Industrie aktuell 1 2022 - WKO

Die Seite wird erstellt Jan Dietrich
 
WEITER LESEN
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
industrie aktuell                                                  1
                                                                2022

Industrieforum
Anstieg der Energiekosten muss gestoppt werden

Industriepolitik
Nichteisen-Metalle (NE) – unverzichtbar für unser aller Leben

Industriekonjunktur aktuell
Kostensteigerungen treffen die Industrie mit voller Wucht
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
Bundessparte Industrie (BSI)                             Industriewissenschaftliche Institut (IWI)             Industriellenvereinigung (IV)
Die Bundessparte Industrie der Wirtschaftskammer         Das Industriewissenschaftliche Institut (IWI) setzt   Die Industriellenvereinigung (IV) ist die freiwillige und
Österreich vertritt mit ihren Fachverbänden die          einen markanten industrieökonomischen For­            unabhängige Interessenvertretung der österreichi­
Interessen von mehr als 5.000 Mitgliedsunterneh­         schungsschwerpunkt in Österreichs Institutsland­      schen Industrie und der mit ihr verbundenen Sek­
men. In der österreichischen Industrie sind mehr als     schaft. Seit 1986 steht das Institut für die qua­     toren. Seit 1946 nimmt die IV an allen Gesetzwer­
440.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig.          litativ anspruchsvolle Verschränkung zwischen         dungsprozessen als anerkannter Partner der Politik
Die Industrieunternehmen Österreichs sind mit            Theorie und Praxis.                                   teil. Eine Bundesorganisation, neun Landesgruppen
einer Exportquote von 66 Prozent stark inter­            Das intensive Zusammenspiel unterschiedlicher         und das Brüsseler IV-Büro vertreten die Anliegen
national vernetzt. Die Bundessparte Industrie ist        Forschungsbereiche dient dazu, Produktions­           ihrer aktuell mehr als 4.400 Mitglieder aus produ­
nicht nur für eine aktive Mitgestaltung der öster­       strukturen systemorientiert zu analysieren und        zierendem Bereich, Kredit- und Versicherungswirt­
reichischen Industriepolitik zuständig, sondern auch     darauf aufbauend zukunftsweisende wirtschafts­        schaft, Infrastruktur und industrienaher Dienstleis­
für die Koordination und die inhaltliche Artikulierung   politische Konzepte zu entwickeln. Besondere          tung – in Österreich und Europa. Die IV-Mitglieder
aller industrierelevanten Interessen vor allem in der    Schwerpunkte finden sich in der Analyse lang­         repräsentieren mehr als 80 Prozent der heimischen
Kollektivvertragspolitik, im Umwelt- und Energie­        fristiger makroökonomischer Entwicklungsten­          Produktionsunternehmen. Ihr Anspruch an der
bereich, in der Forschungs- und Technologiepolitik       denzen sowie in der Untersuchung industrieller        Schnittstelle zwischen Unternehmen und Politik ist
sowie in der Infrastrukturentwicklung.                   Netzwerke (Clusteranalysen).                          es, mit innovativen Konzepten und Expertise Öster­
                                                                                                               reichs Gesellschaft zukunftsfit zu gestalten.

Bundessparte Industrie der                               Industriewissenschaftliches Institut                  Industriellenvereinigung
Wirtschaftskammer Österreich                             Mittersteig 10/4, 1050 Wien                           Schwarzenbergplatz 4, 1031 Wien, Österreich
Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien                        Telefon: +43 1 513 44 11-0                            Telefon: +43 1 71135 - 0
Telefon: 05 90 900-3460                                  Telefax: + 43 1 513 44 11-2099                        Internet: www.iv.at, www.facebook.com/
Telefax: 05 90 900-113417                                Internet: www.iwi.ac.at,                              industriellenvereinigung,
Internet: wko.at/industrie,                              E-Mail: office@iwi.ac.at                              www.twitter.com/iv_news
E-Mail: bsi@wko.at                                       Vorstand                                              E-Mail: office@iv.at
Bundespräsidium                                          Vorsitzender Hon.Prof. Dr. Wilfried STADLER,          Präsidium
Obmann Mag. Sigi MENZ, Ottakringer Getränke AG           Wirtschaftsuniversität Wien, Vorstandsvor-            Präsident Georg KNILL, Knill Gruppe
Stellvertreter Vorstandsvorsitzender KommR DI            sitzender des IWI                                     Vize-Präsidentin Dipl.-Ing. Dr. Sabine
Dr. Clemens MALINA-ALTZINGER, Reform-Werke               Mag. Markus BEYRER, Business Europe                   HERLITSCKA MBA, Vorstandsvorsitzende
Bauer & Co. Ges.m.b.H.                                   Dr. Wolfgang DAMIANISCH, Kassier des IWI              Infineon Technologies Austria AG
Stellvertreter GF Thomas SALZER,                         Mag. Christian DOMANY, Unternehmensberater            Vize-Präsident Philipp VON LATTORFF,
Salzer Papier GmbH                                       GF Mag. Andreas MÖRK, Bundessparte Industrie          Geschäftsführer Boehringer Ingelheim
kooptiert gem. § 63 (2) WKG:                             der Wirtschaftskammer Österreich                      RCV GmbH & Co KG Regional Center Vienna
COO Günter DÖRFLINGER, MBA, Christof                     Dr. Erhard FÜRST,                                     Vize-Präsident Dipl.-Ing. F. Peter MITTERBAUER,
Industries Global GmbH                                   Gen.-Sekr. Karlheinz KOPF, Wirtschaftskammer          Vorstandsvorsitzender MIBA AG
CEO Mag. Christian KNILL, Knill Energy                   Österreich, stv. Vorstandsvorsitzender des IWI
Holding GmbH                                             Gen.-Sekr. Mag. Christoph NEUMAYER                    Geschäftsführung
GD KommR Ing. Wolfgang HESOUN, Siemens AG                Industriellenvereinigung, stv. Vorstandsvor-          Generalsekretär Mag. Christoph NEUMAYR
Österreich                                               sitzender des IW                                      Vize-Generalsekretär Ing. Mag. Peter KOREN
Geschäftsführer                                          Vorst.dir. DI Dr. Manfred MATZINGER-LEOPOLD,          Vize-Generalsekretärin Dr. Claudia MISCHENSKY
Mag. Andreas MÖRK                                        Münze Österreich
                                                         FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. SCHNEIDER,
                                                         Industriewissenschaftliches Institut
                                                         Kuratorium
                                                         Vorsitzender Hon.Konsul KommR Veit
                                                         Schmid-Schmidsfelden, Rupert Fertinger GmbH
                                                         Dir. Mag. Dr. Johannes Turner,OeNB
                                                         Geschäftsführer
                                                         FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider
                                                         Wissenschaftlicher Leiter
                                                         Univ. Prof. DI Dr. Mikuláš Luptáčik

2     industrie aktuell | 2022 | 1
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
inhalt

                         editorial                                            konjunktur
                     Mag. Sigi Menz                                        Kommentar zur internationalen
                     Dramatische Lage am Energiemarkt                 4   Konjunkturentwicklung
                                                                           FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider 30
                         forum
                                                                           Kostensteigerungen treffen die Industrie
                     Anstieg der Energiekosten muss                        mit voller Wucht
                     gestoppt werden                                   6   Mag. Andreas Mörk                              32

                     Hohe Energiepreise als Gefahr für den
                                                                           konjunktur nach branchen
                     Industriestandort Österreich                   10
                                                                           Branchenübersicht                              34
                     Interview:                                            Gesamtindustrie                                35
                     „Ein Investitionsplan in der Höhe von                 Bergwerke und Stahl                            35
                     18 Milliarden Euro liegt vor.“                        Stein- und keramische Industrie                36
                     DI Mag. (FH) Gerhard Christiner, Technischer          Glasindustrie                                  36
                     Vorstand APG & Mag. Thomas Karall,                    Chemische Industrie                            37
                     Kaufmännischer Vorstand APG                    14     Papierindustrie                                37
                                                                           PROPAK – Industrielle Hersteller von
                                                                           Produkten aus Papier und Karton                38
                         politik
                                                                           Bauindustrie                                   38
                     Die Maritime Wirtschaft Österreichs                   Holzindustrie                                  39
                     in Zahlen                                     18     Lebensmittelindustrie                          39
                                                                           Textil-, Bekleidungs-,
                     Kommentar:                                            Schuh & Lederindustrie                         40
                     Bis hierher – und immer weiter?                       NE-Metallindustrie                             40
                     Dr. Wilfried Stadler, Vorsitzender                    Metalltechnische Industrie                     41
                     Industriewissenschaftliches Institut           20     Fahrzeugindustrie                              41
                                                                           Elektro- und Elektronikindustrie               42

