HIER WIRD STADT GEMACHT - DAS EMMENBRÜCKER INDUSTRIEGEBIET STEHT AN DER SCHWELLE ZUM NEUEN STADTTEIL. DIE KREATIVEN HABEN ES BEREITS FÜR SICH ...

Die Seite wird erstellt Mats Siegel
 
WEITER LESEN
HIER WIRD STADT GEMACHT - DAS EMMENBRÜCKER INDUSTRIEGEBIET STEHT AN DER SCHWELLE ZUM NEUEN STADTTEIL. DIE KREATIVEN HABEN ES BEREITS FÜR SICH ...
Hier wird
                                                                         Stadt
Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender

                                                                         gemacht
                                                                         Das Emmenbrücker Industriegebiet
NO 2 Februar 2013 CHF 8.– www.null41.ch

                                                                         steht an der Schwelle zum neuen
                                                                         Stadtteil. Die Kreativen haben es
                                                                         bereits für sich entdeckt.
HIER WIRD STADT GEMACHT - DAS EMMENBRÜCKER INDUSTRIEGEBIET STEHT AN DER SCHWELLE ZUM NEUEN STADTTEIL. DIE KREATIVEN HABEN ES BEREITS FÜR SICH ...
ZS_13_Ins_1-4_041_rz_ZS_13_Ins_1-4_041 21.01.13 11:58 Seite 1

                                                                                                                                                                ANZEIGEN

                                                                                     9                                  3
                                                                                                   Beste ReGIe
                                                                                               Paul Thomas anderson            GOlDeN GlOBe NOMINatIONeN
                                                                                               BesteR sChauspIeleR             BesteR sChauspIeleR Beste NeBeNDaRstelleR
                                                                                               PhiliP seymour hoffman
                                                                   VENICE FILM FESTIVAL 2012   Joaquin Phoenix                 Joaquin Phoenix PhiliP seymour   hoffman
                                                                                                                                                         amy adams

                                                                               "Beeindruckend, verBlüffend
                                                                                 – ein unglauBlicher film."
                                                                                         T h e N e w Yo r k T i m e s

ZAUBERSEE
RUSSIAN MUSIC LUCERNE
TAGE RUSSISCHER MUSIK LUZERN
22.–26.       MAI 2013
KKL LUZERN – HOTEL SCHWEIZERHOF LUZERN – ST. CHARLES HALL MEGGEN
                                                                                                         joaquin phoenix
WWW.ZAUBERSEE.ORG                                                                               philip seymour hoffman
                                                                                                                 amy adams

                         IN KOOPERATION MIT DEM
                                                                                      The Master
                                                                                           Ab 14. Februar im Kino Bourbaki

                                                            usikt
                                                          M
 w w w . s t atna n s e

                                                                                                                            8.
   w w w. s

                                                                                 a
                            St

                                                                                                                                         4. 4
                 ser rm

                                                                                                                                    1
                                                                                           ge

                                                                                                                                                      . 13
                                           an
                      m u
                        us si

                           ta
                          ik kt

                              g
                           ag e.c
                              e. h
                                ch
                                                      ser

  Hauptsponsor                                    Co-Sponsoren            Bild-/ Video-Partner                Medien-Partner                          Hotel-Partner

 Partner der Stanser Musiktage
HIER WIRD STADT GEMACHT - DAS EMMENBRÜCKER INDUSTRIEGEBIET STEHT AN DER SCHWELLE ZUM NEUEN STADTTEIL. DIE KREATIVEN HABEN ES BEREITS FÜR SICH ...
editorial

                             Flächengewinn

Auch wenn die Fusion mit den
                                                  m             2
                                                                                     Denkmalpflege, die ZHB un-
Agglomerationsgemeinden ge-                                                          ter Schutz zu stellen, stehen die
scheitert ist – die Stadt Luzern                                                     Ampeln für die Neubaupläne
wächst nach und nach über                                                            des Kantons vorerst auf Rot.
ihre geografischen Grenzen                                                           Beschwerden sind zu erwar-
hinaus. So wird nun etwa Lu-                                                         ten – dass am Ende gar der
zern-Süd besser erschlossen. Ein gutes Beispiel dafür         Bund eingreifen muss, hält René Regenass durchaus
ist auch das Industriegebiet im Herzen von Emmen-             für möglich. (Seite 11)
brücke. Auf dem Gelände der Monosuisse AG (ehe-
malige Viscosuisse) entsteht jetzt die Viscosistadt: In       So unerwartet wie plötzlich erreichte uns im Janu-
ihr sollen Kultur, Kleingewerbe und Industrie neben-          ar die erfreuliche Nachricht: Das Théâtre La Fourmi
einander stattfinden, ja vielleicht will sich hier auch       zieht temporär ins ehemalige Hotel Anker. Und somit
die Kunsthochschule langfristig einmieten. Doch was           ist uns ein liebes Kulturhaus für mindestens ein Jahr
auch immer in den nächsten Monaten tatsächlich                wieder zugänglich. Wir freuen uns auf die Eröffnung
kommt – schon einiges ist da. Pablo Haller hat sich           am 1. Februar!
auf dem Gelände umgeschaut und ist auf rege Be-
triebsamkeit gestossen. (Seite 6)

Während die Dinge in Emmenbrücke ins Rollen
kommen, tritt man in Sachen Zentralbibliothek auf
                                                                        Martina Kammermann
der Stelle, oder besser gesagt: mit dem Entscheid der                   kammermann@kulturmagazin.ch

                                                          3
HIER WIRD STADT GEMACHT - DAS EMMENBRÜCKER INDUSTRIEGEBIET STEHT AN DER SCHWELLE ZUM NEUEN STADTTEIL. DIE KREATIVEN HABEN ES BEREITS FÜR SICH ...
guten tag                                                                                 Aufgelistet

 Guten Tag, Gütsch                                     Guten Tag, CVP Luzern                                      Welche Preise die Welt noch braucht
 Nachdem du wochenlang in den Schlagzeilen             Du liessest den Abbau des Nachtstern-Angebots              (und wer sie übergeben könnte)
 warst, fristest du noch immer ein Dasein als Geis-    prüfen, du verlangst strengere Regeln für Nacht-
 terschloss – eigentlich war die ganze Aufregung       clubs, und dein Kantonsrat Pius Zängerle aus Ad-
 umsonst. Doch sollte dich dein russischer Patron      ligenswil (sic!) will in Luzern auf dem Bahnhof-
                                                                                                                   1. Beste sexistische Werbung
 nun tatsächlich und offiziell verkaufen wollen,       platz ein Alkoholverbot einführen. Aber an die             		(Alice Schwarzer)
 weisst du jetzt immerhin, was in Sachen neuer         Fasnacht gehen deine Exponenten dann doch                   2. Bester Sozialschmarotzer
 Besitzer auf dich zukommt. Es liebäugeln mit dir      gerne einen heben und etwas wild sein. Nur unter           		(Christoph Blocher)
 Geschäftsmann Hermann Beyeler, Montana-Di-            dem Jahr soll man nicht dürfen – oder? Wir glau-
                                                                                                                   3. Förderpreis Medienvielfalt Zen-
 rektor Fritz Erni und auch FCL-Investor Bernhard      ben, du hast etwas falsch verstanden: Die Genuss-
 Alpstaeg. Letzterem bereitet der FCL ja seit länge-   feindlichen sind die Protestanten ...                      		­tralschweiz (Thomas Bornhauser)
 rem mehr Sorgen als Freude, da Trainer und                                                                        4. Bester Steuerhinterziehung
 Sportchef laut ihm «keine Ahnung von Fussball»        Katholisch grüsst, 041 – Das Kulturmagazin                 		(Peer Steinbrück)
 haben. Warum also nicht ein neues Bijoux, was
                                                                                                                   5. Arbeiter-Gleichstellungspreis
 Gutes fürs Gemüt. In diesem Fall bliebe nur zu
 hoffen, dass der künftige Küchenchef eine Ah-
                                                                                                                  		(Generalvikar Martin Grichting:
 nung vom Kochen hat, denn Herr Alpstaeg                                                                          		«Laientheologen gibt es weltkirch-
 schreckt bekanntlich nicht davor zurück, seinen                                                                  		lich gesehen gar nicht», NLZ
 Untergebenen grosszügig in die Suppe zu spu-                                                                     		14.1.2013)
 cken.
                                                                                                                   6. Schönste kapitalistische Ausbeu-
 Sportlich, 041 – Das Kulturmagazin                                                                               		tung (Jean Ziegler)
                                                                                                                   7. Annerkennungspreis «Würdig
                                                                                                                  		altern» (Silvio Berlusconi)
                                                                                                                   8. Schönstes denkmalgeschütztes
                                                                                                                  		Stadtgebäude (Andrea Gmür, Kan-
                                                                                                                  		tonsrätin CVP, plädiert für den
                                                                                                                  		Neubau der ZHB mit integriertem
                                                                                                                  		Verwaltungsgericht, vgl. Seite 11)

                                                                       schön gesagt

«Stadt und Land sollen ihre eigenständige
			 Kultur leben. Sie muss sich an das
		 Publikum vor Ort wenden.»
                                                                                                                 nathalie unternährer,
                                                                                                                 chefin kulturförderung kanton luzern
                                                                                                                 (Seite 16)

                                                                                                                                                                      ANZEIGEN

                                                                                     VEREINSTÄDTEPARTNERSCHAFT
                                                                                                                    MAIHOFSTRASSE 102
                                                                                     LUZERNCHICAGO
                                                                                                                    CH-6006 LUZERN

                                                                                          WWW.LUZERN-CHICAGO.CH

  Gesucht:                                             FARBMÜHLE
                                                                                     Wohnatelier in Chicago
  ADMINISTRATIVE ASSISTENZ                                                                                                       1. Dezember 2013 – 30. November 2015
  DER SCHULLEITUNG (80%)                                                             Professionelle Kulturschaffende aller Sparten aus dem Kanton Luzern können sich für
  Per 1.4.2013 oder nach Vereinba-                                                   einen Studienaufenthalt im Wohnatelier in Chicago bewerben.
  rung. Informationen siehe                                                          Die Stipendiendauer beträgt 4 bis 6 Monate.

