Ich du wir Ein Magazin für psychiatrisch Tätige - Edition 2021 1 Psychoedukation - Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie

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Ich du wir Ein Magazin für psychiatrisch Tätige - Edition 2021 1 Psychoedukation - Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie
Edition 2021· 1
                      Psychoedukation

ich · du · wir
Ein Magazin für psychiatrisch Tätige

                  www.angehoerige.ch
Ich du wir Ein Magazin für psychiatrisch Tätige - Edition 2021 1 Psychoedukation - Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie
Vor dem Hintergrund neuester Untersuchungen zu den
                                                          Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesund-
                                                          heit und psychosozialen Problematiken von Kindern
                                                          und Jugendlichen kann man die beiden Beiträge von
                                                          Nicole Friedrich sowie das Interview von Tobias Furrer
                                                          wahrhaftig als spannende Trilogie hervorheben. Die
                                                          Lesenden werden zunächst durch die beiden Kinder-
                                                          buch-Autorinnen Anna Gabriel Lanz und Cynthia Stei-
                                                          ner-Berger in die Bedeutung kindlicher Phantasiewel-
                                                          ten eingeführt, bevor Nicole Friedrich kombiniert in
                                                          Interview-Form und einem Fachartikel einerseits in ein-
                                                          drücklicher Weise die subjektive Perspektive und Ausei-
                                                          nandersetzung zweier jugendlicher Geschwister mit der
                                                          Erkrankung ihrer Mutter schildert, sowie andererseits
                                                          den Scheinwerfer auf die essentiellen Bausteine der
                                                          Psychoedukation im Kindes- und Jugendalter wirft. Eine
                                                          abschliessende Buchbesprechung von NIKI und der
                                                          lange Schal regt zum Nachdenken und der weiteren
                                                          Lektüre an.

                                                          Die Fachartikel von Thomas Lampert und Prof. Dr. Tho-
                                                          mas Bock analysieren unterschiedliche Herangehens-
                                                          weisen und Techniken der Psychoedukation sowohl
                                                          krankheitsübergreifend als auch spezifisch in Bezug auf
                                                          Manie und Depression. Die Autoren zeigen hierbei in
                                                          konzis-verständlichen Formulierungen die Spannungs-
                                                          felder der Konzeption und Umsetzung psychoedukati-
                                                          ver Arbeit sowie die Wichtigkeit der Bedürfnisorientie-
                                                          rung und Interaktion bzw. das „mehr“, das es benötigt,
                                                          auf. Das Plädoyer von Stephan Kälin für den Flipchart
                                                          und die Ermunterung der Leserschaft, sich ihrer Talente
                                                          zu bedienen, schliesst den Kreis der Unabdingbarkeit
                                                          möglichst optimaler Kommunikation und verständli-
                                                          chen Darstellung im Bereich der Wissensvermittlung.
Liebe Leserschaft,
                                                          Die NAP bedankt sich herzlich mich für Ihr andauerndes
                                                          Interesse an unserem Magazin und wir wünschen
Wenn die vergangenen 18 Monate uns eines gelehrt          Ihnen viel Freude bei der Lektüre.
haben, dann ist dies voraussichtlich, welch eminent
wichtige Rolle Wissensvermittlung, Kommunikation
und die verständliche Darstellung komplexer Zusam-
menhänge für das Miteinander in einer hochentwickel-
ten, globalisierten Gesellschaft einnehmen und dass                                       Es grüsst Sie freundlich
essentielle menschliche Fähigkeiten wie Freiheit, Soli-
darität sowie der gerechte, sorgsame Umgang mitein-
ander nur durch ein gemeinsames Verständnis der
Gegenwart in ihrer Gänze zu tragen kommen. Das mitt-
lerweile siebte Fachmagazin ich-du-wir exploriert vor                                           Janis Brakowski
diesem hochaktuellen Hintergrund die Herausforderun-                                     Vorstandsmitglied NAP
gen wie auch die Chancen der mitunter intensiven
Arbeit mit psychisch Erkrankten sowie deren Angehöri-
gen und setzt hierin den Fokus auf die Psychoeduka-
tion, welche wiederum im Kern die Informationsver-
mittlung, den selbstwirksamen Umgang mit sowie die
Verständnisförderung von psychischen Erkrankungen
und insbesondere die Krankheitsbewältigung umfasst.

Der fachlich-wissenschaftliche Rahmen wird durch die
renommierten Forscher mit ausgewiesener klinischer
Fachexpertise, Frau PD Dr. Gabriele Pitschel-Walz und
Prof. Josef Bäuml von der TU München gesteckt. In
ihrem Artikel „Welchen Nutzen hat Psychoedukation
für Angehörige?“ beleuchten sie einerseits die wissen-
schaftlich-historischen Grundlagen der Psychoeduka-
tion und geben andererseits einen praktischen Einblick
in die zentralen Elemente plus Ziele und die Wirksam-
keit professioneller Einzel- und Gruppenangebote
innerhalb dieser diffizilen wie teilweise kontroversen
Thematik.

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FOKUS
   Angehörige einbeziehen – nicht
                        erziehen
Lehren aus dem Trialog im Umgang mit Familien

Von Thomas Bock

Vorweg: Ich versuche, mit diesem Beitrag, der sich vor
allem an Profis richten soll, auch Angehörige anzuspre-
chen – zum einen aus didaktischen Gründen, zum
anderen weil wir alle auch Angehörige sind, auch wenn
sich unsere Sorgen als Eltern, Partner, Geschwister, Kin-
der nicht immer auf krankheitswertige psychische
Besonderheiten beziehen.

Niemand wird alleine psychisch krank, niemand                 Als Angehöriger sehe ich auch das erkrankte Familienmit-
alleine gesund                                                glied nicht nur durch die Brille der Krankheit. Eine gewisse
                                                              Unbefangenheit ist wichtig und muss bleiben. Es ist fatal,
Wir entwickeln uns in einem Kontext, der uns begleitet,       wenn
spiegelt, trägt, verunsichert, verletzt, heilt – von allem
etwas; das gilt mit und ohne diagnostizierter psychi-
scher Erkrankung. Angehörige können zu Krisen,                • Eltern Früherkennung betreiben
manchmal auch zu tiefen Verletzungen beitragen. Ihre          • Partner alle schlechten Eigenschaften des anderen der
Präsenz ist aber zugleich oft die entscheidend nötige           Krankheit zuschreiben
Ressource, um halbwegs elegant wieder aus dem Schla-
massel herauszukommen. Missbrauch und Gewalt                  • Sich Freundschaften in Helferbeziehungen wandeln
geschehen überwiegend im Nahbereich; die meisten              • Geschwister sich (aufgrund von Krankheitsangst oder
psychisch erkrankten Menschen werden hier Opfer und             Schuldgefühlen) verlieren
Täter. Das gilt übrigens auch für die, die – warum auch
immer – gesund bleiben. Das gehört zum Leben. Und             Gleichzeitig ist es natürlich wichtig, dass Angehörige die
es hilft auch wenig, jede Auffälligkeit und Besonderheit      Erkrankung nicht leugnen, die Hypothek des anderen aner-
mit diagnostischen Etiketten zu belegen. Wir können           kennen, Erwartungen (vorübergehend) anpassen und
auch böse sein – mit und ohne Erkrankung.                     ohnehin fragwürdige Leistungsansprüche hintanstellen. In
Mit der tiefen Verunsicherung eines anderen Men-              diesem Spagat hilft ein Verständnis psychischer Störungen,
schen in der unmittelbaren persönlichen Nähe konfron-         das ich anthropologisch, andere systemisch oder psychody-
tiert zu sein, bleibt für niemanden spurlos. Diese Erfah-     namisch nennen: Niemand ist nur gesund oder nur krank,
rung hat vermutlich jede/r von uns gemacht – in               sondern wir alle bewegen uns auf einem Kontinuum zwi-
beiden Rollen, wenn auch sicher mit unterschiedlicher         schen gesund und krank. Psychischen Störungen sind
Intensität und Dauer. Diese wechselseitige Verantwor-         zunächst mal zutiefst menschliche Reaktionen auf widrige
tung und Verletzlichkeit gilt völlig unabhängig von der       Umstände und Widersprüche und als solche nicht sinnlos,
professionellen Betrachtung, der Zuständigkeit ver-           können dann aber eine Eigendynamik entfalten (somatisch,
schiedener Hilfen und der damit zusammenhängenden             psychisch und sozial), die in krankheitswertige Zustände
Diagnostik. Dass Psychiatrie und Psychotherapie nicht         führt – mit Anspruch auf Krankengeld und eben auch Hilfe.
selten als einzige zuständig sind, kann man als kulturellen
Fortschritt oder als Verarmung ansehen. Ich neige eher
zu letzteren, doch auch hier gibt es wohl beide Möglich-
keiten und gilt kein vereinfachendes entweder-oder.           Psychische Störungen sind zutiefst menschlich

