Ifo Dresden berichtet 5/2015 - ifo.de
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5/2015 www.ifo-dresden.de ifo Dresden berichtet Aktuelle Forschungsergebnisse Sabine Gralka und Julia Heller Der Gang zur Wahlurne: Beweggründe für die politische Partizipation Jan Kluge und Gunther Markwardt Wahlkampf auf Gemeindekosten: Politische Budgetzyklen in sächsi- schen Gemeinden Christian Ochsner Sonderprogramm – sachsenfrei? KfW-Mittelstandsbankkredite nach regionaler Gliederung Stefanie Gäbler Gekommen, um zu bleiben – Fiskalische Effekte ausländischer Studierender in Deutschland Im Blickpunkt Joachim Ragnitz Keine Kohle, keine Zukunft? Daten und Prognosen Regionalisierung des ifo Konjunkturtests Arbeitsmarktentwicklung in Sachsen
ifo Dresden berichtet ISSN 0945-5922 22. Jahrgang (2015) Herausgeber: ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschafts- forschung an der Universität München e. V., Niederlassung Dresden, Einsteinstraße 3, 01069 Dresden, Telefon: 0351 26476-0, Telefax: 0351 26476-20 E-Mail: dresden@ifo.de Internet: http://www.ifo-dresden.de Redaktion: Joachim Ragnitz Technische Leitung: Katrin Behm Vertrieb: ifo Institut, Niederlassung Dresden Erscheinungsweise: zweimonatlich Bezugspreis jährlich: 25,00 € Preis des Einzelheftes: 5,00 € Preise einschl. Mehrwertsteuer, zzgl. Versandkosten Teilnehmer an regelmäßigen ifo Umfragen erhalten einen Rabatt. Grafik Design: © ifo Institut München Satz und Druck: c-macs publishingservice Dresden Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): Nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplares.
Inhalt 1 ifo Dresden berichtet 5/2015 Aktuelle Forschungsergebnisse Der Gang zur Wahlurne: Beweggründe für die politische Partizipation 3 Sabine Gralka und Julia Heller Die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 lag in den ostdeutschen Bundesländern weiterhin deutlich hinter dem Beteiligungsergebnis für Westdeutschland. In diesem Beitrag werden mögliche Ein- flussfaktoren auf die Wahlpartizipation untersucht. Die Auswertungen der Allgemeinen Bevölkerungs- umfrage der Sozialwissenschaften 2014 zeigen, dass entgegen weitverbreiteter Einschätzung das Politik- interesse der Bürger in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist und zunehmend mehr Menschen ein politisches Engagement ausüben, wodurch die Wahlbeteiligung positiv beeinflusst werden sollte. Gleichzeitig glauben aber immer mehr Befragte, dass ihre tatsächlichen Einflussmöglichkeiten auf das Politikgeschehen gering sind, vor allem in Ostdeutschland. Die Erwartung ostdeutscher Wähler, durch Beteiligung an politischen Wahlen Entscheidungen der Politik ohnehin nicht beeinflussen zu können, kann als ein Erklärungsfaktor für die geringere Wahlbeteiligung dienen. Wahlkampf auf Gemeindekosten: Politische Budgetzyklen in sächsischen Gemeinden 17 Jan Kluge und Gunther Markwardt Gewählte Lokalpolitiker befinden sich häufig in einem Zielkonflikt: Einerseits wollen sie verantwortungs- volle politische Entscheidungen treffen. Andererseits haben Mandatsträger auch ein Wiederwahlinteresse. Beide Ziele können vereinbar sein; mitunter sind sie aber nicht in Einklang zu bringen. Politiker haben die Möglichkeit, z. B. das öffentliche Budget in einer Weise zu verwenden, die ihnen unmittelbar vor Wahl- terminen die Gunst der Wähler einträgt. So lassen sich notwendige Investitionen, z. B. in die Infrastruktur oder die öffentliche Kinderbetreuung, um einige Zeit verschieben, um sie an den Wahlkalender anzupas- sen. Dadurch können politische Budgetzyklen entstehen, indem die Ausgaben vor und in Wahljahren stei- gen und nach den Wahlen wieder zurückgefahren werden. In unserer Untersuchung für die sächsischen Gemeinden im Zeitraum von 1994 bis 2010 finden wir, dass insbesondere Parteien, die eine absolute Mehrheit im Gemeinderat haben und daher Budgetentscheidungen im Alleingang treffen können, dazu neigen, politische Budgetzyklen zu verursachen. Bei stärkerem politischem Wettbewerb in den Gemein- deräten kontrollieren sich die Parteien gegenseitig; daher sind in solchen Gemeinden keine wahlbezoge- nen Zyklen zu beobachten. Sonderprogramm – sachsenfrei? KfW-Mittelstandsbankkredite nach regionaler Gliederung 25 Christian Ochsner Die Kreditanstalt für Wiederaufbau – kurz KfW – fördert seit über 60 Jahren die deutsche Wirtschaft mit Darlehen zu vergünstigten Konditionen. Dabei fördert der Geschäftsbereich KfW-Mittelstandsbank insbe- sondere den deutschen Mittelstand sowie Existenzgründer. Dieser Artikel veranschaulicht die regionale Gliederung der Kreditzusagevolumen der KfW-Mittelstandsbank. Während in den Jahren vor der Finanz- und Wirtschaftskrise das Kreditvergabevolumen nur gemächlich wuchs, ist es infolge verschiedenster Sonderprogramme seit 2009 förmlich explodiert. Damit einhergehend kam es auch zu Verschiebungen der regionalen Verteilung des Kreditvolumens. Ostdeutsche Flächenländer überholten bezüglich der zu- gesprochenen Unternehmenskredite die westdeutschen Bundesländer. Hingegen riefen Unternehmen aus Sachsen kaum Kredite aus diesen Sonderprogrammen ab. Damit erklärt sich der relative Rückgang der Kreditzusagen an sächsische Unternehmen durch die KfW-Mittelstandsbank im Vergleich zu anderen (ostdeutschen) Bundesländern. ifo Dresden berichtet 5/2015
2 Inhalt Gekommen, um zu bleiben – Fiskalische Effekte ausländischer Studierender in Deutschland 32 Stefanie Gäbler Durch die gebührenfreie Hochschulausbildung in Deutschland entstehen der öffentlichen Hand mit jedem Studierenden Ausgaben. In diesem Artikel wird untersucht, wie lange ein ausländischer Absolvent nach Abschluss des Studiums in Deutschland erwerbstätig bleiben müsste, bis die gezahlten Steuern die öf- fentlichen Ausgaben der Hochschulausbildung ausgleichen. Dabei werden Unterschiede zwischen den Studienfächern sowohl hinsichtlich der Ausbildungskosten als auch der späteren Erwerbseinkommen berücksichtigt. Die minimale Erwerbszeit für ein durchschnittliches Universitätsstudium in Rechts-, Wirt- schafts- und Sozialwissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften, Humanmedizin und Gesund- heitswissenschaften und Ingenieurwissenschaften liegt bei knapp unter zehn Jahren, nur bei den Sprach- und Kulturwissenschaften liegt die minimale Erwerbsdauer etwas höher. Im Blickpunkt Keine Kohle, keine Zukunft? 