Ich du wir Ein Magazin für psychiatrisch Tätige - Edition 2021 1 Psychoedukation - Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie
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Edition 2021· 1 Psychoedukation ich · du · wir Ein Magazin für psychiatrisch Tätige www.angehoerige.ch
Vor dem Hintergrund neuester Untersuchungen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesund- heit und psychosozialen Problematiken von Kindern und Jugendlichen kann man die beiden Beiträge von Nicole Friedrich sowie das Interview von Tobias Furrer wahrhaftig als spannende Trilogie hervorheben. Die Lesenden werden zunächst durch die beiden Kinder- buch-Autorinnen Anna Gabriel Lanz und Cynthia Stei- ner-Berger in die Bedeutung kindlicher Phantasiewel- ten eingeführt, bevor Nicole Friedrich kombiniert in Interview-Form und einem Fachartikel einerseits in ein- drücklicher Weise die subjektive Perspektive und Ausei- nandersetzung zweier jugendlicher Geschwister mit der Erkrankung ihrer Mutter schildert, sowie andererseits den Scheinwerfer auf die essentiellen Bausteine der Psychoedukation im Kindes- und Jugendalter wirft. Eine abschliessende Buchbesprechung von NIKI und der lange Schal regt zum Nachdenken und der weiteren Lektüre an. Die Fachartikel von Thomas Lampert und Prof. Dr. Tho- mas Bock analysieren unterschiedliche Herangehens- weisen und Techniken der Psychoedukation sowohl krankheitsübergreifend als auch spezifisch in Bezug auf Manie und Depression. Die Autoren zeigen hierbei in konzis-verständlichen Formulierungen die Spannungs- felder der Konzeption und Umsetzung psychoedukati- ver Arbeit sowie die Wichtigkeit der Bedürfnisorientie- rung und Interaktion bzw. das „mehr“, das es benötigt, auf. Das Plädoyer von Stephan Kälin für den Flipchart und die Ermunterung der Leserschaft, sich ihrer Talente zu bedienen, schliesst den Kreis der Unabdingbarkeit möglichst optimaler Kommunikation und verständli- chen Darstellung im Bereich der Wissensvermittlung. Liebe Leserschaft, Die NAP bedankt sich herzlich mich für Ihr andauerndes Interesse an unserem Magazin und wir wünschen Wenn die vergangenen 18 Monate uns eines gelehrt Ihnen viel Freude bei der Lektüre. haben, dann ist dies voraussichtlich, welch eminent wichtige Rolle Wissensvermittlung, Kommunikation und die verständliche Darstellung komplexer Zusam- menhänge für das Miteinander in einer hochentwickel- ten, globalisierten Gesellschaft einnehmen und dass Es grüsst Sie freundlich essentielle menschliche Fähigkeiten wie Freiheit, Soli- darität sowie der gerechte, sorgsame Umgang mitein- ander nur durch ein gemeinsames Verständnis der Gegenwart in ihrer Gänze zu tragen kommen. Das mitt- lerweile siebte Fachmagazin ich-du-wir exploriert vor Janis Brakowski diesem hochaktuellen Hintergrund die Herausforderun- Vorstandsmitglied NAP gen wie auch die Chancen der mitunter intensiven Arbeit mit psychisch Erkrankten sowie deren Angehöri- gen und setzt hierin den Fokus auf die Psychoeduka- tion, welche wiederum im Kern die Informationsver- mittlung, den selbstwirksamen Umgang mit sowie die Verständnisförderung von psychischen Erkrankungen und insbesondere die Krankheitsbewältigung umfasst. Der fachlich-wissenschaftliche Rahmen wird durch die renommierten Forscher mit ausgewiesener klinischer Fachexpertise, Frau PD Dr. Gabriele Pitschel-Walz und Prof. Josef Bäuml von der TU München gesteckt. In ihrem Artikel „Welchen Nutzen hat Psychoedukation für Angehörige?“ beleuchten sie einerseits die wissen- schaftlich-historischen Grundlagen der Psychoeduka- tion und geben andererseits einen praktischen Einblick in die zentralen Elemente plus Ziele und die Wirksam- keit professioneller Einzel- und Gruppenangebote innerhalb dieser diffizilen wie teilweise kontroversen Thematik. 2
FOKUS Angehörige einbeziehen – nicht erziehen Lehren aus dem Trialog im Umgang mit Familien Von Thomas Bock Vorweg: Ich versuche, mit diesem Beitrag, der sich vor allem an Profis richten soll, auch Angehörige anzuspre- chen – zum einen aus didaktischen Gründen, zum anderen weil wir alle auch Angehörige sind, auch wenn sich unsere Sorgen als Eltern, Partner, Geschwister, Kin- der nicht immer auf krankheitswertige psychische Besonderheiten beziehen. Niemand wird alleine psychisch krank, niemand Als Angehöriger sehe ich auch das erkrankte Familienmit- alleine gesund glied nicht nur durch die Brille der Krankheit. Eine gewisse Unbefangenheit ist wichtig und muss bleiben. Es ist fatal, Wir entwickeln uns in einem Kontext, der uns begleitet, wenn spiegelt, trägt, verunsichert, verletzt, heilt – von allem etwas; das gilt mit und ohne diagnostizierter psychi- scher Erkrankung. Angehörige können zu Krisen, • Eltern Früherkennung betreiben manchmal auch zu tiefen Verletzungen beitragen. Ihre • Partner alle schlechten Eigenschaften des anderen der Präsenz ist aber zugleich oft die entscheidend nötige Krankheit zuschreiben Ressource, um halbwegs elegant wieder aus dem Schla- massel herauszukommen. Missbrauch und Gewalt • Sich Freundschaften in Helferbeziehungen wandeln geschehen überwiegend im Nahbereich; die meisten • Geschwister sich (aufgrund von Krankheitsangst oder psychisch erkrankten Menschen werden hier Opfer und Schuldgefühlen) verlieren Täter. Das gilt übrigens auch für die, die – warum auch immer – gesund bleiben. Das gehört zum Leben. Und Gleichzeitig ist es natürlich wichtig, dass Angehörige die es hilft auch wenig, jede Auffälligkeit und Besonderheit Erkrankung nicht leugnen, die Hypothek des anderen aner- mit diagnostischen Etiketten zu belegen. Wir können kennen, Erwartungen (vorübergehend) anpassen und auch böse sein – mit und ohne Erkrankung. ohnehin fragwürdige Leistungsansprüche hintanstellen. In Mit der tiefen Verunsicherung eines anderen Men- diesem Spagat hilft ein Verständnis psychischer Störungen, schen in der unmittelbaren persönlichen Nähe konfron- das ich anthropologisch, andere systemisch oder psychody- tiert zu sein, bleibt für niemanden spurlos. Diese Erfah- namisch nennen: Niemand ist nur gesund oder nur krank, rung hat vermutlich jede/r von uns gemacht – in sondern wir alle bewegen uns auf einem Kontinuum zwi- beiden Rollen, wenn auch sicher mit