Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungs-initiative - Haftungsnorm im Einklang mit der schweizerischen Tradition
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Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungs- initiative – Haftungsnorm im Einklang mit der schweizerischen Tradition Franz Werro *% Die Konzernverantwortungsinitiative wie der Gegenentwurf bauen mit der Ge- schäftsherrenhaftung auf einer allgegenwärtigen und in ihrer schweizerischen Ausgestaltung im internationalen Vergleich zurückhaltenden Haftungsnorm auf. Die Übertragung dieser Haftung auf Konzernverhältnisse folgt sodann einem kla- ren in- wie ausländischen Trend. Beide Vorlagen erweitern hingegen den geltenden Haftungsrahmen auch im vorliegend menschenrechtlichen Zusammenhang nicht, sondern konkretisieren ihn lediglich. Die im Gegenentwurf verankerte Haftungsre- gelung fällt zudem auffallend einschränkend aus. Zu nennen ist neben dem Ent- scheid für den unternehmerischen Entlastungsbeweis auch jener für einen einge- schränkten Kontrollbegriff. Die Haftungsnorm steht somit im Einklang mit der schweizerischen Rechtstradition. Dabei wählt die Schweiz eine im internationalen Vergleich zurückhaltende Lösung. I. Einleitung.............................................................................................................429 II. Beurteilung in fünf Grundthesen ....................................................................... 430 1. Geschäftsherrenhaftung als im internationalen Vergleich allgegenwärtiges Haftungskonzept ............................................................................................ 430 2. Artikel 55 OR als im internationalen Vergleich unternehmensfreundliche Regelung........................................................................................................... 431 3. Übertragbarkeit der Geschäftsherrenhaftung auf Konzernverhältnisse als in- und ausländischer Trend ............................................................................. 433 4. Anwendung dieses Haftungskonzepts im menschenrechtlichen Zusammenhang – bescheiden bleibt bescheiden ........................................... 435 5. Gedanken zur konkreten Regelung – Zurückhaltung nicht übertreiben .......438 III. Zusammenfassung .............................................................................................. 440 Zitiervorschlag: Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungs- initiative – Haftungsnorm im Einklang mit der schweizerischen Tradition, in: sui-generis 2018, S. 428 URL: sui-generis.ch/85 DOI: https://doi.org/10.21257/sg.85 ____________________________ * Prof. Dr. iur. Franz Werro (Franz.Werro[at]unifr.ch), Professor für Obligationenrecht und Europä- isches Privatrecht, Universität Fribourg und Georgetown University Law Center (Washington, D.C.). Der Autor dieses Artikels war zur vorliegenden Thematik als Experte zur Anhörung der Rechtskommission des Ständerates vom 21. August 2018 eingeladen. Der vorliegende Beitrag gibt seine persönliche Auffassung wieder. Er dankt Frau Dipl. iur. Carola Göhlich, MLE, Assistentin an der Universität Fribourg, für ihre wertvolle Hilfe bei der sprachlichen Kontrolle des Manuskripts. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative I. Einleitung konzept wie die Initiative, enthält aber 1 bedeutende Einschränkungen. So sind Im Jahr 2015 lancierten rund 70 Nicht- grundsätzlich nur Unternehmen ab einer regierungsorganisationen eine eidgenös- bestimmten Grösse erfasst, und auch die sische Volksinitiative «Für verantwor- Haftungsregelung ist enger gefasst als je- tungsvolle Unternehmen – zum Schutz ne der Initiative (dazu im Anschluss).5 von Mensch und Umwelt» (kurz: Kon- zernverantwortungsinitiative)1. Im Jahr 3 Beide Vorlagen stützen ihre Haftungsre- 2016 wurde diese mit rund 120'000 gül- gelung auf die Geschäftsherrenhaftung. tigen Unterschriften eingereicht2. In Art. 55 Abs. 1bis E-OR des Gegenentwurfs Nachachtung internationaler Leitlinien sieht im Einzelnen vor, dass nach den verfolgt die Initiative das doppelte Ziel, Grundsätzen der Geschäftsherrenhaftung den internationalen Menschenrechts- ebenso Unternehmen haften, die nach und Umweltschutz bei wirtschaftlichen Gesetz zur Einhaltung der Bestimmun- Aktivitäten mit Auslandsbezug zu stär- gen zum Schutz der Menschenrechte und ken und dabei für mehr Rechtssicherheit der Umwelt auch im Ausland verpflichtet zu sorgen. Der rechtliche Grundrahmen sind. In Anlehnung an den bestehenden besteht darin, den Schweizer Unterneh- Art. 55 Abs. 1 OR6 haften sie «für den men für ihre Auslandstätigkeiten eine Schaden, den durch sie tatsächlich kon- Sorgfaltsprüfungspflicht aufzuerlegen trollierte Unternehmen in Ausübung ih- und sie bei einer Pflichtverletzung in be- rer dienstlichen oder geschäftlichen Ver- schränktem Umfang auch haftbar zu ma- richtungen durch Verletzung der Best- chen.3 immungen zum Schutz der Menschen- rechte und der Umwelt an Leib und Le- 2 Im Juni 2018 stimmte der Nationalrat ben oder Eigentum im Ausland verur- einem indirekten Gegenentwurf (in der sacht haben.» Die Unternehmen haften Folge: Gegenentwurf) seiner Rechts- kommission mit 121 zu 73 Stimmen bei 2 ____________________________ 5 Für die einzelnen Bestimmungen des Gegenent- Enthaltungen zu4. Zurzeit (Herbst/ wurfs vgl. zur Übersicht die Anträge der Kommis- Winter 2018) berät diesen die Rechts- sion für Rechtsfragen des Nationalrates [RK-N] kommission des Ständerates. Der Gegen- vom 4. Mai 2018 zur eidgenössischen Volksinitia- tive «Für verantwortungsvolle Unternehmen – entwurf stützt sich auf dasselbe Grund- zum Schutz von Mensch und Umwelt»: indirekter Gegenentwurf, die so unverändert vom National- ____________________________ rat verabschiedet wurden; zudem Zusatzbericht 1 Vorprüfung der Eidgenössischen Volksinitiative der Kommission für Rechtsfragen [RK-N] vom «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum 18. Mai 2018 zu den Anträgen der Kommission Schutz von Mensch und Umwelt» (BBl 2015 für einen indirekten Gegenentwurf zur Volksini- 3245). tiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – 2 Zustandekommen der Eidgenössischen Volksini- zum Schutz von Mensch und Umwelt» im Rah- tiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – men der Revision des Aktienrechts (in der Folge: zum Schutz von Mensch und Umwelt» (BBl 2016 Kommissionsbericht). 8107). 6 Dieser lauter wie folgt: «Der Geschäftsherr haftet 3 Zum Ganzen vgl. Art. 101a E-BV; zu den Erläute- für den Schaden, den sein Arbeitnehmer oder an- rungen der Initiative vgl. Verein Konzernverant- dere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstli- wortungsinitiative (Hrsg.), Erläuterungen zur chen oder geschäftlichen Verrichtungen verur- Eidgenössischen Volksinitiative «Für verantwor- sacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle tungsvolle Unternehmen – zum Schutz von nach den Umständen gebotene Sorgfalt ange- Mensch und Umwelt», 2017, S. 10 ff. wendet hat, um einen Schaden dieser Art zu ver- 4 SDA-Meldung vom 14. Juni 2018: Nationalrat hüten, oder dass der Schaden auch bei Anwen- will Konzerne in die Verantwortung nehmen. dung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.» sui-generis 2018, S. 429
