In Kontakt bleiben FÜR MITARBEITENDE - EKKW

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In Kontakt bleiben FÜR MITARBEITENDE - EKKW
2–2020

                                                   FÜR MITARBEITENDE

                                                   In Kontakt
                                                      bleiben
Foto: medio.tv/Schauderna

                            MIT BOOKLET IM HEFT:
                            Spirituelle Orte in
                            Kurhessen-Waldeck II
In Kontakt bleiben FÜR MITARBEITENDE - EKKW
INHALT | EDITORIAL

Inhalt                                                      Liebe Leserinnen,
                                                            liebe Leser,
THEMA
                                                                im Durchschnitt 88 Mal am Tag

                                                                                                                                   Foto: medio.tv/Schauderna
    4       Von Kontaktflächen und vom Strom                schauen junge Menschen auf ihr Han-
    5       „Tiny Church” für die Kirche unterwegs          dy, checken Nachrichten, senden Bilder,
                                                            telefonieren, navigieren, hören Musik.
    6       Kontakte knüpfen: Menschen & Ideen:
                                                            Egal, ob diese bereits 2017 verbreitete
    6       Wohnzimmer-Gottesdienste                        Zahl tatsächlich stimmt oder übertrie-
    6       Vom Altar an den Tresen und wieder zurück       ben ist, die meisten Smartphone-Nutzer
                                                            – junge und auch ältere – betreiben mit
    7       Wenn Eltern von ihren Kindern lernen
                                                            Hilfe ihres Handys ziemlich intensiv Be-
    7       AAA-Gottesdienste in Fulda                      ziehungspflege. Was es heißt, mit ande-
    8       Vom Glück einer offenen Kirche                  ren in Kontakt zu bleiben, wissen sie also am besten.
                                                                In der digitalen Welt klappt es mit der Kommunikation. Das
    9       Drei Fragen an Nina Wetekam
                                                            gelingt in der analogen Kirchenwelt immer weniger: Die Gemein-
    9	BOOKLET IM HEFT:                                     de, einst ein gut funktionierendes Standard-Netzwerk für Bezie-
       Spirituelle Orte in Kurhessen-Waldeck II             hungen, verliert mitunter den Draht zu ihren weniger werdenden
    10      Es tut gut, wenn jemand zu Besuch kommt         Mitgliedern. Wie kann die Kirche in Zeiten zunehmender Konfes-
                                                            sionslosigkeit neue Verbindungen knüpfen und noch existierende
    11      Missionale Kirche sein – wie geht das?
                                                            Bindungen stärken? Wer die ermutigenden Beispiele in diesem
    12      Mit Ausgetretenen im Gespräch bleiben           Heft zur Kenntnis nimmt, sieht: Die Kontaktflächen sind da, man
    13      Berührungspunkte finden                         muss sie nur nutzen. Über offene Kirchen, unkonventionelle Aktio-
                                                            nen, missionale Initiativen schaffen es haupt- und ehrenamtliche
    14      Kirche im Prozess denken
                                                            Mitarbeitende in der EKKW, immer wieder mit Distanzierten über
    14      Drei Fragen an Dr. Insa Rohrschneider           Lebens- und Glaubensfragen zu kommunizieren und im Dialog
                                                            voneinander zu lernen.
                                                                Die größte Gruppe der Ehrenamtlichen in unserer Landeskir-
KIRCHENVORSTAND                                             che sind die Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher. Vier
                                                            von 6.000 KV-Mitgliedern, die im letzten Herbst neu ins Amt
    16	blick-Redaktionsgespräch:
                                                            gewählt wurden, trafen sich zum blick-Redaktionsgespräch mit
        „Jetzt Weichen für die Zukunft stellen”
                                                            Bischöfin Dr. Beate Hofmann. Einig war sich die Runde in der Er-
    20      Gemeinsam etwas bewegen im KV                   kenntnis: Jetzt müssen viele Weichen neu gestellt werden.
                                                                Neu ist auch unser Booklet, das Sie als Beigabe auf Seite 9
                                                            in dieser blick-Ausgabe finden: „Spirituelle Orte in Kurhessen-Wal-
LANDESKIRCHE                                                deck II” ist der Titel des Heftchens, das dazu ermuntern will, mit
                                                            besonderen Kirchen sowie Kultur- und Naturorten in der Region
    22      Wo der Schulweg lebensgefährlich ist
                                                            in Kontakt zu bleiben.
    23      Fördergeld aus dem Kirchenerhaltungsfonds           		                                            Lothar Simmank
    24      Im Auftrag der Opfer sexualisierter Gewalt                                            Redakteur blick in die kirche
    25      Schwalm-Eder – der größte Kirchenkreis
    26      EB-Nachhaltigkeitspreis
    27      Von Personen

                                                            Unser Titelfoto entstand wenige Tage, nachdem Elisabeth Grebe in
SERVICE                                                     der Christuskirche in Kassel-Wilhelmshöhe getauft worden war. Für
                                                            ihre Mutter Nina Grebe (34) war das der Anlass, wieder in die Kirche
    28      Termine / Kirchenmusik                          einzutreten, der sie 2013 den Rücken gekehrt hatte. Ihre Kindheit
                                                            und Jugend hat sie in Melsungen verbracht und wusste dort die
    30      Kirche im Radio
                                                            kirchliche Kinder- und Jugendarbeit zu schätzen. „Ich habe gesehen,
    31      Neue Bücher                                     da wird etwas speziell für mich gemacht.“ Diese Erfahrung wolle sie
    32      Kurhessischer Medienpreis                       auch Elisabeth ermöglichen. Das von Fotograf Christian Schauderna
                                                            aufgenommene Bild zeigt die Eltern Nina und Christian Grebe im Ge-
    32      „7 Wochen ohne” und Klimafasten                 spräch mit Pfarrer Jan-Daniel Setzer, der Elisabeth getauft hat.

2        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020
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Wie erreicht die Kirche heute Menschen?
                               Foto: privat

                                                                         Foto: privat

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 Schülerinnen und Schülern                      Über 500 Menschen haben                  Wieso nicht dahin gehen,              „Liebe Frau Pfarrerin, Sie wis-
 steht die Welt offen, und sie                  im vergangenen Jahr die Aus-             wo die Menschen auch sonst            sen, dass ich nicht in der Kir-
 wollen ihr via Internet oder                   stellung der Bibelgesellschaft           sind, wenn umgekehrt die              che bin, aber ich nähere mich
 auf Reisen begegnen. Das                       zur „Welt der biblischen Bäu-            Kirchenbänke leer bleiben?            Ihnen an, deshalb bin ich heu-
 Bewusstsein für Freiheit und                   me, Früchte und Düfte“ in der            Das war die Idee von „Church          te hier ...“ So der O-Ton eines
 Verantwortung fehlt ihnen                      Kasseler Kreuzkirche besucht:            goes Pub” in Rotenburg. Wir           Nicht-Gemeindemitglieds,
 dabei nicht, sie setzen sich                   Kräuterkundige, Gartenlieb-              erleben an diesen Kneipen-            dessen Frau letztes Jahr ein-
 gern für ihre Anliegen ein.                    haberinnen, Bibelkenner, Pä-             abenden einmal im Quartal,            getreten ist, in der Kirchentür
 Ein gutes Beispiel ist #Fri-                   dagoginnen haben sich über               dass Menschen Fragen an das           vor dem Gottesdienst. Auch
 daysForFuture. Freiheit und                    alles gefreut, was für sie neu           Leben und an Gott haben, sie          andere, die man vorher nie in
 Verantwortung müssen daher                     war, zum ersten Mal Narde                wollen wissen, was Christsein         der Kirche sah, kommen jetzt
 bei der Schülerarbeit bedacht                  gerochen, Myrrheharz ge-                 bedeutet. In persönlichen Le-         öfter. Der Grund: Sie haben
 werden: Sie wollen nicht nur                   sehen oder etwas über die                bensgeschichten finden sie            an einer Gemeindefahrt nach
 Teilnehmende sein, sondern                     antike Weihrauchstraße er-               Antworten auf eigene Fragen           Siebenbürgen teilgenommen,
 sich als selbstwirksam und frei                fahren. Viele haben über die             und erfahren, dass Glaube             bei der wir unser Projekt Kin-
 erleben. Gleichzeitig brauchen                 Erdverbundenheit der Bibel               nicht nur der Glaube an eine          derhospiz Hermannstadt be-
 sie auch Hilfe und Rückhalt.                   gestaunt. Bildungs- und kul-             Institution ist, sondern etwas        suchten. Das hat alle gleicher-
 Sonst überfordert die Freiheit                 turinteressierte Menschen ha-            mit einer persönlichen Bezie-         maßen berührt. Zusammen
 und erdrückt die Verantwor-                    ben wir erreicht. Und solche,            hung zu Gott zu tun hat. Und          haben wir einen Weihnachts-
 tung. Kontakt mit Jugendli-                    die über den Gottesdienst hi-            das mitten in der Kneipe, mit         basar im Dorf auf die Beine
 chen gelingt der Kirche immer                  naus hungrig sind auf kirchli-           Livemusik von einer Band und          gestellt, an dessen Vorberei-
 dann, wenn hier die Mischung                   che Veranstaltungen, die ihre            Geschichten aus dem Leben,            tung sich auch die Distanzier-
 stimmt.                                        religiöse Identität stärken.             die das Herz berühren.                ten beteiligt haben.

