landolf: «Klar, bei diesem Struktur- eBook» – so viel zur Fluch-oder-Segen-Diskussion – «zu wandel wird es Verlierer geben – aber auch Gewinner.» einem Parallelmedium zum Buch, nicht zu einem Er- satz.» Als Spielwiese für Experimente dienen den Zwil- Das Buch als interaktiver Schmelztiegel lingen dabei andere Zwillinge: Die Gachnangs haben Gewinner wird wohl, wer sich auf das Neuland sich im letzten Jahr die Digital-Rechte an Fix&Foxi gesi- wagt. Etwa der Luzerner Verleger Matthias Burki («Der chert und bringen den Comic-Klassiker nun Schritt für gesunde Menschenversand»): Er hänge zwar am «Ob- Schritt auf die E-Reader und Tablets. Und Laurent Gach- jekt Buch», doch mit der Digitalisierung täten sich auch nangs Augen glänzen, wenn er sagt: «Damit erhalten neue Felder auf, sagt er. Für seine digitale Bühnentext- wir den Comic auch für die kommende Generation. Es Sammlung «edition spoken script» experimentiert er geht beim Digitalisieren auch darum, Kulturgut zu etwa mit der Verbindung von Text und Ton. Das Poten- retten.» zial der neuen technischen Möglichkeiten sei dabei www.mbassador.ch 15
aktuell Im Nidwaldner Museum wirkte sie kreativ. Jetzt begibt sich Nathalie Unternährer als neue Kulturbeauftragte des Kantons Luzern auf die kulturpolitische Ebene, wo «manchmal Fantasie gefragt ist». In möglichen Spardebatten will sie kund tun, dass Kultur mehr ist als «nice to have». «Die Landschaft hinter der Stadt reizt mich» Im Nidwaldner Museum haben Sie eindrückliche panz stehen. Der Wechsel kommt zum rich- hier hört sie auf. Im Museum, in der Förde- Ausstellungen organisiert. Zum Beispiel «Kunst, tigen Zeitpunkt, was nicht ausschliesst, dass rungswürdigkeit geht es dann allerdings Kommerz und Heilige» im vergangenen Dezem- ich in zehn Jahren vielleicht wieder Lust ha- nicht ohne Differenzierung. Vieles, was der ber zum Thema Zeitdimensionen. So viel Kreati- be, mehr kreativ zu wirken. Mensch schafft, kann Kultur sein, der Kul- vität liegt als Kulturbeauftragte in Luzern nicht turbegriff wandelt sich ständig. Mit der Digi- mehr drin. Wie gehen Sie damit um? An der Universität Basel studierten Sie neben Ge- talisierung ist er noch umfassender gewor- Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung für Lu- schichte und Volkskunde auch Islamwissenschaft. den. Die Frage dazu: Zählt die digitale zern war diese Frage schon präsent. In den Was gab den Impuls dazu? Kunst, welche über das Internet verbreitet letzten zehn Jahren habe ich immer in ei- Das ist sehr lange her. Es hat verschiedene wird, auch zur Kultur? Ich meine ja. Ob die- nem Museum gearbeitet, entweder als Ku- Impulse gegeben. In Zürich gab es damals se auch gefördert werden soll, ist eine wich- ratorin oder in der Leitung. In Nidwalden die Drogenmisere am Platzspitz und am Let- tige Frage. kam die Leitung des kantonalen Amtes für ten. Ich hörte am Radio ein Interview mit Kultur eher zufällig dazu. Es war aber ein einem Polizeivorsteher, der die zahlreichen Was reizt Sie an der Arbeit in Luzern? bewusster Entscheid, die Museumsarbeit Dealer aus dem Maghreb und aus dem ara- Ich will mich mit der Kultur hier auseinan- aufzugeben. Die Zeit war reif für etwas Neu- bischen Raum erwähnte. Und er sagte auch, dersetzen, in einem neuen, grösseren und es und die kulturpolitische Ebene interes- wir