Wie wird das Wetter? FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von Kurhessen ...
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4–2019 FÜR MITARBEITENDE Wie wird das Wetter? Foto: Bastian Werner SONNE ODER REGEN? Dürre, Blitze, Sintflut – Wetter in der Bibel WETTER ODER KLIMA? Was sich langfristig für uns alle ändern wird
INHALT | EDITORIAL Inhalt Liebe Leserinnen, liebe Leser, THEMA „Alle reden von Wetter. Wir nicht.” Foto: medio.tv/Schauderna 4 Der strafende Wettergott? Wetter in der Bibel Die Älteren unter uns werden sich noch 6 Interview mit dem „Sturmjäger” an den Werbespruch der Deutschen Bundesbahn aus den 1960er-Jahren er- 8 TV-Wettermoderator erklärt Klimawandel innern. Angesichts von überschwemm- 10 Interview mit der Bildungsdezernentin: ten Gleisen, jährlichem „Schneechaos” „Gretas Mut und Kraft wirken ansteckend” und Saunatemperaturen in kaputten Zügen muss inzwischen auch die Bahn 11 Porträt einer streikenden Schülerin: immer öfter über das Wetter reden. Wie Es ist ihr ernst mit dem Klimaschutz wir alle. Denn extreme Wetterphänome- 12 Marktbummel mit dem Klimaschutzmanager ne bestimmen unseren Alltag in Deutschland. Schuld ist der Klimawandel. Wobei dieses Wort eigentlich 13 Ausgezeichneter Umweltbeauftragter recht verharmlosend klingt für das, was Wissenschaftler als Ka- 13 Der ökologische Fußabdruck tastrophe für die Menschheit bezeichnen. Die seriöse britische Tageszeitung The Guardian will deshalb künftig zutreffender vom 18 Kurzmeldungen zum Thema „Klimanotstand” sprechen, von „Klimakrise” oder „Klimazusam- 32 Klimasünden menbruch”. Die redaktionellen Regeln sehen weitere Änderungen vor: Anstelle von „Erderwärmung”, soll von „Erderhitzung” die Re- UNTERWEGS de sein, von „Wissenschaftsleugnern” statt von „Klimaskeptikern”. Was Wörter entweder knallhart oder aber beschönigend zum 14 Albanien: Das Nordkorea Europas? Ausdruck bringen können, zeigen Bilder eindeutiger. Auch in die- ser blick-Ausgabe. Bastian Werner fotografiert apokalyptische 15 Nordsee: Durchhalten auf dem Deich Momente am deutschen Himmel. Viele seiner Fotos zeigen Aus- 16 Vogesen: Sich dem Wetter entgegenstemmen wirkungen des Klimawandels, der auch uns in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck betrifft und beschäftigt. 17 Mittsommer in Schweden Lesen Sie auf den folgenden Seiten mehr über eine Greta- begeisterte Oberlandeskirchenrätin, einen meinungsstarken Wet- LANDESKIRCHE termoderator, einen Klimaschutzmanager auf Einkaufstour, strei- kende Schüler und urlaubsreife Redakteure. 19 Erste Kindersynode in Kurhessen-Waldeck Lothar Simmank 20 Kurhessische Bischofswahlsynode Redakteur blick in die kirche 21 „Ich wünsche mir ein Klima des Vertrauens” – Interview mit der designierten Bischöfin Dr. Beate Hofmann www.gerade-jetzt.de 22 EKKW beschäftigt über 10.000 Mitarbeiter 23 Studie „Kirche im Umbruch” 24 „Deadline”: Balkenhol-Ausstellung in Kassel 25 Dokumentarfilm „Über Grenzen” 26 Evangelische Bank mitten im Wandel 27 Von Personen SERVICE 28 Termine / Kirchenmusik 30 Kirche im Radio Infos zur Kirchenvorstandswahl 2019 mit Tipps, Materia- 31 Neue Bücher lien und Hintergründen finden Sie unter: www.gerade-jetzt.de 2 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
UMFRAGE | IMPRESSUM Welches ist Ihr Lieblingswetter? Foto: privat Foto: medio.tv/Schauderna Foto: privat Foto: privat Mir ist jedes Wetter recht. Re- Wenn die Sonne nach einem Ein milder Sommertag mit Ich liebe den klaren blauen gen, Donner und Blitz in der Sommergewitter oder Regen- Sonnenschein und einigen Himmel und die Sonne, die gemütlichen Küche zu Hause guss wieder hervorkommt und Schönwetterwolken, das ist warm auf mich scheint, wenn mit einer Tasse Cappuccino alles in neuem Licht erstrahlt, mein Lieblingswetter. Aber ich auf der Terrasse einer Alm- über den Kräutergarten hin- die abziehenden tiefblauen eigentlich mag ich jedes hütte sitze. Ich sehe die spek- weg zu betrachten, hat was. Gewitterwolken einen drama- Wetter: ein melancholischer takuläre Landschaft. Das hel- Ganz besonders aber liebe tischen Hintergrund bilden Regentag, ein stürmischer le Sonnenlicht wird verstärkt ich diesen hohen Himmel und die Welt um mich he– Herbsttag, ein dramatisches durch die schneebedeckten über Russland, den ich auf rum diesen ganz bestimmten Gewitter. In ihrer Unterschied- Berge ringsherum. Alles ist meiner Tour gen Osten 2018 Duft nach frischem Grün und lichkeit nehmen mich die ver- unglaublich hell, sogar durch mit dem kleinen Motorrad er- feuchter Erde verströmt – das schiedenen Stimmungen mit die alpine Sonnenbrille. Das leben durfte. So groß wie die- ist ein magischer Moment, in und zeigen mir die Lebendig- kann die Sommersonne an ei- ses Land ist, so weit und hoch dem sich für mich Naturerle- keit des Lebens und die groß- nem See oder am Meer sein, wölben sich die weißen Wol- ben und Spiritualität verbin- artige und kostbare Schöp- wenn die Strahlen über das ken im unendlichen Blau da- den. Oder auch ein Herbst- fung Gottes. Und so versuche Wasser mich direkt treffen und rüber ... Man beginnt zu träu- sturm an der Küste, der mich ich es auch im Gottesdienst: vor meinen blinzelnden Augen men – so, als ob dieses ganz durchpustet, während ich auf mit meiner Orgelmusik meine abstrakte bunte Bilder erschei- besondere Licht in der Weite das sturmgepeitschte Meer Zuhörer mitzunehmen in die nen. Ich stelle mir vor, dass die Sibiriens auch mich erfüllt mit blicke und meinen Gedanken verschiedenen Stimmungen Strahlen in mich hineinleuch- einer zeitlosen Reinheit. freien Lauf lasse. Schade, dass und Ereignisse des Kirchen- ten, bis in mein Becken, wär- man den Geruch der Natur jahres, damit wir uns öffnen mend, leuchtend und Energie und des Meeres nicht foto- können und uns berühren las- spendend. Das ist für mich grafieren kann! sen von Gottes Geist. Gotteserfahrung pur. Margot Flügel-Anhalt (65), Christian Schauderna (40), Bärbel Dingel (61), Stefan Sigel-Schönig (62), Sontra, Sozialpädagogin im Fotograf und Bildredakteur im Gudensberg, Musiklehrerin Männerarbeit der Evangeli- Ruhestand, Motorradreisende Medienhaus der Evangelischen an der Musikschule Schwalm- schen Kirche von Kurhessen- und Protagonistin des Films Kirche von Kurhessen-Waldeck Eder Nord und seit 50 Jahren Waldeck „Über Grenzen“ Organistin IMPRESSUM blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und Redaktion: Anschrift: wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen Lothar Simmank (Leitung) Ev. Medienhaus, Heinrich-Wimmer-Straße 4 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt. Telefon 0561 9307-127 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe Olaf Dellit redaktion@blickindiekirche.de Direkt-Abonnement: Telefon 0561 9307-132 www.blickindiekirche.de 12,50 Euro pro Jahr inklusive Zustellkosten Redaktionsbüro / Anzeigen: Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit Herausgeber: Andrea Langensiepen Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main Landeskirchenamt der Evangelischen Telefon 0561 9307-152 Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück Kirche von Kurhessen-Waldeck Daniela Denzin Auflage: 17.700 Exemplare Pfarrerin Petra Schwermann Telefon 0561 9307-128 Wilhelmshöher Allee 330 Fax 0561 9307-155 Mehr Informationen über die Evangelische Kirche 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019 3