  Webpage                                                                            Bewerbungsunterlagen sind hier abrufbar: www.staedtepartnerschaften.stadtluzern.ch
                                                                                     und www.luzern-chicago.ch (unter «Atelier in Chicago»).
  Gestaltungsschule                             041 210 12 20                        Kontakt: Verein Städtepartnerschaft Luzern – Chicago, Stadthaus, Hirschengraben 17,
                                                                                     6002 Luzern. E-Mails: claudia.willi@stadtluzern.ch oder kontakt@luzern-chicago.ch
  Farbmühle Luzern                              info@farbmuehle.ch
                                                www.farbmuehle.ch                    Anmeldefrist: 31. März 2013

                                                                                4
Inhalt

                                                                    6 hier tut sich was
                                                                    	Ein Streifzug durch die Emmenbrücker Industrie-­
                                                                      areale zeigt: Hier tut sich was.

                                                                    16 frischer wind in der Chefetage
                                                                    	Nathalie Unternährer, die neue Leiterin
                                                                    	Kulturförderung des Kantons Luzern,
                                                                       spricht über sich und die Bedeutung der Kultur.

                                                                         KOLUMNEN
                                                                    18	Gabor Feketes Hingeschaut
                                                                    19	Hingehört: Urs Krähenbühl
                                                                    20	Lechts und Rinks: Waffen töten – auch in der Schweiz
                                                                    21	Nielsen/Notter
                                                                    22	Gefundenes Fressen: Die Pastinake
                                  11 ein vögeli im gärtli           67 Vermutungen

                              Das Chaos um die Zentralbibliothek         SERVICE
                                                                    23   Bau. Ruswils Dorfkern neu gedacht
                          ist perfekt. Muss zuletzt auch noch der   24   Kunst. Sammelkiste schöner Dinge
                                                                    27   Wort. Anarchistische Modelle des Zusammenlebens
                                                Bund eingreifen?    30   Kino. Das «Festen» geht weiter: Mit «Jagten»
                                                                    33   Musik. Mystisches in der Matthäuskirche
                                                                    36   Handwerk. Präzision am Blasinstrument
                                                                    38   Bühne. Das neue Drama von Guy Krneta
                                                                    41   Kids. Das Luki*ju-Theater hat Geburtstag
                                                                    42   Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz
                                                                    64   Impressum
                                                                    65   Ausschreibungen / Preise

                                                                         KULTURKALENDER
                                                                    43 Veranstaltungen
                                                                    59	Ausstellungen

                                                                         Titelbild: Collage, Mart Meyer

                      12 minutiöse handarbeit
                      Ueli Läuppi zeichnet seit Jahrzehnten
                      Landkarten mit 3D-Effekt. Ohne Computer.

                                                                         PROGRAMME DER KULTURHÄUSER
                                                                    44   Südpol / Zwischenbühne
                                                                    46   HSLU Musik / Kleintheater Luzern
                                                                    48   ACT / Stattkino
                      14 interaktiv lesen                           50
                                                                    52
                                                                         Chäslager Stans / Stadtmühle Willisau
                                                                         Romerohaus / Sousol
                      E-Books sind auch in der Schweiz im           54   Luzerner Theater / LSO
Bilder: Mo Henzmann

                                                                    56   Kulturlandschaft

                      Kommen. Und die meisten davon aus             58
                                                                    60
                                                                         Nidwaldner Museum / Kunsthalle
                                                                         Historisches Museum / Natur-Museum Luzern

                      Luzern.                                       62
                                                                    64
                                                                         Kunstmuseum Luzern
                                                                         Museum im Bellpark

                                                        5
luzern-nord

Es tut sich was in Luzerns Norden. In der Viscosistadt auf dem Monosuisse-
Areal in Emmenbrücke wird der Luzerner Tatort produziert, musiziert und
künstlerisch gearbeitet. Auch die Hochschule Luzern – Design & Kunst hat
Interesse bekundet, sich hier einzumieten. Zeit, sich mal umzuschauen.
  Von Pablo Haller

Kultur driftet
nordwärts!

                                      6
luzern-nord

Am Eingang, beim Pförtnerhaus, steht hin-      und Bildhauerin Nadja Iseli einer der ers-      auf das Areal brächten, mit dem Kleinge-
ter dem grossen Glasfenster Herr Burri,        ten Kreativen, die das Areal für sich ent-      werbe, der Industrie und dem geplanten
Pförtner seit 45 Jahren. In anderthalb Jah-    deckten. Bald schon kam dann auch Stur-         Wohnanteil einen guten Mix machen. Der
ren wird er pensioniert. 3500 Leute sind da    zenegger, die davon vom Hörensagen er-          Wohnanteil im Projekt ist limitiert. «Die
in den Blütezeiten der Firma täglich ein       fahren und einfach mal beim Immobilien-         Vorschriften verlangen, dass Wohnraum
und aus gegangen, wie er weiss. In den         verantwortlichen Elmar Ernst angefragt          ohne erhebliche Lärmbelästigung gelüftet
1970-ern gab es einen firmeninternen Kin-      hat. Sie ist auch nicht ganz unschuldig,        werden kann. Das ist beim Lärm der Ger-
derhort.                                       dass die Hochschule Luzern – Design &           liswil- und der Thorenbergstrasse nur be-
    Die ehemalige Viscosuisse und Emmen-       Kunst auf dem Areal eingemietet ist. «Ich       dingt möglich», so Ernst.
brücke sind untrennbar verbunden, seit         sah die vielen Räume und habe Freunden,             Für die Hochschule ergäbe sich eine
1906, als die Société de la Viscose Suisse,    die ein Atelier suchten, davon erzählt.         Fläche von über 8000 Quadratmetern für
wie sie damals hiess, als erste erfolgreiche   Auch Leuten von der Schule, zu denen ich        Schulungsräume und Ateliers. Auch die
Kunstseidefabrik in der Schweiz Garn aus       Kontakt habe. Die waren sehr interessiert,      Gemeinde Emmen unterstützt den Hoch-
Holzzellulose herzustellen begann. Heute       weil die Schule schon lange unter Platzpro-     schulstandort auf dem Monosuisse-Areal.
heisst ein Teil der ehemaligen Viscosuisse     blemen leidet.» Übrigens: Es sollen noch
Monosuisse AG und zählt insgesamt 165          einige Atelierräume zu vergeben sein.           Monosuisse AG zieht nicht weg
Mitarbeitende plus 18 Lernende. Dazu ge-                                                           Das Erste, was Ernst sagt, als ich mich
hört ein Werk in Polen mit etwa 100 Mitar-     Kommt die Kunsti?                               als Journalist vorstelle: «Wir als Monosu-
beitenden.                                         Die Kunsti hat im Bau 742 zwei Stöcke       isse AG bleiben auf jeden Fall hier. Schrei-
    Auf dem Monosuisse-Areal – 84 000          mit rund 800 m 2 angemietet – Atelierplätze     ben Sie das. Das war nicht bei allen bisheri-
m2, eine Fläche so gross wie die Luzerner      für Bachelorstudenten im dritten Jahr.          gen Berichterstattung ganz klar.»
Altstadt – entsteht nun die Viscosistadt.      Eventuell wird es bald mehr. Laut «Em-              Die Viscosistadt sei ein langfristiges
Wohnen, Arbeit, Bildung und Kultur sol-        menmail», dem Mitteilungsblatt der Ge-          Projekt. «Wir fragten uns: Wie könnte das
len nebeneinander stattfinden. Miriam          meinde, ist die Monosuisse AG daran inter-      Areal in 20 Jahren aussehen? Wir wollten
Sturzenegger, die ihr Atelier seit bald drei   essiert, den gesamten Bau 745 zu transfor-      nicht, dass nach und nach abparzelliert
Jahren auf dem Areal hat, führt mich her-      mieren und der Hochschule langfristig zu        und einfach irgendwas gebaut wird. Wir
um. Sie schätzt das Nebeneinander von          vermieten. Diese scheint interessiert. Ein      wollten mitgestalten. Da haben wir auch
Kunst, Kleingewerbe und Industrie hier.        Grundsatzentscheid der politischen Ent-         eine stadtplanerische Verantwortung, die
Auch das Urbane: «Die Gerliswilstrasse hat     scheidungsträger steht jedoch noch aus.         wir als Grundeigentümer so wahrnehmen
einen viel städtischeren Charakter, als dies   Auf Anfrage meint Andreas Kallmann,             wollen.» So wird es auf dem Areal aus heu-
beispielsweise irgendwo in Littau zu finden    Verwaltungsdirektor der Hochschule Lu-          tiger Sicht kaum ein Einkaufszentrum ge-
ist», so Sturzenegger. Im Bau 724, wo sie      zern, man sei noch immer auf diesem             ben. Und langfristig wird sich die Aufwer-
ihr Atelier hat, sind neben den überbetrieb-   Stand, ab Mitte Februar könne man ja            tung des Geländes für die Monosuisse AG
lichen Kursen der Chemielaboranten der         nochmal nachfragen.                             wohl auch rechnen.
Zentralschweiz, der Blaskapelle Viscosuisse        «Wir würden uns sehr über die Hoch-             Die Firma, die heute Teil der sich in Fa-
und mehreren Architekturbüros auch eini-       schule freuen», so Elmar Ernst, Leiter Im-      milienbesitz befindenden Sefar Holding
ge Kulturschaffende eingemietet. Der Mu-       mobilien der Monosuisse AG, den ich im          AG ist, hat einen städtebaulichen Studien-
siker Ivo beispielsweise, der im Juli 2009     ersten Stock des Pförtnerhauses treffe. Es      auftrag ausgeschrieben, den die Zürcher
als erster Schweizer den Baltic Song Con-      wäre einerseits ein grossartiger Startschuss    EM2N Architekten gewannen, die bereits
test in Schweden gewann. Er war zusam-         für die Viscosistadt, andererseits würde der    das ehemalige Toni-Areal in Zürich neu
men mit der Architekturmodellbauerin           experimentelle Geist, den die Studenten         überbaut haben. Das Areal war – nachdem

