Wie wird das Wetter? FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von Kurhessen ...

 
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Wie wird das Wetter? FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von Kurhessen ...
4–2019

                                                   FÜR MITARBEITENDE

                                  Wie wird das Wetter?
Foto: Bastian Werner

                       SONNE ODER REGEN?
                       Dürre, Blitze, Sintflut –
                       Wetter in der Bibel

                       WETTER ODER KLIMA?
                       Was sich langfristig für
                       uns alle ändern wird
Wie wird das Wetter? FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von Kurhessen ...
INHALT | EDITORIAL

Inhalt                                                      Liebe Leserinnen,
                                                            liebe Leser,
THEMA
                                                                „Alle reden von Wetter. Wir nicht.”

                                                                                                                                Foto: medio.tv/Schauderna
    4       Der strafende Wettergott? Wetter in der Bibel   Die Älteren unter uns werden sich noch
    6       Interview mit dem „Sturmjäger”                  an den Werbespruch der Deutschen
                                                            Bundesbahn aus den 1960er-Jahren er-
    8       TV-Wettermoderator erklärt Klimawandel          innern. Angesichts von überschwemm-
    10	Interview mit der Bildungsdezernentin:              ten Gleisen, jährlichem „Schneechaos”
        „Gretas Mut und Kraft wirken ansteckend”            und Saunatemperaturen in kaputten
                                                            Zügen muss inzwischen auch die Bahn
    11	Porträt einer streikenden Schülerin:                immer öfter über das Wetter reden. Wie
        Es ist ihr ernst mit dem Klimaschutz                wir alle. Denn extreme Wetterphänome-
    12      Marktbummel mit dem Klimaschutzmanager          ne bestimmen unseren Alltag in Deutschland.
                                                                Schuld ist der Klimawandel. Wobei dieses Wort eigentlich
    13      Ausgezeichneter Umweltbeauftragter
                                                            recht verharmlosend klingt für das, was Wissenschaftler als Ka-
    13      Der ökologische Fußabdruck                      tastrophe für die Menschheit bezeichnen. Die seriöse britische
                                                            Tageszeitung The Guardian will deshalb künftig zutreffender vom
    18      Kurzmeldungen zum Thema
                                                            „Klimanotstand” sprechen, von „Klimakrise” oder „Klimazusam-
    32      Klimasünden                                     menbruch”. Die redaktionellen Regeln sehen weitere Änderungen
                                                            vor: Anstelle von „Erderwärmung”, soll von „Erderhitzung” die Re-
UNTERWEGS                                                   de sein, von „Wissenschaftsleugnern” statt von „Klimaskeptikern”.
                                                                Was Wörter entweder knallhart oder aber beschönigend zum
    14      Albanien: Das Nordkorea Europas?                Ausdruck bringen können, zeigen Bilder eindeutiger. Auch in die-
                                                            ser blick-Ausgabe. Bastian Werner fotografiert apokalyptische
    15      Nordsee: Durchhalten auf dem Deich              Momente am deutschen Himmel. Viele seiner Fotos zeigen Aus-
    16      Vogesen: Sich dem Wetter entgegenstemmen        wirkungen des Klimawandels, der auch uns in der Evangelischen
                                                            Kirche von Kurhessen-Waldeck betrifft und beschäftigt.
    17      Mittsommer in Schweden
                                                                Lesen Sie auf den folgenden Seiten mehr über eine Greta-
                                                            begeisterte Oberlandeskirchenrätin, einen meinungsstarken Wet-
LANDESKIRCHE                                                termoderator, einen Klimaschutzmanager auf Einkaufstour, strei-
                                                            kende Schüler und urlaubsreife Redakteure.
    19      Erste Kindersynode in Kurhessen-Waldeck                                                         Lothar Simmank
    20      Kurhessische Bischofswahlsynode                                                    Redakteur blick in die kirche

    21	„Ich wünsche mir ein Klima des Vertrauens” –
        Interview mit der designierten Bischöfin
        Dr. Beate Hofmann
                                                             www.gerade-jetzt.de

    22      EKKW beschäftigt über 10.000 Mitarbeiter
    23      Studie „Kirche im Umbruch”
    24      „Deadline”: Balkenhol-Ausstellung in Kassel
    25      Dokumentarfilm „Über Grenzen”
    26      Evangelische Bank mitten im Wandel
    27      Von Personen

SERVICE

    28      Termine / Kirchenmusik
    30      Kirche im Radio
                                                               Infos zur Kirchenvorstandswahl 2019 mit Tipps, Materia-
    31      Neue Bücher                                        lien und Hintergründen finden Sie unter: www.gerade-jetzt.de

2        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
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UMFRAGE | IMPRESSUM

Welches ist Ihr Lieblingswetter?
                               Foto: privat

                                                                         Foto: medio.tv/Schauderna

                                                                                                                            Foto: privat

                                                                                                                                                                         Foto: privat
 Mir ist jedes Wetter recht. Re-                Wenn die Sonne nach einem                             Ein milder Sommertag mit              Ich liebe den klaren blauen
 gen, Donner und Blitz in der                   Sommergewitter oder Regen-                            Sonnenschein und einigen              Himmel und die Sonne, die
 gemütlichen Küche zu Hause                     guss wieder hervorkommt und                           Schönwetterwolken, das ist            warm auf mich scheint, wenn
 mit einer Tasse Cappuccino                     alles in neuem Licht erstrahlt,                       mein Lieblingswetter. Aber            ich auf der Terrasse einer Alm-
 über den Kräutergarten hin-                    die abziehenden tiefblauen                            eigentlich mag ich jedes              hütte sitze. Ich sehe die spek-
 weg zu betrachten, hat was.                    Gewitterwolken einen drama-                           Wetter: ein melancholischer           takuläre Landschaft. Das hel-
 Ganz besonders aber liebe                      tischen Hintergrund bilden                            Regentag, ein stürmischer             le Sonnenlicht wird verstärkt
 ich diesen hohen Himmel                        und die Welt um mich he–                              Herbsttag, ein dramatisches           durch die schneebedeckten
 über Russland, den ich auf                     rum diesen ganz bestimmten                            Gewitter. In ihrer Unterschied-       Berge ringsherum. Alles ist
 meiner Tour gen Osten 2018                     Duft nach frischem Grün und                           lichkeit nehmen mich die ver-         unglaublich hell, sogar durch
 mit dem kleinen Motorrad er-                   feuchter Erde verströmt – das                         schiedenen Stimmungen mit             die alpine Sonnenbrille. Das
 leben durfte. So groß wie die-                 ist ein magischer Moment, in                          und zeigen mir die Lebendig-          kann die Sommersonne an ei-
 ses Land ist, so weit und hoch                 dem sich für mich Naturerle-                          keit des Lebens und die groß-         nem See oder am Meer sein,
 wölben sich die weißen Wol-                    ben und Spiritualität verbin-                         artige und kostbare Schöp-            wenn die Strahlen über das
 ken im unendlichen Blau da-                    den. Oder auch ein Herbst-                            fung Gottes. Und so versuche          Wasser mich direkt treffen und
 rüber ... Man beginnt zu träu-                 sturm an der Küste, der mich                          ich es auch im Gottesdienst:          vor meinen blinzelnden Augen
 men – so, als ob dieses ganz                   durchpustet, während ich auf                          mit meiner Orgelmusik meine           abstrakte bunte Bilder erschei-
 besondere Licht in der Weite                   das sturmgepeitschte Meer                             Zuhörer mitzunehmen in die            nen. Ich stelle mir vor, dass die
 Sibiriens auch mich erfüllt mit                blicke und meinen Gedanken                            verschiedenen Stimmungen              Strahlen in mich hineinleuch-
 einer zeitlosen Reinheit.                      freien Lauf lasse. Schade, dass                       und Ereignisse des Kirchen-           ten, bis in mein Becken, wär-
                                                man den Geruch der Natur                              jahres, damit wir uns öffnen          mend, leuchtend und Energie
                                                und des Meeres nicht foto-                            können und uns berühren las-          spendend. Das ist für mich
                                                grafieren kann!                                       sen von Gottes Geist.                 Gotteserfahrung pur.