43 Joachim Ragnitz Die Bundesregierung hat sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt; bis zum Jahr 2050 soll der CO2-Aus- stoß gegenüber dem Basisjahr 1990 um bis zu 95 % sinken. Dies ist nur erreichbar, wenn auf die Braun- kohleverstromung in Deutschland mittelfristig verzichtet wird. Insoweit gibt es einen kaum zu lösenden Gegensatz zwischen den Klimaschutzzielen der Bundesregierung und dem Interesse der Landesregie- rungen von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, die an der energetischen Nutzung der heimi- schen Braunkohlevorkommen bis auf Weiteres festhalten wollen und hierfür neben energiepolitischen Zie- len vor allem strukturpolitische Belange geltend machen. Da davon auszugehen ist, dass schon aufgrund aufkeimender gesellschaftlicher Widerstände die Braunkohleverstromung in Deutschland nur noch be- grenzte Zeit aufrechterhalten werden kann, sollte bereits jetzt damit begonnen werden, neue Wirt- schaftsstrukturen in den betroffenen Regionen aufzubauen. Hierfür sind entsprechende Förderprogramme zu initiieren, damit ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Braunkohlewirtschaft gelingen kann. Daten und Prognosen Ostdeutsche Wirtschaft mit positiver Wirtschaftsentwicklung im dritten Quartal: ifo Geschäftsklimaindex im September 2015 46 Robert Lehmann Der sächsische und der ostdeutsche Arbeitsmarkt im September: Leichte Zunahme der Dynamik 49 Michael Weber Aus der ifo Werkstatt ifo Veranstaltungen 52 ifo Vorträge 53 ifo Veröffentlichungen 54 ifo intern 54 ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse 3 Der Gang zur Wahlurne: Beweggründe für die politische Partizipation Sabine Gralka und Julia Heller* Einleitung auch eigenes politisches oder ehrenamtliches Engage- ment. Nach verbreiteter Auffassung garantiert in einer parla- Vor dem Hintergrund eines offenkundig strukturellen mentarischen Demokratie nur eine hinreichend hohe Be- West-Ost-Unterschiedes in der Wahlbeteiligung werden teiligung der Bürger an politischen Wahlen, dass die Re- mit den folgenden Auswertungen ausgewählte Partizipa- gierung die politischen Vorstellungen der Mehrheit der tionsmotive für Ost- und Westdeutschland genauer ana- Bevölkerung repräsentiert.1 Allgemein wird in der politik- lysiert. Es soll untersucht werden, welche Beweggründe wissenschaftlichen, ökonomischen und soziologischen der politischen Partizipation durch die eigene Stimmen- Literatur eine hohe Wahlbeteiligung als Zeichen für ein abgabe zugrunde liegen und wie diese zur Erklärung des ausgereiftes Demokratieverständnis und eine aktive Be- unterschiedlichen Wahlbeteiligungsergebnisses beitra- teiligung der Bevölkerung am politischen System gesehen gen können. Hierfür wird die Allgemeine Bevölkerungs- [vgl. SCHäFER (2009)]. In diesem Zusammenhang stellt umfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) ausgewertet, die im langfristigen Trend sinkende Wahlbeteiligung in die Aussagen über den Zusammenhang von Wahlbeteili- Deutschland auch weiterhin in regelmäßigen Abständen gung und bestimmten soziodemographischen Charak- ein reges Diskussionsthema dar. teristika der Wahlberechtigten (z. B. Alter, Geschlecht So ließen seit den 1970er-Jahren, über rund drei Jahr- oder auch Bildungsniveau) erlaubt. zehnte hinweg, immer mehr Bürger bei Bundestags-, Landtags-, Kommunal- oder auch Europawahlen ihr Recht zu wählen ungenutzt [vgl. SCHäFER (2009)]. Erst am aktu- Bisheriger Stand der Wahlforschung ellen Rand, wie etwa bei der Bundestagswahl 2013, konnte eine wieder leicht ansteigende Wahlbeteiligung Für den Normalbürger ist die Beteiligung an allgemeinen beobachtet werden [vgl. DER BUNDESWAHLLEITER (2015)]. Wahlen die wichtigste Form einer Teilhabe am politischen Allerdings gibt es dabei deutliche regionale Unter- Willensbildungsprozess. Basierend auf Überlegungen zum schiede: So liegt die Wahlbeteiligung in den ostdeutschen individuellen Nutzenkalkül bei der Entscheidung für oder Bundesländern weit unter derjenigen für Westdeutsch- gegen eine Stimmabgabe legte DOWNS (1957) den Grund- land (vgl. Abb. 1). Mit Ausnahme weniger Wahlkreise, vor stein der ökonomischen Wahlforschung mit dem von ihm allem im Umland von Dresden und Berlin, beteiligten sich herausgearbeiteten „Wahlparadoxon“. Dieses Paradoxon bei der letzten Bundestagswahl 2013 (teilweise deutlich) besteht in dem Widerspruch zwischen der theoretisch weniger als 70 % der Wahlberechtigten an der Stimmab- hergeleiteten Schlussfolgerung, dass Nichtwählen für einen gabe. In den Wahlkreisen Westdeutschlands lag die Wahl- rationalen Akteur die überlegene Alternative ist, und der beteiligung hingegen zumeist zwischen 70 % und 75 %. empirischen Beobachtung, dass ein großer Teil der Bür- Vor allem im Umkreis größerer Städte liegen die Ergeb- ger tatsächlich wählen geht. Während nämlich die Betei- nisse sogar nochmals deutlich höher. Die unterschiedlich ligung an einer Wahl mit Opportunitäts-, Informations- hohe Wahlbeteiligung wird zum Beispiel durch Faktoren und Entscheidungskosten verbunden ist, ist der damit wie regionale Unterschiede bei der Zufriedenheit der verbundene individuelle Nutzen nahezu Null, da eine ein- Wähler mit den Kompetenzen der Parteien oder dem zelne Stimme für den Wahlausgang mit hoher Wahr- unterschiedlich stark ausgeprägten Gefühl erklärt, durch scheinlichkeit bedeutungslos ist. Ein rationaler Entschei- politische Parteien überhaupt noch vertreten zu werden der wird sich daher nicht an Wahlen beteiligen. [vgl. BECKER (2005)]. Das Wahlparadoxon lässt sich nur auflösen, wenn Darüber hinaus werden in der Literatur weitere Ein- nicht-ökonomische Motive als Determinante der Wahl- flussfaktoren auf die Wahlbeteiligung diskutiert, welche beteiligung zugelassen werden – so z. B. eine ethisch- vornehmlich auf dem individuellen Nutzenkalkül bei der Wahlentscheidung beruhen. Diese Wirkungskanäle um- fassen insbesondere die subjektive Einschätzung der * Sabine Gralka ist Doktorandin am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Technischen Universität Dresden. Julia Hel- Wahlberechtigten hinsichtlich der Bedeutung ihrer eige- ler ist Doktorandin der Niederlassung Dresden des ifo Institut – Leibniz- nen Stimme, den Grad der politischen Informiertheit oder Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. ifo Dresden berichtet 5/2015
4 Aktuelle Forschungsergebnisse Abbildung 1: Endgültiges Ergebnis der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 nach Wahlkreisen Quellen: Geodaten: © GeoBasis-DE / BKG (2011), Wahlbeteiligung: Der Bundeswahlleiter (2015), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. moralisch begründete Selbstverpflichtung, sich an Wah- pretiert, dass Individuen mit einem höheren Bildungs- len zu beteiligen oder ein hierauf gerichteter Druck des niveau geringere Kosten der Wahlentscheidung aufweisen persönlichen Umfelds. Hiervon ausgehend lässt sich dann [vgl. KAM und PALMER (2008)]. Weitere, zumeist empirisch die Frage stellen, welche Faktoren die Entscheidung für geprägte Arbeiten fokussieren sich auf ausgewählte Wir- oder gegen eine politische Partizipation mittels Beteiligung kungskanäle, wie z. B. die Wahlteilnahme aus ethischer an einer Wahl auf der individuellen Ebene beeinflussen. Verpflichtung [vgl. u. a. GERBER et al. (2008), MATLAND und Ein wichtiger Ansatzpunkt dabei ist es, die offensichtliche MURRAy (2015)], die Kosten der Informationsbeschaffung Heterogenität der Wahlberechtigten zu berücksichtigen. [vgl. BONAPARTE