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative nicht, «wenn sie nachweisen, dass sie die dabei erweitert oder präzisiert.9 Meine durch das Gesetz von ihnen geforderten Beurteilung beinhaltet fünf Grundthesen. Massnahmen zum Schutz der Menschen- rechte und der Umwelt getroffen haben, II. Beurteilung in fünf Grundthesen um einen Schaden dieser Art zu verhü- 5 Die Betrachtung folgt einem schrittwei- ten[.]» Sie haften auch dann nicht, wenn sie nachweisen, dass sie «nicht auf das sen Vorgehen: Sie beginnt mit der inter- Verhalten des kontrollierten Unterneh- nationalen Verbreitung der Geschäfts- mens, in dessen Zusammenhang die gel- herrenhaftung, führt über die Ausgestal- tend gemachten Rechtsverletzungen ste- tung von Art. 55 OR im Rechtsvergleich hen, Einfluss nehmen konnten.»7 und behandelt schliesslich die Übertrag- barkeit dieses Haftungskonzepts auf 4 Soweit ersichtlich haben sich bislang nur Konzernverhältnisse. Gestützt darauf vereinzelt Autoren mit haftpflichtrechtli- folgt eine Beurteilung der Haftungsrege- cher Spezialisierung mit der vorstehen- lung im menschenrechtlichen Zusam- den Haftungsregelung auseinanderge- menhang – zunächst im Allgemeinen setzt.8 Das überrascht: Denn die Haftung und dann mit einem Ausblick auf den ist ein zentraler und gleichzeitig der poli- konkreten Gesetzesentwurf. tisch umstrittenste Teil der Vorlage. An- gesichts der grenzüberschreitenden Aus- 1. Geschäftsherrenhaftung als im strahlung dieser Regelung und vor dem internationalen Vergleich Erfahrungshintergrund als Inhaber eines allgegenwärtiges Haftungskonzept Lehrstuhls für Privatrecht mit betont 6 Sämtliche der mir geläufigen Rechtsord- rechtsvergleichender Ausrichtung gehe nungen kennen eine Geschäftsherrenhaf- ich hier den Grundfragen nach, ob die tung oder funktional vergleichbare Insti- Haftungsregelung im internationalen tute.10 Diesen Haftungsnormen liegen Vergleich weit geht oder eingeschränkt primär die folgenden Rechtfertigungen ist und ob die Regelung den in der einer Schadensabwälzung zugrunde: Wer Schweiz bestehenden Haftungsrahmen ____________________________ 9 Für eine Einordnung aus Sicht des Internationa- len Privatrechts und Zivilprozessrechts vgl. u.a. die Quellen bei Geisser (Fn. 8), S. 946 ff. und ____________________________ 963 ff. 7 Art. 55 Abs. 1bis E-OR des Gesetzesentwurfs 10 Für einen Überblick Paula Giliker, Vicarious Lia- (Fn. 5). bility or Liability for the Acts of Others in Tort – 8 Vgl. für eine Einführung die Literaturhinweise bei A comparative perspective, Journal of European Gregor Geisser, Die Konzernverantwortungsiniti- Tort Law 2011, S. 31 ff.; Gerhard Wagner, Vicari- ative – Darstellung, rechtliche Würdigung und ous Liability, in: Arthur Hartkamp u.a. (Hrsg.), mögliche Umsetzung, AJP 8/2017, S. 943 ff. Towards a European Civil Code, 4. Aufl., The (953); vgl. auch Lukas Handschin, Konzernver- Hague u.a. 2011, S. 903 ff.; weiter auch Franz antwortungsinitiative – Gesellschaftsrechtliche Werro/Vernon Palmer/Anne-Catherine Hahn, in: Aspekte, AJP 8/2017, S. 998 ff. (der trotz Titel Franz Werro/Vernon Palmer (Hrsg.), The auch haftpflichtrechtliche Aspekte aufgreift, die Boundaries of Strict Liability in European Tort sich allerdings auf die Initiative beschränken und Law, The Common Core of European Private den damals noch nicht bestehenden Geset- Law, Bern u.a. 2004, S. 156 ff.; Franz Werro/ zesentwurf nicht beinhalten). Auch nach jenen Erdem Büyüksagis, The Bounds between Negli- Publikationen ist die haftpflichtrechtliche Ausei- gence and Strict Liability, in: Mauro Bussani/ nandersetzung mit dieser Thematik kaum reicher Anthony J. Sebok (Hrsg.), Comparative Tort Law: geworden. Global Perspectives, Cheltenham 2015, S. 218. sui-generis 2018, S. 430
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative eine andere Person kontrolliert, soll die immer wieder Modell gestanden für rich- Kontrolle über diese Personen auch zur terliche Fortbildungen, bis hin zu neuen Verhinderung von Schädigungen Dritter gesetzlichen Regelungen im Zusammen- nutzen (sog. respondeat superior). Wer hang mit Unternehmensrisiken. Promi- aus der Tätigkeit eines Anderen wirt- nentestes Beispiel einer solchen Rechts- schaftlichen Nutzen zieht, soll auch die entwicklung ist das Produktehaftpflicht- damit verbundenen Risiken von Schädi- gesetz.13 In die Reihe solcher Entwick- gungen Dritter tragen.11 lungen wäre auch die hier interessieren- de Vorlage einzuordnen, sollte sie der- 7 Allen Haftungsnormen ist dabei gemein, einst in Kraft treten. dass sie (1) eine spezifische Beziehung, typischerweise ein Subordinations- bzw. 2. Artikel 55 OR als im internationalen Kontrollverhältnis, zwischen der unmit- Vergleich unternehmensfreundliche telbar schädigenden Person und der Regelung haftpflichtrechtlich mitverantwortlichen 9 Bei einem Vergleich der Geschäftsher- Person, (2) eine auf Sorgfaltsverletzung renhaftung mit analogen Haftungsnor- beruhende Schädigung durch die kon- men sind international drei Modelle vor- trollierte Person und (3) einen funktiona- herrschend: (a) das französische Modell, len Zusammenhang zwischen der Schä- das sich an der Internalisierung von Ge- digung und der geschäftlichen Verrich- schäftsrisiken ohne individualisierbarem tung für die kontrollierende Person vo- Fehlverhalten des Geschäftsherrn orien- raussetzen.12 tiert und sich entsprechend als «respon- sabilité sans faute» versteht, (b), das Mo- 8 Auch der schweizerische Art. 55 OR folgt dell des anglo-amerikanischen Rechts- dieser Grundstruktur. Nicht zuletzt we- kreises, das unter dem breiten Dach einer gen ihrer bestechenden ratio legis und «vicarious liability» ebenfalls als eine den klaren Haftungsvoraussetzungen ist «strict liability» konzipiert ist, sowie (c) diese Norm, wie auch in anderen Staaten, das von der Schweiz übernommene deut- ____________________________ sche Modell, das sich als einfache Kau- 11 Für die Schweiz vgl. bereits BGE 50 II 469 E. 2 salhaftung nach wie vor am Grundsatz S. 470; weitere Hinweise bei Franz Werro, La responsabilité civile, 3. Aufl., Bern 2017, Rz. 497; der mangelnden