                                                                                    Ungefähr so wird das Areal in Zukunft aussehen: Hier die Fassade Ostseite.
                                                                                                         (Seite 6: Fassade Westseite links). Modelfotos: Hannes Henz
                                                                    7
luzern-nord

1999 die Toni-Molkerei stillgelegt und
2000 liquidiert wurde – kulturell zwi-
schengenutzt und von EM2N umgestaltet
worden. Nach baulichen Verzögerungen
sollen nun 2013 die Zürcher Hochschule
der Künste, die Hochschule für Soziale Ar-
beit und die Hochschule für Angewandte
Psychologie in einer Campussituation ein
neues Domizil finden. Gleichzeitig sind
vielfältige kulturelle Nutzungen und rund
120 Wohnungen geplant.
    «Der Bebauungsplan legt bloss die Mas-
se der Gebäude, die Verkehrsführung, die
Freiflächen etc. fest», betont Ernst. «Wie
die einzelnen Häuser am Ende aussehen,
entscheidet die jeweilige Bauherrschaft.
Man will ja keine Retortensiedlung, es soll
authentisch aussehen.» Die Besitzer wollen                                               Auf dem Monosuisse-Areal soll viel Neues gebaut werden, die
                                                                                          industrielle Vergangenheit aber sichtbar bleiben. Quelle: EM2N
Industrielle bleiben und sich nicht mit Im-
mobilien herumschlagen. Deshalb suchen
sie nach Investoren, die kaufen und im
Rahmen des Projekts bauen.

Künstler können bleiben
    Auch das Andenken an frühere Zeiten
soll gewahrt werden: Ein Teil der grossen
Shedhalle wird stehen gelassen. «Ökono-
misch gesehen ist das schlecht, aber uns ist   vertrag unterschrieben. «Erst habe ich mir      AG einen Vertrag für 20 Jahre und ihr Bau
es wichtig, dass die industrielle Vergangen-   noch überlegt, ob es sinnvoll sei, einzelne     716 bleibt bestehen. Ort und Areal schätzt
heit sichtbar bleibt. Was reinkommt ist of-    Räume zu vermieten, ob es nicht besser sei,     sie sehr. «Hier an der – ich sag jetzt mal –
fen, von Kunsthalle bis Rollschuhpalast ist    ganze Etagen zu vermieten – an eine Fir-        Peripherie findet man eher noch Freiräu-
alles möglich», sagt Ernst und lacht. Mitte    ma, die sich hier ansiedeln würde bei-          me. Andererseits ist es auch erstaunlich:
Januar hat man den Bebauungsplan bei           spielsweise. Aber nun sind wir glücklich        Der Akku ist eine fünfminütige S-Bahn-
der Gemeinde eingereicht. Das Bewilli-         mit der momentanen Situation.» «Und die         fahrt vom Luzerner Bahnhof entfernt, aber
gungs- und Umzonungsverfahren – heute          Mieten sind zahlbar», wie Miriam Stur-          für viele hört die Stadt und das kulturelle
ist das Areal Industriegebiet – dauert über    zenegger sogleich anfügt. «Und ich fühle        Leben an der Stadtgrenze auf.»
ein Jahr.                                      mich hier sehr willkommen. Diese Herz-
    Die heutigen Atelierräume übrigens         lichkeit im Umgang ist besonders.» Auch             Ein Teil des nördlichen Areals (Em-
sollen auf unbestimmte Zeit bleiben. «So       einige, die aus dem Frigorex-Areal vertrie-     menweid), beispielsweise Gebäude an der
nah am Wasser dürfte man heute gar nicht       ben wurden, sind nun hier heimisch. Wie         Merkurstrasse, gehört der Viscosuisse Im-
mehr bauen», bemerkt Elmar Ernst. Er ist       die Tänzerin Irina Lorez, die nun im obers-     mobilien AG. In Nummer 19 sind verschie-
selbst kulturell tätig, als Saxophonist bei    ten Stock des Kunst- und Kulturunterneh-        dene Ateliers, auch jenes von Mathias Wal-
der Feldmusik Luzern (sie hat ihr Probelo-     mens Akku ihren Proberaum hat.                  ther, der sich in seinen Arbeiten mit dem
kal in der Emmenweid augenzwinkernd                Zum Viscosistadt-Projekt befragt, sagt      öffentlichen Raum auseinandersetzt. Er
mit «Nordpol» angeschrieben). Er könne         die Kuratorin der Kunstplattform Akku           war 2005 einer der Pioniere in Emmenbrü-
sich nicht vorstellen, was passieren müsste,   Natalia Huser nur Positives. Es sei ein am-     cke. «Da hatte es noch praktisch keine Ate-
dass er den Kreativen von Bau 724 kündi-       bitioniertes, gutes Projekt. Die Ausstellung    liers hier», erinnert er sich. «Eine Firma,
gen müsste. Zudem hätten die Architekten       des Wettbewerbs fand im Akku-Foyer statt.       ich weiss nicht mehr genau wie die hiess,
erst grad umgebaut und einen Zehnjahres-       Die Stiftung akku hat mit der Monosuisse        hatte einen Showroom. Aber sie gingen

                                                                    8
luzern-nord

                                                                             Emmenweid

                                     Swiss Steel                                Monosuisse-Areal

                                                                                                                                 Seetalplatz

      Villa Seebli

                                                                                                                                    © Google maps

                                                                                                Das Emmenbrücker Industriegebiet im Überblick.
                                                                                                             (Villa Seebli: siehe nächste Seite)