unterschiedlicher schen gesund und krank. Psychischen Störungen sind Intensität und Dauer. Diese wechselseitige Verantwor- zunächst mal zutiefst menschliche Reaktionen auf widrige tung und Verletzlichkeit gilt völlig unabhängig von der Umstände und Widersprüche und als solche nicht sinnlos, professionellen Betrachtung, der Zuständigkeit ver- können dann aber eine Eigendynamik entfalten (somatisch, schiedener Hilfen und der damit zusammenhängenden psychisch und sozial), die in krankheitswertige Zustände Diagnostik. Dass Psychiatrie und Psychotherapie nicht führt – mit Anspruch auf Krankengeld und eben auch Hilfe. selten als einzige zuständig sind, kann man als kulturellen Fortschritt oder als Verarmung ansehen. Ich neige eher zu letzteren, doch auch hier gibt es wohl beide Möglich- keiten und gilt kein vereinfachendes entweder-oder. Psychische Störungen sind zutiefst menschlich Die Pathologie betont das statistisch besondere, das Norm- Im Zweifel hat die Angehörigenrolle Vorrang abweichende und Fremde; die Anthropologische Psychiat- rie, wie sie aus dem Trialog heraus neu belebt wurde, Vater/Mutter, Bruder/Schwester, Sohn/Tochter bin und erweitert den Blick auf das allen Menschen gemeinsame, bleibe ich, ob ich will oder nicht. Partnerschaften, Ehen auf das zutiefst Menschliche, den biographischen Zusam- und Freundschaften sind Wahlverwandschaften. Doch menhang, die subjektive Bedeutung und die Funktionalität, für alle Angehörigen gilt, dass Sie einzigartig sind. Und die nahezu alle Symptome neben und in der Störung haben das durchaus im Gegensatz zu TherapeutInnen oder können (Bock 2012, 2014, Bock u.a. 2013). andren professionellen HelferInnen. Schon deshalb gilt: versuchen Sie nie, die eine Rolle durch die andere zu Angst zu haben, ist keine Krankheit, sondern eine überle- ersetzen. Bleiben Sie sich und der familiären Rolle treu. bensfähige Fähigkeit des Menschen, um sich vor Gefahr zu Und auch wenn Sie sich Rat von Profis holen, lassen Sie schützen. Erst die Verallgemeinerung, Generalisierung sich nicht verführen, deren Rolle zu übernehmen. oder Zuspitzung der Angst macht sie zur „Störung“ und Unweigerlich würde etwas viel wertvolleres verloren damit einer Psychotherapie zugänglich. Die Frage nach gehen. der Funktionalität bleibt. 3
Zwänge oder Rituale zu entwickeln, kann ebenfalls Aus- Unterschiedliche Perspektiven und Sorgen von Angehörigen druck des Bemühens sein, (künstliche) Ordnung zu ent- wickeln wo Chaos und Orientierungslosigkeit droht. Die verschiedenen Angehörigen bringen sehr unter- Und je unsicherer ein Mensch ist und je weniger ihm schiedliche Perspektiven, Erfahrungen, Ressourcen, natürliche, soziale, biographische oder religiöse Rituale Belastungen und Fragen mit sich. Das erscheint selbst- zur Verfügung stehen, desto eher mag er/sie zu patho- verständlich - und hat doch im psychiatrischen Alltag logischen Ausdrucksformen kommen. leider oft noch zu wenig Widerhall (Bock 2016): Auch eine Depression ist zunächst als Schutzmechanis- Eltern fragen vor allem nach der eigenen Verantwor- mus der Seele – vor zu starken oder zu vielfältigen/ver- tung und Schuld, ob sie zuviel oder zuwenig geliebt, zu wirrenden Gefühlen, vor unlösbaren Konflikten oder früh oder zu spät losgelassen haben. Der Erziehungs- Entscheidungen – bzw. als Totstellreflex zu verstehen. prozess ist schon bei gesunden Kindern kompliziert, Erst die vielfache psychische, soziale und somatische erfordert eine ständige Balance von Autonomie und Eigendynamik macht daraus eine Erkrankung. Bindung und ist als solcher fehleranfällig. Das gilt erst recht, wenn in einer Psychose gleichzeitig sehr unter- In diesem Sinne mag die Manie am Ende zwar zerstöre- schiedliche Beziehungsmuster, -wünsche und -ängste risch und belastend sein, zunächst ist sie jedoch auch zutage treten. In dieser Situation brauchen Eltern Ent- „Flucht nach vorne“, Spiegel der Seele, vermeintlicher lastung und Fehlerfreundlichkeit, wie sie sich z.B. in Ausweg aus Überanpassung ... diesem Zitat aus einer Angehörigengruppe spiegelt: „Wenn Sie nichts falsch machen, ist das falsch; denn Im anthropologischen Kontext ist die Borderline-Stö- fehlerlose Eltern sind unerträglich“. rung immer noch tendenziell selbstverletzend und beziehungsextremistisch, doch zunächst auch ver- Geschwister fühlen sich mit Recht oft vernachlässigt gleichbar einer ausweglosen Pubertät mit Spannungs- (Bock u.a. 2008). Sie werden wenig einbezogen, feldern, die für jeden Menschen bedeutsam sind: Zwi- schauen kritisch auf die Psychiatrie und sind doch in schen Nähe und Distanz, Autonomie und Bindung, Familiengesprächen sehr hilfreich, wenn es darum Anpassung und Widerstand – mit der jeweils verbunde- geht, Krankheits- und Generationsdynamik auseinan- nen Angst. derzuhalten. Sie einzubeziehen, gebietet sich aber auch wegen des Risikos, dass sie unter dem Druck einer Psychosen können personale Grenzen auflösen – in „Überlebensschuld“ selbst erhebliche Einbussen der einer Kultur, die diese masslos heiligt. Ob diese Auflö- Lebensqualität erleiden oder an unseren falschen Kurz- sung eher angstvoll oder spirituell wahrgenommen schlüssen zur Genetik verzweifeln. wird, ist nicht allein krankheitsbedingt, sondern auch kulturabhängig. Die psychologische Konsequenz der Partner bringen je nach Beziehungsgeschichte sehr Durchlässigkeit: Innere Konflikte werden Person und unterschiedliche Zweifel und Fragen mit, von denen Stimme („Halluzination“), äussere Ereignisse treffen fil- zwei aber besonders prägend sind: Warum tut er / sie terlos ins Innere („Paranoia“). Wobei genau diese mir das an? Und wie halte ich das aus? Die eine Frage Beziehungssetzung entsprechend den Wunsch und verweist auf die Gleichzeitigkeit von Krankheits- und Angstanteilen eines Traums verschieden besetzt sein Beziehungsdynamik, die je nach Akutheit der Situation kann: Wer drei Geheimdienste hinter sich wähnt, hat unterschiedlich zu beantworten ist und im Verlauf der Angst, aber auch Bedeutung: Wenn wir gar kein Echo Genesung immer wieder neue spannende Diskurse mehr haben, können Halluzinationen diesen Raum fül- erlaubt bzw. erfordert. Die andere Frage verdeutlicht, len; wenn wir keine Bedeutung mehr haben, können