                                                            inhalt
                     Interview:                                            Offenlegung, Impressum                         42
                     „Business as usual ist für die EEI nach wie vor
                     nicht in Sicht.“
                     Mag. Marion Mitsch, Geschäftsführerin FEEI     23

                     Serie: Nichteisen-Metalle (NE) –
                     unverzichtbar für unser aller Leben            24

                     Interview:
                     „Die NE-Metallindustrie trägt wesentlich zur
Fotos: beigestellt

                     Nachhaltigkeit und Klimaneutralität bei.“
                     KR DI Alfred Hintringer, Obman Fachverband
                     NE-Metallindustrie                             28

                                                                                                       industrie aktuell | 2022 | 1   3
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
forum                  kommentar

             Dramatische Lage am Energiemarkt

                       Erwartet wurde ein geordneter Einstieg in die Energiewende. Tatsächlich
                       ist die Industrie mit großen Sorgen hinsichtlich Versorgungssicherheit
                       und einer extrem volatilen Preisentwicklung konfrontiert.
                                                                                                  Autor: Mag. Sigi Menz

                       Für die Industrie war immer klar, dass die Ener­     war somit unausweichlich mit der Energiewende
                       giewende zu einer Verteuerung der Energiekosten      verbunden. In keiner Weise zu erwarten war aber
                       führen wird. Klar war auch, dass erneuerbare Ener­   der dramatische Anstieg an Energiekosten, der im
                       gieträger (Sonne, Wind, Wasserkraft) in ihrer Er­    Laufe des letzten Jahres zu beobachten war, und
                       giebigkeit relativ starken Schwankungen unter­       der sich zuletzt aufgrund des furchtbaren Ukrai­
                       liegen können – was im Jahr 2021 mit eine            nekrieges weiter beschleunigt hat. Die Energie­
                       Ursache für steigende Energiepreise war. Ein ge­     rechnungen haben ein Ausmaß erreicht, das die
                       wisses Maß an Kostendruck und Preisvolatilität       Liquiditätsreserven vieler Unternehmen in Re­
                                                                                              kordgeschwindigkeit aufsaugt
                                                                                              und so auch die dringend not­
                                                                                              wendigen Investitionen in neue
                                                                                              energiesparende Technologien
                                                                                              aufschiebt.

                                                                                             Angesichts dieser Situation ist
                                                                                             die Politik gefordert, alle verfüg­
                                                                                             baren Möglichkeiten zur Ein­
                                                                                             dämmung der überzogenen
                                                                                             Preisentwicklung einzusetzen
                                                                                             und gleichzeitig für eine höchst­
                                                                                             mögliche Versorgungssicherheit
                                                                                             zu sorgen.

                                                                                             Die österreichische Industrie
                                                                                             fordert seit langer Zeit eine stär­
                                                                                             kere Diversifizierung der Ener­
                                                                                             gieversorgung Österreichs und
                                                                                             eine Verringerung einseitiger
                                                                                             Abhängigkeiten. Die Politik hat
                                                                                             diesbezügliche Anstrengungen
                                                                                             bislang wenig unterstützt. Im
                                                                                             Gegenteil, sie hat unter Umwelt­
                                                                                             gesichtspunkten den verstärkten
                                                                                             Einsatz von Gas – als relativ
Mag. Sigi Menz,                                                                              umweltfreundlichem Primär­
                                                                                                                                   Foto: IV/Alexander Müller

Obmann der                                                                                   energieträger – aktiv gefördert
Sparte Industrie und                                                                         und dabei auf eine sinnvolle
Aufsichtsrat der                                                                             Ausweitung der Bezugsquellen
Ottakringer                                                                                  verzichtet. Damit besteht
Getränke AG
                                                                                             heute eine überproportionale

             4   industrie aktuell | 2022 | 1
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
kommentar                        forum

Abhängig­keit von Gasimporten aus Russland.
Diese Realität ist seitens der Politik zur Kenntnis            Die Politik ist gefordert, alle verfüg-
zu nehmen. Solange keine Alternativen zur                   baren Möglichkeiten zur Eindämmung
Verfügung stehen, kann und darf seitens der Politik
keine Einschränkung des Gasbezuges aus Russland
                                                                der überzogenen Preisentwicklung
erfolgen, da dies völlig unverhältnismäßig die              einzusetzen und für eine höchstmögli-
wirtschaftlichen Interessen Österreichs schädigt.            che Versorgungssicherheit zu sorgen.
Statt irrealer Sanktionsphantasien sollte die Po­
litik rasch und konsequent Maßnahmen setzen,
um kurzfristig Energiereserven aufzubauen und          handlungen durch die drohende Lohn-Preis-Spi­
mittelfristig Abhängigkeiten zu vermeiden. Damit       rale ebenso problematisch wie der dadurch
würde auch politisch ein viel stärkeres Signal an      generierte Abfluss an Kaufkraft ins Ausland und
Russland gesendet werden, als durch Sanktionen         die vielfach dramatischen Auswirkungen auf die
– die in der Art und Weise auf Dauer nicht durch­      Geldpolitik.
haltbar erscheinen. Zu diesen politischen Maß­
nahmen zählt einerseits die möglichst rasche           Was also kann – und muss – die Politik tun, um
Befüllung vorhandener Gasspeicher, andererseits        der Energiepreisentwicklung gegenzusteuern?
aber auch die Diversifizierung des Energieange­        Die Politik verfügt über ein umfangreiches Inst­
bots. Teil dieser Diversifizierung ist die Erschlie­   rumentarium, das sie einsetzen kann: Da zählt
ßung anderer Quellen für den Bezug von Erdgas,         die Strompreiskompensation für energieintensive
gleichzeitig auch die Implementierung der Strate­      Betriebe, das Aussetzen von Energiesteuern und
gien für Wasserstoff und grünes Gas sowie den          –abgaben, die Aussetzung der CO2-Bepreisung
weiteren Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung.           ohne Verzicht auf den Klimabonus sowie die rasche
Für entsprechende Energieprojekte muss es zu           Einrichtung des angekündigten Dekarbonisierungs­
einer deutlichen Beschleunigung der Genehmi­           fonds zur Unterstützung der notwendigen Inves­
gungsverfahren kommen. All dies sind keine in der      titionen für eine Transformation der Industrie zu
aktuellen Krise sofort wirkenden Maßnahmen, sie        erneuerbaren Energiequellen. Angesichts der
können aber die Energiemärkte beruhigen und            Marktsituation ist hier wohl nicht an ein entweder-
damit sogar kurzfristig preisdämpfend wirken.          oder dieser Maßnahmen zu denken, sondern ein
                                                       kumulierter Einsatz der Instrumente. Zudem muss
Der beispiellose Preisanstieg auf den Energie­         die Politik auf die schwierige Liquiditätslage der
märkten ist zerstörerisch: Er raubt den Unterneh­      Unternehmen reagieren, indem (wie in vergange­
men kurzfristig Liquidität und Wettbewerbsfähig­       nen Wirtschaftskrisen) staatliche Haftungen für
keit; er nimmt den Unternehmen aber auch jeden         Überbrückungsfinanzierungen gewährt werden
finanziellen Spielraum, die künftigen Kosten der       sowie das Instrumentarium der Kurzarbeit auch
Energiewende zu tragen. Wenn daher die Politik         für Zwangslagen aufgrund der gegenwärtigen
jetzt nicht an allen verfügbaren Stellschrauben        Lage am Energiemarkt zur Verfügung steht.
dreht, um die Energiepreisexplosion einzudäm­
men, führen alle Planungen über einen „European        In der gegenwärtigen Situation muss die heimische
Green Deal“ ad absurdum. Dafür sind dann schlicht      Politik rasch und konsequent jene wirtschaftspo­
keine Investitionsmittel mehr verfügbar. Ganz ab­      litischen Entscheidungen treffen, die den Bestand
gesehen davon, dass nur rasche Gegenmaßnah­            der Industrie in Österreich absichern hilft und damit
men ein volles Durchschlagen der Energiepreise         einerseits das hohe Niveau an Wertschöpfung, Be­
auf die Inflationsrate verhindern können; und eine     schäftigung und Einkommen absichert und ande­
aufgrund der Energiekosten explodierende Preis­        rerseits die Voraussetzungen für eine erfolgreiche
steigerung ist im Hinblick auf künftige Lohnver­       Energiewende bewahrt.

                                                                                       industrie aktuell | 2022 | 1   5
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
forum          energiekosten

               Anstieg der Energiekosten muss
               gestoppt werden
               Die aktuellen Entwicklungen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine
               haben die Energiepreise weiter in die Höhe schnellen lassen. Jetzt
               braucht es Lösungen!