                                                              Die Pathologie betont das statistisch besondere, das Norm-
Im Zweifel hat die Angehörigenrolle Vorrang                   abweichende und Fremde; die Anthropologische Psychiat-
                                                              rie, wie sie aus dem Trialog heraus neu belebt wurde,
Vater/Mutter, Bruder/Schwester, Sohn/Tochter bin und          erweitert den Blick auf das allen Menschen gemeinsame,
bleibe ich, ob ich will oder nicht. Partnerschaften, Ehen     auf das zutiefst Menschliche, den biographischen Zusam-
und Freundschaften sind Wahlverwandschaften. Doch             menhang, die subjektive Bedeutung und die Funktionalität,
für alle Angehörigen gilt, dass Sie einzigartig sind. Und     die nahezu alle Symptome neben und in der Störung haben
das durchaus im Gegensatz zu TherapeutInnen oder              können (Bock 2012, 2014, Bock u.a. 2013).
andren professionellen HelferInnen. Schon deshalb gilt:
versuchen Sie nie, die eine Rolle durch die andere zu         Angst zu haben, ist keine Krankheit, sondern eine überle-
ersetzen. Bleiben Sie sich und der familiären Rolle treu.     bensfähige Fähigkeit des Menschen, um sich vor Gefahr zu
Und auch wenn Sie sich Rat von Profis holen, lassen Sie       schützen. Erst die Verallgemeinerung, Generalisierung
sich nicht verführen, deren Rolle zu übernehmen.              oder Zuspitzung der Angst macht sie zur „Störung“ und
Unweigerlich würde etwas viel wertvolleres verloren           damit einer Psychotherapie zugänglich. Die Frage nach
gehen.                                                        der Funktionalität bleibt.

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Zwänge oder Rituale zu entwickeln, kann ebenfalls Aus-             Unterschiedliche Perspektiven und Sorgen von Angehörigen
druck des Bemühens sein, (künstliche) Ordnung zu ent-
wickeln wo Chaos und Orientierungslosigkeit droht.                 Die verschiedenen Angehörigen bringen sehr unter-
Und je unsicherer ein Mensch ist und je weniger ihm                schiedliche Perspektiven, Erfahrungen, Ressourcen,
natürliche, soziale, biographische oder religiöse Rituale          Belastungen und Fragen mit sich. Das erscheint selbst-
zur Verfügung stehen, desto eher mag er/sie zu patho-              verständlich - und hat doch im psychiatrischen Alltag
logischen Ausdrucksformen kommen.                                  leider oft noch zu wenig Widerhall (Bock 2016):

Auch eine Depression ist zunächst als Schutzmechanis-              Eltern fragen vor allem nach der eigenen Verantwor-
mus der Seele – vor zu starken oder zu vielfältigen/ver-           tung und Schuld, ob sie zuviel oder zuwenig geliebt, zu
wirrenden Gefühlen, vor unlösbaren Konflikten oder                 früh oder zu spät losgelassen haben. Der Erziehungs-
Entscheidungen – bzw. als Totstellreflex zu verstehen.             prozess ist schon bei gesunden Kindern kompliziert,
Erst die vielfache psychische, soziale und somatische              erfordert eine ständige Balance von Autonomie und
Eigendynamik macht daraus eine Erkrankung.                         Bindung und ist als solcher fehleranfällig. Das gilt erst
                                                                   recht, wenn in einer Psychose gleichzeitig sehr unter-
In diesem Sinne mag die Manie am Ende zwar zerstöre-               schiedliche Beziehungsmuster, -wünsche und -ängste
risch und belastend sein, zunächst ist sie jedoch auch             zutage treten. In dieser Situation brauchen Eltern Ent-
„Flucht nach vorne“, Spiegel der Seele, vermeintlicher             lastung und Fehlerfreundlichkeit, wie sie sich z.B. in
Ausweg aus Überanpassung ...                                       diesem Zitat aus einer Angehörigengruppe spiegelt:
                                                                   „Wenn Sie nichts falsch machen, ist das falsch; denn
Im anthropologischen Kontext ist die Borderline-Stö-               fehlerlose Eltern sind unerträglich“.
rung immer noch tendenziell selbstverletzend und
beziehungsextremistisch, doch zunächst auch ver-                   Geschwister fühlen sich mit Recht oft vernachlässigt
gleichbar einer ausweglosen Pubertät mit Spannungs-                (Bock u.a. 2008). Sie werden wenig einbezogen,
feldern, die für jeden Menschen bedeutsam sind: Zwi-               schauen kritisch auf die Psychiatrie und sind doch in
schen Nähe und Distanz, Autonomie und Bindung,                     Familiengesprächen sehr hilfreich, wenn es darum
Anpassung und Widerstand – mit der jeweils verbunde-               geht, Krankheits- und Generationsdynamik auseinan-
nen Angst.                                                         derzuhalten. Sie einzubeziehen, gebietet sich aber auch
                                                                   wegen des Risikos, dass sie unter dem Druck einer
Psychosen können personale Grenzen auflösen – in                   „Überlebensschuld“ selbst erhebliche Einbussen der
einer Kultur, die diese masslos heiligt. Ob diese Auflö-           Lebensqualität erleiden oder an unseren falschen Kurz-
sung eher angstvoll oder spirituell wahrgenommen                   schlüssen zur Genetik verzweifeln.
wird, ist nicht allein krankheitsbedingt, sondern auch
kulturabhängig. Die psychologische Konsequenz der                  Partner bringen je nach Beziehungsgeschichte sehr
Durchlässigkeit: Innere Konflikte werden Person und                unterschiedliche Zweifel und Fragen mit, von denen
Stimme („Halluzination“), äussere Ereignisse treffen fil-          zwei aber besonders prägend sind: Warum tut er / sie
terlos ins Innere („Paranoia“). Wobei genau diese                  mir das an? Und wie halte ich das aus? Die eine Frage
Beziehungssetzung entsprechend den Wunsch und                      verweist auf die Gleichzeitigkeit von Krankheits- und
Angstanteilen eines Traums verschieden besetzt sein                Beziehungsdynamik, die je nach Akutheit der Situation
kann: Wer drei Geheimdienste hinter sich wähnt, hat                unterschiedlich zu beantworten ist und im Verlauf der
Angst, aber auch Bedeutung: Wenn wir gar kein Echo                 Genesung immer wieder neue spannende Diskurse
mehr haben, können Halluzinationen diesen Raum fül-                erlaubt bzw. erfordert. Die andere Frage verdeutlicht,
len; wenn wir keine Bedeutung mehr haben, können                   dass Partner aus eigenem Interesse aber auch im Sinne
wir veranlasst sein, diese zu konstruieren – sogar um              des Patienten achtsam mit sich selbst sein, also Nähe
den Preis des Realitätsbezugs.                                     und Distanz immer wieder austarieren müssen: Wieviel
                                                                   Nähe ist möglich, um mich nicht selbst zu gefährden?
                                                                   Wieviel Abstand brauche ich, um meine Liebe zu ret-
                                                                   ten? Die Komplexität der Situation macht deutlich, dass
«Menschen müssen im Unterschied zu anderen Lebe-                   Partner hier – privat oder professionell - Hilfe brauchen
wesen um ihr Selbstverständnis/-gefühl ringen. Es                  und dass es ein Kunstfehler ist, sie allein zu lassen.
gehört zu unseren Möglichkeiten, an uns zu zweifeln
und dabei auch zu verzweifeln, über uns hinaus zu                  Das gilt natürlich besonders, wenn Kinder im Spiel sind,
denken und uns dabei auch zu verlieren ... Wer darü-               insbesondere wenn sie im gemeinsamen Haushalt
ber psychotisch wird, ist also kein Wesen vom anderen              leben. Ihre kindgemäss mystische Weltsicht lässt sie oft
Stern, sondern zutiefst menschlich».                               über sich hinauswachsen, in der Zuschreibung aller Ver-
                                        AG Psychoseseminare 2007   antwortung und Kausalität an sich selbst und im Bemü-
                                                                   hen, Mama oder Papa zu retten. Sie zu entlasten, erfor-
                                                                   dert kindgemässe Aufklärung und die Gewährleistung
Diese Sichtweise reduziert das Risiko von Selbst- und              alternativer Bezugspersonen in Krisen.
Fremdstigmatisierung. Sie hilft Patienten, sich die
befremdliche Erfahrung wieder abzueignen, sie kritisch             Freunde fragen, wieso der/die andere sich so verändert
als Person auch wieder mit sich selbst in Verbindung zu            und ob er/sie noch zu ihnen passt. Damit geht es um
bringen und nicht nur als abstrakte Erkrankung an                  Solidarität, im Konkreten leider oft ganz banal auch
Fremde zu delegieren. Diese Sichtweise hilft aber eben             bezogen auf den Umgang mit Alkohol oder Drogen.
Angehörigen in ihrem Spagat zwischen Respekt vor der               Freunde sind ein Schatz, wenn es sie noch gibt. Sie
Erkrankung und dem Ringen um Erhalt des normalen                   haben mehr Einfluss als andere, sodass es sich als
Lebens. Sie hilft, immer auch einen Teil Verantwortung             Betroffener lohnt, um sie zu kämpfen, und als Thera-
beim erkrankten Familienmitglied zu belassen und das               peut, bei der Klärung zu helfen. Im Hinblick auf Drogen
eigene Leben nicht aus dem Blick zu verlieren.                     kann es hilfreich sein, die Ungerechtigkeit zu benen-