und KUMAR (2013), LACy und NIOU (2012)], Im Blickpunkt der Untersuchungen steht u. a. der Ein- das vorhandene politische Grundwissen [vgl. HOOGHE und fluss des Bildungsniveaus [LOCHNER (2010)]. Typischer- DASSONNEVILLE (2011), NORDIN (2014)] oder aber auch auf weise wird diese (positive) Beziehung dahingehend inter- den Einfluss von Wahlkampagnen und Medien [für das ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse 5 Beispiel von Fox News in den USA vgl. DELLAVIGNA und rung zu klein wird, sind die Befragten aus den ostdeut- KAPLAN (2007)]. schen Bundesländern überproportional in der ALLBUS- Eine umfassende Betrachtung mit mehreren Wirkungs- Stichprobe vertreten. Um Aussagen für Gesamtdeutsch- kanälen wird innerhalb der Literatur nur vereinzelt durch- land treffen zu können, werden die im ALLBUS-Daten- geführt, jedoch wiederholt empfohlen [vgl. HyLLIGUS (2005), satz bereitgestellten Gewichtungsvariablen verwendet MARTHENS und GAINOUS (2013)]. Einen Ansatz diesbezüg- [vgl. ALLBUS (2014b)]. lich liefern KÜHNEL und FUCHS (1994). Sie zeigen, dass insbesondere die unterschiedlichen Einschätzungen der Kompetenzen und politischen Maßnahmen der Parteien Mögliche Einflussfaktoren auf die Wahlbeteiligung oder Kandidaten als auch die wahrgenommene Teilnah- meverpflichtung, begründet durch die Erwartungshaltung Bedeutung der eigenen Stimme des sozialen Umfeldes sowie durch die individuelle Selbst- verpflichtung, die Wahlabsicht im besonderen Maße be- Von besonderem Interesse ist die empirische Untersu- einflussen. chung zur individuellen Einschätzung der Bedeutung der eigenen Stimme bei einer Wahl. Je höher das Individuum die Relevanz der eigenen Stimme einschätzt, desto eher Datengrundlage wird es geneigt sein, tatsächlich zur Wahl zu gehen. Ent- sprechend dem zuvor angesprochenen Paradoxon des Zur Beantwortung der genannten Fragestellungen wird Wählens hat die einzelne Stimme jedoch eine praktisch auf Daten des GESIS INSTITUTES FÜR SOZIALWISSENSCHAF- zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit, den Wahlaus- TEN (GESIS) zurückgegriffen. Im Mittelpunkt der Auswer- gang zu entscheiden. Es ist allerdings nicht ausgeschlos- tung steht der von GESIS bereitgestellte Datensatz „All- sen, dass die Wähler ihre Einflusswahrscheinlichkeit selbst gemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ anders einschätzen. Insbesondere vor dem Hintergrund (ALLBUS). Dieser besteht aus seit 1980 alle zwei Jahre der immer stärker werdenden medialen Aufforderungen, erhobenen, repräsentativen Querschnittsumfragen bezüg- wählen zu gehen, mit Betonung auf der Bedeutung der lich Einstellungen, Verhaltensweisen und Sozialstruktur der einzelnen Stimme, ist eine Überschätzung des individu- Bevölkerung. Der ALLBUS-Datensatz enthält neben den ellen Einflusses wahrscheinlich [vgl. KÜHNEL und FUCHS wiederkehrenden Fragen zu politischen Einstellungen zu- (2000), KAHNEMAN und TVERSKy (1979)]. dem vier Umfragewellen aus den Jahren 1988, 1998, 2008 Der Wirkungskanal Bedeutung der eigenen Stimme und 2014, in welchen ein besonderer Fokus auf die poli- wird im ALLBUS indirekt über zwei verschiedene Frage- tische Partizipation gelegt wurde. stellungen abgebildet. Dabei wird zwischen der Wahl- Im vorliegenden Beitrag steht die neueste Umfrage- beteiligungsnorm und dem Beteiligungsnutzen unterschie- welle aus dem Jahr 2014 im Mittelpunkt der Auswer- den. Entsprechend RIKER und ORDERSHOOK (1968) kann tung; wo es sinnvoll erscheint, erfolgt darüber hinaus ein die Wahlbeteiligungsnorm als Selbstverständnis des Staats- Vergleich mit den Angaben aus den Jahren 1998, 2008 bürgers beschrieben werden, zur Wahl zu gehen. Die und /oder 2012.2 Der ALLBUS-Datensatz 2014 wurde Norm zielt folglich auf die demokratische Identifikation zusammen mit zwei Modulen des „International Social des Individuums ab, dem Verständnis, über die Mehrheit Survey Programme“ (ISSP) erhoben. Zu diesem Zweck der Wähler Einfluss auf die politischen Entscheidungs- wurde die Gesamtheit der ALLBUS-Stichprobe (3.471 träger zu nehmen [vgl. KÜHNEL und FUCHS (2000)]. Sie Personen) aufgeteilt. 1.727 Personen nahmen am ISSP I kann unmittelbar über die Frage abgedeckt werden, ob Modul „Nationale Identität“ und 1.709 am ISSP II Modul der Befragte der Meinung ist, dass Wahlbeteiligung eine „Bürger und Staat“ teil.3 Während ausgewählte Fragen, Bürgerpflicht ist. Die Angabe erfolgte in den Jahren 1998, wie z. B. zur Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestags- 2008 und 2014 in Form einer Zustimmungsskala. Je höher wahl (2013), in beiden Gruppen gestellt wurden, ist der der Wert, desto größer ist der persönliche Stellenwert überwiegende Anteil der Variablen in jeweils nur einem einer Wahlbeteiligung.4 der Module vorhanden. Die dementsprechend kleineren Ergänzt wird die Wahlbeteiligungsnorm durch den er- Stichproben sind nachfolgend gekennzeichnet. warteten persönlichen Ertrag des Individuums aus der Wie zuvor anhand von Abbildung 1 gezeigt, bestehen Wahlbeteiligung, dem Beteiligungsnutzen. Dieser wird wesentliche Unterschiede bei der Wahlpartizipation zwi- durch die Frage abgebildet, ob die Person davon aus- schen den ost- und westdeutschen Bundesländern. Eine geht, dass die Politiker sich für die Gedanken oder Inter- separate Analyse ist deshalb angemessen und steht im essen der Bürger interessieren. Geht die Person davon Fokus der nachfolgenden Betrachtung. Um zu vermeiden, aus, dass die eigenen Gedanken für die Entscheidungs- dass die Fallzahl für Analysen der ostdeutschen Bevölke- findung auf der politischen Ebene bedeutungslos sind, ifo Dresden berichtet 5/2015
6 Aktuelle Forschungsergebnisse ist es wahrscheinlich, dass das Individuum auch den Nut- Bürger. So argumentiert JOHANN (2009), dass Wahlbe- zen aus der Wahlbeteiligung gering einschätzt. Beide rechtigte mit einem bereits hohen politischen Wissen zu- Variablen wurden in den Umfragewellen 1998, 2008 und sätzliche Informationen leichter aufnehmen und bewerten 2014 (ISSP I Modul) erhoben. können. Durch eine hohe politische Informiertheit kann Wie in Abbildung 2 dargestellt, stimmen die Befrag- eine differenzierte Betrachtung der Parteien einfacher vor- ten eher der Angabe zu, dass Wahlbeteiligung eine Bür- genommen werden. Die Entscheidungskosten sinken und gerpflicht ist, als der Aussage, dass sich die Politiker um die Vorteile des Wählens bewegen ein Individuum mit die Gedanken ihrer Wähler kümmern. Zwischen den west- einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einer Stimmabgabe und ostdeutschen Bundesländern gibt es nur gering- [vgl. JOHANN (2009)]. Eine Reihe von empirischen Arbei- fügige Unterschiede. Bei der Wahlbeteiligungsnorm ist die ten widmet sich im Wahlkontext der Aufgabenstellung, Zustimmung über die drei betrachteten Jahre in West- einen Informiertheitsindex zum politischen Grundwissen deutschland mit rd. 54 % hingegen weit