Ifo Dresden berichtet 5/2015 - ifo.de

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Ifo Dresden berichtet 5/2015 - ifo.de
5/2015   www.ifo-dresden.de

ifo Dresden berichtet
             Aktuelle Forschungsergebnisse
                      Sabine Gralka und Julia Heller
                      Der Gang zur Wahlurne: Beweggründe für die politische Partizipation
                      Jan Kluge und Gunther Markwardt
                      Wahlkampf auf Gemeindekosten: Politische Budgetzyklen in sächsi-
                      schen Gemeinden
                      Christian Ochsner
                      Sonderprogramm – sachsenfrei? KfW-Mittelstandsbankkredite nach
                      regionaler Gliederung
                      Stefanie Gäbler
                      Gekommen, um zu bleiben – Fiskalische Effekte ausländischer
                      Studierender in Deutschland

             Im Blickpunkt
                      Joachim Ragnitz
                      Keine Kohle, keine Zukunft?

             Daten und Prognosen
                      Regionalisierung des ifo Konjunkturtests
                      Arbeitsmarktentwicklung in Sachsen
ifo Dresden berichtet                                             ISSN 0945-5922

 22. Jahrgang (2015)
 Herausgeber: ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschafts-
 forschung an der Universität München e. V.,
 Niederlassung Dresden, Einsteinstraße 3, 01069 Dresden,
 Telefon: 0351 26476-0, Telefax: 0351 26476-20
 E-Mail: dresden@ifo.de
 Internet: http://www.ifo-dresden.de
 Redaktion: Joachim Ragnitz
 Technische Leitung: Katrin Behm
 Vertrieb: ifo Institut, Niederlassung Dresden
 Erscheinungsweise: zweimonatlich
 Bezugspreis jährlich: 25,00 €
 Preis des Einzelheftes: 5,00 €
 Preise einschl. Mehrwertsteuer, zzgl. Versandkosten
 Teilnehmer an regelmäßigen ifo Umfragen erhalten einen Rabatt.
 Grafik Design: © ifo Institut München
 Satz und Druck: c-macs publishingservice Dresden
 Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise):
 Nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung
 eines Belegexemplares.
Inhalt   1

ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse

Der Gang zur Wahlurne: Beweggründe für die politische Partizipation                                               3
Sabine Gralka und Julia Heller

Die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 lag in den ostdeutschen Bundesländern weiterhin
deutlich hinter dem Beteiligungsergebnis für Westdeutschland. In diesem Beitrag werden mögliche Ein-
flussfaktoren auf die Wahlpartizipation untersucht. Die Auswertungen der Allgemeinen Bevölkerungs-
umfrage der Sozialwissenschaften 2014 zeigen, dass entgegen weitverbreiteter Einschätzung das Politik-
interesse der Bürger in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist und zunehmend mehr Menschen
ein politisches Engagement ausüben, wodurch die Wahlbeteiligung positiv beeinflusst werden sollte.
Gleichzeitig glauben aber immer mehr Befragte, dass ihre tatsächlichen Einflussmöglichkeiten auf das
Politikgeschehen gering sind, vor allem in Ostdeutschland. Die Erwartung ostdeutscher Wähler, durch
Beteiligung an politischen Wahlen Entscheidungen der Politik ohnehin nicht beeinflussen zu können, kann
als ein Erklärungsfaktor für die geringere Wahlbeteiligung dienen.

Wahlkampf auf Gemeindekosten: Politische Budgetzyklen in sächsischen Gemeinden                                   17
Jan Kluge und Gunther Markwardt

Gewählte Lokalpolitiker befinden sich häufig in einem Zielkonflikt: Einerseits wollen sie verantwortungs-
volle politische Entscheidungen treffen. Andererseits haben Mandatsträger auch ein Wiederwahlinteresse.
Beide Ziele können vereinbar sein; mitunter sind sie aber nicht in Einklang zu bringen. Politiker haben die
Möglichkeit, z. B. das öffentliche Budget in einer Weise zu verwenden, die ihnen unmittelbar vor Wahl-
terminen die Gunst der Wähler einträgt. So lassen sich notwendige Investitionen, z. B. in die Infrastruktur
oder die öffentliche Kinderbetreuung, um einige Zeit verschieben, um sie an den Wahlkalender anzupas-
sen. Dadurch können politische Budgetzyklen entstehen, indem die Ausgaben vor und in Wahljahren stei-
gen und nach den Wahlen wieder zurückgefahren werden. In unserer Untersuchung für die sächsischen
Gemeinden im Zeitraum von 1994 bis 2010 finden wir, dass insbesondere Parteien, die eine absolute
Mehrheit im Gemeinderat haben und daher Budgetentscheidungen im Alleingang treffen können, dazu
neigen, politische Budgetzyklen zu verursachen. Bei stärkerem politischem Wettbewerb in den Gemein-
deräten kontrollieren sich die Parteien gegenseitig; daher sind in solchen Gemeinden keine wahlbezoge-
nen Zyklen zu beobachten.

Sonderprogramm – sachsenfrei? KfW-Mittelstandsbankkredite nach regionaler Gliederung                             25
Christian Ochsner

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau – kurz KfW – fördert seit über 60 Jahren die deutsche Wirtschaft mit
Darlehen zu vergünstigten Konditionen. Dabei fördert der Geschäftsbereich KfW-Mittelstandsbank insbe-
sondere den deutschen Mittelstand sowie Existenzgründer. Dieser Artikel veranschaulicht die regionale
Gliederung der Kreditzusagevolumen der KfW-Mittelstandsbank. Während in den Jahren vor der Finanz-
und Wirtschaftskrise das Kreditvergabevolumen nur gemächlich wuchs, ist es infolge verschiedenster
Sonderprogramme seit 2009 förmlich explodiert. Damit einhergehend kam es auch zu Verschiebungen
der regionalen Verteilung des Kreditvolumens. Ostdeutsche Flächenländer überholten bezüglich der zu-
gesprochenen Unternehmenskredite die westdeutschen Bundesländer. Hingegen riefen Unternehmen
aus Sachsen kaum Kredite aus diesen Sonderprogrammen ab. Damit erklärt sich der relative Rückgang
der Kreditzusagen an sächsische Unternehmen durch die KfW-Mittelstandsbank im Vergleich zu anderen
(ostdeutschen) Bundesländern.

                                                ifo Dresden berichtet 5/2015
2   Inhalt

    Gekommen, um zu bleiben – Fiskalische Effekte ausländischer Studierender in
    Deutschland                                                                                                 32
    Stefanie Gäbler

    Durch die gebührenfreie Hochschulausbildung in Deutschland entstehen der öffentlichen Hand mit jedem
    Studierenden Ausgaben. In diesem Artikel wird untersucht, wie lange ein ausländischer Absolvent nach
    Abschluss des Studiums in Deutschland erwerbstätig bleiben müsste, bis die gezahlten Steuern die öf-
    fentlichen Ausgaben der Hochschulausbildung ausgleichen. Dabei werden Unterschiede zwischen den
    Studienfächern sowohl hinsichtlich der Ausbildungskosten als auch der späteren Erwerbseinkommen
    berücksichtigt. Die minimale Erwerbszeit für ein durchschnittliches Universitätsstudium in Rechts-, Wirt-
    schafts- und Sozialwissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften, Humanmedizin und Gesund-
    heitswissenschaften und Ingenieurwissenschaften liegt bei knapp unter zehn Jahren, nur bei den Sprach-
    und Kulturwissenschaften liegt die minimale Erwerbsdauer etwas höher.

    Im Blickpunkt

    Keine Kohle, keine Zukunft?                                                                                 43
    Joachim Ragnitz

    Die Bundesregierung hat sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt; bis zum Jahr 2050 soll der CO2-Aus-
    stoß gegenüber dem Basisjahr 1990 um bis zu 95 % sinken. Dies ist nur erreichbar, wenn auf die Braun-
    kohleverstromung in Deutschland mittelfristig verzichtet wird. Insoweit gibt es einen kaum zu lösenden
    Gegensatz zwischen den Klimaschutzzielen der Bundesregierung und dem Interesse der Landesregie-
    rungen von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, die an der energetischen Nutzung der heimi-
    schen Braunkohlevorkommen bis auf Weiteres festhalten wollen und hierfür neben energiepolitischen Zie-
    len vor allem strukturpolitische Belange geltend machen. Da davon auszugehen ist, dass schon aufgrund
    aufkeimender gesellschaftlicher Widerstände die Braunkohleverstromung in Deutschland nur noch be-
    grenzte Zeit aufrechterhalten werden kann, sollte bereits jetzt damit begonnen werden, neue Wirt-
    schaftsstrukturen in den betroffenen Regionen aufzubauen. Hierfür sind entsprechende Förderprogramme
    zu initiieren, damit ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Braunkohlewirtschaft gelingen kann.