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nen, die damit verbunden ist, dass mit bzw. nach einer         Doppelte Peerarbeit – von/für Betroffenen, von/für
psychischen Erkrankung die Folgen des Konsums sehr             Angehörige
verschieden sind.
                                                               Aus dem Trialog ist (in Deutschland) auch Peer-Support
Schon diese Auflistung (ohne Grosseltern, Enkel und wei-       und Genesungsbegleitung entstanden. Im Rahmen eines
tere Verwandte) zeigt, welchen Reichtum unser Bezie-           Forschungsprogramms ist es in dann Hamburg europa-
hungsgefüge birgt und wie lohnend es ist, es im doppel-        weit erstmalig gelungen, doppelte Peerarbeit als eigen-
ten Sinne – als Ressource und als Konfliktfeld mit             ständige Dienstleistung (Genesungsbegleitung und
eigenen Bedürfnissen – wahrzunehmen und es direkt              Gesundheitslotsen) an der Schnittstelle ambulanter und
oder indirekt einzubeziehen.                                   stationärer Versorgung flächendeckend zu etablieren und
                                                               auf hohem Niveau zu evaluieren. Die Ergebnisse sind
                                                               ermutigend: Bei Betroffenen stärkt Peerbegleitung u.a.
Visionen des Trialogs                                          ihre Selbstwirksamkeit (Mahlke u.a. 2017) inkl. Selbstver-
                                                               trauen und –verantwortung mit Rückwirkung auf Teil-
Der Trialog hat die Rollen verändert - als Vision, aber        habe, Stigmaresistenz, Rehospitalisierungsrate. – Bei
auch im konkreten Geschehen eines Psychoseseminars,            Angehörigen reduziert die Begleitung durch geschulte
Trialogforum oder eines der Folgeprojekte aus dem              Peers die subjektive Belastung und stärkt die Lebensquali-
Bereich Antistigmaarbeit, z.B Irre menschlich Hamburg          tät (Heumann u.a. 2016). Das erste kann entscheidend
(Bock u.a. 2016), Beschwerdestellen (Bombosch 2009)            sein auf dem Weg der Genesung und das zweite ist ein
oder Forschung, z.B. Nutzerorientierte Wissenschaftsbe-        wesentlicher Bestandteil von Prävention.
ratung NoW – inkl. Angehörige (Demke u.a. 2017). Tri-
alog meint das Gegenteil von Psychoedukation, also
keine einseitige Belehrung oder unterschwellige Rollen-
veränderung, keine um Objektivität bemühte Beratung,           Zugespitzte Konflikte
sondern persönlicher wechselseitiger Lernprozess mit
einem Schwerpunkt auf den Austausch subjektiver Pers-
pektiven und wechelseitiger Fragen. Ziel dieses „herr-         Spaziergang trotz Depression?
schaftsfreien Diskurses“ (Habermas 1981) ist nicht
Compliance bei den Patienten und Anpassung bei den             Mal angenommen, durch Psychoedukation oder Googeln
Angehörigen, sondern Empowerment bei beiden. Für               wüsste ich alles über Depression, was folgt daraus für die
Angehörige ist spannend, dass manchmal fremden                 Frage, ob ich meinen Mann oder meine Frau am morgen
Betroffenen und umgekehrt fremden Angehörige leich-            versuche zu einem Spaziergang zu motivieren? Die Ant-
ter zuzuhören und besser von ihnen zu lernen ist als           wort ist komplex und möglicherweise viel näher bei mir
zuhause in den eigenen vier Wänden mit all den einge-          selbst als mir lieb ist: Erst muss ich klären, ob die Einla-
fahrenen Spielregeln (Bock & Priebe 2005, Bock u.a.            dung halbwegs authentisch ist; dann muss ich anerken-
2013).                                                         nen, wie unendlich schwer der Start sein kann. Dann viel-
                                                               leicht ein kleines Stück anbieten. Das fällt leichter, wenn
                                                               ich mich erinnere, dass die Kräfte auch schon mal anders
«Psychoedukation läuft, wenn sie zu eng verstanden             verteilt waren, ich zugleich meine Ohnmachtsgefühle res-
wird, in Gefahr, die Rollen der Beteiligten einzuengen         pektiere– zumindest vor mir selbst.
und ihre Handlungsfreiheit zu beschränken».
                                                               Todesurteil oder Liebeserklärung?
Psychoedukation läuft, wenn sie zu eng verstanden wird,
in Gefahr, die Rollen der Beteiligten einzuengen und ihre      Mal angenommen, Ihr Sohn oder Tochter hört eine
Handlungsfreiheit zu beschränken: Was ist gewonnen und         Stimme, die ihm nahelegt, Mutter oder Vater zu töten.
vor allem was geht verloren, wenn wir Angehörige erst zu       Auch wen wir alle viele nahestehende Menschen schon
„SchülerInnen“ und dann zu Co-TherapeutInnen machen?           auf den Mond schiessen wollten, ist das in dieser Konkret-
Was passiert mit ihren erkrankten Familienmitgliedern,         heit erschreckend, kann dadurch Schuldgefühle wecken
wenn sie anschliessend auch zuhause (nur) durch die            oder Zwangsreaktionen hervorrufen. Wenn man aber
Krankheitsbrille gesehen werden. Selbstverständlich brau-      bedenkt, dass in Psychosen unsere Grenzen durchlässig
chen Angehörige Unterstützung, um sich zu besinnen, zu         werden, innere Dialoge zu äusseren werden (Halluzinatio-
begrenzen, dem/r anderen nicht ins Nirvana zu folgen, auf      nen) oder äussere Ereignisse uns filterlos treffen (Para-
entlastende professionelle Hilfen zu bestehend, um Bezie-      noia), dann wird auch vorstellbar, dass Nähe bedrohlich
hung und Liebe zu retten. Vor allem braucht es gemein-         werden kann, dass gerade die Menschen, die wir lieben,
same familienbezogene Hilfen für PatientInnen und Ange-        mit Abwehrreaktionen rechnen müssen. Die Herausforde-
hörige, um sich gegenseitig nicht aus dem Auge zu              rung für Angehörige liegt also darin, beizustehen ohne zu
verlieren, eine gemeinsame Sprache zu erhalten bzw. die        sehr auf die Pelle zu rücken, den/die andere/n weiter als
Sprache der Symptome zu entschlüsseln, wechselseitig           Erwachsenen zu sehen, auch wenn sich symbolisch oder
Respekt zu bewahren für Empfindlichkeit und Besonder-          konkretistisch in Wahrnehmungen oder Übertragungen
heit des/r anderen, bestimmte Spielregeln zu retten, die       kindliche Muster äussern (Bock 2007).
das gemeinsame Leben erfordert oder einen guten Weg
zu finden, Abstand zu finden, zu wahren, wieder herzu-
stellen. Doch diese Prozesse sind so komplex und alle          Flucht nach vorne aus der Überanpassung?
Beteiligten sind letztlich (mit/ohne/trotz Erkrankung)
eigenverantwortlich, dass „Psychoedukation“ (im Wort-          Manien belasten die sozialen Beziehungen – in alle
sinn) zu kurz greift. Vor allem, wenn diese die existentiel-   Richtungen, egal ob sie bei Kind, Elternteil, Geschwister
len Fragen, die immer mitschwingen, auf Erkrankung             oder Partner/In verortet ist. Der/die andere wird tref-
reduziert (Amering & Schmolke 2011).                           fend und verletzend, fühlt oder erscheint sogar grossar-