THEMA Der strafende Wettergott? Umweltpfarrer Uwe G. W. Hesse über Wetterphänomene in der Bibel und deren Deutung G ötter sind für das Wetter verant- Bund mit dem Schöpfergott rao vorhergesagte, als er dessen Träume wortlich. Teils ist es sogar ihre wich- Dabei unterscheidet sich der Gott, an deutete, die ihrerseits den Verfassern der tigste Aufgabe und Funktion, sich den Juden und Christen glauben, tief grei- Vätergeschichte als ein Mittel göttlicher darum zu kümmern. Die Menschen opfer- fend von den Gottheiten der Mythologien: Offenbarung galten. Im Neuen Testament ten ihnen regelmäßig für diese Dienstleis- Er ist – im Vergleich zu Zeus und Apoll, zu ist die Finsternis ein erschreckendes Ereig- tungen. Beide, Gottheiten und Menschen, Donar und Freya – nicht nur einzigartig, nis, die sich bei der Kreuzigung Jesu nach haben Verträge miteinander geschlossen, sondern einzig und hat andere Schwer- dem Bericht des Matthäus über das ganze sogenannte Bünde, damit es so bleiben punkte: Er geht mit den Menschen mit; er Land legte (Matthäus 27,45). möge. Schließlich ist man seit der jung- befreit Menschen aus der Knechtschaft, steinzeitlichen Revolution in be-sonderer aus Bindungen widriger Mächte. Und den- Göttliche Wetterstrafen Weise darauf angewiesen, dass das Wetter noch ist er auch für die Bereiche des all- Gott agiert souverän. Im Alten Testa- kalkulierbar ist und bleibt. täglichen Lebens zuständig, als Gott, der ment begegnen wir auch einem strafen- Leben schenkt, als Gott, der das Universum den Gott. Klimatische Phänomene wer- Kalkulierbares Wetter und die Erde geschaffen hat und erhält, den gewöhnlich als Gottes Strafen für Seit man begonnen hat, Ackerbau als Gott, der Speise gibt zur rechten Zeit menschliches Fehlverhalten gedeutet. Bi- und Viehzucht zu betreiben, sesshaft zu und der es dafür regnen lässt. blische Wetterphänomene sind aber auch werden, Städte zu gründen und Kulturen Wege göttlicher Heimsuchung, entlarven aufzubauen, sich – menschliche Hybris und zeigen ein um das als Menschheit »Solange die Erde steht, andere Mal, wie leicht es wäre, alles Leben – progressiver zu vernichten, wie fragwürdig menschliche soll nicht aufhören Foto: Peter Beckmann zu vermehren, Aktionen und Aktivitäten sein können, a l s d a s vo r - Saat und Ernte, Frost und das Denken des Menschen bei sich selbst, her überhaupt Hitze, Sommer und Winter, wenn sie ohne den Bezug zu Gott gesche- möglich war, Tag und Nacht.« hen. Wie fragil das Leben von Menschen i s t d i e Fr a g e 1. Mose 8, 22 und ganzen Völkern ist. nach dem Wetter Pfarrer Uwe G. W. Hesse, exist enziell. Begeisterung für die Schöpfung Umweltbeauftragter der Um die Korn- Die Wetterphänomene der biblischen Neben der Beschreibung von Umwelt- Evangelischen Kirche von kammern zu Überlieferungen stehen im Zusammen- und Wetterphänomenen als Strafe oder Kurhessen-Waldeck füllen, die hang mit dem Schöpfergott. Klimatische Reaktion Gottes auf menschliches Verhal- Menschen zu Katastrophen können Reaktionen auf ten gibt es aber noch anders gelagerte ernähren, Hungersnöte zu vermeiden, menschliches Fehlverhalten sein. Denken Aussagen, die jenseits von menschlicher brauchte man eine zuverlässige Abfolge wir an die Sintflut. Oder an die göttlichen Moral stehen, jenseits von menschlichem der Jahreszeiten, einen präzisen Kalender. Reaktionen auf das Fehlverhalten des Pha- Empfinden, von dem, was Gut und Böse Diese Entwicklungen bilden den Hin- raos: Der Hagel kommt als siebte Plage, sein mag. Schöpfungsberichte nämlich, tergrund für die biblischen Berichte aus die Finsternis als Plage Nummer neun. die gleichsam die Faszination der Autoren der Urgeschichte und der Väterzeit, von Aber auch die Überschwemmungen, die – spüren lassen, die – dem Anschein nach Kain und Abel, von Abraham und seinen etwa beim Auszug der Israeliten aus Ägyp- in ekstatischer Begeisterung – die Werke Nachkommen. Und nicht nur die Gotthei- ten – die ägyptische Streitmacht vernichtet Gottes beschreiben und bewundern: die ten des Neolithikums und der Jahrtau- haben sollen, sind Wetterphänomene. Schöpfung als Einheit, als sinnhaft auch sende danach sollten gleichbleibende Auch Vulkanausbrüche oder (klimabe- jenseits menschlicher Präsenz, auch jen- Wachstumsbedingungen für das Getreide dingte) Hungersnöte, über die wir im Al- seits menschlicher Wahrnehmung von gewährleisten, sondern auch die Gotthei- ten Testament lesen, kommen vor. Dann Nützlichkeit. ten der klassischen Zeit. Ja, sogar auch gibt es die Wolken- und Feuersäulen, die Dabei mag man an den 104. Psalm der Gott Israels schließt einen Bund, gibt den Israeliten den Weg durch die Wüste denken, der Gott als den Schöpfer lobt: ein Versprechen: „Solange die Erde steht, weisen und gleichzeitig sinnbildlich für die „Herr, wie sind deine Werke so groß und soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost Nähe Gottes zu seinem Volk stehen. Den- so viel!” Der Verfasser der ursprünglichen und Hitze, Sommer und Winter, Tag und ken wir auch an die sieben fetten und die Vorlage, Pharao Amenophis IV., ist voller Nacht.“ (1. Mose 8, 22). sieben dürren Jahre, die Josef dem Pha- Begeisterung für das Werden und Verge- 4 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