wüssten nichts von deren Kultur, ihrer breiteren Umfeld. Aber ich muss zuerst alles siert mich. Religion und ihren Lebensbedingungen und richtig kennenlernen. Die Landschaft hinter warum sie in die Schweiz kämen. Man hör- der Stadt reizt mich besonders. Zum Teil Nebst Museumsleiterin waren Sie gleichzeitig te damals auch bereits von den Muslimbrü- kenne ich sie, zum Teil überhaupt nicht. Ich Amtsleiterin Kultur des Kantons Nidwalden. Das dern in Ägypten. Dieser ganze Themenkreis will sie entdecken. Auch die Zusammenar- wird ab und zu schwierig gewesen sein. begann mich stark zu interessieren, vor al- beit mit der Stadt wird spannend sein. In Als Museumsleiterin war ich Veranstalterin lem der religionswissenschaftliche und poli- Nidwalden war dies alles sehr kleinräumig. mit den üblichen Fragen nach genügend tische Teil. Diese Neugier war der eine Teil, Geld, Erfolg, Besucherinnen und Besuchern der andere meine damalige Vorstellung, ich Ist der Gegensatz Stadt–Land in der Kultur für der Ausstellung. Im Amt für Kultur war ich würde mich für den diplomatischen Dienst Sie ein Thema? Verwalterin, musste das Gesamte im Auge entscheiden. Ich begann auch Arabisch und Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in Lau- behalten und dafür sorgen, dass die Voraus- Persisch zu lernen. fenburg, einer Kleinstadt im Aargau. Es gab setzungen für andere Kulturveranstalter dort eine Kulturkommission, die einiges or- stimmten. Es waren unterschiedliche Ebe- Was bedeutet für Sie «Kultur»? ganisierte in der Gemeinde. Daneben war nen. Ich denke, es ist mir gelungen, beides Der Begriff Kultur ist generell schwierig zu man nach Basel orientiert. Stadt und Land unter einen Hut zu bringen, doch längerfris- definieren. Mir geht es um die Vielfalt. Ich sollen ihre eigenständige Kultur leben. Sie tig will ich nicht mehr in so einer Diskre- kann nicht sagen, hier fängt Kultur an und muss sich an das Publikum vor Ort wenden. 16
aktuell Kultur funktioniert nur, wenn sie authen- Was erwarten Luzerner tisch bleibt. Darum braucht sie Unterstüt- Kunstschaffende von der neuen zung. Die Theaterszene auf der Luzerner Kulturbeauftragten? Landschaft zum Beispiel ist ein grosses Ka- Gabor Kantor (69), Musik-Forum Luzern, ehe- pital. Im vergangenen Jahr gab es im Luzer- maliger Präsident der IG Kultur: «Keine finan- ner Theater eine Produktion in Zusammen- ziellen Streichungen bei der Kultur, vor allem arbeit mit Laienschauspielern. Die hat mir keine, welche die Existenz bestehender Instituti- sehr gefallen. Es war eine gelungene Verbin- onen gefährden würden.» Gabor Kantor wünscht dung zwischen Stadt und Land und ein Bei- sich Visionen, «weil Kultur nie beständig ist und sich immer neu erfindet. Also offene Ohren für spiel für die Pflege gemeinsamer Interessen. neue Ideen, die manchmal gar nicht sooo viel kosten. Aber es ist wichtig, dass man sie auf- In der Stadt werden Räume für die Alternativkul- nimmt.» tur reklamiert, Räume für das Kleine, das erst im Entstehen ist. Wie denken Sie darüber? Monika Feucht (57), Künstlerin, könnte sich unter den Kunstschaffenden eine bessere Vernet- Solche Wünsche muss man ernst nehmen. zung vorstellen. Als sehr gute Idee in diese Rich- Trotzdem denke ich, dass es immer wieder tung empfand sie die von der Visarte-Gruppe Möglichkeiten