höher als in Ost- der Individuen zu ermitteln. Der Index soll belegen, dass deutschland mit rd. 40 %. Auffällig ist in beiden Regionen die Informiertheit einen positiven Einfluss auf die Wahlbe- zudem die starke Zustimmung im Jahr 2008, welche ins- teiligung hat [vgl. u. a. JOHANN (2009), LEVENDUSKy (2011), besondere in Westdeutschland hoch ausgeprägt ist. Dabei NORDIN (2014)]. gibt es kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern; Innerhalb des ALLBUS-Datensatzes werden ver- wohl aber zwischen den verschiedenen Altersgruppen. schiedene Fragestellungen erhoben, die eine Differen- Die Wahlbeteiligungsnorm nimmt mit dem Alter der zierung hinsichtlich der politischen Informiertheit der Be- Befragten nahezu kontinuierlich zu. Der Beteiligungsnutzen fragten erlauben. Als einen ersten wichtigen Indikator für wird hingegen in allen Altersgruppen annähernd gleich diesen Wirkungskanal wird im Folgenden das Interesse (und insgesamt eher niedrig) eingeschätzt. Auffällig ist auch für politische Themenbereiche betrachtet. Hierbei wird die Verbindung zwischen dem Bildungsniveau und der angenommen, dass mit dem Interesse eines Indivi- Bedeutung der eigenen Stimme. Lediglich Personen ohne duums auch sein Informationsstand zum betrachteten formellen Schulabschluss weichen von den anderen Bil- Themenfeld steigt. Im Datensatz werden die befragten dungsstufen ab und schätzen die Wahlbeteiligungsnorm Personen gebeten, eine Einschätzung hinsichtlich ihres geringer ein als Personen mit Abschluss. Anders verhält politischen Interesses auf einer fünfstufigen Skala von es sich beim Beteiligungsnutzen, bei dem das Bildungs- „sehr stark“ bis „überhaupt nicht“ abzugeben. niveau negativ mit dem Nutzen einhergeht. Je höher der Die Ergebnisse für Ost- und Westdeutschland kön- Grad des Bildungsabschlusses ist, desto eher geht der nen Abbildung 4 entnommen werden, wobei für beide Befragte davon aus, dass die Politiker sich nicht für die Landeshälften sehr ähnliche Ergebnisse zu erkennen sind. eigenen Gedanken interessieren. Für Gesamtdeutschland zeigt sich, dass ein großer Teil Abschließend ist der Blick auf die Einschätzung der der Befragten, mit rd. 40 %, ihr politisches Interesse der eigenen Stimme und die Wahlbeteiligung interessant (vgl. mittleren Einstufung zuordnet. Ein starkes Interesse für Abb. 3). Innerhalb des Datensatzes wird erfragt, ob die den politischen Bereich gibt immerhin rund ein Viertel der jeweilige Person bei der letzten Bundestagswahl 2013 Befragten an. Unterschiede hinsichtlich des politischen wählen war oder nicht.5 Je stärker die Person die Wahl- Interesses zeigen sich hingegen bei einer zeitlichen beteiligung als Bürgerpflicht versteht, desto eher geht sie Betrachtung. So schätzen zunehmend mehr Personen zur Wahl. Dieser Unterschied ist mit einer Wahlbeteiligung mit jedem Erhebungsjahr (1998, 2008, 2012 und 2014) seitens Personen, welche die Aussage vollständig ableh- ihr politisches Interesse als „sehr stark“ ein. nen i. H. v. 67 % bzw. 59 % (West- bzw. Ostdeutschland) Weiterhin ist in Abbildung 4 das politische Interesse in gegenüber Personen, welcher der Aussage vollständig Abhängigkeit demographischer Aspekte, wie dem Ge- zustimmen i. H. v. 95 % bzw. 93 % eindeutig. Dies be- schlecht und dem Alter, sowie des Bildungsniveaus dar- stätigt die zu Beginn getroffene Vermutung. Der Blick auf gestellt. Insgesamt zeigt sich für Ost- und Westdeutsch- den Beteiligungsnutzen ergibt jedoch ein anderes Bild. land, dass das politische Interesse bei Männern stärker Eine hohe Wahlbeteiligung zeigen vor allem die Gruppen, als bei Frauen ausgeprägt ist. Ein gesteigertes Politikinter- welche die Aussage ablehnen, dass sich die Politiker um esse der Frauen kann für das Jahr 2014 gegenüber den die Gedanken der Individuen kümmern. vorherigen Befragungswellen 1998 oder 2008 zudem nicht festgestellt werden. In Hinblick auf das Bildungsniveau treten für Ost- und Westdeutschland die erwarteten Er- Politische Informiertheit und Entscheidungskosten gebnisse auf: Mit steigendem Bildungsabschluss steigt das Interesse für politische Themen deutlich an. Eine weitere wichtige Einflussgröße auf die Entscheidung Zusätzlich zum Politikinteresse bilden die Entschei- zur Wahl zu gehen, bildet die politische Informiertheit der dungskosten einen wesentlichen Indikator für die politi- ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse 7 Abbildung 2: Bedeutung der eigenen Stimme Wahlbeteiligungsnorma Beteiligungsnutzena Wahlbeteiligung ist Bürgerpflicht Politiker kümmern sich um meine Gedanken West- und Ostdeutschland 1998, 2008, 2014 Gesamt '14 (1) Gesamt '14 (1) '08 '08 '98 (2) '98 (2) (3) (3) '14 '14 Westdtld. '08 (4) Westdtld. '08 (4) '98 '98 '14 '14 Ostdtld. '08 Ostdtld. '08 '98 '98 0% 20% 40% 60% 80% 100% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Nach Geschlecht 2014 100% (4) 100% (4) 80% (3) 80% (3) 60% (2) 60% (2) 40% (1) 40% (1) 20% 20% 0% 0% Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland Nach Alterskategorie 2014 (in Jahren) 100% (4) 100% (4) 80% 80% (3) (3) 60% 60% 40% (2) 40% (2) 20% (1) 20% (1) 0% 0% 30 29 45 44 60 59 75 74 9 30 29 45 44 60 59 75 74 9 30 29 45 4 60 59 75 4 9 30 29 45 44 60 59 75 74 9 –8 –8 –4 –7 –8 –8 – – – – – – – – – – – – – – 18 18 18 18 Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland Nach Bildungsniveaub 2014 100% (4) 100% (4) 80% (3) 80% (3) 60% 60% (2) (2) 40% 40% 20% (1) 20% (1) 0% 0% o.A. HS MR FH Uni o.A. HS MR FH Uni o.A. HS MR FH Uni o.A. HS MR FH Uni Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland a) (1) Stimme voll und ganz zu (2) Stimme eher zu (3) Stimme nicht zu (4) Stimme überhaupt nicht zu – b) o. A. = ohne Abschluss, HS = Hauptschulabschluss, MR = Mittlere Reife, FH = Fachhochschulreife, Uni = Hochschulreife. Quellen: ALLBUS (2012, 2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. ifo Dresden berichtet 5/2015