Sorgfalt des Geschäfts- Walter Fellmann/Andrea Kottmann, Schweizeri- herrn orientiert.14 sches Haftpflichtrecht, Bd. I, Allgemeiner Teil sowie Haftung aus Verschulden und Persönlich- keitsverletzung, gewöhnliche Haftungen des OR, ____________________________ ZGB und PrHG, Bern 2012, Rz. 730 ff.; Christoph 13 Vgl. BGE 110 II 456 («Schachtrahmen»-Fall) mit Müller, La responsabilité civile extracontractuel- der Entwicklung bis hin zum Bundesgesetz vom le, Bâle 2013, Rz. 266; vertiefend vgl. Martin Pet- 18. Juni 1993 über die Produktehaftpflicht rin, Fortentwicklung der Geschäftsherrenhaftung (PrHG; SR 221.112.944); dazu vgl. Heinz Rey/ in der Schweiz, Zürich 2004, S. 21 ff.; rechtsver- Isabelle Wildhaber, Ausservertragliches Haft- gleichend statt vieler Phillip Morgan, Vicarious pflichtrecht, 5. Aufl., Zürich u.a. 2018, Rz. 1117 ff.; liability for Group Companies: the Final Frontier Müller (Fn. 11), Rz. 426; zur verbleibenden Be- of Vicarious liability?, Journal of Professional deutung von Art. 55 OR als Grundnorm etwa Negligence 4/2015, S. 289 f., m.w.H.; Siel auch Werro (Fn. 11), Rz. 499 f. Demeyere, Liability of a Mother Company for Its 14 Vgl. für eine Übersicht Wagner (Fn. 10), Subsidiary in French, Belgian, and English Law, S. 903 ff.; Giliker (Fn. 10), S. 32 ff.; auch Jaap European Review of Private Law 3/2015, S. 394 Spier (Hrsg.), Unification of Tort Law: Liability und 397, m.w.H. for Damage caused by Others, The Hague u.a. 12 So u.a. besonders prägnant Giliker (Fn. 10), S. 33. 2003, S. 3 ff. sui-generis 2018, S. 431
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative 10 Im Kern dieser Unterscheidung geht es lung – ohne klar individualisierbarem um die Frage, ob der ins Recht gefassten Fehlverhalten – auszeichnen.17 Zumin- Person (hier dem inländischen Unter- dest Ansätze einer etwas sorgfaltsunab- nehmen) eine Haftungsbefreiung durch hängigeren Organisationshaftung tragen Sorgfaltsbeweis offen steht oder nicht. das Projekt «OR 2020»18 und der Vor- Bei der schweizerischen Lösung ist ein entwurf eines Bundesgesetzes zur Revisi- solcher Befreiungsbeweis vorgesehen. on und Vereinheitlichung des Haft- Bei den schärferen Haftungen, die neben pflichtrechts («Widmer/Wessner»)19. dem anglo-amerikanischen Rechtskreis Zweimal hat der Bundesrat diese Ver- gerade auch in vielen kontinentaleuropä- schärfung allerdings nicht weiterver- ischen Ländern wie z.B. Frankreich, Bel- folgt.20 gien, Luxembourg oder Italien vorkom- men, fällt ein solcher hingegen weg. Sind 12 Indem die Konzernverantwortungsinitia- die vorstehenden drei Haftungsvoraus- tive wie der Gegenentwurf dem beklagten setzungen erfüllt, haftet die beklagte Per- Unternehmen nach wie vor einen Sorg- son ohne weiteres; eine Sorgfaltsverlet- faltsbeweis belassen, bauen beide Vorla- zung durch den Geschäftsherrn ist im gen folglich auf einer herkömmlichen Grundsatz nicht vorausgesetzt.15 und wirtschaftsfreundlichen Ausgestal- tung der Geschäftsherrenhaftung auf. Sie 11 In dieser Einordnung befindet sich die stützen sich zudem auf eine Regelung, Schweiz betreffend Schärfegrad somit die im internationalen Vergleich äusserst überspitzt gesagt im letzten Drittel der milde und bescheiden ausfällt. Staatengemeinschaft. Angesichts der von einer Sorgfaltsverletzung zunehmend unabhängiger verstandenen Geschäfts- herrenhaftung in Deutschland bewegt ____________________________ 17 So grundlegend schon Peter Jäggi ZSR 86/1967 sich die Schweiz europäisch gar in Rich- II, Diskussionsvotum am Schweizer Juristentag, tung Schlusslicht.16 So hat sich auch hier- S. 754 ff. zulande die Meinung durchgesetzt, dass 18 Als informativen Einstieg dazu vgl. www.or2020.ch; Walter Fellman/Christoph Mül- der Sorgfaltsbeweis ein Relikt einer stark ler/Franz Werro, Kommentierung zu Art. 46-63, am persönlichen Verhalten der Ge- in: Claire Huguenin/Reto M. Hilty (Hrsg.), Schweizer Obligationenrecht 2020 – Entwurf für schäftsherrin bzw. des Geschäftsherrn einen neuen allgemeinen Teil, Zürich 2013. angelehnten Konzeption ist. Diese passt 19 Im Vergleich mit den europäischen Entwicklun- schlecht zur heutigen Gliederung der Un- gen vgl. Franz Werro, The Swiss Tort Reform: a Possible Model for Europe?, in: Mauro Bussani ternehmungen, die sich durch eine starke (Hrsg.), European Tort Law, Bern 2007, S. 81 ff.; Konzentration der Entscheidungsbefug- zur Kritik am Sorgfaltsbeweis mit etwas anderer nisse und eine spezialisierte Arbeitstei- Begründung Roberto (Fn. 15), Rz. 08.60 ff.; ver- tiefend Oliver Waespi, Organisationshaftung, Bern 2005, passim. ____________________________ 20 Dass die Zeit für einen solchen Schritt hierzulan- 15 Vgl. prägnant Vito Roberto, Haftpflichtrecht, de offenbar noch nicht reif ist, hat der Bundesrat 2. Aufl., Bern 2018, Rz. 08.59; eingehender u.a. unlängst bekräftigt (vgl. Bericht des Bundesrates Giliker (Fn. 10), S. 31 ff., 37 f.; Demeyere (Fn. 11), vom 31. Januar 2018 – Modernisierung des All- S. 407; Morgan (Fn. 11), S. 276; Spier (Fn. 14), gemeinen Teils des Schweizer Obligationenrechts S. 63 ff. in Erfüllung der Postulate [13.3217] Bischof und 16 Vgl. zur zusehends strengeren Praxis in Deutsch- [13.3226] Caroni). Bereits den erwähnten Vor- land z.B. Nachweise bei Giliker (Fn. 10), S. 36 f.; entwurf «Widmer/Wessner» hatte der Bundesrat Wagner (Fn. 10), S. 911. nicht weiterverfolgt. sui-generis 2018, S. 432
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative 3. Übertragbarkeit der Geschäftsherren- 14 In der Schweiz steht die Diskussion an haftung auf Konzernverhältnisse als einem ähnlichen Punkt. Nach breit abge- in- und ausländischer Trend stützter und ganz vorherrschender 13 Zur punktuellen Relativierung von Haf- Lehrmeinung soll Art. 55 OR auch dann tungsschranken im Konzern gegenüber anwendbar sein, wenn nicht natürliche geschädigten Dritten – sei es allgemein Personen, sondern Unternehmen als ju- oder gerade auch im vorliegenden Zu- ristische Personen Geschäftsherr und sammenhang – richtet die neuere Lehre Hilfsperson sind (vgl. dazu den eindrück- ihren Blick zusehends auf die Geschäfts- lichen Fussnotenkatalog).23 Eine Über- herrenhaftung oder vergleichbare Insti- tragung folgt der Art. 55 OR zugrundelie- tute.21 In der internationalen Literatur genden Rechtfertigung, dass soweit herr- gewinnt diese Diskussion v.a. unter den schende Gesellschaften ihren Hand- Titeln «vicarious liability» bzw. «liability lungsspielraum durch den Einsatz von for the acts of others» an Schärfe. So be- abhängigen Gesellschaften ausweiten, sie fürwortet etwa die Doktrin in England, tional Litigation Against Multinational Corpora- Frankreich oder den Niederlanden aber tions: Prospects and Problems in the Courts of