Margot Flügel-Anhalt (65),                     Christian Schauderna (40),                            Bärbel Dingel (61),                   Stefan Sigel-Schönig (62),
Sontra, Sozialpädagogin im                     Fotograf und Bildredakteur im                         Gudensberg, Musiklehrerin             Männerarbeit der Evangeli-
Ruhestand, Motorradreisende                    Medienhaus der Evangelischen                          an der Musikschule Schwalm-           schen Kirche von Kurhessen-
und Protagonistin des Films                    Kirche von Kurhessen-Waldeck                          Eder Nord und seit 50 Jahren          Waldeck
„Über Grenzen“                                                                                       Organistin

IMPRESSUM
 blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und       Redaktion:                                                      Anschrift:
 wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen         Lothar Simmank (Leitung)                                        Ev. Medienhaus, Heinrich-Wimmer-Straße 4
 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt.      Telefon 0561 9307-127                                           34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe
                                                           Olaf Dellit                                                     redaktion@blickindiekirche.de
 Direkt-Abonnement:                                        Telefon 0561 9307-132                                           www.blickindiekirche.de
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                                                           Redaktionsbüro / Anzeigen:                                      Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit
 Herausgeber:                                              Andrea Langensiepen                                             Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main
 Landeskirchenamt der Evangelischen                        Telefon 0561 9307-152                                           Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück
 Kirche von Kurhessen-Waldeck                              Daniela Denzin                                                  Auflage: 17.700 Exemplare
 Pfarrerin Petra Schwermann                                Telefon 0561 9307-128
 Wilhelmshöher Allee 330                                   Fax     0561 9307-155                                           Mehr Informationen über die Evangelische Kirche
 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe                                                                                             von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de

                                                                                                            blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019                            3
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                        Der strafende Wettergott?
                        Umweltpfarrer Uwe G. W. Hesse über Wetterphänomene in der Bibel und deren Deutung

                        G
                               ötter sind für das Wetter verant-           Bund mit dem Schöpfergott                      rao vorhergesagte, als er dessen Träume
                               wortlich. Teils ist es sogar ihre wich-         Dabei unterscheidet sich der Gott, an      deutete, die ihrerseits den Verfassern der
                               tigste Aufgabe und Funktion, sich           den Juden und Christen glauben, tief grei-     Vätergeschichte als ein Mittel göttlicher
                        darum zu kümmern. Die Menschen opfer-              fend von den Gottheiten der Mythologien:       Offenbarung galten. Im Neuen Testament
                        ten ihnen regelmäßig für diese Dienstleis-         Er ist – im Vergleich zu Zeus und Apoll, zu    ist die Finsternis ein erschreckendes Ereig-
                        tungen. Beide, Gottheiten und Menschen,            Donar und Freya – nicht nur einzigartig,       nis, die sich bei der Kreuzigung Jesu nach
                        haben Verträge miteinander geschlossen,            sondern einzig und hat andere Schwer-          dem Bericht des Matthäus über das ganze
                        sogenannte Bünde, damit es so bleiben              punkte: Er geht mit den Menschen mit; er       Land legte (Matthäus 27,45).
                        möge. Schließlich ist man seit der jung-           befreit Menschen aus der Knechtschaft,
                        steinzeitlichen Revolution in be-sonderer          aus Bindungen widriger Mächte. Und den-        Göttliche Wetterstrafen
                        Weise darauf angewiesen, dass das Wetter           noch ist er auch für die Bereiche des all-         Gott agiert souverän. Im Alten Testa-
                        kalkulierbar ist und bleibt.                       täglichen Lebens zuständig, als Gott, der      ment begegnen wir auch einem strafen-
                                                                           Leben schenkt, als Gott, der das Universum     den Gott. Klimatische Phänomene wer-
                        Kalkulierbares Wetter                              und die Erde geschaffen hat und erhält,        den gewöhnlich als Gottes Strafen für
                             Seit man begonnen hat, Ackerbau               als Gott, der Speise gibt zur rechten Zeit     menschliches Fehlverhalten gedeutet. Bi-
                        und Viehzucht zu betreiben, sesshaft zu            und der es dafür regnen lässt.                 blische Wetterphänomene sind aber auch
                        werden, Städte zu gründen und Kulturen                                                            Wege göttlicher Heimsuchung, entlarven
                                             aufzubauen, sich –                                                           menschliche Hybris und zeigen ein um das
                                                 als Menschheit               »Solange die Erde steht,                    andere Mal, wie leicht es wäre, alles Leben
                                                   – progressiver                                                         zu vernichten, wie fragwürdig menschliche
                                                                                 soll nicht aufhören
Foto: Peter Beckmann

                                                     zu vermehren,                                                        Aktionen und Aktivitäten sein können,
                                                      a l s d a s vo r -     Saat und Ernte, Frost und                    das Denken des Menschen bei sich selbst,
                                                      her überhaupt          Hitze, Sommer und Winter,                    wenn sie ohne den Bezug zu Gott gesche-
                                                     möglich war,                 Tag und Nacht.«                         hen. Wie fragil das Leben von Menschen
                                                   i s t d i e Fr a g e                  1. Mose 8, 22                    und ganzen Völkern ist.
                                                nach dem Wetter
                       Pfarrer Uwe G. W. Hesse,       exist enziell.                                                      Begeisterung für die Schöpfung
                       Umweltbeauftragter der         Um die Korn-             Die Wetterphänomene der biblischen             Neben der Beschreibung von Umwelt-
                       Evangelischen Kirche von       kammern zu           Überlieferungen stehen im Zusammen-            und Wetterphänomenen als Strafe oder
                          Kurhessen-Waldeck           füllen, die          hang mit dem Schöpfergott. Klimatische         Reaktion Gottes auf menschliches Verhal-
                                                      Menschen zu          Katastrophen können Reaktionen auf             ten gibt es aber noch anders gelagerte
                        ernähren, Hungersnöte zu vermeiden,                menschliches Fehlverhalten sein. Denken        Aussagen, die jenseits von menschlicher
                        brauchte man eine zuverlässige Abfolge             wir an die Sintflut. Oder an die göttlichen    Moral stehen, jenseits von menschlichem
                        der Jahreszeiten, einen präzisen Kalender.         Reaktionen auf das Fehlverhalten des Pha-      Empfinden, von dem, was Gut und Böse
                             Diese Entwicklungen bilden den Hin-           raos: Der Hagel kommt als siebte Plage,        sein mag. Schöpfungsberichte nämlich,
                        tergrund für die biblischen Berichte aus           die Finsternis als Plage Nummer neun.          die gleichsam die Faszination der Autoren
                        der Urgeschichte und der Väterzeit, von            Aber auch die Überschwemmungen, die –          spüren lassen, die – dem Anschein nach
                        Kain und Abel, von Abraham und seinen              etwa beim Auszug der Israeliten aus Ägyp-      in ekstatischer Begeisterung – die Werke
                        Nachkommen. Und nicht nur die Gotthei-             ten – die ägyptische Streitmacht vernichtet    Gottes beschreiben und bewundern: die
                        ten des Neolithikums und der Jahrtau-              haben sollen, sind Wetterphänomene.            Schöpfung als Einheit, als sinnhaft auch
                        sende danach sollten gleichbleibende                   Auch Vulkanausbrüche oder (klimabe-        jenseits menschlicher Präsenz, auch jen-
                        Wachstumsbedingungen für das Getreide              dingte) Hungersnöte, über die wir im Al-       seits menschlicher Wahrnehmung von
                        gewährleisten, sondern auch die Gotthei-           ten Testament lesen, kommen vor. Dann          Nützlichkeit.
                        ten der klassischen Zeit. Ja, sogar auch           gibt es die Wolken- und Feuersäulen, die           Dabei mag man an den 104. Psalm
                        der Gott Israels schließt einen Bund, gibt         den Israeliten den Weg durch die Wüste         denken, der Gott als den Schöpfer lobt:
                        ein Versprechen: „Solange die Erde steht,          weisen und gleichzeitig sinnbildlich für die   „Herr, wie sind deine Werke so groß und
                        soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost          Nähe Gottes zu seinem Volk stehen. Den-        so viel!” Der Verfasser der ursprünglichen
                        und Hitze, Sommer und Winter, Tag und              ken wir auch an die sieben fetten und die      Vorlage, Pharao Amenophis IV., ist voller
                        Nacht.“ (1. Mose 8, 22).                           sieben dürren Jahre, die Josef dem Pha-        Begeisterung für das Werden und Verge-

                        4       blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
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                        „… der Wolken, Luft und Winden

                                                                                                                                               Foto:s: Bastian Werner
                         gibt Wege, Lauf und Bahn ...”