THEMA „… der Wolken, Luft und Winden Foto:s: Bastian Werner gibt Wege, Lauf und Bahn ...” Bilder vom Sturmjäger Bastian Werner (s. Seite 7): Wollken brauen sich in der Nähe von Hofgeismar zusammen (oben l.), Mohnblumenfeld vor Sonnenuntergang bei Germerode (oben r.), Blitze über Gelnhausen (unten l.), Schneelandschaft auf der Wasserkuppe in der Rhön (unten r.) hen der Kreatur und beschreibt das Beben piert. Das Evangelische Gesangbuch steckt singen, die für den Segen des ausgewoge- der Erde und den Ausbruch eines Vulkans. voller Hinweise auf das schöpferische Tun nen Klimas danken oder – wie heute noch Eindrücklich ist auch, wenn Gott aus dem Gottes. Denken wir an das Gesangbuch- in manchen Ländern, etwa in Indien – in Wettersturm zu Hiob spricht und auf die lied 361: „… der Wolken, Luft und Winden den Gottesdiensten um den Regen (bzw. Pracht und Schönheit seiner Geschöpfe gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch um den Monsunregen) beten, bringen wir hinweist, auf Behemot (Flusspferd) und Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“ damit unsere Abhängigkeit von den Wech- Leviatan (Krokodil), vor denen der Mensch Oder an EG 508: „Er sendet Tau und Re- selwirkungen des Klimas zum Ausdruck in Furcht und Zittern erstarrt (Hiob 40). gen und Sonn und Mondenschein“ und und zeigen, wie nahe wir unseren Altvor- später: „Von ihm sind Büsch und Blätter/ deren sind, die noch im täglichen Kampf Wetter im Gesangbuch und Korn und Obst von ihm, das schöne uns Dasein um die Bedeutung des Wetters Wir Christen haben die Aussagen des Frühlingswetter/ und Schnee und Unge- wussten. l Alten Testaments in unseren Liedern rezi- stüm.“ Spätestens wenn wir unsere Lieder Uwe G. W. Hesse blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019 5
THEMA Der Sturmjäger und die Faszination des Wetters V iele der eindrucksvollen Fotos in dieser meln und Vorhersagen von solchen Phäno- Werner: Es gibt auch Unwettertage, da Ausgabe stammen vom Bastian Wer- menen besser zu machen. Es kommt aus den fahre ich nicht los, etwa wenn durch Orkan- ner, der Fotograf und Sturmjäger ist. USA, wo es extrem viele sogenannte Super- tiefs Bäume umfallen. Im Interview erzählt er von seiner Arbeit, von zellen gibt. Wenn man diese zerstörerischen den Gefahren des Wetters und von seiner Ein- schätzung des Klimawandels. Unwetter vorhersagen kann, kann man damit Menschenleben retten. ? Haben Sie schon gefährliche Situatio- nen erlebt? Werner: Ja, sehr nahe Blitzeinschläge. ? Sie sind – und so heißt auch Ihr Buch – Sturmjäger. Was ist das überhaupt? Bastian Werner: Ein Sturmjäger fährt dem ? Wie arbeiten Sie ganz konkret? Werner: Ich schaue mir lange die Wet- terkarten an. Wenn ich eine Wetterlage er- Das Problem ist, dass man Blitzeinschläge nicht vorhersagen kann. Einen Tornado oder eine Gewitterzelle kann ich beobachten, beim Wetter, vor allem Gewitter und Sturm, hinter- kannt habe, fahre ich los und warte dort, wo Sturmtief kann ich die Windböen messen und her, um das Ganze zu dokumentieren. Es gibt die meiste Energie ist, bis Gewitter entstehen. weiß, wo ich mich aufhalten muss, damit es verschiedene Motivationen. Der Ursprung war sicher ist. Aber bei Blitzeinschlägen ist es ein- die Wissenschaft, da wollte jemand aufklären, wie solche Gewitter entstehen, Daten sam- ? Fahren Sie gezielt dorthin, wo man nicht hinfahren sollte? fach Glückssache, ob ich getroffen werde oder nicht. 6 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
THEMA ? Bekommt man in Ihrem Beruf einen be- Werner: Ich bin kein Katastrophentou- ZUR PERSON sonderen Respekt vor dem Wetter, oder rist. Meine Motivation sind nicht die Schäden Bastian Werner (26) hat bereits als stumpft man eher sogar ab? und das Leid der Menschen. Ich leiste meinen 14-Jähriger begonnen, sich intensiv mit Werner: Ein Sturmjäger hat mehr Respekt persönlichen Teil zur Aufklärung und zur War- dem Wetter zu vor dem Wetter als Otto Normalverbraucher. nung der Bevölkerung, zum Beispiel über „Sky- beschäftigen. Seit Bei Gewitterlagen kann es ein Dorf treffen warn Deutschland“. Klar finde ich es auch er 18 ist und den und 20 Dörfer drum herum nicht. Der Deut- faszinierend, welche Energie die Natur da Führerschein hat, sche Wetterdienst warnt den ganzen Land- entwickelt, aber ich ergötze mich nicht daran, macht er Jagd auf kreis, und so kommt dann oft die Meinung wenn Menschen Leid erfahren. Extremwetterlagen, um diese dann mit auf: Da kommt ja sowieso nichts Wildes. Das der Kamera ist aber eine falsche Annahme und auch ge- fährlich, weil ich einschätzen kann, was kom- men kann. Ein Laie aber nicht. ? Bemerken Sie in Ihrer Arbeit den Klima- wandel? Werner: Absolut. In den letzten Jahren ha- festzuhalten. Werner lebt in Darmstadt und kann inzwischen von ben sich vor allem die Gewitter und die Nie- seiner Passion, der Wetterfotografie, und ? Wenn Sie eindrucksvolle Bilder fotogra- fieren, etwa von einem Tornado, kann das für andere Menschen Leid und Zerstö- derschläge verändert, die Jahreszeiten haben sich verschoben. Es gibt viel weniger Gewitter als früher, auch weil es weniger regnet. Und Vorträgen zum Thema leben. Im Verlag Frederking & Thaler ist sein faszinierender Bildband „Sturmjäger“ erschienen. rung bedeuten. Wie gehen Sie mit diesem die Gewitter in Deutschland werden weniger Näheres gibt es auch auf seiner Seite Konflikt um? zerstörerisch. l Fragen: Olaf Dellit www.bastianw.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019 7
THEMA Klimawandel – was ist das? Thomas Ranft erklärt den Zuschauern des hr-Fernsehens fast jeden Abend das Wetter. Hier das Plädoyer des TV-Moderators für einen Klimaschutz, an dem sich jeder beteiligen kann. wichtig. Kohlendioxid re- In der Praxis ist es viel schwieriger, die- flektiert in der Atmosphäre se Veränderungen exakt vorherzusagen. einen Teil der Wärmestrah- Warum? Nun, eine derartig rapide Verän- lung, die vom Boden aus- derung hat es in den vergangenen Jahr- geht und die sonst ins All millionen nicht gegeben. Wir haben keine abgestrahlt würde. Ohne Erfahrungswerte, und wir lernen jeden Tag CO2 würden wir viel mehr dazu, wie verzahnt und vernetzt diese Welt Wärme ins Weltall abge- ist – was alles zusammenhängt, was pas- ben und es wäre auf un- siert, wenn man eine Sache ändert, wie serer Erde unwirtlich kalt – viele andere Dinge sich ändern, an die das Leben hätte kaum eine man niemals dachte. Chance. Pflanzen brauchen CO2 für die Photosynthese, In den nächsten 20 Jahren kommen Foto: hr also ist Kohlendioxid ein zwei Milliarden Menschen dazu wichtiger Baustein des Le- bens auf der Erde. Aber der Jetzt fragt sich der ein oder andere: Na W as ist das eigentlich mit dem CO2-Gehalt der Atmosphäre befand sich und, dann ändert sich das Klima halt, wir Klimawandel, und warum soll- Jahrtausende im Gleichgewicht. Und das bekommen das schon irgendwie hin. Gute te mich das überhaupt küm- bedeutet, dass die Klimaschwankungen Idee, und, mit unseren technologischen Fä- mern? Ich falle einfach mal mit der Tür der vergangenen Jahrtausende auf all die higkeiten ausgestattet, hätte auch ich vor ins Haus: Ändert sich das Klima? Um es anderen Faktoren zurückzuführen sind, die 250 Jahren gesagt: Ja, kein Problem. Aber kurz zu machen, auf diese Frage gibt es ebenfalls das Klima verändern können – wir leben nicht mehr im 18. Jahrhundert. nur eine korrekte Antwort, sie ist von al- Vulkanausbrüche, die Sonne usw. Wir sind nicht mehr weniger als zwei Milli- len namhaften Wissenschaftlern weltweit arden Menschen auf dieser Erde. Wir kön- in zigtausend unabhängig voneinander nen nicht mehr ins gelobte Land oder den erstellten Forschungen bestätigt worden »Jedes Jahr nach dem Wilden Westen auswandern, wenn es bei und selbst sonst so zaudernde Politiker aus Motto ‚Weiter wie bisher‘ uns ungemütlich wird. Aktuell leben auf allen Nationen der Erde stimmen dem zu: wird unsere Lebensbedingun- dieser Erde 7,6 Milliarden Menschen, jeder Der Klimawandel ist unstrittig. Wir können besiedelbare Platz des Planeten ist besie- es messen, bereits seit vielen Jahren, und gen in der Zukunft deutlich delt, und in den nächsten 20 Jahren wer- wir können auch seit vielen Jahren bewei- verschlechtern.