HOCHSCHULBILDUNG FÜR DIE ARBEITSWELT 4.0 - Stifterverband

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HOCHSCHULBILDUNG FÜR DIE ARBEITSWELT 4.0 - Stifterverband
Hochschul-Bildungs-Report 2020

                      HOCHSCHULBILDUNG FÜR DIE
                          ARBEITSWELT 4.0

                                    Jahresbericht 2016

In Kooperation mit:
BERUFLICH-AK ADEMISCHE BILDUNG                 FÖRDERPROGRAMM
                                                        CURRICULUM 4.0
          CHANCENGERECHTE BILDUNG
                                                        Der Stifterverband hat zusammen mit der
                                                        Carl-Zeiss-Stiftung das Förderprogramm
          QUARTÄRE BILDUNG
                                                        Curriculum 4.0 aufgesetzt, das die Fortent-
                                                        wicklung von Studiengängen unterstützt.
          INTERNATIONALE BILDUNG                        Ausgezeichnet werden herausragende
                                                        Konzepte, die aufzeigen, wie Studiengänge
                                                        den Anforderungen einer digitalen Welt
          LEHRER-BILDUNG
                                                        besser entsprechen können, sei es durch
                                                        neue Studieninhalte oder durch neue Stu-
          MINT-BILDUNG                                  dien- und Lernformen. Die Reformansätze
                                                        müssen verbindlich im Lehrplan verankert
                                                        sein. Die Förderung beträgt insgesamt
HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT ONLINE                        knapp 700.000 Euro und läuft ab Herbst
Das Datenportal zum Report bereitet die zentralen       2016 zwei Jahre lang.
­Ergebnisse, Indikatoren und zahlreiche weitere Daten
 interaktiv auf.
                                                        Weitere Informationen:
www.hochschulbildungsreport2020.de                      www.stifterverband.org/curriculum-4-0
INHALT

01 WELCHE HOCHSCHULBILDUNG BRAUCHEN WIR?                             03

02 ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                        06

  2.1 Acht Thesen zur akademischen Arbeitswelt der Zukunft           10
  2.2 Das akademische Kompetenzprof il für die Arbeitswelt 4.0       26
  2.3 Perspektiven einer Hochschulbildung 4.0                        32

03 INDEXENTWICKLUNG & HANDLUNGSFELDER                                48

  3.1   Hochschul-Bildungs-Index & Zieldimensionen                   50
  3.2   Beruf lich-akademische Bildung                               51
  3.3   Chancengerechte Bildung                                      53
  3.4   Quartäre Bildung                                             54
  3.5   Internationale Bildung                                       56
  3.6   Lehrer-Bildung                                               58
  3.7   MINT-Bildung                                                 60

ANHANG                                                               62

  Methodik & Datengrundlage                                          63
  Die Indikatoren im Überblick                                       67
  Quellen & Literaturhinweise                                        74

IMPRESSUM                                                            78
Ein Hochtechnologieunternehmen wie TRUMPF
braucht sowohl gut ausgebildete Facharbeiter und Techniker
 als auch hoch qualifizierte Ingenieure und Wissenschaftler.
 Deshalb ist uns wichtig, dass wir die Stärken des weltweit
bewunderten deutschen Ausbildungssystems bewahren und
 gleichzeitig alles dafür tun, dass auch unsere Hochschulen
   führend bleiben. Und wenn es uns dann noch gelingt,
 die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Ausbildung und
      Hochschule zu erhöhen, dann kann das unsere
                 Innovationskraft nur stärken.

                   NICOLA LEIBINGER-KAMMÜLLER
            Vorsitzende der Geschäftsführung, TRUMPF GmbH + Co. KG,
                   und Themenbotschafterin des Handlungsfeldes
                           Beruflich-akademische Bildung
WELCHE HOCHSCHULBILDUNG BRAUCHEN WIR?                                3

01

WELCHE HOCHSCHUL­
BILDUNG BRAUCHEN WIR?

Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 befasst           Digitalisierung und Automatisierung der Arbeits-
sich jedes Jahr mit einem Schwerpunktthema,          welt in Gänze zu erfassen. Der Report fokussiert
das sich aus den sechs Handlungsfeldern der          sich stattdessen auf jene Entwicklungslinien,
Bildungsinitiative des Stifterverbandes ableitet.    welche potenziell besonders große Auswirkungen
Das diesjährige Schwerpunktthema ergibt sich         auf die Arbeitswelt von Akademikern haben
aus dem Handlungsfeld Beruflich-akademische          werden.
Bildung, das zwei Schnittstellen beleuchtet: die
Schnittstelle zwischen beruflicher und akademi-      Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 richtet
scher Bildung sowie die Schnittstelle zwischen       damit seinen Blick auf die Zukunft. Er stützt
dem Studium und der beruflichen Tätigkeit. Die       sich weniger als bisherige Reporte auf die
Kernfrage, die für beide Schnittstellen relevant     Analyse von statistischen Zahlen, da diese die
ist, lautet: Welche Qualifikationen benötigen        Entwicklungen der vergangenen Jahre aufzeigen.
Hochschulabsolventen, um auf die Arbeitswelt         Stattdessen werden stärker Prognosen von
vorbereitet zu sein?                                 Forschungsinstituten, Studien über Industrie 4.0
                                                     sowie Forschungen über die Digitalisierung und
Der diesjährige Report befasst sich mit der          Automatisierung der Arbeitswelt herangezogen.
Frage, welche Anforderungen die Arbeitswelt der      Ergänzend haben Stifterverband und McKinsey
Zukunft, die mit der Bezeichnung Arbeitswelt 4.0     eine repräsentative Umfrage unter deutschen
charakterisiert wird, an Akademiker stellen wird.    Unternehmen durchgeführt und sie zur Arbeits-
Dazu haben wir drei Leitfragen formuliert: Wie       welt von morgen und den möglichen Konsequen-
wird sich die Arbeitswelt für Akademiker ändern?     zen für die Hochschulbildung befragt.
Welche Kompetenzen sollte ein Studium in Zu-
kunft vermitteln? Wie sollte sich das Hochschul-     Der zweite Teil des Reports zeigt wie gewohnt die
system perspektivisch weiterentwickeln, um diese     Entwicklung der 71 Indikatoren des Hochschul-
Kompetenzen vermitteln zu können? Diesen drei        Bildungs-Indexes auf, der einen Überblick über
Fragen ist jeweils ein Abschnitt des Schwerpunkt-    die quantitative Entwicklung der Hochschul-
kapitels gewidmet. Der Anspruch des Reports ist      bildung auf den sechs Handlungsfeldern der
es nicht, die derzeit laufende Diskussion über die   Bildungsinitiative erlaubt.
UNTERNEHMEN ÜBER
            DIE ARBEITSWELT 4.0
                                                                              MEHR FORSCHUNG

     DIGITALE REVOLUTION
        VERSCHLAFEN?
                                                                            64                     %
                                                                            der Unternehmen stimmen der

        51
                                                                          Aussage (stark) zu, dass Forschung

                          %
                                                                           in den nächsten zehn Jahren für
                                                                           ihr Unternehmen an Bedeutung
                                                                                       gewinnt.

    der deutschen Unternehmen, also
gerade einmal die Hälfte, gehen davon aus,
      dass der Umgang mit digitalen
   Kooperationswerk­zeugen (deutlich)
          wichtiger werden wird.

                                                    WAS IM LEBENSLAUF
                                                     STEHEN SOLLTE

                                                   70                      %
                                              der Unternehmen sehen Praxiserfahrung
                                             als wichtigste Fähigkeit für die Arbeitswelt
                                              4.0 – dicht gefolgt von Fremdsprachen-
                                                 kenntnissen (63 %) und dem Umgang
                                                  mit digitalen Technologien (62 %).
NEUE ANFORDERUNGEN

                             71               %
                       der Unternehmen gehen davon aus,
                        dass überfachliche Kompetenzen
                      wichtiger werden. Es folgen: speziali-
                       siertes Wissen (54 %), methodische
                      Kompetenzen (43 %) und Grundlagen­
                                fachwissen (32 %).

                                                                 FIRMA ALS AKADE-
                                                                 MISCHER LERNORT

 KEINE REVOLUTION
    IM HÖRSAAL
                                                               50                        %

28                      %
 der Unternehmen sprechen
                                                                  der Unternehmen geben an,
                                                                dass ihr eigenes Unternehmen
                                                               als Lernort im Studium wichtiger
                                                                         werden wird.

sich dafür aus, dass klassische
 Vorlesungen durch Online-
   formate ersetzt werden.