dass Partner aus eigenem Interesse aber auch im Sinne wir veranlasst sein, diese zu konstruieren – sogar um des Patienten achtsam mit sich selbst sein, also Nähe den Preis des Realitätsbezugs. und Distanz immer wieder austarieren müssen: Wieviel Nähe ist möglich, um mich nicht selbst zu gefährden? Wieviel Abstand brauche ich, um meine Liebe zu ret- ten? Die Komplexität der Situation macht deutlich, dass «Menschen müssen im Unterschied zu anderen Lebe- Partner hier – privat oder professionell - Hilfe brauchen wesen um ihr Selbstverständnis/-gefühl ringen. Es und dass es ein Kunstfehler ist, sie allein zu lassen. gehört zu unseren Möglichkeiten, an uns zu zweifeln und dabei auch zu verzweifeln, über uns hinaus zu Das gilt natürlich besonders, wenn Kinder im Spiel sind, denken und uns dabei auch zu verlieren ... Wer darü- insbesondere wenn sie im gemeinsamen Haushalt ber psychotisch wird, ist also kein Wesen vom anderen leben. Ihre kindgemäss mystische Weltsicht lässt sie oft Stern, sondern zutiefst menschlich». über sich hinauswachsen, in der Zuschreibung aller Ver- AG Psychoseseminare 2007 antwortung und Kausalität an sich selbst und im Bemü- hen, Mama oder Papa zu retten. Sie zu entlasten, erfor- dert kindgemässe Aufklärung und die Gewährleistung Diese Sichtweise reduziert das Risiko von Selbst- und alternativer Bezugspersonen in Krisen. Fremdstigmatisierung. Sie hilft Patienten, sich die befremdliche Erfahrung wieder abzueignen, sie kritisch Freunde fragen, wieso der/die andere sich so verändert als Person auch wieder mit sich selbst in Verbindung zu und ob er/sie noch zu ihnen passt. Damit geht es um bringen und nicht nur als abstrakte Erkrankung an Solidarität, im Konkreten leider oft ganz banal auch Fremde zu delegieren. Diese Sichtweise hilft aber eben bezogen auf den Umgang mit Alkohol oder Drogen. Angehörigen in ihrem Spagat zwischen Respekt vor der Freunde sind ein Schatz, wenn es sie noch gibt. Sie Erkrankung und dem Ringen um Erhalt des normalen haben mehr Einfluss als andere, sodass es sich als Lebens. Sie hilft, immer auch einen Teil Verantwortung Betroffener lohnt, um sie zu kämpfen, und als Thera- beim erkrankten Familienmitglied zu belassen und das peut, bei der Klärung zu helfen. Im Hinblick auf Drogen eigene Leben nicht aus dem Blick zu verlieren. kann es hilfreich sein, die Ungerechtigkeit zu benen- 4
nen, die damit verbunden ist, dass mit bzw. nach einer Doppelte Peerarbeit – von/für Betroffenen, von/für psychischen Erkrankung die Folgen des Konsums sehr Angehörige verschieden sind. Aus dem Trialog ist (in Deutschland) auch Peer-Support Schon diese Auflistung (ohne Grosseltern, Enkel und wei- und Genesungsbegleitung entstanden. Im Rahmen eines tere Verwandte) zeigt, welchen Reichtum unser Bezie- Forschungsprogramms ist es in dann Hamburg europa- hungsgefüge birgt und wie lohnend es ist, es im doppel- weit erstmalig gelungen, doppelte Peerarbeit als eigen- ten Sinne – als Ressource und als Konfliktfeld mit ständige Dienstleistung (Genesungsbegleitung und eigenen Bedürfnissen – wahrzunehmen und es direkt Gesundheitslotsen) an der Schnittstelle ambulanter und oder indirekt einzubeziehen. stationärer Versorgung flächendeckend zu etablieren und auf hohem Niveau zu evaluieren. Die Ergebnisse sind ermutigend: Bei Betroffenen stärkt Peerbegleitung u.a. Visionen des Trialogs ihre Selbstwirksamkeit (Mahlke u.a. 2017) inkl. Selbstver- trauen und –verantwortung mit Rückwirkung auf Teil- Der Trialog hat die Rollen verändert - als Vision, aber habe, Stigmaresistenz, Rehospitalisierungsrate. – Bei auch im konkreten Geschehen eines Psychoseseminars, Angehörigen reduziert die Begleitung durch geschulte Trialogforum oder eines der Folgeprojekte aus dem Peers die subjektive Belastung und stärkt die Lebensquali- Bereich Antistigmaarbeit, z.B Irre menschlich Hamburg tät (Heumann u.a. 2016). Das erste kann entscheidend (Bock u.a. 2016), Beschwerdestellen (Bombosch 2009) sein auf dem Weg der Genesung und das zweite ist ein oder Forschung, z.B. Nutzerorientierte Wissenschaftsbe- wesentlicher Bestandteil von Prävention. ratung NoW – inkl. Angehörige (Demke u.a. 2017). Tri- alog meint das Gegenteil von Psychoedukation, also keine einseitige Belehrung oder unterschwellige Rollen- veränderung, keine um Objektivität bemühte Beratung, Zugespitzte Konflikte sondern persönlicher wechselseitiger Lernprozess mit einem Schwerpunkt auf den Austausch subjektiver Pers- pektiven und wechelseitiger Fragen. Ziel dieses „herr- Spaziergang trotz Depression? schaftsfreien Diskurses“ (Habermas 1981) ist nicht Compliance bei den Patienten und Anpassung bei den Mal angenommen, durch Psychoedukation oder Googeln Angehörigen, sondern Empowerment bei beiden. Für wüsste ich alles über Depression, was folgt daraus für die Angehörige ist spannend, dass manchmal fremden Frage, ob ich meinen Mann oder meine Frau am morgen Betroffenen und umgekehrt fremden Angehörige leich- versuche zu einem Spaziergang zu motivieren? Die Ant- ter zuzuhören und besser von ihnen zu lernen ist als wort ist komplex und möglicherweise viel näher bei mir zuhause in den eigenen vier Wänden mit all den einge- selbst als mir lieb ist: Erst muss ich klären, ob die Einla- fahrenen Spielregeln (Bock & Priebe 2005, Bock u.a. dung halbwegs authentisch ist; dann muss ich anerken- 2013). nen, wie unendlich schwer der Start sein kann. Dann viel- leicht ein kleines Stück anbieten. Das fällt leichter, wenn ich mich erinnere, dass die Kräfte auch schon mal anders «Psychoedukation läuft, wenn sie zu eng verstanden verteilt waren, ich zugleich meine Ohnmachtsgefühle res- wird, in Gefahr, die Rollen der Beteiligten einzuengen pektiere– zumindest vor mir selbst. und ihre Handlungsfreiheit zu beschränken». Todesurteil oder Liebeserklärung? Psychoedukation läuft, wenn sie zu eng verstanden wird, in Gefahr, die Rollen der Beteiligten einzuengen und ihre Mal angenommen, Ihr Sohn oder Tochter hört eine Handlungsfreiheit zu beschränken: Was ist gewonnen und Stimme, die ihm nahelegt, Mutter oder Vater zu töten. vor allem was geht verloren, wenn wir Angehörige erst zu Auch wen wir alle viele nahestehende Menschen schon „SchülerInnen“ und dann zu