« den noch mal zwei Milliarden Menschen sen, dass der Großteil der Veränderung dazukommen, also müssen wir, bildlich vom Menschen verursacht wird. Unser Jetzt aber erhöhen wir Menschen den gesprochen, in zwei Jahrzehnten die Welt moderner Lebenswandel, unser Energiever- CO2-Gehalt der Atmosphäre, und deswe- von 1930 noch mal zusätzlich dazubauen. brauch, der uns unter anderem Wohlstand, gen beginnt dieser Koloss, auf dem wir Immer mehr Menschen benötigen im- eine enorme technologische Entwicklung, leben, sich ganz allmählich zu verändern: mer mehr Energie, immer mehr Lebens- ein längeres Leben und mehr Gesundheit Die Luft wird wärmer, es steckt mehr Ener- raum, immer mehr Lebensmittel und an- gebracht hat, basiert darauf, dass wir in gie in der Atmosphäre, dadurch kann mehr dere Ressourcen. Das ist bereits eine kaum kurzer Zeit Stoffe verbrennen, die die Erde Wasser verdunsten, die Luftströmungen zu bewältigende Aufgabe. Das Letzte, was über Jahrmillionen mühsam gespeichert können sich ändern, Unwetterereignisse wir uns jetzt leisten können, ist ein Klima- hat. können häufiger und heftiger ausfallen wandel: eine Situation, in der sich die Le- Beim Verbrennen entsteht CO2, genau- als bisher, und sie können in anderen Re- bensbedingungen ändern, weltweit, dass so wie beim Ausatmen, und dieses CO2 ist gionen stattfinden als bisher – das ist die Regionen unbewohnbar oder unfruchtbar in der Atmosphäre zunächst überlebens- einfache Theorie. werden, weil es dort zu trocken, zu nass, 8 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
THEMA zu stürmisch, zu warm – einfach gesagt: anders wird. Wir müssen mit unserem Planeten achtsam umgehen. Weil wir sonst darauf nicht überleben können. Und ich meine wir, nicht die Kinder unserer Kindeskinder. Der Wandel ist bereits im Gange. Wir erle- ben Veränderungen, und es sieht so aus, als wenn sich die Veränderungen beschleu- nigen werden. Es ist unvorstellbar wichtig, dass wir schnellstmöglich Weichen für die Zukunft stellen. Jedes Jahr nach dem Motto „Weiter wie bisher“ oder „Bisher war doch auch alles gut“ wird unsere Le- bensbedingungen in der Zukunft deutlich verschlechtern. Und deswegen hat die „Fridays for Future“-Bewegung recht, ha- ben die Schüler recht, dass sie deutlichere Weichenstellungen fordern. Wir brauchen Entscheidungen Kein Mensch mag Veränderungen, be- sonders wenn es grad so bequem ist. Mir geht es dabei nicht anders, und in vielen kleinen Entscheidungen versuche auch ich, den Status Quo noch irgendwie zu erhal- ten. Mein innerer Schweinehund ist aktiv, und die inneren Schweinehunde werden ganz bestimmt auch niemals Ruhe geben. Aber wir können sie uns nicht leisten. Wir brauchen Entscheidungen, die in- neren Schweinehunden keinen Raum mehr geben, Entscheidungen, die wirklich dafür sorgen, dass wir weniger CO2 verursachen: durch eine Energiewende, durch eine nen- nenswerte CO2-Steuer, damit jeder von uns (finanziell) spürt, wenn er sich gera- de nicht klimagerecht verhält. Wir müssen unser Klima schützen, und wir müssen uns gleichzeitig auf die Veränderungen einstel- len. Das ist ein dickes Brett, das darauf wartet, von uns durchbohrt zu werden. Wir werden dabei eine Menge Fehler machen, auch die Politik wird sich nicht immer richtig entscheiden, denn gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Aber wir werden lernen und es besser machen. Wir müssen nur anfangen. Und zwar jetzt. Sind Sie da- Foto: Adobe Stock bei? l Thomas Ranft blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019 9
THEMA „Gretas Mut und Kraft wirken ansteckend” Interview mit der landeskirchlichen Bildungsdezernentin OLKR Dr. Gudrun Neebe ? Was fasziniert Sie an der Person und an der Botschaft von nur um ihre eigenen Ziele. Aber es ist doch so, dass die Jugendlichen einfach genau- so gern in der Komfortzone leben wie wir Greta Thunberg? Erwachsenen. Ich fände es spannend, mit Foto: medio.tv/Schauderna Dr. Gudrun Neebe: Ich ihnen über den Lebensstil zu diskutieren: habe Greta im Fernsehen gesehen, als sie Wie weit würdet ihr gehen, zu welcher vor dem Klimagipfel in Katowice redete. Konsequenz seid ihr bereit? Foto: epd-bild Da stand eine 15-Jährige mit blonden Zöpfen vor Politikern aus aller Welt und vertrat ganz mutig ihre Position. Das hat mich total beeindruckt – dieser Mut und ? Wie sehen Sie das Schuleschwänzen am Freitag? Neebe: Für mich gehört die Teilnahme Greta Thunberg (16) ist eine schwedische die Kraft, mit der sie auftritt, wirken anste- an den Freitags-Demos zur politischen Bil- Klimaschutzaktivistin. Ihr Einsatz für eine ckend. Man hat versucht, sie zu destruie- dung. Die Jugendlichen müssen abwägen, konsequente Klimapolitik findet internati- ren, weil sie einen Asperger-Autismus hat. was es ihnen wert ist, was sie riskieren. Es onal Beachtung. Die von ihr ausgelösten So what – das hilft ihr, ihre Position klar zu wird sicher auch welche geben, die sich „Schulstreiks für das Klima“ sind inzwischen vertreten, weil sie sich nicht durch Emotio- da einfach anschließen. Aber es gibt auch zur globalen Bewegung „Fridays for Future“ nen irritieren lässt. Das hat der Leiter einer viele, denen klar ist, dass sie das Versäum- gewachsen. Mit Schulstreiks möchte sie er- psychiatrischen Abteilung jüngst in einem te nacharbeiten und eventuell eine Klas- reichen, dass Schweden das Übereinkom- Zeitungsartikel wunderbar erläutert. senarbeit wiederholen müssen. Ich finde es men von Paris einhält. gut, dass sie mit Entschiedenheit für diese Als Repräsentantin der internationalen ? Halten Sie Greta für eine moderne Prophetin? Neebe: Manche sagen, aus Prophe- Thematik eintreten. Das macht uns Oldies wach, das brauchen wir dringend. Im Übri- gen hat das Bundesverfassungsgericht im Klimaschutzbewegung wurde sie vom ameri- kanischen Magazin Time in die Liste der 25 einflussreichsten Teenager des Jahres 2018 ten spricht die Stimme Gottes. Ich weiß es sogenannten Brokdorf-Beschluss in den und in die Liste der 100 einflussreichsten nicht. Das weiß man ja oft erst hinterher. 