8 Aktuelle Forschungsergebnisse Abbildung 3: Bedeutung der eigenen Stimmea und Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl 2013 für Ost- und Westdeutschland6 100% (4) 90% (3) 80% (2) 70% (1) 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Beteiligungsnorm Beteiligungsnutzen Beteiligungsnorm Beteiligungsnutzen Westdeutschland Ostdeutschland a) (1) Stimme voll und ganz zu (2) Stimme eher zu (3) Stimme nicht zu (4) Stimme überhaupt nicht zu. Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. sche Informiertheit der Wahlberechtigten. Entscheidungs- graphischen Aspekten verdeutlicht wiederum, dass Män- kosten beschreiben in diesem Zusammenhang jene Kos- ner häufiger angeben, politisch informiert zu sein, als Frau- ten, welche ein Individuum aufwenden muss, um eine en und dass das Wissen über wichtige politische The- Wahlentscheidung treffen zu können. Fällt es dem Wähler men über die Altersgruppen bis 74 Jahre zunimmt. Des leicht, sich über seine persönlichen, unterschiedlichen Ein- Weiteren kann ein positiver Einfluss des Bildungsniveaus schätzungen zu Kompetenzen und Politiken der Parteien auch für diesen Indikator bestätigt werden. oder Kandidaten bewusst zu werden, wird es ihm einfa- Abschließend sind in Abbildung 5 beide Indikatoren cher fallen, eine Wahlentscheidung zu treffen, d. h. sein für die politische Informiertheit den Angaben zur Wahl- zusätzlicher Aufwand der Informationsbeschaffung ist ge- beteiligung gegenübergestellt. Für das politische Inter- ring. Niedrige Entscheidungskosten implizieren in diesem esse zeigt sich, dass Bürger mit einem höheren Politik- Zusammenhang eine hohe politische Informiertheit [vgl. interesse häufiger an Wahlen teilnehmen. Auffällig ist, JOHANN (2009)]. dass Befragte in Ostdeutschland relativ häufiger ange- Für die folgenden Auswertungen werden die Kosten ben, ein sehr starkes Politikinteresse aufzuweisen und der Wahlentscheidung anhand der Aussage „Ich weiß sich dennoch gegen eine Wahlbeteiligung entscheiden über die wichtigen politischen Themen in Deutschland als westdeutsche Befragte. Dieses Ergebnis spiegelt ziemlich gut Bescheid.“ gemessen (ISSP II Modul). Die sich ebenfalls bei den Entscheidungskosten wider. In volle Zustimmung eines Umfrageteilnehmers zu dieser Ostdeutschland stimmen mehr Wahlbeteiligte der Aus- Behauptung lässt in diesem Sinne auf geringe Entschei- sage voll zu, über politische Themen informiert zu sein, dungskosten der Wahlentscheidung schließen. In Abbil- obwohl diese Einschätzung seltener auch zu einer dung 4 wird gezeigt, dass knapp 50 % der Befragten Wahlbeteiligung führt. Insgesamt verdeutlichen jedoch (Gesamtdeutschland) der Aussage zustimmen und da- beide Abbildungen den erwarteten positiven Zusam- mit die Entscheidungskosten als gering einschätzen. Die menhang zwischen der politischen Informiertheit und Aufschlüsselung der Entscheidungskosten nach demo- der Wahlbeteiligung der Befragten. ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse 9 Abbildung 4: Politische Informiertheit in Ost- und Westdeutschland (2014) Politisches Interesse Entscheidungskosten gemäß der Aussage „Ich weiß über die wichtigen politischen West- und Ostdeutschland Themen in Deutschland ziemlich gut Bescheid“ (1) sehr stark (1) stimme voll zu (2) stark (2) stimme zu (3) mittel (3) weder noch (4) wenig (4) stimme nicht zu (5) überhaupt nicht (5) stimme gar nicht zu 0% 20% 40% 60% 0% 50% 100% Gesamtdeutschland Gesamtdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland Nach Geschlecht 100% 100% 80% 80% 60% 60% 40% 40% 20% 20% 0% 0% Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland (1) (2) (3) (4) (5) (1) (2) (3) (4) (5) Nach Alterskategorie (in Jahren) 100% 100% 80% 80% 60% 60% 40% 40% 20% 20% 0% 0% 4 –4 9 30 29 45 44 60 59 75 74 9 30 29 45 44 60 59 75 4 9 30 29 45 44 60 59 75 4 9 60 59 75 74 9 0 –8 –8 –7 –8 –7 –2 –8 3 – – – – – – – – – – – – 18 18 18 18 45 Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland (1) (2) (3) (4) (5) (1) (2) (3) (4) (5) Nach Bildungsniveaua 100% 100% 80% 80% 60% 60% 40% 40% 20% 20% 0% 0% o.A. HS MR FH Uni o.A. HS MR FH Uni o.A. HS MR FH Uni o.A. HS MR FH Uni Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland (1) (2) (3) (4) (5) (1) (2) (3) (4) (5) a) o. A. = ohne Abschluss, HS = Hauptschulabschluss, MR = Mittlere Reife, FH = Fachhochschulreife, Uni = Hochschulreife. Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. ifo Dresden berichtet 5/2015
10 Aktuelle Forschungsergebnisse Abbildung 5: Politische Informiertheit und Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 für Ost- und Westdeutschland Politisches Interessea Entscheidungskosten gemäß der Aussage „Ich weiß über die wichtigen politischen Themen in Deutschland ziemlich gut Bescheid“b 100% 100% 90% 90% 80% 80% 70% 70% 60% 60% 50% 50% 40% 40% 30% 30% 20% 20% 10% 10% 0% 0% (1) (2) (3) (4) (5) (1) (2) (3) (4) (5) (1) (2) (3) (4) (5) (1) (2) (3) (4) (5) Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland a) (1) sehr stark (2) stark (3) mittel (4) wenig b) (1) stimme voll zu (2) stimme zu (3) weder noch (5) überhaupt nicht (4) stimme nicht zu (5) stimme gar nicht zu Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. Politisches Engagement de Aktivitäten zeigen folglich das Engagement im Rah- men eines ausgewählten politischen Themas auf. Abbil- Entsprechend HUNTINGTON und NELSON (1976) beschreibt dung 6 zeigt, dass zwischen den ostdeutschen und west- der Begriff des politischen Engagements das Bestreben deutschen Bundesländern merkliche Unterschiede bei der von Privatpersonen, die eigene Meinung öffentlich zu ver- Partizipation in Form von Demonstrationen und Unter- treten und im Idealfalll den Entscheidungsprozess der schriftensammlungen bestehen. Während in Ostdeutsch- Regierung zu beeinflussen. VERBA et al. (1995) erweitern land 20 % (63 %) der Befragten schon an einer Demons- diese Auslegung um zwei weitere Aspekte. Sie unter- tration (Unterschriftensammlung) teilgenommen haben, scheiden zwischen der direkten Einflussnahme, durch sind es in Westdeutschland lediglich 14% (60 %).7 Einwirkung auf politische Prozesse, und der indirekten Das prinzipielle politische Engagement wird demge- Anteilnahme, durch die Wahl der Personen, welche die genüber durch die Fragestellung abgebildet, ob der Be- Politik umsetzen. Annahmegemäß beeinflussen sich bei- fragte Mitglied einer politischen Partei ist. Die Variable de Bereiche des politischen Engagements. Übt ein Indi- wurde in den Jahren 1998, 2008, 2012 und 2014 von viduum ein politisches Engagement aus, liegt die Vermu- allen Teilnehmern beantwortet. In der Abbildung 6 wird tung nahe, dass es sich u. a. aufgrund eines größeren deutlich, dass die Anzahl an Personen, welche in einer Interesses und der höheren Informiertheit eher am Wahl- Partei aktiv sind, im genannten Zeitraum gestiegen ist.8 prozess beteiligt. Diese Entwicklung wird insbesondere durch den starken Der Wirkungskanal Politisches Engagement wird im Anstieg in den westdeutschen Bundesländern getrieben. Folgenden durch drei Variablen repräsentiert. Dabei wird Die in den ostdeutschen Ländern zwar ebenfalls fest- unterschieden zwischen dem Engagement im Rahmen stellbare Steigerung fällt wesentlich geringer aus. eines ausgewählten politischen Themas und der prinzipi- Lohnenswert ist ein zusätzlicher Blick auf das politi- ellen politischen Tätigkeit. Ersteres wird durch zwei Vari- sche Engagement bezüglich Alter, Geschlecht und Bil- ablen abgedeckt. Die Teilnehmer des ISSP Modul I wur- dungsniveau der Individuen. Dabei fallen besonders die den gefragt, ob sie bereits an einer Demonstration und / Unterschiede zwischen den beiden Bereichen des poli- oder Unterschriftensammlung teilgenommen haben. Bei- tischen Engagements ins Auge, welche in Abbildung 6 ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse 11 Abbildung 6: Politisches Engagement in Ost- und