gibt. Das neu geschaffene organisierten Atelierbesuche in Luzern im ver- Angebot im alten Hallenbad ist ein gutes gangenen Sommer. «Es tauchten Leute auf im Beispiel dafür, auch wenn die Nutzung nur Atelier, die ich sonst nie sehe.» Vielleicht liesse «Kultur funktioniert temporär erfolgen kann. In einer dicht ge- sich diese Idee auf die Landschaft ausdehnen, denkt sie. «Das könnte den Anstoss für gemeinsa- nutzten Stadt wie Luzern kämpfen alle um nur, wenn sie authen- ihren Raum, Kleinunternehmer, auch Woh- me Ausstellungen geben.» tisch bleibt.» nungssuchende. Die Freiräume werden en- Marcel Grüter (29), Präsident der Theatergesell- ger. Manchmal ist Fantasie gefragt. Luzern schaft Willisau: «Als nicht professioneller Thea- hat in meinen Augen viel Kleinräumiges, terverein sind wir auf die kantonalen Fördergel- der angewiesen.» Die Kulturförderung ermögliche das gut ankommt. Kleine aktive Galerien, im Kanton Luzern ein vielfältiges Angebot. Es sei Offspaces für zeitgenössische Kunst oder wichtig, dass die Verantwortliche dieser Vielfalt zum Beispiel die «Loge». Rechnung trage. «Die Laienbühnen sind ein be- deutender Teil des Kulturangebots auf dem Lan- Die Sparhysterie diktiert die Politik. Gibt es noch de.» (re) offene Ohren für kulturelle Anliegen? Es ist schon so, in den Spardebatten denkt man zuerst an die Kultur. Kultur ist für vie- le «nice to have», aber nicht lebensnotwen- dig. Da bin ich anderer Meinung, und ich sehe es als meine Aufgabe, dies mit deutli- chen Worten kund zu tun. Kultur braucht Raum, um sich weiterzuentwickeln. Wie viel Geld für Kultur zur Verfügung steht, ist ein gesellschaftlicher und politischer Ent- scheid und nicht nur von der Wirtschafts- Nathalie Unternährer (41) leitet ab dem 1. Februar die Kulturförderung des Kantons konjunktur bestimmt. Das kann sich also Luzern. Sie wird Nachfolgerin von Daniel Hu- wieder ändern. Darum glaube ich, dass wir ber, der nach über 23 Jahren im Amt in den Ru- auch wieder bessere Zeiten erleben werden. hestand geht. Bisher war Nathalie Unternährer Was ich beobachte, ist, dass es vor 30 Jahren als Vorsteherin des Amtes für Kultur im Kanton noch fraglos subventionierte Kultur gegeben Nidwalden und als Leiterin des Nidwaldner Mu- hat. Heute wird Kultur eher infrage gestellt seums tätig. Davor wirkte sie als Ausstellungs- und wird vermehrt zum Terrain für partei- kuratorin im Stapferhaus in Lenzburg und im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich und politische Profilierung. war freischaffend für diverse Buch- und Aus- stellungsprojekte tätig. (mak) Interview: René Regenass 17
Hingeschaut Danke, Mr. Abendfit Es war kalt und nass dazu, ich streifte wie ein hungrige Katze Und da machte einer dieser Schatten kurz Pause. Er guckte durch die Gassen. Hatte Durst und Hunger, auch einkaufen musste mich an (glaubte ich), und ich schoss mit meinem Fotoapparat zu- ich noch. rück. Nun stand es 1:1 zwischen uns. Ich hatte mein Bild im Kas- Lust dazu minimal. ten und der unbekannte Fitness-Mann seine kurze Pause – wie ich Also genehmigte ich mir eine Pause und bestellte ein Bier. Im kurz zuvor. Hintergrund lief temporeiche Musik, mein Gemütszustand wurde immer besser, ja am liebsten hätte ich zu tanzen begonnen. Aber PS: Übrigens mache ich seither wieder mehr Fitness. ich dachte an meine Fitness – und natürlich hätte es auch ziemlich schräg ausgesehen, allein in einer Bar zu tanzen, dazu noch mit ca. 5 kg Übergewicht … Bild und Text Gabor Fekete Also zahlte ich schnell und ging wieder in die Nacht hinaus. Aus irgendwelchen Gründen schaute ich hoch und sah Schattenfi- guren hinter einer langen Glasfront tanzen. So leicht! 18