Co-TherapeutInnen machen? auf den Mond schiessen wollten, ist das in dieser Konkret- Was passiert mit ihren erkrankten Familienmitgliedern, heit erschreckend, kann dadurch Schuldgefühle wecken wenn sie anschliessend auch zuhause (nur) durch die oder Zwangsreaktionen hervorrufen. Wenn man aber Krankheitsbrille gesehen werden. Selbstverständlich brau- bedenkt, dass in Psychosen unsere Grenzen durchlässig chen Angehörige Unterstützung, um sich zu besinnen, zu werden, innere Dialoge zu äusseren werden (Halluzinatio- begrenzen, dem/r anderen nicht ins Nirvana zu folgen, auf nen) oder äussere Ereignisse uns filterlos treffen (Para- entlastende professionelle Hilfen zu bestehend, um Bezie- noia), dann wird auch vorstellbar, dass Nähe bedrohlich hung und Liebe zu retten. Vor allem braucht es gemein- werden kann, dass gerade die Menschen, die wir lieben, same familienbezogene Hilfen für PatientInnen und Ange- mit Abwehrreaktionen rechnen müssen. Die Herausforde- hörige, um sich gegenseitig nicht aus dem Auge zu rung für Angehörige liegt also darin, beizustehen ohne zu verlieren, eine gemeinsame Sprache zu erhalten bzw. die sehr auf die Pelle zu rücken, den/die andere/n weiter als Sprache der Symptome zu entschlüsseln, wechselseitig Erwachsenen zu sehen, auch wenn sich symbolisch oder Respekt zu bewahren für Empfindlichkeit und Besonder- konkretistisch in Wahrnehmungen oder Übertragungen heit des/r anderen, bestimmte Spielregeln zu retten, die kindliche Muster äussern (Bock 2007). das gemeinsame Leben erfordert oder einen guten Weg zu finden, Abstand zu finden, zu wahren, wieder herzu- stellen. Doch diese Prozesse sind so komplex und alle Flucht nach vorne aus der Überanpassung? Beteiligten sind letztlich (mit/ohne/trotz Erkrankung) eigenverantwortlich, dass „Psychoedukation“ (im Wort- Manien belasten die sozialen Beziehungen – in alle sinn) zu kurz greift. Vor allem, wenn diese die existentiel- Richtungen, egal ob sie bei Kind, Elternteil, Geschwister len Fragen, die immer mitschwingen, auf Erkrankung oder Partner/In verortet ist. Der/die andere wird tref- reduziert (Amering & Schmolke 2011). fend und verletzend, fühlt oder erscheint sogar grossar- 5
tig mit absehbaren, manchmal aber auch vorweggenom- Literaturverzeichnis menen Katastrophen. Mir hilft es im Blick zu behalten, dass der/ die manische Patent/In ansonsten überange- AG der Psychoseseminare (2007); Es ist normal verschieden zu passt erscheint, bemüht ist es allen recht zu machen, nicht sein - erhältlich unter www.irremenschlich.de oder www.tri- gelernt hat, rechtzeitig Nein zu sagen. Wenn es doch alog-psychoseseminar.de einen Psychotherapeuten/in gäbe, um zu lernen, das Amering M, Schmolke M (2011); Recovery – Das Ende der Ungewöhnlich im Alltag unterzubringen, anstatt es für die Unheilbarkeit, Köln: Psychiatrieverlag nächste Manie aufzubewahren.... Umso wichtiger ist es , nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen, den Spiel- Bock T (2007); Eigensinn und Psychose – Noncomplaince als raum des anderen und auch den eigenen (!) nicht unnötig Chance, Neumünster: Paranusverlag einzuengen. Umso wichtiger ist es aber auch, die eigenen Grenzen deutlich zu machen – möglichst mehr mit Ich- Bock T (2012) Krankheitsverständnis – zwischen Stigmatisierung Botschaften als mit Gegenangriffen und möglichst recht- und Empowerment, Schweizer Archiv für Neurologie und Psych- zeitig, bevor die eigene Kränkung so mächtig, die eigene iatrie, 163 (4), S. 138-144 Wut federführend ist und ich so der manischen Energie ins Messer laufe. Das gilt im Übrigen auch für Psychothe- Bock T (2014); Wird die Menschheit kränker oder die Krankheit menschlicher? Editorial, Psychiatrische Praxis 4/2014 rapeut/Innen, die hoffentlich bald aufhören, die Men- schen mit besonderer Spannweite hinsichtlich Stimmung Bock T (2016): Raum und Psyche – aus sozialpsychiatrischer, und Antrieb, also die „Bipolaren“ zu stignatisieren bzw. zu anthropologischer, trialogischer Sicht, in: Haslinger B (Hrsg) meiden (Bock 2020). Raum und Psyche – ein transdisziplinärer Dialog zu Freiräumen in der Psychiatrie, Psychosozial Verlag Abschliessendes Resumé Bock, T (2020); Achterbahn der Gefühle – Leben mit Manie und Depression, Psychiatrieverlag 2020 „Wenn ich psychotisch werde, möchte ich in meiner Gewordenheit verstanden, in meinen So-Sein respektiert Bock T, Priebe S (2005); Psychosis-seminars: An unconventional approach for how users, carers and professionals can learn from und in meiner Zukunftsperspektive ermutigt werden“. each other. Psychiatric Services 2005; 11: 1441-1443 Dieses Zitat von Gwen Schulz (2012) verdeutlicht Wün- sche an Psychotherapie und prägt zugleich das Selbstver- Bock T, Fritz-Krieger S, Stielow K (2008); Belastungen und Her- ständnis von Peerberatung. Information alleine ist zuwe- ausforderungen – Situation und Perspektive von Geschwistern nig. schizophrener Patienten, Sozialpsychiatrische Informationen, Wenn ich das Zitat auf Angehörigenperspektive übertrage, Psychiatrieverlag Bonn, Jg 38, 1/2008, S. 28 ff. dann könnte es so lauten: „Wenn ich als Vater/Mutter, Sohn/Tochter, Bruder/Schwester, Opa/Oma, Enkel/In Bock T, Meyer HJ, Rouhiainen T (2013); Trialog – eine Herausfor- oder Freund mit der existentiellen Krise eines geliebten derung mit Zukunft, in: Roessler W, Kawohl W. Handbuch Sozi- Menschen konfrontiert werde, dann möchte ich meine alpsychiatrie Bd 2 Anwendung, Kohlhammerverlag eigene Geschichte nicht vergessen, meine eigenen Gefüh- Bock T, Klapheck C, Ruppelt F (2013); Sinnsuche und Genesung. len, Wünsche und Grenzen wahrnehmen, in meiner eige- Köln: Psychiatrieverlag nen Rolle/Sicht respektiert und gesehen, sowie in meiner eigenen und der gemeinsamen Entwicklung ermutigt wer- Bock T, Urban A, Schulz G, Sielaff G, Kuby A, Mahlke C (2016); den“. Nach meinem Verständnis braucht das mehr oder Overcoming Stigma and Discrimination „Irre menschlich Ham- jedenfalls etwas im Ansatz anderes als Psychoedukation. burg“ – Example of a Bottom-Up Project; in: Gaebel W, Sartorius N (Ed) Mental Illness Stigma – End f the Story, Springer 2016 «Aneignung macht Hoffnung – das dürfen Angehörige Bombosch J (2009); Qualitätsentwicklung in der Sozialpsychiat- wissen, können