1980er-Jahren geurteilt, dass jedem das Persönlichkeiten des Jahres 2019 aufgenom- Johannes der Täufer oder die Propheten, Recht auf freie Meinungsäußerung und men. die wir aus dem Alten Testament kennen, auf Versammlung zusteht. Kernposition Thunbergs ist, dass die waren allesamt umstrittene Figuren. Das Politik viel zu wenig für Klimaschutz tue hat Greta mit ihnen gemeinsam: Sie sagt Dinge, die für viele richtig unangenehm sind. Propheten sehen in die Zukunft. Aber ? Ist „Fridays for Future“ eine Bewe- gung, die langfristig Veränderungen bewirken wird? und damit unverantwortlich handle, insbe- sondere gegenüber jungen Menschen. Sie fordert eine erhebliche Intensivierung der man muss ja in der Klimadiskussion kein Neebe: Pfarrerinnen und Lehrkräfte Klimaschutzbemühungen weltweit und will Hellseher sein, sondern es ist durch wis- sagen mir: Die Jugendlichen sind total so lange weiterstreiken, bis ihr Heimatland senschaftliche Untersuchungen klar dar- wach und merken jetzt, dass das, was hier Schweden die Treibhausgasemissionen um gelegt, dass es nicht mehr fünf vor zwölf besprochen wird, tatsächlich mit ihrem 15 Prozent pro Jahr reduziert. ist, sondern bereits mindestens fünf nach Leben zu tun hat. Es ist unsere gemein- Wikipedia zwölf. same Verantwortung, dass die Proteste nicht nur ein Hype sind, der sich wieder ? Die Wirkung ist enorm – viele Schü- ler haben sich mit Schulstreiks an- geschlossen. verflacht, sondern dass unsere Bildungsar- beit tatsächlich ernsthafte Schritte einlei- tet. Die Jugendlichen wollen die Erwach- Neebe: Unsere Aufgabe ist es, vor- bildhaft zu sein in der Art und Weise, wie Neebe: Ja, das hat sich dank der sozia- senen zwingen, ihre Verantwortung ernst wir einkaufen, wie wir bauen, für was wir len Medien ausgebreitet wie ein Lauffeuer. zu nehmen und Schritte zum Klimaschutz eintreten. Das werden die Menschen sen- Die Jugendlichen kommunizieren mitein- einzuleiten, die nachhaltig wirken. Die Be- sibel wahrnehmen. Wir dürfen allerdings ander und treten für diese Sache ein. Die wegung darf keine Eintagsfliege werden. nicht Wasser predigen und Wein trinken. Aktionen von „Fridays for Future“ werden Sonst bringen wir uns am Ende um und Wir müssen wirklich dafür einstehen. Und getragen von einer Generation, der man machen unsere Welt völlig kaputt. das ist manchmal nicht so ganz leicht, das nachsagt, sie lebe doch nur fröhlich in der tut auch weh, denn damit sind deutliche Komfortzone, ihr sei letztlich alles egal, sie seien reine Egoisten, und es ginge ihnen ? Was können Kirche und Diakonie gegen den Klimawandel tun? Einschnitte verbunden. l Fragen: Lothar Simmank, Olaf Dellit 10 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
THEMA Meeri Weiß bei der „Fridays for Future”-Demo in Kassel Es ist ihr ernst mit dem Klimaschutz Foto: medio.tv/Schauderna Die Schülerin Meeri Weiß aus Gudensberg organisiert den Schulstreik in Kassel mit N eben dem Café in der Gudensber- wir jetzt nicht handeln, wann dann?“ Es genannt worden, aber da stehe sie drüber. ger Innenstadt steht ein riesiger blieben noch zwölf Jahre, dann könne der Schwieriger werde es schon, wenn Freun- schwarzer SUV. Darauf prangt ein Kipp-Punkt erreicht sein, nach dem die La- dinnen sie und ihr Verhalten argwöhnisch Aufkleber: „Feinstaub-Terrorist“. Meeri ge unumkehrbar sein werde. beobachten: „Das tritt mich ziemlich tief“, Weiß, die kurze Zeit später eintrifft, fände Ein Vorwurf lautet, die jungen Leute sagt Meeri, ihre Entschlossenheit bremst es das vermutlich nicht witzig. Der 16-Jähri- würden für Klimaschutz demonstrieren, aber nicht, sie kämpfe weiter. gen ist es, das wird sofort klar, ernst mit aber munter um die Welt fliegen und Doch das Engagement für den Klima- dem Klimaschutz, sehr ernst. durch ihren Lebensstil die Umwelt schädi- schutz ist längst nicht nur anstrengend. Die Schülerin gehört zu dem Team, das gen. Meeri Weiß ist seit eineinhalb Jahren „Ich habe viele neue Freunde gefunden, es Woche für Woche unter der Überschrift Vegetarierin und erzählt von der Abhol- eröffnet neue Welten“, erzählt Meeri. Und „Fridays for Future“ Demonstrationen und zung des Regenwaldes für die Rinder- als bei einer Demonstration 2.500 Schüler Schulstreiks in Kassel organisiert. Wie so zucht. Vor ein paar Monaten ging sie einen kamen, war das ein besonderer Moment: viele ihrer Generation hat Meeri sich von Schritt weiter und wurde Veganerin – im „Das kann man nicht beschreiben, wie ich Greta Thunberg (siehe linke Seite) beein- Gudensberger Café bestellt sie grünen Tee. mich gefühlt habe. Da kommen einem fast drucken lassen. Ende Januar hatte sie ei- die Tränen.“ ne Rede der Schwedin gehört: „Das hat »Hinter uns stehen Sie wundere sich manchmal selbst mich irgendwie mitgezogen.“ Also nahm über das große Interesse, sagt Meeri. Für 23.000 Wissenschaftler.« sie Kontakt zum Organisationsteam auf. sie gilt Klimaschutz im Großen – mit kon- Wöchentlich treffen sich die jungen Leute, kreten Forderungen an Politik und Wirt- aber auch an den übrigen Tagen der Wo- Der jungen Frau ist klar, dass nicht im- schaft – wie im Kleinen, etwa wenn sie che sei sie mit dem Klimaschutz beschäf- mer alles mit der besten Klimabilanz zu genau aufpasst, was ihre Mutter einkauft. tigt, sagt Meeri. schaffen ist. Sie wohnt in einem kleinen Beruflich wolle sie nicht in die Politik, aber Die junge Frau redet schnell (und fragt Stadtteil und muss sich manchmal mit vielleicht Umweltwissenschaften oder et- zwischendurch, ob es zu schnell sei) und dem Auto fahren lassen, Busse und Züge was Ähnliches studieren. Ihr Ziel klingt pariert Argumente gegen die Bewegung passen nicht immer. Doch gedankenlos idealistisch, aber nicht naiv: „Die Welt ein souverän. Dem Satz von FDP-Chef Lindner ist sie nicht. Im Sommerurlaub will Meeri bisschen besser machen.“ etwa, Klimaschutz sei etwas für Experten, Weiß an die Ostsee reisen, mit dem Zug. Auf die Frage beim Abschied, ob sie entgegnet sie: „Hinter uns stehen mehr Neben den pauschalen Vorwürfen schnell mit dem Auto nach Hause gefah- als 23.000 Wissenschaftler.“ Sie räumt gegen die Bewegung wird die 16-Jährige ren werden wolle, sagt sie: „Wenn ein Bus ein, dass die Fridays-Bewegung ungedul- auch persönlich manchmal angegriffen. fährt, muss ich ihn auch nehmen.“ Und dig sei, hält das aber für richtig: „Wenn „Öko-Tussi“ sei sie in der Schule schon mal geht zur Haltestelle. l Olaf Dellit blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019 11