Philipp Ruess (33), Pfarrer                    Dr. Heike Radeck (56),                   Thomas Sackmann (46),                 Sandra Niemann (54),
für Schülerarbeit im Dezernat                  Pfarrerin und Beauftragte für            Theologe, Coach, Fotograf und         Pfarrerin der ev.-luth. Kirchen-
Bildung der EKKW, Kassel                       bibelgesellschaftliche Arbeit,           Mitbegründer von „Church              gemeinde Goßfelden/Sarnau
                                               Homberg/E.                               goes Pub” in Rotenburg/F.

IMPRESSUM
 blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und       Redaktion:                                         Anschrift:
 wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen         Lothar Simmank (Leitung)                           Heinrich-Wimmer-Straße 4
 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt.      Telefon 0561 9307-127                              34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe
                                                           Olaf Dellit                                        redaktion@blickindiekirche.de
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                                                           Redaktionsbüro / Anzeigen:                         Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit
 Herausgeber:                                              Andrea Langensiepen                                Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main
 Landeskirchenamt der Evangelischen                        Telefon 0561 9307-152                              Herstellung: Bonifatius GmbH, Paderborn
 Kirche von Kurhessen-Waldeck                              Daniela Denzin                                     Auflage: 17.700 Exemplare
 Pfarrerin Petra Schwermann                                Telefon 0561 9307-128
 Wilhelmshöher Allee 330                                   Fax     0561 9307-155                              Mehr Informationen über die Evangelische Kirche
 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe                                                                                von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de

                                                                                               blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020                            3
In Kontakt bleiben FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                       Von Kontaktflächen und vom Strom
Wie gehen wir mit religiös indifferenten Menschen um, fragt Pfarrer Reinhard Brand,
Leiter des landeskirchlichen Referats Gemeindeentwicklung und Missionarische Dienste

E
      s gibt sie noch, die Unerreichbaren.   kirche unterscheidet dabei vier Gruppen       che gute Beispiele zusammen. Etwas zu-
      Zumindest habe ich auf einer Reise     von „Konfessionslosen“: Da gibt es die        rückhaltender ist hier Bischöfin Dr. Beate
      nach Indonesien von ihnen erfahren:    Gruppe der Atheisten, die gegen alles Re-     Hofmann. Es geht ihr weniger darum, aus
Menschen, die in schwer zugänglichen         ligiöse und Kirchliche offensiv auftreten.    den Kontaktflächen eine Aufgabenliste zu
Siedlungen im Urwald leben. Während          Areligiöse Menschen interessieren sich da-    entwickeln und abzuarbeiten, als vielmehr
die „Claims“ zwischen Muslimen und Chris-    gegen weder für Kirche noch für Religion.     darum, „Kirche-Sein neu von unseren Auf-
ten in diesem größten muslimischen Land      Keine große Bedeutung hat der Glaube          gaben her zu denken und von daher kirch-
weitgehend abgesteckt sind, fallen die Ur-   im Leben religiös indifferenter Menschen.     liche Arbeit zu gestalten“. In ihrem Bericht
waldbewohner durch alle Raster. Sie gel-     Ohne kirchliche Bindung, doch mit einem       vor der Landessynode (www.ekkw.de/
ten Christen und Muslimen gleichermaßen      eigenen religiösen und spirituellen Selbst-   media_ekkw/downloads/syn1902_be-
als „unreached people”, als Menschen, die    verständnis leben individuell Religiöse.      richt_bischoefin.pdf) hat Beate Hofmann
von der Botschaft der Bibel oder des Koran                                                 Bonhoeffers Wort, „die Kirche ist nur Kir-
bislang noch unerreicht sind. Um sie wett-   Kontaktflächen schaffen                       che, wenn sie für andere da ist“, kritisch
eifern Missionare beider Religionen.             Auf die beiden letztgenannten Grup-       aufgegriffen: „Dahinter steckt immer noch
    Schaut man sich die konfessionel-        pen möchte unsere Landeskirche zukünftig      ein Innen-außen-Denken. Doch Kirche von
le Landschaft in Deutschland an, muss        ihr Handeln verstärkt ausrichten. Manche      der Gnade her gedacht, kann immer nur
man von einer stetig zunehmenden Zahl        sprechen in diesem Zusammenhang da-           Kirche mit anderen sein.“ Das aber kann
von Menschen sprechen, die von der Bot-      von, Kontaktflächen zu identifizieren, sie    nicht ohne Folgen bleiben für die besonde-
schaft der Bibel und den christlichen        nötigenfalls neu zu schaffen und sie dann     re Hinwendung unserer Kirche zu religiös
Kirchen nicht mehr erreicht werden. Aus      zu nutzen, damit Menschen der Frohen          indifferenten Menschen und zu Menschen,
kirchlicher Sicht gelten sie unabhängig      Botschaft begegnen können.                    die ihre Religiosität auf sehr individuelle
von Taufe und Kirchenzugehörigkeit in            Das Arbeitspapier der Bildungskam-        Weise leben.
unterschiedlicher Weise als „konfessions-    mer „Verbindungen knüpfen – Bindungen             Für den Umgang mit religiös indif-
los“. Die Bildungskammer unserer Landes-     stärken“ (s. Seite 13) trägt dafür zahlrei-   ferenten Menschen bedeutet dies zum

4     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020
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THEMA

                           »Es ist überall
                    die gleiche Grundhaltung:
                   Menschen wollen wahr- und
                    ernst genommen werden,
                   und sie wollen vorkommen.«

                                                                                                                                                          Illustration: Tischlerei Bock
Beispiel, sie nicht als „Heiligabend-    Gemeinde selbst in der Auslegung
Christen“ zu diffamieren, sondern        eines Predigttextes zu Wort kommen
sich mit Freude, Liebe und viel Fan-     zu lassen.
                                                                                                            Mini-Kirche: Der Entwurf für die „Tiny
tasie darauf einzulassen, dass so vie-       Schauen wir auf die, die unsere
                                                                                                            Church”, allerdings noch ohne Räder
le Menschen in den Gottesdiensten        kirchlichen Räume nutzen: Vielfach
an Heiligabend ihre Zustimmung zur       wird zwischen kirchlichen und nicht-
Kirche und ihr Interesse am Evange-
lium und seiner Darstellung neu
                                         kirchlichen Gruppen unterschieden.
                                         Was änderte sich, betrachteten wir                               Kirche
                                                                                                          unterwegs
konstituieren. Es soll schließlich für   auch Letztere als Teil unserer Kirche:
ein ganzes Jahr halten – so wie der      die als Elterninitiative gegründete
Traugottdienst für ein ganzes Leben.     Krabbelgruppe, den freien Chor, den

