Innovationen im Fach O und U - Entwicklungsperspektiven in Wissenschaft und Forschung - DGOU
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AUS UNSER EM FACH | Wissenschaf t und Forschung Innovationen im Fach O und U Entwicklungsperspektiven in Wissenschaft und Forschung Es gilt, die Entwicklung von O und U aus klinischer und wissenschaftlicher Sicht mit dem Ziel einer bestmöglichen Behandlung unserer Patienten und Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen zu hinterfragen und Thesen für den zukünftigen Fortschritt zu formulieren. Aspekte der evidenzbasierten Medizin, moderne Therapiemethoden und deren volkswirtschaftliche Relevanz sollen reflektiert werden. Für das Fach O und U ist es unumgänglich zu schauen, wie es für den Nachwuchs unter sich stetig ändernden klinischen und wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen attraktiv bleiben kann. © NicoElNino / stock.adobe.com 28 Orthopädie und Unfallchirurgie 2021; 11 (1)
Wissenschaf t und Forschung | AUS UNSER EM FACH D er Versorgungsbedarf in O tensive Grundlagenforschungsarbeiten diesbezüglich intensiv bearbeitet werden und U definiert sich an- notwendig, um künftig auch präventiv müssen. Die orthopädisch-unfallchirur- hand der Erkrankungen Arthroseprozesse behandeln zu können. gischen Versorgungen bieten aufgrund und Verletzungen des Be- Die Behandlung der Osteoporose ist ihrer hohen Anzahl und volkswirt- wegungssystems. Dabei ist eine sektorenübergreifende Aufgabe. schaftlichen Relevanz ein großes Poten- die Breite des orthopädisch-unfallchir- Dabei muss insbesondere die Therapie zial für Innovationen und wissenschaft- urgischen Faches Herausforderung und osteoporotischer Frakturen der Wirbel- liche Analysen. Dabei ist der Fortschritt Anreiz zugleich. Das DRG-System hat säule und des Beckens sowie des distalen in neuen Operationstechniken vor- dazu geführt, dass finanziell vorteilhaft Radius und proximalen Humerus eine nehmlich an innovative Implantate, mo- bewertete operative Versorgungen vie- differenzierte und evidenzbasierte pati- derne Instrumentarien und intraopera- lerorts angeboten werden, während sich entenzentrierte und nicht ökonomiege- tive Visualisierung gebunden. für andere Versorgungen, einschließlich triggerte Abwägung zwischen konserva- Betrachtet man insgesamt die aktuel- der der „Orphan Diseases“, nur noch we- tiver oder operativer Behandlung erfah- len Entwicklungen und Ansätze der nige Kliniken finden. Beispielhaft für ren. Auch hier wird es – vergleichbar zur Operationen, so wird das intraoperative unzureichend vergütete Bereiche sei hier Arthrose – nur durch weitere Grundla- Vorgehen maßgebliche Bedeutung ha- die Kinderorthopädie mit oft langjähri- genforschung möglich sein, Osteoporo- ben. So wie minimalinvasive Maßnah- gen Behandlungen, teilweise hochkom- se präventiv zu behandeln. men bei den Osteosynthesen, der Be- plexer angeborener Deformitäten ge- nannt. Die konservative Behandlung ist im derzeitigen Vergütungssystem unter- bewertet. Somit schwinden die damit ge- „Die Öffnung für kritische Fragestellungen machten Erfahrungen sowohl in den Kliniken als auch in der Niederlassung. macht unser Fach nicht nur inhaltlich Schwerpunkte in der fachlichen stärker, sondern auch attraktiver für Weiterentwicklung Betrachtet man die Prävalenz und sozio- den Nachwuchs.“ ökonomische Belastung des Faches O und U, so stehen als große Bereiche für dessen Weiterentwicklung einige klassi- sche Volkskrankheiten und Versor- Die Behandlung akuter Verletzungen handlung der Wirbelsäule und in der gungsverfahren (unter besonderer Be- des Stütz- und Bewegungssystems ist Endoprothetik Eingang gefunden haben, rücksichtigung notwendiger Entwick- weit aufgefächert. Sie umfasst klassisch wird sich dieser Trend der Schonung des lungsperspektiven) hoch im Kurs: die Ruhigstellung beziehungsweise früh- Gewebes und der damit verbundenen — Arthrose, funktionelle Therapie mittels Orthese als Vorteile für den Patienten weiter fortset- — Verletzungen und degenerative Er- konservative Maßnahme sowie die Re- zen. Als gutes Beispiel gelten hierfür krankungen der Wirbelsäule, konstruktion durch Osteosynthese für „Fast Track“-Verfahren