                                                                                                                         5
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tig mit absehbaren, manchmal aber auch vorweggenom-                     Literaturverzeichnis
menen Katastrophen. Mir hilft es im Blick zu behalten,
dass der/ die manische Patent/In ansonsten überange-                    AG der Psychoseseminare (2007); Es ist normal verschieden zu
passt erscheint, bemüht ist es allen recht zu machen, nicht             sein - erhältlich unter www.irremenschlich.de oder www.tri-
gelernt hat, rechtzeitig Nein zu sagen. Wenn es doch                    alog-psychoseseminar.de
einen Psychotherapeuten/in gäbe, um zu lernen, das
                                                                        Amering M, Schmolke M (2011); Recovery – Das Ende der
Ungewöhnlich im Alltag unterzubringen, anstatt es für die               Unheilbarkeit, Köln: Psychiatrieverlag
nächste Manie aufzubewahren.... Umso wichtiger ist es ,
nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen, den Spiel-                  Bock T (2007); Eigensinn und Psychose – Noncomplaince als
raum des anderen und auch den eigenen (!) nicht unnötig                 Chance, Neumünster: Paranusverlag
einzuengen. Umso wichtiger ist es aber auch, die eigenen
Grenzen deutlich zu machen – möglichst mehr mit Ich-                    Bock T (2012) Krankheitsverständnis – zwischen Stigmatisierung
Botschaften als mit Gegenangriffen und möglichst recht-                 und Empowerment, Schweizer Archiv für Neurologie und Psych-
zeitig, bevor die eigene Kränkung so mächtig, die eigene                iatrie, 163 (4), S. 138-144
Wut federführend ist und ich so der manischen Energie
ins Messer laufe. Das gilt im Übrigen auch für Psychothe-               Bock T (2014); Wird die Menschheit kränker oder die Krankheit
                                                                        menschlicher? Editorial, Psychiatrische Praxis 4/2014
rapeut/Innen, die hoffentlich bald aufhören, die Men-
schen mit besonderer Spannweite hinsichtlich Stimmung                   Bock T (2016): Raum und Psyche – aus sozialpsychiatrischer,
und Antrieb, also die „Bipolaren“ zu stignatisieren bzw. zu             anthropologischer, trialogischer Sicht, in: Haslinger B (Hrsg)
meiden (Bock 2020).                                                     Raum und Psyche – ein transdisziplinärer Dialog zu Freiräumen
                                                                        in der Psychiatrie, Psychosozial Verlag

Abschliessendes Resumé                                                  Bock, T (2020); Achterbahn der Gefühle – Leben mit Manie und
                                                                        Depression, Psychiatrieverlag 2020
„Wenn ich psychotisch werde, möchte ich in meiner
Gewordenheit verstanden, in meinen So-Sein respektiert                  Bock T, Priebe S (2005); Psychosis-seminars: An unconventional
                                                                        approach for how users, carers and professionals can learn from
und in meiner Zukunftsperspektive ermutigt werden“.                     each other. Psychiatric Services 2005; 11: 1441-1443
Dieses Zitat von Gwen Schulz (2012) verdeutlicht Wün-
sche an Psychotherapie und prägt zugleich das Selbstver-                Bock T, Fritz-Krieger S, Stielow K (2008); Belastungen und Her-
ständnis von Peerberatung. Information alleine ist zuwe-                ausforderungen – Situation und Perspektive von Geschwistern
nig.                                                                    schizophrener Patienten, Sozialpsychiatrische Informationen,
Wenn ich das Zitat auf Angehörigenperspektive übertrage,                Psychiatrieverlag Bonn, Jg 38, 1/2008, S. 28 ff.
dann könnte es so lauten: „Wenn ich als Vater/Mutter,
Sohn/Tochter, Bruder/Schwester, Opa/Oma, Enkel/In                       Bock T, Meyer HJ, Rouhiainen T (2013); Trialog – eine Herausfor-
oder Freund mit der existentiellen Krise eines geliebten                derung mit Zukunft, in: Roessler W, Kawohl W. Handbuch Sozi-
Menschen konfrontiert werde, dann möchte ich meine                      alpsychiatrie Bd 2 Anwendung, Kohlhammerverlag
eigene Geschichte nicht vergessen, meine eigenen Gefüh-                 Bock T, Klapheck C, Ruppelt F (2013); Sinnsuche und Genesung.
len, Wünsche und Grenzen wahrnehmen, in meiner eige-                    Köln: Psychiatrieverlag
nen Rolle/Sicht respektiert und gesehen, sowie in meiner
eigenen und der gemeinsamen Entwicklung ermutigt wer-                   Bock T, Urban A, Schulz G, Sielaff G, Kuby A, Mahlke C (2016);
den“. Nach meinem Verständnis braucht das mehr oder                     Overcoming Stigma and Discrimination „Irre menschlich Ham-
jedenfalls etwas im Ansatz anderes als Psychoedukation.                 burg“ – Example of a Bottom-Up Project; in: Gaebel W, Sartorius
                                                                        N (Ed) Mental Illness Stigma – End f the Story, Springer 2016

«Aneignung macht Hoffnung – das dürfen Angehörige                       Bombosch J (2009); Qualitätsentwicklung in der Sozialpsychiat-
wissen, können sie vielleicht sogar befördern».                         rie – selbstverständlich im Trialog, Sozialpsychiatrische Informatio-
                                                                        nen (Themenheft Trialog), 3/2009, 39: S. 10 ff