                                                                                                          I
                                         Sprachkurs für geflüchtete Menschen                                 m Urlaub nehmen sich viele Menschen
Religiös auf eigene Weise                im Begegnungscafé? Es ist überall                                   Zeit für die Kirche, die das sonst selten
    Als Pfarrer wundere ich mich         die gleiche Grundhaltung, in die wir                                tun. Sie sind zu Gast bei „Kirche unter-
manchmal, was manche Menschen,           uns einüben: Menschen wollen wahr-                               wegs“, deren größter Standort in Kurhes-
denen ich begegne, so alles glauben,     und ernst genommen werden, und                                   sen-Waldeck am Edersee auf der Halbinsel
und bin mir sicher, das nie und nim-     sie wollen vorkommen.                                            Scheid ist. Die Statistik, die Peter Dietrich
mer gepredigt oder auf andere Weise                                                                       erstellen ließ, macht das deutlich: So sag-
weitergegeben zu haben. Wollen wir       Wechselstrom statt Gleichstrom                                   ten 25,9 Prozent der Besucher dort, sie
Kirche mit anderen sein, werde ich            In der Aussprache zum Bericht                               würden sonst selten zum Gottesdienst ge-
den Umgang mit Menschen, die auf         der Bischöfin mahnte ein Mitglied                                hen, 13,3 Prozent sogar nie.
ganz eigene Weise religiös sind, im-     der Landessynode an, dass es bei                                     Im Jahr 2020 gibt es diese Form von
mer wieder neu lernen müssen. Das        allen Kontaktflächen doch darauf                                 Kirche seit einem halben Jahrhundert. Am
Wichtigste dabei ist, ein ehrliches      ankomme, „dass Strom fließe“. Das                                Edersee kommt etwas Neues hinzu: eine
Interesse zu entwickeln. Und das         ist richtig. Doch – um im Bild zu blei-                          Mini-Kirche („Tiny Church“), die neben dem
geht nur durch intensives Zuhören        ben – fließt in einer Kirche, die sich                           angestammten Zirkuszelt stehen soll. Au-
und Raumgeben. Viele haben sich          als Kirche mit anderen versteht, kein                            ßerdem soll der Spatenstich für den Neu-
hier schon auf den Weg gemacht, la-      Gleichstrom, sondern Wechselstrom.                               bau erfolgen, der 2021 fertig werden soll
den alle Kinder eines Jahrgangs und           Oder anders ausgedrückt: Es gibt                            und Gottesdienstraum, Café mit Terrasse
nicht nur diejenigen mit einem evan-     keine „unreached people” – in Indo-                              und weitere Räume (unter anderem Unter-
gelischen Elternteil zum Konfirman-      nesien nicht und nicht bei uns. Denn                             künfte für ehrenamtliche Mitarbeiter, die
denunterricht ein, freuen sich über      Gott ist uns selbst und auch uns als                             übrigens immer gesucht werden) umfassen
neue Lieder in Gottesdiensten und        Kirche immer schon voraus. Und es                                wird.
über die zu Trauungen oder Beerdi-       ist eine wunderbare Aufgabe, ihn an                                  An den Feiertagen ab Ostern sowie
gungen selbst mitgebrachten.             ganz unerwarteten Stellen zu entde-                              täglich in den Sommerferien werden Got-
    Könnte dies nicht noch weiter        cken. l                                                          tesdienste, Konzerte, Gute-Nacht-Geschich-
gehen? Im Fürbittengebet öffnet                                Reinhard Brand                             ten, Kinderkino und mehr angeboten. Vor
sich die Gottesdienstgemeinde weit                                                                        allem aber weist Dietrich auf den Kirchen-
und tief in die Welt hinein, heißt es.                                                                    kiosk und später im Neubau einen Treff-
Doch in aller Regel bringen Liturg                                                                        punkt hin, wo jeder willkommen ist. Jeder
                                                                              Foto: medio.tv/Schauderna

und Liturgin längst vorformulierte                                                                        könne selbst über Abstand und Nähe ent-
Bitten vor Gott. Ließen sich aktuelle                                                                     scheiden. So gebe es auch Besucher, die
Gebetsanliegen nicht auch bei Be-                                                                         den Gottesdienst im (offenen) Zirkuszelt
gegnungen in der Woche oder im                                                                            lieber aus einigem Abstand beobachten
Gottesdienst selbst zusammentra-                                                                          und doch dabei sind. l           Olaf Dellit
gen? Und der Bibliolog ist eine wun-                                                                          kircheunterwegs.lka@ekkw.de
derbare Form, die gottesdienstliche                                                                           www.kunterwegs.de

                                                                                    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020                 5
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                   THEMA
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                   „Ich ziehe sogar die Schuhe aus”                                                                                     & Ideen

                   W
                              ohnzimmergottes-                                 er selbst hat bereits viel     Räumen einen Gottesdienst hätten, und
                              dienste – auch                                      Erfahrung mit unge-         zuletzt Einzelpersonen, die der Pfarrer gar
                              bei Ihnen zu                                          wöhnlichen Gottes-        nicht kennt.
                   Hause? Pfarrer Ax-                                                 dienst-Formen. Er           Nur zwei konnten gewinnen, aber
                   mann startet neues                                                  ist City -Pfarrer      wer? Axmann sortierte zunächst jene In-
                   Projekt und verlost                                                 in einem großen        teressenten aus, deren Terminwünsche er
                   sich selber!“ So hat-                                               Te a m , d e s s e n   nicht würde erfüllen können, beispielswei-
                   te der 51-jährige                                                   „Tankstelle am         se weil er auf Konfirmandenfahrt ist, oder
Foto: privat

                   Hanauer Pfarrer ge-                                                Abend“-Gottes-          jene, die zu weit außerhalb wohnten – das
                   worben, auf Facebook                                              dienste seit Jahren      Ganze solle praktikabel bleiben. Dennoch
                   und im Gemeindebrief;                                           stetig mehr Zulauf         blieben viele „sehr unterschiedliche Le-
                   bis Januar 2020 lief die                                     haben. Moderne For-           bensthemen“ dabei. Allen Bewebern ge-
                   Bewerbungsfrist für                                               men zögen eine           meinsam ist der Wunsch, „individuell vor
                   dieses Format, bei Pfarrer Stefan Axmann aus Hanau verlost andere Klientel                 Gott zu sein und gesegnet zu werden“, sei
                   dem besonders jene sich selbst für Wohnzimmer-Gottesdienste an und seien eine              es als Schulklasse, Familie oder Freundes-
                   Menschen angespro-                                                „tolle Sache“, bei       kreis. Zwei hat Axmann ausgewählt, ver-
                   chen werden sollten, die klassische Sonn- der man gut ins Gespräch kommen kön-             einbart nun mit ihnen das Wann, Wie und
                   tagmorgen-Gottesdienste nicht besuchen ne. Die Stunde „Essen und Trinken“ nach             Wo und freut sich auf neue Erfahrungen.
                   wollen oder können. Talar oder Anzug, dem Gottesdienst sei dabei genauso wich-                 Vor den Sommerferien soll die nächs-
                   Stammkneipe oder zu Hause, klassisch, tig wie die Feier selbst.                            te Runde starten. Dann, so die Idee, ließe
                   meditativ oder modern – alles wäre mög-         Und das neue Projekt? 19 Einsendun-        sich ein Gottesdienst zum Beispiel auch
                   lich. „Wenn gewünscht, ziehe ich sogar die gen gab es, neben viel Lob auf Facebook.        in einer Gartenhütte abhalten. Die kleine
                   Schuhe aus“, so hatte es locker in der Aus- Die Bewerber ließen sich in drei Gruppen       private Gottesdienstfeier – für Stefan Ax-
                   schreibung geheißen.                        einteilen: Menschen, die Axmann mehr           mann etwas Uraltes. Schließlich versam-
                        Stefan Axmann hat sich die Idee von oder weniger gut kennt; Firmen oder               melten sich so schon die ersten Christen
                   Kollegen in Bamberg abgeguckt. Auch Gruppen und Vereine, die gern in ihren                 vor 2.000 Jahren. l Anne-Kathrin Stöber

                   Vom Altar an den Tresen und wieder zurück

                   W
                              enn man ehr-                                        sätze spendete der Wirt     arbeiten kann. Und anstrengend seien die
                              lich ist, ging                                         einen Betrag, hinzu      Schichten zweimal im Monat wahrhaftig
                              es Pfarrerin                                             kam das Trinkgeld.     gewesen, ein richtiges „Fitnessprogramm“ .
                   Kerstin Grenzebach                                                   In einem Jahr, so         Im Laufe der Zeit habe sich ihre Rolle
                   anfangs nur ums                                                       lange war das        verändert. Am Tisch oder über den Tresen
                   Geld. In ihrer Kir-                                                    Projekt angelegt,   sei es zu vielen Begegnungen gekommen,
                                          Foto: Brehl

                   chengemeinde Voll-                                                     kamen mehr als      auch mit Menschen, die der Kirche den Rü-
Foto: Pia Malmus

                   marshausen finan-                                                     2.500 Euro in die    cken gekehrt haben – auch sie hätten ihr
                   ziert ein Förderkreis                                                 Spendenkasse.        Engagement wertgeschätzt.
                   die Personalkosten                                                  Das Geld war das           Lange Gespräche seien es nicht gewe-
                   der Kinder- und Jugend-                                           eine, vor allem aber     sen, schließlich habe sie bedienen müssen,
                   arbeit – da sind Spenden-                                       entwickelte sich eine      und doch sei sie heute viel dichter an den
                   projekte immer ge-                                                   besondere Bezie-      Menschen dran als früher. Missionierung
                                                       Kontakte in der Kneipe:
                   fragt. Außerdem ist                                                  hung zwischen         sei nicht das Ziel gewesen, sagt Grenze-
                                                    Pfarrerin Kerstin Grenzebach
                   Grenzebach, wie sie                                                  Pfarrerin und         bach, aber sie glaube, dass sie Menschen
                   sagt, neugierig und immer auf der Suche Kneipengästen. Anfangs habe noch eine              den Weg in die Gemeinde geebnet habe
                   nach neuen Wegen. Als sie im Gespräch gewisse Skepsis geherrscht, erzählt Gren-            – auch durch einen Rollenwechsel: „Das
                   mit Dirk Schmidt, der die einzige Kneipe zebach, ob sie beispielsweise überwache,          Geheimnis ist, dass für viele die Pfarrerin
                   im Ort – die „Jukeboxx“ – betreibt, erwähn- wie viel Alkohol jemand trinke. Doch das       zur Kerstin wurde.“ Die Kellnerin, die aber
                   te, sie habe schon immer mal kellnern wol- wich schnell dem Respekt dafür, dass die        auch ansprechbar ist, wenn sie als Pfarre-
                   len, zögerte der nicht lange. Für ihre Ein- Pfarrerin auch „richtig“ – also körperlich –   rin gebraucht wird. l           Olaf Dellit