für die schnelle — Osteoporose, eine schnelle Mobilisierung und Reinte- Mobilisierung dank minimalinvasiver — Verletzungen und Verletzungsfolgen, gration ins soziale wie berufliche Um- Technik und lokaler Infiltrationsanäs- — Infektionen, feld. Minimalinvasive weichteilschonen- thesie. Hier hat unser Fachgebiet Aufhol- — sportorthopädisch-traumatologische de Verfahren unter Nutzung moderner bedarf. In anderen Fächern haben sich Verfahren sowie dreidimensionaler 3D-Bildgebung sowie solche Vorgehensweisen längst breit eta- — Versorgung mit spezifischen Implan- Virtual- und Augmented-Reality-Tech- bliert. Ziel ist grundsätzlich die rasche taten. nologien sind hier die wesentlichen An- Mobilisierung und kurzfristige Rehabi- Für Arthrose sowie Verletzungen und sätze für eine noch bessere Versorgung. litation des Patienten. degenerative Erkrankungen der Wirbel- Seit zwei Jahrzehnten werden bereits säule ist durch das stationäre Vergü- Innovationen autologe Chondrozyten unter Berück- tungssystem ein deutlicher Schritt von Implantate stehen aktuell, aber auch sichtigung der Prinzipien des Tissue En- der konservativen hin zur operativen Be- künftig, in O und U aufgrund der Häu- gineerings transplantiert. Aktuelle An- handlung zu verzeichnen. Dies gilt es, figkeit in der Anwendung und dem ho- sätze, deren therapeutische Wirkung kritisch zu hinterfragen und die Evidenz hen Anspruch an ihre Langlebigkeit in derzeit teils in randomisierten klini- der Behandlungskonzepte zu überprü- einem besonderen Fokus. Hier geht es schen Studien überprüft werden, bein- fen. Dazu sind dringend Versorgungs- vorrangig um Implantatsicherheit und halten die Applikation mesenchymaler forschungsprojekte mit dem Ziel der ri- funktionelle Outcome-Bemessung. Re- Stammzellen aufgrund ihrer hohen anti- sikoadjustierten Outcome-Bewertung gisterforschung, Materialforschung und inflammatorischen und immunmodula- der unterschiedlichen Therapiekonzepte Versorgungsstrategien bei periimplan torischen Potenz. Hierfür steht exem durchzuführen. Darüber hinaus sind in- tären Infektionen sind die Bereiche, die plarisch die Transplantation von Orthopädie und Unfallchirurgie 2021; 11 (1) 29
AUS UNSER EM FACH | Wissenschaf t und Forschung Stammzellen, isoliert aus dem relativ be- und Organschadens sowie die Unter- reich Netzwerke zwischen aktiven klini- leicht zugänglichen körpereigenen Fett- stützung der Heilungsbiologie, zum Bei- schen und grundlagenwissenschaftli- gewebe oder aus dem Knochenmark als spiel durch Immunmodulation oder chen Arbeitsgruppen. Diese Netzwerk- direkte Vorläuferzellen in arthrotisch Verbesserung von Organschranken- arbeit bedarf einer Anschubinitiative auf geschädigte Gelenke. Weitere Strategien funktionen, und eine frühfunktionelle verschiedenen Ebenen. Die DGOU kann beinhalten die Applikation von Wachs- Rehabilitation im Vordergrund. und will hier als Netzwerkplattform die- tumsfaktoren als Protein und durch Systemische Infekte und lokale Infek- nen, auch in der Verlinkung mit der for- Gentherapie, von Antikörpern sowie die te, zum Beispiel im Knochenbereich, ins- schenden Medizinprodukte- und Phar- Defektauffüllung durch künstliche oder besondere in Verbindung mit Implanta- maindustrie. hybride Ersatzgewebe über den Einsatz ten, stellen bei steigenden Operations- von 3D-Drucktechnologien. Dabei be- zahlen eine besondere klinische und so- Forschungsverbünde darf es aber weiterer Innovationen, ins- zioökonomische Herausforderung dar, Den 3R-Prinzipien (Replace, Reduce, besondere bei schwierigen anatomischen die es kritisch zu erörtern und vermehrt Refine) verpflichtend, bedarf es im Fach Ausgangsverhältnissen (wie beispiels- zu erforschen gilt. Hierfür ist die inten- O und U in naher Zukunft auch klinisch weise in der Wechselendoprothetik oder sive interdisziplinäre Zusammenarbeit relevanter, translational hochwertiger bei den Wirbelsäulendeformitäten), um mit den verschiedensten Fachgebieten tierexperimenteller Forschungsmöglich- auch hier individualisierte Rekonstruk- erforderlich, beispielsweise mit der Mi- keiten, die idealerweise in Zentren oder tionen mit biologischem Wiederaufbau krobiologie, Anästhesie, Inneren