Bilder vom Sturmjäger Bastian Werner (s. Seite 7): Wollken brauen sich in der Nähe von Hofgeismar zusammen (oben l.), Mohnblumenfeld vor
Sonnenuntergang bei Germerode (oben r.), Blitze über Gelnhausen (unten l.), Schneelandschaft auf der Wasserkuppe in der Rhön (unten r.)

     hen der Kreatur und beschreibt das Beben     piert. Das Evangelische Gesangbuch steckt     singen, die für den Segen des ausgewoge-
     der Erde und den Ausbruch eines Vulkans.     voller Hinweise auf das schöpferische Tun     nen Klimas danken oder – wie heute noch
     Eindrücklich ist auch, wenn Gott aus dem     Gottes. Denken wir an das Gesangbuch-         in manchen Ländern, etwa in Indien – in
     Wettersturm zu Hiob spricht und auf die      lied 361: „… der Wolken, Luft und Winden      den Gottesdiensten um den Regen (bzw.
     Pracht und Schönheit seiner Geschöpfe        gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch       um den Monsunregen) beten, bringen wir
     hinweist, auf Behemot (Flusspferd) und       Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“         damit unsere Abhängigkeit von den Wech-
     Leviatan (Krokodil), vor denen der Mensch    Oder an EG 508: „Er sendet Tau und Re-        selwirkungen des Klimas zum Ausdruck
     in Furcht und Zittern erstarrt (Hiob 40).    gen und Sonn und Mondenschein“ und            und zeigen, wie nahe wir unseren Altvor-
                                                  später: „Von ihm sind Büsch und Blätter/      deren sind, die noch im täglichen Kampf
     Wetter im Gesangbuch                         und Korn und Obst von ihm, das schöne         uns Dasein um die Bedeutung des Wetters
         Wir Christen haben die Aussagen des      Frühlingswetter/ und Schnee und Unge-         wussten. l
     Alten Testaments in unseren Liedern rezi-    stüm.“ Spätestens wenn wir unsere Lieder                               Uwe G. W. Hesse

                                                                                 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019          5
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Der Sturmjäger und die Faszination des Wetters

V
        iele der eindrucksvollen Fotos in dieser   meln und Vorhersagen von solchen Phäno-               Werner: Es gibt auch Unwettertage, da
        Ausgabe stammen vom Bastian Wer-           menen besser zu machen. Es kommt aus den          fahre ich nicht los, etwa wenn durch Orkan-
        ner, der Fotograf und Sturmjäger ist.      USA, wo es extrem viele sogenannte Super-         tiefs Bäume umfallen.
Im Interview erzählt er von seiner Arbeit, von     zellen gibt. Wenn man diese zerstörerischen
den Gefahren des Wetters und von seiner Ein-
schätzung des Klimawandels.
                                                   Unwetter vorhersagen kann, kann man damit
                                                   Menschenleben retten.                             ?   Haben Sie schon gefährliche Situatio-
                                                                                                         nen erlebt?
                                                                                                         Werner: Ja, sehr nahe Blitzeinschläge.

?   Sie sind – und so heißt auch Ihr Buch –
    Sturmjäger. Was ist das überhaupt?
    Bastian Werner: Ein Sturmjäger fährt dem
                                                   ?   Wie arbeiten Sie ganz konkret?
                                                          Werner: Ich schaue mir lange die Wet-
                                                   terkarten an. Wenn ich eine Wetterlage er-
                                                                                                     Das Problem ist, dass man Blitzeinschläge
                                                                                                     nicht vorhersagen kann. Einen Tornado oder
                                                                                                     eine Gewitterzelle kann ich beobachten, beim
Wetter, vor allem Gewitter und Sturm, hinter-      kannt habe, fahre ich los und warte dort, wo      Sturmtief kann ich die Windböen messen und
her, um das Ganze zu dokumentieren. Es gibt        die meiste Energie ist, bis Gewitter entstehen.   weiß, wo ich mich aufhalten muss, damit es
verschiedene Motivationen. Der Ursprung war                                                          sicher ist. Aber bei Blitzeinschlägen ist es ein-
die Wissenschaft, da wollte jemand aufklären,
wie solche Gewitter entstehen, Daten sam-          ?   Fahren Sie gezielt dorthin, wo man
                                                       nicht hinfahren sollte?
                                                                                                     fach Glückssache, ob ich getroffen werde oder
                                                                                                     nicht.

     6      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
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?   Bekommt man in Ihrem Beruf einen be-             Werner: Ich bin kein Katastrophentou-          ZUR PERSON
    sonderen Respekt vor dem Wetter, oder       rist. Meine Motivation sind nicht die Schäden        Bastian Werner (26) hat bereits als
stumpft man eher sogar ab?                      und das Leid der Menschen. Ich leiste meinen         14-Jähriger begonnen, sich intensiv mit
    Werner: Ein Sturmjäger hat mehr Respekt     persönlichen Teil zur Aufklärung und zur War-                                 dem Wetter zu
vor dem Wetter als Otto Normalverbraucher.      nung der Bevölkerung, zum Beispiel über „Sky-                                 beschäftigen. Seit
Bei Gewitterlagen kann es ein Dorf treffen      warn Deutschland“. Klar finde ich es auch                                     er 18 ist und den
und 20 Dörfer drum herum nicht. Der Deut-       faszinierend, welche Energie die Natur da                                     Führerschein hat,
sche Wetterdienst warnt den ganzen Land-        entwickelt, aber ich ergötze mich nicht daran,                                macht er Jagd auf
kreis, und so kommt dann oft die Meinung        wenn Menschen Leid erfahren.                                                  Extremwetterlagen,
                                                                                                                              um diese dann mit
auf: Da kommt ja sowieso nichts Wildes. Das
                                                                                                                              der Kamera
ist aber eine falsche Annahme und auch ge-
fährlich, weil ich einschätzen kann, was kom-
men kann. Ein Laie aber nicht.
                                                ?   Bemerken Sie in Ihrer Arbeit den Klima-
                                                    wandel?
                                                    Werner: Absolut. In den letzten Jahren ha-
                                                                                                                              festzuhalten.
                                                                                                                              Werner lebt in
                                                                                                     Darmstadt und kann inzwischen von
                                                ben sich vor allem die Gewitter und die Nie-         seiner Passion, der Wetterfotografie, und

?  Wenn Sie eindrucksvolle Bilder fotogra-
   fieren, etwa von einem Tornado, kann
das für andere Menschen Leid und Zerstö-
                                                derschläge verändert, die Jahreszeiten haben
                                                sich verschoben. Es gibt viel weniger Gewitter
                                                als früher, auch weil es weniger regnet. Und
                                                                                                     Vorträgen zum Thema leben. Im Verlag
                                                                                                     Frederking & Thaler ist sein faszinierender
                                                                                                     Bildband „Sturmjäger“ erschienen.
rung bedeuten. Wie gehen Sie mit diesem         die Gewitter in Deutschland werden weniger           Näheres gibt es auch auf seiner Seite
Konflikt um?                                    zerstörerisch. l           Fragen: Olaf Dellit          www.bastianw.de

                                                                                 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019         7
Wie wird das Wetter? FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von Kurhessen ...
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                                                                 Klimawandel –
                                                                 was ist das?
                                                                 Thomas Ranft erklärt den Zuschauern des
                                                                 hr-Fernsehens fast jeden Abend das Wetter.
                                                                 Hier das Plädoyer des TV-Moderators für einen
                                                                 Klimaschutz, an dem sich jeder beteiligen kann.

                                                            wichtig. Kohlendioxid re-            In der Praxis ist es viel schwieriger, die-
                                                            flektiert in der Atmosphäre     se Veränderungen exakt vorherzusagen.
                                                            einen Teil der Wärmestrah-      Warum? Nun, eine derartig rapide Verän-
                                                            lung, die vom Boden aus-        derung hat es in den vergangenen Jahr-
                                                            geht und die sonst ins All      millionen nicht gegeben. Wir haben keine
                                                            abgestrahlt würde. Ohne         Erfahrungswerte, und wir lernen jeden Tag
                                                            CO2 würden wir viel mehr        dazu, wie verzahnt und vernetzt diese Welt
                                                            Wärme ins Weltall abge-         ist – was alles zusammenhängt, was pas-
                                                            ben und es wäre auf un-         siert, wenn man eine Sache ändert, wie
                                                            serer Erde unwirtlich kalt –    viele andere Dinge sich ändern, an die
                                                            das Leben hätte kaum eine       man niemals dachte.
                                                            Chance. Pflanzen brauchen
                                                            CO2 für die Photosynthese,      In den nächsten 20 Jahren kommen
                                                      Foto: hr

                                                            also ist Kohlendioxid ein       zwei Milliarden Menschen dazu
                                                            wichtiger Baustein des Le-
                                                            bens auf der Erde. Aber der         Jetzt fragt sich der ein oder andere: Na