                   6     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020
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Foto: medio.tv/Dellit
                                                                                                                                   THEMA

Wenn Eltern
von ihren
Kindern lernen

B
       ei Familie Schaumlöffel zu Hause
       wird manchmal Gottesdienst gefei-
       ert. Lea baut dafür ihre Puppen auf
und verteilt Rollen auch an ihre Eltern.
Dass ein Mädchen von dreieinhalb Jahren
auf diese Idee kommt, ist ein sichtbarer
Beleg dafür, wie wichtig evangelische Kin-      Im Gespräch: Kita-Leiterin Dorothee Schäfer (links) tauscht sich mit
dertagesstätten als Kontaktflächen zu den       den Müttern Karoline Schaumlöffel und Ann-Cathrin Eisenbeiß aus
Familien sind.
     Es sei ihr schon wichtig gewesen, eine     beiß. Ihr Mann sei nicht Mitglied, aber          line Schaumlöffel festgestellt, würden die
evangelische Kita wie die Kinderarche in        über eine befreundete Pfarrerin habe es          Traditionen nicht mehr kennen oder nicht
Fritzlar auszusuchen, sagt Leas Mutter Ka-      Kontakt gegeben. So wurde Tochter Carla          respektieren und auf ihre Handys starren.
roline Schaumlöffel. Aber dass ihre Toch-       getauft und soll sich zur Konfirmation ent-      Doch sie können es lernen – durch ihre
ter sie dazu bringt, nicht nur Gottesdienst     scheiden, ob sie in der Kirche bleiben will.     Kinder, also letztendlich durch die evan-
zu spielen, sondern auch am Sonntag in              Das evangelische Profil der Kinderar-        gelische Kindertagesstätte.
die Kirche zu gehen, hätte sie wohl bei         che wird jeden Tag deutlich, beschreibt Lei-         Auch die Mütter von Carla und Lea
der Anmeldung nicht gedacht. So ist es          terin Dorothee Schäfer. Ob beim gemein-          erleben, wie ihre Töchter Kirchenräume
aber gekommen, denn viermal im Jahr             samen Stuhlkreis aller Kinder am Montag          entdecken, von der Musik, den knarren-
wird in Fritzlar ein Mini-Gottesdienst für      oder in der Andacht zum Wochenschluss,           den Bänken und dem Steinfußboden fas-
die Jüngsten gefeiert – und da kommen           ob durch Gebete oder Lieder. Und natür-          ziniert sind. Und wie sie Traditionen mit
Eltern meist mit.                               lich spielen die Feste eine große Rolle:         nach Hause bringen und auch schon mal
     Von einer Wiederannäherung an die          Ostern, Weihnachten, Erntedank, Martins-         ein Tischgebet einfordern. l
Kirche berichtet auch Ann-Cathrin Eisen-        umzug und andere. Viele Eltern, hat Karo-                                         Olaf Dellit

Ausschlafen, aufatmen, aufeinander zugehen

W
           ie lockt man                                           gemütliche Familien-           predigt werden, sondern suchen den Di-
           Menschen in                                               frühstück zu Hause.         alog“, weiß Bürger. Jeder AAAndere Got-
           die Kirche,                                                     Auf die klassi-       tesdienst steht unter einem besonderen
die mit einem klassi-                                                   sche Liturgie ver-       Motto. Derzeit gibt es vier ehrenamtliche
schen Gottesdienst                                                       zichtet Pfarrer         Moderatoren, die dazu im Wechsel eigen-
wenig anf angen                                                          Stefan Bürger           ständig ihre Texte schreiben sowie Videos
                         Foto: Brehl

können? In Fulda                                                         ( 51 ) b ew u s s t .   und PowerPoint-Präsentationen vorberei-
hat man eine Ant-                                                        Wer selten oder         ten. „Jedes Teammitglied bringt frischen
wort gefunden. Seit                                                     gar nicht in den         Wind rein. Während einer schon tief ins
2006 besuchen über                                                     Gottesdienst ge-          Thema einsteigt, lockert der andere mit ei-
100 Menschen die „AA-                                                he, kenne die Texte         ner Geschichte auf. Oft denken sie in ganz
Anderen Gottesdienste” in                                         oft ohnehin nicht. Sein        anderen Bahnen als ich“, freut sich Bürger.
der Kreuzkirche. Ein-                                                   Ansatz: Bei den              Der Pfarrer tritt eher am Rande in Er-
                         Pfarrer Stefan Bürger gestaltet mit seinem
mal im Monat kom-                                                       AAAnderen Got-           scheinung und hebt sich auch optisch
                         Team in Fulda „AAAndere Gottesdienste”
men aus diesem An-                                                      tesdiensten soll         nicht von den anderen Akteuren ab. Be-
lass drei- bis viermal mehr Besucher als jeder, der möchte, aktiv mitmachen. Zu-                 wusst trägt er keinen Talar. In jedem zwei-
sonst. AAA steht für „Ausschlafen, Aufat- letzt konnte man zum Beispiel im Gottes-               ten Gottesdienst werden als besonderes
men, Aufeinander zugehen“. Statt Orgel- dienst auch live via Smartphone Fragen                   spirituelles Element persönliche Segnun-
musik spielt eine Band moderne geistliche zur Predigt stellen, die dann von einem                gen angeboten. Die Balance zwischen Lo-
Lieder und Popsongs. Der spätere Beginn Beamer an die Wand geworfen wurden.                      ckerheit und Tiefgang gilt es zu wahren. l
sonntags um 11 Uhr lässt Raum für das „Die Menschen wollen nicht mehr ange-                                                        Jens Brehl

                                                                                 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020          7
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THEMA

                                                                                                                    Die Tür steht offen:
                                                                                                                    Pfarrer Thomas Lux und
                                                                                                                    Kirchenvorsteherin Irm-
                                                                                                                    gard Schwalm in Nausis

                                                                                                                                                  Foto: medio.tv/Dellit
Vom Glück einer offenen Kirche
In Nausis in der Schwalm sorgt ein ehrenamtlicher Schließdienst dafür, dass die Pforten
der Dorfkirche am Radweg durchs Rotkäppchenland regelmäßig offen stehen

W
            as ist Glück? Diese Frage hat ei-           Ein Team aus dem Dorf sorgt dafür,        wahrnehmen. Kirchenvorstandsvorsitzen-
            ne Besucherin in das Gästebuch         dass die Kirche morgens auf- und abends        de Irmgard Schwalm, die direkt neben der
            der Kirche in Neukirchen-Nausis        abgeschlossen wird: der Schließdienst. Da-     Kirche wohnt, bestätigt das. Sie hat beob-
geschrieben und auch beantwortet. Für sie          für, berichtet Pfarrer Lux, habe man extra     achtet, wie Menschen, die Sorgen haben,
war es Glück, nach einer Wanderung, bei            Menschen gesucht, die nicht schon im Kir-      diese in die Kirche tragen.
der sie sich verlaufen hatte und unter der         chenvorstand aktiv sind, sondern neue Eh-          Befürchtungen aus der Anfangszeit,
Hitze litt, in Nausis Kaffee und Nussecken         renamtliche, die sonst mit der Gemeinde        dass etwas beschädigt werden könnte,
angeboten zu bekommen und eine geöff-              und zum Teil auch mit dem Dorf wenig zu        haben sich nicht bestätigt. Vielmehr, so
nete Kirche vorzufinden.                           tun hätten. Das sei auch gelungen, für je-     Lux, gingen auch Kinder respektvoll mit
    Genau so soll es auch sein, sagt Pfarrer       den Tag gibt es eine Schlüsselperson, dazu     der Kirche um. Und manchmal sogar mit
Thomas Lux, der für das Dörfchen in der            eine Vertretung.                               Stolz: Als die frühere Prälatin Marita Natt
Schwalm zuständig ist: „Wenn Menschen                   Zur Saisoneröffnung, in Nausis mit        und ihr Mann die Kirche besichtigen woll-
Kontakt zu uns haben, sollen sie Gast-             der Uhrenumstellung auf die Sommerzeit,        ten, trafen sie auf ein kleines Mädchen aus
freundschaft erleben.“ Zwar wird nicht je-         gibt es einen speziellen Gottesdienst. Und     dem Dorf, das sie stolz und mit leuchten-
der, der die neugotische Kirche besucht,           wenn die Uhren wieder auf Winterzeit ge-       den Augen durch die Kirche führte.
mit Nussecken verwöhnt, aber er wird in            stellt werden, lädt der Kirchenvorstand            Doch auch ohne Führung lohnt sich
jedem Fall (tagsüber) eine offene Kirche           den Schließdienst zum Dank zu einem ge-        ein Besuch in Nausis. Wegen der schönen
vorfinden. Seit Ende 2017 trägt die Kirche         meinsamen Essen ein. Die offene Kirche,        Kirche, wegen einer von Kaiserin Auguste
dieses Siegel, das mit bestimmten Anforde-         so erzählt Lux, sei nicht nur eine Anlauf-     Viktoria gestifteten Bibel und vor allem
rungen verbunden ist (siehe unten), außer-         stelle für Wanderer und Radfahrer, auch        wegen der großen Gastfreundschaft. l
dem ist sie auch Radwegekirche.                    die Nausiser selbst würden ihre Kirche neu                                       Olaf Dellit