                                                                    Quelle: Unternehmensumfrage, McKinsey/Stifterverband
6                                 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

     02

     ANFORDERUNGEN AN EINE
     HOCHSCHULBILDUNG 4.0

     Durch Megatrends wie Digitalisierung und Auto-       Veränderungen in den technischen Umgebungen
     matisierung verändern sich die Arbeitswelt und       gehen mit einem gesellschaftlichen Wandel und
     unsere Art zu arbeiten. Diese Trends sind nicht      neuen individuellen Wertvorstellungen einher,
     neu. Neu sind aber die Radikalität, mit der sich     die sich ebenfalls auf die Arbeitswelt auswirken.
     der Wandel vollzieht, und die Breite, in der fast    Insbesondere der jungen Generation sind Work-
     alle Bereiche der Arbeitswelt – auch die Wissens-    Life-Balance, persönliche Weiterentwicklung
     arbeit – betroffen sind. Der Wandel erfolgt oft      und -bildung sowie Arbeitsformen wichtig, die
     schnell und grundlegend: Produktions- und Lo-        sich nach den eigenen Lebensentwürfen richten.
     gistikketten sowie Produkte und Dienstleistungen     Selbstständiges, eigenverantwortliches und fle-
     verändern sich. Innovationszyklen werden kürzer.     xibel gestaltbares Arbeiten jenseits und innerhalb
     Digitalisierung und Technisierung verändern          von Institutionengrenzen spielen hierbei eine
     aber auch grundlegend bislang technikferne,          bedeutende Rolle.
     wissensintensive Berufsbilder, wie zum Beispiel im
     Journalismus, in der Jurisprudenz, in der Bildung
     oder in der Verwaltung.                              HOCHSCHUL ABSOLVENTEN WERDEN
                                                          CHANGE AGENTS
     Bestehende Arbeitsformen und Tätigkeiten             Die Veränderung der Arbeitswelt ist ein Prozess,
     werden durch neue Technologien und die fort-         der in manchen Bereichen eher einer Evolution
     schreitende Digitalisierung und Automatisierung      (zum Beispiel durch die fortschreitende Automa-
     einem besonderen Wandel unterliegen: Sie             tisierung) und in manchen eher einer Revolution
     werden durch neue Formen und Möglichkeiten           (durch Industrie 4.0 und Digitalisierung) gleicht.
     der Mensch-Maschine-Interaktion unterstützt,         Was uns jedoch wirklich erwarten wird, ist noch
     ergänzt, neu gedacht oder womöglich sogar            nicht klar: Diese Unsicherheit kommt in vielen
     ersetzt werden. Darüber hinaus werden beste-         sehr unterschiedlichen Theorien und Hypothesen
     hende A  ­ rbeitsformen und Tätigkeiten durch        über die Arbeitswelt der Zukunft zum Ausdruck.
     ­Digitalisierung und Automatisierung auf ein neues   Einige von ihnen greift dieser Report auf und
      Niveau gehoben. Neu ist, dass die Technik nicht     beschreibt sie näher.
      mehr nur manuelle Tätigkeiten ergänzt oder
      ersetzt, sondern zunehmend analytisch-intellek-     Die rasanten Entwicklungen des Arbeitsmarktes
      tuelle Aufgaben übernimmt oder unterstützt.         hinsichtlich Digitalisierung und Automatisierung
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                              7

erfordern das Schritthalten der Hochschulbil-        Interaktion zunimmt (These 1). Einige akademische
dung, um den neuen Anforderungen gerecht             Routinetätigkeiten werden vollständig digitalisiert
werden zu können. Umgekehrt gilt aber auch: Je       (These 2). Durch den Wegfall von Routinetätig-
stärker die zukünftigen Hochschulabsolventen di-     keiten und die zunehmende Digitalisierung der
gitale Kompetenzen besitzen, desto mehr werden       gesamten Arbeitswelt werden die Tätigkeiten
sie auch die Arbeitswelt in diese Richtung prägen.   komplexer und das Niveau steigt: Forschungsba-
Hochschulabsolventen können selbst chance            sierte Tätigkeiten durchdringen die Arbeitswelt
agents der Digitalisierung der Arbeitswelt werden    und akademische Qualifikationen werden immer
und diese gestalten oder sie werden mangels digi-    häufiger benötigt; neue, digitalisierte Berufsbilder
taler Fähigkeiten die Entwicklung eher bremsen.      entstehen (Thesen 3 und 4). Durch neue Techno-
                                                     logien verschmelzen berufliche und akademische
                                                     Tätigkeitsfelder, beruflich Qualifizierte benötigen
VERÄNDERUNGEN AM ARBEITSMARKT                        mehr akademische Qualifikationen, Akademiker
UND FOLGEN FÜR AK ADEMIKER                           mehr anwendungsorientiertes Wissen (These 5).
Wie sollen die Hochschulen die Studierenden also     Für beruflich Qualifizierte wie für akademisch
auf die Arbeitswelt der Zukunft vorbereiten? Der     Qualifizierte nimmt die Bedeutung von akademi-
Hochschul-Bildungs-Report 2020 geht dieser           scher Weiterbildung während der Berufstätigkeit
Frage mit dem diesjährigen Schwerpunkt im Rah-       zu (These 6). Die Arbeitnehmer bestimmen ihre
men des Handlungsfeldes Beruflich-akademische        Arbeitswelt und ihre Bildungspfade stärker als
Bildung nach. Im Fokus stehen die Arbeitswelt        bisher selbst: Selbstständiges und kooperatives
4.0 und ihre Rückwirkungen auf die Hochschul-        Arbeiten gewinnten in und außerhalb von Unter-
bildung. In acht Thesen versucht der Report, sich    nehmen an Bedeutung (These 7). Die Generation
diesem Thema zu nähern. Die Thesen beschreiben,      junger Akademiker wird mit ihren veränderten
wie akademische Tätigkeiten zunehmend digital        Wertvorstellungen und mit ihrer digitalen Affinität
unterstützt werden und die Mensch-Maschine-          die Arbeitswelt verändern (These 8).

ACHT THESEN ZUR AKADEMISCHEN
ARBEITSWELT DER ZUKUNFT

1. THESE Das Arbeiten mit digitalen Technolo­gien    5. THESE Immer mehr beruflich Qualifizierte
wird zum festen Bestandteil des akademischen         benötigen akademische Qualifikationen, immer
Kompetenzprofils.                                    mehr Akademiker benötigen berufliches Wissen.

2. THESE In der Arbeitswelt 4.0 fallen Routine-      6. THESE Lernen prägt das neue Arbeiten und
tätigkeiten weg und werden durch komplexere          Arbeiten prägt das neue Lernen.
akademische Tätigkeiten ersetzt.
                                                     7. THESE In der Arbeitswelt 4.0 trifft höhere
3. THESE Mit dem Siegeszug von Big Data              Eigenverantwortung auf neue Formen der Kollek-
durchdringen forschungsbasierte Tätigkeiten          tivarbeit.
die Arbeitswelt und institutionelle Grenzen der
Forschung werden durchlässig.                        8. THESE Die Generation junger Akademiker
                                                     verändert die Arbeitswelt.
4. THESE Die Nachfrage nach akademischen
Qualifikationen steigt und für Akademiker entste-
hen neue, durch Mensch-Maschine-Interaktion
und Digitalisierung geprägte Berufsbilder.
8                                           HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

     UNTERNEHMENSBEFRAGUNG: WIE SIEHT DIE ARBEITSWELT
     DER ZUKUNFT AUS?
     ERGEBNISSE EINER REPRÄSENTATIVEN                                   mithilfe neuer Produktionsverfahren und -tech-
     BEFRAGUNG VON 303 UNTERNEHMEN IN                                   nologien hergestellt werden (siehe Abbildung 1).
     DEUTSCHL AND                                                       Dafür benötigen die Unternehmen das entspre-
     Wie schätzen Unternehmen die Arbeitswelt der                       chende Wissen: 84 Prozent der Firmen geben an,
     Zukunft ein? Welche Kompetenzen werden Akade­                      dass Forschung in ihrem Unternehmen wichtiger
     miker für diese Arbeitswelt benötigen? Welche                      werden wird. 58 Prozent stimmen (eher) zu,
     Konsequenzen ziehen die Unternehmen daraus                         dass sie intensiver mit Hochschulen zusammen-
     für die Hochschulbildung der Zukunft? Das waren                    arbeiten werden. Die Hochschulabsolventen
     die Leitfragen einer repräsentativen Umfrage,                      können sich darauf einstellen, dass bisherige
     für die das Meinungsforschungsinstitut Innofact                    administrative Tätigkeiten stärker automatisiert
     im Auftrag von Stifterverband und McKinsey im                      ablaufen und dass ganz neue Berufe entstehen.
     November 2015 insgesamt 303 Unternehmen aller                      Nur eine Minderheit der Unternehmen geht
     Branchen mit mehr als 20 Mitarbeitern befragt hat.                 allerdings davon aus, dass einzelne akademische
                                                                        Berufe vollständig automatisiert und Akademiker
     Die Arbeitswelt der Zukunft ist nach Auffassung                    durch Maschinen ersetzt werden. Nur 17 Prozent
     der befragten Unternehmen stark von neuen                          der Unternehmen stimmen dieser These (stark)
     Produkten und Dienstleistungen getrieben, die                      zu, gerade einmal weitere 22 Prozent signali-