    Daten und Prognosen

    Ostdeutsche Wirtschaft mit positiver Wirtschaftsentwicklung im dritten Quartal:
    ifo Geschäftsklimaindex im September 2015                                                                   46
    Robert Lehmann

    Der sächsische und der ostdeutsche Arbeitsmarkt im September: Leichte Zunahme der Dynamik                   49
    Michael Weber

    Aus der ifo Werkstatt

    ifo Veranstaltungen                                                                                         52

    ifo Vorträge                                                                                                53

    ifo Veröffentlichungen                                                                                      54

    ifo intern                                                                                                  54

                                                    ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse                        3

Der Gang zur Wahlurne: Beweggründe für die
politische Partizipation
Sabine Gralka und Julia Heller*

Einleitung                                                        auch eigenes politisches oder ehrenamtliches Engage-
                                                                  ment.
Nach verbreiteter Auffassung garantiert in einer parla-                Vor dem Hintergrund eines offenkundig strukturellen
mentarischen Demokratie nur eine hinreichend hohe Be-             West-Ost-Unterschiedes in der Wahlbeteiligung werden
teiligung der Bürger an politischen Wahlen, dass die Re-          mit den folgenden Auswertungen ausgewählte Partizipa-
gierung die politischen Vorstellungen der Mehrheit der            tionsmotive für Ost- und Westdeutschland genauer ana-
Bevölkerung repräsentiert.1 Allgemein wird in der politik-        lysiert. Es soll untersucht werden, welche Beweggründe
wissenschaftlichen, ökonomischen und soziologischen               der politischen Partizipation durch die eigene Stimmen-
Literatur eine hohe Wahlbeteiligung als Zeichen für ein           abgabe zugrunde liegen und wie diese zur Erklärung des
ausgereiftes Demokratieverständnis und eine aktive Be-            unterschiedlichen Wahlbeteiligungsergebnisses beitra-
teiligung der Bevölkerung am politischen System gesehen           gen können. Hierfür wird die Allgemeine Bevölkerungs-
[vgl. SCHäFER (2009)]. In diesem Zusammenhang stellt              umfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) ausgewertet,
die im langfristigen Trend sinkende Wahlbeteiligung in            die Aussagen über den Zusammenhang von Wahlbeteili-
Deutschland auch weiterhin in regelmäßigen Abständen              gung und bestimmten soziodemographischen Charak-
ein reges Diskussionsthema dar.                                   teristika der Wahlberechtigten (z. B. Alter, Geschlecht
     So ließen seit den 1970er-Jahren, über rund drei Jahr-       oder auch Bildungsniveau) erlaubt.
zehnte hinweg, immer mehr Bürger bei Bundestags-,
Landtags-, Kommunal- oder auch Europawahlen ihr Recht
zu wählen ungenutzt [vgl. SCHäFER (2009)]. Erst am aktu-          Bisheriger Stand der Wahlforschung
ellen Rand, wie etwa bei der Bundestagswahl 2013,
konnte eine wieder leicht ansteigende Wahlbeteiligung             Für den Normalbürger ist die Beteiligung an allgemeinen
beobachtet werden [vgl. DER BUNDESWAHLLEITER (2015)].             Wahlen die wichtigste Form einer Teilhabe am politischen
     Allerdings gibt es dabei deutliche regionale Unter-          Willensbildungsprozess. Basierend auf Überlegungen zum
schiede: So liegt die Wahlbeteiligung in den ostdeutschen         individuellen Nutzenkalkül bei der Entscheidung für oder
Bundesländern weit unter derjenigen für Westdeutsch-              gegen eine Stimmabgabe legte DOWNS (1957) den Grund-
land (vgl. Abb. 1). Mit Ausnahme weniger Wahlkreise, vor          stein der ökonomischen Wahlforschung mit dem von ihm
allem im Umland von Dresden und Berlin, beteiligten sich          herausgearbeiteten „Wahlparadoxon“. Dieses Paradoxon
bei der letzten Bundestagswahl 2013 (teilweise deutlich)          besteht in dem Widerspruch zwischen der theoretisch
weniger als 70 % der Wahlberechtigten an der Stimmab-             hergeleiteten Schlussfolgerung, dass Nichtwählen für einen
gabe. In den Wahlkreisen Westdeutschlands lag die Wahl-           rationalen Akteur die überlegene Alternative ist, und der
beteiligung hingegen zumeist zwischen 70 % und 75 %.              empirischen Beobachtung, dass ein großer Teil der Bür-
Vor allem im Umkreis größerer Städte liegen die Ergeb-            ger tatsächlich wählen geht. Während nämlich die Betei-
nisse sogar nochmals deutlich höher. Die unterschiedlich          ligung an einer Wahl mit Opportunitäts-, Informations-
hohe Wahlbeteiligung wird zum Beispiel durch Faktoren             und Entscheidungskosten verbunden ist, ist der damit
wie regionale Unterschiede bei der Zufriedenheit der              verbundene individuelle Nutzen nahezu Null, da eine ein-
Wähler mit den Kompetenzen der Parteien oder dem                  zelne Stimme für den Wahlausgang mit hoher Wahr-
unterschiedlich stark ausgeprägten Gefühl erklärt, durch          scheinlichkeit bedeutungslos ist. Ein rationaler Entschei-
politische Parteien überhaupt noch vertreten zu werden            der wird sich daher nicht an Wahlen beteiligen.
[vgl. BECKER (2005)].                                                 Das Wahlparadoxon lässt sich nur auflösen, wenn
     Darüber hinaus werden in der Literatur weitere Ein-          nicht-ökonomische Motive als Determinante der Wahl-
flussfaktoren auf die Wahlbeteiligung diskutiert, welche          beteiligung zugelassen werden – so z. B. eine ethisch-
vornehmlich auf dem individuellen Nutzenkalkül bei der
Wahlentscheidung beruhen. Diese Wirkungskanäle um-
fassen insbesondere die subjektive Einschätzung der                 *   Sabine Gralka ist Doktorandin am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und
                                                                        Wirtschaftsforschung an der Technischen Universität Dresden. Julia Hel-
Wahlberechtigten hinsichtlich der Bedeutung ihrer eige-
                                                                        ler ist Doktorandin der Niederlassung Dresden des ifo Institut – Leibniz-
nen Stimme, den Grad der politischen Informiertheit oder                Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.

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4   Aktuelle Forschungsergebnisse

    Abbildung 1: Endgültiges Ergebnis der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 nach Wahlkreisen

    Quellen: Geodaten: © GeoBasis-DE / BKG (2011), Wahlbeteiligung: Der Bundeswahlleiter (2015), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

    moralisch begründete Selbstverpflichtung, sich an Wah-                   pretiert, dass Individuen mit einem höheren Bildungs-
    len zu beteiligen oder ein hierauf gerichteter Druck des                 niveau geringere Kosten der Wahlentscheidung aufweisen
    persönlichen Umfelds. Hiervon ausgehend lässt sich dann                  [vgl. KAM und PALMER (2008)]. Weitere, zumeist empirisch
    die Frage stellen, welche Faktoren die Entscheidung für                  geprägte Arbeiten fokussieren sich auf ausgewählte Wir-
    oder gegen eine politische Partizipation mittels Beteiligung             kungskanäle, wie z. B. die Wahlteilnahme aus ethischer
    an einer Wahl auf der individuellen Ebene beeinflussen.                  Verpflichtung [vgl. u. a. GERBER et al. (2008), MATLAND und
    Ein wichtiger Ansatzpunkt dabei ist es, die offensichtliche              MURRAy (2015)], die Kosten der Informationsbeschaffung
    Heterogenität der Wahlberechtigten zu berücksichtigen.                   [vgl. BONAPARTE und KUMAR (2013), LACy und NIOU (2012)],
        Im Blickpunkt der Untersuchungen steht u. a. der Ein-                das vorhandene politische Grundwissen [vgl. HOOGHE und
    fluss des Bildungsniveaus [LOCHNER (2010)]. Typischer-                   DASSONNEVILLE (2011), NORDIN (2014)] oder aber auch auf
    weise wird diese (positive) Beziehung dahingehend inter-                 den Einfluss von Wahlkampagnen und Medien [für das