OFFENE KIRCHEN IN DER EKKW

    Diese Leitlinien gelten für eine „Verlässlich geöffnete Kirche“:
    • Die Kirche ist von Anfang April bis Ende September mindestens an fünf Tagen in der
        Woche für vier Stunden geöffnet.
    • In der Kirche liegen Informationsmaterialien aus mit Hinweisen über die Entstehungs-
        geschichte der Kirche und das Gemeindeleben, Flyer mit Gebeten etc.
    • Die Kirche wird in einem einladend geordneten Zustand gehalten und ist gastfreundlich
        gestaltet.
    203 Kirchen in Kurhessen Waldeck tragen das Signet „Verlässlich geöffnete Kirche“ (rechts),
    232 Offene Kirchen sind zu finden unter        www.ekkw.de/offenekirchen

8        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020
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THEMA
Booklet
für unsere
  Leser
               Spirituelle Orte                                                             Drei Fragen an ...
                                                                                            Nina Wetekam, Referentin für
    In Kurhessen-Waldeck kann man Orte erleben, die für                                     Offene Kirchen in Kurhessen Waldeck
    den Betrachter eine spirituelle Kraft entwickeln, obwohl
    sie, nüchtern gesehen, einfach nur nord-, süd,- ost-, mittel-
    hessische und thüringische Landschaft darstellen. Aus der
    Nähe inspirieren manche Orte noch einmal ganz anders
                                                                                                                     ?   Warum sollte eine Gemeinde
                                                                                                                         ihre Kirche öffnen?
                                                                                                                     Nina Wetekam: Kirchenräume
    als von ferne. Wer durch Kirchentüren eintritt, Räume                                                            sind besondere Räume. Menschen
    auf sich wirken lässt, Ruinen durchstöbert, die Hand ins                                                         suchen diese „anderen Orte“ ger-

                                                                     Foto: Thomas Schmidt
                                                                                                                     ne und oft auf, um zur Ruhe, zu
                                                                                                                     sich selbst und auch zu Gott zu
                                                                                                                     kommen. Die freie Zugänglichkeit
                                                                                                                     entspricht dem spirituellen Bedürf-
                                                                                                                     nis vieler Menschen. Hier werden
                                                                                            keine Bedingungen an den Aufenthalt gestellt, hier kann
                                                                                            ich kommen, wie ich bin, ohne Vorleistung. Da wir diese
                                                                                            Räume haben, sie pflegen und unterhalten, warum sollten
                                                                                            wir sie dann nicht auch unter der Woche für unsere Gemein-
                                                                                            de und unsere Mitmenschen öffnen? Unser Gott ist auch
                                                                                            wochentags ein einladender Gott – nicht nur sonntags. Und
                                                                                            verschlossene Kirchentüren passen für mich so gar nicht zur
                                                                                            einladenden Botschaft des Evangeliums.

                                                                                            ?   Was macht eine Offene Kirche aus?
                                                                                                Wetekam: Schön ist es, wenn eine Offene Kirche für die
                                                                                            Ortsgemeinde mehr bedeutet, als „nur“ die Kirchentüren zu
                                                                                            öffnen, sondern wenn sie mit Zeichen der Gastfreundschaft
                                                                                            ausgestattet ist, zum Beispiel durch ein Gästebuch, einen
                                                                                            schriftlichen Kirchenführer oder die Möglichkeit, eine Kerze
                                      Booklet nicht im Heft?                                anzuzünden. Wenn eine Offene Kirche mit dem Signet „Ver-
                                      Oder hätten Sie gern                                  lässlich geöffnete Kirche“ ausgezeichnet ist, hält sie beson-
                                      zusätzliche Exemplare?                                dere Leitlinien ein und garantiert bestimmte Öffnungszei-
                                     (Solange der Vorrat reicht)                            ten (siehe Infokasten). In Kirchen an Rad- und Pilgerwegen
                                                                                            gibt es für die Besucher*innen oft Wasser, Traubenzucker
                                     T 0561 9307-152                                        und Informationen für den weiteren Weg. Wie schön, wenn
                                     booklet@                                               man sich so an einem heißen Sommertag in einer kühlen
                                     blickindiekirche.de                                    Kirche an Leib und Seele stärken und erfrischen kann!

                                                                                            ?    Oft gibt es Bedenken wegen Vandalismus.
                                                                                                 Wie hilft die Landeskirche?
                                                                                            Wetekam: Die Landeskirche übernimmt seit 2019 für Kir-
                                                                                            chen, die mit dem Signet „Verlässlich geöffnete Kirche“ aus-
                                                                                            gezeichnet sind, eine Versicherung, die gegen einfachen
    Quellwasser taucht, Bäume und Steine berührt, erlebt sol-                               Diebstahl und Vandalismus absichert. Damit setzt sie ein
    che Orte hautnah. Im direkten Erleben von Bäumen und                                    klares Zeichen und ermutigt Gemeinden, ihre Kirche zu öff-
    Gärten, Kirchen und Klöstern, Bergen und Tälern, Quellen                                nen. Zudem unterstützt sie die Gemeinden und stellt Mate-
    und Seen sowie Gräbern und Gedenkorten, oft ganz in der                                 rialien bereit und berät, was bei einer Öffnung zu beachten
    Nähe, liegt auch die Chance zu einer Begegnung mit Gott.                                ist. l                                   Fragen: Olaf Dellit
    Aufgrund der großen Nachfrage nach dem ersten Booklet
    hat sich die blick-Redaktion auf die Suche nach weiteren                                Kontakt:
    spirituellen Orten in Kurhessen-Waldeck gemacht und prä-                                Nina Wetekam, Fachreferentin für Küster-
    sentiert Ihnen die Folge II mit 43 Plätzen zum Aufatmen.                                arbeit und Offene Kirchen, Landeskirchenamt Kassel,
                                                                                            T 0561 9378-309, nina.wetekam@ekkw.de,
                                 Viel Spaß beim Lesen wünscht                                  www.ekkw.de/service/offenekirchen
                              Ihre Redaktion blick in die kirche

                                                                    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020                              9
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THEMA

Es tut gut, wenn jemand zu Besuch kommt
Der evangelische Besuchsdienst Marköbel kümmert sich um unterschiedliche Adressaten

D
         ie Beerdigung ihres Mannes Willi
         vor acht Jahren war schön, erinnert
         sich Lisbeth Hitzemann. Richtig
schwer wurde es danach: „Dann fährst du
heim und bist alleine.“ Willi, mit dem sie
fast 60 Jahre verheiratet war, den sie lan-
ge gepflegt hatte und an den sie sich vol-
ler Liebe erinnert, war nun nicht mehr da.
     Doch es gab noch diese Karte, die der
Pfarrer Lisbeth Hitzemann beim Trauerge-
spräch in die Hand gedrückt hatte: Der
Besuchsdienst in Marköbel (Kirchenkreis
Hanau) bietet auf Wunsch eine Trauerbe-