bald wieder, weil die Leute Angst hatten,    reits zusammen mit den Fusionsverhand-         auf dem Monosuisse- und den umliegen-
hierher zu kommen.» Auch er hat keine        lungen gescheitert sei, meint die städtische   den Arealen mitzugestalten, Räume zu
grossen Bedenken, dass er bald raus muss.    Kulturchefin Rosie Bitterli: «Nein, dazu       mieten, Veranstaltungen anzureissen etc.
                                             kann ich nichts Neues sagen. Ich sehe ei-      Denn im Stadtzentrum werden die Räume
Experimentelles Kulturhaus in der            gentlich nicht, wie wir ohne Fusion von        nicht zahlreicher.
Emmenweid?                                   der Stadt aus einen solchen Standort bepla-
   Die schönen Backsteingebäude aus der      nen sollten. Eventuell wäre es eine Chan-
Gründerzeit der Viscosi, dort wo heute die   ce, wenn Kulturakteure und -institutionen
Viscose-Bar, das Casino-Catering, die Kü-    aktiv würden. Es muss ja nicht unbedingt
chenhersteller Duss AG und Showrooms         ‹die Stadt› sein, die etwas anreisst.»          Seetalplatzumbau startete im Januar
wie beispielsweise die Licht Galerie sind,       Das ehemalige Industriegebiet in Em-        Im Raum Seetalplatz/Bahnhof Emmenbrücke
hat eine Vorgängerin der Monosuisse AG       menbrücke hat erhebliches Potenzial, sich       werden die Verkehrswege und den Flussraum
                                                                                             neu gestaltet und das Gebiet städtebaulich
vor einigen Jahren schon verkauft. Im Em-    zu diesem Kulturbiotop zu mausern, das
                                                                                             entwickelt. Die Luzerner Stimmbevölkerung
menweid-Areal produziert aber auch noch      mit dem Abriss des Frigorex-Areals in Lu-       stimmte der Neugestaltung des Seetalplatzes
die Firma Serge Ferrari Tersuisse SA ihre    zern verloren ging. Die Stadt soll endlich,     am 17. Juni 2012 mit einer Mehrheit von 68
Polyester-Garne. Diese Firma war einmal      trotz und gerade wegen der gescheiterten        Prozent zu. Mitte Januar begannen die Bau-
ebenfalls ein Teil der Viscosuisse.          Fusionsverhandlungen grösser gedacht            arbeiten. Der Umbau des Seetalplatzes ist
   In der «Kulturagenda 2020» der Stadt      werden. Von den Kulturschaffenden, den          Teil des Gesamtprojekts Luzern Nord, das die
Luzern ist von einem experimentellen Kul-    Veranstaltern, dem Publikum. Der Satz der       Siedlungsräume, den Hochwasserschutz und
                                                                                             den Gesamtverkehr im nördlichen Teil der Stadt
turhaus die Rede, das «zum Beispiel in der   Kulturchefin, dass es ja nicht unbedingt
                                                                                             Luzern, der Gemeinde Emmen und in angren-
Emmenweid» entstehen soll. Darauf ange-      die Stadt sein müsse, die etwas anreisst,
                                                                                             zenden Gebieten koordiniert und plant. (ph)
sprochen mit der Frage, ob das Projekt be-   darf auch Ansporn sein, die Entwicklung

                                                                  9
luzern-nord

Privatpersonen unerwünscht

Auf dem Gelände des Stahlgiganten
Schmolz + Bickenbach in der Em-
menweid steht die Villa Seebli, die
seit zwölf Jahren von Privatpersonen
bewohnt wird. Jetzt haben alle die
Kündigung erhalten.
                                                                                                                 Die 1898 erbaute Villa Seebli. Bild: zvg

Die Villa Seebli thront mit ihrer lauschigen   Vorwand. Man will keine Privatpersonen          den europäischen Normen anpassen und
Veranda mitten im Grünen – ein idylli-         mehr auf dem Firmengelände und sich             das Gelände für Privatpersonen unzugäng-
scher Flecken ganz nahe im Industriegebiet     vollständig abschotten», sagt Christian         lich machen möchte. «Auf dem Werkareal
Emmenbrücke. Ein paar Meter daneben            Hunn. Eine schleichende Änderung in der         kreuzen sich heute Grosstransporte mit
steht das ehemalige Gärtnerhaus, das           Haltung des Konzerns sei schon länger           Spaziergängern und Kinderwagen. Wir
ebenfalls bewohnt ist. Wenn dann auch          spürbar. «Spätestens seit der deutsche          möchten solche Gefahren vermeiden», sagt
noch Heidi Happy und Blind Banjo Aregger       Weltkonzern S + B die Aktienmehrheit            Miletic. Dass die rechte Seite der Kleinen
am Seebli-Open-Air auf der Veranda ste-        übernommen hat, ist klar: Hier wird künf-       Emme aufgewertet werden soll, kommt
hen und in die Saiten greifen, ist die Stim-   tig keine Rücksicht auf lokale Bedürfnisse      dem Konzern darum gelegen. «Wir sind
mung perfekt. Die feinen Konzerte, die         mehr genommen, wie das die Firma früher         mit der Gemeinde im Gespräch, ob und
hier sporadisch veranstaltet werden, sind      zu tun pflegte. Damals gab es noch einen        was für Auswirkungen das auf die Wan-
ein Geheimtipp. Die Villa Seebli wurde         Kindergarten und andere Infrastrukturen         derwege hat, die jetzt über unser Werkare-
1898 gebaut und diente den Direktoren als      für Arbeiter und Anwohner. Heute ist S + B      al führen.»
Sommerresidenz. Ab den 60er-Jahren wa-         ein Aktienpaket. Bei Reorganisationen
ren Arbeiterinnen aus dem Stahlwerk von        und Entscheidungen ist der Mensch kein          Das Aus für eine Tradition
Moos einquartiert. Als Christian Hunn vor      Faktor mehr», sagen Hunn und Esther                 Mit der Abschottungsstrategie steht der
zwölf Jahren gemeinsam mit Bekannten           Ammann, die seit Jahren in der Villa da-        Konzern S + B nicht alleine da: Kürzlich
auf die Perle gestossen ist, war das Haus      heim sind. Bei Swiss Steel hat man Ver-         wurde auch der beliebte Kanal bei Rathau-
ziemlich verlottert. Nach längeren Ver-        ständnis für die Enttäuschung, bekräftigt       sen vom CKW vollständig abgeriegelt und
handlungen mit Swiss Steel – heute ein         aber den Eigenbedarf. «Die Firma hat            für Privatpersonen unzugänglich gemacht.
Teil von S + B – bekamen sie einen Miet-       Raumbedarf. Darum soll die Villa Seebli         Dass jetzt auch S + B sein Gelände abschot-
vertrag. Dieser beinhaltete, dass die Be-      wieder ihrem ursprünglichen Zweck zuge-         ten will, bedeutet wohl das Aus einer Tra-
wohner selber für die Pflege des Hauses        führt werden: Es soll kein firmenexternes       dition, die Emmenbrücke bis heute prägt:
sorgen. Das wurde auch gemacht: Es floss       Mietobjekt mehr sein, sondern für die Be-       Die Bevölkerung bekommt dann nichts
viel Herzblut in die Renovation der Villa,     triebsfeuerwehr, Schulungsräume oder            mehr von den imposanten Arbeiten im
die auf drei Stöcken drei Parteien unter-      Ähnliches genutzt werden», sagt Dragan          Stahlwerk mit. Keine verstohlenen Blicke
schiedlichsten Alters beherbergt.              Miletic, Leiter Werkinfrastruktur Swiss         mehr in die riesigen Schmelzöfen und ja:
                                               Steel. Was genau dann dort untergebracht        keine lauschigen Konzerte mehr in der Vil-
Industrie schottet sich ab                     wird, könne erst evaluiert werden, wenn         la Seebli.
    Im nächsten Sommer müssen alle aus-        die Gebäude leer seien. Miletic bestätig aus­
ziehen. Grund: Eigenbedarf. «Das ist ein       serdem, dass sich die Firma mittelfristig       Christine Weber

                                                                    10
Aktuell

Muss das Bundesgericht den Schutz
der Zentralbibliothek sicherstellen?