sie vielleicht sogar befördern». rie – selbstverständlich im Trialog, Sozialpsychiatrische Informatio- nen (Themenheft Trialog), 3/2009, 39: S. 10 ff Demke E, Heumann K, Mahlke C, Bock T (2017); EmPeeRie – Wem es gelingt, die psychotische oder bipolare Erfahrung Empower Peers to research, Vorstellung eines Hamburger Pro- mit dem eigenen Leben in Verbindung zu bringen, sie wie- jekts zur Förderung von partizipativer und betroffenenkontrollier- der anzueignen (Bock u.a.2013), gewinnt an Zuversicht ter Forschung, Sozialpsychiatrische Informationen 2/2017, 43-53 und schaut hoffnungsvoller in die Zukunft. Das dürfen Angehörige wissen, das können sie vielleicht sogar beför- Heumann K, Janßen L, Ruppelt F, Mahlke C, Sielaff G, Bock T dern und der Zusammenhang könnte auch Ihnen Mut (2016). Auswirkungen von Peer-Begleitung für Angehörige auf machen. Das alles spricht sehr dafür, Angehörige wahr- Belastung und Lebensqualität – eine Pilotstudie. Zeitschrift für zunehmen, zu entlasten, zu unterstützen, vor allem sie Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 64(1). einzubeziehen. Mahlke C, Krämer U, Becker T, Bock T (2014); Peer support in mental health services, current opinion Vol 27, No 4, July 2014 Prof. Dr. phil. Thomas Bock war Leiter der Ambulanz für Mahlke C, Priebe S, Heumann K, Daubmann A, Wegscheider K, Psychosen und Bipolare Stö- Bock T (2017); Effectiveness of one-to-one peer support for patients with severe mental illness – a randomised controlled rungen, über 40 Jahre am Uni- trial. Euro Psychiatry versitätsklinikum Hamburg- Eppendorf tätig und ist Mit- Schulz G (2012); Spurensuche, Zu-Trauen, Geduld, Übersetzen, begründer des Trialogs. S Hoffen – mein Wunsch an Psychotherapie. In: v.Haebler D, Men- tzos, S, Lempa G (Hrsg.) Psychosenpsychotherapie im Dialog, Kontakt: bock@uek.de Band 26, Göttingen; Vandenhoeck & Ruprecht Foto:UniversitätsklinikumHamburg-Eppendorf 6
BUCH Ratgeber Thomas Bock ist Professor für Klinische Psychologie und Sozialpsychiatrie, Psychologischer Psychotherapeut, seit 40 Jahren am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Autor von Fach- und Kinderbüchern. Er hat mit Dorothea Buck die Psychoseseminare und weitere trialogische Pro- jekte gegründet und Auszeichnungen für Versorgung, Lehre und Forschung bekommen. Achterbahn der Gefühle Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt – so übersetzt der Volksmund extreme Stimmungsschwankungen, die Menschen wie auf einer Achterbahn in die Euphorie katapultieren und ebenso schnell in grosse Hoffnungslo- sigkeit stürzen lassen. Betroffene wünschen nichts sehn- licher, als wieder die innere Balance zu finden. Dieses Buch sagt wie. Psychose und Eigensinn Thomas Bock erzählt in diesem Buch Geschichten von eigensinnigen Patienten – er berichtet von kreativen Wegen des Zugangs zu jungen Ersterkrankten und zu langfristig Psychoseerfahrenen. Sein Credo: Gerade von eigensinnigen Patienten können wir viel lernen über die Bedeutung von Psychosen, die notwendigen strukturel- len Veränderungen der Psychiatrie, über angemessene Beziehungskultur. Seine Schilderungen werden ergänzt durch ein Gespräch mit Dorothea Buck über den »eigenen Sinn von Psycho- sen« und durch eine wissenschaftliche Analyse von Prof. Michaela Amering aus Wien zu den subjektiven Voraus- setzungen von Genesung: »Hoffnung macht Sinn«. Stimmenreich »Nie war über Psychosen authentischer zu lesen!«, schrieb der Spiegel enthusiastisch über die Erstausgabe von »Stimmenreich«. Psychosen sind erschütternde Erfahrungen, die Sprachlosigkeit und Isolation für die davon betroffenen Menschen zur Folge haben. Das vorliegende Buch zeigt Wege zur Verständigung. Es präsentiert die wichtigsten Beiträge der »Erfinder« der Psychose-Seminare. Wer Psychosen begreifen will, dem sei dieses Buch sehr zu empfehlen. 7
FOKUS Welchen Nutzen hat Psychoedu- kation für Angehörige? Von Josef Bäuml und Gabriele Pitschel-Walz „Dr. Google“ und die Suche nach der „Wahrheit“ »Doktor-Google« hilft in allen Lebenslagen! Sobald das Wort „Psychose“ gefallen ist, wird nach der geheimnis- umwitterten „Wahrheit“ geforscht. Diese Informations- suche ist aus Psychoedukations-Sicht selbstverständlich zu begrüssen, um Selbstwirksamkeit und Empowerment zu erhöhen. Allerdings kann die Flut an unterschiedli- chen und sich teilweise widersprechenden Informatio- nen auch sehr verunsichern. Um die »Spreu vom Wei- der Betroffenen und Angehörigen. In der somatischen zen« zu trennen zwischen wissenschaftlichem Gold- Medizin hat sich diese Kompetenzerweiterung längst Standard und Aussenseiterpositionen, braucht man ein bewährt und durchgesetzt. umfangreiches Vorwissen. Vor allem Familien von Erst- erkrankten (Amaresha et al., 2018) müssen strukturiert PE muss neben der Wissensvermittlung zugleich die und psychologisch adäquat unterstützt an diese Erkran- »Berührungsängste« vor der Erkrankung nehmen und kung herangeführt werden. Andernfalls können sich lai- erleichternde »Aha-Erlebnisse« ermöglichen. Sie muss das Wissen so aufbereiten und »dolmetschen«, dass es für medizinische Laien an Bedrohlichkeit verliert und «Wenn laienhafte und pseudowissenschaftliche als hilfreich empfunden wird. Kultursensiblen Faktoren Überzeugungen sich verfestigen, können die dann oft kommt hierbei eine immer grössere Bedeutung zu jahrelang die professionelle Behandlung unnötig (Khalil et al., 2018; Koch et al, 2016). erschweren». Definition von Psychoedukation enhafte und pseudowissenschaftliche Überzeugungen (»Handbuch der Psychoedukation«; Bäuml, Pitschel- verfestigen, die dann oft jahrelang die professionelle Walz et al., 2016) Behandlung unnötig erschweren. Deshalb ist eine strukturierte und didaktisch gut aufbereitete Psy- »Unter dem Begriff der PE werden systematische didakt- choeduktation (PE) sehr wichtig, trotz und vielleicht isch-psychotherapeutische Interventionen zusammen- sogar wegen »Doktor Google«! gefasst, um Patienten und ihre Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlung zu informieren, ihr Krankheitsverständnis und den selbstverantwortlichen Historischer Hintergrund der Psychoedukation Umgang mit der Krankheit zu fördern und sie bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen…Die Wurzeln Psychoedukation wird im deutschen Sprachgebrauch der PE liegen in der Verhaltenstherapie, wobei aktuelle immer wieder missverständlich übersetzt als »erzie- Konzepte auch gesprächstherapeutische Elemente in hen« statt »weiterbilden«. 