                                                                                                                                                Fotos: medio.tv/Dellit
gleitung an. So lernte die Witwe Christiane
Marx kennen. Im ersten Trauerjahr kam sie
alle zwei bis drei Wochen vorbei. „Wir rich-
ten uns nach dem Bedarf der Trauernden“,
sagt Marx dazu.
     Sie lernte die ganze Familiengeschich-      Im Gespräch: Christiane Marx vom Besuchsdienst Marköbel (rechts) kennt Lisbeth Hitze-
te von Lisbeth Hitzemann kennen – und            mann von vielen Besuchen
die alte Damer hat viel zu erzählen. In die
Trauer um ihren Mann Willi mischte sich          Besuche von Christiane Marx gut, auch         gen sind. Die Fluktuation ist hier – nicht
ihre eigene, schwierige Lebensgeschich-          um Neuigkeiten aus dem Dorf zu erfahren,      weit von Frankfurt entfernt – hoch, circa
te, der Tod der Mutter, als das Mädchen          die früher Willi Hitzemann mitbrachte.        ein Viertel der Einwohner wechsele pro
gerade einmal neun war; die dramatische                                                        Jahr, zitiert die Pfarrerin eine Statistik.
Flucht aus Ostpreußen und schließlich der        Besuch zu Geburts- und Tauftagen                  Wer evangelisch und neu im Ort ist,
erste Besuch in Marköbel bei Hanau, wo                                                         kann mit Besuch rechnen. „Die meisten
sie ihr Leben lang bleiben sollte.                  Der Besuchsdienst der Kirchenge-           Menschen freuen sich darüber“, erzählt
     Die 83-Jährige ist in das Dorf und in      meinde Marköbel mit seinen 15 Mitglie-         Lieselotte Hoeflich, die solche Besuche
die Familie eingebunden. Doch sie gehe          dern hat ein breites Angebot. Neben der        macht: Ein Gespräch an der Hautür, bei
nicht viel unter Leute, sagt sie, so taten die  Trauerbegleitung sind das die klassischen      dem ein Becher mit Kirchenmotiv sowie
                                                                  Geburtstagsbesuche äl-       Schokolade und Informationen überreicht
                                                                  terer Gemeindeglieder,       werden – reingebeten werde sie selten.
                                                                  die Pfarrerin Katharina      Aber der erste Kontakt zur Gemeinde ist
                                                                  Bärenfänger mit einer        hergestellt, und das zählt.
                                                                  halben Stelle nicht alle         Auch bei der Trauerbegleitung meldet
                                                                  selbst schafft. Familien     sich der Besuchsdienst bei den Hinterblie-
                                                                  mit Neugeborenen wer-        benen – nach vier bis sechs Wochen – und
                                                                  den aufgesucht – und         fragt, ob ein Besuch erwünscht ist. Lisbeth
                                                                  ein Jahr nach der Taufe      Hitzemann hat das Angebot gerne ange-
                                                                  erinnert der Besuchs-        nommen, mit Christiane Marx über Gott
                                                                  dienst die Eltern mit ei-    und die Welt zu sprechen, über ihr Leben
                                                                  nem Geschenk an den          und ihren Mann. Wenn sie dann erzählt,
                                                                  Jahrestag und lädt zum       wie Willi Hitzemann vom Goldschmied
                                                                  Tauferinnerungs-Gottes-      zum Gärtner wurde, wie sie im Garten un-
                                                                  dienst ein.                  ter bunten Lampions mit den Nachbarn
Besuchsdienst: In Marköbel sind 15 Ehrenamtliche zu Besuchen          Im Blick der Ehren-      feierten und wie sie, als er schon sehr
unterwegs, darunter (vorne von links) Sigrun Elsässer, Pfarrerin  amtlichen sind auch          krank war, gemeinsam Kreuzworträtsel
Katharina Bärenfänger, Christiane Marx sowie hinten Lilli Reuhl, Menschen, die frisch          lösten, glaubt man fast, man hätte ihn ge-
Reinhold Schneider und Lieselotte Hoeflich                        nach Marköbel gezo-          kannt. l                          Olaf Dellit

10     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020
THEMA

                                  Missional Kirche sein – wie geht das?
                                  Bischöfin Dr. Beate Hofmann hat in ihrem Bericht vor der Landes-
                                  synode im Herbst 2019 mit dem Titel „Gehet hin in alle Welt –
                                  Missional Kirche sein“ einen für viele neuen richtungsweisenden
                                  Begriff in die Diskussion um die Zukunft der Kirche in einer sich
                                  schnell verändernden Welt eingebracht. Was versteht man eigent-
                                  lich unter „missional”, und wo taucht das in den kirchlichen
                                  Arbeitsfeldern bereits auf? Pfarrer Armin Beck, im Kasseler Lan-
                                  deskirchenamt zuständig für missionarische Projekte, erläutert es.

                              D
                                         er Begriff „missional” stammt aus          Anglikaner wurde ein breites Programm            lich das „Jumpers Netzwerk“ in Kassel mit
                                         der Missionstheologie. Missionale          zur Anerkennung und Förderung solcher            initiativen in Stadtallendorf, Kassel und
                                         Theologie wurde zu einem Sammel-           „frischen Ausdrucksformen von Kirche“            anderen Städten (www.jumpers.de).
                                  begriff einer Theologie, die ganzheitlich         beschlossen: „Fresh X ist eine neue Form
                                  nach dem Wirken Gottes in dieser Welt,            von Gemeinde für unsere sich verändernde         Jumpers Helleböhn
                                  nach dem Zusammenhang von Wort und                Kultur, die primär für Menschen gegrün-
                                  Tat, dem Zusammenhang von glaubwürdi-             det wird, die noch keinen Bezug zu Kirche            Die Kasseler Initiative „Jumpers Helle-
                                  ger Nachfolge und Einladung zum Glau-             und Gemeinde haben.“ FreshX arbeitet in          böhn“ ist ein gutes Beispiel für eine mis-
                                  ben fragt.                                        bunten Formen in einer sich schnell verän-       sionale Kirche: Junge Menschen erklären
                                                                                                                                     sich bereit, in einem sozialen Brennpunkt
                                                                                                                                     der Stadt mit Kindern und Jugendlichen
                                                                                                                                     zu leben und zu arbeiten, Integration zu
                                                                                                                                     fördern und jungen Menschen neue Hoff-
                                                                                                                                     nung und Perspektive zu geben. Ganz
                                                                                                                                     nebenbei kommt über den Glauben der
                                                                                                                                     Mitarbeitenden auch die Frage nach den
                                                                                                                                     Inhalten auf. Der Ansatz: Menschen begin-
                                                                                                                                     nen Formen christlicher Gemeinschaft zu
                                                                                                                                     erfahren und begegnen so Gottes Liebe in
                                                                                                                                     Wort und Tat.
                                                                                                                                         Solche Initiativen zu vernetzen und zu
                                                                                                                                     fördern, dient die Arbeit des Netzwerks
Foto: www.jumpers-helleboehn.de

                                                                                                                                     „FreshX“. In Hessen bieten die beiden
                                                                                                                                     evangelischen Landeskirchen, also EKKW
                                                                                                                                     und EKHN gemeinsam, regelmäßig einen
                                                                                                                                     „Runden Tisch FreshX“ an, bei dem man
                                                                                                                                     sich informieren und vernetzen kann. Un-
                                                                                                                                     ser Ziel ist die Anerkennung und Integra-
                                                                                                                                     tion in die regionale Arbeit von Kirche, wie
                                                                                                                                     es bereits in anderen Kirchen geschieht,
                                  Ein Beispiel für missionale Kirche: „Freaky Friday” ist ein Treffpunkt des Kasseler Vereins
                                                                                                                                     zum Beispiel in der Evangelischen Kirche
                                  „Jumpers Helleböhn – Jugend mit Perspektive” für Mädchen von 8 bis 12 Jahren
                                                                                                                                     in Mitteldeutschland (EKM). FreshX ist ein
                                                                                                                                     wirklicher Hoffnungsschimmer und eine
                                       In der missionarischen Arbeit taucht         dernden Kultur und will lebensverändernd         Bereicherung in unserer kirchlichen Welt.
                                  seit einiger Zeit ein Begriff auf, der sich ex-   in Bezug auf das innere und das soziale              Missional Kirche sein – zum Glauben
                                  plizit als missional versteht: Es geht um die     Leben von Menschen wirken.                       einladen und in die Welt senden. Wir be-
                                  sogenannten „Fresh expressions of church“             Auch in Kurhessen-Waldeck gibt es            schreiben damit einen gangbaren Weg in
                                  (oder kurz FreshX). Der englische Begriff         solche Projekte: zum Beispiel den „Him-          die Zukunft, in der eine kleinere Kirche
                                  verweist auf die Herkunft: Die anglika-           melsfels“ in Spangenberg (www.himmels-           ganzheitlich und glaubhaft das Anbrechen
                                  nische Kirche experimentiert bereits seit         fels.de), das „CenTral“ in Marburg (www.         des Reiches Gottes in dieser Welt bezeugt
                                  zwanzig Jahren mit unterschiedlichen Ge-          central-richtsberg.de), die Initiative „church   und Menschen mit Wort und Tat in das
                                  meindeformen neben den herkömmlichen              goes pub“ (https://churchgoespub.de)             Reich Gottes hineinliebt. l
                                  Parochien. In einem Synodalpapier der             aus Rotenburg an der Fulda und schließ-                                          Armin Beck