Wenn diese Zeilen öffentlich sind, ist die      ist nicht nur im Schweizerischen Inventar    nicht mehr verstehen. «Die Umbauvorlage,
Beschwerde gegen die Unterschutzstellung        der Kulturgüter von nationaler Bedeutung     2010 vom Kantonsrat mit grosser Mehrheit
der Zentralbibliothek vermutlich schon          eingetragen, sondern auch im Inventar der    genehmigt, garantiert eine moderne und
eingereicht. Die Frist läuft noch bis zum 7.    schützenswerten Ortsbilder der Schweiz       publikumsbezogene Bibliothek mit neuen
Februar. Für die zuständige Abteilung Im-       (ISOS). Und genau hier dürfte der Kantons-   Werten.» Dazu gehört zum Beispiel eine
mobilien im Kantonalen Finanzdeparte-           rat mit seinen Neubau-Motionen auflaufen.    Vitrine über 30 Meter im Untergeschoss, in
ment, insbesondere auch für Regierungsrat       Im April 2009 hat das Bundesgericht bei      welcher die ZHB endlich ihre eigenen wert-
Marcel Schwerzmann, ist die dünne Mehr-         einem Bauprojekt in Rüti/ZH gegen Kanton     vollen Bestände präsentieren kann. All dies
heit des Kantonsrates, welche Abriss und        und Gemeinde entschieden und den Orts-       kann man nachlesen in der Botschaft des
Neubau der ZHB will, massgebend. Selbst         bildschutz höher gewichtet. Ivo Zemp vom     Regierungsrates an das Parlament vom
Kantonsrätin und CVP-Frau Andrea Gmür-          Bundesamt für Kultur, Sektion Denkmal-       Frühjahr 2010.
Schönenberger (49), welche die Neubau-          pflege, sagt denn auch, ISOS-Objekte wie
Motion eingereicht hat, denkt an die Be-        die Luzerner Zentralbibliothek verdienten    Die «Mitsprache» der Richter
schwerdemöglichkeit. Sie kann schlicht          den grösstmöglichen Schutz. Und weiter:           Woher kommt denn überhaupt der Im-
nicht nachvollziehen, was die Einheit Bib-      «Man kann davon ausgehen, dass das Bun-      puls für ein riesiges Haus mit Bibliothek
liothek und Vögeligärtli für Stadtluzerne-      desgericht, wenn es denn zur Rechtspre-      und Kantonsgericht im Vögelgärtli? And-
rinnen und -luzerner bedeutet. Die gebürti-     chung käme, den Schutz durchsetzen wür-      rea Gmür hat die Idee nach eigener Aussage
ge Ostschweizerin – sie ist die Tochter des     de.»                                         im Freundeskreis aufgenommen. «Sie ist
St.Galler alt Ständerats Jakob Schönenber-                                                   genial und setzt einen städtebaulichen
ger (81) – scheint die Stadt nicht zu spüren,      Was sich die Stadt mit einem Biblio-      Schwerpunkt.» Im politischen Umfeld al-
obwohl sie seit 1990 in Luzern lebt.            theksbau mit integriertem Kantonsgericht,    lerdings hört man, die CVP-Frau sei von
                                                so wie es in der Motion Gmür verlangt        CVP-Verwaltungsrichter Andreas Korner –
    Vor der politischen Realität macht die      wird, einhandeln würde, führte zu einer      er ist als künftiger Präsident des neuen
Beschwerde gegen den Denkmalschutzent-          unvorstellbaren städtebaulichen Zerstö-      Kantonsgerichts vorgeschlagen – auf diese
scheid keinen Sinn. Um auf dem Sempa-           rung der jetzigen Einheit Vögeligärtli mit   Neubauvariante aufmerksam gemacht
cherplatz einen grossen Neubau realisieren      Bibliothek, Lukaskirche und Park. Auch       worden. Denn nicht wahr: die Richter und
zu können, bräuchte es eine Zonenplanän-        das steht im Entscheid der Denkmalpflege,    Richterinnen würden es schätzen, weiter-
derung. Und diese hat vor den Stimmbür-         wo es heisst: «Um genügend Raum für das      hin inmitten der Stadt und nicht irgendwo
gerinnen und Stimmbürgern der Stadt kei-        Kantonsgericht und die ZHB zu schaffen,      am Rande ihrer Arbeit nachgehen zu kön-
ne Chance. Das zweite Hindernis ist ein         müsste der Neubau gemäss einer Studie das    nen. Korner winkt ab: «Die Idee stammt
Vertrag zwischen Stadt und Kanton Luzern        Volumen einer Blockrandbebauung mit          nicht von mir, obwohl ich die Neubau-Mo-
aus dem Jahr 1949, der eine Nutzungsbe-         rund 60 000 Kubikmetern maximal aus-         tion begrüsse.» Verwaltungsrichter Korner
schränkung auf dem Sempacherplatz fest-         nützen, so die heute bebaute Fläche ver-     ist in der Standortsuche für das neue Kan-
setzt. Ausserdem sind die Gründe, welche        doppeln und die maximal mögliche Gebäu-      tonsgericht Beauftragter von Obergericht
für die Schutzwürdigkeit der Zentral- und       dehöhe ausschöpfen.» Das heisst sechs        und Verwaltungsgericht. So weit weg ist die
Hochschulbibliothek sprechen, im Ent-           Stockwerke hoch.                             Vermutung der richterlichen Einflussnah-
scheid derart umfassend und einleuchtend                                                     me also nicht.
aufgelistet, dass es schon fast mutwillig er-       Alle diese Fakten sind bekannt. Und
scheint, hier mit Beschwerden aufzufah-         immer noch gibt es Kantonsräte, die dies     Von René Regenass
ren.                                            nicht sehen wollen. Walter Stucki (FDP,
                                                Emmen) prophezeit in einem Leserbrief,
Auf nationaler Ebene längst geschützt           die bestehende ZHB könne kaum mehr zu
   Was viele nicht wissen: Die Luzerner         einer funktionalen und modernen Biblio-
Denkmalpflege hat nur nachvollzogen, was        thek umgebaut werden. Bibliotheksdirek-
schon längst erkannt wurde. Die Bibliothek      tor Ueli Niederer kann solche Aussagen

                                                                    11
porträt

Seine Karten erzählen
Geschichten
Was zunächst nur eine Idee war, ist heute sein Lebenswerk. Seit bald 27 Jah-
ren zeichnet Ueli Läuppi die Welt von Hand. Und seine Landkarten sind nicht
bloss hübsch anzusehen, sie zeigen die Welt auch von einer anderen Seite.
  Von Andrea Nussbaumer; Bilder Mo Henzmann

                                                12
porträt

Spezielle Lampen säumen den Kiesweg zu          Steine in den Weg gelegt und seine Eltern      vielen solchen einzelnen Blockdiagram-
Ueli Läuppis Holzchalet am Sonnenberg,          ermöglichten ihm ein Geologiestudium an        men entstehen Atlanten von ganzen Kon-
sie sehen aus wie kleine steinerne Pavil-       der ETH in Zürich. Dem jungen Mann öff-        tinenten.
lons. Er hält an und erzählt von einer sei-     neten sich viele Türen: «Wir waren damals
ner Reisen nach Bali, auf der er die Lam-       in unserem Fachbereich nur vier Studen-           Das Zeichnen von Landkarten ist eine
pen entdeckte und per Schiff in die Schweiz     ten und als Geologen sehr gefragt. Es ge-      sehr genaue Arbeit, die viel Geduld erfor-
bringen liess. Auch das Haus ist voller         langten beispielsweise Erdölgesellschaften     dert – denn Läuppi zeichnet alles von Hand
Kunstgegenstände aus fernen Ländern.            an uns, die uns weiter ausbilden wollten.      und nicht etwa mit dem Computer. «Als
    Nun sitzt der 73-Jährige auf dem Sofa       Ich lehnte ab. Aber wir hatten die Möglich-    ich angefangen habe, gab es die techni-
und erzählt von seinem Vater. Eine wichti-      keit zu wählen, was wir machen wollten.»       schen Möglichkeiten von heute noch
ge Figur in seinem Leben, wie es scheint.       Läuppi entschied sich für ein zweites Studi-   nicht», erzählt er. Alles, was er braucht,
«Ich erinnere mich noch gut. Als ich etwa       um im Bauingenieurwe-
sechs war, besuchte ich mit meinem Vater        sen.
Luzern und er zeigte mir, wie am Quai               Bald darauf folgte die
überall Kartoffeln angepflanzt wurden.          Heirat mit Barbara, später
Das machte mir grossen Eindruck.» Sein          drei Söhne. Nach dem Stu-
Vater habe ihm viel gezeigt. Beispielsweise     dium war Läuppi lange als
die Routen, die er mit seinem alten Ford in     Geologe und Bauingenieur
Amerika befahren hatte.                         in der Schweiz und im
    Viele verschiedene Routen sollte            Ausland tätig. Er reiste und
schliesslich auch der Sohn erkunden. Der        erlebte viel, war aber selten
weitgereiste Läuppi hat viel von der Welt       zu Hause. Bis die Familie
gesehen, und das wiederum zeigt sich in         entschied, endgültig in der
seinen Landkarten. Der Geologe, Bauinge-        Schweiz zu leben. «So in-
nieur und Geograf zeichnet seit Jahrzehn-       teressant es auch war, ich
ten von Hand ganze Kontinente. Dabei            verbrachte zu wenig Zeit
versucht er, das Relief dreidimensional         mit meiner Familie.» So
darzustellen. Nun sind sie in einer Sonder-     liess sich die Familie Läup-
ausstellung im Gletschergarten Luzern das       pi in Kriens nieder.
erste Mal ausgestellt.                                                                         sind Papier, Tusche und Caran-d’Ache-
    Ueli Läuppi war schon immer wissbe-         Eine Leidenschaft, die hält                    Farbstifte. Damit könne er überall an sei-
gierig. Zeichnet er heute an einer Region,          Schon während seiner Studienzeit war       nen Karten arbeiten. Denn ja, natürlich,
befasst er sich intensiv mit ihr – bis er sie   Läuppi aushilfsmässig als Lehrer tätig, nun    Läuppi ist auch heute noch viel unterwegs.
versteht. Dafür zieht er sich gerne mal ein     wurde dies zu seinem Hauptberuf. 1975              Bis heute sind Karten von Süd- und
oder zwei Monate zurück. Sei es in sein Ar-     wurde er Geografielehrer an der Kantons-       Nordamerika sowie Europa und dem Ori-
beitszimmer, ins Ferienhaus in England          schule Luzern und dissertierte nebenbei        ent entstanden. Für ein zusammengesetz-
oder sonstwo in die Ferne. Er taucht dann       mit einer Arbeit über die Gletscheraktivität   tes Bild aus verschiedenen Blockdiagram-
ein in eine andere Welt, liest viel, schaut     in der Zentralschweiz. Damals schon zeich-     men braucht Ueli Läuppi zwischen drei
Filme, studiert Statistiken oder macht sich     nete er regionale Landkarten für seine         und vier Jahren. Eine lange Zeit. Und den-
selbst ein Bild vor Ort. «Es ist mir wichtig,   Schüler, um ihnen Regionen verständli-         noch, die Freude hält: Wenn er Abwechs-
alle Seiten einer Region zu kennen. Ich be-     cher zu zeigen. Er zeichnete nicht normale     lung brauche, nehme er sich die automa-
schäftige mich mit der Geologie, aber auch      Grundrisskarten, sondern dreidimensiona-       tisch. «Dann lese ich ein gutes Buch oder
mit der Geschichte, Kultur und der Religi-      le Blockdiagramme, in denen Gebirgszüge        verbringe Zeit in der Natur. Ausserdem
on. So habe ich ein Gefühl dafür, wie die       herausgehoben werden und so optisch aus        zeichne ich immer wieder andere Regio-
Menschen dort leben, sehe ihre Möglich-         den Landschaften heraustreten.                 nen und entdecke so viel Neues.»
keiten, aber auch ihre Probleme. Die Kar-           Das Zeichnen gefiel ihm. So hörte er           Aktuell zeichnet Läuppi an einer neuen
ten helfen mir, Zusammenhänge besser zu         auch nicht auf damit, als er pensioniert       Asienkarte. Unermüdlich trägt er präzise
verstehen», erzählt Läuppi.                     wurde. Im Gegenteil. Er spann die Idee         Berg für Berg ein. Danach fehlen noch
                                                weiter. Läuppi probierte vieles aus, bis er    Karten von Australien und Teilen Afrikas.
Alle Möglichkeiten offen                        eine Technik entwickelte, die passte. Jedes    Ein Ende ist also noch in weiter Ferne.
   Ueli Läuppi ist 1939 in Baden geboren.       Blockdiagramm bildet einen Ausschnitt
                                                                                                 Sonderausstellung Uelis Maps – Die Welt
Die Zeit nach dem Krieg war hart. Den-          von 1100 auf 1100 Kilometer, was ungefähr        von Hand gezeichnet. Bis 15. September
noch wurde seinem Wissenshunger keine           der Grösse von Spanien entspricht. Aus           2013, Gletschergarten Luzern