auch in anderen Staaten mit zunehmen- Netherlands, in: Kamminga Menno T./Zia-Zarifi Sman (Hrsg.), Liability of Multinational Corpora- der Deutlichkeit eine Übertragbarkeit der tions under International Law, The Hague 2000, Geschäftsherrenhaftung oder vergleich- S. 265 ff.; Cees van Dam, Tort Law and Human barer Institute auf Konzernverhältnisse. Rights: Brothers in Arms – On the Role of Tort Law in the Area of Business and Human Rights, Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass Journal of European Tort Law 2011, S. 221 ff., Klagen zur Anwendung dieser Ansätze 247 ff. 23 Vgl. Roland von Büren, Schweizerisches Privat- bislang noch die Ausnahme bleiben.22 recht Bd. VIII/6, Der Konzern, 2. Aufl., Basel u.a. ____________________________ 2005, S. 202 ff.; Hofstetter (Fn. 22), S. 239 ff.; 21 Dies in Abgrenzung zur Durchgriffshaftung, die Lukas Handschin, Der Konzern im geltenden als zu radikale Lösung zu Recht je länger je weni- schweizerischen Privatrecht, Zürich 1994, ger von Bedeutung ist: dazu treffend Geisser S. 344 ff.; Karin Beyeler, Konzernleitung im (Fn. 8), S. 953 f.; Rolf H. Weber/Rainer Baisch, schweizerischen Privatrecht, Zürich 2004, Liability of Parent Companies for Human Rights S. 272 ff.; Nina Sauerwein, La responsabilité de la Violations of Subsidiaries, 2015, S. 688 ff.; und société mère, Bern 2006, S. 89 ff.; Max Albers- im anglo-amerikanischen Rechtskreis in letzter Schönberg, Haftungsverhältnisse im Konzern, Differenzierung zu Recht auch vermehrt mit Ab- Zürich 1980, S. 174 ff.; Jean Nicolas stand vom sog. «Duty-of-Care-Konzept» hin zur Druey/Alexander Vogel, Das Schweizer Konzern- «vicarious liability» u.a. Morgan (Fn. 11), recht in der Praxis der Gerichte, Zürich 1999, S. 276 ff. S. 101; Gregor Geisser, Ausservertragliche Haf- 22 Zu dieser Diskussion vgl. aus der reichen Litera- tung privat tätiger Unternehmen für Menschen- tur allgemein statt vieler Demeyere (Fn. 11), rechtsverletzungen bei internationalen Sachver- S. 385 ff.; Morgan (Fn. 11), S. 276 ff. und halten – Möglichkeiten und Grenzen der schwei- S. 289 ff. (v.a. in der Ausgestaltung als «enterpri- zerischen Zivilgerichtsbarkeit im Verhältnis von se liability»); Karl Hofstetter, Sachgerechte Haf- Völkerrecht und Internationalem Privatrecht, Zü- tungsregeln für multinationale Konzerne – Zur rich u.a. 2013, S. 494 ff. Im Grundsatz so auch zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Mutterge- von der Praxis bejaht: vgl. Urteil des Bundesge- sellschaften im Kontext internationaler Märkte, richts (R. Inc. c. S. SA) vom 11. Juni 1992, in: Tübingen 1995, S. 119 ff. (S. 225 f.: Nachweise zu SZW 1993, S. 308. Als soweit ersichtlich einzig Deutschland mit Blick auf die Geschäftsherren- kritische Stimmen im vorliegenden Zusammen- haftung); und mit zusätzlich menschenrechtli- hang, allerdings ohne Bezug zur vorstehenden Li- chem Bezug: Weber/Baisch (Fn. 21), S. 685 ff.; teratur, Peter Böckli/Christoph B. Bühler, Zur Geisser (Fn. 8), S. 952 ff.; Liesbeth Enneking, «Konzernverantwortungsinitiative» – Rechtliche Corporate liability for violations of human rights Überlegungen zu den vier Forderungen der Eid- and the environment abroad: a comparative per- genössischen Volksinitiative «Für verantwor- spective, AJP 8/2017, S. 988 ff.; André Nol- tungsvolle Unternehmen von Mensch und Um- lkaemper, Public International Law in Transna- welt», Zürich u.a. 2018, S. 56 f. sui-generis 2018, S. 433
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative auch für die Handlungen in diesem er- schenden Gesellschaft eine mit der Stel- weiterten Handlungsbereich haftpflicht- lung einer Geschäftsherrin vergleichbare rechtlich mitverantwortlich sind (res- Möglichkeit zukommt, durch Beeinflus- pondeat superior).24 Als Haftpflicht- sung der abhängigen Gesellschaft eine rechtler lasse ich mich in diesem rechts- Schädigung Dritter zu vermeiden, ist die gebietsübergreifenden Thema von der zi- für eine Haftung nach Art. 55 OR erfor- tierten Konzernrechtslehre mit Nach- derliche faktische Weisungsmacht gege- druck davon überzeugen, dass die von ben. Das herrschende Unternehmen ist Art. 55 OR verlangte «ökonomisch- demnach dort, wo es eine einheitliche organisatorische»25 Subordination und Leitung durchsetzt (oder eben «tatsächli- die damit verbundene faktische Wei- che Kontrolle» ausübt), als Geschäftsherr sungsmacht zwischen Geschäftsherr und zu qualifizieren. In Bereichen hingegen, Hilfsperson in der Realität zunehmend welche nicht von der einheitlichen Lei- straff geführter Konzerne zwischen Mut- tung betroffen sind und wo das abhängi- ter- und Tochtergesellschaft typischer- ge Unternehmen autonom handelt, kann weise gegeben ist.26 In dieser Wirklich- diese Haftung nur ausnahmsweise und keit kann es etwa zu den Konzernlei- unter strengen Voraussetzungen, z.B. bei tungsaufgaben gehören, den abhängigen einer konkreten Weisungsvereinbarung, Tochtergesellschaften operationelle Vor- in Frage kommen. So in etwa dürfte das gaben zu Umsatz- und Ertragszielen oder enge Verständnis des Gesetzesentwurfs zur Produktion zu machen.27 auszulegen sein. Denkbar wäre es mit Lukas Handschin aber auch gewesen, auf 15 Mit der Formulierung «tatsächlich kon- das im Gesellschaftsrecht mittlerweile trollierte Unternehmen» in Art. 55 etablierte Kontrollprinzip abzustellen, Abs. 1bis E-OR entscheidet sich der indi- wonach zwar die Leitungsmechanismen rekte Gegenentwurf – in Anlehnung an eingerichtet sein müssen, die Leitung das im Konzernrecht an sich überkom- aber nicht unbedingt effektiv wahrge- mene Leitungsprinzip – für ein enges nommen worden sein muss.29 Der Ge- Verständnis einer haftungsrelevanten genentwurf enthält an dieser Stelle denn Kontrolle.28 Ein solches vertritt etwa Ro- auch eine deutliche Einschränkung zur land von Büren: Nur wenn der herr- Initiative, welche eine Kontrolle «fak- ____________________________ tisch auch durch wirtschaftliche Macht- 24 Vgl. treffend Handschin (Fn. 23), S. 347. ausübung» genügen lässt.30 Soweit mei- 25 Vgl. u.a. Rey/Wildhaber (Fn. 13), Rz. 1066, ne Ausführungen zur Kontrollvorausset- m.w.H.; Fellmann/Kottmann (Fn. 11), Rz. 739; Petrin (Fn. 11), S. 67 ff. zung. Damit komme ich zum Sorgfalts- 26 Beispielhaft für die vorstehende Literatur vgl. beweis. Handschin (Fn. 23), S. 349. 27 Vgl. etwa von Büren (Fn. 23), S. 57. Mischt sich die Konzernmutter (mittels ihrer Organe) dar- über hinaus in die konkret schädigende Hand- ____________________________ lung ein, indem sie z.B. spezifische, die absolut 29 Handschin (Fn. 23), S. 349 und 353; im vorlie- geschützten Rechtsgüter Dritter verletzende Wei- genden Verhältnis Ders. (Fn. 8), S. 1000 ff. (mit sungen erteilt, wird sie gar zur Geschäftsführerin dem Hinweis auf das Kontrollprinzip bzw. die und wäre unter Umständen direkt aus Art. 41 OR Konsolidierungspflicht nach Art. 963 OR als ob- haftbar; vgl. dazu Nachweise bei Geisser (Fn. 23), jektives und rechtssicheres Kriterium). S. 493 f. 30 Vgl. Art. 101a Abs. 2 Bst. a E-BV; zum Verständ- 28 Dazu auch Kommissionsbericht (Fn. 5), nis dieser Formulierung vgl. auch Erläuterungen Kap. 2.3.1. (Fn. 3), S. 43 f. sui-generis 2018, S. 434