     ABBILDUNG 1: BERUFE , PRODUKTE UND PRODUKTION WERDEN SICH STARK VERÄNDERN
                                                                                                                                                 Eher Zustimmung
     Werte 4, 5 und 6 auf einer sechsstufigen Skala, 2015 (in Prozent), Fragestellung: Insbesondere in Bezug auf die
     ­Digitalisierung, wie wird sich die Arbeitswelt in Ihrem Unternehmen in den nächsten zehn Jahren verändern?                                 Zustimmung
                                                                                                                                                 Starke Zustimmung
                                                                                       22         14 3
     Akademische Berufe werden automatisiert und Akademiker
     durch Maschinen ersetzt                                                                               39
                                                                                            30                               31             14
     Administrative Tätigkeiten werden automatisiert ablaufen                                                                                    75
                                                                                   20                             33                              31
     Forschung wird wichtiger                                                                                                                              84
                                                                                    21                      27          10
     Die Zusammenarbeit zwischen meinem Unternehmen und
     Hochschulen wird intensiver                                                                                                  58
                                                                                  19                             32                              31
     Neue Berufe werden entstehen                                                                                                                          82
                                                                                  19                                         42                       24
     Neue Produkte werden entstehen und setzen neues Wissen
     in der internen Produktentwicklung voraus                                                                                                              85
                                                                                  19                                    39                        26
     Neue Produktionsverfahren und -technologien werden sich
     etablieren und die Produktionstätigkeit weiter verändern                                                                                              84
                                                                                  19                                   37                                  33
     Die Zusammenarbeit zwischen Teams wird wichtiger                                                                                                            89
                                                                                                 34                     24        5
     Institutionelle Grenzen zu anderen Unternehmen werden
     verschwimmen                                                                                                                     63
                                                                    0       10      20      30        40         50          60        70        80         90    100
     Quelle: Unternehmensumfrage, McKinsey/Stifterverband
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                                                                                       9

sieren eine schwache Zustimmung. Eine große                              Gegenteil feststellen, dass die Arbeitswelt 4.0
Einigkeit herrscht unter Unternehmen hingegen                            in der befragten Gruppe der Unternehmen mit
in Hinsicht auf die Bedeutung der Teamarbeit:                            mehr als 20 Mitarbeitern noch nicht angekom-
Fast neun von zehn Unternehmen sind davon                                men ist: Klassische EDV-Anwendungen wie Word
überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen                              oder PowerPoint werden nach Einschätzung
Teams in der Arbeitswelt der Zukunft wichtiger                           der Unternehmen ebenso wichtiger werden
werden wird.                                                             wie neue, digitale Kooperationswerkzeuge oder
                                                                         mobile Anwendungen. 79 Prozent der Unterneh-
Der Umgang mit digitalen Werkzeugen wird zu                              men stimmen überein, dass E-Mail und digitales
einer Schlüsselkompetenz in der Arbeitswelt                              Kalendermanagement an Bedeutung gewinnen
4.0 (siehe Abbildung 2). Bei allen neun digitalen                        werden. Neue digitale Werkzeuge treten zu den
Werkzeugen, die in der Erhebung abgefragt                                klassischen hinzu, sie ersetzen sie (zunächst)
wurden, äußerten jeweils mehr als 60 Prozent                             nicht. An diesen Ergebnissen zeigt sich exemp-
der Unternehmen, dass der Umgang mit ih-                                 larisch, dass Hochschulbildung und Arbeitswelt
nen in Zukunft (eher) wichtiger werde. Dabei                             kommunizierende Röhren sind: Digitale Arbeits-
lässt sich nicht erkennen, dass die deutschen                            formen können sich in der Arbeitswelt nur dann
Unternehmen in der Breite schon auf neue                                 breitflächig durchsetzen, wenn die Arbeitnehmer
Anwendungen setzen würden. Es lässt sich im                              entsprechende digitale Fähigkeiten besitzen.

ABBILDUNG 2: DIGITALE WERK ZEUGE WERDEN FL ÄCHENDECKEND WICHTIGER                                                                                                Eher Zustimmung
                                                                                                                                                                 Zustimmung
Werte 4, 5 und 6 auf einer sechsstufigen Skala, 2015 (in Prozent), Fragestellung: Bitte geben Sie an, inwiefern
die folgenden digitalen Werkzeuge zukünftig im Arbeitsalltag in Ihrem Unternehmen wichtiger werden.                                                              Starke Zustimmung

                                                                                               23                            28                            27
E-Mail und digitales Kalendermanagement (z. B. Outlook)                                                                                                          78
                                                                                14                       23                                 31
Textverarbeitungsprogramme (z. B. Word)                                                                                                           68
                                                                             13                               27                       25
Präsentationsprogramme (z. B. PowerPoint)                                                                                                        65
                                                                             13                               28                             29
Einfache Datenverarbeitungsprogramme (z. B. Excel)                                                                                                     70
                                                                                          20                            28                            27
Programme zur Analyse von großen Datenmengen                                                                                                                    75
                                                                                     17                            27                       24
Digitale Kooperationswerkzeuge
(z. B. GoogleDocs, Dropbox etc.)                                                                                                                  68
                                                                                      19                                 31                            26
Selbstorganisation über digitale Tools                                                                                                                          76
                                                                            12                           24                        27
Social Media (z. B. Facebook, Twitter, Xing, LinkedIn, Blogs etc.)                                                                          63
                                                                                           22                                29                   22
Mobile Apps                                                                                                                                                 73
                                                                     0     10             20        30        40             50   60             70             80     90      100
Quelle: Unternehmensumfrage, McKinsey/Stifterverband
10                                   HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

       2.1 Acht Thesen zur akademischen Arbeitswelt der Zukunft

          » Das Tempo und die Qualität der Veränderun- » Hochschulen haben eine Schlüsselrolle, Aka-
             gen in der Arbeitswelt werden von den Quali-       demiker auf das digitale Erwerbsleben vorzu-
             fikationen der Akademiker bei ihrem Start ins      bereiten und sie über ihr gesamtes Arbeits-
             Erwerbsleben abhängen.                             leben hinweg akademisch weiterzubilden.

       1. These: Das Arbeiten mit digitalen Technologien wird zum festen Bestandteil
       des akademischen Kompetenzprofils.

       Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch          Wenn künftig bestimmte Tätigkeiten in nahezu
       und wird Wissensarbeit zunehmend unterstüt-           allen akademischen Berufen durch digitale
       zen oder übernehmen. Zu den Tätigkeiten, die          Technologien unterstützt werden, benötigen
       Computer heute schon übernehmen können,               Akademiker mehr und tiefer gehende digitale
       zählen beispielsweise einfaches Lesen und             Kompetenzen als bisher. Dies bestätigt auch die
       Schreiben, Rechnen oder das Lösen (einfacher)         von Stifterverband und McKinsey durchgeführte
       Probleme. Die Arbeitswelt der Zukunft wird sich       Umfrage unter deutschen Unternehmen. Die
       dadurch auszeichnen, dass nicht mehr nur die          große Mehrheit der Befragten geht davon
       Kommunikation digitalisiert wird, sondern dass        aus, dass digitale Werkzeuge zunehmend an
       die Arbeitswelt in allen Berufsfeldern stärker        Bedeutung gewinnen. Das gilt beispielsweise für
       durch die digital gestützte Sammlung, Analyse,        Programme zur Analyse großer Datenmengen
       Aufbereitung, auto­matische Verknüpfung und           und digitale Kooperationswerkzeuge (siehe Ab-
       Bereitstellung von Daten bestimmt wird. Das           bildung 2, Seite 9).
       zeigt sich bereits jetzt in vielen Berufsfeldern
       (siehe Abbildung 3 und 4).                            Grundlegende analytische Tätigkeiten werden
                                                             zunehmend automatisiert (wie das Sichten von
       » 	Viele Managementtätigkeiten, zum Beispiel         Bewerbungsunterlagen bei der Personalrekrutie-
           im Personalbereich, lassen sich durch digitale    rung). Akademische Tätigkeiten werden sich hin
           Technologien unterstützen. Dazu gehört            zu Konzeption, Kontrolle und Bewertung von au-
           beispielsweise das Erfassen, Analysieren, Ver-    tomatisierten Analysen verlagern (also im Fall des
           gleichen und Aufbereiten von Bewerbungs-          Personalers auf das Konzept für das automatisier-
           unterlagen oder auch die Identifizierung von      te Sichten von Bewerbungen, die Kontrolle des
           Weiterbildungsbedarfen von Mitarbeitern.          Ergebnisses und dessen Bewertung). Fähigkeiten
       » 	Journalistische Tätigkeiten werden durch          wie Selbstorganisation, kreatives Nachdenken
           Programme gestützt, die Informationen zusam-      und Arbeiten, (komplexe) grundlegende Prob-
           menstellen, automatisch Texte verfassen und sie   lemlösung und das kritische Hinterfragen und
           für die Veröffentlichung aufbereiten. Recher-     Bewerten von Informationen werden wichtiger
           chetools unterstützen mit Big-Data-Analysen       (OECD 2013). Für die akademische Ausbildung
           auch investigative journalistische Tätigkeiten.   bedeutet dies, dass digitale Fähigkeiten eine neue
       » 	Juristische Tätigkeiten lassen sich durch         Querschnittskompetenz in der Arbeitswelt 4.0
           Programme unterstützen, die relevante Daten       darstellen, in der in allen Bereichen mehr statisti-
           für einen Fall aggregieren, aus Datenbanken       sche Kompetenzen, der Umgang mit der digitalen
           extrahieren und darauf basierend juristische      Analyse großer Datenmengen und die kritische
           Beurteilungen vornehmen.                          Beurteilung der Ergebnisse benötigt werden.
       » 	Pädagogische Tätigkeiten werden sich zu-          Überfachliche Qualifikationen werden wichtiger.
           nehmend durch den Einsatz neuer Medien im
           Unterricht, das gemeinsame Erarbeiten von
           Unterrichtseinheiten und durch digitale Admi-
           nistration verändern.
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                                                        11