                                                                                                                    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020          11
THEMA

                    Mit Ausgetretenen im Gespräch bleiben
                    Als Vikar setzte sich Dave Kulik für einen neuen Umgang mit ehemaligen Kirchen-
                    mitgliedern ein und gewann wichtige Erkenntnisse für die Gemeindearbeit

                    D
                            er Punkt „Austritte, Optionen und über die persönliche Motivationslage und Sommerfeste im Park bieten Möglichkei-
                            Eintritte“ steht in den Sitzungen gewann dabei viele wichtige Erkennnisse ten, vielleicht auch mal ein Wintergrillen
                            des Kirchenvorstands Obervellmar für die Gemeindearbeit.                        für Neuzugezogene, wie Kulik es mit ei-
                    regelmäßig auf der Tagesordnung. Dabei                                                  nem Kollegen in Kassel organisierte.
                    werden die Namen der ausgetretenen, op- Profillose evangelische Kirche?                     Ein konkretes Projekt stellte der Vikar
                    tierten und eingetretenen Personen inner-        Die Antworten auf die Fragen waren mit seiner Konfirmandengruppe auf die
                    halb der Kirchengemeinde verlesen. Was so vielschichtig wie die Frauen und Män- Beine: An einem Nachmittag wurden vor
                    dann folgte, war oft ratloses Schulterzu- ner selbst: War bei dem einen Gesprächs- einem Einkaufszentrum Waffeln gebacken
                    cken. Gründe, Ursachen, Vorgeschichten partner die religiöse Entfremdung aus- und verschenkt – immer mit dem Hinweis
                    blieben für den KV im Dunkeln. Konkrete schlaggebend für den Kirchenaustritt, auf die Kirchengemeinde. Dabei gab es
                    Gesichter, Begegnungen, Gespräche, ge- spielten beim anderen finanzielle Fragen viel Kontakt zu distanzierten Mitgliedern
                    schweige denn Motive für einen Austritt die Hauptrolle oder auch schlechte Erfah- und auch zu Leuten, die gar nichts mit der
                    konnte man kaum mit den genannten Na- rungen, Enttäuschungen, Ärger. Auch die Kirche am Hut hatten. Ein Riesenakt, der
                    men verbinden.                               Familiensituation in einer konfessionellen ein großes Zeitkontingent verlangt? „Acht
                        Damit wollte sich Vikar Dave Kulik Mischehe wurde als individueller Grund Stunden Arbeitszeit hat mich das gekos-
                    nicht abfinden. Seine Idee: Man müsste genannt. Fragen über den Tod tauchten tet”, lächelt Kulik, „genauso lange, wie ich
                    über ein Profil der Ausgetretenen verfü- auf. Gern erinnerten sich die meisten an für eine Predigtvorbereitung brauche!”
                    gen, um deren Sicht
                    auf die Kirchengemein-
                                                  • Wo hatten Sie in Ihrem Leben Kontakt mit Kirche?
                    de kennenzulernen. Nur

                                                                                                                                                          Foto: medio.tv/Simmank
                    mithilfe valider Daten        • Wie sehen Sie die evangelische Kirche im großen Ganzen?
                    könne man Ursachen-           • Wie ist Ihr Blick auf die Kirchengemeinde vor Ort?
                    forschung betreiben
                                                  • Was wünschen Sie sich von der Kirchengemeinde in Zukunft?
                    und letztlich versuchen,
                    die steigende Zahl der
                    Austritte durch eine bessere Mitgliederpfle- ihre Konfirmation oder an die Hochzeit.        Mittler-
                                                                                                                             Dave Kulik (28), Pfarrer
                    ge einzudämmen.                              Häufig, so Kulik, wurde in historischen weile ist der in Vellmar-Frommershausen
                        So schlug Kulik dem KV vor, mit ei- oder aktuellen Zusammenhängen nicht e h e m a l i g e
                    nigen ausgewählten Personen, die Ge- zwischen evangelischer und katholischer V i k a r G e -
                    sprächsbereitschaft zeigen, Kontakt auf- Kirche differenziert. „Für die befragten meindepfarrer. Nach seiner Ordination im
                    zunehmen. Maßgeblich für diesen Vorstoß Ausgetretenen erscheint die evangelische Oktober 2019 hat Kulik im benachbarten
                    war, dass die Menschen nicht auf ihren Kirche fast profillos”, stellte der Vikar er- Frommershausen eine Pfarrstelle übernom-
                    Kirchenaustritt reduziert werden sollten, staunt fest.                                  men. In einem „Erfahrungsbericht im Rah-
                    sondern dass sie in ihrer Biografie ernst-       Der Kirchenvorstand nahm Kuliks Im- men der zweiten theologischen Prüfung” –
                    genommen werden. Per Telefon verabrede- puls auf, das gesamte Profil des kirchlichen Zugangsvoraussetzung für den Pfarrberuf
                    te der Vikar fünf Interviewtermine. Dabei Handelns zu überprüfen. Auf jeden Fall sol- – hat er die Interviews mit den Ausgetrete-
                    vermied er die vorwurfsvoll klingende Fra- len Konfessionslose als Adressaten für die nen systematisch aufgearbeitet und prakti-
                    ge „Warum sind Sie ausgetreten?”. Statt- Kommunikation des Evangeliums weiter- sche theologische Handlungsperspektiven
                    dessen kam er über vier indirekte Fragen hin im Blick bleiben. Wie das im Einzelnen für die Gemeindearbeit daraus abgeleitet.
                    (s. Kasten neben dem Foto) ins Gespräch geschieht, muss sich zeigen – Tauffeste, l                                Lothar Simmank
Foto: Adobe Stock

                    12    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020
THEMA

Berührungspunkte finden
Was beschäftigt die Menschen, auf die ich sonntags im Gottesdienst nicht treffe, fragt
sich Oberlandeskirchenrätin Dr. Gudrun Neebe, Bildungsdezernentin der Landeskirche

T
       agtäglich begegne ich vielen Men-
                                                      »Dass wir einander

                                                                                                                      Foto: medio.tv/Schauderna
       schen: im Auto auf der Straße, im
       Zug, beim Einkaufen am Abend.                 freundlich begegnen
Das wird bei Ihnen ganz ähnlich sein.               und zugewandt sind,
Wenn ich sie anlächle, lächeln die meis-
ten zurück. Schön, denke ich dann.
                                                   ohne gleich zu sortieren
    In den Schulen begegnen mir vie-                    und einzuteilen,
le Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte,            darauf kommt es an.«
Schulleitungen, manchmal auch Schul-
amtsdirektorinnen oder Ausbilder. Unsere
evangelischen Kitas sind auch solche Be-       Manchmal bedeutet das sicher eine Hal-
gegnungsorte, an denen viele Menschen          tungsänderung. Ich muss mir einen Ruck
sich begegnen, Eltern, Kinder, Großeltern.     geben. Das ist wichtig:
Hier kommt man miteinander ins Ge-             • Sich freuen, wenn sich ein Jugendlicher
spräch. Und nicht zu vergessen die kirch-          für die Konfirmation interessiert und
lichen Tagungsstätten, wo ebenfalls viele          zum ersten Mal bewusst mit Kirche
Begegnungen stattfinden. Manche suchen             und Glauben in Kontakt kommt;
geradezu Begegnung an diesem Ort und           • es kann beflügeln, dass Eltern fragen,
Impulse, die sie gern mitnehmen.                   ob ihr Kind gesegnet werden kann;
    Was beschäftigt diese Menschen, was        • mit dem Kita-Team einen Familiengot-
treibt sie um? Scheinbar gelingt es uns            tesdienst planen, der Eltern und Kinder
noch zu wenig, ihre Themen und Fragen              zum Mitfeiern einlädt und ihnen glei-
aufzunehmen, den richtigen Ton zu treffen.         chermaßen guttut;
Wenn wir Jesu Auftrag „Gehet hin“ ernst-       • Konfi-Eltern, Teamerinnen, Neuzugezo-
nehmen, sollten diese Menschen mehr im             gene oder Ausgetretene besuchen;
Blick sein. Voneinander können wir lernen,     • offen sein für sich anbahnende Gesprä-      Die Bildungskammer der Evangeli-
wie das gehen kann, denn es gibt auch Or-          che;                                      schen Kirche von Kurhessen-Waldeck
te, an denen das richtig gut gelingt.          • Impulse mitnehmen fürs Nach- und            hat im Juli 2019 ein Arbeitspapier
    Offene Kirchen werden häufiger unter           Weiterdenken.                             mit dem Titel „Verbindungen knüp-
der Woche aufgesucht von Menschen, die             Ich lasse mich rufen, anrufen, zurufen,   fen – Bindungen stärken” herausge-
die Stille und/oder Gott suchen, als zum       herbeirufen an die unterschiedlichsten Or-    bracht. In der 68-seitigen Broschüre
Gottesdienst, habe ich kürzlich gelesen. Ist   te und bleibe doch ich, mit meinen Gaben      geht es um „kirchliche Bildungsarbeit
Ihre Kirche offen für solche Gottsucher?       und Begrenzungen.                             in Zeiten zunehmender Konfessions-
    „Gehet hin”, sagt Jesus. Ich höre: Be-         Diakonische Einrichtungen, Kranken-       losigkeit”. In den einzelnen Kapiteln
gegnet den Menschen freundlich, offen          häuser, Chöre und auch Hobbys bieten          wird am Lebensalter eines Menschen
und aufgeschlossen! Manchmal merke ich,        viele Berührungspunkte mit Menschen.          entlang die kirchliche Arbeit mit Kin-
dass Kollegen oder Kolleginnen entnervt        Nicht zu allen lassen sich Kontakte knüp-     dern, Jugendlichen, jungen Erwach-
reagieren. „Wann soll ich das denn auch        fen, nicht alle wünschen sich Bindung oder    senen, Familien und älteren Erwach-
noch machen”, fragen sie. Aber es geht gar     Beziehung. Ich und der oder die andere        senen in den Blick genommen. Viele
nicht um das „auch noch“. Es geht nicht        entscheiden über den Grad von Intensität.     Ideen für die Praxis sind enthalten.
um mehr, sondern um anders.                    Nicht alle muss ich mögen, und nicht alle     Vorangestellt ist eine Einleitung, die
    Vielleicht sollten wir gar nicht danach    schätzen mich. Macht nichts, denn in Got-     den Begriff „Konfessionslosigkeit” be-
fragen, ob jemand der Kirche angehört, ob      tes Haus gibt es viele Wohnungen, auch        leuchtet.
er Mitglied ist oder nicht. Freuen wir uns     Ferienwohnungen und Tagungsstätten            Bestellung der Broschüre per E-Mail
einfach, wenn wir Menschen begegnen,           mit kurzer Verweildauer. Dass wir einan-      unter: bildungsdezernat@ekkw.de
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                                                                             blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2020                         13
THEMA