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative 16 Zur Weiterentwicklung der Geschäftsher- ckelte curae, nämlich jene einer zweck- renhaftung unter dem Titel «sachgerech- mässigen Organisation. Eine dahinge- te[r] Haftungsregeln für multinationale hende Organisationshaftung hat sich et- Konzerne» ist die Stimme von Karl Hof- wa in der Produktehaftpflicht verfes- stetter am einschlägigsten. In seiner tigt.32 gleichnamigen Habilitation hat er die haftungsrelevanten Sorgfaltskriterien 18 Dementsprechend rege ich dazu an, die bei Konzernverhältnissen wie folgt um- vorliegende Haftungsregelung in einer rissen: «Der Sorgfaltsbeweis der Kon- eigenen Bestimmung unterzubringen zernmutter sollte sich auch im Zusam- und nicht, wie im Gegenentwurf, im be- menhang mit der Geschäftsherrenhaf- stehenden Art. 55 OR zu integrieren. Ei- tung am Begriff der ordnungsgemässen ne neue und separate Bestimmung soll Konzerngeschäftsführung orientieren. zwar weiterhin den Geist der Geschäfts- Diesen gilt es spezifisch auf die […] herrenhaftung atmen, in funktionaler Schutzinteressen ausservertraglicher Umsetzung aber ihre konzernspezifische Tochtergläubiger auszurichten. Dabei ist Ausgestaltung erhalten. der konkreten Ausgestaltung der Mutter- kontrolle über die Tochtertätigkeiten und 19 Als Zwischenfazit stelle ich fest, dass die der Voraussehbarkeit eingetretener Risi- Übertragung der Geschäftsherrenhaftung ken Rechnung zu tragen. Der Nachweis auf Konzernverhältnisse in adäquater der drei klassischen curae […] vermag Umsetzung sowohl in der Schweiz als aber grundsätzlich nicht zu genügen. Ge- auch im Ausland einem bereits im gel- fordert ist vielmehr Beweis dafür, dass tenden Recht angelegten, mehrheitsfähi- alle konzernorganisatorischen Möglich- gen Trend entspricht. Die zu beurteilen- keiten ausgeschöpft wurden, um eine op- de Vorlage baut somit auf einer sachge- timale Sicherheit der Tochtertätigkeiten rechten und bestehenden Rechtsgrund- zu gewährleisten (Konzernorganisati- lage auf. onshaftung).»31 4. Anwendung dieses Haftungs- 17 Bereits dem geltenden Recht von Art. 55 konzepts im menschenrechtlichen OR liegen demnach Konturen einer Kon- Zusammenhang – bescheiden zernorganisationshaftung zugrunde. Eine bleibt bescheiden Verantwortlichkeit des Mutterunterneh- 20 Die Konzernverantwortungsinitiative wie mens für die schädigenden Handlungen der Gegenentwurf stützen sich nach den ihrer Töchter nimmt dabei Abstand vom Gesagten auf eine adäquate Haftungs- klassischen Verständnis einer natürli- norm. In der Ausgestaltung bleibt Art. 55 chen Person als Hilfsperson und den da- OR dabei wegen dem Entlastungsbeweis rauf zugeschnittenen drei curae der als herkömmlich-zurückhaltend zu be- Sorgfalt in deren Auswahl, Instruktion zeichnen. Im menschenrechtlichen Zu- und Überwachung. Die Verantwortlich- sammenhang kann der Aufbau auf eine keit bezieht sich dagegen vornehmlich Geschäftsherrenhaftung, die dem beklag- auf die vierte vom Bundesgericht entwi- ____________________________ ____________________________ 31 Hofstetter (Fn. 22), S. 243 f., m.w.H. (Hervorhe- 32 So bereits seit BGE 110 II 456 («Schachtrah- bung hinzugefügt). men»-Fall). sui-generis 2018, S. 435
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative ten Unternehmen nach wie vor solchen pflicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu Entlastungsbeweis belässt, gleichwohl begegnen. Das geschickte Zusammen- seine Berechtigung haben. So steht der spiel von Gesellschafts- und Haftpflicht- entworfene Gesetzesrahmen inspiriert recht kann insoweit betont präventiv von den international anerkannten UNO- wirken.36 Diese Korrelation bringt das Leitprinzipien für Wirtschaft und Men- UNO-Hochkommissariat für Menschen- schenrechte (2011) auf zwei Beinen:33 rechte im aktuellen Bericht «The rele- vance of human rights due diligence to 1. Zunächst sieht er eine unternehmeri- determinations of corporate liability» wie sche Sorgfaltsprüfungspflicht vor, die folgt auf den Punkt: «Permitting a de- in voller Reichweite vorab in einer fense to liability based upon human gesellschaftsrechtlichen Berichter- rights due diligence activities could in- stattungspflicht mündet. 34 centivize companies to meaningfully en- 2. Bei Verletzung dieser Sorgfaltsprü- gage in such activities and have im- fungspflicht kennt die Vorlage zur portant preventative effect […].»37 staatlichen Durchsetzung und effek- 22 Gleichwohl vermag eine Bestimmung wie tiven Wiedergutmachung sodann ei- ne beschränkte Haftpflicht.35 die vorgeschlagene, die dem Entlas- tungsbeweis verhaftet bleibt, das vorste- 21 Die Verbindung dieser Sorgfaltsprü- hend skizzierte Gewand einer altherge- fungspflicht und Haftung erfolgt durch brachten und vergleichsweise harmlosen den erwähnten Entlastungsbeweis. Um Regelung nicht abzustreifen.38 Beschei- sich von Haftungsrisiken freizuhalten, den bleibt eben bescheiden. Ob die hat das Unternehmen die gesetzlich ge- Schweiz dieser sehr unternehmens- forderte Sorgfalt walten zu lassen. Hat es freundlichen Zurückhaltung auch im vor- diese Sorgfalt angewendet, kann es sich liegenden Zusammenhang treu bleiben von der Haftung entlasten. Diese haft- will, ist letztlich eine politische Frage. pflichtrechtliche Wirkung schafft für Un- 23 Meine weiteren Überlegungen gehen so- ternehmen den Anreiz, der gesellschafts- rechtlich verankerten Sorgfaltsprüfungs- dann der Frage nach, wie der Sorgfalts- massstab ausgestaltet sein soll: ____________________________ 33 Vgl. die vom UNO-Menschenrechtsrat am 21. Art. 716a E-OR (in Verbindung mit Art. bis März 2011 (UN Doc. A/HRC/17/31) verabschie- ____________________________ deten UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und 36 Statt vieler vgl. Van Dam (Fn. 22), S. 221 ff.; Eu- Menschenreche, 2011. Für diesen Leitlinien mit roparat, Recommendation CM/Rec(2016)3 of the Blick auf die Schweiz mitunter zugrunde liegende Committee of Ministers to member States on Schutzpflichten bei Handlungen von Schweizer human rights and business, 2. März 2016, Unternehmen (auch bei Auslandsaktivitäten) vgl. Ziff. 32 ff. Evelyne Schmid, Exigences internationales de 37 Report of the United Nations High Commissioner prendre des mesures législatives – La Suisse doit- for Human Rights (OHCHR), Improving ac- elle légiférer dans le domaine des «entreprises et countability and access to remedy for victims of droits humains»?, AJP 8/2017, S. 930 ff.; bezüg- business-related human rights abuse: The rele- lich Haftpflichtrecht vgl. Geisser (Fn. 23), vance of human rights due diligence to determi- Rz. 115 ff. und 203 ff. nations of corporate liability, 1. Juni 2018, UN 34 Vgl. UNO-Leitprinzipien (Fn. 33) 17 ff. mit Doc. A/HRC/38/20/add.2, Ziff. 29. Art. 716abis und Art. 961e E-OR des Gesetzesent- 38 Dessen ist sich bei rechtsvergleichender Betrach- wurfs (Fn. 5). tung offenbar auch das UNO-Hochkommissariat 35 Vgl. UNO-Leitprinzipien (Fn. 33) 26 mit Art. 55 für Menschenrechte bewusst: vgl. OHCHR Abs. 1bis + ter E-OR des Gesetzesentwurfs (Fn. 5). (Fn. 37), Ziff. 26 und 29 (ganzer Absatz). sui-generis 2018, S. 436