W
          as ist das eigentlich mit dem       CO2-Gehalt der Atmosphäre befand sich         und, dann ändert sich das Klima halt, wir
          Klimawandel, und warum soll-        Jahrtausende im Gleichgewicht. Und das        bekommen das schon irgendwie hin. Gute
          te mich das überhaupt küm-          bedeutet, dass die Klimaschwankungen          Idee, und, mit unseren technologischen Fä-
mern? Ich falle einfach mal mit der Tür       der vergangenen Jahrtausende auf all die      higkeiten ausgestattet, hätte auch ich vor
ins Haus: Ändert sich das Klima? Um es        anderen Faktoren zurückzuführen sind, die     250 Jahren gesagt: Ja, kein Problem. Aber
kurz zu machen, auf diese Frage gibt es       ebenfalls das Klima verändern können –        wir leben nicht mehr im 18. Jahrhundert.
nur eine korrekte Antwort, sie ist von al-    Vulkanausbrüche, die Sonne usw.               Wir sind nicht mehr weniger als zwei Milli-
len namhaften Wissenschaftlern weltweit                                                     arden Menschen auf dieser Erde. Wir kön-
in zigtausend unabhängig voneinander                                                        nen nicht mehr ins gelobte Land oder den
erstellten Forschungen bestätigt worden          »Jedes Jahr nach dem                       Wilden Westen auswandern, wenn es bei
und selbst sonst so zaudernde Politiker aus     Motto ‚Weiter wie bisher‘                   uns ungemütlich wird. Aktuell leben auf
allen Nationen der Erde stimmen dem zu:       wird unsere Lebensbedingun-                   dieser Erde 7,6 Milliarden Menschen, jeder
Der Klimawandel ist unstrittig. Wir können                                                  besiedelbare Platz des Planeten ist besie-
es messen, bereits seit vielen Jahren, und
                                              gen in der Zukunft deutlich                   delt, und in den nächsten 20 Jahren wer-
wir können auch seit vielen Jahren bewei-           verschlechtern.«                        den noch mal zwei Milliarden Menschen
sen, dass der Großteil der Veränderung                                                      dazukommen, also müssen wir, bildlich
vom Menschen verursacht wird. Unser               Jetzt aber erhöhen wir Menschen den       gesprochen, in zwei Jahrzehnten die Welt
moderner Lebenswandel, unser Energiever-      CO2-Gehalt der Atmosphäre, und deswe-         von 1930 noch mal zusätzlich dazubauen.
brauch, der uns unter anderem Wohlstand,      gen beginnt dieser Koloss, auf dem wir            Immer mehr Menschen benötigen im-
eine enorme technologische Entwicklung,       leben, sich ganz allmählich zu verändern:     mer mehr Energie, immer mehr Lebens-
ein längeres Leben und mehr Gesundheit        Die Luft wird wärmer, es steckt mehr Ener-    raum, immer mehr Lebensmittel und an-
gebracht hat, basiert darauf, dass wir in     gie in der Atmosphäre, dadurch kann mehr      dere Ressourcen. Das ist bereits eine kaum
kurzer Zeit Stoffe verbrennen, die die Erde   Wasser verdunsten, die Luftströmungen         zu bewältigende Aufgabe. Das Letzte, was
über Jahrmillionen mühsam gespeichert         können sich ändern, Unwetterereignisse        wir uns jetzt leisten können, ist ein Klima-
hat.                                          können häufiger und heftiger ausfallen        wandel: eine Situation, in der sich die Le-
    Beim Verbrennen entsteht CO2, genau-      als bisher, und sie können in anderen Re-     bensbedingungen ändern, weltweit, dass
so wie beim Ausatmen, und dieses CO2 ist      gionen stattfinden als bisher – das ist die   Regionen unbewohnbar oder unfruchtbar
in der Atmosphäre zunächst überlebens-        einfache Theorie.                             werden, weil es dort zu trocken, zu nass,

8     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
Wie wird das Wetter? FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von Kurhessen ...
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zu stürmisch, zu warm – einfach gesagt:
anders wird.
    Wir müssen mit unserem Planeten
achtsam umgehen. Weil wir sonst darauf
nicht überleben können. Und ich meine
wir, nicht die Kinder unserer Kindeskinder.
Der Wandel ist bereits im Gange. Wir erle-
ben Veränderungen, und es sieht so aus,
als wenn sich die Veränderungen beschleu-
nigen werden. Es ist unvorstellbar wichtig,
dass wir schnellstmöglich Weichen für
die Zukunft stellen. Jedes Jahr nach dem
Motto „Weiter wie bisher“ oder „Bisher
war doch auch alles gut“ wird unsere Le-
bensbedingungen in der Zukunft deutlich
verschlechtern. Und deswegen hat die
„Fridays for Future“-Bewegung recht, ha-
ben die Schüler recht, dass sie deutlichere
Weichenstellungen fordern.

Wir brauchen Entscheidungen

     Kein Mensch mag Veränderungen, be-
sonders wenn es grad so bequem ist. Mir
geht es dabei nicht anders, und in vielen
kleinen Entscheidungen versuche auch ich,
den Status Quo noch irgendwie zu erhal-
ten. Mein innerer Schweinehund ist aktiv,
und die inneren Schweinehunde werden
ganz bestimmt auch niemals Ruhe geben.
Aber wir können sie uns nicht leisten.
     Wir brauchen Entscheidungen, die in-
neren Schweinehunden keinen Raum mehr
geben, Entscheidungen, die wirklich dafür
sorgen, dass wir weniger CO2 verursachen:
durch eine Energiewende, durch eine nen-
nenswerte CO2-Steuer, damit jeder von
uns (finanziell) spürt, wenn er sich gera-
de nicht klimagerecht verhält. Wir müssen
unser Klima schützen, und wir müssen uns
gleichzeitig auf die Veränderungen einstel-
len.
     Das ist ein dickes Brett, das darauf
wartet, von uns durchbohrt zu werden. Wir
werden dabei eine Menge Fehler machen,
auch die Politik wird sich nicht immer
richtig entscheiden, denn gut gemeint ist
nicht immer gut gemacht. Aber wir werden
lernen und es besser machen. Wir müssen
nur anfangen. Und zwar jetzt. Sind Sie da-
                                              Foto: Adobe Stock

bei? l                      Thomas Ranft

                                                                  blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019   9
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                            „Gretas Mut und Kraft wirken ansteckend”
                                             Interview mit der landeskirchlichen Bildungsdezernentin OLKR Dr. Gudrun Neebe

                                               ?    Was fasziniert Sie
                                                    an der Person und
                                                an der Botschaft von
                                                                             nur um ihre eigenen Ziele. Aber es ist doch
                                                                             so, dass die Jugendlichen einfach genau-
                                                                             so gern in der Komfortzone leben wie wir
                                               Greta Thunberg?               Erwachsenen. Ich fände es spannend, mit
Foto: medio.tv/Schauderna

                                                Dr. Gudrun Neebe: Ich        ihnen über den Lebensstil zu diskutieren:
                            habe Greta im Fernsehen gesehen, als sie         Wie weit würdet ihr gehen, zu welcher
                            vor dem Klimagipfel in Katowice redete.          Konsequenz seid ihr bereit?

                                                                                                                                                                            Foto: epd-bild
                            Da stand eine 15-Jährige mit blonden
                            Zöpfen vor Politikern aus aller Welt und
                            vertrat ganz mutig ihre Position. Das hat
                            mich total beeindruckt – dieser Mut und
                                                                             ?   Wie sehen Sie das Schuleschwänzen
                                                                                 am Freitag?
                                                                                 Neebe: Für mich gehört die Teilnahme        Greta Thunberg (16) ist eine schwedische
                            die Kraft, mit der sie auftritt, wirken anste-   an den Freitags-Demos zur politischen Bil-      Klimaschutzaktivistin. Ihr Einsatz für eine
                            ckend. Man hat versucht, sie zu destruie-        dung. Die Jugendlichen müssen abwägen,          konsequente Klimapolitik findet internati-
                            ren, weil sie einen Asperger-Autismus hat.       was es ihnen wert ist, was sie riskieren. Es    onal Beachtung. Die von ihr ausgelösten
                            So what – das hilft ihr, ihre Position klar zu   wird sicher auch welche geben, die sich         „Schulstreiks für das Klima“ sind inzwischen
                            vertreten, weil sie sich nicht durch Emotio-     da einfach anschließen. Aber es gibt auch       zur globalen Bewegung „Fridays for Future“
                            nen irritieren lässt. Das hat der Leiter einer   viele, denen klar ist, dass sie das Versäum-    gewachsen. Mit Schulstreiks möchte sie er-
                            psychiatrischen Abteilung jüngst in einem        te nacharbeiten und eventuell eine Klas-        reichen, dass Schweden das Übereinkom-
                            Zeitungsartikel wunderbar erläutert.             senarbeit wiederholen müssen. Ich finde es      men von Paris einhält.
                                                                             gut, dass sie mit Entschiedenheit für diese         Als Repräsentantin der internationalen