              S
                     chon im vergangenen Jahr sind die Öl-, Gas-     zusammen Faktoren, die den Unternehmen
                     und Strompreise kontinuierlich gestiegen        Kopfzerbrechen bereiten und sie an ihre Grenzen
                     und erreichten Spitzenwerte. Der Krieg in       bringen. Die Betriebe fordern daher schnelle Hilfe
               der Ukraine hat nun weitere, massive Kosten­          und mittel- und langfristige Lösungen, um dieser
               steigerungen verursacht. Erdöl kostet derzeit         Spirale der Abhängigkeit entkommen zu können.
               ungefähr doppelt so viel, eine Megawattstunde         Eine sofortige Entlastung bei den Energiekosten
               Gas etwa sechsmal so viel als im Jänner 2021. Die     und eine Aufschiebung zusätzlicher Belastungen
               hohen Energiepreise stellen die Unternehmen vor       wird gefordert, um die Wettbewerbsfähigkeit und
               große Herausforderungen, denn der produzierende       bei vielen Betrieben sogar das Überleben zu
               Bereich ist mit einem Anteil von 40 Prozent der       sichern.
               größte Verbraucher von Gas in Österreich. Die
               Versorgungssicherheit mit Erdgas ist daher für die
                                                                     Embargo von russischem Erdgas ist
               gesamte Industrie ein zentrales Thema. Die
                                                                     ausgeschlossen
               Verteuerung von Erdgas treibt zudem den Preis
               für elektrischen Strom, da die Grenzproduktion        Ein Embargo von russischem Erdgas, wie von der
               von Strom mit Hilfe von Erdgas erfolgt. Der Anstieg   EU angedacht, hätte für die heimische Industrie
                                                                                                                          Foto: Pixabay

               des Erdgaspreises trifft also mittelbar auch viele    katastrophale Folgen. Derzeit verbraucht
               energieintensive Unternehmen, die selbst kein         Österreich gesamt rund acht Mrd. m³ Erdgas, davon
               Erdgas in der Produktion einsetzen. Alles             benötigt die Industrie rund drei Mrd. m³. Die

        6   industrie aktuell | 2022 | 1
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
energiekosten                                  forum

Energiekostenanstieg und Vergleich zu Mitbewerbern
                        Absoluter Energiepreisanstieg                       Energiekostensituation verglichen mit Mitbewerb aus Deutschland
                         (Angaben in Prozent, n=650)                                          (Angaben in Prozent, n=618)
            3%         2%                       3%                                   3%                                    1%
                                                                                                                                                             Sehr problematisch
                                                                                                                                   8%                        Problematisch
                                              16%
                                                                                                 23%
                                                             33%                  31%                                                                        Neutral
         31%                                                                                                                            29%
                            64%                                                                                                                              Vorteilhaft &
                                                                                                                         61%
                                                                                                                                                             Sehr vorteilhaft
                                                     48%                                      43%

        Energieintensive Industrie         Nicht-energieintensive               Energieintensive Industrie            Nicht-energieintensive
                                                  Industrie                                                                  Industrie

                                                                                                                                  Die Grafiken beinhalten Rundungsunschärfen
                                           Quelle: WKO Bundessparte Industrie und Abteilung für Umwelt- und Energiepolitik; IWI (2020) auf Basis der Statistik Austria (div. Jahre),
                                                                                                            Input-Output-Tabellen, Volkwirtschaftliche Gesamtrechnung 2019

95 % der Energieintensiven Industrie sehen den Energiepreisanstieg als problematisch oder sehr problematisch.
Den Vergleich mit Mitbewerbern in Deutschland schätzen 66 % so ein, in der Nicht-Energieintensiven Industrie sind es „nur“ 37 %.

       größten Verbraucher sind dabei die Papierindustrie,                      Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS ihre
       die Chemie/Petrochemie, die Eisen-/Stahlindustrie,                       BIP-Prognosen für 2022 – im Vergleich zur
       die Steine/Erden/Glasindustrie, die Nahrungs­                            Dezember-Prognose 2021 – um 0,6 bis 1,3 Pro-
       mittel­­
              industrie, der Bergbau und die NE-                                zentpunkte nach unten revidiert Dement­sprechend
       Metallindustrie.                                                         erwartet die OeNB ein BIP-Wachstum von 3,5 %
                                                                                (statt 4,3 %), das IHS 3,6 % (statt 4,2 %) und das
       Laut einer Kalkulation des Ökonomen Christian                            WIFO 3,9 % (statt 5,2 %). Die Inflation wird von
       Helmenstein für die Industriellenvereinigung                             allen Instituten kräftig nach oben revidiert. Laut
       würde ein Embargo für Energie und Rohstoffe 3,3                          WIFO soll die Wertschöpfung in der heimischen
       Prozent Wirtschaftsleistung bis Ende des Jahres                          Industrie daher im heurigen Jahr trotz sehr guter
       kosten, denn die Industrie wäre massiv                                   Auftragslage lediglich stagnieren.
       beeinträchtigt. Ein Lieferstopp von Erdgas hätte
       unterschiedliche Auswirkungen auf die Betriebe
                                                                                Internationaler Vergleich
       in verschiedenen Branchen. Für manche Firmen
       würde es eine gedrosselte Produktion bedeuten,                           Dass die steigenden Energiekosten die heimische
       andere könnten zwischenzeitlich gar nichts mehr                          Wirtschaft in Alarmbereitschaft versetzt,
       herstellen und müssten die Produktion einstellen.                        bestätigt auch eine Studie des Energieinstituts
       Ein Komplettausfall großer Betriebe, die andere                          der Wirtschaft (EIW) im Auftrag der
       Industriezweige mit ihren Waren versorgen, würde                         Wirtschaftskammer Österreich. Befragt wurden
       jedenfalls eine Kettenreaktion auslösen. Die                             dafür knapp 1.000 Betriebe quer durch die
       Effekte wären auch in anderen Branchen deutlich                          Branchen. Demnach sehen 83 Prozent den
       spürbar.                                                                 Anstieg der Energiekosten als problematisch oder
                                                                                sogar sehr problematisch – insbesondere auch,
                                                                                weil sie die Preissteigerungen nicht an ihre
       Schock für die Weltwirtschaft
                                                                                Kunden weitergeben können. Die massiven
       Vor Ausbruch des Russland-Ukraine-Konflikts                              Kostensteigerungen belasten dadurch die
       wurde erwartet, dass sich die weltweite Erholung                         internationale Wettbewerbsfähigkeit der
       im Jahr 2022 fortsetzen würde. Doch der Krieg in                         heimischen Industrie, denn die Energieversorgung
       der Ukraine hat einen neuen negativen Schock für                         verteuert die Herstellungskosten. Es braucht jetzt
       die Weltwirtschaft ausgelöst, genau zu einem                             dringend Entlastungen, um zu verhindern, dass
       Zeitpunkt, an dem die Herausforderungen durch                            der Standort Österreich auf Dauer unattraktiv
       die Corona-Pandemie abzuflauen schienen. Für                             wird. Dies gilt insbesondere für energieintensive
       Österreich haben die OeNB sowie die beiden                               Branchen.

                                                                                                                           industrie aktuell | 2022 | 1        7
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
forum              energiekosten

        Zurückstellung von Investitionen in Forschung und Entwicklung (n=624)

                Information & Consulting            13%             20%                              53%                              13%

               Tourismus & Freizeitwirts.              21%              11%           18%                24%                  26%

                                                                                                                                                         Trifft definitiv zu
                     Transport & Verkehr       6%          13%          16%                        43%                          22%
                                                                                                                                                         Trifft eher zu

                                  Handel 3%             16%                   21%                   36%                         24%                      Trifft eher nicht zu
                                                                                                                                                         Trifft nicht zu
                   Gewerbe & Handwerk                16%          11%           13%                  43%                          17%                    Keine Angbae

              Nicht-energieintensive Ind.     4% 4%              24%                                 64%                                    4%

               Energieintensive Industrie           16%                18%                  24%                      37%                    4%

                                              0%                 20%                  40%            60%               80%                  100%

                                          Quelle: WKO, IWI (2020) auf Basis der Statistik Austria (div. Jahre), Input-Output-Tabellen, Volkwirtschaftliche Gesamtrechnung 2019