                                                             ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse            5

Beispiel von Fox News in den USA vgl. DELLAVIGNA und              rung zu klein wird, sind die Befragten aus den ostdeut-
KAPLAN (2007)].                                                   schen Bundesländern überproportional in der ALLBUS-
    Eine umfassende Betrachtung mit mehreren Wirkungs-            Stichprobe vertreten. Um Aussagen für Gesamtdeutsch-
kanälen wird innerhalb der Literatur nur vereinzelt durch-        land treffen zu können, werden die im ALLBUS-Daten-
geführt, jedoch wiederholt empfohlen [vgl. HyLLIGUS (2005),       satz bereitgestellten Gewichtungsvariablen verwendet
MARTHENS und GAINOUS (2013)]. Einen Ansatz diesbezüg-             [vgl. ALLBUS (2014b)].
lich liefern KÜHNEL und FUCHS (1994). Sie zeigen, dass
insbesondere die unterschiedlichen Einschätzungen der
Kompetenzen und politischen Maßnahmen der Parteien                Mögliche Einflussfaktoren auf die Wahlbeteiligung
oder Kandidaten als auch die wahrgenommene Teilnah-
meverpflichtung, begründet durch die Erwartungshaltung            Bedeutung der eigenen Stimme
des sozialen Umfeldes sowie durch die individuelle Selbst-
verpflichtung, die Wahlabsicht im besonderen Maße be-             Von besonderem Interesse ist die empirische Untersu-
einflussen.                                                       chung zur individuellen Einschätzung der Bedeutung der
                                                                  eigenen Stimme bei einer Wahl. Je höher das Individuum
                                                                  die Relevanz der eigenen Stimme einschätzt, desto eher
Datengrundlage                                                    wird es geneigt sein, tatsächlich zur Wahl zu gehen. Ent-
                                                                  sprechend dem zuvor angesprochenen Paradoxon des
Zur Beantwortung der genannten Fragestellungen wird               Wählens hat die einzelne Stimme jedoch eine praktisch
auf Daten des GESIS INSTITUTES FÜR SOZIALWISSENSCHAF-             zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit, den Wahlaus-
TEN (GESIS) zurückgegriffen. Im Mittelpunkt der Auswer-           gang zu entscheiden. Es ist allerdings nicht ausgeschlos-
tung steht der von GESIS bereitgestellte Datensatz „All-          sen, dass die Wähler ihre Einflusswahrscheinlichkeit selbst
gemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“             anders einschätzen. Insbesondere vor dem Hintergrund
(ALLBUS). Dieser besteht aus seit 1980 alle zwei Jahre            der immer stärker werdenden medialen Aufforderungen,
erhobenen, repräsentativen Querschnittsumfragen bezüg-            wählen zu gehen, mit Betonung auf der Bedeutung der
lich Einstellungen, Verhaltensweisen und Sozialstruktur der       einzelnen Stimme, ist eine Überschätzung des individu-
Bevölkerung. Der ALLBUS-Datensatz enthält neben den               ellen Einflusses wahrscheinlich [vgl. KÜHNEL und FUCHS
wiederkehrenden Fragen zu politischen Einstellungen zu-           (2000), KAHNEMAN und TVERSKy (1979)].
dem vier Umfragewellen aus den Jahren 1988, 1998, 2008                Der Wirkungskanal Bedeutung der eigenen Stimme
und 2014, in welchen ein besonderer Fokus auf die poli-           wird im ALLBUS indirekt über zwei verschiedene Frage-
tische Partizipation gelegt wurde.                                stellungen abgebildet. Dabei wird zwischen der Wahl-
    Im vorliegenden Beitrag steht die neueste Umfrage-            beteiligungsnorm und dem Beteiligungsnutzen unterschie-
welle aus dem Jahr 2014 im Mittelpunkt der Auswer-                den. Entsprechend RIKER und ORDERSHOOK (1968) kann
tung; wo es sinnvoll erscheint, erfolgt darüber hinaus ein        die Wahlbeteiligungsnorm als Selbstverständnis des Staats-
Vergleich mit den Angaben aus den Jahren 1998, 2008               bürgers beschrieben werden, zur Wahl zu gehen. Die
und /oder 2012.2 Der ALLBUS-Datensatz 2014 wurde                  Norm zielt folglich auf die demokratische Identifikation
zusammen mit zwei Modulen des „International Social               des Individuums ab, dem Verständnis, über die Mehrheit
Survey Programme“ (ISSP) erhoben. Zu diesem Zweck                 der Wähler Einfluss auf die politischen Entscheidungs-
wurde die Gesamtheit der ALLBUS-Stichprobe (3.471                 träger zu nehmen [vgl. KÜHNEL und FUCHS (2000)]. Sie
Personen) aufgeteilt. 1.727 Personen nahmen am ISSP I             kann unmittelbar über die Frage abgedeckt werden, ob
Modul „Nationale Identität“ und 1.709 am ISSP II Modul            der Befragte der Meinung ist, dass Wahlbeteiligung eine
„Bürger und Staat“ teil.3 Während ausgewählte Fragen,             Bürgerpflicht ist. Die Angabe erfolgte in den Jahren 1998,
wie z. B. zur Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestags-         2008 und 2014 in Form einer Zustimmungsskala. Je höher
wahl (2013), in beiden Gruppen gestellt wurden, ist der           der Wert, desto größer ist der persönliche Stellenwert
überwiegende Anteil der Variablen in jeweils nur einem            einer Wahlbeteiligung.4
der Module vorhanden. Die dementsprechend kleineren                   Ergänzt wird die Wahlbeteiligungsnorm durch den er-
Stichproben sind nachfolgend gekennzeichnet.                      warteten persönlichen Ertrag des Individuums aus der
    Wie zuvor anhand von Abbildung 1 gezeigt, bestehen            Wahlbeteiligung, dem Beteiligungsnutzen. Dieser wird
wesentliche Unterschiede bei der Wahlpartizipation zwi-           durch die Frage abgebildet, ob die Person davon aus-
schen den ost- und westdeutschen Bundesländern. Eine              geht, dass die Politiker sich für die Gedanken oder Inter-
separate Analyse ist deshalb angemessen und steht im              essen der Bürger interessieren. Geht die Person davon
Fokus der nachfolgenden Betrachtung. Um zu vermeiden,             aus, dass die eigenen Gedanken für die Entscheidungs-
dass die Fallzahl für Analysen der ostdeutschen Bevölke-          findung auf der politischen Ebene bedeutungslos sind,