ABBILDUNG 3: WIE SICH BERUFSFELDER VERÄNDERN

                               Personaler/-in                                                           Journalist/-in

Tätigkeitsspektrum                                                       Tätigkeitsspektrum
»	Screenen von Bewerbungsunter­lagen/Auswahl von Bewerbern              »	Aggregieren/analysieren von Daten
»	Führen von Bewerbungs­gesprächen                                      »	Schreiben von Artikeln
»	Onboarding von neuen Mitarbeitern                                     »	Auswahl von Grafiken
»	Talentmanagement/Entwicklung von Mitarbeitern                         »	Schneiden von Videos
»	Langfristige Personalplanung                                          »	Führen von Interviews
»	Führen von Feedback- und Kündigungsgesprächen                         »	Verfassen von Kommentaren
»	…                                                                     »	Investigatives Recherchieren
                                                                         »	…

Tätigkeiten, die durch digitale Technologien gestützt werden können      Tätigkeiten, die durch digitale Technologien gestützt werden können
»	Machine-Learning-Algorithmen scannen Bewerbungsunterlagen             »	Automatisierte Tracking-Tools screenen, aggregieren und analysieren
»	Cloudbasierte Plattformen unterstützen bei der Bewerberauswahl          Nachrichten, Daten und Fakten
  (zum Beispiel TalentWise wird erfolgreich in den USA genutzt)          »	Semantische Softwareprogramme schreiben automatisiert einen
»	Sprachanalyse-Tools unterstützen bei der Entscheidung                   Textvorschlag (zum Beispiel Aexea, ein deutsches Unternehmen,
  für geeig­nete Bewerber im Bewerbungsgespräch                            zählt zu den Pionieren dieser Technologien)
»	Onboarding-Software hilft bei der Einbindung und Einarbeitung         »	Cloudbasierte Bildverwaltungstools unterstützen bei der passenden
  ­neuer Mitarbeiter (zum Beispiel SimpleHR ist bereits seit 2003 auf      Bildauswahl
  dem Markt)                                                             »	Cloudbasierte Videoplattformen produzieren selbstständig
»	Onlinetrainings identifizieren Weiterentwicklungs­möglichkeiten von     ­Videoclips
  Mitarbeitern
»	Planungssoftware hilft bei langfristiger Personalplanung

Quelle: Übergreifend: Buse 2015; Manyika et al. 2015                     Quelle: Übergreifend: Matzat 2015; Chui et al. 2015
Für Firmenbeschreibungen: Offizielle Unternehmens-Webseiten              Für Firmenbeschreibungen: Offizielle Unternehmens-Webseiten
12                                             HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

       ABBILDUNG 4: WIE SICH BERUFSFELDER VERÄNDERN

                                        Richter/-in                                                                 Lehrer/-in

       Tätigkeitsspektrum                                                      Tätigkeitsspektrum
       »	Lesen/analysieren von Fällen                                         »	Unterricht gestalten
       »	Entdecken komplexer Muster                                           »	Leistungsfähigkeit diagnostizieren und Leistungen beurteilen
       »	Analysieren von Querverweisen                                        »	Schüler und ihre individuelle Entwicklung fördern
       »	Verfassen von Urteilsverkündungen                                    »	Schüler und Eltern beraten
       »	Verkünden von Urteilen                                               »	Mit Eltern und Kollegen zusammenarbeiten
       »	Diskussionen, beispielsweise mit Geschworenen                        »	Sich fortbilden
       »	…                                                                    »	An Schulentwicklung mitwirken
                                                                               »	Erziehungsaufgaben wahrnehmen
                                                                               »	…

       Tätigkeiten, die durch digitale Technologien gestützt werden können     Tätigkeiten, die durch digitale Technologien gestützt werden können
       »	Analysetools screenen und aggregieren relevante Daten für einen      »	Softwarelösungen unterstützen Teamarbeit sowie administrative und
         Fall (zum Beispiel der EarlyData Analyzer wird weltweit vermarktet)     kommunikative Aufgaben in der Schule
       »	Legal-Analytics-Software untersucht Querverweise und Muster          »	Onlineplattformen bieten Hilfe bei der Erstellung von Onlineunterrichts-
         durch Zugriff auf verschiedene Datenbanken                              kursen an (zum Beispiel Versal ist für Lehrer frei zugänglich)
       »	Machine-Learning-Algorithmen extrahieren relevante juristische       »	E-Learning-Tools unterstützen Lehrer bei der Lerndiagnostik und passen
         Fakten für den Vorschlag eines Urteils                                  Aufgaben entsprechend an (zum Beispiel NoRedInk findet bereits in vie-
                                                                                 len amerikanischen Schulen Anwendung)
                                                                               »	Auf Onlineplattformen werden Unterrichts­materialien gesucht,
                                                                                 erstellt, ausgetauscht und verwaltet

       Quelle: Übergreifend: Lat 2015; Chui et al. 2015                        Quelle: Für heutiges Tätigkeitsprofil: vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister 2004
       Für Firmenbeschreibungen: Offizielle Unternehmens-Webseiten             Für Firmenbeschreibungen: Offizielle Unternehmens-Webseiten
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                                                                         13

2. These: In der Arbeitswelt 4.0 fallen Routinetätigkeiten weg und werden
durch komplexere akademische Tätigkeiten ersetzt.

Der Automatisierung von menschlichen Tätigkei-                              von Akademikern entwickeln werden. Es gibt zwei
ten, zumindest denen, die einem regelmäßigen                                Lesarten: Carl B. Frey und Michael A. Osborne
Muster folgen, sind unter technologischen Ge-                               von der Universität Oxford prognostizieren 2013,
sichtspunkten immer weniger Grenzen gesetzt.                                dass ganze Berufsbilder durch Automatisierung
Während die Automatisierung in der Vergangen-                               in den nächsten 10 bis 20 Jahren marginalisiert
heit in erster Linie manuelle Arbeit ersetzt hat,                           werden. Auf Deutschland bezogen übersetzt eine
wird es in Zukunft immer häufiger möglich sein,                             Arbeit der Forschungsabteilung der ING Bank
auch intellektuelle Leistungen, also sogenannte                             (ING Diba 2015) dies in rund 600.000 betroffene
Wissensarbeit zu automatisieren (Autor 2015;                                Akademikerstellen (beispielsweise Routinetätig­
Smith/Anderson 2014). Der Begriff Wissens-                                  keiten im Bereich des Rechnungswesens und
arbeit beschreibt nach Definition des Instituts                             Controllings), die wegfallen könnten oder margi-
für Wissenstransfer der Universität Bremen die                              nalisiert würden.
intellektuelle Arbeit der qualifizierten Mitarbeiter
als eigenständigen Beitrag zum Unternehmens-                                In der Unternehmensbefragung Arbeitswelt
ergebnis gegenüber der materiellen Leistungser-                             4.0 von Stifterverband und McKinsey stimmen
bringung. Doch auch komplexere Aufgaben, die                                ­jedoch nur 39 Prozent der These zu, dass aka-
bisher strukturiertes Denken und fortgeschritte-                            demische Berufe automatisiert und Akademiker
ne Problemlösungsfähigkeiten erfordern, lassen                              durch Maschinen ersetzt werden (siehe Abbil-
sich zunehmend automatisieren. Was bedeutet                                 dung 1, Seite 8). Der Großteil rechnet weniger
dies für die Quantität akademischer Arbeit?                                 mit dem Verschwinden kompletter Berufsbilder,
                                                                            sondern vielmehr damit, dass nur bestimmte Tä-
                                                                            tigkeiten digitalisiert und durch neue Formen der
ARBEITEN AK ADEMIKER KÜNFTIG WENIGER                                        Mensch-Maschine-Interaktion verändert werden.
ODER ANDERS?                                                                So sagen drei Viertel der befragten Unterneh-
Noch ist nicht sicher, wie sich die Automatisierung                         men, dass administrative Arbeiten zunehmend
der Wissensarbeit und ihr Einfluss auf die Berufe                           automatisiert ablaufen werden (ebenda).