                   Österreich hat in den vergangenen 20 Jahren                                    Märkten auf. Seit Herbst 2021 werden diese
                   stark von der deutschen Energiewende und auch                                  ‚Spreads deutlich größer.
                   der Liberalisierung des Strommarktes profitiert.
                   Die heimische Industrie und das Gewerbe haben                                  Der zusätzliche Kostendruck im internationalen
                   sich dank EU-weiter Öffnung des Markts rund                                    Standortwettbewerb lässt sich anhand der
                   10 Prozent an Stromkosten erspart. Vor allem                                   Antworten der Befragten der WKO-Studie klar
                   die strompreisdämpfenden Effekte des starken                                   differenzieren: Gegenüber Mitbewerbern in
                   Ausbaus von Windkraft und Photovoltaik in                                      Deutschland bewertet jeder zweite Betrieb die
                   Deutschland führten im Zeitraum zwischen 2000                                  Situation als problematisch oder sogar sehr
                   und 2020 zu einer gesamten Einsparung von 26                                   problematisch. In der energieintensiven Industrie
                   Prozent. Wie Studien der Österreichischen                                      sehen das sogar zwei Drittel der Unternehmen
                   Energieagentur zeigen, hat sich die Situation in                               so. Gegenüber anderen EU-Staaten liegen die
                   den vergangenen Jahren jedoch stark verändert.                                 Werte bei 58 Prozent (alle) und bis zu 71 Prozent
                   Heute ist der Strompreis in Österreich – besonders                             (Industrie und energieintensive Industrie).
                   im Winter – sehr oft deutlich höher als im                                     Verglichen mit dem außereuropäischen
                   Nachbarland Deutschland. Bis Oktober 2018                                      Mitbewerbern, bewerten insgesamt 58 Prozent,
                   hatten Österreich und Deutschland die gleichen                                 und sogar 78 Prozent aus der energieintensiven
                   Strompreise im Großhandel. Die gemeinsame                                      Industrie die Situation als problematisch oder
                   Strompreiszone wurde dann getrennt, seitdem                                    sehr problematisch.
                   treten Preisunterschiede zwischen den beiden
                                                                                                  Investitionen gehen zurück
        Abdeckung Strombedarf durch Eigenerzeugung*
                                                                                                  Diese aktuellen Entwicklungen führen in den
             50%
                                                                                                  Betrieben auch zu unerfreulichen Folgewirkungen
             40%                                                                                  im Investitionsverhalten, nicht zuletzt da
             30%                                                                                  wesentlich mehr Mittel für die Energieversorgung
             20%
                       47%                                                                        aufgewendet werden müssen: 40 Prozent geben
                                    36%
                                                                                                  in der WKO-Umfrage an, dass die Situation
             10%
                                                       7%
                                                                                                  negative Auswirkungen auf ihre Investitions­
                                                                     4%             6%
              0%
                      Nein        Ja, 1 bis         Ja, 26 bis   Ja, 51 bis       Ja, 76          tätigkeit im Kerngeschäft hat, in der energie­
                                    25 %               50 %         75 %        bis 100 %         intensiven Industrie sind es sogar knapp 50
                Quelle: WKO, Statistik Austria, Konjunkturstatistik, Sonderauswertung in          Prozent. Auch Investitionen in Forschung und
            Kammersystematik, endgültige Werte bis 2020 & vorläufige Werte für 2021
            * Deckt Ihr Unternehmen einen Teil des Strombedarfs durch Eigenerzeugung              Entwicklung sind betroffen – 27 Prozent generell
              aus erneuerbaren Quellen (z.B. PV, Wasserkraft, Produktions-Reststoffe,...)         und 34 Prozent der energieintensiven Industrie

        8      industrie aktuell | 2022 | 1
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
energiekosten                                forum

Zurückstellung von Investitionen in Klimaschutz/Dekarbonisierung (n=628)

   Information & Consulting               19%            13%          19%                             44%                  6%

   Tourismus & Freizeitwirts.              22%                 16%               19%                  30%            14%

                                                                                                                                           Trifft definitiv zu
        Transport & Verkehr          9%           20%                20%                        39%                  13%
                                                                                                                                           Trifft eher zu

                     Handel     5%               26%                       26%                         30%            12%                  Trifft eher nicht zu
                                                                                                                                           Trifft nicht zu
      Gewerbe & Handwerk                  18%              20%         10%                      38%                  14%                   Keine Angbae

  Nicht-energieintensive Ind.   4%         9%            24%                                     61%                            1%

   Energieintensive Industrie             17%            18%                21%                         39%                6%

                                0%                 20%                40%                 60%                 80%           100%

                            Quelle: WKO, IWI (2020) auf Basis der Statistik Austria (div. Jahre), Input-Output-Tabellen, Volkwirtschaftliche Gesamtrechnung 2019

       bringen die Tendenz zum Aufschub von                                            dem EU-Beihilfenrecht.
       Investitionen zum Ausdruck.                                                     N Die Mehrzahl der EU-Staaten hat die
                                                                                       Strompreiskompensation bereits umgesetzt.
                                                                                       N Ersetzt der Industrie anteilig die im Strompreis
       Ausbau der erneuerbaren Energie
                                                                                       bereits bezahlten CO2-Kosten.
       Neben der Suche nach neuen Lieferanten für die                                  N Diese Maßnahme kostet rund 150 Mio Euro
       bis auf weiters benötigten Mengen an Erdgas,                                    (nachträglich für 2021), 300-450 Mio Euro für
       steht natürlich auch der Ausbau der erneuerbaren                                2022 (Grund für die Steigerung ist der dramatisch
       Energie im Fokus. Doch die Transformation des                                   gestiegene CO2-Preis).
       Energiesektors geht nicht von heute auf morgen                                  N Betriebe müssen erhaltene Beihilfen anteilig
       und kostet zudem auch Geld. Der Anteil der                                      wieder in Umweltmaßnahmen investieren.
       erneuerbaren Energie in der österreichischen
       Industrie liegt bei 45 Prozent bezogen auf den                                  Dekarbonisierungsfonds zur Beschleunigung von
       Endenergieverbrauch. Laut Berechnungen des AIT                                  Klimaschutzmaßnahmen (mind. 200 Mio Euro)
       könnte mit dem erneuerbaren Energiepotenzial
       von 231 TWh der industrielle Endenergieverbrauch                                N Nach Vorbild des deutschen Förderprogramms
       in Österreich gedeckt werden. Was es jetzt                                      zur Dekarbonisierung der Industrie – Hauptziel ist
       braucht, ist eine Beschleunigung bei den                                        die Reduktion der Prozessemissionen in energiein-
       Genehmigungsverfahren, damit der Ausbau der                                     tensiven Sektoren.
       erneuerbaren Energien schneller voran geht.                                     N Anwendung von Differenzverträgen („Carbon
                                                                                       Contracts for Difference“), um enormes Preisrisiko
                                                                                       für Betriebe abzufedern.
       Geforderte Entlastungsmaßnahmen
       Die österreichische Industrie ist aufgrund der                                  Gezielte Unternehmensbeihilfen gem. neuem
       dramatischen Lage am Energiemarkt in einer                                      EU-Krisenrahmen im Laufe des Jahres bei
       extrem schwierigen Situation, die für viele                                     überproportional gestiegenen Strom- und
       Unternehmen sogar existenzbedrohend ist. Die                                    Gaskosten.
       Politik muss nun dringend handeln.
                                                                                       N Der Fonds wurde von der EU-Kommission als
       Strompreiskompensation zur Vermeidung von                                       Kriseninstrument vorgeschlagen und an strenge
       indirektem Carbon Leakage                                                       Kriterien geknüpft (nur bestimmte energieintensive
                                                                                       Sektoren, nur über 3-Prozent-Anteil am Produkt
       N Die Strompreiskompensation ist bereits im                                     ionswert).
       Regierungsprogramm enthalten und entspricht                                                                  Autorin: Herta Scheidinger

                                                                                                                            industrie aktuell | 2022 | 1          9
Industrie aktuell 1 2022 - WKO
cover                energiekosten

Industrieunternehmen, die, wie die Aluminuimindustrie, viel Energie
verbrauchen, schlagen wegen des Preisanstiegs Alarm.

                     Hohe Energiepreise als Gefahr für den
                     Industriestandort Österreich
                     Die heimischen Industriebetriebe stehen vor großen Herausforderungen.
                     Lieferkettenengpässe und explodierende Energiepreise setzen vor allem
                     der energieintensiven Industrie zu. Wir haben nachgefragt.