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative 55 Abs. 1bis E-OR) leitet die Unterneh- Anders liegen die Dinge in zentralistisch men zunächst zum Dreischritt an, (1) organisierten Bereichen des Konzerns, in Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf welchen die Mutter die Tochter im Detail Menschenrechte und Umwelt zu ermit- kontrolliert und daher auch in der Lage teln und einzuschätzen, (2) die nötigen ist, die weisungsmässige Abwicklung der Massnahmen umzusetzen und zu über- Geschäfte zu überprüfen.42 wachen sowie (3) darüber zu berichten. Diese Trilogie stützt sich auf die interna- 25 Diese Ausführungen sind vielverspre- tional anerkannten, sehr gut strukturier- chend und lohnen einer näheren Be- ten und praxisnahen UNO-Leitprinzipien trachtung. Im vorliegenden Beitrag bleibt für Wirtschaft und Menschenrechte.39 kein Raum für eine solche Vertiefung. Konzernspezifisch haben gewichtige Für meine Grundthese genügt die Fest- Stimmen in der Lehre gestützt auf ein- stellung, dass eine Konkretisierung der schlägiges Rechtsmaterial (darunter die gebotenen Sorgfalt in die vorskizzierte OECD-Leitsätze für multinationale Un- Richtung gehen kann und muss, um der ternehmen)40 dabei die folgende Sorg- in Art. 55 OR angelegten Konzernorgani- falts-Formel entworfen: Die unter den sationshaftung weitere Konturen zu ver- gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt leihen. So gesehen bildet die diskutierte im Konzern ergibt sich letztlich aus einer Vorlage einen gesetzlichen Grundrah- zweckmässigen, dem Verhältnis von men, der die spezifisch menschenrechtli- Kontrolle, Risiken und Mitteln entspre- chen Aufgaben der Leitungsorgane im chende Kompetenzaufteilung innerhalb Konzern weiter klärt, aber auch deren der Unternehmensgruppe, die organisa- Grenzen aufzeigt. Eine solche Gesetzge- torisch darauf abzielt, menschenrechtli- bung wäre somit der Rechtssicherheit che Beaufsichtigungslücken zu vermei- dienlich.43 den.41 ____________________________ 42 Vgl. aus dem Kreis dieser gewichtigen Stimmen 24 In dezentralen Konzernbereichen geht es u.a. Handschin (Fn. 23), S. 111 und S. 352 f. (all- demnach seitens der Konzernleitung um gemein); OECD-Leitsätze (Fn. 40), Erläuterun- gen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziff. 9 (zum ein sorgfältiges Monitoring der konzern- Gesamtmonitoring); Peter Forstmoser, Schutz weiten Gesamtstruktur verbunden mit der Menschenrechte – eine Pflicht für multinati- onale Unternehmen?, in: Angela Cavallo u.a. einer hinreichenden finanziellen, perso- (Hrsg.), Liber amicorum für Andreas Donatsch, nellen und technischen Ausstattung der Zürich u.a., 2012, S. 715 (zur Organisations- kontrollierten Gesellschaft und weniger pflicht) und S. 720; Ders., Corporate Social Responsibility, eine (neue) Rechtspflicht für Pub- um die Überwachung jedes Einzelrisikos. likumsgesellschaften?, in: Robert Waldburger u.a. (Hrsg.), Festschrift für Peter Nobel zum 70. ____________________________ Geburtstag, Bern 2015, S. 157 ff. und S. 175; von 39 Vgl. Fn. 30. Dazu Kommissionsbericht (Fn. 5), Büren (Fn. 23), S. 203 (zur haftungsrelevanten S. 5. Aufsichtspflicht der Konzernmutter); Hofstetter 40 Vgl. die OECD-Leitsätze für multinationale Un- (Fn. 22), S. 243 (Sorgfalts-Formel); Rey/ ternehmen, 2011. Dazu aktuell auch die de- Wildhaber (Fn. 13), Rz. 1103 (zur Vermeidung tailliertere OECD Due Diligence Guidance for Re- von Beaufsichtigungslücken); in gesamthaftem sponsible Business Conduct, 2018. Für mögliche Zusammenzug vgl. Geisser (Fn. 8), S. 957 f. (mit rechtliche Wirkungen dieser Leitsätze vgl. bereits Anwendungsbeispielen). Hans W. Baade, The Legal Effect of Codes of 43 Als Potenzial und Empfehlung in diese Richtung Conduct for Multinational Enterprises, German namentlich für civil-law-Staaten [wie der Yearbook of International Law 1979, S. 11 ff. Schweiz] vgl. auch OHCHR (Fn. 37), Ziff. 24 und 41 Vgl. die Verweise in der nachstehenden Fn. Annex I, Policy objective 14.2-3; aus der Lehre sui-generis 2018, S. 437
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative 26 Nach diesen Erkenntnissen muss ich als 27 Ausfransende Tendenzen dieser Haf- Haftpflichtrechtslehrer den mitunter tungsregelung sind entgegen gegenteili- schrillen und politisch anmutenden ger Bedenken45 auch insoweit keine aus- Stimmen entschieden widersprechen, die zumachen, als die Bestimmung nicht ins Feld führen, die Konzernverantwor- über den Konzern hinausgeht und als tungsinitiative wie der indirekte Gegen- solche keine Haftungswirkung in die Zu- entwurf schafften eine vollkommen neue lieferkette hat. In Art. 55 Abs. 1ter E-OR Haftungsgrundlage, was zu Rechtsunsi- ist dazu ausdrücklich vermerkt, dass «ein cherheit und einem massiv höheren Haf- Unternehmen […] ein anderes Unter- tungsrisiko führe.44 Die vorgesehene nehmen nicht allein deswegen [kontrol- Haftungsregelung erweitert nach dem liert], weil dieses von jenem wirtschaft- Gesagten den Haftungsrahmen nicht, lich abhängt». Eine haftungsrelevante sondern präzisiert ihn lediglich. Und wer Kontrolle ist damit ausserhalb rechtli- die Haftungsregelung mit Blick auf die cher und im Konzern auch tatsächlich angesprochenen Menschenrechts- und ausgeübter Kontrolle ausgeschlossen. Umweltgüter als ausufernd erachtet, Überschiessende Tendenzen einer Haf- überliest in Art. 55 Abs. 1bis E-OR das ge- tung hin zu Schädigungen durch Liefe- setzliche Erfordernis eines Schadens an ranten, wie sie etwa in der französischen «Leib und Leben oder Eigentum». Mit «Loi relative au devoir de vigilance des diesem rechtstechnisch wohl besser zu sociétés mères» im menschenrechtlichen bezeichnenden Personen- und Sachscha- Zusammenhang im Begriff der «relation den bleibt die eng verstandene Thematik commerciale établie» angelegt sind,46 be- haftpflichtrechtlich