                                                  ifo Dresden berichtet 5/2015
6   Aktuelle Forschungsergebnisse

    ist es wahrscheinlich, dass das Individuum auch den Nut-           Bürger. So argumentiert JOHANN (2009), dass Wahlbe-
    zen aus der Wahlbeteiligung gering einschätzt. Beide               rechtigte mit einem bereits hohen politischen Wissen zu-
    Variablen wurden in den Umfragewellen 1998, 2008 und               sätzliche Informationen leichter aufnehmen und bewerten
    2014 (ISSP I Modul) erhoben.                                       können. Durch eine hohe politische Informiertheit kann
         Wie in Abbildung 2 dargestellt, stimmen die Befrag-           eine differenzierte Betrachtung der Parteien einfacher vor-
    ten eher der Angabe zu, dass Wahlbeteiligung eine Bür-             genommen werden. Die Entscheidungskosten sinken und
    gerpflicht ist, als der Aussage, dass sich die Politiker um        die Vorteile des Wählens bewegen ein Individuum mit
    die Gedanken ihrer Wähler kümmern. Zwischen den west-              einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einer Stimmabgabe
    und ostdeutschen Bundesländern gibt es nur gering-                 [vgl. JOHANN (2009)]. Eine Reihe von empirischen Arbei-
    fügige Unterschiede. Bei der Wahlbeteiligungsnorm ist die          ten widmet sich im Wahlkontext der Aufgabenstellung,
    Zustimmung über die drei betrachteten Jahre in West-               einen Informiertheitsindex zum politischen Grundwissen
    deutschland mit rd. 54 % hingegen weit höher als in Ost-           der Individuen zu ermitteln. Der Index soll belegen, dass
    deutschland mit rd. 40 %. Auffällig ist in beiden Regionen         die Informiertheit einen positiven Einfluss auf die Wahlbe-
    zudem die starke Zustimmung im Jahr 2008, welche ins-              teiligung hat [vgl. u. a. JOHANN (2009), LEVENDUSKy (2011),
    besondere in Westdeutschland hoch ausgeprägt ist. Dabei            NORDIN (2014)].
    gibt es kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern;                   Innerhalb des ALLBUS-Datensatzes werden ver-
    wohl aber zwischen den verschiedenen Altersgruppen.                schiedene Fragestellungen erhoben, die eine Differen-
         Die Wahlbeteiligungsnorm nimmt mit dem Alter der              zierung hinsichtlich der politischen Informiertheit der Be-
    Befragten nahezu kontinuierlich zu. Der Beteiligungsnutzen         fragten erlauben. Als einen ersten wichtigen Indikator für
    wird hingegen in allen Altersgruppen annähernd gleich              diesen Wirkungskanal wird im Folgenden das Interesse
    (und insgesamt eher niedrig) eingeschätzt. Auffällig ist auch      für politische Themenbereiche betrachtet. Hierbei wird
    die Verbindung zwischen dem Bildungsniveau und der                 angenommen, dass mit dem Interesse eines Indivi-
    Bedeutung der eigenen Stimme. Lediglich Personen ohne              duums auch sein Informationsstand zum betrachteten
    formellen Schulabschluss weichen von den anderen Bil-              Themenfeld steigt. Im Datensatz werden die befragten
    dungsstufen ab und schätzen die Wahlbeteiligungsnorm               Personen gebeten, eine Einschätzung hinsichtlich ihres
    geringer ein als Personen mit Abschluss. Anders verhält            politischen Interesses auf einer fünfstufigen Skala von
    es sich beim Beteiligungsnutzen, bei dem das Bildungs-             „sehr stark“ bis „überhaupt nicht“ abzugeben.
    niveau negativ mit dem Nutzen einhergeht. Je höher der                  Die Ergebnisse für Ost- und Westdeutschland kön-
    Grad des Bildungsabschlusses ist, desto eher geht der              nen Abbildung 4 entnommen werden, wobei für beide
    Befragte davon aus, dass die Politiker sich nicht für die          Landeshälften sehr ähnliche Ergebnisse zu erkennen sind.
    eigenen Gedanken interessieren.                                    Für Gesamtdeutschland zeigt sich, dass ein großer Teil
         Abschließend ist der Blick auf die Einschätzung der           der Befragten, mit rd. 40 %, ihr politisches Interesse der
    eigenen Stimme und die Wahlbeteiligung interessant (vgl.           mittleren Einstufung zuordnet. Ein starkes Interesse für
    Abb. 3). Innerhalb des Datensatzes wird erfragt, ob die            den politischen Bereich gibt immerhin rund ein Viertel der
    jeweilige Person bei der letzten Bundestagswahl 2013               Befragten an. Unterschiede hinsichtlich des politischen
    wählen war oder nicht.5 Je stärker die Person die Wahl-            Interesses zeigen sich hingegen bei einer zeitlichen
    beteiligung als Bürgerpflicht versteht, desto eher geht sie        Betrachtung. So schätzen zunehmend mehr Personen
    zur Wahl. Dieser Unterschied ist mit einer Wahlbeteiligung         mit jedem Erhebungsjahr (1998, 2008, 2012 und 2014)
    seitens Personen, welche die Aussage vollständig ableh-            ihr politisches Interesse als „sehr stark“ ein.
    nen i. H. v. 67 % bzw. 59 % (West- bzw. Ostdeutschland)                 Weiterhin ist in Abbildung 4 das politische Interesse in
    gegenüber Personen, welcher der Aussage vollständig                Abhängigkeit demographischer Aspekte, wie dem Ge-
    zustimmen i. H. v. 95 % bzw. 93 % eindeutig. Dies be-              schlecht und dem Alter, sowie des Bildungsniveaus dar-
    stätigt die zu Beginn getroffene Vermutung. Der Blick auf          gestellt. Insgesamt zeigt sich für Ost- und Westdeutsch-
    den Beteiligungsnutzen ergibt jedoch ein anderes Bild.             land, dass das politische Interesse bei Männern stärker
    Eine hohe Wahlbeteiligung zeigen vor allem die Gruppen,            als bei Frauen ausgeprägt ist. Ein gesteigertes Politikinter-
    welche die Aussage ablehnen, dass sich die Politiker um            esse der Frauen kann für das Jahr 2014 gegenüber den
    die Gedanken der Individuen kümmern.                               vorherigen Befragungswellen 1998 oder 2008 zudem nicht
                                                                       festgestellt werden. In Hinblick auf das Bildungsniveau
                                                                       treten für Ost- und Westdeutschland die erwarteten Er-
    Politische Informiertheit und Entscheidungskosten                  gebnisse auf: Mit steigendem Bildungsabschluss steigt
                                                                       das Interesse für politische Themen deutlich an.
    Eine weitere wichtige Einflussgröße auf die Entscheidung                Zusätzlich zum Politikinteresse bilden die Entschei-
    zur Wahl zu gehen, bildet die politische Informiertheit der        dungskosten einen wesentlichen Indikator für die politi-

                                                       ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse          7

Abbildung 2: Bedeutung der eigenen Stimme

    Wahlbeteiligungsnorma                                          Beteiligungsnutzena
    Wahlbeteiligung ist Bürgerpflicht                              Politiker kümmern sich um meine Gedanken

    West- und Ostdeutschland 1998, 2008, 2014
      Gesamt '14                                             (1)      Gesamt '14                                               (1)
             '08                                                             '08
             '98                                             (2)             '98                                               (2)
                                                             (3)                                                               (3)
                '14                                                             '14
      Westdtld. '08                                          (4)      Westdtld. '08                                            (4)
                '98                                                             '98
               '14                                                              '14
      Ostdtld. '08                                                     Ostdtld. '08
               '98                                                              '98
                  0% 20% 40% 60% 80% 100%                                          0% 20% 40% 60% 80% 100%

    Nach Geschlecht 2014
     100%                                                    (4)      100%                                                     (4)
       80%                                                   (3)       80%                                                     (3)
       60%                                                   (2)       60%                                                     (2)
       40%                                                   (1)       40%                                                     (1)
       20%                                                             20%
        0%                                                              0%
             Männer Frauen            Männer Frauen                           Männer Frauen          Männer Frauen
            Westdeutschland           Ostdeutschland                         Westdeutschland         Ostdeutschland

    Nach Alterskategorie 2014 (in Jahren)
     100%                                                    (4)      100%                                                     (4)
      80%                                                              80%
                                                             (3)                                                               (3)
      60%                                                              60%
      40%                                                    (2)       40%                                                     (2)
      20%                                                    (1)       20%                                                     (1)
       0%                                                               0%
         30 29
         45 44
         60 59
         75 74
             9

         30 29
         45 44
         60 59
         75 74
             9

                                                                          30 29
                                                                          45 4
                                                                          60 59
                                                                          75 4
                                                                              9

                                                                          30 29
                                                                          45 44
                                                                          60 59
                                                                          75 74
                                                                              9
           –8

           –8

                                                                            –4

                                                                            –7
                                                                            –8

                                                                            –8
           –
           –
           –
           –

           –
           –
           –
           –

                                                                            –

                                                                            –

                                                                            –
                                                                            –
                                                                            –
                                                                            –
         18

         18

                                                                          18

                                                                          18

           Westdeutschland            Ostdeutschland                         Westdeutschland         Ostdeutschland

    Nach Bildungsniveaub 2014
     100%                                                    (4)      100%                                                     (4)
      80%                                                    (3)       80%                                                     (3)
      60%                                                              60%
                                                             (2)                                                               (2)
      40%                                                              40%
      20%                                                    (1)       20%                                                     (1)
       0%                                                               0%
            o.A. HS MR FH Uni o.A. HS MR FH Uni                                 o.A. HS MR FH Uni   o.A. HS MR FH Uni

             Westdeutschland         Ostdeutschland                            Westdeutschland      Ostdeutschland

    a) (1) Stimme voll und ganz zu (2) Stimme eher zu (3) Stimme nicht zu (4) Stimme überhaupt nicht zu –
    b) o. A. = ohne Abschluss, HS = Hauptschulabschluss, MR = Mittlere Reife, FH = Fachhochschulreife, Uni = Hochschulreife.