ABBILDUNG 5: AUTOMATISIERUNG VON TÄTIGKEITEN NACH BILDUNGSSTUFEN

Anteil der Tätigkeiten, die voraussichtlich durch Automatisierung ersetzt werden, nach Bildungsstufen (in Prozent)

Erwerbstätige mit ...
                                                                                                               Was bedeutet dies für deutsche Akademiker?
Promotion                                                       ~20                  ø 27 %
Universitäts- /
                                                                                                               10,8 Millionen erwerbs­tätige Akademiker
                                                                      ~30                                      in Deutschland 2014, davon 8,6 Millionen in
Hochschulabschluss
                                                                                                               ­Vollzeit und 2,2 Millionen in Teilzeit (übergreifend
Fachschul- /                                                                                                   ~0,6 Millionen Promovierte)
                                                                        ~35
Berufsakademieabschluss
Postsekundärer nicht tertiärer Bereich
                                                                                                               Durchschnittlich       27 Prozent der Tätig­
                                                                               ~50
(Berufsschulen, die Berufsabschlüsse vermitteln)                                                               keiten1 in derzeitigen Akademikerberufen, die
                                                                                                               wahrscheinlich automatisiert werden können
Sekundarbereich II
(Gymnasiale Oberstufe, Fachgymnasium)
                                                                                 ~55                           10 Stunden pro Arbeitswoche könnten rein
Sekundarbereich I                                                                                              rechnerisch durchschnittlich pro Akademiker in
                                                                                         ~70
(Haupt-/Realschulabschluss, Abendschule)                                                                       Deutschland durch Automatisierung frei werden,
                                                                                                               wenn sich der Arbeitsalltag sonst nicht ändert
                                                   0       20          40       60         80        100

1 Durchschnittsberechnung anhand der Anzahl von Promovierten und Erwerbstätigen mit akademischem Abschluss und Wahrscheinlichkeiten der ZEW-Studie

Quelle: Automatisierungswahrscheinlichkeit: ZEW 2015, Berechnungen für Akademiker: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen
14                                  HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

       BIS ZU 30 PROZENT DER TÄTIGKEITEN VON               stärker in die Arbeitswelt einbringen werden
       AK ADEMIKERN WERDEN ERSETZT                         (siehe These 8) und sie deshalb einen Teil der
       Auch eine Studie des Zentrums für Europäische       durch Digitalisierung freigewordenen Zeit für
       Wirtschaftsforschung (ZEW 2015) geht vom            Tätigkeiten außerhalb der Arbeit, die Vereinbar-
       Wegfall einer Vielzahl von Stellen aus. Das ZEW     keit von Familie und Beruf und gesellschaftliche
       prognostiziert, dass zwischen 20 und 30 Prozent     Teilhabe nutzen. Andererseits ist anzunehmen,
       der Tätigkeiten, die Akademiker regelmäßig          dass durch den Wegfall von Routinetätigkeiten
       ausüben, mit hoher Wahrscheinlichkeit automa­       das Niveau der Arbeit steigt und das Tätigkeits-
       tisiert werden können (siehe Abbildung 5). In der   spektrum komplexer wird. Ein Akademiker wird
       Annahme, dass sich der Arbeitsalltag ansonsten      mehr Zeit zur Verfügung haben, sich neuen,
       nicht verändert und man diese Zahlen auf den        anspruchsvollen Tätigkeiten zu widmen, wenn
       Arbeitsalltag deutscher Akademiker überträgt,       Routineaufgaben wie beispielsweise Daten-
       ergibt sich rein rechnerisch, dass rund zehn        aggregation, -aufbereitung und -auswertung
       Stunden in der Arbeitswoche eines Akademikers       wegfallen. Dies bedeutet zum Beispiel, dass ein
       durch Digitalisierung für neue Aufgaben oder        Journalist weniger Zeit damit verbringen muss,
       Freiräume zur Verfügung stehen könnten.             Daten aufzubereiten und zu analysieren. Statt-
                                                           dessen kann er sich verstärkt der investigativen
       Doch wird diese Zeit von zehn Stunden wirklich      Recherche und der Interpretation dieser Daten
       „freigespielt“ und Arbeit „entdichtet“ (im          widmen. Es bedeutet, dass ein Richter durch
       Vergleich zur Verdichtung der Arbeit in der Ver-    Algorithmen aggregierte Daten noch einmal
       gangenheit)? Es ist einerseits anzunehmen, dass     kritisch hinterfragen kann, bevor er sein Urteil
       junge Akademiker und zukünftige Arbeitnehmer-       über einen Fall spricht oder dass eine Personaler
       generationen ihre vor allem auf Work-Life-Ba-       mehr Zeit mit der gezielten Entwicklung der
       lance ausgerichteten Wertevorstellungen immer       Unternehmensmitarbeiter verbringen kann.

       3. These: Mit dem Siegeszug von Big Data durchdringen forschungsbasierte Tätigkeiten die Arbeits-
       welt und institutionelle Grenzen der Forschung werden durchlässig.

       Big Data und neue Formen der Datenauswertung        DIGITALE ANALYSETOOLS VERÄNDERN
       bieten großes Potenzial für Forschung und Er-       FORSCHUNG UND ARBEITSALLTAG
       kenntnisprozesse. Zum einen lassen sich Theorien    Viele Unternehmen können empirische Korrela­
       wesentlich schneller datengestützt überprüfen,      tionen in völlig ungeahntem Maße aufgrund
       zum anderen lassen sich aus großen Datenmen-        eines größeren verfügbaren Datenvolumens
       gen durch neuartige Verknüpfungen Hypothesen        und einer besseren Datenqualität herstellen –
       und Denkmodelle ableiten (siehe Abbildung 6). In    und damit nicht nur den zu beforschenden
       der Vergangenheit wurden Daten in erster Linie      Gegenstand, sondern auch die Art und Weise
       durch empirische Erhebungen in wissenschaftli-      der Forschung selbst weiterentwickeln. Beispiele
       chen Institutionen gewonnen und analysiert.         dafür sind

       Durch die Digitalisierung hat die Erhebung,         » 	Adaptive Learning: Plattformen wie Knewton
       Verarbeitung und Analyse von Daten im pri-              bieten die Möglichkeit, den Leistungsstand
       vatwirtschaftlichen Bereich einen enormen               von Schülern zu erfassen, zu analysieren und
       Zuwachs erfahren, der zu Veränderungen des              die Fachdidaktik in Hinblick auf Aufgaben
       Arbeitsalltags und der Geschäftsmodelle führen          und Wissensvermittlung entsprechend
       wird. Für die Forschenden bedeutet dies, dass sie       ­weiterzuentwickeln. Dadurch bieten sich
       neue Kompetenzen für ihre Forschungstätigkei-            neue Möglichkeiten der Lernforschung
       ten benötigen. Gleichzeitig werden Akademiker            jenseits der traditionellen Didaktik an Hoch­
       auch außerhalb von Wissenschaftseinrichtungen            schulen.
       zunehmend forschungs- beziehungsweise daten-        » 	Online-Gaming: Durch ein Computerspiel, bei
       basiert arbeiten.                                        dem Spieler Proteine in einer optimalen Weise
                                                                in eine 3-D-Struktur falten sollten, lösten zum
                                                                Beispiel Washingtoner Biochemiker innerhalb
                                                                weniger Tage das Rätsel um die Struktur eines
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                                         15

    Proteins in der AIDS-Forschung (CBC 2011).                              Für Hochschulen und Forschungseinrichtungen
    Online-Games schaffen neue Möglichkeiten                                werden private Partner immer wichtiger. Schon
    für citizen science, also eine Form der Wissen-                         heute gewinnen Kooperationen mittels Daten-
    schaft, bei der sich Bürger an Forschungspro-                           spenden an Bedeutung, bei denen Unternehmen
    jekten beteiligen.                                                      Wissenschaftseinrichtungen den Zugang zu Daten-
» 	eHealth-Apps: Anwendungen, die medizini-                                sätzen zur Verfügung stellen.
    sche Daten von Menschen mit bestimmten
    Erkrankungen erfassen, bieten die Möglichkeit,                          Dass Forschung zum Alltagsgegenstand wird,
    Therapien zu analysieren und den Nutzern                                zeigt auch die Entwicklung von Open-Science-
    medizinische Informationen zu geben. Durch                              Plattformen. Der Begriff open science (oder
    die Apps können wertvolle Daten gewonnen                                offene Wissenschaft) steht für den Gedanken,
    werden, welche die klinische Forschung ergän-                           Forschungsergebnisse und -methoden sowie
    zen und erweitern.                                                      Datensätze öffentlich verfügbar und weiter­

ABBILDUNG 6: DIGITALE METHODEN REVOLUTIONIEREN DIE FORSCHUNG

  Mehr als 90 Forschungsgruppen                         Softwarelösungen screenen             Aus mehr als 50 Mio. Forschungs-
 entwickeln Software für automati-                   Forschungsarbeiten nach Mustern           arbeiten weltweit können so die
    sierte Hypothesenentwicklung                                  oder Trends                 vielversprechendsten Forschungs-
                                                                                                hypothesen abgeleitet werden