                            ?    Halten Sie Greta für eine moderne
                                 Prophetin?
                                 Neebe: Manche sagen, aus Prophe-
                                                                             Thematik eintreten. Das macht uns Oldies
                                                                             wach, das brauchen wir dringend. Im Übri-
                                                                             gen hat das Bundesverfassungsgericht im
                                                                                                                             Klimaschutzbewegung wurde sie vom ameri-
                                                                                                                             kanischen Magazin Time in die Liste der 25
                                                                                                                             einflussreichsten Teenager des Jahres 2018
                            ten spricht die Stimme Gottes. Ich weiß es       sogenannten Brokdorf-Beschluss in den           und in die Liste der 100 einflussreichsten
                            nicht. Das weiß man ja oft erst hinterher.       1980er-Jahren geurteilt, dass jedem das         Persönlichkeiten des Jahres 2019 aufgenom-
                            Johannes der Täufer oder die Propheten,          Recht auf freie Meinungsäußerung und            men.
                            die wir aus dem Alten Testament kennen,          auf Versammlung zusteht.                            Kernposition Thunbergs ist, dass die
                            waren allesamt umstrittene Figuren. Das                                                          Politik viel zu wenig für Klimaschutz tue
                            hat Greta mit ihnen gemeinsam: Sie sagt
                            Dinge, die für viele richtig unangenehm
                            sind. Propheten sehen in die Zukunft. Aber
                                                                             ?   Ist „Fridays for Future“ eine Bewe-
                                                                                 gung, die langfristig Veränderungen
                                                                             bewirken wird?
                                                                                                                             und damit unverantwortlich handle, insbe-
                                                                                                                             sondere gegenüber jungen Menschen. Sie
                                                                                                                             fordert eine erhebliche Intensivierung der
                            man muss ja in der Klimadiskussion kein               Neebe: Pfarrerinnen und Lehrkräfte         Klimaschutzbemühungen weltweit und will
                            Hellseher sein, sondern es ist durch wis-        sagen mir: Die Jugendlichen sind total          so lange weiterstreiken, bis ihr Heimatland
                            senschaftliche Untersuchungen klar dar-          wach und merken jetzt, dass das, was hier       Schweden die Treibhausgasemissionen um
                            gelegt, dass es nicht mehr fünf vor zwölf        besprochen wird, tatsächlich mit ihrem          15 Prozent pro Jahr reduziert.
                            ist, sondern bereits mindestens fünf nach        Leben zu tun hat. Es ist unsere gemein-                                            Wikipedia
                            zwölf.                                           same Verantwortung, dass die Proteste
                                                                             nicht nur ein Hype sind, der sich wieder

                            ?   Die Wirkung ist enorm – viele Schü-
                                ler haben sich mit Schulstreiks an-
                            geschlossen.
                                                                             verflacht, sondern dass unsere Bildungsar-
                                                                             beit tatsächlich ernsthafte Schritte einlei-
                                                                             tet. Die Jugendlichen wollen die Erwach-
                                                                                                                                Neebe: Unsere Aufgabe ist es, vor-
                                                                                                                            bildhaft zu sein in der Art und Weise, wie
                                Neebe: Ja, das hat sich dank der sozia-      senen zwingen, ihre Verantwortung ernst        wir einkaufen, wie wir bauen, für was wir
                            len Medien ausgebreitet wie ein Lauffeuer.       zu nehmen und Schritte zum Klimaschutz         eintreten. Das werden die Menschen sen-
                            Die Jugendlichen kommunizieren mitein-           einzuleiten, die nachhaltig wirken. Die Be-    sibel wahrnehmen. Wir dürfen allerdings
                            ander und treten für diese Sache ein. Die        wegung darf keine Eintagsfliege werden.        nicht Wasser predigen und Wein trinken.
                            Aktionen von „Fridays for Future“ werden         Sonst bringen wir uns am Ende um und           Wir müssen wirklich dafür einstehen. Und
                            getragen von einer Generation, der man           machen unsere Welt völlig kaputt.              das ist manchmal nicht so ganz leicht, das
                            nachsagt, sie lebe doch nur fröhlich in der                                                     tut auch weh, denn damit sind deutliche
                            Komfortzone, ihr sei letztlich alles egal, sie
                            seien reine Egoisten, und es ginge ihnen         ?   Was können Kirche und Diakonie
                                                                                 gegen den Klimawandel tun?
                                                                                                                            Einschnitte verbunden. l
                                                                                                                                   Fragen: Lothar Simmank, Olaf Dellit

                            10     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
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                                                                                               Meeri Weiß bei der „Fridays for Future”-Demo in Kassel

Es ist ihr ernst mit dem Klimaschutz

                                                                                                                                                 Foto: medio.tv/Schauderna
Die Schülerin Meeri Weiß aus Gudensberg organisiert den Schulstreik in Kassel mit

N
        eben dem Café in der Gudensber-        wir jetzt nicht handeln, wann dann?“ Es         genannt worden, aber da stehe sie drüber.
        ger Innenstadt steht ein riesiger      blieben noch zwölf Jahre, dann könne der        Schwieriger werde es schon, wenn Freun-
        schwarzer SUV. Darauf prangt ein       Kipp-Punkt erreicht sein, nach dem die La-      dinnen sie und ihr Verhalten argwöhnisch
Aufkleber: „Feinstaub-Terrorist“. Meeri        ge unumkehrbar sein werde.                      beobachten: „Das tritt mich ziemlich tief“,
Weiß, die kurze Zeit später eintrifft, fände       Ein Vorwurf lautet, die jungen Leute        sagt Meeri, ihre Entschlossenheit bremst es
das vermutlich nicht witzig. Der 16-Jähri-     würden für Klimaschutz demonstrieren,           aber nicht, sie kämpfe weiter.
gen ist es, das wird sofort klar, ernst mit    aber munter um die Welt fliegen und                 Doch das Engagement für den Klima-
dem Klimaschutz, sehr ernst.                   durch ihren Lebensstil die Umwelt schädi-       schutz ist längst nicht nur anstrengend.
    Die Schülerin gehört zu dem Team, das      gen. Meeri Weiß ist seit eineinhalb Jahren      „Ich habe viele neue Freunde gefunden, es
Woche für Woche unter der Überschrift          Vegetarierin und erzählt von der Abhol-         eröffnet neue Welten“, erzählt Meeri. Und
„Fridays for Future“ Demonstrationen und       zung des Regenwaldes für die Rinder-            als bei einer Demonstration 2.500 Schüler
Schulstreiks in Kassel organisiert. Wie so     zucht. Vor ein paar Monaten ging sie einen      kamen, war das ein besonderer Moment:
viele ihrer Generation hat Meeri sich von      Schritt weiter und wurde Veganerin – im         „Das kann man nicht beschreiben, wie ich
Greta Thunberg (siehe linke Seite) beein-      Gudensberger Café bestellt sie grünen Tee.      mich gefühlt habe. Da kommen einem fast
drucken lassen. Ende Januar hatte sie ei-                                                      die Tränen.“
ne Rede der Schwedin gehört: „Das hat                »Hinter uns stehen                             Sie wundere sich manchmal selbst
mich irgendwie mitgezogen.“ Also nahm                                                          über das große Interesse, sagt Meeri. Für
                                                  23.000 Wissenschaftler.«
sie Kontakt zum Organisationsteam auf.                                                         sie gilt Klimaschutz im Großen – mit kon-
Wöchentlich treffen sich die jungen Leute,                                                     kreten Forderungen an Politik und Wirt-
aber auch an den übrigen Tagen der Wo-              Der jungen Frau ist klar, dass nicht im-   schaft – wie im Kleinen, etwa wenn sie
che sei sie mit dem Klimaschutz beschäf-       mer alles mit der besten Klimabilanz zu         genau aufpasst, was ihre Mutter einkauft.
tigt, sagt Meeri.                              schaffen ist. Sie wohnt in einem kleinen        Beruflich wolle sie nicht in die Politik, aber
    Die junge Frau redet schnell (und fragt    Stadtteil und muss sich manchmal mit            vielleicht Umweltwissenschaften oder et-
zwischendurch, ob es zu schnell sei) und       dem Auto fahren lassen, Busse und Züge          was Ähnliches studieren. Ihr Ziel klingt
pariert Argumente gegen die Bewegung           passen nicht immer. Doch gedankenlos            idealistisch, aber nicht naiv: „Die Welt ein
souverän. Dem Satz von FDP-Chef Lindner        ist sie nicht. Im Sommerurlaub will Meeri       bisschen besser machen.“
etwa, Klimaschutz sei etwas für Experten,      Weiß an die Ostsee reisen, mit dem Zug.             Auf die Frage beim Abschied, ob sie
entgegnet sie: „Hinter uns stehen mehr              Neben den pauschalen Vorwürfen             schnell mit dem Auto nach Hause gefah-
als 23.000 Wissenschaftler.“ Sie räumt         gegen die Bewegung wird die 16-Jährige          ren werden wolle, sagt sie: „Wenn ein Bus
ein, dass die Fridays-Bewegung ungedul-        auch persönlich manchmal angegriffen.           fährt, muss ich ihn auch nehmen.“ Und
dig sei, hält das aber für richtig: „Wenn      „Öko-Tussi“ sei sie in der Schule schon mal     geht zur Haltestelle. l          Olaf Dellit