Quellen: ALLBUS (2012, 2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

                                                      ifo Dresden berichtet 5/2015
8   Aktuelle Forschungsergebnisse

    Abbildung 3: Bedeutung der eigenen Stimmea und Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl 2013
    für Ost- und Westdeutschland6

          100%                                                                                                                 (4)
           90%                                                                                                                 (3)
           80%                                                                                                                 (2)
           70%                                                                                                                 (1)
           60%

           50%

           40%

           30%

           20%

           10%

             0%
                   Beteiligungsnorm Beteiligungsnutzen                               Beteiligungsnorm Beteiligungsnutzen

                               Westdeutschland                                                   Ostdeutschland

                   a) (1) Stimme voll und ganz zu (2) Stimme eher zu (3) Stimme nicht zu (4) Stimme überhaupt nicht zu.

    Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

    sche Informiertheit der Wahlberechtigten. Entscheidungs-               graphischen Aspekten verdeutlicht wiederum, dass Män-
    kosten beschreiben in diesem Zusammenhang jene Kos-                    ner häufiger angeben, politisch informiert zu sein, als Frau-
    ten, welche ein Individuum aufwenden muss, um eine                     en und dass das Wissen über wichtige politische The-
    Wahlentscheidung treffen zu können. Fällt es dem Wähler                men über die Altersgruppen bis 74 Jahre zunimmt. Des
    leicht, sich über seine persönlichen, unterschiedlichen Ein-           Weiteren kann ein positiver Einfluss des Bildungsniveaus
    schätzungen zu Kompetenzen und Politiken der Parteien                  auch für diesen Indikator bestätigt werden.
    oder Kandidaten bewusst zu werden, wird es ihm einfa-                      Abschließend sind in Abbildung 5 beide Indikatoren
    cher fallen, eine Wahlentscheidung zu treffen, d. h. sein              für die politische Informiertheit den Angaben zur Wahl-
    zusätzlicher Aufwand der Informationsbeschaffung ist ge-               beteiligung gegenübergestellt. Für das politische Inter-
    ring. Niedrige Entscheidungskosten implizieren in diesem               esse zeigt sich, dass Bürger mit einem höheren Politik-
    Zusammenhang eine hohe politische Informiertheit [vgl.                 interesse häufiger an Wahlen teilnehmen. Auffällig ist,
    JOHANN (2009)].                                                        dass Befragte in Ostdeutschland relativ häufiger ange-
        Für die folgenden Auswertungen werden die Kosten                   ben, ein sehr starkes Politikinteresse aufzuweisen und
    der Wahlentscheidung anhand der Aussage „Ich weiß                      sich dennoch gegen eine Wahlbeteiligung entscheiden
    über die wichtigen politischen Themen in Deutschland                   als westdeutsche Befragte. Dieses Ergebnis spiegelt
    ziemlich gut Bescheid.“ gemessen (ISSP II Modul). Die                  sich ebenfalls bei den Entscheidungskosten wider. In
    volle Zustimmung eines Umfrageteilnehmers zu dieser                    Ostdeutschland stimmen mehr Wahlbeteiligte der Aus-
    Behauptung lässt in diesem Sinne auf geringe Entschei-                 sage voll zu, über politische Themen informiert zu sein,
    dungskosten der Wahlentscheidung schließen. In Abbil-                  obwohl diese Einschätzung seltener auch zu einer
    dung 4 wird gezeigt, dass knapp 50 % der Befragten                     Wahlbeteiligung führt. Insgesamt verdeutlichen jedoch
    (Gesamtdeutschland) der Aussage zustimmen und da-                      beide Abbildungen den erwarteten positiven Zusam-
    mit die Entscheidungskosten als gering einschätzen. Die                menhang zwischen der politischen Informiertheit und
    Aufschlüsselung der Entscheidungskosten nach demo-                     der Wahlbeteiligung der Befragten.

                                                           ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse           9

Abbildung 4: Politische Informiertheit in Ost- und Westdeutschland (2014)

      Politisches Interesse                                                Entscheidungskosten gemäß der Aussage
                                                                           „Ich weiß über die wichtigen politischen
      West- und Ostdeutschland                                             Themen in Deutschland ziemlich gut Bescheid“

             (1) sehr stark                                                       (1) stimme voll zu
                   (2) stark                                                             (2) stimme zu
                  (3) mittel                                                         (3) weder noch
                 (4) wenig                                                      (4) stimme nicht zu
      (5) überhaupt nicht                                                 (5) stimme gar nicht zu
                              0%       20%          40%           60%                                  0%                50%           100%
        Gesamtdeutschland                                                        Gesamtdeutschland
        Westdeutschland               Ostdeutschland                             Westdeutschland                     Ostdeutschland

      Nach Geschlecht
      100%                                                                  100%
       80%                                                                   80%
       60%                                                                   60%
       40%                                                                   40%
       20%                                                                   20%
        0%                                                                    0%
             Frauen Männer                        Frauen Männer                          Frauen Männer                  Frauen Männer
            Westdeutschland                       Ostdeutschland                         Westdeutschland                Ostdeutschland
                        (1)    (2)   (3)    (4)     (5)                                         (1)      (2)   (3)     (4)   (5)

      Nach Alterskategorie (in Jahren)
      100%                                                                  100%
       80%                                                                   80%
       60%                                                                   60%
       40%                                                                   40%
       20%                                                                   20%
        0%                                                                    0%
                                                                                                                            4
                                                                                                                          –4
                                                                                      9
           30 29
           45 44
           60 59
           75 74
               9

                                     30 29
                                     45 44
                                     60 59
                                     75 4
                                         9

                                                                                  30 29
                                                                                  45 44
                                                                                  60 59
                                                                                  75 4

                                                                                                                   9

                                                                                                                          60 59
                                                                                                                          75 74
                                                                                                                              9

                                                                                                                         0
                                                                                    –8
             –8

                                       –7
                                       –8

                                                                                    –7

                                                                                                                 –2

                                                                                                                            –8

                                                                                                                        3
             –
             –
             –
             –

                                       –
                                       –
                                       –

                                                                                    –
                                                                                    –
                                                                                    –

                                                                                                                            –
                                                                                                                            –
           18

                                     18

                                                                                  18

                                                                                                               18

                                                                                                                          45

               Westdeutschland             Ostdeutschland                                Westdeutschland               Ostdeutschland
                     (1) (2) (3)           (4) (5)                                             (1) (2) (3)             (4) (5)

      Nach Bildungsniveaua
      100%                                                                  100%
        80%                                                                   80%
        60%                                                                   60%
        40%                                                                   40%
        20%                                                                   20%
         0%                                                                     0%
                o.A. HS MR FH Uni          o.A. HS MR FH Uni                              o.A. HS MR FH Uni            o.A. HS MR FH Uni
               Westdeutschland   Ostdeutschland                                          Westdeutschland               Ostdeutschland
                     (1) (2) (3) (4) (5)                                                       (1) (2) (3)             (4) (5)
      a) o. A. = ohne Abschluss, HS = Hauptschulabschluss, MR = Mittlere Reife, FH = Fachhochschulreife, Uni = Hochschulreife.

Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

                                                          ifo Dresden berichtet 5/2015
10   Aktuelle Forschungsergebnisse

     Abbildung 5: Politische Informiertheit und Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 für Ost- und
     Westdeutschland

         Politisches Interessea                                               Entscheidungskosten gemäß der Aussage
                                                                              „Ich weiß über die wichtigen politischen
                                                                              Themen in Deutschland ziemlich gut Bescheid“b
        100%                                                                 100%
         90%                                                                  90%
         80%                                                                  80%
         70%                                                                  70%
         60%                                                                  60%
         50%                                                                  50%
         40%                                                                  40%
         30%                                                                  30%
         20%                                                                  20%
         10%                                                                  10%
          0%                                                                   0%
                  (1) (2) (3) (4) (5)             (1) (2) (3) (4) (5)                   (1) (2) (3) (4) (5)        (1) (2) (3) (4) (5)
                   Westdeutschland                  Ostdeutschland                       Westdeutschland             Ostdeutschland

         a) (1) sehr stark (2) stark (3) mittel (4) wenig                     b) (1) stimme voll zu (2) stimme zu (3) weder noch
            (5) überhaupt nicht                                                  (4) stimme nicht zu (5) stimme gar nicht zu

     Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

     Politisches Engagement                                                   de Aktivitäten zeigen folglich das Engagement im Rah-
                                                                              men eines ausgewählten politischen Themas auf. Abbil-
     Entsprechend HUNTINGTON und NELSON (1976) beschreibt                     dung 6 zeigt, dass zwischen den ostdeutschen und west-
     der Begriff des politischen Engagements das Bestreben                    deutschen Bundesländern merkliche Unterschiede bei der
     von Privatpersonen, die eigene Meinung öffentlich zu ver-                Partizipation in Form von Demonstrationen und Unter-
     treten und im Idealfalll den Entscheidungsprozess der                    schriftensammlungen bestehen. Während in Ostdeutsch-
     Regierung zu beeinflussen. VERBA et al. (1995) erweitern                 land 20 % (63 %) der Befragten schon an einer Demons-
     diese Auslegung um zwei weitere Aspekte. Sie unter-                      tration (Unterschriftensammlung) teilgenommen haben,
     scheiden zwischen der direkten Einflussnahme, durch                      sind es in Westdeutschland lediglich 14% (60 %).7
     Einwirkung auf politische Prozesse, und der indirekten                       Das prinzipielle politische Engagement wird demge-
     Anteilnahme, durch die Wahl der Personen, welche die                     genüber durch die Fragestellung abgebildet, ob der Be-
     Politik umsetzen. Annahmegemäß beeinflussen sich bei-                    fragte Mitglied einer politischen Partei ist. Die Variable
     de Bereiche des politischen Engagements. Übt ein Indi-                   wurde in den Jahren 1998, 2008, 2012 und 2014 von
     viduum ein politisches Engagement aus, liegt die Vermu-                  allen Teilnehmern beantwortet. In der Abbildung 6 wird
     tung nahe, dass es sich u. a. aufgrund eines größeren                    deutlich, dass die Anzahl an Personen, welche in einer
     Interesses und der höheren Informiertheit eher am Wahl-                  Partei aktiv sind, im genannten Zeitraum gestiegen ist.8
     prozess beteiligt.                                                       Diese Entwicklung wird insbesondere durch den starken
         Der Wirkungskanal Politisches Engagement wird im                     Anstieg in den westdeutschen Bundesländern getrieben.
     Folgenden durch drei Variablen repräsentiert. Dabei wird                 Die in den ostdeutschen Ländern zwar ebenfalls fest-
     unterschieden zwischen dem Engagement im Rahmen                          stellbare Steigerung fällt wesentlich geringer aus.
     eines ausgewählten politischen Themas und der prinzipi-                      Lohnenswert ist ein zusätzlicher Blick auf das politi-
     ellen politischen Tätigkeit. Ersteres wird durch zwei Vari-              sche Engagement bezüglich Alter, Geschlecht und Bil-
     ablen abgedeckt. Die Teilnehmer des ISSP Modul I wur-                    dungsniveau der Individuen. Dabei fallen besonders die
     den gefragt, ob sie bereits an einer Demonstration und /                 Unterschiede zwischen den beiden Bereichen des poli-
     oder Unterschriftensammlung teilgenommen haben. Bei-                     tischen Engagements ins Auge, welche in Abbildung 6

                                                              ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse     11

Abbildung 6: Politisches Engagement in Ost- und Westdeutschland, 2014 (Ausnahme gekennzeichnet)

       Ausgewähltes politisches Thema                                     Allgemeines politischesa Engagement
       Demonstrationen und Unterschriftensammlunga                        Mitglied einer politischen Partei
      West- und Ostdeutschland 1998, 2008, 2012, 2014
                                                                          6%
                                                                          5%
             Demonstrationen
                                                                          4%
                                                                          3%
                Unterschriften-                                           2%
                    sammlung                                              1%
                                                                          0%
                              0% 20% 40% 60% 80%

                                                                               1998
                                                                               2008
                                                                               2012
                                                                               2014

                                                                                                 1998
                                                                                                 2008
                                                                                                 2012
                                                                                                 2014

                                                                                                                 1998
                                                                                                                 2008
                                                                                                                 2012
                                                                                                                 2014
           Gesamt       Westdeutschland Ostdeutschland
                                                                                      Gesamt       West-           Ost-
       Nach Geschlecht                                                                           deutschland    deutschland
       80%                                                                8%
       60%                                                                6%
       40%                                                                4%
       20%                                                                2%
        0%                                                                0%
               Unt. West Unt. Ost       Demo.        Demo.                            Westdeutschland     Ostdeutschland
                                         West         Ost
                           Männer       Frauen                                                 Männer     Frauen

       Nach Alterskategorie (in Jahren)
       80%                                                              10%
       60%                                                               8%
                                                                         6%
       40%
                                                                         4%
       20%                                                               2%
        0%                                                               0%
              Unt. West Unt. Ost   Demo.   Demo.                                      Westdeutschland     Ostdeutschland
                                    West    Ost
                18–29     30–44 45–59 60–74 75–89                                 18–29 30–44 45–59 60–74 75–89

      Nach Bildungsniveaub
      80%                                                                 7%
                                                                          6%
       60%                                                                5%
                                                                          4%
       40%
                                                                          3%
       20%                                                                2%
                                                                          1%
        0%                                                                0%
               Unt. West Unt. Ost      Demo.   Demo.                                  Westdeutschland      Ostdeutschland
                                       West     Ost
                       o. A. HS      MR FH Uni                                             o. A. HS     MR FH Uni

       a) Unt. = Unterschriftensammlung, Demo. = Demonstration, West = Westdeutschland, Ost = Ostdeutschland
       b) o. A. = ohne Abschluss, HS = Hauptschulabschluss, MR = Mittlere Reife, FH = Fachhochschulreife, Uni = Hochschulreife.

Quellen: ALLBUS (2012, 2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

                                                       ifo Dresden berichtet 5/2015
12   Aktuelle Forschungsergebnisse

     gegenübergestellt sind. Während bei Aktionen für aus-                  Ein eindeutiger Zusammenhang ergibt sich bei der Dar-
     gewählte politische Fragestellungen das Verhältnis von                 stellung des spezifischen politischen Engagements und
     Männern und Frauen annähernd ausgeglichen ist, zeigen                  dem Bildungsniveau der Befragten. Je höher der Bildungs-
     sich starke Unterschiede bei der Parteizugehörigkeit. In               abschluss des Individuums ist, desto größer ist die Wahr-
     den ost- und westdeutschen Bundesländern sind, ent-                    scheinlichkeit, dass der Befragte bereits an einer Demons-
     sprechend der Bevölkerungsumfrage, Männer häufiger                     tration oder Unterschriftensammlung teilgenommen hat.
     in der Politik tätig als Frauen. Dies geht mit dem zuvor               Dieser klare Zusammenhang ist durch eine Reihe wissen-
     beschriebenen stärkeren politischen Interesse von Män-                 schaftlicher Studien, darunter SHIELDS und GOIDEL (1997)
     nern konform. In Westdeutschland ist dieser Zusammen-                  sowie HILLyGUS (2005), bestätigt. Für die Parteimitglied-
     hang zudem stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland.                   schaft ist das Verhältnis jedoch abermals nicht eindeutig.
         Auch beim Alter sind Unterschiede zwischen beiden                      Abschließend sind in Abbildung 7 die drei genannten
     Bereichen des politischen Engagements erkennbar. Die                   Fragestellungen zum politischen Engagement im Vergleich
     Teilnahme an Demonstrationen und Unterschriftensamm-                   zur angegebenen Wahlbeteiligung abgetragen. Die Um-
     lungen nimmt mit dem Alter zunächst zu, erreicht in der                fragewerte zeigen, dass Befragte, welche sich politisch
     Alterskategorie 45 bis 49 Jahre ihren Höhepunkt und                    engagieren, eine höhere Wahlbeteiligung aufweisen als
     nimmt dann bis zum Alter von 89 Jahren wieder ab. Aus-                 Personen, die nicht politisch tätig sind. Dies bestätigt die
     nahme bildet lediglich die Altersgruppe der 18- bis 29-                Vermutung, dass die Ausübung eines politischen Enga-
     Jährigen in Ostdeutschland, welche sich verhältnismäßig                gements die Wahrscheinlichkeit der Wahlbeteiligung er-
     stark an Demonstrationen beteiligen. Bei der Frage nach                höht. Die Gegenüberstellung zeigt, dass dieser positive
     Parteimitgliedschaften ergibt sich dagegen ein anderes                 Zusammenhang für Westdeutschland etwas stärker aus-
     Bild. Während sich in Westdeutschland ein Anstieg der                  geprägt ist als für Ostdeutschland. Während die Teilnahme
     Parteizugehörigkeit mit dem Alter abzeichnet, ist dieser               an Unterschriftensammlungen und Demonstrationen einen
     Zusammenhang für die ostdeutschen Bundesländer nur                     ähnlichen Effekt zu haben scheint, zeigt der Vergleich der
     mäßig gegeben. Dort ist es vor allem die Gruppe der 75-                drei Engagements, dass die Parteimitgliedschaft den stärk-
     bis 89-Jährigen, die Mitglied in einer politischen Partei sind.        sten Einfluss auf den Gang zur Wahlurne hat.