Knowledge Integration Toolkit                      brainSCANr2                               IBM Watson Discovery Advisor3
(KnIT) – Kooperation zwischen Uni-                 »D
                                                     as Forscherpaar Bradley und            »M
                                                                                               it seinem Watson Discovery Ad-
versität und IBM1                                    ­Jessica Voytek entwickelt an der        visor hat IBM im August 2015 eine
» In einer retrospektiven Studie am                 University of California (San Diego)     kommerzielle Softwarelösung zur
 Baylor College of Medicine, Hous-                   die Software und Datenbank brain-        automatisierten Hypothesengene-
 ton (Texas) validierte Software im                  SCANr.                                   rierung auf den Markt gebracht.
 Jahr 2014 durch „Lesen“ von                       »b
                                                     rainSCANr ist in der Lage, durch       »W
                                                                                               atson Discovery Advisor screent
 186.879 Papers Proteine, die das                    Screenen von mehr als 20 Millionen       interne Unternehmens­daten und/
 Protein p53 modifizieren, welches                   Forschungsarbeiten, Zusammen-            oder verlinkt diese mit öffentlichen
 die Ausbreitung von Krebs hemmen                    hänge zwischen Gehirnregionen,           oder lizenziert Informationen.
 kann.                                               kognitiven Funktionen, Verhalten        »N
                                                                                               eue Informationen können aufge-
»D
  r. Olivier Lichtarge, Direktor des                und Krankheiten herzustellen.            nommen und gelernt werden.
 Centers: „Durchschnittlich lesen                  »D
                                                     ie Software hat so beispielsweise      » Daten und Zusammenhänge werden
 Forscher ein bis fünf Forschungs­                   neue Forschungsansätze für die           bewertet, bevor der Watson Disco-
 arbeiten an einem guten Tag, aber                   ­Migräneforschung identifiziert.         very Advisor Empfehlungen gibt.
 bei 70.000 Papers zu diesem
 ­Protein p53 bräuchte ein Forscher
 dafür 38 Jahre“.

1 Picton 2014;   2 BrainSCANr.com;   3 IBM.com; alle Webseiten aufgerufen am 21. März 2016

Quelle: Übergreifend: The Economist 2014
16                                               HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

       ABBILDUNG 7: WELTWEIT REGISTRIERTE NUTZER AUF DER OPEN-SCIENCE-
       PL ATTFORM ACADEMIA .EDU

       2014 – 2016 (in Millionen)

             70

                                                                                                       60
             60                                                          ~80.000
                                                                          zusätzliche
             50                                                         Registrierungen
                                                                           täglich 3

             40

                                                                      30                                                      ~ 9 Millionen
             30                                                                                                                Menschen
                                                                                                                           weltweit arbeiten
             20                                                                                                            in der Forschung 1

                                      10
             10

              0

                                   2014 2                           2015 3                           2016 4

       Quelle: 1 OECD.Stat: FTE in Science, Innovation and Technology (Durchschnittswerte 2010-13);   2 Openscience.org;
       3 Academia.edu/hiring;   4 Academia.edu (LinkedIn)

       verwendbar zu machen. Auf der Onlineplattform                               Wissensgenerierung. Wenn jedoch abseits der
       Academia.edu können Forscher beispielsweise                                 klassischen Forschungsorganisationen mit ihren
       im Open-Science-Format Forschungsarbeiten                                   etablierten Standards der Qualitätssicherung im-
       und Daten teilen oder den Einfluss ihrer Arbeit                             mer mehr Forschung betrieben wird, kommt der
       auf andere Nutzer verfolgen. Das kommt an:                                  Qualitätssicherung von privater Forschung und
       Academia.edu verzeichnet derzeit über 80.000                                dem kritischen Umgang mit Forschungserkennt-
       Neuregistrierungen pro Tag und rechnet im Jahr                              nissen eine immer größere Rolle zu.
       2016 mit bis zu 60 Millionen registrierten Nutzern
       (siehe Abbildung 7) – bei nur rund neun Millionen                           Für die Hochschulbildung bedeutet dies, weniger
       Menschen, die weltweit in der Forschung tätig                               lexikalisches Wissen zu vermitteln und stattdessen
       sind (Brown 2015).                                                          forschendes Lehren und Lernen und die Vermitt-
                                                                                   lung wissenschaftlicher Methodenkenntnisse zu
       Die wechselseitige Durchdringung und das Auf-                               stärken, um fundierten, wissenschaftsgeleiteten
       weichen institutioneller Grenzen in Forschung                               Erkenntnisgewinn auch inner- und außerhalb der
       und Entwicklung bieten große Chancen für die                                Wissenschaft zu ermöglichen.

       4. These: Die Nachfrage nach akademischen Qualifikationen steigt und für Akademiker entstehen
       neue, durch Mensch-Maschine-Interaktion und Digitalisierung geprägte Berufsbilder.

       Durch die Verwissenschaftlichung und Digita­                                Zukunft intensiver mit Hochschulen zusammen-
       li­sierung der Arbeitswelt sind akademische                                 arbeiten zu wollen, so das Ergebnis der Unterneh-
       Kom­petenzen schon heute gefragter denn je.                                 mensbefragung Arbeitswelt 4.0 (siehe Abbildung
       84 Prozent der Unternehmen in Deutschland ge-                               1, Seite 8). Das Institut für Arbeitsmarkt- und
       hen davon aus, dass Forschung für sie wichtiger                             Berufsforschung (IAB) schätzt, dass die Nachfra-
       wird. 58 Prozent der Unternehmen geben an, in                               ge nach Akademikern allein durch Industrie 4.0
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                                                   17

um 15 Prozent bis zum Jahr 2030 steigen wird.                              Berufsbilder unsere akademische Arbeitswelt
Der zusätzliche Bedarf an erwerbstätigen Akade-                            ergänzen (siehe Abbildung 8). ­Berufsbilder, die es
mikern steigt dadurch um 100.000 auf 800.000                               heute noch nicht gibt oder die heute noch unre-
Personen.                                                                  alistisch erscheinen, wie der Big-Data-Mediziner
                                                                           oder der Analyst für alter­native Onlinewährun-
                                                                           gen.
NEUE BERUFE WANDELN DIE ARBEITSWELT
Wegen der Digitalisierung und der neuen                                    Was bedeutet das für die Ausbildung? In Zukunft
Technologien der Industrie 4.0 entsteht dieses                             werden Akademiker noch weniger auf defi-
Nachfragewachstum nicht nur in bereits existie-                            nierte Tätigkeiten vorbereitet werden können.
renden Berufen, sondern auch in vielen neuen                               Neue Berufsfelder entstehen häufig an den
akademischen und akademisierten Berufsbildern.                             Schnittstellen der Disziplinen, insbesondere an
In der Unternehmensbefragung Arbeitswelt 4.0                               der Schnittstelle zur Informatik (beispielsweise
gehen 82 Prozent der deutschen Unternehmen                                 Bioinformatiker, IT-Ingenieure). Interdisziplinäre
davon aus, dass sich die Arbeitswelt 4.0 durch                             Kompetenzen gewinnen daher ebenso an Be-
das Entstehen neuer Berufe wandeln wird (siehe                             deutung, wie die Fähigkeit, sich neues Wissen
Abbildung 1, Seite 8).                                                     auf Feldern zu erschließen, in denen man nicht
                                                                           ausgebildet wurde.
Schon in den vergangenen Jahren sind neue
­Berufe entstanden, zum Beispiel der Analyst für
 Informationssicherheit oder der Digitalstratege.
 In den nächsten 10 bis 20 Jahren werden ­weitere

ABBILDUNG 8: NEUE BERUFE ENTSTEHEN

                   Exemplarische Berufe,                                              Exemplarische Berufe, die in den
              die es vor zehn Jahren nicht gab 1                                   nächsten zehn Jahren entstehen werden 2

                                     Datenforscher, IT                                                              Analyst für
                                    Forscher, der große                                                       Alternativ­währungen
                                    Mengen statistischer                                                Analyst, der Prognosen und Ana-
                                    Daten organi­sieren                                                 lysen für alternative, immaterielle
                                    und bewerten kann                                                      (Online-)Währungen erstellt

      Digitalstratege                                                                 Big-Data-Mediziner
  Experte, der langfristige                                                      Arzt, der sich auf die Analyse
  Ziele für das Unterneh-                                                        von Patientendaten und die
   men in Bezug auf die                                                          daraus resultierende Erken-
   digitale Welt definiert                                                      nung von Mustern spezialisiert

                                       Analyst für
                                Informa­tions­­sicherheit                                                 Berater für Privatsphäre
                             Experte, der mögliche Sicher-                                             Dienstleister, der seine Kunden
                                heitslücken identifiziert                                             im Bereich Privatsphäre ausbildet
                              und Sicherheitsvorschriften                                             und Maßnahmen zur Stärkung der
                                     implementiert                                                       Privatsphäre implementiert

Quelle: 1 Hubley Luckwaldt 2015;   2 Sparks and Honey 2013; AOL.com 2013
18                                              HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

       5. These: Immer mehr beruflich Qualifizierte benötigen akademische Qualifikationen,
       immer mehr Akademiker benötigen berufliches Wissen.