Westdeutschland, 2014 (Ausnahme gekennzeichnet) Ausgewähltes politisches Thema Allgemeines politischesa Engagement Demonstrationen und Unterschriftensammlunga Mitglied einer politischen Partei West- und Ostdeutschland 1998, 2008, 2012, 2014 6% 5% Demonstrationen 4% 3% Unterschriften- 2% sammlung 1% 0% 0% 20% 40% 60% 80% 1998 2008 2012 2014 1998 2008 2012 2014 1998 2008 2012 2014 Gesamt Westdeutschland Ostdeutschland Gesamt West- Ost- Nach Geschlecht deutschland deutschland 80% 8% 60% 6% 40% 4% 20% 2% 0% 0% Unt. West Unt. Ost Demo. Demo. Westdeutschland Ostdeutschland West Ost Männer Frauen Männer Frauen Nach Alterskategorie (in Jahren) 80% 10% 60% 8% 6% 40% 4% 20% 2% 0% 0% Unt. West Unt. Ost Demo. Demo. Westdeutschland Ostdeutschland West Ost 18–29 30–44 45–59 60–74 75–89 18–29 30–44 45–59 60–74 75–89 Nach Bildungsniveaub 80% 7% 6% 60% 5% 4% 40% 3% 20% 2% 1% 0% 0% Unt. West Unt. Ost Demo. Demo. Westdeutschland Ostdeutschland West Ost o. A. HS MR FH Uni o. A. HS MR FH Uni a) Unt. = Unterschriftensammlung, Demo. = Demonstration, West = Westdeutschland, Ost = Ostdeutschland b) o. A. = ohne Abschluss, HS = Hauptschulabschluss, MR = Mittlere Reife, FH = Fachhochschulreife, Uni = Hochschulreife. Quellen: ALLBUS (2012, 2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. ifo Dresden berichtet 5/2015
12 Aktuelle Forschungsergebnisse gegenübergestellt sind. Während bei Aktionen für aus- Ein eindeutiger Zusammenhang ergibt sich bei der Dar- gewählte politische Fragestellungen das Verhältnis von stellung des spezifischen politischen Engagements und Männern und Frauen annähernd ausgeglichen ist, zeigen dem Bildungsniveau der Befragten. Je höher der Bildungs- sich starke Unterschiede bei der Parteizugehörigkeit. In abschluss des Individuums ist, desto größer ist die Wahr- den ost- und westdeutschen Bundesländern sind, ent- scheinlichkeit, dass der Befragte bereits an einer Demons- sprechend der Bevölkerungsumfrage, Männer häufiger tration oder Unterschriftensammlung teilgenommen hat. in der Politik tätig als Frauen. Dies geht mit dem zuvor Dieser klare Zusammenhang ist durch eine Reihe wissen- beschriebenen stärkeren politischen Interesse von Män- schaftlicher Studien, darunter SHIELDS und GOIDEL (1997) nern konform. In Westdeutschland ist dieser Zusammen- sowie HILLyGUS (2005), bestätigt. Für die Parteimitglied- hang zudem stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland. schaft ist das Verhältnis jedoch abermals nicht eindeutig. Auch beim Alter sind Unterschiede zwischen beiden Abschließend sind in Abbildung 7 die drei genannten Bereichen des politischen Engagements erkennbar. Die Fragestellungen zum politischen Engagement im Vergleich Teilnahme an Demonstrationen und Unterschriftensamm- zur angegebenen Wahlbeteiligung abgetragen. Die Um- lungen nimmt mit dem Alter zunächst zu, erreicht in der fragewerte zeigen, dass Befragte, welche sich politisch Alterskategorie 45 bis 49 Jahre ihren Höhepunkt und engagieren, eine höhere Wahlbeteiligung aufweisen als nimmt dann bis zum Alter von 89 Jahren wieder ab. Aus- Personen, die nicht politisch tätig sind. Dies bestätigt die nahme bildet lediglich die Altersgruppe der 18- bis 29- Vermutung, dass die Ausübung eines politischen Enga- Jährigen in Ostdeutschland, welche sich verhältnismäßig gements die Wahrscheinlichkeit der Wahlbeteiligung er- stark an Demonstrationen beteiligen. Bei der Frage nach höht. Die Gegenüberstellung zeigt, dass dieser positive Parteimitgliedschaften ergibt sich dagegen ein anderes Zusammenhang für Westdeutschland etwas stärker aus- Bild. Während sich in Westdeutschland ein Anstieg der geprägt ist als für Ostdeutschland. Während die Teilnahme Parteizugehörigkeit mit dem Alter abzeichnet, ist dieser an Unterschriftensammlungen und Demonstrationen einen Zusammenhang für die ostdeutschen Bundesländer nur ähnlichen Effekt zu haben scheint, zeigt der Vergleich der mäßig gegeben. Dort ist es vor allem die Gruppe der 75- drei Engagements, dass die Parteimitgliedschaft den stärk- bis 89-Jährigen, die Mitglied in einer politischen Partei sind. sten Einfluss auf den Gang zur Wahlurne hat. Abbildung 7: Politisches Engagement und Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl 2013 für Ost- und Westdeutschland9 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Unter- Demonstration Partei- Unter- Demonstration Partei- schriftens. mitglied- schriftens. mitglied- schaft schaft Westdeutschland Ostdeutschland Ausübung des betrachteten politischen Engagements Keine Ausübung des betrachteten politischen Engagements Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse 13 Ehrenamtliches Engagement Regelmäßigkeit der Tätigkeit (täglich, wöchentlich, monat- lich, seltener) differenziert wurde, kann davon ausgegan- Unter einem Ehrenamt wird zumeist eine am Gemein- gen werden, dass die angegebenen Größen den tat- wohl orientierte, unbezahlte, selbst- oder mitbestimmte sächlichen Anteil eher überschätzen. Für das Jahr 2014 Aktivität in einer entsprechenden Organisation verstan- ist, aufgrund zuvor genannter Problematik, eher eine den. Anders als beim zuvor vorgestellten Wirkungskanal Unterschätzung zu erwarten. Die Auswertung bestätigt liegt der Fokus der ehrenamtlichen Tätigkeit zumeist nicht diese Vermutung. Demnach führten im Jahr 2014 ledig- auf einer politischen Thematik. Es kann jedoch davon aus- lich 5 % der Befragten eine ehrenamtliche Tätigkeit aus. gegangen werden, dass sich Personen, welche gemein- Bei der folgenden Interpretation des Jahres 2014 sollte nützig tätig sind, u. a. aufgrund der höheren sozialen Ver- dieser Umstand berücksichtigt werden.10 pflichtung und / oder der besseren Informiertheit, eher am Der Vergleich der Antworten von Befragten aus den Wahlprozess beteiligen. westdeutschen und ostdeutschen Bundesländern zeigt, Der Wirkungskanal Ehrenamtliches Engagement kann dass ein etwas größerer Anteil von Personen aus West- im Rahmen des ALLBUS-Datensatzes unmittelbar durch deutschland eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübt. Gehen die Frage nach ehrenamtlichen Tätigkeiten der Befragten in Ostdeutschland lediglich 4,4 % der Befragten der zu- abgedeckt werden. Während im Jahr 1998 und 2012 die sätzlichen Aktivität nach, sind es in Westdeutschland Individuen direkt nach ehrenamtlichen Tätigkeiten in Ver- 5,4 %. Der Anteil von Männern und Frauen unterscheidet einen, Verbänden oder sozialen Diensten gefragt wurden, sich dabei in beiden Regionen nur geringfügig. erfolgt die Frage bei der Erhebung 2014 indirekt. Die Be- Abbildung 8 zeigt, dass die ehrenamtliche Tätigkeit fragten können lediglich bei der Angabe von Vereinsmit- stark mit dem Alter des Befragten variiert. Während in gliedschaften angeben, ob sie dort ehrenamtlich tätig sind. Westdeutschland vornehmlich die Gruppe der 30- bis 75- Die möglichen Vereine wurden breit gefasst und beinhalten Jährigen einem ehrenamtlichen