Kirche im Prozess denken
Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck möchte sich als Volkskirche qualitativ weiterentwickeln.
Was bedeutet das? Und zwar nicht nur im Blick auf konkrete Maßnahmen und Einsparpotenziale, sondern auch
hinsichtlich der Frage: Welche Kirche wollen wir in Zukunft sein? Dazu dokumentieren wir sieben Thesen der
Theologischen Kammer der EKKW aus dem Jahr 2014.

Die Krise der Volkskirche ist vor allem eine Relevanzkri-              geistigen Höhe der Zeit zu argumentieren. Der öffentliche Raum
se. Als solche ist sie multikausal. Es gibt nicht den einen Hebel,     ist daher ein wichtiges Forum kritisch-konstruktiven Diskurses
sie zu überwinden. Gleichwohl gilt es für die qualitative Weiter-    über die „Kommunikation“ sowie vor allem über das „Evange-
entwicklung der Volkskirche, das „Volk“ im Blick zu behalten, an       lium“ und damit die „Kirche“ selbst.
ihrer Wahrnehmungs-, Vermittlungs- und Sprachfähigkeit zu arbei-
ten und nicht zuletzt: in dem Geist zu leben, von dem sie spricht.     Diakonie ist eine sichtbare Gestalt des kommunizierten
                                                                       Evangeliums in Wort und Tat. Damit ist sie ein unaufgebbarer
Kulturelle Veränderungen erfassen die Gesellschaft                    Wesenszug von evangelischer Kirche. Mit haupt-, neben- und eh-
und damit auch die Kirche. Sie wirken sich mittelbar wie               renamtlicher Diakonie praktiziert die Volkskirche Nächstenliebe in
unmittelbar auf zentrale kirchliche Handlungsfelder sowie auf          der konkreten Zuwendung zu notleidenden Menschen. Die Kirche
kirchliche Organisation aus. Um als Volkskirche für weite Tei-        erfüllt mit ihrem diakonischen Handeln die Aufgabe, das prophe-
le der Gesellschaft relevant zu bleiben, darf die Kirche diese         tisch-politische Wächteramt zugunsten notleidender Menschen
Veränderungsprozesse nicht ausblenden, sondern sie ist heraus-        auf allen kirchlichen Ebenen (Gemeinde, Kirchenkreis, Landes-
gefordert, sich offensiv, realistisch und evangeliumsgemäß zu         kirche, EKD, weltweite Ökumene) auszuüben. Auf dem Markt der
ihnen zu verhalten.                                                    Wohlfahrtspflege steht sie in Konkurrenz zu anderen Anbietern.
                                                                       Beispielsweise ist ein Rückzug aus einzelnen Arbeitsfeldern denk-
Indem Kommunikation des Evangeliums geschieht, ereig-                  bar, etwa wenn die Aufgabe von anderen Trägern abgedeckt wird
net sich Kirche (Prof. Christian Grethlein). In diesem Geschehen       oder nicht mehr plausibel erscheint. Das diakonische Profil von
sind feste und bewegliche Elemente, kirchliche Organisation und        Kirche ist nicht nur in Einrichtungen des Diakonischen Werkes er-
Nicht-Organisierbares wechselseitig aufeinander bezogen. Denn          kennbar, sondern auch in gemeindediakonischen Initiativen und
das Evangelium – als die frohe Botschaft von der bedingungslo-         in der diakonischen Dimension pastoralen Handelns.
sen Zuwendung Gottes zur Welt in Jesus Christus – wird erfahrbar,
indem es Gestalt im menschlichen Miteinander annimmt: Lernen           Evangelische Kirche ist ihrem Wesen nach immer auch
und Lehren, gegenseitiges Helfen zum Leben, gemeinsames Fei-           ökumenische Kirche, insofern sie sich auf das Evangelium als
ern sind die elementaren Sozialformen, in denen der Gekreuzigte        die eine Wahrheit Gottes bezieht, die sich in Schrift und Bekennt-
und Auferweckte sich als gegenwärtig und sein Wort als wahr           nis entfaltet und damit in eine Gemeinschaft mit all denen stellt,
erweist. Wo dies sich ereignet, da ist Kirche – geplant oder unge-     die durch ihren Glauben zum Leib Christi gehören. Der Leib Chris-
plant, formell autorisiert oder auch überraschend informell. Das      ti wiederum umfasst die Glaubenden zu allen Zeiten und an allen
beinhaltet ein radikal prozesshaftes Verständnis dessen, was Kir-     Orten und verbindet damit auch die verschiedenen konkreten
che im Entscheidenden ausmacht; es ist tief im reformatorischen        Sozialformen von Kirche. Somit verpflichtet die ökumenische Di-
Aufbruch verankert, der Kirche als „creatura verbi“ versteht. Das      mension, die Einheit der Kirche zu achten, welche als Gabe Gottes
„Bleibende“ ist demzufolge ein Geschehen: Das, „was gilt“, steht       empfangen wird. In der Begegnung mit Menschen anderer Reli-
nicht abstrakt ein für alle Mal fest, sondern „ergibt sich“ bezogen   gionen lernt sie, ihr Eigenes in neuem Licht zu sehen, und trägt
auf den konkreten Kontext je neu – nicht beliebig, aber auch           zur Verständigung in der Vielfalt der Kulturen bei.
nicht prinzipiell vorwegnehmbar.
                                                                       Mission ist der Herzschlag der Kirche (Prof. Eberhard
Der öffentliche Raum ist für die Kirche von grundlegen-              Jüngel). Als Kirche haben wir teil an Gottes „Missio“, an seinem
der Bedeutung: Hier ereignet sich Kirche in der „Kommunika-            Handeln an der Welt und seiner Leidenschaft für Menschen. Wie
tion des Evangeliums“; hier gestaltet die Kirche Gesellschafts-        Gott sich in die menschliche Lebenswirklichkeit hinein inkarniert
prozesse mit. Jesus Christus als Herrn der Welt zu verkündigen,       hat und mit ihr kommuniziert, so ist die Kirche gesandt, mit den
relativiert jede politische, staatliche und rechtliche Ordnung, so     Menschen dort zu leben, wo sie sind, um sie zu werben und sie
dass totalitären Ansprüchen eine Grenze gesetzt wird. Zugleich       einzuladen – in der Hoffnung, dass sich ihnen die Relevanz des
werden dem kirchlichen Anspruch im öffentlichen Raum Gren-            Evangeliums in ihrer Lebenswelt erschließt. l
zen gesetzt: Die Kirche ist mit den für alle geltenden Gesetzen       Zu finden ist der komplette Text im Internet unter https://www.
konfrontiert, ebenso mit weltanschaulichen Fragen, die sie zur          ekkw.de/media_ekkw/downloads/ekkw_141114_kirchentheo-
beständigen Weiterentwicklung herausfordern, um stets auf der                                   retischer__zwischenruf_volkskirche.pdf

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