gefasst. Nur soweit inhaltet der Gegenentwurf nicht.47 die Verletzung der menschen- und um- weltrechtlichen Sorgfaltsprüfungspflicht 5. Gedanken zur konkreten Regelung zu derart handfesten Schädigungen an – Zurückhaltung nicht übertreiben privatrechtlich geschützten Gütern führt, 28 Die Rechtskommission des Ständerates ist sie haftungsrelevant. Die Regelung ist im Herbst 2018 auf den indirekten führt dementsprechend auch nicht etwa Gegenentwurf mit 9 gegen 2 Stimmen bei zu einem neuen internationalen Um- einer Enthaltung eingetreten. Gleichzei- welthaftungsrecht. tig hat sie in ihrer Medienmitteilung vom 17. Oktober 2018 verlauten lassen, die Arbeiten am vom Nationalrat verab- Nicolas Bueno, La responsabilité des entreprises de respecter les droits de l’homme – État de la ____________________________ pratique suisse, AJP 8/2017, S. 1023 f.; Enneking 45 Vgl. etwa Ehrat (Fn. 44). (Fn. 22), S. 996; Geisser (Fn. 8), S. 962; inner- 46 Neue Artikel L225-102-4, L225-102-5 im Code de halb der von SKMR/SIR (Hrsg.), mit Christine commerce, eingeführt durch Loi n° 2017-399 re- Kaufmann und Lukas Heckendorn Urscheler, in lative au devoir de vigilance des sociétés mères et ihrer Wiedergutmachungs-Studie [Access to des entreprises donneuses d'ordre vom 27. März Remedy – Study commissioned by the FDFA with 2017, in Kraft seit dem 29. März 2017. In Au- view to fulfilling Postulate 14.3663], 2017, Execu- seinandersetzung mit der konkreten Frage vgl. tive Summary, S. 10 und Bericht, S. 131 ff., darge- Stéphane Brabant u.a., The Vigilance Plan – Cor- legten Optionen, entspricht dieses Vorgehen dem nerstone of the Law of the Corporate Duty of Vi- vermittelnden Szenario C: Klärung statt Erweite- gilance, Revue Internationale de la Compliance, rung. Suppl., 2017, S. 2 f. 44 Vgl. z.B. Felix Ehrat, «Die Initiative ist eine Mo- 47 Vgl. explizit auch Kommissionsbericht (Fn. 5), gelpackung», NZZ online vom 8. November 2016. Kap. 2.3.1, dritter Absatz. sui-generis 2018, S. 438
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative schiedeten Text weiterzuführen48. Dieses bescheiden ausfällt und im Vergleich zur Vorgehen ist aus rechtlicher Sicht inso- Initiative deutliche Abstriche aufweist. weit zu begrüssen, als mit der Fortfüh- Eine weitere Ausdünnung könnte somit rung der Arbeiten legistische Präzisie- einen Rückschritt hinter das geltende rungen gemeint sind. Die eingangs wie- Recht bedeuten. Diese These beleuchte dergegebene Bestimmung von Art. 55 ich beispielhaft anhand des im Zuge die- Abs. 1bis E-OR ist lang, als solche schwer ser Abhandlung dargelegten Sorgfalts- lesbar und mitunter redundant.49 Kaum beweises: nachvollziehbar ist dabei, dass das gera- de im vorliegenden Zusammenhang emi- 30 Der Sorgfaltsbeweis ist wie erwähnt ein nent wichtige Wort «Sorgfalt» in der im Prinzip überkommenes Tatbestandse- deutsch- und französischsprachigen lement (vgl. Kap. II.2.). Ich plädiere des- Textfassung fehlt. Auch empfehle ich aus halb an sich dafür, darauf zu verzichten. den erwähnten Gründen (vgl. Kap. II.3), Hält der Ständerat dennoch am Sorg- die Haftungsregelung strukturell vom be- faltsbeweis fest, muss dieser zumindest stehenden Art. 55 OR abzukoppeln und vorbehaltlos beim Beklagten bleiben. Je- die gehaltvollen Aussagen von Art. 55 nen Stimmen, welche die Beweislast im Abs. 1bis E-OR stattdessen in eine eigen- Rahmen von Art. 55 Abs. 1bis E-OR statt ständige rechtsformneutrale Norm zu dem Unternehmen nun der geschädigten giessen. Im vorliegenden Grundsatz- Person auferlegen wollen,50 bleibt bei beitrag gehe ich legistischen Fragen nicht dieser Ausgangslage umso entschiedener weiter nach und gehe davon aus, dass die zu entgegnen: Die Geschäftsherrenhaf- zuständige Rechtskommission diese er- tung basiert auf dem Verständnis, dass folgreich bereinigt. sich der Geschäftsherr von einem schädi- genden Fehlverhalten seiner Hilfsperson 29 Einem Ansinnen nach Präzisierung kann durch einen Sorgfaltsbeweis haftpflicht- ich aus haftpflichtrechtlicher Sicht aber rechtlich distanzieren kann.51 Diesen dann nicht folgen, wenn damit weitere Sorgfaltsbeweis – oder eben Entlas- materielle Einschränkungen (so. z.B. tungsbeweis – hat systembedingt das eine Umkehr des Sorgfaltsbeweises zu- Unternehmen zu erbringen. Vorliegend lasten des Geschädigten; dazu sogleich) ist diese Beweislastverteilung umso vor- gemeint sind. Die Ausführungen haben dringlicher, als der Möglichkeit eines un- gezeigt, dass die Haftungsnorm in ihrer ternehmerischen Sorgfaltsbeweises im Konzeption (enger Kontrollbegriff, Fest- Gesamtkonzept betont präventive Funk- halten am Sorgfaltsbeweis) bereits jetzt tion zukommt (vgl. Kap. II.4. vorste- ____________________________ hend). 48 Medienmitteilung der RK-S vom 17. Oktober 2018: Kommission tritt auf den indirekten Ge- 31 Wer nun behauptet, der Entlastungsbe- genentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative ein. weis sei eine systemfremde unternehme- 49 Stellvertretend für die Redundanz z.B. die zwei- malige Erwähnung des Passus «Bestimmungen rische Last, die der Unschuldsvermutung zum Schutz der Menschenrechte und der Um- welt». Eine Norm mit komplexen Inhalten wie ____________________________ den vorliegenden über zwei Sätze und zehn Zeilen 50 Vgl. Hansueli Schöchli, Die Beweislast soll beim zu erstrecken, sprengt zweifellos den Rahmen ei- Kläger sein, NZZ online vom 28. Juni 2018. ner übersichtlichen und verständlichen Bestim- 51 In diesem Sinne treffend auch SKMR/SIR mung. (Fn. 43), Executive Summary, Rz. 21. sui-generis 2018, S. 439
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative widerspreche,52 irrt nicht nur zwischen schenrechtlichen Sorgfaltsprüfung Revi- Straf- und Haftpflichtrecht und verkennt sionsstellen zur Prüfung vorlegen, darf das erwähnte Konzept der Geschäftsher- nach meiner Auffassung ein Prüfbericht renhaftung. Er verschliesst die Augen vor allenfalls die Basis für eine tatsächliche massgeblichen Rechtstatsachen. So dürf- Vermutung der haftpflichtrechtlich gebo- te es dem Geschädigten kaum je möglich tenen Sorgfalt bilden, nicht aber jene für sein zu beweisen, dass das Unternehmen eine gesetzliche Vermutung.56 Eine er- die gebotene Sorgfalt hat walten lassen, folgreiche Zertifizierung sollte also nicht liegen doch die Beweise beim Unterneh- zu einer Umkehr des Sorgfaltsbeweises men und sind diese wegen der fehlenden zulasten des Geschädigten führen und prozessualen Herausgabepflicht gegen- ihm den Hauptbeweis auferlegen. Ent- über dem Beklagten für Aussenstehende schiede der Gesetzgeber anders, wäre das kaum je zugänglich.53 Der Geschädigte erwähnte Konzept der Geschäfts- hätte gegebenenfalls nicht nur den Be- herrenhaftung auf den Kopf gestellt. weis des Schadens, des widerrechtlichen Denn einer derart pauschalen, externali- Fehlverhaltens der Tochtergesellschaft, sierten «Checklisten-Prüfung» kann den mitunter heiklen Beweis der «tat- schlechterdings nicht die Fähigkeit zu- sächlich ausgeübten Kontrolle» sowie kommen, die haftpflichtrechtlich nach den notorisch schwierigen Beweis des den «konkreten Umständen»57 gebotene Kausalzusammenhangs zu erbringen. 