                                                                               blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019           11
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Weiß kauft ein                                                       Ein Marktbummel mit
                                                                     dem Klimamanager

D
        er Tag beginnt mit einem kleinen                         ben und zieht ein religiöses Buch hinter
        Öko-Fauxpas: Weder Stefan Weiß                           dem Tresen hervor. Der Markt, sagt Weiß
        noch ich haben einen wiederbe-                           später, ist auch ein „soziales Ereignis“.
füllbaren Kaffeebecher dabei, also trinken                            Was bei Obst, Gemüse und Brot rela-
wir den Espresso aus dem Pappbecher. Im-                         tiv einfach geht, ist bei eingelegten Oliven
merhin, merkt Weiß an, sind die Stäbchen                         und Knoblauchpasten schwieriger: sie in
zum Umrühren aus Holz, nicht aus Plastik.                        mitgebrachte Gefäße zu füllen. Da wird
    Mit gutem Klima-Gewissen einkaufen,                          es mit der Hygiene kompliziert. Die Stadt
wer müsste das besser können als der Kli-                        Hanau wolle plastikfrei werden, erzählt
maschutzmanager der EKKW? Das war der                            Jörg Münster, der solche Dinge verkauft.
Ausgangspunkt für die Verabredung zum                            Er überlege nun, wie das gehen könne mit
gemeinsamen Marktbummel in Hanau, wo                             den Kundengefäßen. „Es gibt“, sagt er,
Pfarrer Stefan Weiß seit vielen Jahren lebt.                     „noch Diskussionsbedarf.“
Weiß ist mit dem Fahrrad zum Marktplatz                               Bei den Erdbeeren – natürlich aus der
gekommen, zwei Stoffbeutel hat er dabei.                         Region – muss Weiß die Tüte abwehren:
    An einem Obst- und Gemüsestand aus                           „Bitte kein Plastik!“ Er schiebt die Karton-
Oberissigheim lässt sich Weiß von Verkäu-                        schale in die Einkaufstasche und zieht
fer Andreas Mickau Äpfel und Paprika ab-                         weiter zum Wildfleisch-Stand. Er sei kein
wiegen, einzeln und unverpackt, versteht                         Vegetarier, esse aber selten Fleisch, und
sich. Das würden die meisten Kunden so                           dann sehr bewusst. „Mehr Bio als bei Wild-
machen, sagt Mickau.                                             fleisch geht nicht“, sagt Verkäuferin Anet-
    Stefan Weiß steuert auf den nächsten                         te Prasch. Günstig ist es allerdings nicht,
Stand zu und schwärmt unterwegs von                              Weiß zahlt für 100 Gramm Wildschwein-
den Forellen, die es dort zu kaufen gäbe.                        schinken mehr als vier Euro. Dafür sei es
Allerdings ist er an diesem Mittwoch gar                         aber das einzige Fleisch, das er diesmal
nicht da, an seiner Stelle steht ein Food-                       einkaufe.
truck für Hunde- und Katzenfutter.                                    Im Weltladen, in dem an diesem Tag
    Und dann wird es südhessisch. Der                            Karin Henschel und Gerhild Scharf ehren-
Pfarrer kauft Handkäs, der in beschichtes-                       amtlich Dienst tun, erwirbt Weiß Erdnuss-
tes Papier eingewickelt wird. Als der Voll-                      butter und eine Tafel Schokolade – aus
kornbäcker erfährt, dass ein Pfarrer bei                         fairem Handel natürlich. Richtig regional
ihm einkauft, erzählt er von seinem Glau-                        wird es dann ein paar Ecken weiter, wo die
                                                                 Kelterei Stier aus Bischofsheim seit 2016
                                                                 einen Laden betreibt. Apfelwein – hier sagt
                                                                 man „Äppler“ –, Cidre, Säfte, Kochkäse, Es-
                                                                 sig, alles selbstgemacht. Die Getränke gibt
                                                                 es in Pfandflaschen, die, wie Mitarbeiter
                                                                 Moritz Salewski erzählt, im Betrieb selbst
                                                                 gespült und wieder befüllt werden.
                                                                      Pfarrer Weiß packt die Einkäufe in die
                                                                 Satteltaschen seines Fahrrads um. Sein Fa-
                                                                 zit: Man brauche schon Zeit für den Wo-
                                                                 chenmarkt, räumt er ein. Und: „Der Markt
                                                                 ist nicht billig, aber man kauft gezielt und
                                                                 kleinere Mengen ein.“ Ihm sei klar, dass
                                                                 nicht jeder immer so einkaufen könne. Er
                                                                 sei nicht dogmatisch und nehme auch mal
                                                                 selbst eine Plastiktüte, wenn es nötig sei.
                                        Fotos: medio.tv/Dellit

                                                                 Aber eines erwarte er doch: Dass die Men-
                                                                 schen über ihr Einkaufsverhalten nachden-
                                                                 ken. l                           Olaf Dellit

                                                                 Beim Einkauf: (rechts von oben) am Gemüse-
                                                                 stand, beim Bio-Bäcker, am Erdbeerstand, Ka-
                                                                 rin Henschel und Gerhild Scharf im Weltladen
                                                                 sowie zweimal der Apfelwein-Laden
12
THEMA

Öko und fair muss es sein
Der Marburger Umweltbeauftragte Thomas Arndt
wurde für regionalen Einkaufsführer ausgezeichnet

D
        er terrassierte Garten am steilen     Nutzgartens auf dem weitläu-
        Marburger Schlossberg zeigt etwas     figen Grundstück rund um das
        von Thomas Arndts Leidenschaft:       Wohnheim am Ortenberg. Die
Möhren und Schwertlilien, Salat und La-       Studenten waren dankbar für
vendel – Nutz- und Zierpflanzen gedeihen      seine Tipps.
bunt gemischt. „Ich bin ja kein Gemüse-           Umfangreichere Hinweise
bauer”, lächelt der Landschaftsgärtner, der   für ein ökologisches und faires
seit 25 Jahren in der Calvinstraße wohnt.     Konsumverhalten gibt Thomas

                                                                                   Fotos: medio.tv/Simmank
Aber trotzdem probt er hier und anders-       Arndt mit seinem „Ökofairen
wo den Einstieg in die Selbstversorgung.      Einkaufsführer” für die Region
Zusammen mit 14 anderen „Urban Garde-         Marburg. Die Broschüre, die
ners” hat der 60-Jährige – ebenfalls am       neben vielen Adressen auch
Schlossberg – einen Gemeinschaftsgarten       Energiesparhinweise für Kir-
angelegt. Dort hat er seine erste Zucchini    chengemeinden enthält, ist
geerntet, wie er stolz erzählt.               nun schon in mehreren Aufla- Im heimischen Garten: „Gemüse selbst anbauen macht Spaß.”
    Aber es geht nicht allein ums Essen.      gen erschienen. Nicht zuletzt Den Einkaufsführer kann man downloaden unter http://univer-
Tieferer Sinn des Projekts ist ein sozialer   für dieses Werk wurde Arndt sitaetskirche.de/downloads/Oekofairer-Einkaufsratgeber.pdf
Prozess, erklärt Arndt. Einfach zusammen      im vergangenen Jahr mit dem
anbauen und ernten, wäre zu wenig. Arndt      Umweltpreis der Evangelischen Kirche von und kirchlichen Gruppen will er beidseitig
will in nachbarschaftlicher Harmonie die      Kurhessen-Waldeck ausgezeichnet.           abbauen. „Wichtig ist es, glaubwürdig zu
Natur im Garten erleben und begreifen.            Über den Kirchenvorstand der Universi- sein, dann klappt es mit gemeinsamen Ak-
„Das wäre eine tolle Idee auch für Kirch-     tätskirche kam er zu dem Job als Umwelt- tionen”, so Arndts Erfahrung.
gärten”, schwärmt Arndt.                      beauftragter. Sein Anliegen war es von         Als Gärtner beobachtet er seit einiger
    Seit 2005 ist er ehrenamtlicher Um-       Anfang an, im Sinne einer nachhaltigen Zeit mit Sorge die lauen Winter und die
weltbeauftragter im Kirchenkreis Mar-         Wirkung möglichst viele im Umweltbereich heißen Sommer. Klimaschutz und schad-
burg. Von seinen kreativen Ideen für ei-      tätige Akteure miteinander zu vernetzen. stofffreie Fortbewegung genießen für ihn
nen schöpfungsgemäßen Umgang mit den          Themenbezogene Gottesdienste in Zusam- deshalb Priorität. Seine nächste Vision: ein
Ressourcen der Natur hat er in dieser Zeit    menarbeit zwischen Kirchengemeinde und elektrisches Lastenrad für die Kirchgemein-
nicht wenige in die Tat umgesetzt. Gerade     Greenpeace, BUND und Foodsharing-Ini- de – „damit kann man auch im bergigen
berät er die Evangelische Studentenge-        tiativen gehören bei ihm deshalb fest ins Marburg viel ausrichten.” l
meinde (ESG) beim Anlegen eines kleinen       Programm. Berührungsängste von linken                                Lothar Simmank