                                                                     13
digital

 Sie bringen Bücher
 zum Sprechen
 E-Books werden immer beliebter – die Digitalisierung be-
 deutet für das gedruckte Buch aber nicht nur Konkurrenz,
 sondern bringt auch neue Chancen. Laurent und Thierry
 Gachnang wissen sie zu nutzen und krempeln von Luzern
 aus den Schweizer Buchmarkt um.
      Von Dominik Hertach, Bild Franca Pedrazzetti

    Die Zahlen sind beeindruckend: Im letzten Jahr hat                 Damit haben sie Erfolg: Die Liste ihrer Kunden liest
sich in den USA der Marktanteil der verkauften E-Books             sich wie das Who's Who der Schweizer Verlagshäuser:
von rund 6 auf stolze 25 Prozent vervierfacht. In der              Limmat, Schwabe, Zytglogge, Weltbild, Beobachter,
Schweiz beträgt der Anteil der verkauften E-Books zwar             Orell Füssli – aber auch viele kleine wie Edition E (Emil
erst um 5 Prozent, doch die Stossrichtung ist klar: Das            Steinberger) oder der Luzerner Verlag Der gesunde
digitale Buch ist auf dem Vormarsch. Ex Libris etwa hat            Menschenversand. Eine Mischung aus Verlegenheit und
den Umsatz mit E-Books im letzten Jahr verfünffacht,               Stolz huscht Laurent Gachnang beim Präsentieren der
Orell Füssli verdoppelt und die Zahl der angebotenen E-            Liste über das Gesicht. Einen anderen, relevanten Mit-
Books flott verzehnfacht.                                          bewerber auf dem Schweizer Markt gibt es bis heute
    Mittendrin stehen die beiden 27-jährigen Zwillings-            nicht. Bloss: Warum machen dies die grossen Verlage
brüder Laurent und Thierry Gachnang mit ihrer Firma                nicht selber? Der Jungunternehmer weiss keine über-
mbassador. Vom Büro am Luzerner Löwenplatz aus zie-                zeugende Antwort, sagt etwas von schwerfälligen
hen sie die Fäden und überspannen die ganze Schweiz                Strukturen, von Prozessen und dass sie halt schon 2010
mit ihrem Netz: Sie produzieren aus gedruckten Bü-                 damit begonnen hätten, lange bevor der erste iBooksto-
chern E-Books, reichern sie wo möglich mit multimedi-              re von Apple in der Schweiz freigegeben worden war.
alem Inhalt an und sorgen dafür, dass die Bücher in On-
line-Shops erhältlich sind. Derzeit beliefern sie rund 30          Vom Party- zum Buchmarkt
Shops, von Apples iBookstore über Amazon, ebook.com,                  Vermutlich ist es aber das: Die beiden Brüder sind
buch.ch oder weltbild.ch bis hin zu den US-Shops von               Macher und stürzen sich mit Elan in etwas Neues. Mit
Barnes&Noble oder Baker&Taylor. Dank der selbst ent-               18 haben sie das erste Mal die Schüür gemietet, ein
wickelten Software sind die E-Books mit einem Klick in             Konzert veranstaltet – «und es hat geklappt», freut sich
allen Shops, und Gachnangs rechnen für die Kunden                  Laurent noch heute spitzbübisch. Parallel zu seinem
ab, was wo wie oft verkauft wird. Ziel sei es, ein globales        Studium in populären Kulturen folgten weitere Konzer-
Distributionsnetz aufzubauen, auch, um dem Bestreben               te quer durch die Schweiz. Sein Bruder Thierry
von grossen Shops wie Apple entgegenzuwirken, ein in               arbeitete nach der Matura bei einem Musiklabel und
sich abgeschlossenes System zu installieren, sagt Lau-             machte sich 2008 mit einem eigenen digitalen Musik-
rent Gachnang. «Uns ist wichtig, dass ein Verlag mit sei-          vertrieb selbstständig. Von nun an ging alles Hand in
nen Büchern Zugang in alle relevanten Onlineshops er-              Hand, sie vertrieben Musik, veranstalteten Konzerte
hält und nicht plötzlich ein Shop eine übermässige                 und Partys fast rund um die Uhr. Beflügelt vom Erfolg
Marktmacht erhält.»                                                krallten sich die Zwillinge 2010 nach dem «Froschkönig»-

                                                              14
digital

                 E-Book-Pioniere: Die Zwillinge Laurent und Thierry Gachnang (27).