THEMA Weiß kauft ein Ein Marktbummel mit dem Klimamanager D er Tag beginnt mit einem kleinen ben und zieht ein religiöses Buch hinter Öko-Fauxpas: Weder Stefan Weiß dem Tresen hervor. Der Markt, sagt Weiß noch ich haben einen wiederbe- später, ist auch ein „soziales Ereignis“. füllbaren Kaffeebecher dabei, also trinken Was bei Obst, Gemüse und Brot rela- wir den Espresso aus dem Pappbecher. Im- tiv einfach geht, ist bei eingelegten Oliven merhin, merkt Weiß an, sind die Stäbchen und Knoblauchpasten schwieriger: sie in zum Umrühren aus Holz, nicht aus Plastik. mitgebrachte Gefäße zu füllen. Da wird Mit gutem Klima-Gewissen einkaufen, es mit der Hygiene kompliziert. Die Stadt wer müsste das besser können als der Kli- Hanau wolle plastikfrei werden, erzählt maschutzmanager der EKKW? Das war der Jörg Münster, der solche Dinge verkauft. Ausgangspunkt für die Verabredung zum Er überlege nun, wie das gehen könne mit gemeinsamen Marktbummel in Hanau, wo den Kundengefäßen. „Es gibt“, sagt er, Pfarrer Stefan Weiß seit vielen Jahren lebt. „noch Diskussionsbedarf.“ Weiß ist mit dem Fahrrad zum Marktplatz Bei den Erdbeeren – natürlich aus der gekommen, zwei Stoffbeutel hat er dabei. Region – muss Weiß die Tüte abwehren: An einem Obst- und Gemüsestand aus „Bitte kein Plastik!“ Er schiebt die Karton- Oberissigheim lässt sich Weiß von Verkäu- schale in die Einkaufstasche und zieht fer Andreas Mickau Äpfel und Paprika ab- weiter zum Wildfleisch-Stand. Er sei kein wiegen, einzeln und unverpackt, versteht Vegetarier, esse aber selten Fleisch, und sich. Das würden die meisten Kunden so dann sehr bewusst. „Mehr Bio als bei Wild- machen, sagt Mickau. fleisch geht nicht“, sagt Verkäuferin Anet- Stefan Weiß steuert auf den nächsten te Prasch. Günstig ist es allerdings nicht, Stand zu und schwärmt unterwegs von Weiß zahlt für 100 Gramm Wildschwein- den Forellen, die es dort zu kaufen gäbe. schinken mehr als vier Euro. Dafür sei es Allerdings ist er an diesem Mittwoch gar aber das einzige Fleisch, das er diesmal nicht da, an seiner Stelle steht ein Food- einkaufe. truck für Hunde- und Katzenfutter. Im Weltladen, in dem an diesem Tag Und dann wird es südhessisch. Der Karin Henschel und Gerhild Scharf ehren- Pfarrer kauft Handkäs, der in beschichtes- amtlich Dienst tun, erwirbt Weiß Erdnuss- tes Papier eingewickelt wird. Als der Voll- butter und eine Tafel Schokolade – aus kornbäcker erfährt, dass ein Pfarrer bei fairem Handel natürlich. Richtig regional ihm einkauft, erzählt er von seinem Glau- wird es dann ein paar Ecken weiter, wo die Kelterei Stier aus Bischofsheim seit 2016 einen Laden betreibt. Apfelwein – hier sagt man „Äppler“ –, Cidre, Säfte, Kochkäse, Es- sig, alles selbstgemacht. Die Getränke gibt es in Pfandflaschen, die, wie Mitarbeiter Moritz Salewski erzählt, im Betrieb selbst gespült und wieder befüllt werden. Pfarrer Weiß packt die Einkäufe in die Satteltaschen seines Fahrrads um. Sein Fa- zit: Man brauche schon Zeit für den Wo- chenmarkt, räumt er ein. Und: „Der Markt ist nicht billig, aber man kauft gezielt und kleinere Mengen ein.“ Ihm sei klar, dass nicht jeder immer so einkaufen könne. Er sei nicht dogmatisch und nehme auch mal selbst eine Plastiktüte, wenn es nötig sei. Fotos: medio.tv/Dellit Aber eines erwarte er doch: Dass die Men- schen über ihr Einkaufsverhalten nachden- ken. l Olaf Dellit Beim Einkauf: (rechts von oben) am Gemüse- stand, beim Bio-Bäcker, am Erdbeerstand, Ka- rin Henschel und Gerhild Scharf im Weltladen sowie zweimal der Apfelwein-Laden 12
THEMA Öko und fair muss es sein Der Marburger Umweltbeauftragte Thomas Arndt wurde für regionalen Einkaufsführer ausgezeichnet D er terrassierte Garten am steilen Nutzgartens auf dem weitläu- Marburger Schlossberg zeigt etwas figen Grundstück rund um das von Thomas Arndts Leidenschaft: Wohnheim am Ortenberg. Die Möhren und Schwertlilien, Salat und La- Studenten waren dankbar für vendel – Nutz- und Zierpflanzen gedeihen seine Tipps. bunt gemischt. „Ich bin ja kein Gemüse- Umfangreichere Hinweise bauer”, lächelt der Landschaftsgärtner, der für ein ökologisches und faires seit 25 Jahren in der Calvinstraße wohnt. Konsumverhalten gibt Thomas Fotos: medio.tv/Simmank Aber trotzdem probt er hier und anders- Arndt mit seinem „Ökofairen wo den Einstieg in die Selbstversorgung. Einkaufsführer” für die Region Zusammen mit 14 anderen „Urban Garde- Marburg. Die Broschüre, die ners” hat der 60-Jährige – ebenfalls am neben vielen Adressen auch Schlossberg – einen Gemeinschaftsgarten Energiesparhinweise für Kir- angelegt. Dort hat er seine erste Zucchini chengemeinden enthält, ist geerntet, wie er stolz erzählt. nun schon in mehreren Aufla- Im heimischen Garten: „Gemüse selbst anbauen macht Spaß.” Aber es geht nicht allein ums Essen. gen erschienen. Nicht zuletzt Den Einkaufsführer kann man downloaden unter http://univer- Tieferer Sinn des Projekts ist ein sozialer für dieses Werk wurde Arndt sitaetskirche.de/downloads/Oekofairer-Einkaufsratgeber.pdf Prozess, erklärt Arndt. Einfach zusammen im vergangenen Jahr mit dem anbauen und ernten, wäre zu wenig. Arndt Umweltpreis der Evangelischen Kirche von und kirchlichen Gruppen will er beidseitig will in nachbarschaftlicher Harmonie die Kurhessen-Waldeck ausgezeichnet. abbauen. „Wichtig ist es, glaubwürdig zu Natur im Garten erleben und begreifen. Über den Kirchenvorstand der Universi- sein, dann klappt es mit gemeinsamen Ak- „Das wäre eine tolle Idee auch für Kirch- tätskirche kam er zu dem Job als Umwelt- tionen”, so Arndts Erfahrung. gärten”, schwärmt Arndt. beauftragter. Sein Anliegen war es von Als Gärtner beobachtet er seit einiger Seit 2005 ist er ehrenamtlicher Um- Anfang an, im Sinne einer nachhaltigen Zeit mit Sorge die lauen Winter und die weltbeauftragter im Kirchenkreis Mar- Wirkung möglichst viele im Umweltbereich heißen Sommer. Klimaschutz und schad- burg. Von seinen kreativen Ideen für ei- tätige Akteure miteinander zu vernetzen. stofffreie Fortbewegung genießen für ihn nen schöpfungsgemäßen Umgang mit den Themenbezogene Gottesdienste in Zusam- deshalb Priorität. Seine nächste Vision: ein Ressourcen der Natur hat er in dieser Zeit menarbeit zwischen Kirchengemeinde und elektrisches Lastenrad für die Kirchgemein- nicht wenige in die Tat umgesetzt. Gerade Greenpeace, BUND und Foodsharing-Ini- de – „damit kann man auch im bergigen berät er die Evangelische Studentenge- tiativen gehören bei ihm deshalb fest ins Marburg viel ausrichten.” l meinde (ESG) beim Anlegen eines kleinen Programm. Berührungsängste von linken Lothar Simmank Der ökologische Fußabdruck O b Lebensmittel, Kleidung, Energie und Baumaterial oder schlicht die Luft zum Atmen – unser ganzes Le- ben hängt davon ab, was die Natur uns bietet. Aber wie viel können die Ökosys- teme uns zur Verfügung stellen? Und wie „Brot für die Welt” hat einen interaktiven Test zum Thema „ökologischer Fußabdruck” entwi- viel nutzen wir? Was müssen wir tun, da- ckelt. Wer sich auf die Fragen einlässt, kann am Ende seinen persönlichen Fußabdruck in der mit alle Menschen auf der Erde gut leben Maßeinheit „globale Hektar“ (gha) ablesen. Zudem bekommt man einfache Tipps, wie man können? Bei der Beantwortung der Fragen seinen Fußabdruck verringern und so einen Beitrag zur Gerechtigkeit auf dieser einen Welt hilft der ökologische Fußabdruck. und zum Schutz der Erde leisten kann. www.fussabdruck.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019 13