                    D
                           er Preis für Aluminium übertrifft längst das   geplant gebaut werden. Zudem sind wir mit
                           bisherige Hoch, das in der Wirtschaftskrise    extremen Preiserhöhungen im Bereich Energie
                           2008 erreicht worden war. Dazu ist die         konfrontiert, die Strompreise haben sich im
                     Aluminium-Branche vom Konflikt in der Ukraine        Vergleich zu 2021 versiebenfacht und die Gaspreise
                                                                                                                                Fotos: HAI, Vetropack, beigestellt

                     zentral betroffen, denn die Zulieferung ist          verzwölffacht. Diese Kostensteigerungen müssen
                     gefährdet, steht doch mit RUSAL einer der größten    wir an unsere Kunden weitergeben“, so Rob van
                     Aluminiumplayer auf der Sanktionsliste. „Wir sehen   Gils, CEO HAI. Die ausreichende und verlässliche
                     erste Auswirkungen auf die Lieferketten und damit    Versorgung mit Erdgas für die österreichische
                     auf die Nachfrage. Wir sind davon aktuell weniger    Industrie ist für van Gils sehr wichtig. „Neben der
                     betroffen, da wir vor allem Komponenten für          Suche nach alternativen Lieferanten für Erdgas
                     E-Fahrzeuge liefern, welche derzeit noch wie         sollten auch Maßnahmen auf der Verbrauchsseite

             10   industrie aktuell | 2022 | 1
energiekosten                        cover

erfolgen, wie z. B. den Anteil von Erdgas für die
Stromerzeugung und Wärmeerzeugung möglichst
durch andere Energieträger zu kompensieren.
Steuerliche Mehrbelastungen wie die CO2-Steuer
oder die EU-ETS-Zertifikate sollten temporär
ausgesetzt werden. Eingriffe in den Energiemarkt
sollten möglichst auf EU Ebene erfolgen, damit
keine Verzerrungen im Wettbewerb auftreten,
aktuell führen bereits einzelne Länder Obergrenzen
ein, bzw. versuchen die eigene Volkswirtschaft zu
schützen. Die Kosten für die Marktgebietstrennung
zwischen Österreich und Deutschland haben sich
mehr als verzehnfacht und sind nun höher als der
Strompreis den wir in 2020 bezahlt haben“, so der
HAI-CEO.                                              Aufgrund der Kostenentwicklungen wird die Vetropack-Gruppe im
                                                      laufenden Jahr weitere Preisanpassungen durchführen müssen.
Einen weiteren Punkt bringt Gerald Mayer, CEO
der AMAG, ins Spiel: „Die Preise für Energie sind
bereits seit vorigem Sommer im Steigen. Die
Ukraine-Krise beschleunigt diesen Trend                           „Die Strompreise haben
dramatisch. Für die energieintensive Industrie, zu         sich im Vergleich zu 2021 ver-
der die AMAG mit einem Gesamtenergieverbrauch                  siebenfacht, die Gaspreise
von 750 GWh pro Jahr zählt, bringt dies enorme          verzwölffacht. Diese Kostenstei-
Kostensteigerungen. Diese können in keiner Weise
durch Einsparungen kompensiert werden, sondern
                                                         gerungen müssen wir an unsere
müssen direkt an die Abnehmer und in letzter                       Kunden weitergeben.“
Konsequenz an die Endkonsumenten                                              Rob van Gils, CEO HAI
weitergegeben werden. Die Preiserhöhungen
können zu einer deutlichen Abschwächung des
Wirtschaftswachstums führen. Durch die
                                                      Glasindustrie leidet unter Preisanstieg
unterschiedliche Preisentwicklung für Erdgas in
Europa und den USA entsteht ein Wettbewerbs­          Die Vetropack-Gruppe hat als international
nachteil für europäische Produzenten.“ Einen          bedeutender Glasverpackungshersteller ihre
schnellen Ausstieg aus Erdgas sieht er allerdings     Produktionskapazitäten in den letzten Jahren
nicht: „Aktuell und auch mittelfristig sehen wir      laufend erhöht, um die hohe Nachfrage zu bedienen
keine Alternativen zu russischem Erdgas. Ein          und die Marktposition weiter auszubauen.
Lieferstopp für Erdgas führt bei uns zum Stillstand   „Unabhängig von dieser positiven Entwicklung
der Produktion“, so Gerald Mayer, und weiter:         stiegen jedoch in den letzten Monaten die Kosten
„Erdgas ist und bleibt bis auf Weiteres der           für Betriebsmittel wie Energie, Rohstoffe,
Energieträger für das Einschmelzen von                Verpackung und Transport extrem an. Mit der
Aluminiumschrott und somit dem Recycling, für         zunehmenden Inflation werden auch die
das Aufwärmen der Walzbarren vor dem                  Personalkosten zunehmen. Aufgrund dieser
Warmwalzen sowie für die Wärmebehandlung              Kostenentwicklungen wird auch die Vetropack-
unserer Walzprodukte. Damit hängen alle               Gruppe im laufenden Jahr weitere Preisanpassungen
Produktionsstufen und somit der gesamte               durchführen müssen“, heißt es vom Unternehmen.
Standort in Ranshofen von einer stabilen              Doch Vetropack ist vom Ukraine-Krieg auch
Versorgung mit Erdgas ab.“                            unmittelbar betroffen. Wegen der militärischen

                                                                                   industrie aktuell | 2022 | 1   11
forum                 energiekosten

                                                                            Strom und Gas als noch im Vorjahr. Trotz ihres
                                                                            schon sechzigprozentigen Anteils von
                                                                            erneuerbaren Energieträgern ist die Papier­
                                                                            industrie noch immer stark von Gas abhängig.
                                                                            „Unternehmen mit integrierter Zellstoffproduktion
                                                                            tun sich hier leichter. Sie können die anfallenden
                                                                            Reststoffe energetisch nutzen. Bei Papierfabriken,
                                                                            die auf Altpapierbasis produzieren oder Zellstoff
                                                                            zukaufen müssen, sind Gaskraftwerke, die Strom
                                                                            und Wärme produzieren die beste verfügbare
                                                                            Technik, weil sie hocheffizient sind und geringe
Trotz ihres schon sechzigprozentigen Anteils von erneuerbaren               CO2-Emissionen verursachen“, erklärt Kurt Maier,
Energieträgern ist die Papierindustrie noch immer stark von Gas abhängig.   Präsident der Austropapier. Trotz des hohen
                                                                            Anteils an erneuerbaren Energieträgern sind
                      Eskalation im Ukraine-Krieg und zum Schutz der        deshalb viele Unternehmen auf Gas angewiesen.
                      Mitarbeitenden stoppte die Vetropack-Gruppe im        In allen Werken laufen Projekte, um von fossilen
                      Februar temporär das Glaswerk in Gostomel in          Energieträgern weniger abhängig zu werden.
                      der Nähe von Kiew. „Angesichts der raschen und        Kurzfristig benötigt die Industrie jedoch rasche
                      ungewissen Entwicklung ist es unmöglich, die          Entlastungen, um die Produktion aufrecht zu
                                                                            erhalten. Ein Importstopp von Gas hätte
                                                                            existenzielle Auswirkungen – nicht nur auf die
                                                                            Betriebe und ihre Mitarbeiter, sondern auch auf
                         „Gaskraftwerke, die Strom und                      die Fernwärmeauskopplung und die Versorgung
                         Wärme produzieren sind die                         mit Hygieneprodukten, in Papier verpackten
                         beste verfügbare Technik, weil                     Lebensmitteln und Medikamenten. Die bisher von
                         sie hocheffizient sind und gerin-                  der Regierung angekündigten Entlastungs­
                         ge CO2-Emissionen verursachen.“                    maßnahmen helfen nicht ausreichend. Um
                                                                            sicherzustellen, dass nicht noch weitere Betriebe
                         Kurt Maier, Präsident Austropapier und
                                                                            stillgelegt werden müssen, braucht es jetzt weitere
                         CEO Heinzel Group                                  Schritte zur Entlastung, zum Beispiel eine rasche
                                                                            Umsetzung der indirekten CO 2-Kosten­
                                                                            kompensation. Das würde bedeuten, dass
                                                                            energieintensive Unternehmen die von Strom­
                      Auswirkungen auf unsere Unternehmensgruppe            lieferanten eingepreisten CO2-Kosten rückerstattet
                      für das Geschäftsjahr 2022 schon jetzt zu             bekommen.
                      quantifizieren. Für das restliche Jahr kann in
                      unserem Glaswerk in der Ukraine nicht mehr
                                                                            Regionale Lieferketten fokussieren
                      produziert werden. Das führt zu einer Reduktion
                                                                                                                                  Fotos: Lafarge, SKF, Laakirchen, Heinzel Group

                      des Nettoumsatzes der Gruppe um rund zehn             Auch für den Wälzlager-Erzeuger SKF hat die
                      Prozent“, so das Unternehmen.                         Corona-Pandemie in den vergangenen Jahren die
                                                                            Rohmaterialverfügbarkeit durch Beeinträchtigung
                                                                            der globalen Transport- und Logistikketten spürbar
                      Papierindustrie
                                                                            erschwert. Der Krieg in der Ukraine hat diese
                      Österreichs Papierindustrie leidet enorm unter        Entwicklung nochmals verschärft. „Wir gehen von
                      den exorbitant gestiegenen Energiepreisen. Die        einer weiteren Verknappung von Rohstoffen und
                      energieintensiven Unternehmen der Papier­             Rohmaterialien bzw. von weiter steigenden Preisen
                      industrie zahlen derzeit bis zu zehnmal mehr für      im Energiebereich aus. Unsere Kernaufgabe besteht