Konkurs den Club im Krienser Schlund, starteten mit                  gross und könne bis hin zu möglichen «neuen Formen
dem «Wilhelm» neu, aber nicht durch – ein halbes Jahr                des literarischen Schreibens» führen, ist Burki über-
später war Schluss, zu wenig Umsatz, Stecker raus, die               zeugt. In die gleiche Richtung zielt der Luzerner Litera-
Party war vorbei. «Inzwischen sind wir froh darum»,                  turnetzwerker Beat Mazenauer: Oft ginge in der eBook-
sagt Laurent.                                                        pro-oder-contra-Diskussion vergessen, dass sich Bücher
    Seither trimmen sie den Schweizer Buchmarkt auf                  und E-Books eigentlich gut ergänzten. «Das Buch bietet
digital, helfen Verlagen, den Schritt in die Zukunft zu              ein hohes haptisches Vergnügen und meist noch besse-
wagen. – Oder schaufeln sie dem Buchhandel das Grab?                 ren Lesekomfort für die Augen; das elektronische Buch
Die Digitalisierung und der damit einhergehende Struk-               ist dafür flexibel und äusserst handlich auch unterwegs.
turwandel sei nicht zu stoppen, sagt Dani Landolf, Ge-               Das Motto muss demnach sein: Das eine tun, das andere
schäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verle-                  nicht lassen.» Zudem sei das Potenzial der E-Books heu-
gerverbandes. Insgesamt stehe der Schweizer Buch-                    te erst erahnbar; «multimediale Bücher mit Anbindung
markt aber besser da als gemeinhin in der Öffentlichkeit             ans Netz, also an Karten und Bibliotheken, oder frei
wahrgenommen. «Viele Verlage und Buchhändler seh-                    wählbare Sammelbände mit Texten nach Wahl etc.».
en in der Digitalisierung neue Chancen.» Das gedruckte                   Just daran arbeiten Thierry und Laurent Gachnang
Buch werde nicht verschwinden, möglich aber, dass es                 mit ihrem Unternehmen. Nach Musik und Büchern
zu einer Segmentierung komme: Hier der Krimi auf dem                 kommt dieses Jahr noch das Medium Film ins mbassa-
E-Reader, da ein mit hohen Qualitätsansprüchen pro­                  dor-Sortiment. Ein erstes Projekt mit Emil Steinberger
duzierter Roman, ein Kunstbuch oder ein Kochbuch –                   ist bereits am Entstehen. «Text, Videos, Games, Interak-
selbstverständlich gedruckt. Und noch besser: eine Ver-              tivität, Film – alle digitalen Inhalte werden zusammen
bindung von beidem, gedruckt und digital, was neue                   verschmelzen», sagt Laurent. «Und damit wird das
Modelle erlaube. Landolf: «Klar, bei diesem Struktur-                eBook» – so viel zur Fluch-oder-Segen-Diskussion – «zu
wandel wird es Verlierer geben – aber auch Gewinner.»                einem Parallelmedium zum Buch, nicht zu einem Er-
                                                                     satz.» Als Spielwiese für Experimente dienen den Zwil-
Das Buch als interaktiver Schmelztiegel                              lingen dabei andere Zwillinge: Die Gachnangs haben
    Gewinner wird wohl, wer sich auf das Neuland                     sich im letzten Jahr die Digital-Rechte an Fix&Foxi gesi-
wagt. Etwa der Luzerner Verleger Matthias Burki («Der                chert und bringen den Comic-Klassiker nun Schritt für
gesunde Menschenversand»): Er hänge zwar am «Ob-                     Schritt auf die E-Reader und Tablets. Und Laurent Gach-
jekt Buch», doch mit der Digitalisierung täten sich auch             nangs Augen glänzen, wenn er sagt: «Damit erhalten
neue Felder auf, sagt er. Für seine digitale Bühnentext-             wir den Comic auch für die kommende Generation. Es
Sammlung «edition spoken script» experimentiert er                   geht beim Digitalisieren auch darum, Kulturgut zu
etwa mit der Verbindung von Text und Ton. Das Poten-                 retten.»
zial der neuen technischen Möglichkeiten sei dabei                     www.mbassador.ch

                                                                15
aktuell

Im Nidwaldner Museum wirkte sie kreativ. Jetzt begibt sich Nathalie Unternährer
als neue Kulturbeauftragte des Kantons Luzern auf die kulturpolitische Ebene, wo
«manchmal Fantasie gefragt ist». In möglichen Spardebatten will sie kund tun,
dass Kultur mehr ist als «nice to have».

«Die Landschaft
hinter der Stadt reizt mich»

Im Nidwaldner Museum haben Sie eindrückliche        panz stehen. Der Wechsel kommt zum rich-            hier hört sie auf. Im Museum, in der Förde-
Ausstellungen organisiert. Zum Beispiel «Kunst,     tigen Zeitpunkt, was nicht ausschliesst, dass       rungswürdigkeit geht es dann allerdings
Kommerz und Heilige» im vergangenen Dezem-          ich in zehn Jahren vielleicht wieder Lust ha-       nicht ohne Differenzierung. Vieles, was der
ber zum Thema Zeitdimensionen. So viel Kreati-      be, mehr kreativ zu wirken.                         Mensch schafft, kann Kultur sein, der Kul-
vität liegt als Kulturbeauftragte in Luzern nicht                                                       turbegriff wandelt sich ständig. Mit der Digi-
mehr drin. Wie gehen Sie damit um?                  An der Universität Basel studierten Sie neben Ge-   talisierung ist er noch umfassender gewor-
Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung für Lu-              schichte und Volkskunde auch Islamwissenschaft.     den. Die Frage dazu: Zählt die digitale
zern war diese Frage schon präsent. In den          Was gab den Impuls dazu?                            Kunst, welche über das Internet verbreitet
letzten zehn Jahren habe ich immer in ei-           Das ist sehr lange her. Es hat verschiedene         wird, auch zur Kultur? Ich meine ja. Ob die-
nem Museum gearbeitet, entweder als Ku-             Impulse gegeben. In Zürich gab es damals            se auch gefördert werden soll, ist eine wich-
ratorin oder in der Leitung. In Nidwalden           die Drogenmisere am Platzspitz und am Let-          tige Frage.
kam die Leitung des kantonalen Amtes für            ten. Ich hörte am Radio ein Interview mit
Kultur eher zufällig dazu. Es war aber ein          einem Polizeivorsteher, der die zahlreichen         Was reizt Sie an der Arbeit in Luzern?
bewusster Entscheid, die Museumsarbeit              Dealer aus dem Maghreb und aus dem ara-             Ich will mich mit der Kultur hier auseinan-
aufzugeben. Die Zeit war reif für etwas Neu-        bischen Raum erwähnte. Und er sagte auch,           dersetzen, in einem neuen, grösseren und
es und die kulturpolitische Ebene interes-          wir wüssten nichts von deren Kultur, ihrer          breiteren Umfeld. Aber ich muss zuerst alles
siert mich.                                         Religion und ihren Lebensbedingungen und            richtig kennenlernen. Die Landschaft hinter
                                                    warum sie in die Schweiz kämen. Man hör-            der Stadt reizt mich besonders. Zum Teil
Nebst Museumsleiterin waren Sie gleichzeitig        te damals auch bereits von den Muslimbrü-           kenne ich sie, zum Teil überhaupt nicht. Ich
Amtsleiterin Kultur des Kantons Nidwalden. Das      dern in Ägypten. Dieser ganze Themenkreis           will sie entdecken. Auch die Zusammenar-
wird ab und zu schwierig gewesen sein.              begann mich stark zu interessieren, vor al-         beit mit der Stadt wird spannend sein. In
Als Museumsleiterin war ich Veranstalterin          lem der religionswissenschaftliche und poli-        Nidwalden war dies alles sehr kleinräumig.
mit den üblichen Fragen nach genügend               tische Teil. Diese Neugier war der eine Teil,
Geld, Erfolg, Besucherinnen und Besuchern           der andere meine damalige Vorstellung, ich          Ist der Gegensatz Stadt–Land in der Kultur für
der Ausstellung. Im Amt für Kultur war ich          würde mich für den diplomatischen Dienst            Sie ein Thema?
Verwalterin, musste das Gesamte im Auge             entscheiden. Ich begann auch Arabisch und           Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in Lau-
behalten und dafür sorgen, dass die Voraus-         Persisch zu lernen.                                 fenburg, einer Kleinstadt im Aargau. Es gab
setzungen für andere Kulturveranstalter                                                                 dort eine Kulturkommission, die einiges or-
stimmten. Es waren unterschiedliche Ebe-            Was bedeutet für Sie «Kultur»?                      ganisierte in der Gemeinde. Daneben war
nen. Ich denke, es ist mir gelungen, beides         Der Begriff Kultur ist generell schwierig zu        man nach Basel orientiert. Stadt und Land
unter einen Hut zu bringen, doch längerfris-        definieren. Mir geht es um die Vielfalt. Ich        sollen ihre eigenständige Kultur leben. Sie
tig will ich nicht mehr in so einer Diskre-         kann nicht sagen, hier fängt Kultur an und          muss sich an das Publikum vor Ort wenden.

                                                                           16
aktuell

                          Kultur funktioniert nur, wenn sie authen-             Was erwarten Luzerner
                          tisch bleibt. Darum braucht sie Unterstüt-            Kunstschaffende von der neuen
                          zung. Die Theaterszene auf der Luzerner               Kulturbeauftragten?
                          Landschaft zum Beispiel ist ein grosses Ka-
                                                                                Gabor Kantor (69), Musik-Forum Luzern, ehe-
                          pital. Im vergangenen Jahr gab es im Luzer-           maliger Präsident der IG Kultur: «Keine finan-
                          ner Theater eine Produktion in Zusammen-              ziellen Streichungen bei der Kultur, vor allem
                          arbeit mit Laienschauspielern. Die hat mir            keine, welche die Existenz bestehender Instituti-
                          sehr gefallen. Es war eine gelungene Verbin-          onen gefährden würden.» Gabor Kantor wünscht
                          dung zwischen Stadt und Land und ein Bei-             sich Visionen, «weil Kultur nie beständig ist und
                                                                                sich immer neu erfindet. Also offene Ohren für
                          spiel für die Pflege gemeinsamer Interessen.
                                                                                neue Ideen, die manchmal gar nicht sooo viel
                                                                                kosten. Aber es ist wichtig, dass man sie auf-
                          In der Stadt werden Räume für die Alternativkul-      nimmt.»
                          tur reklamiert, Räume für das Kleine, das erst im
                          Entstehen ist. Wie denken Sie darüber?                Monika Feucht (57), Künstlerin, könnte sich
                                                                                unter den Kunstschaffenden eine bessere Vernet-
                          Solche Wünsche muss man ernst nehmen.
                                                                                zung vorstellen. Als sehr gute Idee in diese Rich-
                          Trotzdem denke ich, dass es immer wieder              tung empfand sie die von der Visarte-Gruppe
                          Möglichkeiten gibt. Das neu geschaffene               organisierten Atelierbesuche in Luzern im ver-
                          Angebot im alten Hallenbad ist ein gutes              gangenen Sommer. «Es tauchten Leute auf im
                          Beispiel dafür, auch wenn die Nutzung nur             Atelier, die ich sonst nie sehe.» Vielleicht liesse