Engagement nachgeht, u. a. Sport-, Wohltätigkeits-, Eltern- und Seniorenvereine. sind es in Ostdeutschland vor allem die 18- bis 29- sowie Aufgrund dieser Tatsache ist ein Vergleich zwischen den 75- bis 89-Jährigen. Interessant ist zudem ein Blick auf drei genannten Zeitpunkten nicht möglich. den Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und ehren- Die Gegenüberstellung der Antworten des Jahres 1998 amtlicher Tätigkeit, welcher ebenfalls in Abbildung 8 dar- und 2012 zeigt jedoch, dass der Anteil der Personen, die gestellt ist. Die zuvor beim politischen Engagement ge- sich ehrenamtlich engagieren, stark gestiegen ist. Beant- zeigte positive Korrelation zwischen beiden Variablen ist worteten im Jahr 1998 26 % der Individuen die Frage nach nicht mehr eindeutig. ehrenamtlichen Tätigkeiten positiv, waren es im Jahr 2012 Deutlich ist demgegenüber der Zusammenhang zwi- bereits 43 %. Da die Personen jedoch keine Angabe zur schen der Wahlbeteiligung und dem ehrenamtlichen En- Art des Engagements gaben und nicht entsprechend der gagement (vgl. Abb. 9). Von allen Personen, welche in Abbildung 8: Ehrenamtliches Engagement Alterskategorie (in Jahren) Bildungsniveaua 8% 8% 6% 6% 4% 4% 2% 2% 0% 0% Westdeutschland Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland 18–29 30–44 45–59 60–74 75–89 o. A. HS MR FH Uni a) o. A. = ohne Abschluss, HS = Hauptschule, MR = Mittlere Reife, FH = Fachhochschulreife, Uni = Hochschulreife. Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. ifo Dresden berichtet 5/2015
14 Aktuelle Forschungsergebnisse der Umfrage angaben, ehrenamtlich aktiv zu sein, sagten Umfrageteilnehmern aus Ostdeutschland auf. Die gerin- 90 % sowohl in West- als auch in Ostdeutschland, dass gen Einflusserwartungen gehen zudem mit den Auswer- sie sich an der Wahl beteiligt haben. Bei den Personen, tungen zum politischen Interesse der Befragten sowie die berichteten, keiner zusätzlichen Aktivität nachzuge- dem Ausüben eines politischen und ehrenamtlichen En- hen, liegt die Wahlbeteiligung dem gegenüber bei 84 % gagements konform. Wahlberechtigte in den ostdeut- in West- und 77 % in Ostdeutschland. schen Bundesländern bestätigen häufiger die Aussage, über politische Themen informiert zu sein, gleichwohl diese Einschätzung seltener zu einer positiven Wahlent- Fazit scheidung führt. Zudem gibt ein geringerer Anteil der Be- fragten aus Ostdeutschland an, sich allgemein politisch Im vorliegenden Beitrag wurden ausgewählte Beweg- zu engagieren und Mitglied in einer Partei zu sein. Die gründe für die politische Partizipation in Form der Wahl- Analyse zeigt, dass ein geringes politisches Engagement beteiligung für Ost- und Westdeutschland gegenüber- einen negativen Einfluss auf die Wahlbeteiligung ausübt. gestellt. Die Auswertungen legen allgemein nahe, dass Diese Ergebnisse spiegeln sich in den Auswertungen die politische Teilhabe ein bedeutendes Thema bei den zum ehrenamtlichen Engagement wider. Umfrageteilnehmern darstellt und zunehmend mehr Be- Insgesamt können mit den Auswertungen zum ALL- fragte ein sehr starkes Interesse für politische Themen- BUS-Datensatz jedoch nur mäßige Unterschiede hin- bereiche aufweisen. Für beide Landeshälften zeigen sich sichtlich der Partizipationsmotive zwischen den ost- und gleichzeitig leichte Unterschiede in den untersuchten westdeutschen Bundesländern festgestellt werden. Eine Wirkungskanälen, wobei diese vornehmlich auf den ver- umfassende Ursachenbetrachtung der deutlich niedri- schiedenen Einflusserwartungen der Befragten beruhen. geren Wahlbeteiligung in Ostdeutschland bedarf daher Die differenzierte Betrachtung der Bedeutung der eige- weiterer Analysen mit differenzierteren Betrachtungsper- nen Stimme legt offen, dass Individuen, die wählen ge- spektiven. Weitere Informationen können zudem durch hen, eine hohe persönliche Wahlbeteiligungsnorm besit- die Anwendung eines multivariaten Verfahrens gewonnen zen. Dabei gehen sie jedoch nicht zwingend davon aus, werden, welche den Einfluss der einzelnen Wirkungs- dass die Politiker sich für die Gedanken der Individuen kanäle simultan auf die Wahlbeteiligung prüft. Insbeson- interessieren. Diese Unzufriedenheit tritt besonders bei dere Untersuchungen zur Einschätzung der Bedeutung Abbildung 9: Ehrenamtliches Engagement und Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl 2013 für Ost- und Westdeutschland11 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Westdeutschland Ostdeutschland Ehrenamt Kein Ehrenamt Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse 15 der eigenen Stimme und den damit verbundenen Ein- JOHANN, D. (2009): Eine Betrachtung der Wahlbeteiligung flusserwartungen auf die Politik könnten einen aufschlus- bei der Bundestagswahl 2005 auf Basis von Rational- sreichen Anhaltspunkt bieten. Choice-Konzepten, Springer-Verlag. KAM, C. D. und C. L. PALMER (2008): Reconsidering the Effects of Education on Political Participation, The Literatur Journal of Politics, Vol. 70, No. 3, S. 612–631. KAHNEMAN, D. und A. TVERSKy (1979): Prospect Theory: ALLBUS (Hrsg.) (2012): Allgemeine Bevölkerungsumfra- An Analysis of Decision under Risk, Econometrica, ge der Sozialwissenschaften ALLBUS 2012, hrsg. The Econometric Society, Vol. 47, No. 2, S. 263–292. vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, KÜHNEL, S. M. und D. FUCHS (1994): Nichtwählen als GESIS Datenarchiv, Köln, ZA4614 Datenfile Version rationales Handeln: Anmerkungen zum Nutzen des 1.1.1, doi:10.4232/1.11753. Rational-Choice-Ansatzes in der empirischen Wahl- ALLBUS (Hrsg.) (2014a): Allgemeine Bevölkerungsum- forschung II, In: Wahlen und Wähler: Analysen aus frage der Sozialwissenschaften ALLBUS 2014, hrsg. Anlass der Bundestagswahl 1994, Schriften des Zen- vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, tralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der GESIS Datenarchiv, Köln, ZA5240 Datenfile Version Freien Universität Berlin, Vol. 85, S. 317–356. 2.1.0, doi:10.4232/1.12288. KÜHNEL, S. und D. FUCHS (2000): Instrumentelles oder ALLBUS (Hrsg.) (2014b): ALLBUS 1980–2012 – Variable expressives Wählen? Zur Bedeutung des Rational- Report, Gesis Datenarchiv für Sozialwissenschaften, Choice-Ansatzes in der empirischen Wahlforschung, Köln. 50 Jahre Empirische Wahlforschung in Deutschland, BECKER, R. (2005): Political Efficacy und Wahlbeteiligung VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 340–360. in Ost- und Westdeutschland, Swiss Political Science LACy, D. und M. S. NIOU (2012): Information and Hetero- Review 11 (1), S. 57–86. geneity in Issue Voting: Evidence from the 2008 Pre- BONAPARTE, y. und A. KUMAR (2013): Political Activism, In- sidential Election in Taiwan, Journal of East Asian Stu- formation Costs, and Stock Market Participation, Jour- dies, Vol. 12, No. 1, S. 119–141. nal of Financial Economics, Vol. 107, 3, S. 760–786. LEVENDUSKy, M. S. (2011): Rethinking the Role of Political DELLAVIGNA, S. und E. KAPLAN (2007): The Fox News Information, Public Opinion Quarterly, 75 (1), S. 42–64. Effect: Media Bias and Voting, The Quarterly Journal LOCHNER, L. (2010): Non-Production Benefits of Educa- of Economics, Vol. 122, S. 1.187–1.234. tion: Crime, Health, and Good Citizenship, NBER DER BUNDESWAHLLEITER (Hrsg.) (2015): Endgültiges Ergeb- Working Paper Series, No. 16722. nis der Erst- und Zweitstimmen nach Wahlkreisen bei MATLAND, R. E. und G. R. MURRAy (2015): I Only Have den Bundestagswahlen 2013 und 2009, http://www. Eyes for you: Does Implicit Social Pressure Increase bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BU Voter Turnout? Political Psychology. ND_13/veroeffentlichungen/ergebnisse/index.html, MARTHENS, A. M. und J. GAINOUS (2013): Civic Education abgerufen am 14. 