Der ökologische
Fußabdruck

O
        b Lebensmittel, Kleidung, Energie
        und Baumaterial oder schlicht die
        Luft zum Atmen – unser ganzes Le-
ben hängt davon ab, was die Natur uns
bietet. Aber wie viel können die Ökosys-
teme uns zur Verfügung stellen? Und wie       „Brot für die Welt” hat einen interaktiven Test zum Thema „ökologischer Fußabdruck” entwi-
viel nutzen wir? Was müssen wir tun, da-      ckelt. Wer sich auf die Fragen einlässt, kann am Ende seinen persönlichen Fußabdruck in der
mit alle Menschen auf der Erde gut leben      Maßeinheit „globale Hektar“ (gha) ablesen. Zudem bekommt man einfache Tipps, wie man
können? Bei der Beantwortung der Fragen       seinen Fußabdruck verringern und so einen Beitrag zur Gerechtigkeit auf dieser einen Welt
hilft der ökologische Fußabdruck.             und zum Schutz der Erde leisten kann.        www.fussabdruck.de

                                                                             blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019         13
UNTERWEGS                                                                                                                                       EIN
                         Albanien: Das Nordkorea Europas?                                                                                                              SCHÖ
                                                                                                                                                                       URL A
                         Das Balkanland gehört zu den ärmsten Regionen, kann aber mit schöner Natur glänzen                                                               TA

                         A
                                  lbanien galt bis Anfang der            scheint an manchen Orten die Zeit stehen       dings frei laufenden, wachsamen Hütehun-
                                  1990er-Jahre als das Nordkorea         geblieben zu sein. Es gibt zwar eine neue      den. An stärker begangenen Routen, die
                                  Europas: abgeschottet, isoliert, re-   Straße, Gästehäuser und einige wenige          erst allmählich beschildert werden, findet
                         giert von einem Diktator, der aus Angst         Hotels und Restaurants. Geschäfte oder         sich gelegentlich auch ein aus Holzplan-
                         vor einem Angriff überall im Land Bunker        gar Andenkenläden aber sind weit und           ken zusammengehauener Unterstand, in
                         bauen ließ und sämtliche Religionen ver-        breit nicht zu finden.                         dem es für einen kleinen Obolus gekühl-
                         bot. Diese Zeiten sind Gott sei Dank längst         Ein Hotelier, der sogar deutsch spricht,   te Getränke gibt. Als nachhaltiger Kühl-
                         vorbei, doch haben die großen Reiseveran-       betreibt nebenbei eine kleine Forellen-        schrank dient ein Trog, gespeist mit eiskal-
                         stalter das Land – anders als etwa Kroati-      zucht und bringt die Fische abends frisch      tem Quellwasser. Und auf Nachfrage wird
                         en – noch nicht entdeckt.                       auf den Tisch. Butter und Marmelade beim       überall auch selbst gebrannter Schnaps
                             Schon die Anreise ist atemberaubend         Frühstück sind nicht in Plastik abgepackt.     angeboten.
                         schön: Nach zweieinhalbstündiger Fahrt          Und falls die Kuh des Butter- und Milchlie-        Anders als in manchen Teilen des
                         mit der Fähre „Alpin“ über den zu einem         feranten gerade ein Kälbchen bekommen          Balkans leben in Albanien Moslems und
                         langestreckten See aufgestauten Fluss           hat, muss auch schon mal mit Margarine         Christen in Frieden miteinander. Kirche
                         Drin taucht man hinter der kleinen Stadt        vorlieb genommen werden.                       und Moschee sind in den kleinen Orten
                         Bayran Curri in eine andere Welt ein. Da            Unterwegs in den Bergen und an de-         oft in Rufweite. Und obwohl die Musli-
                         die Grenzen zu den Nachbarstaaten Koso-         ren Fuße finden sich verwunschene Fried-       me in der Mehrheit sind, stehen in vielen
                         vo und Montenegro nicht weit sind, war          höfe wie aus alten Draculafilmen, verfal-      Städtchen Statuen der „Nationalheiligen“
                         es normalsterblichen Albanern früher ver-       lende Hausruinen, aber auch viele noch         Mutter Theresa. Auch der einzige interna-
                         boten, dorthin zu reisen. Und so kommt          in Betrieb befindliche kleine Höfe. Weiter     tionale Flughafen bei Tirana, der etwa die
                         der Fortschritt erst jetzt langsam hierher.     oben in den Bergen hausen Wölfe und            Dimension von Kassel-Calden hat, trägt
                         Im Valbonatal, wie sich die Gegend nennt,       Bären. Eher begegnet der Wanderer aller-       ihren Namen. l            Christian Prüfer

                                                      Valbonatal                                             Fähre über den Drin
Fotos: Chrstian Prüfer

                                                   Naturkühlschrank                                                     Abenteuerliche Wanderwege

                         14     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
N                                                                                                                              UNTERWEGS

ÖNER
AUBS-
AG

        Nordsee: Durchhalten auf dem Deich
        Wieso ein schöner Tag auch schmerzhaft sein kann – von den kleinen Momenten

        N
                ach zehn Kilometern formt sich        see, unter meinen Schuhen der Deich, vor      die Bude: Fischbrötchen! Und Cola! Die
                eine Frage: Kann ich den blick-Le-    mir Schafe, gegen mich der raue Wind –        beste der Welt!
                sern das hier wirklich als „schönen   großartig! Als ich hinter dem Schriftzug          Ein schöner Urlaubstag also? Jeden-
        Urlaubstag” schildern? Soeben hat mein        „das fröhliche Wellness-Hotel“ griesgrämi-    falls kein perfekter, dafür sind die Strapa-
        rechter Fußballen sein Veto gegen die         ge Gesichter beim Frühstück sehe, freue       zen zu groß. Aber ein Tag der vielen schö-
        Langstrecken-Wanderung eingelegt und          ich mich, draußen zu sein.                    nen Momente. Wie etwa, als mir auffällt,
        angekündigt, aus Protest nun eine Blase           Der Vorabend der ersten Etappe war        dass die für den Deich zuständige Stelle
        anzulegen. Der linke Fuß tut es ihm gleich.   wunderbar. Die Bahnfahrt bis Norddeich        Deichacht und nicht etwa Deichwacht
            Es ist einer dieser Pläne, die mit „Das   war reibungslos verlaufen, das Zelt stand,    heißt. Auf etwas achten, das klingt doch
        wollte ich schon immer mal machen“ be-        auf dem Campingplatz gab es eine gute         viel schöner als etwas zu bewachen.
        ginnen, aber häufig in diesem Stadium         Pizza – vor allem hatte ich Zeit und Muße,        Oder die Schafe und die kleinen Lämm-
        stecken bleiben. Ich wollte also schon lan-   eine gute Stunde am Meer zu sitzen, bis       chen, die zu Hunderten die Deiche bevöl-
        ge an der Nordseeküste von Norden-Nord-       die Sonne versunken war (Foto oben).          kern und den Weg freimachen, wenn man
        deich bis Wilhelmshaven wandern, mit              Doch nun Schmerzen, obwohl die Wan-       näher kommt. Nur die Halbstarken bleiben
        Zelt, Schlafsack, Isomatte und Klamotten      derschuhe eingelaufen sind. Vielleicht sind   stehen und starren mich unverwandt an
        auf dem Rücken. Kinderbetreuung war or-       die neuen, hochgelobten Wandersocken          – Showdown! Doch in letzer Sekunde su-
        ganisiert, Urlaubstage auch – also los! Das   doch nicht so gut oder einfach, wie Freun-    chen auch sie das Weite, jedes Mal. Oder
        einzige Problem: Wegen Feiertagen und         de später meinen, zu dick. Gegen Mittag       die aufflatternden gelben Vögel, die ich
        Familienfeiern blieben nur vier Wanderta-     steht ein Schild am Wegesrand, ein Weg-       mangels Fachwissen Zitronenfinken nenne
        ge für die 100 Kilometer, die erste Etappe    weiser zu einem Kiosk mit dem Zusatz:         (tatsächlich waren es wohl Schafstelzen).
        war mit knapp 35 Kilometern sehr ambi-        noch elf Kilometer bis Dornumersiel. Auf          Die kleinen Momente machen diesen
        tioniert geplant, vorsichtig ausgedrückt.     dem nächsten Wegweiser hat sich diese         Tag schön – vielleicht ist das wie im Leben
            Die ersten Schritte, die ersten Kilome-   Zahl auf 15 erhöht, was geografisch un-       überhaupt. Einer der schönsten: die Last
        ter laufen wie gewünscht: links die Nord-     sinnig, aber gute Werbung ist. Und dann       absetzen. l                     Olaf Dellit
                                                                                                                                                   Fotos: medio.tv/Dellit