 «Kultur funktioniert     temporär erfolgen kann. In einer dicht ge-            sich diese Idee auf die Landschaft ausdehnen,
                                                                                denkt sie. «Das könnte den Anstoss für gemeinsa-
                          nutzten Stadt wie Luzern kämpfen alle um
nur, wenn sie authen-     ihren Raum, Kleinunternehmer, auch Woh-
                                                                                me Ausstellungen geben.»

         tisch bleibt.»   nungssuchende. Die Freiräume werden en-               Marcel Grüter (29), Präsident der Theatergesell-
                          ger. Manchmal ist Fantasie gefragt. Luzern            schaft Willisau: «Als nicht professioneller Thea-
                          hat in meinen Augen viel Kleinräumiges,               terverein sind wir auf die kantonalen Fördergel-
                                                                                der angewiesen.» Die Kulturförderung ermögliche
                          das gut ankommt. Kleine aktive Galerien,
                                                                                im Kanton Luzern ein vielfältiges Angebot. Es sei
                          Offspaces für zeitgenössische Kunst oder              wichtig, dass die Verantwortliche dieser Vielfalt
                          zum Beispiel die «Loge».                              Rechnung trage. «Die Laienbühnen sind ein be-
                                                                                deutender Teil des Kulturangebots auf dem Lan-
                          Die Sparhysterie diktiert die Politik. Gibt es noch   de.» (re)
                          offene Ohren für kulturelle Anliegen?
                          Es ist schon so, in den Spardebatten denkt
                          man zuerst an die Kultur. Kultur ist für vie-
                          le «nice to have», aber nicht lebensnotwen-
                          dig. Da bin ich anderer Meinung, und ich
                          sehe es als meine Aufgabe, dies mit deutli-
                          chen Worten kund zu tun. Kultur braucht
                          Raum, um sich weiterzuentwickeln. Wie
                          viel Geld für Kultur zur Verfügung steht, ist
                          ein gesellschaftlicher und politischer Ent-
                          scheid und nicht nur von der Wirtschafts-               Nathalie Unternährer (41) leitet ab dem
                                                                                  1. Februar die Kulturförderung des Kantons
                          konjunktur bestimmt. Das kann sich also
                                                                                  Luzern. Sie wird Nachfolgerin von Daniel Hu-
                          wieder ändern. Darum glaube ich, dass wir               ber, der nach über 23 Jahren im Amt in den Ru-
                          auch wieder bessere Zeiten erleben werden.              hestand geht. Bisher war Nathalie Unternährer
                          Was ich beobachte, ist, dass es vor 30 Jahren           als Vorsteherin des Amtes für Kultur im Kanton
                          noch fraglos subventionierte Kultur gegeben             Nidwalden und als Leiterin des Nidwaldner Mu-
                          hat. Heute wird Kultur eher infrage gestellt            seums tätig. Davor wirkte sie als Ausstellungs-
                          und wird vermehrt zum Terrain für partei-               kuratorin im Stapferhaus in Lenzburg und im
                                                                                  Schweizerischen Landesmuseum in Zürich und
                          politische Profilierung.
                                                                                  war freischaffend für diverse Buch- und Aus-
                                                                                  stellungsprojekte tätig. (mak)
                          Interview: René Regenass

                                                  17
Hingeschaut

Danke, Mr. Abendfit
Es war kalt und nass dazu, ich streifte wie ein hungrige Katze                Und da machte einer dieser Schatten kurz Pause. Er guckte
durch die Gassen. Hatte Durst und Hunger, auch einkaufen musste            mich an (glaubte ich), und ich schoss mit meinem Fotoapparat zu-
ich noch.                                                                  rück. Nun stand es 1:1 zwischen uns. Ich hatte mein Bild im Kas-
    Lust dazu minimal.                                                     ten und der unbekannte Fitness-Mann seine kurze Pause – wie ich
    Also genehmigte ich mir eine Pause und bestellte ein Bier. Im          kurz zuvor.
Hintergrund lief temporeiche Musik, mein Gemütszustand wurde
immer besser, ja am liebsten hätte ich zu tanzen begonnen. Aber            PS: Übrigens mache ich seither wieder mehr Fitness.
ich dachte an meine Fitness – und natürlich hätte es auch ziemlich
schräg ausgesehen, allein in einer Bar zu tanzen, dazu noch mit ca.
5 kg Übergewicht …                                                         Bild und Text Gabor Fekete
    Also zahlte ich schnell und ging wieder in die Nacht hinaus.
Aus irgendwelchen Gründen schaute ich hoch und sah Schattenfi-
guren hinter einer langen Glasfront tanzen. So leicht!

                                                                      18
HINGEHÖRT

Urs Krähenbühl
Fasnachtskünstler

Der Krienser Urs Krähenbühl kreiert für      ich seit drei Jahren die Sarner
verschiedene Luzerner Guggenmusigen          und die Wolhuser Plakette.
traditionelle Fasnachtsgrafiken. Und für     Aber es war nicht immer so –
die Stadt und andere Innerschweizer Ge-      davor hatte ich bei diesen
meinden entwirft er regelmässig Fas-         Wettbewerben zwölf Jahre
nachtsplaketten. Beigebracht hat sich der    keinen Erfolg. Es brauchte ein
55-Jährige sein Können autodidaktisch.       bisschen Zeit, bis ich spürte,
                                             was die Allgemeinheit will.
    «Klar, für die Fasnacht mache ich in         Mein Grossvater war ein
erster Linie Auftragsarbeiten und nicht      bekannter Maskenschnitzer,
meine persönliche Kunst. Ich finde aber      und so hat meine Faszination
nicht, dass Kunst und Fasnacht ein Gegen-    für die Fasnacht angefangen. Besonders             Nach der Schule wollte ich an die
satz sind. Als Künstler bezeichne ich mich   wichtig sind mir die Fasnachtsgrafiken. Sie    Kunstgewerbeschule, doch meine Eltern
dennoch ungern, weil der Begriff für mich    sind so alt wie die Luzerner Fasnacht selbst   wünschten, dass ich zuerst eine Lehre ma-
mit etwas Elitärem behaftet ist, das mir     und für die Guggenmusigen ein willkom-         che. Als ich sie fertig hatte, bekam meine
nicht zusagt, ja mich manchmal nervt. Ich    mener Zustupf. In den letzten Jahren ist       damalige Freundin und heutige Gemahlin
mache einfach, was mir gefällt. Für mich     der Markt leider total zusammengebro-          schon das erste Kind. Heute bin ich froh, ist
                                                         chen. Es gibt so viel Visuelles    es so gekommen. Wir haben es gut hier im
                                                         heute, die Leute können das gar    Haus, in dem ich übrigens geboren wurde,
                                                         nicht mehr verarbeiten. Es ist     und ich kann aus den Kunst-Stilen frei he-
    «Der Begriff Künstler hat                            mir aber ein Anliegen, dass die-   rauspicken, was mir gefällt. Ich habe schon
    für mich etwas Elitäres.»                            ses Kulturgut erhalten bleibt.     auf 13 verschiedenen Berufen gearbeitet.
                                                         Ursprünglich waren es vorwie-      Von der Kunst leben kann ich zwar nicht,
                                                         gend Originalkunstdrucke, also     doch kann ich mir den Luxus gönnen, et-
ist Kunst, wenn mich ein Werk bewegt und     Radierungen, Lithografien, Siebdrucke          wa fünf Monate im Jahr frei für mich zu
im Kopf hängen bleibt, weil es etwas Be-     oder Holzschnitte. Heute macht man ein         arbeiten. Den Rest des Jahres arbeite ich als
rührendes hat. Zudem spielt natürlich die    Original, das dann im Offset-Druck ver-        Monteur in der Stahlindustrie. Wenn
technische Ausführung auch eine Rolle.       vielfältigt wird. Bei einer Radierung wird     zweimal pro Jahr Fasnacht wäre, ginge es
    In den letzten Jahren habe ich viermal   das einzelne, handgedruckte Exemplar           also ganz knapp.»
den Wettbewerb für die Luzerner, dreimal     teurer, da ich an einer 4-Platten-Aquatin-
die Emmer und zweimal die Krienser Fas-      ta-Radierung bis zu einem Monat arbeite,
nachtsplakette gewonnen, zudem entwerfe      bevor ich mit dem Drucken beginne.             Martina Kammermann, Bild Marco Sieber

                                                                  19
Sie können auch lesen