HINGEHÖRT Urs Krähenbühl Fasnachtskünstler Der Krienser Urs Krähenbühl kreiert für ich seit drei Jahren die Sarner verschiedene Luzerner Guggenmusigen und die Wolhuser Plakette. traditionelle Fasnachtsgrafiken. Und für Aber es war nicht immer so – die Stadt und andere Innerschweizer Ge- davor hatte ich bei diesen meinden entwirft er regelmässig Fas- Wettbewerben zwölf Jahre nachtsplaketten. Beigebracht hat sich der keinen Erfolg. Es brauchte ein 55-Jährige sein Können autodidaktisch. bisschen Zeit, bis ich spürte, was die Allgemeinheit will. «Klar, für die Fasnacht mache ich in Mein Grossvater war ein erster Linie Auftragsarbeiten und nicht bekannter Maskenschnitzer, meine persönliche Kunst. Ich finde aber und so hat meine Faszination nicht, dass Kunst und Fasnacht ein Gegen- für die Fasnacht angefangen. Besonders Nach der Schule wollte ich an die satz sind. Als Künstler bezeichne ich mich wichtig sind mir die Fasnachtsgrafiken. Sie Kunstgewerbeschule, doch meine Eltern dennoch ungern, weil der Begriff für mich sind so alt wie die Luzerner Fasnacht selbst wünschten, dass ich zuerst eine Lehre ma- mit etwas Elitärem behaftet ist, das mir und für die Guggenmusigen ein willkom- che. Als ich sie fertig hatte, bekam meine nicht zusagt, ja mich manchmal nervt. Ich mener Zustupf. In den letzten Jahren ist damalige Freundin und heutige Gemahlin mache einfach, was mir gefällt. Für mich der Markt leider total zusammengebro- schon das erste Kind. Heute bin ich froh, ist chen. Es gibt so viel Visuelles es so gekommen. Wir haben es gut hier im heute, die Leute können das gar Haus, in dem ich übrigens geboren wurde, nicht mehr verarbeiten. Es ist und ich kann aus den Kunst-Stilen frei he- «Der Begriff Künstler hat mir aber ein Anliegen, dass die- rauspicken, was mir gefällt. Ich habe schon für mich etwas Elitäres.» ses Kulturgut erhalten bleibt. auf 13 verschiedenen Berufen gearbeitet. Ursprünglich waren es vorwie- Von der Kunst leben kann ich zwar nicht, gend Originalkunstdrucke, also doch kann ich mir den Luxus gönnen, et- ist Kunst, wenn mich ein Werk bewegt und Radierungen, Lithografien, Siebdrucke wa fünf Monate im Jahr frei für mich zu im Kopf hängen bleibt, weil es etwas Be- oder Holzschnitte. Heute macht man ein arbeiten. Den Rest des Jahres arbeite ich als rührendes hat. Zudem spielt natürlich die Original, das dann im Offset-Druck ver- Monteur in der Stahlindustrie. Wenn technische Ausführung auch eine Rolle. vielfältigt wird. Bei einer Radierung wird zweimal pro Jahr Fasnacht wäre, ginge es In den letzten Jahren habe ich viermal das einzelne, handgedruckte Exemplar also ganz knapp.» den Wettbewerb für die Luzerner, dreimal teurer, da ich an einer 4-Platten-Aquatin- die Emmer und zweimal die Krienser Fas- ta-Radierung bis zu einem Monat arbeite, nachtsplakette gewonnen, zudem entwerfe bevor ich mit dem Drucken beginne. Martina Kammermann, Bild Marco Sieber 19
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