UNTERWEGS EIN Albanien: Das Nordkorea Europas? SCHÖ URL A Das Balkanland gehört zu den ärmsten Regionen, kann aber mit schöner Natur glänzen TA A lbanien galt bis Anfang der scheint an manchen Orten die Zeit stehen dings frei laufenden, wachsamen Hütehun- 1990er-Jahre als das Nordkorea geblieben zu sein. Es gibt zwar eine neue den. An stärker begangenen Routen, die Europas: abgeschottet, isoliert, re- Straße, Gästehäuser und einige wenige erst allmählich beschildert werden, findet giert von einem Diktator, der aus Angst Hotels und Restaurants. Geschäfte oder sich gelegentlich auch ein aus Holzplan- vor einem Angriff überall im Land Bunker gar Andenkenläden aber sind weit und ken zusammengehauener Unterstand, in bauen ließ und sämtliche Religionen ver- breit nicht zu finden. dem es für einen kleinen Obolus gekühl- bot. Diese Zeiten sind Gott sei Dank längst Ein Hotelier, der sogar deutsch spricht, te Getränke gibt. Als nachhaltiger Kühl- vorbei, doch haben die großen Reiseveran- betreibt nebenbei eine kleine Forellen- schrank dient ein Trog, gespeist mit eiskal- stalter das Land – anders als etwa Kroati- zucht und bringt die Fische abends frisch tem Quellwasser. Und auf Nachfrage wird en – noch nicht entdeckt. auf den Tisch. Butter und Marmelade beim überall auch selbst gebrannter Schnaps Schon die Anreise ist atemberaubend Frühstück sind nicht in Plastik abgepackt. angeboten. schön: Nach zweieinhalbstündiger Fahrt Und falls die Kuh des Butter- und Milchlie- Anders als in manchen Teilen des mit der Fähre „Alpin“ über den zu einem feranten gerade ein Kälbchen bekommen Balkans leben in Albanien Moslems und langestreckten See aufgestauten Fluss hat, muss auch schon mal mit Margarine Christen in Frieden miteinander. Kirche Drin taucht man hinter der kleinen Stadt vorlieb genommen werden. und Moschee sind in den kleinen Orten Bayran Curri in eine andere Welt ein. Da Unterwegs in den Bergen und an de- oft in Rufweite. Und obwohl die Musli- die Grenzen zu den Nachbarstaaten Koso- ren Fuße finden sich verwunschene Fried- me in der Mehrheit sind, stehen in vielen vo und Montenegro nicht weit sind, war höfe wie aus alten Draculafilmen, verfal- Städtchen Statuen der „Nationalheiligen“ es normalsterblichen Albanern früher ver- lende Hausruinen, aber auch viele noch Mutter Theresa. Auch der einzige interna- boten, dorthin zu reisen. Und so kommt in Betrieb befindliche kleine Höfe. Weiter tionale Flughafen bei Tirana, der etwa die der Fortschritt erst jetzt langsam hierher. oben in den Bergen hausen Wölfe und Dimension von Kassel-Calden hat, trägt Im Valbonatal, wie sich die Gegend nennt, Bären. Eher begegnet der Wanderer aller- ihren Namen. l Christian Prüfer Valbonatal Fähre über den Drin Fotos: Chrstian Prüfer Naturkühlschrank Abenteuerliche Wanderwege 14 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
N UNTERWEGS ÖNER AUBS- AG Nordsee: Durchhalten auf dem Deich Wieso ein schöner Tag auch schmerzhaft sein kann – von den kleinen Momenten N ach zehn Kilometern formt sich see, unter meinen Schuhen der Deich, vor die Bude: Fischbrötchen! Und Cola! Die eine Frage: Kann ich den blick-Le- mir Schafe, gegen mich der raue Wind – beste der Welt! sern das hier wirklich als „schönen großartig! Als ich hinter dem Schriftzug Ein schöner Urlaubstag also? Jeden- Urlaubstag” schildern? Soeben hat mein „das fröhliche Wellness-Hotel“ griesgrämi- falls kein perfekter, dafür sind die Strapa- rechter Fußballen sein Veto gegen die ge Gesichter beim Frühstück sehe, freue zen zu groß. Aber ein Tag der vielen schö- Langstrecken-Wanderung eingelegt und ich mich, draußen zu sein. nen Momente. Wie etwa, als mir auffällt, angekündigt, aus Protest nun eine Blase Der Vorabend der ersten Etappe war dass die für den Deich zuständige Stelle anzulegen. Der linke Fuß tut es ihm gleich. wunderbar. Die Bahnfahrt bis Norddeich Deichacht und nicht etwa Deichwacht Es ist einer dieser Pläne, die mit „Das war reibungslos verlaufen, das Zelt stand, heißt. Auf etwas achten, das klingt doch wollte ich schon immer mal machen“ be- auf dem Campingplatz gab es eine gute viel schöner als etwas zu bewachen. ginnen, aber häufig in diesem Stadium Pizza – vor allem hatte ich Zeit und Muße, Oder die Schafe und die kleinen Lämm- stecken bleiben. Ich wollte also schon lan- eine gute Stunde am Meer zu sitzen, bis chen, die zu Hunderten die Deiche bevöl- ge an der Nordseeküste von Norden-Nord- die Sonne versunken war (Foto oben). kern und den Weg freimachen, wenn man deich bis Wilhelmshaven wandern, mit Doch nun Schmerzen, obwohl die Wan- näher kommt. Nur die Halbstarken bleiben Zelt, Schlafsack, Isomatte und Klamotten derschuhe eingelaufen sind. Vielleicht sind stehen und starren mich unverwandt an auf dem Rücken. Kinderbetreuung war or- die neuen, hochgelobten Wandersocken – Showdown! Doch in letzer Sekunde su- ganisiert, Urlaubstage auch – also los! Das doch nicht so gut oder einfach, wie Freun- chen auch sie das Weite, jedes Mal. Oder einzige Problem: Wegen Feiertagen und de später meinen, zu dick. Gegen Mittag die aufflatternden gelben Vögel, die ich Familienfeiern blieben nur vier Wanderta- steht ein Schild am Wegesrand, ein Weg- mangels Fachwissen Zitronenfinken nenne ge für die 100 Kilometer, die erste Etappe weiser zu einem Kiosk mit dem Zusatz: (tatsächlich waren es wohl Schafstelzen). war mit knapp 35 Kilometern sehr ambi- noch elf Kilometer bis Dornumersiel. Auf Die kleinen Momente machen diesen tioniert geplant, vorsichtig ausgedrückt. dem nächsten Wegweiser hat sich diese Tag schön – vielleicht ist das wie im Leben Die ersten Schritte, die ersten Kilome- Zahl auf 15 erhöht, was geografisch un- überhaupt. Einer der schönsten: die Last ter laufen wie gewünscht: links die Nord- sinnig, aber gute Werbung ist. Und dann absetzen. l Olaf Dellit Fotos: medio.tv/Dellit blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019 15