              12   industrie aktuell | 2022 | 1
energiekosten                         forum

Bei SKF geht man von einer weiteren Verknappung von Rohstoffen         Für die Herstellung einer Tonne Zement werden im Durchschnitt 114,82
und Rohmaterialien bzw. von weiter steigenden Energiepreisen aus.      kWh elektrischer Strom benötigt – eine dramatische Situation für Lafarge.

               darin, diese negativen Rahmenbedingungen                der fossilen Brennstoffe ist gering (rund 10 Prozent
               bestmöglich abzufedern und nicht auf unsere             und weniger). Lafarge hat ca. 30 Jahre und sehr
               Wettbewerbsfähigkeit durchschlagen zu lassen“,          viele Investitionen gebraucht, um sich aus der
               sagt SKF-CEO Franz Hammelmüller, und weiter:            Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas zu retten.Beim
               „Wir sind überzeugt, dass eine energiepolitische
               Lösung nur durch eine geeinte Vorgehensweise in
               Europa gefunden werden kann: kurzfristig durch
               möglichst schnelle Alternativen zur Gasversorgung                  „Wir haben heute beinahe
               von Russland sowie mittel- und langfristig durch               die Unabhängigkeit von Gas-,
               gemeinsame und übergreifende Lösungen bei                      Öl- und Kohleimporten sowie
               Alternativenergien. Die Fokussierung auf regionale                eine regionale Versorgung
               Lieferketten ist ein richtiger und wichtiger Schritt,
               um vergleichbare Situationen und Abhängigkeiten
                                                                                mit ressourcenschonenden
               in Zukunft zu vermeiden.“                                               Rohstoffen erreicht.“
                                                                                          Berthold Kren, CEO Lafarge
               Unabhängigkeit von Erdgas
               Die Kostenexplosion bei den Primärenergieträgern
               wie Kohle, Öl und Gas spürt man in den Zement­          Strom ist die Situation aber nach wie vor dramatisch.
               werken von Lafarge vor allem bei zugekauften            Für die Herstellung einer Tonne Zement werden im
               Produkten, welche in der Erzeugung von diesen           Durchschnitt 114,82 kWh elektrischer Strom
               Energieträgern abhängig sind. „Aufgrund der bereits     benötigt. Mittel- und langfristig erwartet man bei
               in den späten 1980ern begonnenen und konsequent         Lafarge einen Nachteil für den österreichischen
               fortgesetzten Strategie, aus Sekundär- und              Standort, wenn die regionale Elektrizitätsversorgung
               Abfallstoffen Energie zu produzieren, haben wir         nicht rasch verbessert wird. Bereits jetzt sind
               heute beinahe die Unabhängigkeit von Gas-, Öl- und      eklatante Preisunterschiede mit Nachbarmärkten
               Kohleimporten sowie eine regionale Versorgung           feststellbar und bei weiterer Verschlechterung der
               mit ressourcenschonenden Rohstoffen erreicht“,          Lage wird das zu Verzerrungen am Markt führen.
               erklärt Berthold Kren. Erdgas hat nur noch eine         Es ist dringender Handlungsbedarf gegeben, Netz-
               geringe Bedeutung für Lafarge. Fossile Brennstoffe      und Versorgungskapazitäten beim Strom
               kommen nur bedingt zum Einsatz. Wenn sich der           auszubauen. 
               Ofen im Normalmodus befindet, dann werden
               vorwiegend Ersatzbrennstoffe eingesetzt, der Anteil                                Autorin: Herta Scheidinger

                                                                                                       industrie aktuell | 2022 | 1   13
cover           interview | christiner & karall

        „Ein Investitionsplan in der Höhe von
                       18 Milliarden Euro liegt vor“
                DI Mag. (FH) Gerhard Christiner, Technischer Vorstand der APG und
                Mag. Thomas Karall, Kaufmännischer Vorstand der APG, sprechen im
                Interview über ausbleibendes Gas aus Russland, die Energiewende,
                Genehmigungsverfahren und den Komplettumbau des österreichischen
                Stromnetzwerkes.

         DI Mag. (FH) Gerhard Christiner, Technischer
         Vorstand der APG und Mag. Thomas Karall,
         Kaufmännischer Vorstand der APG, im Interview.

                A
                     ngesichts der aktuellen politischen Lage im      Gerhard Christiner: Ohne Gaskraftwerke ist eine
                     Osten Europas stellt sich die Frage der          sichere Stromversorgung Österreichs derzeit nicht
                     Zuverlässigkeit der Gaslieferungen aus           möglich. Im Februar haben wir ein Drittel des
                Russland. Zunehmend werden Rufe laut, die einen       Stroms aus Gas, ein Drittel aus Erneuerbaren
                schnellen Ausstieg aus der Abhängigkeit russischer    gewonnen und ein Drittel haben wir importiert.
                Erdgaslieferungen verlangen. Stattdessen soll         Wir brauchen mehr erneuerbare Energie.
                der Ausbau alternativer Energiequellen forciert
                werden, wofür aber einige Hürden genommen             Für den Fall, dass Gaslieferungen aus dem Osten
                                                                                                                          Fotos: APG, beigestellt

                werden müssen.                                        ausbleiben, wäre es möglich, das Erdgas durch
                                                                      andere Energiequellen zu ersetzen?
                Wie stark ist die Stromproduktion in Österreich von
                Erdgasimporten aus Russland abhängig?                 Thomas Karall: Mittel und langfristig benötigen

        14   industrie aktuell | 2022 | 1
interview | christiner & karall                                forum

wir mehr Ausbau von erneuerbaren Energien und           Was ist notwendig, um das Thema in der Bevölkerung
einen dementsprechenden Netzausbau, um noch             stärker zu verankern?
mehr Strom aus grüner Energie zu gewinnen.
                                                        Christiner: Um den Klimawandel zu bewältigen,
Im Hinblick auf die Energiewende wird ohnehin ge-       müssen wir als Gesellschaft kompromissbereit
fordert, verstärkt auf alternative Energiequellen zu    und veränderungswillig sein. Als Unternehmen
bauen, auch um autark und somit unabhängig von          heißt das, höchstmögliche Transparenz zu schaffen
Energieimporten zu werden. Für eine autarke Strom-      und die Menschen in die Entwicklungen frühzeitig
versorgung aus alternativen Energiequellen in Ös-       einzubeziehen. Die Energiewende sowie die
terreich kommen Biogas, Wind, Sonne und Wasser-         Elektrifizierung von der Gesellschaft, der Wirtschaft
kraft in Frage. Welche Herausforderungen gilt es hier   und der Industrie ist ein gesellschaftliches
beim Ausbau der Netze zu bewältigen?                    Großprojekt das neben den erforderlichen

Christiner: Wir befinden uns inmitten eines
Systemumbaus, damit die Energiewende und die
CO2-freie Stromversorgung von Gesellschaft,                         Um den Klimawandel zu
Wirtschaft und Industrie gelingt. Bis 2030 muss
der Stromverbrauch zu 100 Prozent mit nachhaltiger              bewältigen, müssen wir als
Energie gedeckt werden. Das bedeutet eine                    Gesellschaft kompromissbereit
Verdoppelung der erneuerbaren Anlagen, die wir
bereits jetzt in Österreich haben. Unsere Aufgabe              und veränderungswillig sein.
ist es, Österreich auch während dieser Umbauphase
sicher mit Strom zu versorgen. In diesem
Transformationsprozess ist es notwendig, im
Gesamtsystem – Erzeugung, Stromnetz, Speicher           technischen Um- und Ausbauten die
– ausreichende Kapazitäten zu schaffen. Unsere          wirtschaftlichen Voraussetzungen und vor allem
nahezu täglichen Eingriffe in den Strommarkt – 241      einen von der Politik vorgegebenen
Tagen im Jahr 2021 – zeigen, dass das Stromsystem       Ordnungsrahmen benötigt. Wenn wir dieses
immer öfter in den Grenzbereich fährt. Nur durch        Verständnis gemeinsam entwickeln und in der
unser hoch qualifiziertes Personal in unserer           Umsetzung keine Verlierer zurücklassen, dann
Steuerzentrale, die europäische Zusammenarbeit          werden wir die Bevölkerung für diesen Weg
sowie regelmäßige Simulationstrainings können           gewinnen. Nur mit offensiver Kommunikation und
derartige Zwischenfälle gemanagt werden.                Einbeziehung möglichst aller Akteure und dem
                                                        Verständnis zur Schaffung nachhaltiger
Karall: Die Netzinfrastruktur der APG ist mit ihren     Lebensbedingungen, für zukünftige Generationen,
verfügbaren Kapazitäten am Limit und deswegen           werden wir das Bewusstsein schaffen und somit
ist ein zeitgerechter Um- und Ausbau das Gebot          mögliche Widerstände gemeinsam überwinden.
der Stunde. 2022 investieren wir rund 370 Milli-        Wir müssen es schaffen von „not in my backyard“
onen Euro in unsere Strominfrastruktur. In den          zu „as soon as possible“ zu kommen.
kommenden zehn Jahren werden wir 3,5 Milliarden
Euro in den Um- und Ausbau investieren. Verfüg-         Was wäre aus Ihrer Sicht von staatlicher Seite zu
bare State-of-the-Art-Technologien und die              tun, um die Wende in Österreich zu schaffen?
Weiterentwicklung von digitalen Plattformen,
mittels derer alle Akteure des Stromsystems             Karall: Die aktuellen Entwicklungen der Strom- und
integriert und für Systemdienstleitungen nutzbar        Energiepreise sowie die geopolitischen
gemacht werden, unterstützen darüber hinaus die         Entwicklungen in der Ukraine zeigen, wie wichtig
Versorgungssicherheit 24/7 zu gewährleisten.            eine rasche und sichere Transformation zu einem