                                                                                    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019         15
UNTERWEGS                                                                                                                                    EIN
                                                                                                                                           SCHÖ
Sich dem Wetter entgegenstemmen                                                                                                            URL A
Schritt für Schritt durch den tropfenden Zauberwald – Wandern in den Vogesen                                                                  TA

S
      o so, Sie möchten also von einem       Berge ideal; das ist ein Naturgesetz. Gut,     wo oben ankommen, den nassen Rindern

                                                                                                                                            Fotos: Adobe Stock
      schönen Sommertag in den Vogesen       ein heißer Tee ist getrunken, der Himmel       unter Bäumen beim Grasen zusehen.
      berichten? Na, da bin ich gespannt.    düster-bewegt. Vom puren Rumsitzen wird            Dann kommt Appetit auf. Nein, ei-
Als wir damals dort waren, hat es nur ge-    man auf der Hütte nicht warm. Und wer          gentlich ist es waschechter Bärenhunger
regnet.“ – Ich höre, was Sie denken, liebe   will im Juli gern morgens den Holzofen an-     je näher wir der Nachbarferme mit ihrem
Leserin, lieber Leser! Und ja, auch wenn     schmeißen?                                     reichhaltigen „Melkermenu“ kommen! Eine
ich dort bin, regnet es oft. Ich bin jedes        Raus geht es, mit allem am Körper, was    Stunde später und gestärkt durch Fleisch-
Jahr dort, und ich habe schon hinreichend    Rucksack und Fundus hergeben, Cape und         kuchen oder Kassler mit Sauerkraut, be-
Regen mitbekommen. Vielmehr, die impo-       Handschuhe willkommen, lange Unterho-          lohnt uns der Nachmittagshimmel mit ei-
santesten Regen-, Gewitter- und Weltunter-   sen nicht ausgeschlossen. Wohin? Eigent-       nem intensiven Regenbogen – ja gut, es
gangshagel-Tage habe ich tatsächlich in      lich egal. Die Sicht kann weit sein über die   plätschert halt noch immer von oben. Aber
den Vogesen erlebt, auf einer Höhe von       kahlen Höhen in die Ferne des Rheintals,       was für ein Anblick!
1.083 Metern in einer alten Ferme – so       hin zum Schwarzwald. Oder man erkennt              Müde Kinder werden ab nun mit Ge-
nennt man dort die Bauernhäuser –, die       die Hand vor Augen nicht, weil der Nebel       schichten bei Laune gehalten. Die Erwach-
früher auch eine Käserei war.                einen von jetzt auf gleich komplett einhüllt   senen wissen, dass zu Hause in Kürze ein
    Man mag mich eine Laune-Verderberin      und man Schritt für Schritt durch tropfen-     prasselndes Feuer und ein wärmender
nennen, denn „schöner Sommertag“ heißt       den Zauberwald tappt.                          Schnaps den wetterintensiven Marsch ab-
für mich nicht, dass kein Wölkchen den            Hauptsache, nun unterwegs zu sein         schließen werden. Und dann: das warme,
Himmel beflaggt. Oder dass man beim          und sich dem Wetter ein wenig entgegen-        trockene Bett! Herrliche Aussichten. Wenn
ersten Nieseln schon einen Flunsch zie-      zustemmen. Altbekannte Pfade bergauf,          dazu noch ein krachendes Gewitter die Ge-
hen muss. Es sind die Sommertage, die        den köstlichen Duft des Grüns einsau-          mütlichkeit steigert, das Trommeln aufs
vielleicht auf eine große Hitze folgen,      gen, Kräuter und Blüten intensiv riechen,      Blechdach in den Schlaf geleitet, träumt
oder die einfach von sich aus kühl und       dem federnden Boden aus Magerwiesen            es sich leicht: Vielleicht kommt morgen die
nass sind. Die feuchte Atlantikluft muss     oder Tannennadeln mit ebenso federnden         Sonne? l
sich hier halt abregnen, dazu liegen die     Wanderschuhschritten begegnen. Irgend-                                  Anne-Kathrin Stöber

16    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2019
N                                                                                                                              UNTERWEGS

ÖNER
AUBS-
                Mittsommer in Schweden
AG              Sich auf eine Jahreszeit so richtig freuen – das können die Nordländer am besten

        E
              in paar Mal haben wir es geschafft,    des Glas mittrinken, erleben eine heitere     scher Festtag, der der Schöpfung huldigt.
              punktgenau zum Mittsommerfest in       und freudige Stimmung, auch weil diese        Die Liebe zur Natur bekommt an diesem
              Schweden oder in einem anderen         Zeit die Einheimischen unmittelbar in die     Tag eine fast spirituelle Qualität, auch
        skandinavischen Land zu sein. Zur Som-       langen Sommerferien überleitet.               wenn sehr bodenständig gefeiert wird.
        mersonnenwende, die dieses Jahr auf               Was mir daran gefällt? Dass Mitt-            Die Festtagsatmosphäre an Mittsom-
        den 22. Juni fällt, herrscht dort immer      sommer in Schweden kein inszeniertes          mer hat für Urlauber allerdings auch ih-
        eine besondere Stimmung, die das ganze       Touristenevent und schon gar keine Ikea-      re Kehrseiten. Mir fällt der 24. Juni 2011
        Land verzaubert. So wie man sich bei uns     Verkaufsaktion ist. Dieser Feiertag gehört    ein: Ein falunrotes Holzhaus am See mit-
        auf weiße Weihnachten freut, fiebern die     ganz einfach zur Lebensart und wird von       ten im Wald – die Familie ist vollzählig
        Schweden ihrem Jahreshöhepunkt entge-        niemandem ignoriert. Die leergefegten         und freut sich an Räucherfisch, Kartoffeln
        gen. Nur ist der eben nicht mit Schnee       Städte beweisen es: Alle sind irgendwo auf    und Bier. Plötzlich jault der Hund auf, der
        und dem Stern in der Heiligen Nacht ver-     dem Land, sitzen an Bootsanlegern und         beim Stöbern im Garten offensichtlich
        bunden wie hierzulande, sondern gefeiert     auf Holzbänken unter wehenden Fahnen          mit der Schnauze auf eine Biene gesto-
        werden im Norden die grüne Natur und         und lassen es sich mit Familie und Freun-     ßen ist. Blitzschnell schwillt der Stich an.
        die Weißen Nächte, in denen die Sonne        den wohl sein.                                Sieht gefährlich aus – nichts wie hin zum
        nicht richtig untergeht.                          In einem Land, dessen Hauptstadt im      nächsten Tierarzt! Doch der ist nach einer
             Man kennt es aus Astrid Lindgrens Bü-   Winter bereits um drei Uhr nachmittags        rumpeligen Fahrt über Schotterstraßen
        chern und Inga Lindströms Filmen: „Mid-      dunkel ist, muss man sich über solche         nicht anzutreffen. „Geschlossen”, steht an
        sommar” ist Idylle pur. Erwachsene und       „Sonnenanbeter” eigentlich nicht wundern.     der Praxistür. Alles wie ausgestorben. Erst
        Kinder treffen sich am Maibaum, essen        Logisch, dass die Schweden ihre wenigen       nach längerer Recherche und Suchfahrt er-
        und trinken unter freiem Himmel. Es wird     hellen Sommernächte ausgelassen feiern.       reichen wir in der nahegelegenen Stadt ei-
        viel gelacht, müde ist auch um Mitternacht   Denn die einigermaßen warme Jahreszeit        ne Tierklinik, aber auch die hält an diesem
        noch keiner. Anrührend, wenn sich Mäd-       ist Ende August schon wieder vorbei. Das      Tag kein Personal vor. Nach zwei Stunden:
        chen zum Tanz bunte Blumenkränze ins         Wetter spielt für die Gemütslage eine gro-    Entwarnung, die Schwellung geht von al-
        Haar binden. Natürlich, es kann an Mitt-     ße Rolle. In der dunklen Jahreszeit ist die   lein zurück. Mittsommer kann nun auch
        sommer auch mal regnen. Und auch der         Winterdepression weit verbreitet. Das wah-    für den Hund zu einem entspannten Fest-
        Alkohol fließt in Strömen. Touristen, die    re Leben findet im Sommer statt. Und Mitt-    tag werden. l
        sich auf das Fest einlassen und nicht je-    sommer setzt den Startpunkt – ein kosmi-      Lothar Simmank

                                                                                                                                                  Fotos: Adobe Stock/privat

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