08. 2015. and Democratic Capacity: How Do Teachers Teach DOWNS, A. (1957): An Economic Theory of Political Action and What Works?, Social Science Quarterly, Vol. 94, in a Democracy, Journal of Political Economy, Vol. 65, S. 956–976. No. 2, S. 135-150. NIEDERMAyER, O. (2015): Parteimitglieder in Deutschland, GERBER, A. S.; GREEN, D. P. und C. W. LARIMER (2008): Version 2015, Berlin, 2015. Social Pressure and Voter Turnout: Evidence from a NORDIN, M. (2014): Do Voters Vote in Line with their Large-Scale Field Experiment, The American Political Policy Preferences? – The Role of Information, CESifo Science Review, Vol. 102.1, S. 33–48. Economic Studies. HOOGHE, M. und R. DASSONNEVILLE (2011): The Effects of RIKER, W. H. und P. C. ORDESHOOK (1968): A Theory of Civic Education on Political Knowledge. A Two year the Calculus of Voting, American Political Science Panel Survey among Belgian Adolescents, Educa- Review, Vol. 62, S. 25–42. tional Assessment, Evaluation and Accountability, 23, SCHäFER, A. (2009): Alles halb so schlimm? Warum eine S. 321–339. sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet, HUNTINGTON, S. P. und J. M. NELSON (1976): No Easy Forschungsbericht 2009 des Max-Planck-Instituts für Choice: Political Participation in Developing Countries, Gesellschaftsforschung. Harvard University Press. SHIELDS, T. G. und R. K. GOIDEL (1997): Participation Ra- HyLLIGUS, D. S. (2005): The Missing Link: Exploring the tes, Socioeconomic Class Biases, and Congressional Relationship Between Higher Education and Political, Elections: A Cross-Validation, 1958–1994, American Political Behavior, Vol. 27, 1, S. 25–47. Journal of Political Science, Vol. 41, S. 683–691. ifo Dresden berichtet 5/2015
16 Aktuelle Forschungsergebnisse VERBA, S.; K. L. SCHLOZMAN und H. BRADy (1995): Voice 7 Bei der Interpretation muss berücksichtigt werden, dass der Zeitpunkt and Equality: Civic Voluntarism in American Politics, der Teilnahme nicht erhoben wird. 8 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass der ALLBUS-Datensatz bei Harvard University Press. dieser Frage vom tatsächlichen Durchschnitt abweicht. Entsprechend NIEDERMAyER (2015) verlieren die großen Parteien seit 1990 kontinuierlich an Mitgliedern. Die Anzahl der Mitglieder scheint ebenfalls überschätzt, 1 Gleichermaßen dient aber auch der Verzicht auf die Stimmenabgabe oft- da im Jahr 2013 lediglich 1,8 % der Parteibeitrittsberechtigten in einer mals als Argument für die politische Zufriedenheit, wobei unterstellt wird, Partei aktiv waren [vgl. NIEDERMAyER (2015)]. Da im Gegensatz zum ALL- dass für die Bürger keine Notwendigkeit bestünde, durch ihre Stimmen- BUS-Datensatz lediglich die großen Parteien (CDU/CSU, SPD, FDP, abgabe einen Einfluss auf das Politikgeschehen zu nehmen [vgl. SCHäFER BüNDNIS 90/DIE GRüNEN, LINKE und AfD) erfasst wurden, kann ein Anteil (2009)]. der Differenz ggf. durch die abweichende Parteiendefinition erklärt wer- 2 Die genannten Zeitpunkte wurden ausgewählt, um einen möglichst um- den. NIEDERMAyER (2015) bestätigt die Schlussfolgerung, dass im Durch- fassenden Bereich an thematisch relevanten Fragen über einen ange- schnitt weniger Personen aus den ostdeutschen Bundesländern sowie messenen Zeitraum abzudecken. Frauen Mitglied in einer Partei sind. Der Vergleich verdeutlicht allerdings, 3 Die Differenz ergibt sich aus 35 Personen, die an keiner der ISSP-Umfra- dass die Ergebnisse unter Vorbehalt interpretiert werden sollten. gen teilnahmen. 9 Zum Vergleich: Der Anteil der Umfrageteilnehmer, die sich an Unter- 4 Aufgrund ungleicher Abstufungen der Skalen bei den Umfragewellen schriftensammlungen (Demonstrationen, Parteien) beteiligen, aber nicht 1998/2008 und 2014 wurden die Antworten des Jahres 2014 der vier- wählen, liegt in West bzw. Ostdeutschland bei 9 % (7 %, 0 %) bzw. 15 % stufen Skala der früheren Wellen angepasst. (16 %, 5 %). Dem gegenüber liegt der Anteil an Personen, die sich nicht 5 Die Auswertungen umfassen ausschließlich Personen, die zur Bundes- beteiligen und nicht zur Wahl gehen, bei 21 % (17 %, 15 %) bzw. 28 % (22 tagswahl 2013 wahlberechtigt waren. Außerdem sei darauf hingewie- %, 21 %). Die ausstehende Differenz ergibt sich aus der Gruppe der sen, dass die in den Umfragedaten berichtete Wahlbeteiligung oftmals Wahlberechtigten die keine Angabe tätigten. höher liegt als die tatsächliche Wahlbeteiligung [vgl. JOHANN (2009)]. Die 10 Die aus der Umfragewelle 2014 gezogenen Resultate werden durch die Zusammenhänge zwischen den betrachteten Wirkungskanälen und der Ergebnisse der Umfragewelle 2012 bestätigt. Lediglich bei der Auswer- Wahlbeteiligung könnten demnach überschätzt werden. Eine Ursache tung des Bildungsniveaus sind geringfügige Unterschiede zu verzeich- für die möglichen Unterschiede lässt sich in der sozialen Erwünschtheit nen. Entsprechend den 2012 erhobenen Werten ist ein eindeutiger An- der Stimmenabgabe vermuten. stieg der ehrenamtlichen Tätigkeiten mit dem Bildungsniveau nachweis- 6 Zum Vergleich: Der Anteil der Personen, welche der Aussage zur Beteili- bar. gungsnorm (Beteiligungsnutzen) vollständig zustimmen, aber nicht zur 11 Zum Vergleich: Der Anteil der Umfrageteilnehmer, die sich ehrenamtlich Wahl gehen, liegt bei 3 % (23 %) für Westdeutschland bzw. 6 % (34 %) für engagieren, aber nicht an der Wahl beteiligten, liegt in West- bzw. Ost- Ostdeutschland. Dem gegenüber liegt der Anteil der Personen, welche deutschland bei 9 % bzw. 8 %. Dem gegenüber liegt der Anteil der Per- die Aussage ablehnen und nicht wählen gehen bei 33 % (8 %) in den sonen, die keinem ehrenamtlichen Engagement nachgehen und sich westdeutschen Bundesländern bzw. bei 41 % (17 %) in den ostdeut- nicht an der Wahl beteiligen, bei 15 % bzw. 21 %. Die ausstehende Diffe- schen Bundesländern. Der Anteil der Befragten, die keine Angabe zur renz ergibt sich aus der Gruppe der Wahlberechtigten, die keine Angabe Wahlbeteiligung tätigten, nimmt jeweils einen geringen Wert an. tätigten. ifo Dresden berichtet 5/2015
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