                                                                        Demke E, Heumann K, Mahlke C, Bock T (2017); EmPeeRie –
Wem es gelingt, die psychotische oder bipolare Erfahrung                Empower Peers to research, Vorstellung eines Hamburger Pro-
mit dem eigenen Leben in Verbindung zu bringen, sie wie-                jekts zur Förderung von partizipativer und betroffenenkontrollier-
der anzueignen (Bock u.a.2013), gewinnt an Zuversicht                   ter Forschung, Sozialpsychiatrische Informationen 2/2017, 43-53
und schaut hoffnungsvoller in die Zukunft. Das dürfen
Angehörige wissen, das können sie vielleicht sogar beför-               Heumann K, Janßen L, Ruppelt F, Mahlke C, Sielaff G, Bock T
dern und der Zusammenhang könnte auch Ihnen Mut                         (2016). Auswirkungen von Peer-Begleitung für Angehörige auf
machen. Das alles spricht sehr dafür, Angehörige wahr-                  Belastung und Lebensqualität – eine Pilotstudie. Zeitschrift für
zunehmen, zu entlasten, zu unterstützen, vor allem sie                  Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 64(1).
einzubeziehen.                                                          Mahlke C, Krämer U, Becker T, Bock T (2014); Peer support in
                                                                        mental health services, current opinion Vol 27, No 4, July 2014
                           Prof. Dr. phil. Thomas Bock
                           war Leiter der Ambulanz für                  Mahlke C, Priebe S, Heumann K, Daubmann A, Wegscheider K,
                           Psychosen und Bipolare Stö-                  Bock T (2017); Effectiveness of one-to-one peer support for
                                                                        patients with severe mental illness – a randomised controlled
                           rungen, über 40 Jahre am Uni-
                                                                        trial. Euro Psychiatry
                           versitätsklinikum Hamburg-
                           Eppendorf tätig und ist Mit-                 Schulz G (2012); Spurensuche, Zu-Trauen, Geduld, Übersetzen,
                           begründer des Trialogs. S                    Hoffen – mein Wunsch an Psychotherapie. In: v.Haebler D, Men-
                                                                        tzos, S, Lempa G (Hrsg.) Psychosenpsychotherapie im Dialog,
                           Kontakt: bock@uek.de
                                                                        Band 26, Göttingen; Vandenhoeck & Ruprecht
                           Foto:UniversitätsklinikumHamburg-Eppendorf

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BUCH
                                                                                                   Ratgeber
                                                          Thomas Bock ist Professor für Klinische Psychologie und
                                                          Sozialpsychiatrie, Psychologischer Psychotherapeut, seit
                                                          40 Jahren am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf,
                                                          Autor von Fach- und Kinderbüchern. Er hat mit Dorothea
                                                          Buck die Psychoseseminare und weitere trialogische Pro-
                                                          jekte gegründet und Auszeichnungen für Versorgung,
                                                          Lehre und Forschung bekommen.

                                                          Achterbahn der Gefühle

                                                          Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt – so übersetzt
                                                          der Volksmund extreme Stimmungsschwankungen, die
                                                          Menschen wie auf einer Achterbahn in die Euphorie
                                                          katapultieren und ebenso schnell in grosse Hoffnungslo-
                                                          sigkeit stürzen lassen. Betroffene wünschen nichts sehn-
                                                          licher, als wieder die innere Balance zu finden. Dieses
                                                          Buch sagt wie.

Psychose und Eigensinn

Thomas Bock erzählt in diesem Buch Geschichten von
eigensinnigen Patienten – er berichtet von kreativen
Wegen des Zugangs zu jungen Ersterkrankten und zu
langfristig Psychoseerfahrenen. Sein Credo: Gerade von
eigensinnigen Patienten können wir viel lernen über die
Bedeutung von Psychosen, die notwendigen strukturel-
len Veränderungen der Psychiatrie, über angemessene
Beziehungskultur.

Seine Schilderungen werden ergänzt durch ein Gespräch
mit Dorothea Buck über den »eigenen Sinn von Psycho-
sen« und durch eine wissenschaftliche Analyse von Prof.
Michaela Amering aus Wien zu den subjektiven Voraus-
setzungen von Genesung: »Hoffnung macht Sinn«.

                                                          Stimmenreich

                                                          »Nie war über Psychosen authentischer zu lesen!«,
                                                          schrieb der Spiegel enthusiastisch über die Erstausgabe
                                                          von »Stimmenreich«. Psychosen sind erschütternde
                                                          Erfahrungen, die Sprachlosigkeit und Isolation für die
                                                          davon betroffenen Menschen zur Folge haben.
                                                          Das vorliegende Buch zeigt Wege zur Verständigung. Es
                                                          präsentiert die wichtigsten Beiträge der »Erfinder« der
                                                          Psychose-Seminare. Wer Psychosen begreifen will, dem
                                                          sei dieses Buch sehr zu empfehlen.

                                                                                                                7
Ich du wir Ein Magazin für psychiatrisch Tätige - Edition 2021 1 Psychoedukation - Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie
FOKUS
    Welchen Nutzen hat Psychoedu-
            kation für Angehörige?

Von Josef Bäuml und Gabriele Pitschel-Walz

„Dr. Google“ und die Suche nach der „Wahrheit“

»Doktor-Google« hilft in allen Lebenslagen! Sobald das
Wort „Psychose“ gefallen ist, wird nach der geheimnis-
umwitterten „Wahrheit“ geforscht. Diese Informations-
suche ist aus Psychoedukations-Sicht selbstverständlich
zu begrüssen, um Selbstwirksamkeit und Empowerment
zu erhöhen. Allerdings kann die Flut an unterschiedli-
chen und sich teilweise widersprechenden Informatio-
nen auch sehr verunsichern. Um die »Spreu vom Wei-         der Betroffenen und Angehörigen. In der somatischen
zen« zu trennen zwischen wissenschaftlichem Gold-          Medizin hat sich diese Kompetenzerweiterung längst
Standard und Aussenseiterpositionen, braucht man ein       bewährt und durchgesetzt.
umfangreiches Vorwissen. Vor allem Familien von Erst-
erkrankten (Amaresha et al., 2018) müssen strukturiert     PE muss neben der Wissensvermittlung zugleich die
und psychologisch adäquat unterstützt an diese Erkran-     »Berührungsängste« vor der Erkrankung nehmen und
kung herangeführt werden. Andernfalls können sich lai-     erleichternde »Aha-Erlebnisse« ermöglichen. Sie muss
                                                           das Wissen so aufbereiten und »dolmetschen«, dass es
                                                           für medizinische Laien an Bedrohlichkeit verliert und
«Wenn laienhafte und pseudowissenschaftliche               als hilfreich empfunden wird. Kultursensiblen Faktoren
Überzeugungen sich verfestigen, können die dann oft        kommt hierbei eine immer grössere Bedeutung zu
jahrelang die professionelle Behandlung unnötig            (Khalil et al., 2018; Koch et al, 2016).
erschweren».