     Abbildung 7: Politisches Engagement und Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl 2013 für
     Ost- und Westdeutschland9

           100%
            90%
            80%
            70%
            60%
            50%
            40%
            30%
            20%
            10%
              0%
                       Unter- Demonstration      Partei-                                     Unter- Demonstration     Partei-
                     schriftens.               mitglied-                                   schriftens.               mitglied-
                                                 schaft                                                               schaft
                                 Westdeutschland                                                   Ostdeutschland

                                       Ausübung des betrachteten politischen Engagements
                                       Keine Ausübung des betrachteten politischen Engagements

     Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

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Aktuelle Forschungsergebnisse          13

Ehrenamtliches Engagement                                              Regelmäßigkeit der Tätigkeit (täglich, wöchentlich, monat-
                                                                       lich, seltener) differenziert wurde, kann davon ausgegan-
Unter einem Ehrenamt wird zumeist eine am Gemein-                      gen werden, dass die angegebenen Größen den tat-
wohl orientierte, unbezahlte, selbst- oder mitbestimmte                sächlichen Anteil eher überschätzen. Für das Jahr 2014
Aktivität in einer entsprechenden Organisation verstan-                ist, aufgrund zuvor genannter Problematik, eher eine
den. Anders als beim zuvor vorgestellten Wirkungskanal                 Unterschätzung zu erwarten. Die Auswertung bestätigt
liegt der Fokus der ehrenamtlichen Tätigkeit zumeist nicht             diese Vermutung. Demnach führten im Jahr 2014 ledig-
auf einer politischen Thematik. Es kann jedoch davon aus-              lich 5 % der Befragten eine ehrenamtliche Tätigkeit aus.
gegangen werden, dass sich Personen, welche gemein-                    Bei der folgenden Interpretation des Jahres 2014 sollte
nützig tätig sind, u. a. aufgrund der höheren sozialen Ver-            dieser Umstand berücksichtigt werden.10
pflichtung und / oder der besseren Informiertheit, eher am                 Der Vergleich der Antworten von Befragten aus den
Wahlprozess beteiligen.                                                westdeutschen und ostdeutschen Bundesländern zeigt,
     Der Wirkungskanal Ehrenamtliches Engagement kann                  dass ein etwas größerer Anteil von Personen aus West-
im Rahmen des ALLBUS-Datensatzes unmittelbar durch                     deutschland eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübt. Gehen
die Frage nach ehrenamtlichen Tätigkeiten der Befragten                in Ostdeutschland lediglich 4,4 % der Befragten der zu-
abgedeckt werden. Während im Jahr 1998 und 2012 die                    sätzlichen Aktivität nach, sind es in Westdeutschland
Individuen direkt nach ehrenamtlichen Tätigkeiten in Ver-              5,4 %. Der Anteil von Männern und Frauen unterscheidet
einen, Verbänden oder sozialen Diensten gefragt wurden,                sich dabei in beiden Regionen nur geringfügig.
erfolgt die Frage bei der Erhebung 2014 indirekt. Die Be-                  Abbildung 8 zeigt, dass die ehrenamtliche Tätigkeit
fragten können lediglich bei der Angabe von Vereinsmit-                stark mit dem Alter des Befragten variiert. Während in
gliedschaften angeben, ob sie dort ehrenamtlich tätig sind.            Westdeutschland vornehmlich die Gruppe der 30- bis 75-
Die möglichen Vereine wurden breit gefasst und beinhalten              Jährigen einem ehrenamtlichen Engagement nachgeht,
u. a. Sport-, Wohltätigkeits-, Eltern- und Seniorenvereine.            sind es in Ostdeutschland vor allem die 18- bis 29- sowie
Aufgrund dieser Tatsache ist ein Vergleich zwischen den                75- bis 89-Jährigen. Interessant ist zudem ein Blick auf
drei genannten Zeitpunkten nicht möglich.                              den Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und ehren-
     Die Gegenüberstellung der Antworten des Jahres 1998               amtlicher Tätigkeit, welcher ebenfalls in Abbildung 8 dar-
und 2012 zeigt jedoch, dass der Anteil der Personen, die               gestellt ist. Die zuvor beim politischen Engagement ge-
sich ehrenamtlich engagieren, stark gestiegen ist. Beant-              zeigte positive Korrelation zwischen beiden Variablen ist
worteten im Jahr 1998 26 % der Individuen die Frage nach               nicht mehr eindeutig.
ehrenamtlichen Tätigkeiten positiv, waren es im Jahr 2012                  Deutlich ist demgegenüber der Zusammenhang zwi-
bereits 43 %. Da die Personen jedoch keine Angabe zur                  schen der Wahlbeteiligung und dem ehrenamtlichen En-
Art des Engagements gaben und nicht entsprechend der                   gagement (vgl. Abb. 9). Von allen Personen, welche in

Abbildung 8: Ehrenamtliches Engagement

      Alterskategorie (in Jahren)                                       Bildungsniveaua
      8%                                                                8%

      6%                                                                6%

      4%                                                                4%

      2%                                                                2%

      0%                                                                0%
             Westdeutschland Ostdeutschland                                       Westdeutschland   Ostdeutschland
            18–29 30–44 45–59 60–74 75–89                                            o. A. HS     MR FH Uni

      a) o. A. = ohne Abschluss, HS = Hauptschule, MR = Mittlere Reife, FH = Fachhochschulreife, Uni = Hochschulreife.

Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

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14   Aktuelle Forschungsergebnisse

     der Umfrage angaben, ehrenamtlich aktiv zu sein, sagten                Umfrageteilnehmern aus Ostdeutschland auf. Die gerin-
     90 % sowohl in West- als auch in Ostdeutschland, dass                  gen Einflusserwartungen gehen zudem mit den Auswer-
     sie sich an der Wahl beteiligt haben. Bei den Personen,                tungen zum politischen Interesse der Befragten sowie
     die berichteten, keiner zusätzlichen Aktivität nachzuge-               dem Ausüben eines politischen und ehrenamtlichen En-
     hen, liegt die Wahlbeteiligung dem gegenüber bei 84 %                  gagements konform. Wahlberechtigte in den ostdeut-
     in West- und 77 % in Ostdeutschland.                                   schen Bundesländern bestätigen häufiger die Aussage,
                                                                            über politische Themen informiert zu sein, gleichwohl
                                                                            diese Einschätzung seltener zu einer positiven Wahlent-
     Fazit                                                                  scheidung führt. Zudem gibt ein geringerer Anteil der Be-
                                                                            fragten aus Ostdeutschland an, sich allgemein politisch
     Im vorliegenden Beitrag wurden ausgewählte Beweg-                      zu engagieren und Mitglied in einer Partei zu sein. Die
     gründe für die politische Partizipation in Form der Wahl-              Analyse zeigt, dass ein geringes politisches Engagement
     beteiligung für Ost- und Westdeutschland gegenüber-                    einen negativen Einfluss auf die Wahlbeteiligung ausübt.
     gestellt. Die Auswertungen legen allgemein nahe, dass                  Diese Ergebnisse spiegeln sich in den Auswertungen
     die politische Teilhabe ein bedeutendes Thema bei den                  zum ehrenamtlichen Engagement wider.
     Umfrageteilnehmern darstellt und zunehmend mehr Be-                        Insgesamt können mit den Auswertungen zum ALL-
     fragte ein sehr starkes Interesse für politische Themen-               BUS-Datensatz jedoch nur mäßige Unterschiede hin-
     bereiche aufweisen. Für beide Landeshälften zeigen sich                sichtlich der Partizipationsmotive zwischen den ost- und
     gleichzeitig leichte Unterschiede in den untersuchten                  westdeutschen Bundesländern festgestellt werden. Eine
     Wirkungskanälen, wobei diese vornehmlich auf den ver-                  umfassende Ursachenbetrachtung der deutlich niedri-
     schiedenen Einflusserwartungen der Befragten beruhen.                  geren Wahlbeteiligung in Ostdeutschland bedarf daher
         Die differenzierte Betrachtung der Bedeutung der eige-             weiterer Analysen mit differenzierteren Betrachtungsper-
     nen Stimme legt offen, dass Individuen, die wählen ge-                 spektiven. Weitere Informationen können zudem durch
     hen, eine hohe persönliche Wahlbeteiligungsnorm besit-                 die Anwendung eines multivariaten Verfahrens gewonnen
     zen. Dabei gehen sie jedoch nicht zwingend davon aus,                  werden, welche den Einfluss der einzelnen Wirkungs-
     dass die Politiker sich für die Gedanken der Individuen                kanäle simultan auf die Wahlbeteiligung prüft. Insbeson-
     interessieren. Diese Unzufriedenheit tritt besonders bei               dere Untersuchungen zur Einschätzung der Bedeutung

     Abbildung 9: Ehrenamtliches Engagement und Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl 2013 für
     Ost- und Westdeutschland11

          100%
             90%
             80%

             70%
             60%

             50%
             40%
             30%
             20%
             10%
             0%
                                     Westdeutschland                                         Ostdeutschland
                                                        Ehrenamt                   Kein Ehrenamt

     Quellen: ALLBUS (2014a), Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.