       Durch die digitale Unterstützung und Komple-                      (Stichwort Employability). Der Bedarf an Perso-
       mentierung menschlicher Tätigkeiten sowie die                     nen, die sowohl berufliche als auch akademische
       Automatisierung der Wissensarbeit verschieben                     Kompetenzen mitbringen, hat sich erhöht, ent-
       sich Anforderungsprofile hin zu höherwertigen                     sprechend sind neue Bildungsangebote wie etwa
       Tätigkeiten und erfordern vielfältigere Kom-                      duale Studiengänge entstanden. Darüber hinaus
       petenzportfolios. Auf diesen Trend reagiert                       gewinnen in einer sich rasant wandelnden Welt
       der Bildungsbereich schon heute. Die Zahl der                     Metakompetenzen eine besondere Bedeutung,
       Studienanfänger ist in den vergangenen Jahren                     um universell und flexibel auf neue Anforderungen
       kontinuierlich gestiegen, gleichzeitig besteht die                eingehen zu können. Diese Entwicklung verstärkt
       Erwartung, dass sich das Studium stärker als bisher               sich in der Zukunft, beispielsweise durch neue
       an den Arbeitsmarktanforderungen ausrichtet                       Produktionsformen in der Industrie. Die Unter-

       ABBILDUNG 9: VERSCHMELZUNG BERUFLICHER UND AK ADEMISCHER TÄTIGKEITEN

                      Produktion – heutiges Umfeld                                    Produktion – Industrie 4.0

                    Führungs- und Entwicklungsebene                               Integrierte und flexible Produktion
                                                                                       und Produktentwicklung
                           Ingenieure (white collar)

                                                        Aufgaben
                                                        » Planen
                                                        » Entscheiden
                                                        » Koordinieren
                                                        » Produkte
                                                           entwickeln

                              Produktionsebene

                              Lineare Produktion

                                                                              Integrierte Leitungs- und Produktionsebene
                                                                                  Verschmelzung von akademischen
                                                                                und beruflichen Tätigkeiten (grey collar)
                    Beruflich Ausgebildete (blue collar)

                                             Aufgaben                                                      Aufgaben
                                             »M
                                               anuelle Pro-                                               » Produkte entwickeln
                                              duk­tionsarbeit                                              » Koordinieren
                                             »B
                                               edienen von                                                » Entscheiden
                                              Maschinen                                                    Ȇ bergreifendes Steuern/
                                                                                                             Überwachen von Maschinen

       Quelle: Spath et al. 2013; Manpower Group 2013
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                                                         19

ABBILDUNG 10: DIE AK ADEMISIERUNG VON GESUNDHEITSBERUFEN

Anzahl Studierender in Deutschland in Gesundheitsberufen WS 2005/06 und WS 2014/15

Hochschulabschluss notwendig                                                                                           2005/06          2014/15

                                                                                                                                  80.000
  Traditionelle
Medizinberufe z. B.
 Humanmedizin                                                                                                                              88.000

Hochschulabschluss nicht erforderlich, aber möglich

                                       9.000                                                                         3.000

   Gesundheits-                                                 31.000          Nicht ärztliche                                             10.000
   management                                                                     Heilberufe

                                       3.000                                                                                     2.0000

      Pflege-                                                   11.000         Therapieberufe,                                              3.000
    management                                                                z. B. Gesundheits-
                                                                                   pädagogik

Weitere Gesundheitsberufe mit möglichem Hochschulabschluss

   Hebammen/                         Traditionelle
Entbindungspflege1                  Pflegeberufe 1

1 Einzelne Studiengänge vorhanden, jedoch bisher ohne relevante Studierendenzahlen
Quelle: Für Einschätzung der benötigten Qualifizierung: Wissenschaftsrat 2012, Studierendenzahlen: Statistisches Bundesamt

nehmensbefragung Arbeitswelt 4.0 zeigt, dass vier                            tion in kleinen Stückzahlen, die Individualisierung
von fünf Unternehmen davon ausgehen, dass neue                               der Produktion und die zeitliche Verschränkung
Produkte entstehen werden, die neues Wissen in                               von Produktentwicklung und Produktion ermögli-
der internen Produktentwicklung voraussetzen.                                chen, werden zum Normalfall (siehe Abbildung 9).
Genauso viele Unternehmen geben an, dass sich
neue Produktionsverfahren und -technologien                                  Für die Mitarbeiter in einem Produktionssystem
etablieren werden (siehe Abbildung 2, Seite 9).                              bedeutet dies, dass sich ihre Aufgaben und An-
                                                                             forderungen ändern und erweitern. Sie müssen
Während sich die bisherige Produktion in der                                 sich vermehrt auf neue Aufgaben einstellen und
Regel durch Linearität, vorgelagerte Produktent-                             befähigt werden, Daten zu interpretieren und da-
wicklung und eine klare Aufgabentrennung von                                 tenbasierte Entscheidungen zu treffen. Für eine
Management und operativer Ebene auszeichnet,                                 in die Produktion integrierte, agile Produktent-
sieht Produktion in der Industrie 4.0 anders aus:                            wicklung benötigen die Produktionsarbeiter ein
Vernetzte, intelligente Systeme, IT-gestützte                                tiefer gehendes Wissen über das Produkt und ein
Planung, Steuerung und Kontrolle sowie modulare                              ganzheitliches Verständnis der Produktionspro-
und flexible Produktionssysteme, die die Produk-                             zesse (Spath et al. 2013).
20                                             HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

       ABBILDUNG 11: MEHR BERUFLICH QUALIFIZIERTE

       Studierende in Deutschland nach Art ihres Hochschulzugangs, WS 2006/07 und WS 2014/15 (in Millionen)

            3,0

            2,5                                  +12% p. a.
                                                                                 0,4

            2,0
                                   0,2

             1,5                                   +3% p. a.

                                                                                 2,3
            1,0
                                    1,8                                                             Beruflich Qualifizierte und Studierende in
                                                                                                    Teilzeit-, Weiterbildungs- oder Fernstudium

            0,5
                                                                                                    Studierende mit Abitur im
                                                                                                    Vollzeitstudium

              0

                                   WS 2006/07                         WS 2014/15

       Quelle: Statistisches Bundesamt (Sonderauswertung); eigene Berechnungen

       AK ADEMISIERUNG SCHREITET VORAN                                           mehr Arbeitnehmer für ihre Berufstätigkeit
       Durch diese Entwicklung verschwimmen                                      anwendungsorientiertes akademisches Wissen
       zunehmend Laufbahnkorridore im unteren                                    benötigen.
       ­akademischen und oberen beruflich ausge-
        bildeten Bereich. Dies ist beispielsweise im                             Mit einer steigenden Akademisierung des Ar-
        Gesundheitswesen ein auffälliges Phänomen,                               beitsmarktes in der Arbeitswelt 4.0 steigt der Be-
        in dem heute bereits viele Studiengänge in                               darf an Studienangeboten für Personen, die sich
        Bereichen angeboten werden, für die vormals                              nicht direkt nach dem Abitur immatrikuliert haben
        eine Ausbildung ausreichend war (siehe Ab-                               oder ohne Abitur studieren möchten. Gerade der
        bildung 10). Auch ein BWL-Bachelorabsolvent                              Anteil Studierender ohne Abitur, aber mit vorhe-
        mit Schwerpunkt Versicherungswesen oder                                  riger Berufserfahrung, hat sich in Deutschland
        ein beruflich ausgebildeter Versicherungsfach-                           seit dem Jahr 2006 bereits verdoppelt (siehe
        mann können – das ist allerdings nicht ganz                              Abbildung 11). Für Hochschulen bedeutet dies,
        neu – im selben Berufsfeld Anstellung finden.                            dass sie ihre Studiengänge stärker an individuelle
        Diese V
              ­ erschmelzung von akademischen und                                Voraussetzungen und Wissensbestände und indi-
        beruflichen Tätigkeiten bedeutet, dass immer                             viduellere Bildungsziele anpassen müssen.

       6. These: Lernen prägt das neue Arbeiten und Arbeiten prägt das neue Lernen.

       Angesichts der sich immer rasanter verändern-                             ßen wurde, erlebt mit der Arbeitswelt 4.0 eine
       den Berufsbilder in der Arbeitswelt 4.0 werden                            Renaissance und neue Intensität. Recurrent lear-
       kontinuierliches Lernen und Weiterentwicklung                             ning soll die Schwächen einer Weiterbildungs­
       ein fester Bestandteil des Berufsalltags. Die                             praxis beheben, bei der aufeinanderfolgende
       Diskussion um lebenslanges Lernen, die durch                              punktuelle Fortbildungen kaum inhaltlich
       die Organisation für wirtschaftliche Zusammen­                            aufeinander aufbauen und sich auch der Zusam-
       arbeit und Entwicklung (OECD) mit recurrent                               menhang zum Berufsalltag der Teilnehmer häufig
       learning bereits in den 1970er-Jahren angesto-                            nicht erschließt.
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0                                                                                     21

ABBILDUNG 12: WIE WERDEN SICH WEITERBILDUNGS­A NGEBOTE IN DEN NÄCHSTEN
DREI JAHREN ENTWICKELN?