                                                           Definition von Psychoedukation
enhafte und pseudowissenschaftliche Überzeugungen          (»Handbuch der Psychoedukation«; Bäuml, Pitschel-
verfestigen, die dann oft jahrelang die professionelle     Walz et al., 2016)
Behandlung unnötig erschweren. Deshalb ist eine
strukturierte und didaktisch gut aufbereitete Psy-         »Unter dem Begriff der PE werden systematische didakt-
choeduktation (PE) sehr wichtig, trotz und vielleicht      isch-psychotherapeutische Interventionen zusammen-
sogar wegen »Doktor Google«!                               gefasst, um Patienten und ihre Angehörigen über die
                                                           Krankheit und ihre Behandlung zu informieren, ihr
                                                           Krankheitsverständnis und den selbstverantwortlichen
Historischer Hintergrund der Psychoedukation               Umgang mit der Krankheit zu fördern und sie bei der
                                                           Krankheitsbewältigung zu unterstützen…Die Wurzeln
Psychoedukation wird im deutschen Sprachgebrauch           der PE liegen in der Verhaltenstherapie, wobei aktuelle
immer wieder missverständlich übersetzt als »erzie-        Konzepte auch gesprächstherapeutische Elemente in
hen« statt »weiterbilden«. 1980 wurde von Anderson         unterschiedlicher Gewichtung enthalten«.
im Kontext einer non-direktiven Aufklärung in Verbin-
dung mit Social-Skills-Training, Problemlösetraining und
Angehörigenberatung zur Verbesserung der basalen           Psychoedukation und Adhärenz / Compliance
Kommunikationsfertigkeiten die PE eingeführt (Ander-
son et al., 1980). Bereits sehr früh konnte der Vorteil    Die Einführung der Psychopharmaka seit den 1950er
dieser psychoedukativen, familienzentrierten Interven-     Jahren führte in Kombination mit psychosozialen Thera-
tion in der Behandlung von Schizophrenie nachgewie-        piemassnahmen zu deutlich besseren Behandlungser-
sen werden (Pitschel-Walz et al., 2001; Lincoln et al.,    gebnissen (Deutschenbaur et al., 2014; Huhn et al.,
2007; Xia et al., 2011; Bäuml, Pitschel-Walz, 2020).       2014; Möller et al., 2018). Dennoch verspüren viele
                                                           Patienten und oft auch deren Angehörige eine intuitive
                                                           Skepsis gegenüber Medikamenten. Daraus resultieren
Begegnung auf Augenhöhe: Wissensvorsprung der              Non-Complianceraten von 30–90% (Hamann et al.,
Profis ausgleichen                                         2020; Bäuml et al., 2012; Vauth, Stieglitz, 2017). Die ini-
                                                           tial hervorragende neuroleptische Response von 75–
Der Dialog/Trialog auf »gleicher Augenhöhe« geriete        85% bei Schizophrenie wird durch die schleichende
zur Farce, wenn der natürliche Wissensvorsprung der        Malcompliance verspielt angesichts einer dramatisch
professionellen Helfer bezüglich psycho-physiologischer    zunehmenden Nonadhärenz von 50% im ersten und
Fakten und den sich daraus ergebenden Behandlungs-         75% im zweiten Behandlungsjahr. Deshalb muss im
konsequenzen nicht bearbeitet würde. PE versteht sich      geduldigen interaktiven Dialog ein kleinster gemeinsa-
als Brückenschlag zwischen dem objektiven professio-       mer Nenner erarbeitet werden, um die wirkungsvolle
nellen »Know-how« und dem subjektiven »So now?«            Kombination aus pharmakotherapeutischen und psy-

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chosozialen Hilfen in Gang zu setzen und auch langfris-
tig aufrecht zu erhalten (Tab. 1) (Bäuml, Pitschel-Walz
et al., 2016). Engagierte Angehörige fordern mittler-
weile auch ein „Recht auf Behandlung“ ein, wenn dies
die Patienten krankheitsbedingt nicht mehr schaffen
sollten (Bäuml, 2021).

                                 Tabelle 1: Ziele der Psychoedukation   Tabelle 3: Spezifische Wirkfaktoren der PE (nach Bäuml, Pitschel-Walz et al., 2016)

                                                                        Curricularer Aufbau der Psychoedukativen Gruppen
Zentrale Elemente der Psychoedukation und Wirkfaktoren
                                                                        Die inhaltlichen Schwerpunkte und ihre curriculare
Unbedingte Wertschätzung, empathisches Eingehen                         Staffelung können Tabelle 4 entnommen werden.
auf die Teilnehmer sowie Echtheit und Selbstkongruenz
der Therapeuten sind selbstverständlich. Durch bedürf-
nis- und ressourcenorientiertes Vorgehen soll den
Menschen bildungsunabhängig die angstfreie Diskus-
sion über ihre Erkrankung ermöglicht werden.
Die interaktive Informationsvermittlung muss stets mit
einer situationsadäquaten emotionalen Entlastung ein-
hergehen (Tab. 2), da viele Fakten zunächst als »Zumu-
tung und Kränkung« empfunden werden können
(»schizophrene Psychose«, »affektive Minderbelas-
tung«, „Persönlichkeitsstörung“ etc.). Die unsensible
Konfrontation mit den negativen Auswirkungen der
Erkrankung kann mit erhöhter Suizidalität einhergehen
(Massons et al. 2017). Die Vermittlung von Störungs-
wissen sollte immer mit der Erarbeitung von hilfreichen
Bewältigungsstrategien einhergehen, um Ängste zu
reduzieren und der Selbststigmatisierung (Cavelti et al.,
2012) entgegenzuwirken.                                                  Tabelle 4: Curriculum mit Themenschwerpunkten der PE-Gruppen bei Schizophre-
                                                                           nie für Patienten und Angehörige (nach Bäuml, Pitschel-Walz et al., 2010/2016)

                                                                        Praktische PE-Veranschaulichung der »zweigeteilten Wirk-
                                                                        lichkeit« in eine »allgemeine« und eine »private« wäh-
                                                                        rend einer akuten Psychose

                                                                        »Viele Patienten wehren sich zu Recht gegen die Unterstel-
                                                                        lung, während einer Psychose sei man total „ver-rückt“. Die
                                                                        meisten haben sehr wohl auch während der akuten Erkran-
                                                                        kung viele gesunde Anteile und können wesentliche Belange
                                                                        ihres Lebensalltages, ihrer „allgemeinen“ Wirklichkeit, gut
                                                                        bewältigen.

                                                                        So ist es durchaus möglich, dass sie mit Freunden über einen
                                                                        Zeitungsartikel diskutieren und durch ihre Belesenheit und
                    Tabelle 2: Zentrale Elemente der Psychoedukation    guten Argumente Respekt und Anerkennung erfahren („all-
                                                                        gemeine Wirklichkeit“).

Die partnerschaftliche Begegnung mit den Patienten                      Und gleichzeitig kann es für die Patienten in ihrer parallel
und der respektvolle Umgang mit von der Schulmedizin                    existierenden „privaten Wirklichkeit“ ganz logisch sein, diese
abweichenden Meinungen werden als wesentliche                           Zeitung anschliessend ins Zimmer mit zu nehmen um einen
»Wirkfaktoren« betrachtet. Ziel ist die Erarbeitung                     Schutzwall zu errichten, der gegen die Strahlen aus der
eines funktionellen Krankheitskonzeptes auf der Basis                   Nachbarwohnung schützen soll, die sie deutlich spüren.
des Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modells als                     Da helfen meistens keine Beschwichtigungen und keine
kleinstem gemeinsamen Nenner mit der Kombination                        guten Ratschläge. So lange der überhöhte Dopaminspiegel
von professionellen Therapieverfahren und individuel-                   nicht ausreichend korrigiert wird, kann man als Betroffener
len Selbsthilfestrategien. Für die Einbeziehung von                     die Fremdartigkeit dieser „privaten‹ Realität nicht erkennen,
Angehörigen gibt es praktisch keine Kontraindikationen.                 die wirkt für sie total „normal und logisch“…«

                                                                                                                                                        9
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Wirksamkeit der Psychoedukation bei Angehörigen             Fazit