                                                                                        industrie aktuell | 2022 | 1   15
cover           interview | christiner & karall

                nachhaltigen Energiesystem ist. Dazu braucht es        Bereiche wie Gebäudesanierung, Mobilität,
                eine umgehende Gesamtsystemplanung sowie               Speicher, Einsatz neuer Technologien dazuzählen,
                entsprechende Kapazitäten in den Bereichen Netze,      dann ist gesamthaft von mehreren dutzenden
                Speicher, Produktion, Reserven und digitale            Milliarden Euro für das Gesamtprojekt der
                Plattformtechnologien zur Nutzung der Flexibilitäten   Energiewende auszugehen.
                aller Akteure des Systems. Dies alles muss
                umgehend erfolgen. Die Beschleunigung und              In welchem Ausmaß werden Energiekosten für die
                Vereinfachung von Genehmigungsverfahren, der           Österreicher steigen?
                Schutz von Planungs- und Bestandstrassen, ein
                modernes Regulierungssystem und die Schaffung          Karall: Aufgrund der steigenden Investitionen in
                ausreichender Ressourcen auf Behördenseite sind        der gesamten Energiewirtschaft werden die Ge-
                dabei ein zentraler Hebel. Nur dann kann das APG       samtkosten für die Energiewende steigen. Dazu
                Investitionsprogramm von 3,5 Mrd. Euro bis 2032        gehört naturgemäß auch die Netzinfrastruktur.
                in die heimische Strominfrastruktur ihren Beitrag      Der Netzentwicklungsplan der APG ist beim Re-
                zur Energiewende, der sicheren Transformation          gulator bescheidet und somit auch unser Investi-
                sowie der Elektrifizierung aller Sektoren leisten.     tionsplan für die nächsten Jahre legitimiert. Die
                Wir müssen so schnell wie möglich vom Planen ins       Aufteilung der Kosten für die Energiewende ist
                Tun kommen. Das sind wir unseren Kindern schuldig.     eine zutiefst gesellschaftspolitische Frage, die an
                                                                       anderer Stelle zu klären ist.
                Wie lange schätzen Sie, wird die Umstellung dauern
                und mit welchen Kosten wird sie verbunden sein?        Wieviel Zeit wird der Netzumbau in Anspruch
                                                                       nehmen? Sind hier nicht Milliarden-Investitionen
                Christiner: Fakt ist, dass es energiepolitische        dafür notwendig?
                Zielsetzungen auf europäischer, nationaler und
                regionaler Ebene gibt, beispielsweise Strom aus        Christiner: Der Netzentwicklungsplan 2021
                100 Prozent Erneuerbaren bis 2030 oder das             beinhaltet insgesamt 46 Projekte. Dieser beinhaltet
                Pariser Klimaschutzabkommen. Es liegt in der           die Errichtung 20 neuer Umspannwerke – für die
                Verantwortung aller maßgeblichen Akteure alles         Verbindung zu den Verteilernetzen, die sichere
                zu tun, damit wir vom Planen ins Tun kommen. Die       Stromversorgung und als Einspeisepunkte für die
                                                                       erneuerbaren Energieträger – sowie wichtige Lei-
                                                                       tungsgroßprojekte. Im diesjährigen Netzentwick-
                                                                       lungsplan wurden 14 Projekte neu zur Genehmi-
                                                                       gung eingereicht und durch die Regulierungsbe-
 Wir investieren alleine heuer 370                                     hörde E-Control genehmigt. Die dringend erfor-
 Millionen Euro in die Modernisierung                                  derlichen Maßnahmen gegen den Klimawandel
 unserer Strominfrastruktur.                                           benötigen eine rasche Energiewende. Für die
                                                                       sichere Transformation des Stromsystems hin zu
                                                                       ausschließlich erneuerbaren Energien ist die Um-
                                                                       setzung der im Netzentwicklungsplan enthaltenen
                                                                       Projekte essenziell. Österreich liegt mit einer
                Zieldiskussion müssen wir sofort beenden. Es           Versorgungssicherheit von 99,99 Prozent im
                braucht eine Fokussierung wie wir gemeinsam die        weltweiten Spitzenfeld. Damit das auch während
                Projekte umsetzen können. Alleine im Bereich der       der Transformation des Energiesystems so bleibt,
                Stromnetze liegt ein Investitionsplan in der Höhe      benötigen wir den Ausbau der Kapazitäten des
                von 18 Milliarden Euro vor. Wir investieren alleine    Stromnetzes synchron mit den weiteren Bereichen
                heuer 370 Millionen Euro in die Modernisierung         des Stromsystems, wie Speicher, Kraftwerksre-
                unserer Strominfrastruktur. Wenn Sie dann noch         serven, nachhaltiger Produktion und deren Inte-

        16   industrie aktuell | 2022 | 1
interview | christiner & karall                              forum

gration. Zusätzlich bedarf es der Nutzung digitaler     auf Strom aus Erneuerbaren umsteigen können,
Plattformtechnologien zur Integration aller Ak-         ist ihr Überleben gesichert. Denn die hohen CO2
teure des Energiesystems. Damit vor allem die           -Steuern wird sich auf Dauer niemand leisten
Leitungsgroßprojekte zeitgerecht umgesetzt wer-         können. Der Ausbau des österreichischen
den können, bedarf es verbesserter Rahmenbe-            Hochspannungsnetzes insgesamt, (z. B. Wein­
dingungen bei den Genehmigungsverfahren. Ein            viertelleitung, Zentralraum Oberösterreich),
wesentlicher Faktor für die Umsetzung der               ermöglicht erst Projekte wie etwa eine Umstellung
notwendigen Leitungsprojekte ist die Dauer der          der voestalpine auf Wasserstoff oder auch
Genehmigungsverfahren. Diese sind derzeit sehr          Investitionen der Infineon in Villach.
komplex und langwierig. Denken Sie etwa an die
Salzburgleitung, die erst mit einer Verspätung von      Welche Rolle wird Wasserstoff im Rahmen der
zehn Jahren gebaut werden konnte. Um diese              Energiewende spielen?
Defizite zu beseitigen und den bereits zeitlich stark
verzögerten Netzausbau, sowie die Strom- und            Christiner: Grüner Wasserstoff könnte künftig eine
Energiewende in Österreich zu beschleunigen, gilt       wesentliche Rolle bei der Dekarbonisierung des
es die Rahmenbedingungen zu verbessern.                 Energiesystems spielen und kann somit entschei-
                                                        dend zur Flexibilisierung des Stromsystems beitra-
Wird sich das nicht auch negativ auf den Industrie-     gen. In der Hochlaufphase müssen Anreize gesetzt
standort Österreich auswirken?                          werden, um einen Aufbau der Erzeugung von grü-
                                                        nem Wasserstoff im Wettbewerbsmarkt zu ermög-
Karall: Alle großen Leitungsprojekte der APG sind       lichen. Zudem sollen Elektrolyseure und Pumpspei-
essenziell für die Umsetzung der Energiewende           cherkraftwerke künftig von Netznutzungs- und
sowie der Elektrifizierung der Industrie in             Netzverlustentgelten befreit werden. 
Österreich. Nur wenn Unternehmen, deren
Prozesse stark auf fossilen Energien aufbauen,                                    Autor: Stephan Scoppetta

                                                                                      industrie aktuell | 2022 | 1   17
politik           studie | maritime wirtschaft

          Die Maritime Wirtschaft Österreichs
          in Zahlen
                  „Ocean industries are not developing in isolation, neither from one
                  another nor from the ocean environment of which they are part. On the
                  contrary, they interrelate and interact with other activities and their
                  ocean surrounds in a myriad of different ways.“ (The Ocean Economy 2030, OECD)

                 E
                       s mag seltsam anmuten, Wirtschaftsaktivität       Industriewissenschaftlichen Institutes (IWI)
                       mit Meeresbezug in einem Staat zu analysie-       erwirtschaften 361 österreichische Unternehmen
                       ren, der seit rund 100 Jahren keinen eigenen      einen inlandswirksamen Maritimen Jahresumsatz
                  Zugang mehr zum Meer hat. Die Führungsrolle            von bis zu 1,28 Mrd. Euro. Insgesamt sind in der
                  österreichischer Firmen und Produkte in Nischen        Maritimen Wirtschaft bis zu 4.182 Beschäftigte in
                  am Weltmarkt sorgt aber trotzdem dafür, dass in        Österreich tätig. Diese Unternehmenssubstanz ist
                  Österreich eine Basis an international erfolgreichen   mehrheitlich groß- und mittelbetrieblich strukturiert.
                  Aktivitäten im Segment der Maritimen Wirtschaft        Regional betrachtet zeigt sich, dass viele Standorte
                  vorliegt. Laut einer Untersuchung des                  in seenreichen Gebieten vorzufinden sind (z. B. im
                                                                         Salzkammergut); zusätzlich sind die Landes­
                                                                         hauptstädte aufgrund ihrer Attraktivität als
                     Infobox                                             Headquarter-Standort häufig vertreten.