1980 wurde von Anderson unterschiedlicher Gewichtung enthalten«. im Kontext einer non-direktiven Aufklärung in Verbin- dung mit Social-Skills-Training, Problemlösetraining und Angehörigenberatung zur Verbesserung der basalen Psychoedukation und Adhärenz / Compliance Kommunikationsfertigkeiten die PE eingeführt (Ander- son et al., 1980). Bereits sehr früh konnte der Vorteil Die Einführung der Psychopharmaka seit den 1950er dieser psychoedukativen, familienzentrierten Interven- Jahren führte in Kombination mit psychosozialen Thera- tion in der Behandlung von Schizophrenie nachgewie- piemassnahmen zu deutlich besseren Behandlungser- sen werden (Pitschel-Walz et al., 2001; Lincoln et al., gebnissen (Deutschenbaur et al., 2014; Huhn et al., 2007; Xia et al., 2011; Bäuml, Pitschel-Walz, 2020). 2014; Möller et al., 2018). Dennoch verspüren viele Patienten und oft auch deren Angehörige eine intuitive Skepsis gegenüber Medikamenten. Daraus resultieren Begegnung auf Augenhöhe: Wissensvorsprung der Non-Complianceraten von 30–90% (Hamann et al., Profis ausgleichen 2020; Bäuml et al., 2012; Vauth, Stieglitz, 2017). Die ini- tial hervorragende neuroleptische Response von 75– Der Dialog/Trialog auf »gleicher Augenhöhe« geriete 85% bei Schizophrenie wird durch die schleichende zur Farce, wenn der natürliche Wissensvorsprung der Malcompliance verspielt angesichts einer dramatisch professionellen Helfer bezüglich psycho-physiologischer zunehmenden Nonadhärenz von 50% im ersten und Fakten und den sich daraus ergebenden Behandlungs- 75% im zweiten Behandlungsjahr. Deshalb muss im konsequenzen nicht bearbeitet würde. PE versteht sich geduldigen interaktiven Dialog ein kleinster gemeinsa- als Brückenschlag zwischen dem objektiven professio- mer Nenner erarbeitet werden, um die wirkungsvolle nellen »Know-how« und dem subjektiven »So now?« Kombination aus pharmakotherapeutischen und psy- 8
chosozialen Hilfen in Gang zu setzen und auch langfris- tig aufrecht zu erhalten (Tab. 1) (Bäuml, Pitschel-Walz et al., 2016). Engagierte Angehörige fordern mittler- weile auch ein „Recht auf Behandlung“ ein, wenn dies die Patienten krankheitsbedingt nicht mehr schaffen sollten (Bäuml, 2021). Tabelle 1: Ziele der Psychoedukation Tabelle 3: Spezifische Wirkfaktoren der PE (nach Bäuml, Pitschel-Walz et al., 2016) Curricularer Aufbau der Psychoedukativen Gruppen Zentrale Elemente der Psychoedukation und Wirkfaktoren Die inhaltlichen Schwerpunkte und ihre curriculare Unbedingte Wertschätzung, empathisches Eingehen Staffelung können Tabelle 4 entnommen werden. auf die Teilnehmer sowie Echtheit und Selbstkongruenz der Therapeuten sind selbstverständlich. Durch bedürf- nis- und ressourcenorientiertes Vorgehen soll den Menschen bildungsunabhängig die angstfreie Diskus- sion über ihre Erkrankung ermöglicht werden. Die interaktive Informationsvermittlung muss stets mit einer situationsadäquaten emotionalen Entlastung ein- hergehen (Tab. 2), da viele Fakten zunächst als »Zumu- tung und Kränkung« empfunden werden können (»schizophrene Psychose«, »affektive Minderbelas- tung«, „Persönlichkeitsstörung“ etc.). Die unsensible Konfrontation mit den negativen Auswirkungen der Erkrankung kann mit erhöhter Suizidalität einhergehen (Massons et al. 2017). Die Vermittlung von Störungs- wissen sollte immer mit der Erarbeitung von hilfreichen Bewältigungsstrategien einhergehen, um Ängste zu reduzieren und der Selbststigmatisierung (Cavelti et al., 2012) entgegenzuwirken. Tabelle 4: Curriculum mit Themenschwerpunkten der PE-Gruppen bei Schizophre- nie für Patienten und Angehörige (nach Bäuml, Pitschel-Walz et al., 2010/2016) Praktische PE-Veranschaulichung der »zweigeteilten Wirk- lichkeit« in eine »allgemeine« und eine »private« wäh- rend einer akuten Psychose »Viele Patienten wehren sich zu Recht gegen die Unterstel- lung, während einer Psychose sei man total „ver-rückt“. Die meisten haben sehr wohl auch während der akuten Erkran- kung viele gesunde Anteile und können wesentliche Belange ihres Lebensalltages, ihrer „allgemeinen“ Wirklichkeit, gut bewältigen. So ist es durchaus möglich, dass sie mit Freunden über einen Zeitungsartikel diskutieren und durch ihre Belesenheit und Tabelle 2: Zentrale Elemente der Psychoedukation guten Argumente Respekt und Anerkennung erfahren („all- gemeine Wirklichkeit“). Die partnerschaftliche Begegnung mit den Patienten Und gleichzeitig kann es für die Patienten in ihrer parallel und der respektvolle Umgang mit von der Schulmedizin existierenden „privaten Wirklichkeit“ ganz logisch sein, diese abweichenden Meinungen werden als wesentliche Zeitung anschliessend ins Zimmer mit zu nehmen um einen »Wirkfaktoren« betrachtet. Ziel ist die Erarbeitung Schutzwall zu errichten, der gegen die Strahlen aus der eines funktionellen Krankheitskonzeptes auf der Basis Nachbarwohnung schützen soll, die sie deutlich spüren. des Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modells als Da helfen meistens keine Beschwichtigungen und keine kleinstem gemeinsamen Nenner mit der Kombination guten Ratschläge. So lange der überhöhte Dopaminspiegel von professionellen Therapieverfahren und individuel- nicht ausreichend korrigiert wird, kann man als Betroffener len Selbsthilfestrategien. Für die Einbeziehung von die Fremdartigkeit dieser „privaten‹ Realität nicht erkennen, Angehörigen gibt es praktisch keine Kontraindikationen. die wirkt für sie total „normal und logisch“…« 9