UNTERWEGS EIN SCHÖ Sich dem Wetter entgegenstemmen URL A Schritt für Schritt durch den tropfenden Zauberwald – Wandern in den Vogesen TA S o so, Sie möchten also von einem Berge ideal; das ist ein Naturgesetz. Gut, wo oben ankommen, den nassen Rindern Fotos: Adobe Stock schönen Sommertag in den Vogesen ein heißer Tee ist getrunken, der Himmel unter Bäumen beim Grasen zusehen. berichten? Na, da bin ich gespannt. düster-bewegt. Vom puren Rumsitzen wird Dann kommt Appetit auf. Nein, ei- Als wir damals dort waren, hat es nur ge- man auf der Hütte nicht warm. Und wer gentlich ist es waschechter Bärenhunger regnet.“ – Ich höre, was Sie denken, liebe will im Juli gern morgens den Holzofen an- je näher wir der Nachbarferme mit ihrem Leserin, lieber Leser! Und ja, auch wenn schmeißen? reichhaltigen „Melkermenu“ kommen! Eine ich dort bin, regnet es oft. Ich bin jedes Raus geht es, mit allem am Körper, was Stunde später und gestärkt durch Fleisch- Jahr dort, und ich habe schon hinreichend Rucksack und Fundus hergeben, Cape und kuchen oder Kassler mit Sauerkraut, be- Regen mitbekommen. Vielmehr, die impo- Handschuhe willkommen, lange Unterho- lohnt uns der Nachmittagshimmel mit ei- santesten Regen-, Gewitter- und Weltunter- sen nicht ausgeschlossen. Wohin? Eigent- nem intensiven Regenbogen – ja gut, es gangshagel-Tage habe ich tatsächlich in lich egal. Die Sicht kann weit sein über die plätschert halt noch immer von oben. Aber den Vogesen erlebt, auf einer Höhe von kahlen Höhen in die Ferne des Rheintals, was für ein Anblick! 1.083 Metern in einer alten Ferme – so hin zum Schwarzwald. Oder man erkennt Müde Kinder werden ab nun mit Ge- nennt man dort die Bauernhäuser –, die die Hand vor Augen nicht, weil der Nebel schichten bei Laune gehalten. Die Erwach- früher auch eine Käserei war. einen von jetzt auf gleich komplett einhüllt senen wissen, dass zu Hause in Kürze ein Man mag mich eine Laune-Verderberin und man Schritt für Schritt durch tropfen- prasselndes Feuer und ein wärmender nennen, denn „schöner Sommertag“ heißt den Zauberwald tappt. Schnaps den wetterintensiven Marsch ab- für mich nicht, dass kein Wölkchen den Hauptsache, nun unterwegs zu sein schließen werden. Und dann: das warme, Himmel beflaggt. Oder dass man beim und sich dem Wetter ein wenig entgegen- trockene Bett! Herrliche Aussichten. Wenn ersten Nieseln schon einen Flunsch zie- zustemmen. Altbekannte Pfade bergauf, dazu noch ein krachendes Gewitter die Ge- hen muss. Es sind die Sommertage, die den köstlichen Duft des Grüns einsau- mütlichkeit steigert, das Trommeln aufs vielleicht auf eine große Hitze folgen, gen, Kräuter und Blüten intensiv riechen, Blechdach in den Schlaf geleitet, träumt oder die einfach von sich aus kühl und dem federnden Boden aus Magerwiesen es sich leicht: Vielleicht kommt morgen die nass sind. Die feuchte Atlantikluft muss oder Tannennadeln mit ebenso federnden Sonne? l sich hier halt abregnen, dazu liegen die Wanderschuhschritten begegnen. Irgend- Anne-Kathrin Stöber 16 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
N UNTERWEGS ÖNER AUBS- Mittsommer in Schweden AG Sich auf eine Jahreszeit so richtig freuen – das können die Nordländer am besten E in paar Mal haben wir es geschafft, des Glas mittrinken, erleben eine heitere scher Festtag, der der Schöpfung huldigt. punktgenau zum Mittsommerfest in und freudige Stimmung, auch weil diese Die Liebe zur Natur bekommt an diesem Schweden oder in einem anderen Zeit die Einheimischen unmittelbar in die Tag eine fast spirituelle Qualität, auch skandinavischen Land zu sein. Zur Som- langen Sommerferien überleitet. wenn sehr bodenständig gefeiert wird. mersonnenwende, die dieses Jahr auf Was mir daran gefällt? Dass Mitt- Die Festtagsatmosphäre an Mittsom- den 22. Juni fällt, herrscht dort immer sommer in Schweden kein inszeniertes mer hat für Urlauber allerdings auch ih- eine besondere Stimmung, die das ganze Touristenevent und schon gar keine Ikea- re Kehrseiten. Mir fällt der 24. Juni 2011 Land verzaubert. So wie man sich bei uns Verkaufsaktion ist. Dieser Feiertag gehört ein: Ein falunrotes Holzhaus am See mit- auf weiße Weihnachten freut, fiebern die ganz einfach zur Lebensart und wird von ten im Wald – die Familie ist vollzählig Schweden ihrem Jahreshöhepunkt entge- niemandem ignoriert. Die leergefegten und freut sich an Räucherfisch, Kartoffeln gen. Nur ist der eben nicht mit Schnee Städte beweisen es: Alle sind irgendwo auf und Bier. Plötzlich jault der Hund auf, der und dem Stern in der Heiligen Nacht ver- dem Land, sitzen an Bootsanlegern und beim Stöbern im Garten offensichtlich bunden wie hierzulande, sondern gefeiert auf Holzbänken unter wehenden Fahnen mit der Schnauze auf eine Biene gesto- werden im Norden die grüne Natur und und lassen es sich mit Familie und Freun- ßen ist. Blitzschnell schwillt der Stich an. die Weißen Nächte, in denen die Sonne den wohl sein. Sieht gefährlich aus – nichts wie hin zum nicht richtig untergeht. In einem Land, dessen Hauptstadt im nächsten Tierarzt! Doch der ist nach einer Man kennt es aus Astrid Lindgrens Bü- Winter bereits um drei Uhr nachmittags rumpeligen Fahrt über Schotterstraßen chern und Inga Lindströms Filmen: „Mid- dunkel ist, muss man sich über solche nicht anzutreffen. „Geschlossen”, steht an sommar” ist Idylle pur. Erwachsene und „Sonnenanbeter” eigentlich nicht wundern. der Praxistür. Alles wie ausgestorben. Erst Kinder treffen sich am Maibaum, essen Logisch, dass die Schweden ihre wenigen nach längerer Recherche und Suchfahrt er- und trinken unter freiem Himmel. Es wird hellen Sommernächte ausgelassen feiern. reichen wir in der nahegelegenen Stadt ei- viel gelacht, müde ist auch um Mitternacht Denn die einigermaßen warme Jahreszeit ne Tierklinik, aber auch die hält an diesem noch keiner. Anrührend, wenn sich Mäd- ist Ende August schon wieder vorbei. Das Tag kein Personal vor. Nach zwei Stunden: chen zum Tanz bunte Blumenkränze ins Wetter spielt für die Gemütslage eine gro- Entwarnung, die Schwellung geht von al- Haar binden. Natürlich, es kann an Mitt- ße Rolle. In der dunklen Jahreszeit ist die lein zurück. Mittsommer kann nun auch sommer auch mal regnen. Und auch der Winterdepression weit verbreitet. Das wah- für den Hund zu einem entspannten Fest- Alkohol fließt in Strömen. Touristen, die re Leben findet im Sommer statt. Und Mitt- tag werden. l sich auf das Fest einlassen und nicht je- sommer setzt den Startpunkt – ein kosmi- Lothar Simmank Fotos: Adobe Stock/privat blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019 17
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