                                                            ifo Dresden berichtet 5/2015
Aktuelle Forschungsergebnisse           15

der eigenen Stimme und den damit verbundenen Ein-                JOHANN, D. (2009): Eine Betrachtung der Wahlbeteiligung
flusserwartungen auf die Politik könnten einen aufschlus-          bei der Bundestagswahl 2005 auf Basis von Rational-
sreichen Anhaltspunkt bieten.                                      Choice-Konzepten, Springer-Verlag.
                                                                 KAM, C. D. und C. L. PALMER (2008): Reconsidering the
                                                                   Effects of Education on Political Participation, The
Literatur                                                          Journal of Politics, Vol. 70, No. 3, S. 612–631.
                                                                 KAHNEMAN, D. und A. TVERSKy (1979): Prospect Theory:
ALLBUS (Hrsg.) (2012): Allgemeine Bevölkerungsumfra-               An Analysis of Decision under Risk, Econometrica,
  ge der Sozialwissenschaften ALLBUS 2012, hrsg.                   The Econometric Society, Vol. 47, No. 2, S. 263–292.
  vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften,         KÜHNEL, S. M. und D. FUCHS (1994): Nichtwählen als
  GESIS Datenarchiv, Köln, ZA4614 Datenfile Version                rationales Handeln: Anmerkungen zum Nutzen des
  1.1.1, doi:10.4232/1.11753.                                      Rational-Choice-Ansatzes in der empirischen Wahl-
ALLBUS (Hrsg.) (2014a): Allgemeine Bevölkerungsum-                 forschung II, In: Wahlen und Wähler: Analysen aus
  frage der Sozialwissenschaften ALLBUS 2014, hrsg.                Anlass der Bundestagswahl 1994, Schriften des Zen-
  vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften,           tralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der
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                                                 ifo Dresden berichtet 5/2015
16   Aktuelle Forschungsergebnisse

     VERBA, S.; K. L. SCHLOZMAN und H. BRADy (1995): Voice                                7    Bei der Interpretation muss berücksichtigt werden, dass der Zeitpunkt
       and Equality: Civic Voluntarism in American Politics,                                   der Teilnahme nicht erhoben wird.
                                                                                          8    An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass der ALLBUS-Datensatz bei
       Harvard University Press.                                                               dieser Frage vom tatsächlichen Durchschnitt abweicht. Entsprechend
                                                                                               NIEDERMAyER (2015) verlieren die großen Parteien seit 1990 kontinuierlich
                                                                                               an Mitgliedern. Die Anzahl der Mitglieder scheint ebenfalls überschätzt,
      1   Gleichermaßen dient aber auch der Verzicht auf die Stimmenabgabe oft-                da im Jahr 2013 lediglich 1,8 % der Parteibeitrittsberechtigten in einer
          mals als Argument für die politische Zufriedenheit, wobei unterstellt wird,          Partei aktiv waren [vgl. NIEDERMAyER (2015)]. Da im Gegensatz zum ALL-
          dass für die Bürger keine Notwendigkeit bestünde, durch ihre Stimmen-                BUS-Datensatz lediglich die großen Parteien (CDU/CSU, SPD, FDP,
          abgabe einen Einfluss auf das Politikgeschehen zu nehmen [vgl. SCHäFER               BüNDNIS 90/DIE GRüNEN, LINKE und AfD) erfasst wurden, kann ein Anteil
          (2009)].                                                                             der Differenz ggf. durch die abweichende Parteiendefinition erklärt wer-
      2   Die genannten Zeitpunkte wurden ausgewählt, um einen möglichst um-                   den. NIEDERMAyER (2015) bestätigt die Schlussfolgerung, dass im Durch-
          fassenden Bereich an thematisch relevanten Fragen über einen ange-                   schnitt weniger Personen aus den ostdeutschen Bundesländern sowie
          messenen Zeitraum abzudecken.                                                        Frauen Mitglied in einer Partei sind. Der Vergleich verdeutlicht allerdings,
      3   Die Differenz ergibt sich aus 35 Personen, die an keiner der ISSP-Umfra-             dass die Ergebnisse unter Vorbehalt interpretiert werden sollten.
          gen teilnahmen.                                                                 9    Zum Vergleich: Der Anteil der Umfrageteilnehmer, die sich an Unter-
      4   Aufgrund ungleicher Abstufungen der Skalen bei den Umfragewellen                     schriftensammlungen (Demonstrationen, Parteien) beteiligen, aber nicht
          1998/2008 und 2014 wurden die Antworten des Jahres 2014 der vier-                    wählen, liegt in West bzw. Ostdeutschland bei 9 % (7 %, 0 %) bzw. 15 %
          stufen Skala der früheren Wellen angepasst.                                          (16 %, 5 %). Dem gegenüber liegt der Anteil an Personen, die sich nicht
      5   Die Auswertungen umfassen ausschließlich Personen, die zur Bundes-                   beteiligen und nicht zur Wahl gehen, bei 21 % (17 %, 15 %) bzw. 28 % (22
          tagswahl 2013 wahlberechtigt waren. Außerdem sei darauf hingewie-                    %, 21 %). Die ausstehende Differenz ergibt sich aus der Gruppe der
          sen, dass die in den Umfragedaten berichtete Wahlbeteiligung oftmals                 Wahlberechtigten die keine Angabe tätigten.
          höher liegt als die tatsächliche Wahlbeteiligung [vgl. JOHANN (2009)]. Die      10   Die aus der Umfragewelle 2014 gezogenen Resultate werden durch die
          Zusammenhänge zwischen den betrachteten Wirkungskanälen und der                      Ergebnisse der Umfragewelle 2012 bestätigt. Lediglich bei der Auswer-
          Wahlbeteiligung könnten demnach überschätzt werden. Eine Ursache                     tung des Bildungsniveaus sind geringfügige Unterschiede zu verzeich-
          für die möglichen Unterschiede lässt sich in der sozialen Erwünschtheit              nen. Entsprechend den 2012 erhobenen Werten ist ein eindeutiger An-
          der Stimmenabgabe vermuten.                                                          stieg der ehrenamtlichen Tätigkeiten mit dem Bildungsniveau nachweis-
      6   Zum Vergleich: Der Anteil der Personen, welche der Aussage zur Beteili-              bar.
          gungsnorm (Beteiligungsnutzen) vollständig zustimmen, aber nicht zur            11   Zum Vergleich: Der Anteil der Umfrageteilnehmer, die sich ehrenamtlich
          Wahl gehen, liegt bei 3 % (23 %) für Westdeutschland bzw. 6 % (34 %) für             engagieren, aber nicht an der Wahl beteiligten, liegt in West- bzw. Ost-
          Ostdeutschland. Dem gegenüber liegt der Anteil der Personen, welche                  deutschland bei 9 % bzw. 8 %. Dem gegenüber liegt der Anteil der Per-
          die Aussage ablehnen und nicht wählen gehen bei 33 % (8 %) in den                    sonen, die keinem ehrenamtlichen Engagement nachgehen und sich
          westdeutschen Bundesländern bzw. bei 41 % (17 %) in den ostdeut-                     nicht an der Wahl beteiligen, bei 15 % bzw. 21 %. Die ausstehende Diffe-
          schen Bundesländern. Der Anteil der Befragten, die keine Angabe zur                  renz ergibt sich aus der Gruppe der Wahlberechtigten, die keine Angabe
          Wahlbeteiligung tätigten, nimmt jeweils einen geringen Wert an.                      tätigten.

                                                                        ifo Dresden berichtet 5/2015
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