54 Sorgfalt eines Unternehmens zu bestim- Er hätte darüber hinaus auch die kaum men. Das UNO-Hochkommissariat für zu erbringende Verletzung der gebotenen Menschenrechte spricht im vorliegenden Sorgfalt der Muttergesellschaft zu bewei- Zusammenhang denn auch treffend von sen. Eine erfolgreiche Klage bliebe so einer systemimmanenten «inappropri- faktisch unmöglich. ateness and unfairness of business enter- prises seeking to raise due diligence de- 32 Die in dieser Deutlichkeit erkannte Not- fenses in cases where superficial ‹check wendigkeit der konzeptuell vorgesehenen box› approaches to human rights due Beweislast muss, so meine ich, ihre Kraft diligence might be used as a reference auch gegenüber den im Kommissionsbe- point.»58 richt zum Gegenentwurf erwähnten Zer- tifizierungen behalten.55 Soweit Unter- III. Zusammenfassung nehmen dereinst etwa Teile einer men- 33 Die vorstehenden Thesen lassen sich ____________________________ 52 So etwa Ehrat (Fn. 44). demnach wie folgt zusammenfassen: 53 Zu den konkreten Beweisschwierigkeiten wegen fehlender Herausgabepflichten der Gegenpartei (1) Die Geschäftsherrenhaftung ist wie eingehend Geisser (Fn. 23), Rz. 423 ff. In anderen andere funktional vergleichbare In- Staaten wie Frankreich, England oder den Nie- derlanden bestehen hingegen grundsätzlich pro- ____________________________ zessuale Editionspflichten. 56 Zur Abgrenzung von tatsächlichen und gesetzli- 54 Zu den möglichen Beweisherausforderungen im chen Vermutungen vgl. Peter Guyan, in: Basler vorliegenden Zusammenhang vgl. u.a. Hofstetter Kommentar, Schweizerische Zivilprozessord- (Fn. 22), S. 240 ff. nung, 3. Aufl., Basel 2017, N. 13 zu Art. 157 ZPO. 55 Kommissionsbericht (Fn. 5), S. 6 (dort auch mit 57 Vgl. statt vieler Rey/Wildhaber (Fn. 13), Rz. 1087; dem Hinweis auf eine entsprechende «Vermu- Fellmann/Kottmann (Fn. 11), Rz. 753 zum dahin tung» der Anwendung der angewendeten Sorgfalt gehenden Wortlaut von Art. 51 Abs. 1 OR (Fn. 6). gemäss Art. 55 Abs. 1bis E-OR). 58 OHCHR (Fn. 37), Ziff. 29. sui-generis 2018, S. 440
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative stitute ein international allgegenwär- norm auf. Beide Vorlagen erweitern tiges Haftungskonzept. Sie bildet die den geltenden Haftungsrahmen Grundnorm für typische Unterneh- nicht, sondern präzisieren ihn. Das mensrisiken. Ihr liegt die bestechen- gilt auch im vorliegend menschen- de Rechtfertigung zugrunde, dass rechtlichen Zusammenhang. Indem wer aus der Tätigkeit eines Anderen sich die in dieser Regelung geschütz- wirtschaftlichen Nutzen zieht, auch ten Rechtsgüter auf «Leib und Leben die damit verbundenen Risiken von oder Eigentum» beschränken, blei- Schädigungen Dritter tragen soll. Als ben sie haftpflichtrechtlich im tradi- solche ist diese Haftung in der Ver- tionellen Sinne eingegrenzt und im gangenheit immer wieder Modell ge- Privatrecht eingebettet. standen für richterliche Fortentwick- lungen bis hin zu neuen Gesetzen. (5) Die im Gegenentwurf verankerte Haftungsregelung fällt dabei auffal- (2) Indem sowohl die Konzernverant- lend einschränkend aus. Sowohl der wortungsinitiative als auch der Ge- Entscheid für den Entlastungsbeweis genentwurf dem Unternehmen im als auch jener für einen mehrfach Klagefall einen Entlastungsbeweis eingeschränkten Kontrollbegriff füh- zur Verfügung stellen, bauen beide ren zu einer sehr zurückhaltenden Vorlagen mit Art. 55 OR auf eine im Haftungsnorm. Eine weitere Be- internationalen Vergleich äusserst schneidung dieser dünnen Vorlage – milde, unternehmensfreundliche Va- so etwa mit einer systemfremden riante der Geschäftsherrenhaftung Umkehr des Sorgfaltsbeweises zulas- auf. ten des Geschädigten – fiele hinter geltendes Recht zurück. (3) Die Übertragung dieser Haftung oder vergleichbarer Institute auf Kon- 34 Ein Zusammenzug dieser Grundthesen zernverhältnisse folgt wiederum ei- führt zum Schluss, dass der indirekte nem klaren in- und ausländischen Gegenentwurf den bestehenden Haf- Trend, der bereits im geltenden tungsrahmen nicht erweitert. Die Recht angelegt ist. Eine Übertragung Schweiz wählt mithin eine Lösung, die im rechtfertigt sich durch den schlagen- Einklang steht mit ihrer Rechtstradition. den Grundsatz, dass soweit herr- Dabei wählt die Schweiz eine im interna- schende Gesellschaften ihren Hand- tionalen Vergleich zurückhaltende Lö- lungsspielraum durch den Einsatz sung. Wenn unser Land in Nachachtung von abhängigen Gesellschaften aus- der UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft weiten, sie auch für die Handlungen und Menschenrechte mit dem Geset- in diesem erweiterten Handlungsbe- zesentwurf allenfalls eine international reich haftpflichtrechtlich mitverant- aktive Rolle übernimmt, dann besteht wortlich sind. diese lediglich in der Konkretisierung (4) Initiative wie Gegenentwurf bauen der bestehenden Haftungsgrundlagen demnach auf einer sachgerechten und nicht in der Erweiterung dieser. und in ihrer schweizerischen Ausge- staltung zurückhaltenden Haftungs- sui-generis 2018, S. 441
Franz Werro, Indirekter Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative 35 In diesem Sinne sollte es der Schweiz als Rechtsstaat kontinentaleuropäischer Prägung zumindest ein Anliegen sein, der bereits im geltenden Recht angelegten Konzernorganisationhaftung im be- schränkt menschenrechtlichen Zusam- menhang einen gesetzlichen Grundrah- men zu geben. Damit blieben wichtige und de lege lata weitgehend ungeklärte Fragen nicht alleine dem weiten Ermes- sen richterlicher Rechtsfindung überlas- sen. Die entworfene Gesetzgebung kann in beschränktem Umfang nicht nur den Menschenrechtsschutz stärken, sondern dient vor allem der Rechtssicherheit. Dieser Befund schweizerischer Zurück- haltung bezieht sich auf materielles Haftpflichtrecht. Das Prozessrecht war nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Unter Berücksichtigung des international notorisch beklagtenfreundlichen Zivil- prozessrechts der Schweiz dürfte die Vor- lage in einer Gesamtbilanz noch um Ei- niges bescheidener ausfallen. Von der mitunter befürchteten Klageflut ist bei nüchterner rechtlicher Betrachtung demnach nicht auszugehen. sui-generis 2018, S. 442
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