Ausgehend von den Therapiestudien von Goldstein et          Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht ist die
al. (1978) wurden vor dem Hintergrund des Vulnerabili-      frühzeitige und intensive Einbeziehung der Angehöri-
täts-Stress-Bewältigungsmodells schizophrener Psycho-       gen sowohl in die Akut- als auch in die Langzeitbehand-
sen (Nuechterlein u. Dawson, 1984) eine Vielzahl psy-       lung ein wesentlicher Garant für eine erfolgreiche
choedukativer      Interventionen     für    Angehörige     Behandlung und sollte flächendeckend realisiert wer-
entwickelt. Neben den »klassischen« Formen mit              den.
Behandlung der Familie unter (nicht immer ständigem)
Einbezug des Patienten (Falloon et al., 1982) sind dies     Damit sie ihrer wichtigen Funktion sowohl als „Kothera-
multiple Familientherapiegruppen, z. T. mit Patienten-      peuten“ auf dem Weg zur besten Behandlung als auch
teilnahme (Berger, Friedrich, Gunia, 2004/2016; McFar-      freundschaftliche Begleiter in allen schwierigen Zeiten
lane et al., 1995), und die therapeutische Gruppenar-       gewachsen sind, brauchen sie eine intensive PE-Basis-
beit mit Angehörigen ohne Einbezug der Patienten            schulung in Sachen Erkrankung und Behandlung. Dies
(Buchkremer et al., 1995 a, b; Cassidy et al., 2001). Die   verleiht Kraft und Stärke mit dem Gefühl, stets auf dem
bifokale Gruppenarbeit besteht aus Angehörigen- und         neuesten Stand des aktuellen Wissens zu sein und in
parallel dazu stattfindenden PE-Patientengruppen            der Gruppe durch den regelmässsigen Erfahrungsaus-
(Bäuml et al., 2010/2016; Behrendt et al., 2004; Lewan-     tausch mit den anderen Betroffenen Rückhalt und
dowski u. Buchkremer, 1988; Kissling et al., 1995). Neu     emotionale Entlastung zu finden. Das sind die denkbar
ist der Einsatz von Angehörigen als Peer-to-peer-Grup-      besten Voraussetzungen für einen möglichst gelingenden
penleiter (Rummel et al., 2005/2013). Angehörigenar-        Genesungsverlauf der Erkrankten.
beit in der Schizophreniebehandlung hat neben der
rückfallverhindernden Wirkung günstige Effekte auf das      Was würden sich Angehörige mehr wünschen?
Ausmasss an Expressed Emotions (EE), beeinflusst das
Familienklima positiv und führt zu einer Verringerung
von Stress und Belastung der Angehörigen (Bruns u.                                   Prof. Bäuml war bis 2018 Lei-
Hornung, 1998; Glauser et al, 2021).                                                 tender OA in der Klinik für Psy-
                                                                                     chiatrie und Psychotherapie
PE-Programme für Familien sind sehr gut evaluiert (Pit-                              des Klinikums rechts der Isar
schel-Walz et al., 2001). Geringere Rückfallraten, bes-                              der TU München mit den wis-
sere Erholung der Patienten und familiäre Interaktion                                senschaftlichen Schwerpunk-
(McFarlane et al, 2003), v.a. bei bifokalen – Angehörige                             ten Psychoedukation, Angehö-
und Patienten in jeweils eigenen Gruppen - PE-Inter-                                 rigenarbeit, Langzeittherapie
ventionen (Buchkremer u. Hornung, 1995; Bäuml, Pit-                                  bei Menschen mit Psychosen
schel-Walz et al., 2007/2015) mit signifikant besserem                               aus dem schizophrenen For-
5-7-Jahresverlauf (Hornung et al. 1996a; Bäuml et al,                                menkreis sowie sozialpsychiat-
2007a).                                                                              rische Feldforschung zu woh
                                                            nungslosen Menschen mit seelischen Erkrankungen
Positive Kosteneffektivität (Breitborde et al., 2009;       (SEEWOLF-Studie).
Bäuml et al., 2010). In den S-3-Leitlinien hat die PE von   Seit 20 Jahren leitet er zusammen mit Dr. Berger das
Patienten wie Angehörigen mittlerweile das Level „A“ D      Münchner Psychose-Seminar am Klinikum rechts der
(„soll“!) (Hasan et al, 2019; Gühne, Riedel-Heller,         Isar, aus dem 2020 die trialogische Publikation der „Psy-
2019).                                                      cho-Tisch“ hervorging. Kontakt: Baeuml.Josef@tum.de

Darüber hinaus gibt es einige Studien, die zeigen, dass                                    Priv.-Dozentin Dr. rer. biol.
PE-Programme für Angehörige von Patienten mit ande-                                        hum. Gabriele Pitschel-Walz
ren Diagnosen wie z.B. Depressionen (Shimazu et al.,                                       ist Leitende Psychologin an
2011), bipolaren Störungen (Reinares et al., 2004; Gex-                                    der Klinik und Poliklinik für
Fabry et al. 2015; Hubbard et al., 2016) oder Borderline                                   Psychiatrie und Psychothera-
Persönlichkeitsstörungen (Sutherland et al., 2020) den                                     pie der TU München, Klini-
Angehörigen nützliches Wissen vermitteln und zu ihrer                                      kum rechts der Isar (Foto: Kli-
emotionalen Entlastung beitragen können.                                                   nikum rechts der Isar)

                                                                                           Kontakt:
Psychose-Seminare und Selbsthilfestrategien                                                gabriele.pitschel-walz@tum.de

Die von Thomas Bock und Dorothea Buck 1989 ins
Leben gerufenen Psychose-Seminare (Bock, et al.,            Literaturverzeichnis
1994) stellen nach dem Verständnis der DGPE (Deut-          Amaresha AC, Kalmady SV, Joseph B, Agarwal SM, Narayanas-
sche Gesellschaft für PE) eine ideale Ergänzung und         wamy JC, Venkatasubramanian G, Muralidhar D, Subbakrishna
Fortführung der PE-Behandlungsphilosophie dar               DK (2018) Short term effects of brief need based psychoeduca-
(Bäuml et al., 2007b /2020). Auf dem Boden eines gesi-      tion on knowledge, self-stigma, and burden among siblings of
cherten Wissens können die Betroffenen und deren            persons with schizophrenia: A prospective
Angehörige von einer informierten Warte aus selbstbe-       controlled trial. Asian J Psychiatr.; 32:59–66. doi: 10.1016/j.ajp.
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rigen und auch Profis treten, um ihr persönliches Erfah-    Anderson CM, Gerard E, Hogarty GE, Reiss DJ (1980) Family
rungswissen mit den Erlebnissen anderer abzugleichen        treatment of adult schizophrenic patients: A psycho-educational
und zu erweitern.                                           approach. Schizo Bull; vol. 6, no, 3: 490–505

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                                                                           Möller HJ, Laux G, Kapfhammer HP (2018) (Hrsg.) Psychiatrie, Psycho-
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                                                                                                                                                11
Berger I Bechmann I Dehimi I De Valerio I Bäuml (Hrsg.)
                                                                                                                  BUCH
                                                                                                    Psycho-Tisch
Psycho-                                                            Geschichten und Bilder aus dem Münchner
                                                                                           Psychose-Seminar
                                  Tisch                           „Psycho-Tisch“ ist ein aussergewöhnliches Buch mit Bil-
                                                                  dern und Texten, die Einblicke in die Welt psychischer
                                                                  Ausnahmezustände gewähren. Es versammelt authenti-
                                                                  sche Geschichten und Gedichte, die so verschieden sind,
                                                                  wie die 37 Autorinnen und Autoren dieses Buches.

                                                                  Was empfindet ein Lehrer, der mit seiner Ente vor einem
                                                                  vermeintlichen Geheimdienst flüchtet? Was passiert,
                                                                  wenn einer nachts auszieht, Papst zu werden? Wie geht
                                                                  es einem Professor der Psychiatrie, dessen Gespräch mit
                                                                  der Familie vom paranoid erkrankten Patienten heimlich
                                                                  mitgeschnitten wird? Was schreiben fünf Betroffene in
                                                                  Gedichten über ihr ambivalentes Verhältnis zu Medika-
                                                                  menten?