Wirksamkeit der Psychoedukation bei Angehörigen Fazit Ausgehend von den Therapiestudien von Goldstein et Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht ist die al. (1978) wurden vor dem Hintergrund des Vulnerabili- frühzeitige und intensive Einbeziehung der Angehöri- täts-Stress-Bewältigungsmodells schizophrener Psycho- gen sowohl in die Akut- als auch in die Langzeitbehand- sen (Nuechterlein u. Dawson, 1984) eine Vielzahl psy- lung ein wesentlicher Garant für eine erfolgreiche choedukativer Interventionen für Angehörige Behandlung und sollte flächendeckend realisiert wer- entwickelt. Neben den »klassischen« Formen mit den. Behandlung der Familie unter (nicht immer ständigem) Einbezug des Patienten (Falloon et al., 1982) sind dies Damit sie ihrer wichtigen Funktion sowohl als „Kothera- multiple Familientherapiegruppen, z. T. mit Patienten- peuten“ auf dem Weg zur besten Behandlung als auch teilnahme (Berger, Friedrich, Gunia, 2004/2016; McFar- freundschaftliche Begleiter in allen schwierigen Zeiten lane et al., 1995), und die therapeutische Gruppenar- gewachsen sind, brauchen sie eine intensive PE-Basis- beit mit Angehörigen ohne Einbezug der Patienten schulung in Sachen Erkrankung und Behandlung. Dies (Buchkremer et al., 1995 a, b; Cassidy et al., 2001). Die verleiht Kraft und Stärke mit dem Gefühl, stets auf dem bifokale Gruppenarbeit besteht aus Angehörigen- und neuesten Stand des aktuellen Wissens zu sein und in parallel dazu stattfindenden PE-Patientengruppen der Gruppe durch den regelmässsigen Erfahrungsaus- (Bäuml et al., 2010/2016; Behrendt et al., 2004; Lewan- tausch mit den anderen Betroffenen Rückhalt und dowski u. Buchkremer, 1988; Kissling et al., 1995). Neu emotionale Entlastung zu finden. Das sind die denkbar ist der Einsatz von Angehörigen als Peer-to-peer-Grup- besten Voraussetzungen für einen möglichst gelingenden penleiter (Rummel et al., 2005/2013). Angehörigenar- Genesungsverlauf der Erkrankten. beit in der Schizophreniebehandlung hat neben der rückfallverhindernden Wirkung günstige Effekte auf das Was würden sich Angehörige mehr wünschen? Ausmasss an Expressed Emotions (EE), beeinflusst das Familienklima positiv und führt zu einer Verringerung von Stress und Belastung der Angehörigen (Bruns u. Prof. Bäuml war bis 2018 Lei- Hornung, 1998; Glauser et al, 2021). tender OA in der Klinik für Psy- chiatrie und Psychotherapie PE-Programme für Familien sind sehr gut evaluiert (Pit- des Klinikums rechts der Isar schel-Walz et al., 2001). Geringere Rückfallraten, bes- der TU München mit den wis- sere Erholung der Patienten und familiäre Interaktion senschaftlichen Schwerpunk- (McFarlane et al, 2003), v.a. bei bifokalen – Angehörige ten Psychoedukation, Angehö- und Patienten in jeweils eigenen Gruppen - PE-Inter- rigenarbeit, Langzeittherapie ventionen (Buchkremer u. Hornung, 1995; Bäuml, Pit- bei Menschen mit Psychosen schel-Walz et al., 2007/2015) mit signifikant besserem aus dem schizophrenen For- 5-7-Jahresverlauf (Hornung et al. 1996a; Bäuml et al, menkreis sowie sozialpsychiat- 2007a). rische Feldforschung zu woh nungslosen Menschen mit seelischen Erkrankungen Positive Kosteneffektivität (Breitborde et al., 2009; (SEEWOLF-Studie). Bäuml et al., 2010). In den S-3-Leitlinien hat die PE von Seit 20 Jahren leitet er zusammen mit Dr. Berger das Patienten wie Angehörigen mittlerweile das Level „A“ D Münchner Psychose-Seminar am Klinikum rechts der („soll“!) (Hasan et al, 2019; Gühne, Riedel-Heller, Isar, aus dem 2020 die trialogische Publikation der „Psy- 2019). cho-Tisch“ hervorging. Kontakt: Baeuml.Josef@tum.de Darüber hinaus gibt es einige Studien, die zeigen, dass Priv.-Dozentin Dr. rer. biol. PE-Programme für Angehörige von Patienten mit ande- hum. Gabriele Pitschel-Walz ren Diagnosen wie z.B. Depressionen (Shimazu et al., ist Leitende Psychologin an 2011), bipolaren Störungen (Reinares et al., 2004; Gex- der Klinik und Poliklinik für Fabry et al. 2015; Hubbard et al., 2016) oder Borderline Psychiatrie und Psychothera- Persönlichkeitsstörungen (Sutherland et al., 2020) den pie der TU München, Klini- Angehörigen nützliches Wissen vermitteln und zu ihrer kum rechts der Isar (Foto: Kli- emotionalen Entlastung beitragen können. nikum rechts der Isar) Kontakt: Psychose-Seminare und Selbsthilfestrategien gabriele.pitschel-walz@tum.de Die von Thomas Bock und Dorothea Buck 1989 ins Leben gerufenen Psychose-Seminare (Bock, et al., Literaturverzeichnis 1994) stellen nach dem Verständnis der DGPE (Deut- Amaresha AC, Kalmady SV, Joseph B, Agarwal SM, Narayanas- sche Gesellschaft für PE) eine ideale Ergänzung und wamy JC, Venkatasubramanian G, Muralidhar D, Subbakrishna Fortführung der PE-Behandlungsphilosophie dar DK (2018) Short term effects of brief need based psychoeduca- (Bäuml et al., 2007b /2020). Auf dem Boden eines gesi- tion on knowledge, self-stigma, and burden among siblings of cherten Wissens können die Betroffenen und deren persons with schizophrenia: A prospective Angehörige von einer informierten Warte aus selbstbe- controlled trial. Asian J Psychiatr.; 32:59–66. doi: 10.1016/j.ajp. 2017.11.030. Epub 2017 Dec 2. wusst in den Trialog mit anderen Betroffenen, Angehö- rigen und auch Profis treten, um ihr persönliches Erfah- Anderson CM, Gerard E, Hogarty GE, Reiss DJ (1980) Family rungswissen mit den Erlebnissen anderer abzugleichen treatment of adult schizophrenic patients: A psycho-educational und zu erweitern. approach. Schizo Bull; vol. 6, no, 3: 490–505 10
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Berger I Bechmann I Dehimi I De Valerio I Bäuml (Hrsg.) BUCH Psycho-Tisch Psycho- Geschichten und Bilder aus dem Münchner Psychose-Seminar Tisch „Psycho-Tisch“ ist ein aussergewöhnliches Buch mit Bil- dern und Texten, die Einblicke in die Welt psychischer Ausnahmezustände gewähren. Es versammelt authenti- sche Geschichten und Gedichte, die so verschieden sind, wie die 37 Autorinnen und Autoren dieses Buches. Was empfindet ein Lehrer, der mit seiner Ente vor einem vermeintlichen Geheimdienst flüchtet? Was passiert, wenn einer nachts auszieht, Papst zu werden? Wie geht es einem Professor der Psychiatrie, dessen Gespräch mit der Familie vom paranoid erkrankten Patienten heimlich mitgeschnitten wird? Was schreiben fünf Betroffene in Gedichten über ihr ambivalentes Verhältnis zu Medika- menten? Auf über 300 Seiten werden mutige, komische, erhel- lende, bittere, informative und wissenschaftliche Texte Geschichten auf dem „Psycho-Tisch“ ausgebreitet. Bilder und Foto- grafien von Künstlerinnen und Künstlern bereichern das und Bilder Buch um eine weitere Dimension. Was alle Beteiligte verbindet, ist die Erfahrung einer Psychose – als