Antworten mit „wird stark zunehmen“ und „wird etwas zunehmen“, 2015 (in Prozent)

Weiterbildungsveranstaltungen werden in
Form von Blended Learning 1 angeboten                                                                                                                             83
Individuelle Vor- und Nachbereitung

Modularisierung von Weiterbildungsange-
                                                                                                                                                             77
boten, die im Arbeitsalltag angeboten werden

Qualifizierungen werden zunehmend
als Lernen am Arbeitsplatz und während                                                                                                                  74
des Arbeitsprozesses organisiert

Deutliche Verkürzung der Präsenzzeiten
                                                                                                                                                   71
durch online- und webbasiertes Lernen
                                                                          0         10       20        30        40         50           60   70             80        90   100

1 Blended Learning: Fachbegriff für Lernformate, bei denen Online- und Offlinemethoden in integrierter Weise miteinander verknüpft werden
Quelle: Wuppertaler Kreis e. V. Bundesverband betriebliche Weiterbildung 2015

In der Arbeitswelt 4.0 wandeln sich Lernen                                      Ausbildung der Aspekt Arbeit zunehmend in den
und Arbeiten zu einem integrierten System mit                                   Lernprozess an Hochschulen integriert. Neue,
theoretischen und praktischen Komponenten.                                      erfolgreiche didaktische Konzepte verknüpfen Er-
Dies wird vor allem durch alternative Formate und                               fahrungen an unterschiedlichen Lernorten oder
Methoden ermöglicht, die bisher nicht flächen-                                  trainieren akademische Kompetenzen an realen
deckend angewendet werden. Dabei gewinnen                                       Fällen aus dem Arbeitsalltag. Beispiele dafür sind:
beispielsweise Onlineformate für die flexible Mög-                              » 	Problem-based learning: Problemorientierter
lichkeit der Weiterbildung an Bedeutung. Mit ihnen                                  Zugang zu Lerninhalten mit dem Ziel, durch
wird lebenslanges Lernen möglich, ohne zwingend                                     möglichst authentisch konstruierte Probleme
die Arbeit zu unterbrechen. Und auch der Feld-                                      fachliche, soziale, personale und methodische
und-Forum-Ansatz, ein Ansatz mit Workshops                                          Kompetenzen zum konkreten Handeln hin zu
über einen längeren Zeitraum hinweg, setzt bei-                                     entwickeln (Reich 2003).
spielsweise gezielt darauf, in einer Weiterbildung                              » 	Service learning/Lernen durch Engagement:
theoretisch Erlerntes schnell und agil exemplarisch                                 Methode, um gesellschaftliches Engagement
in der Praxis zu üben, um es dann in der Breite der                                 mit fachlichem Lernen zu verbinden. Der
opera­tiven Tätigkeiten anzuwenden. Der Ansatz                                      Begriff wurde in den 1960er-Jahren in den
integriert damit die Vermittlung von Theorie und                                    USA geprägt. Die Methode wird auch von
Praxis. In einer aktuellen Umfrage des Wupperta-                                    deutschen Hochschulen verwendet. Service
ler Kreises in Bezug auf berufliche Weiterbildung                                   learning kann in allen Studiengängen einge-
geben 74 Prozent der Verbandsunternehmen an,                                        setzt werden und ermöglicht eine problem-
dass eine solche Integration in Zukunft (stark)                                     und handlungsorientierte Lehre sowie die
zunehmen wird (siehe Abbildung 12).                                                 Möglichkeit der Anwendung und Vertiefung
                                                                                    wissenschaftlich-theoretischer Inhalte und
                                                                                    des Erwerbs von Schlüsselkompetenzen bei
LERNFORMATE FÜR DIE VERKNÜPFUNG                                                     den Studierenden (Berthold et al. 2010).
VON ARBEIT UND LERNEN                                                           » 	Case-based learning: Basierend auf dem
Während das Berufsleben durch die Notwendig-                                        Lösen von Problemstellungen, die sich auf
keit des kontinuierlichen Lernens bestimmt und                                      Fallstudien aus dem echten (Berufs-)Leben
weiterentwickelt wird, wird in der akademischen                                     beziehen, lernen Studierende Inhalte zu
22                                  HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016

           synthetisieren und zu bewerten und Informa-        dual Studierenden in Deutschland ist in den
           tionen und Konzepte, die sie in der Vorlesung      vergangenen Jahren kontinuierlich angestie-
           gelernt haben, darauf anzuwenden (Stanford         gen, dies zeigt auch der Hochschul-Bildungs-
           University 1994).                                  Index in Kapitel 3.4. Unternehmen investierten
       » 	Lernen an zwei Lernorten: Als duales Stu-          2012 rund 950 Millionen Euro in das duale
           dium wird ein Studium an einer Universität,        Studium (Konegen-Grenier/Winde 2012).
           Fachhochschule, Dualen Hochschule oder Be-
           rufsakademie bezeichnet, das entweder eine       In der digital geprägten Wissensgesellschaft ver-
           Berufsausbildung integriert oder curricular      ändert die Integration von Lernen und Arbeiten
           verankerte Praxisphasen in einem Unterneh-       die Arbeitswelt und akademische Bildungsinsti-
           men vorsieht. Von klassischen Studiengängen      tutionen gleichermaßen. Wie in der Forschung
           unterscheidet es sich durch einen höheren        werden auch in der Bildung institutionelle
           Praxisbezug. Kennzeichnend sind außerdem         Grenzen durchlässiger, Kooperation gewinnt
           die beiden Lernorte Hochschule und Betrieb.      zunehmend an Bedeutung; das Feld der Wissens-
           Die Anzahl der dualen Studiengänge und der       institutionen wird insgesamt heterogener.

       7. These: In der Arbeitswelt 4.0 trifft höhere Eigenverantwortung
       auf neue Formen der Kollektivarbeit.

       Die Arbeitswelt 4.0 ist geprägt von neuen            Firmengründungen für attraktiv. Sie sind dazu
       Formen der Arbeitsorganisation und -vertei­          auch risiko-averser und schätzen ihre eigene
       lung einerseits und von Veränderungen in             Befähigung zum Gründen als schlechter ein (Ih-
       Wertschöpfungsprozessen andererseits. Die            sen et al. 2014). Frauen haben deshalb nur einen
       klassische Wertschöpfungskette wird abgelöst         Anteil von 28,9 Prozent an den Unternehmens-
       von (fluiden) Wertschöpfungsnetzwerken.              gründungen in Deutschland.
       Disziplinäre und institutionelle Zusammenarbeit
       nimmt zu, Branchen wachsen zusammen, das             Insgesamt hat sich seit dem Jahr 2004 die An-
       Verhältnis von Produzenten und Konsumenten           zahl der Soloselbstständigen in Deutschland um
       verändert sich (BDI 2015). Politik und Wissen-       45 Prozent auf 1,47 Millionen Menschen 2013
       schaft prognostizieren gleichermaßen einen           erhöht, Tendenz weiter steigend. Umfragen des
       rapiden Anstieg von vernetzten und kollektiven       Selbstständigen-Netzwerks Upwork deuten dar-
       Arbeitsformen und einen häufigeren Wechsel           auf hin, dass auch die Attraktivität und das bisher
       zwischen Phasen der Selbstständigkeit und der        noch geringe Ansehen der Soloselbstständigkeit
       abhängigen Beschäftigung. Damit sind nicht sel-      in den vergangenen Jahren gewachsen sind
       ten neue Formen von Beschäftigung verbunden          (Elance-oDesk 2014). Der Anstieg der Zahl von
       (übergreifend siehe BMAS 2015).                      Soloselbstständigen drückt sich insbesondere
                                                            in beständig wachsenden Onlineplattformen
       Diese Entwicklung manifestiert sich schon heute      aus, auf denen sie sich organisieren und koope-
       zum Beispiel im rasanten Anstieg der sogenann­       rieren. Nicht nur Netzwerke, die einfachere
       ten Soloselbstständigkeit. Der Begriff bezeichnet    Hilfs- und Handwerkstätigkeiten vermitteln
       Selbstständige ohne Mitarbeiter. Diese Arbeits-      (wie der Fahrdienst Uber oder Helpling, eine
       form hat bereits in den vergangenen Jahren           Vermittlungsplattform für Reinigungskräfte),
       stark an Bedeutung gewonnen – einerseits unter       erleben einen rasanten Zuwachs, sondern auch
       ökonomischen Zwängen (Stichwort: Schein-             Selbstständigen-Plattformen wie Upwork,
       selbstständigkeit), andererseits durchaus auch       deren vermittelte Tätigkeiten hauptsächlich
       als präferierte Berufsform, denn es zeigt sich,      akademisch geprägt sind, wie zum Beispiel
       dass sich (Solo-)Selbstständige (oder auch Grün-     Webentwicklung, journalistische Tätigkeiten
       der) nicht nur durch höhere Risikobereitschaft,      oder Beratung. Das Wachstum zeigt sich sowohl
       sondern insbesondere durch Innovationsfreu-          bei den registrierten Selbstständigen als auch
       digkeit, Kreativität und starkes Streben nach        bei den nutzenden Unternehmen – die Zahl der
       Selbstverwirklichung auszeichnen. Dabei zeigen       globalen Registrierungen hat sich bei Upwork
       sich deutliche Unterschiede zwischen Frauen          seit 2012 mit 14 Millionen mehr als verdoppelt
       und Männern: Weniger Frauen als M   ­ änner halten   (siehe Abbildung 13). Mit einem Wachstum von
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