                     Die Europäische Union subsummiert dem
                                                                         Intensive volkswirtschaftliche
                     Meer zurechenbare wirtschaftliche Aktivitä-
                                                                         Verflechtung
                     ten unter „blue economy“, also der Blauen
                     Wirtschaft. Sie umfasst alle Sektoren und           Die Maritime Wirtschaft ist ein vernetzter Faktor
                     sektorübergreifenden wirtschaftlichen               im gesamtwirtschaftlichen Gefüge. Sie löst nicht
                     Tätigkeiten, die auf Ozeanen, dem Meer oder         nur in den eigenen Unternehmen Umsätze, Wert-
                     Küsten basieren oder damit in Verbindung            schöpfung oder Beschäftigung aus, sondern ist
                     stehen. In ihrem Blue Economy Report fasst          über Verflechtungen mit zahlreichen anderen
                     die Europäische Union jährlich Stand und            heimischen Branchen verbunden, sowohl auf der
                     Entwicklung der Maritimen Wirtschaft                Seite ihrer Zulieferer als auch auf der Seite der
                     zusammen.                                           Kunden. Über ihre wirtschaftliche Vernetzung mit
                                                                         anderen Wirtschaftsbereichen geben die Maritimen
                     Klassische Maritime Segmente: lebende               Unternehmen Impulse an die gesamte
                     Meeresressourcen, leblose Meeresressour-            österreichische Volkswirtschaft weiter.
                     cen, standortgebundene Offshore
                     Windkraftanlagen, Hafen-Aktivitäten,                Die Kooperation mit anderen Unternehmensein-
                     Schiffbau und -instandhaltung, Maritimer            heiten sowie der Bezug von Vorleistungen werden
                     Transport, Küstentourismus.                         neben direkten zusätzlich indirekte und induzier-
                                                                         te Effekte bewirkt. Bei den direkten Effekten han-
                     Aufkommende Maritime Segmente: Meeres-              delt es sich um Effekte, die unmittelbar durch die
                     energie (Ocean Energy: floating wind energy,        Maritimen Unternehmen in der österreichischen
                     wave and tidal energy etc.), Meeresminerali-        Volkswirtschaft zu beobachten bzw. zu messen
                     en (marine minerals), Entsalzung                    sind. Indirekte Effekte der Maritimen Unternehmen
                     (Desalination), Maritime Verteidigung,              werden auf Seite der Nachfrage entlang der ge-
                     Unterwasserkabel.                                   samten Wertschöpfungskette des Vorleistungs-
                                                                         verbundes induziert (Backward-Linkages), indes-

          18   industrie aktuell | 2022 | 1
studie | maritime wirtschaft                                    politik

 Volkswirtschaftliche Effekte der Maritimen Wirtschaft

   x 1,97                              x 2,24                                 x 2,56             10.722

                                                                                                  3.464
                           2.524                              2.524

                               598                             240
                                                                                                  3.076                 Direkte Effekte
         1.281                 645                                                4.182
                                             372               222

                                                                                                                        Indirekte Effekte
                           1.281                               372                                4.182

                                                                                                                        Induzierte Effekte

                 Umsatz                         Wertschöpfung                   Beschäftigungsverhältnisse
              (in Mio. Euro)                     (in Mio. Euro)

         Anm.: Rundungsdifferenzen möglich. Auswertung nach ÖNACE 2008. Input-Output-Tabelle 2016. Output-zu-Output-Modell des IWI.
  Beschäftigungsverhältnisse (BV) werden mit den Angaben zu Mitarbeiterzahlen aus der Datenbank des IWI harmonisiert und modell-exogen
                 ausgewiesen. Infolgedessen beruhen ebenso etwa die Arbeitnehmerentgelte mittelbar auf den Ergebnissen der IO-Analyse.
               Quelle: IWI (2020) auf Basis der Statistik Austria (div. Jahre), Input-Output-Tabellen, Volkwirtschaftliche Gesamtrechnung 2019

sen ergeben sich induzierte Effekte über den durch                       belaufen sich die kumulierten Arbeitnehmerentgelte
die (direkt und indirekt) generierte Beschäftigung                       der Maritimen Unternehmen auf eine Summe von
bzw. über den durch die generierten Investitionen                        449 Mio. EUR, davon 208 Mio. EUR direkt sowie
der Maritimen Wirtschaft österreichischen Volks-                         121 Mio. EUR indirekt und 120 Mio. EUR induziert.
wirtschaft ermöglichten Konsum.
                                                                         Werden die mittelbaren profitierenden Branchen
Aus einer vonseiten des IWI realisierten                                 betrachtet, so geht hervor, dass jene, die indirekt
gesamtwirtschaftlichen Modellrechnung für das                            sowie induziert am meisten von der Maritimen
Referenzjahr 2019 ergibt sich, dass mittels der                          Wirtschaft Nutzen ziehen, (gemessen an der
Maritimen Wirtschaft ein gesamtwirtschaftlicher                          Wertschöpfung) u.a. das Grundstücks- und
Umsatz in Höhe von 2,52 Mrd. EUR in Österreichs                          Wohnungswesen mit rund 56 Mio. EUR, der
Wirtschaft ausgelöst wird; das entspricht in etwa                        Großhandel mit 39 Mio. EUR sowie mit rund
0,27 Prozent an gesamtwirtschaftlichem Anteil. In                        26 Mio. EUR die Forschung und Entwicklung sind.
weiterer Folge initiieren die Maritimen Unternehmen                      Die Beherbergung & Gastronomie profitiert mit 24
eine gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung in Höhe                         Mio. EUR. Es folgen u. a. die Branchen der Lagerei
von 0,83 Mrd. EUR, wovon 0,37 Mrd. EUR direkt auf                        sowie Erbringung von sonstigen Dienstleistungen
die Maritime Wirtschaft abzuleiten sind sowie sich                       für den Verkehr, des Einzelhandels, der Herstellung
0,22 Mrd. EUR an indirekten und 0,24 Mrd. EUR an                         von Metallerzeugnissen und der Erbringung von
induzierten Wertschöpfungseffekten ergeben.                              Finanzdienstleistungen.
Summa summarum können mehr als 10.700
abgesicherte Arbeitsplätze in der heimischen                             Die Maritime Wirtschaft kann auch in Österreich
Volkswirtschaft den Unternehmen der Maritimen                            Wohlstand generieren. Mit jedem erwirtschafteten
Wirtschaft zugerechnet werden. Direkt sind rund                          Euro wird in der heimischen Volkswirtschaft ein
4.200 Beschäftigte zuzuordnen, über indirekte                            weiterer Euro generiert. Mit jedem Arbeitsplatz
Effekte bzw. Vorleistungsverflechtungen ergeben                          werden eineinhalb weitere Arbeitsplätze gesichert.
sich rd. 3.100 Beschäftigte in Österreichs Wirtschaft                    Österreichs Wirtschaft ist stark, kreativ und
sowie weitere rund 3.500 Beschäftigte über                               anpassungsfähig, auch in Segmenten, die auf den
induzierte Effekte.                                                      ersten Blick überraschen mögen.

In Vollzeitäquivalente (VZÄ) ausgewiesen, ergeben                                                                                           .
sich durch die Aktivitäten der Maritimen Wirtschaft
9.300 VZÄ; direkt 3.900 VZÄ sowie weitere 2.600                          Autor: Peter Luptáčik, wissenschaftlicher Bereichsleiter
indirekte und 2.800 induzierte VZÄ. Insgesamt                                      am Industriewissenschaftlichen Institut (IWI).

                                                                                                                   industrie aktuell | 2022 | 1   19
Sie können auch lesen