Erle- aus dem bende, Behandelnde oder Angehörige. Münchner Lassen Sie sich anstecken, vom Mut und der Offenheit Psychose-Seminar der Autorinnen und Autoren des Münchner Psychose- Seminars, die durch ihre Kreativität einen besonderen Beitrag zur Inklusion leisten. BUCH Handbuch der Psychoedukation Therapeutische Interventionen sind umso wirksamer, je besser sich die Patienten von den Behandlern verstan- den fühlen – und je besser sie selbst ihr Krankheitsbild und ihre Behandlung verstehen. Die hohe Relevanz von Psychoedukation für das Krankheitsverständnis von Pati- enten und Angehörigen und damit letztlich für die Salutogenese wird immer offensichtlicher. Dieses Hand- buch vermittelt das notwendige Wissen dazu: Führende Experten beschreiben, welche psychoedukativen Kon- zepte bei unterschiedlichen psychischen, psychosomati- schen und medizinischen Beschwerden zur Verfügung stehen – von affektiven Erkrankungen und Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis über psychische Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu neurologischen und besonders häufigen somatischen Krankheitsbildern. Neben den wichtigsten Fakten zu den einzelnen Erkran- kungsbildern wird jeweils dargestellt, welche Manuale für Patienten und Angehörige es gibt und wie der Thera- peut psycho-didaktisch am besten vorgehen kann. Plasti- sche Interaktionsszenen zeigen, wie Psychoedukation in der Praxis gelingen kann. Dabei kommen viele psychoedukative Basics zur Spra- che: Wie wecke ich das Interesse an der Auseinanderset- zung mit der Erkrankung? Wie dolmetsche ich kompli- ziertes Krankheitswissen? Wie vermittle ich Hoffnung und Mut auch bei chronischem Verlauf? 12
BUCH Wie ein Kinderbuch ensteht Anna Gabriel Lanz und Cynthia Steiner-Berger im Inter- view mit Tobias Furrer NIKI und der lange Schal, so heisst das Kinderbuch zum Thema elterliche Angststörung der beiden Psychomoto- riktherpeutinnen Anna Gabriel Lanz und Cynthia Stei- ner-Berger. «Es ist nie zu früh um mit Psychoedukation zu starten»: so Steiner-Berger im Interview. Kinder erkennen unterbewusst was es mit ihrer eigenen Situa- tion zu tun hat und dürfen doch mit der Geschichte etwas Abstand nehmen und müssen nicht die ‘Ich’- Position einnehmen und von sich erzählen. Das Buch ist jedoch nicht nur für Kinder im Kindergarten geeignet. Niki steht bereits in Bücherregalen von Kinderheimen, Schulen, bei Psychotherapeuten, Grosseltern und bei vielen Kinder zuhause im Bücherregal. Lanz hat auch die Rückmeldung bekommen, dass es für Erwachsenen CSB: Wir beide lieben schöne Kinderbücher und allge- spannend ist, da psychische Krankheiten nicht fassbar mein Bücher. Es ist etwas zum anfassen und die Kinder sind und die Sprache in Kinderbüchern Bilder entstehen haben etwas in der Hand. Auf der letzten Seite haben lassen. «Bei einer Lesung mit Eltern, der Lehrerschaft wir auch ein psychomotorisches Element eingebaut, und Kinder bis zur sechsten Klasse war es spannend das Kind kann mitwirken und helfen den Schal tatsäch- welche Fragen, dass da kamen. Es konnte gut ein lichabzulegen. Schwenker zu allen psychischen Erkrankungen gemacht werden» erzählt Steiner-Berger. Wie ist die Geschichte von NIKI entstanden? Was hat euch zu diesem Buch bewogen? AGL: Als Erstes, haben wir viele andere Psychoedukati- onsbücher studiert, um zu verstehen, wie die Themen Anna Gabriel Lanz: Unsere Dozentin, Rut Brunner Zim- vermittelt werden. Da uns die Eigenschaften eines Eich- mermann, welche auch Kinderpsychologin ist, hat uns hörnchens gefallen haben, entschieden wir uns für die- über das Thema Psychoedukation informiert. Als es im ses sympathische Tierchen welches mutig von einem Jahr 2017 dann um unsere Bachelorarbeit in unserem Ast zum anderen hüpft sich jedoch auch ganz schüch- Psychomotorikstudium ging, haben erste Recherchen tern hinter dem Baum vor uns Menschen versteckt und ergeben, dass es noch kein Buch über Angststörungen voller Bewegungsfreude wieder hinter dem Baum her- gibt, das hat uns motiviert die Lücke zu füllen. vor blinzelt. Diese Bewegungsfreude wurde jedoch durch Mamma’s Angst stark behindert. Wir wollten Cynthia Steiner-Berger: Angststörungen sind häufig und symbolisieren, wie sich die Krankheit der Mutter auf passen gut zu unserem Arbeitsalltag als Psychomotorik- andere Familienmitglieder, vorallem auf Kinder auswir- therapeutinnen. Kinder welche Psychomotorik benöti- ken kann. Wie die Geschichte genau entstanden ist, gen, haben nicht selten Eltern welche ängstlich sind können wir nicht mehr genau sagen. Es war ein und den Kindern wenig Möglichkeiten geben etwas gemeinsamer Prozess. auszuprobieren. CSB: Obwohl es ein recht schweres Buch ist, wollten wir auch schöne Szenen mit der Mutter zeigen. Die Mutter Heute gibt es so viele tolle Medien wie Trickfilm und ist an sich nicht Böse, die Angststörung lässt die Situa- Apps, weshalb habt ihr euch für ein gedrucktes Buch tion so schwierig werden. entschieden? AGL: Wir haben drei Szenen gewählt welcher Niki ein- AGS: Wir haben über die Bedeutung von Bilderbüchern geschränkt wurde. Um möglichst recherchiert und wurden in unserer Entscheidung viele Anknüpfungspunkte für die Kinder zu bieten, bestätigt. Mit einem Buch kann man sich als Erwachse- haben wir bei jedem Mal eine andere Perspektive ner dem Tempo des Kindes viel besser anpassen. Einige gewählt, in welcher die Lesenden immer näher ans Seiten können etwas länger betrachtet werden und Schicksal von Niki kommen. Wer ganz genau man kann in der Geschichte vor und zurück springen. schaut sieht, die Kindergärtnerin (Frau Dachs) ist Beim Erzählen eines Buches kann man mit dem Kind jedoch immer irgendwo mit einem wachsamen interagieren und der Raum für Fragen bleibt offen. Mit Auge dabei. einem Film ist das Kind etwas alleine gelassen. CSB: Im Prozess gab es auch Tage welche uns nicht wei- terbrachten und dann plötzlich ist uns die Idee gekom- «Beim Erzählen eines Buches kann man mit dem Kind men. So zum Beispiel bei Frau Eule, welche die Psycho- interagieren und der Raum für Fragen bleibt offen.» login darstellt, war es für uns ganz logisch, dass dieses weise Tier die Helferin in der Not ist. 13
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