                                                                  Auf über 300 Seiten werden mutige, komische, erhel-
                                                                  lende, bittere, informative und wissenschaftliche Texte
              Geschichten                                         auf dem „Psycho-Tisch“ ausgebreitet. Bilder und Foto-
                                                                  grafien von Künstlerinnen und Künstlern bereichern das
             und Bilder                                           Buch um eine weitere Dimension. Was alle Beteiligte
                                                                  verbindet, ist die Erfahrung einer Psychose – als Erle-
           aus dem                                                bende, Behandelnde oder Angehörige.
         Münchner                                                 Lassen Sie sich anstecken, vom Mut und der Offenheit
       Psychose-Seminar                                           der Autorinnen und Autoren des Münchner Psychose-
                                                                  Seminars, die durch ihre Kreativität einen besonderen
                                                                  Beitrag zur Inklusion leisten.

       BUCH
       Handbuch der Psychoedukation
       Therapeutische Interventionen sind umso wirksamer, je
       besser sich die Patienten von den Behandlern verstan-
       den fühlen – und je besser sie selbst ihr Krankheitsbild
       und ihre Behandlung verstehen. Die hohe Relevanz von
       Psychoedukation für das Krankheitsverständnis von Pati-
       enten und Angehörigen und damit letztlich für die
       Salutogenese wird immer offensichtlicher. Dieses Hand-
       buch vermittelt das notwendige Wissen dazu: Führende
       Experten beschreiben, welche psychoedukativen Kon-
       zepte bei unterschiedlichen psychischen, psychosomati-
       schen und medizinischen Beschwerden zur Verfügung
       stehen – von affektiven Erkrankungen und Psychosen
       aus dem schizophrenen Formenkreis über psychische
       Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu neurologischen und
       besonders häufigen somatischen Krankheitsbildern.

       Neben den wichtigsten Fakten zu den einzelnen Erkran-
       kungsbildern wird jeweils dargestellt, welche Manuale
       für Patienten und Angehörige es gibt und wie der Thera-
       peut psycho-didaktisch am besten vorgehen kann. Plasti-
       sche Interaktionsszenen zeigen, wie Psychoedukation in
       der Praxis gelingen kann.

       Dabei kommen viele psychoedukative Basics zur Spra-
       che: Wie wecke ich das Interesse an der Auseinanderset-
       zung mit der Erkrankung? Wie dolmetsche ich kompli-
       ziertes Krankheitswissen? Wie vermittle ich Hoffnung
       und Mut auch bei chronischem Verlauf?

       12
BUCH
          Wie ein Kinderbuch ensteht

Anna Gabriel Lanz und Cynthia Steiner-Berger im Inter-
view mit Tobias Furrer

NIKI und der lange Schal, so heisst das Kinderbuch zum
Thema elterliche Angststörung der beiden Psychomoto-
riktherpeutinnen Anna Gabriel Lanz und Cynthia Stei-
ner-Berger. «Es ist nie zu früh um mit Psychoedukation
zu starten»: so Steiner-Berger im Interview. Kinder
erkennen unterbewusst was es mit ihrer eigenen Situa-
tion zu tun hat und dürfen doch mit der Geschichte
etwas Abstand nehmen und müssen nicht die ‘Ich’-
Position einnehmen und von sich erzählen. Das Buch ist
jedoch nicht nur für Kinder im Kindergarten geeignet.
Niki steht bereits in Bücherregalen von Kinderheimen,
Schulen, bei Psychotherapeuten, Grosseltern und bei
vielen Kinder zuhause im Bücherregal. Lanz hat auch
die Rückmeldung bekommen, dass es für Erwachsenen        CSB: Wir beide lieben schöne Kinderbücher und allge-
spannend ist, da psychische Krankheiten nicht fassbar    mein Bücher. Es ist etwas zum anfassen und die Kinder
sind und die Sprache in Kinderbüchern Bilder entstehen   haben etwas in der Hand. Auf der letzten Seite haben
lassen. «Bei einer Lesung mit Eltern, der Lehrerschaft   wir auch ein psychomotorisches Element eingebaut,
und Kinder bis zur sechsten Klasse war es spannend       das Kind kann mitwirken und helfen den Schal tatsäch-
welche Fragen, dass da kamen. Es konnte gut ein          lichabzulegen.
Schwenker zu allen psychischen Erkrankungen gemacht
werden» erzählt Steiner-Berger.
                                                         Wie ist die Geschichte von NIKI entstanden?

Was hat euch zu diesem Buch bewogen?                     AGL: Als Erstes, haben wir viele andere Psychoedukati-
                                                         onsbücher studiert, um zu verstehen, wie die Themen
Anna Gabriel Lanz: Unsere Dozentin, Rut Brunner Zim-     vermittelt werden. Da uns die Eigenschaften eines Eich-
mermann, welche auch Kinderpsychologin ist, hat uns      hörnchens gefallen haben, entschieden wir uns für die-
über das Thema Psychoedukation informiert. Als es im     ses sympathische Tierchen welches mutig von einem
Jahr 2017 dann um unsere Bachelorarbeit in unserem       Ast zum anderen hüpft sich jedoch auch ganz schüch-
Psychomotorikstudium ging, haben erste Recherchen        tern hinter dem Baum vor uns Menschen versteckt und
ergeben, dass es noch kein Buch über Angststörungen      voller Bewegungsfreude wieder hinter dem Baum her-
gibt, das hat uns motiviert die Lücke zu füllen.         vor blinzelt. Diese Bewegungsfreude wurde jedoch
                                                         durch Mamma’s Angst stark behindert. Wir wollten
Cynthia Steiner-Berger: Angststörungen sind häufig und   symbolisieren, wie sich die Krankheit der Mutter auf
passen gut zu unserem Arbeitsalltag als Psychomotorik-   andere Familienmitglieder, vorallem auf Kinder auswir-
therapeutinnen. Kinder welche Psychomotorik benöti-      ken kann. Wie die Geschichte genau entstanden ist,
gen, haben nicht selten Eltern welche ängstlich sind     können wir nicht mehr genau sagen. Es war ein
und den Kindern wenig Möglichkeiten geben etwas          gemeinsamer Prozess.
auszuprobieren.
                                                         CSB: Obwohl es ein recht schweres Buch ist, wollten wir
                                                         auch schöne Szenen mit der Mutter zeigen. Die Mutter
Heute gibt es so viele tolle Medien wie Trickfilm und    ist an sich nicht Böse, die Angststörung lässt die Situa-
Apps, weshalb habt ihr euch für ein gedrucktes Buch      tion so schwierig werden.
entschieden?
                                                         AGL: Wir haben drei Szenen gewählt welcher Niki ein-
AGS: Wir haben über die Bedeutung von Bilderbüchern      geschränkt wurde. Um möglichst
recherchiert und wurden in unserer Entscheidung          viele Anknüpfungspunkte für die Kinder zu bieten,
bestätigt. Mit einem Buch kann man sich als Erwachse-    haben wir bei jedem Mal eine andere Perspektive
ner dem Tempo des Kindes viel besser anpassen. Einige    gewählt, in welcher die Lesenden immer näher ans
Seiten können etwas länger betrachtet werden und         Schicksal von Niki kommen. Wer ganz genau
man kann in der Geschichte vor und zurück springen.      schaut sieht, die Kindergärtnerin (Frau Dachs) ist
Beim Erzählen eines Buches kann man mit dem Kind         jedoch immer irgendwo mit einem wachsamen
interagieren und der Raum für Fragen bleibt offen. Mit   Auge dabei.
einem Film ist das Kind etwas alleine gelassen.
                                                         CSB: Im Prozess gab es auch Tage welche uns nicht wei-
                                                         terbrachten und dann plötzlich ist uns die Idee gekom-
«Beim Erzählen eines Buches kann man mit dem Kind        men. So zum Beispiel bei Frau Eule, welche die Psycho-
interagieren und der Raum für Fragen bleibt offen.»      login darstellt, war es für uns ganz logisch, dass dieses
                                                         weise Tier die Helferin in der Not ist.

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