Medi- Forschungsverbünden auf höchstem in- der Gewebe umsetzen zu können. zin (Infektiologie) und modernen Bild- ternationalen Niveau angeboten und gebung, um künftig periimplantäre In- durchgeführt werden können (z. B. Interdisziplinarität fekte besser diagnostizieren, visualisie- TREAT-Gruppe), um hier patientenna- In der Unfallchirurgie werden ebenso ren und letztendlich kurativ behandeln he Fragestellungen präklinisch zu adres- die Osteosyntheseverfahren und Im- zu können. sieren. Notwendig ist deshalb die Etab- plantationstechniken stetig verbessert. Um aktuellen Entwicklungen gerecht lierung von Forschungsprofessuren ge- Auch hier stehen die Minimierung des zu werden, brauchen wir sowohl im ex- rade an den Universitäten, wo idealer- Gewebetraumas, Monitoring des Gewe- perimentellen als auch im klinischen Be- weise eine große klinische Expertise auf einem bestimmten Gebiet (einherge- hend mit hohen Patientenzahlen) be- steht und diese mit der grundlagenwis- senschaftlichen Exzellenz verlinkt wer- den kann. Dabei sollte nicht nur Grund- lagenforschung im eigentlich „biologi- schen Sinne“ im Fokus stehen, sondern besonders auch künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Ein großes Feld für neue Entwicklungen eröffnen hier die „Digital Tools“ in Form von „Virtual oder Augmented Reality“, „Robotic“ oder „Machine Learning“. Gerade mit diesen Technologien könnten unter an- derem bald auch komplexe Heilungsvor- gänge simuliert und entschlüsselt wer- den. Die Öffnung unseres Faches dafür macht es nicht nur inhaltlich stärker, sondern auch attraktiver für den Nach- wuchs. Nur wer mit modernen Techno- logien eigene Fragestellungen angeht, wird entsprechende Resultate erzielen und die besten Köpfe anziehen. Innovative Forschung, die sich letzt- © NicoElNino / stock.adobe.com lich auch in der studentischen Lehre ab- zeichnet, ist das Attraktivitätskapital für die Zukunft des Faches O und U. Si- cherlich wird uns dieser Bereich auch bei der Analyse – prä- und postoperativ – sowie im gesamten operativen Ablauf stützen. 30 Orthopädie und Unfallchirurgie 2021; 11 (1)
Wissenschaf t und Forschung | AUS UNSER EM FACH Outcome-Bewertung morbiditäten konfrontiert sein werden, Je nach Schwerpunkt der jeweiligen Es ist zu erwarten, dass künftig die Be- werden wir analog zur Geriatrie in der Fakultät wird unser Fachgebiet nach An- handlungsergebnisse noch eingehender Unfallchirurgie und auch in der Ortho- knüpfungspunkten suchen müssen. Da- evaluiert und auch für die Vergütung pädie die „Ortho-Geriatrie“ brauchen. bei sind Oberbegriffe leitend wie Immu- und Krankenhausfinanzierung herange- Anders als beim Alterstraumazentrum nologie, Regeneration, Infektiologie, zogen werden. Was in den USA mit erlaubt uns die integrierte Geriatrie die Biomechanik und Informationstechno- „Bundled payment“ als Ansatz für ein gezielte präoperative Vorbereitung des logie (Anknüpfung MPI, Helmholtz, „Pay for performance“ Einzug gehalten Patienten. Hierzu bewährt sich ein Fraunhofer etc.). hat, wird insgesamt für eine Outcome- Screening schon bei Indikationsstellung So darf man resümieren, dass die Brei- Bewertung relevant sein. Dieses verlangt in der Ambulanz, um gemeinsam mit te von O und U auch in Zukunft einen in besonderem Maße eine valide Quali- den niedergelassenen Kolleginnen und Anreiz, aber zugleich auch eine Heraus- tätssicherung. So sind die unterschiedli- Kollegen die perioperative Phase zu op- forderung darstellt. Wir müssen für ge- chen klinischen Ausgangsbedingungen, timieren, sodass zum Beispiel ein Delir sicherte rationale Versorgungsstruktu- wie vorbestehende Risiken, physische vermieden und Patienten schnell wieder ren sorgen, um unser diagnostisches und und psychische Komorbiditäten genauer selbstständig werden können. therapeutisches Vorgehen nach EbM-Er- kenntnissen zu optimieren, beständig wissenschaftlich zu evaluieren und an- gepasst an die Bedürfnisse unserer Pati- „Register sind heute fester enten und der Digitalisierung der Medi- zin weiterzuentwickeln. Neue Verfahren Bestandteil der Qualitätserfassung und – ob technisch mit digitalen Hilfen oder biologisch mit regenerativen Ansätzen – Qualitätssicherung.“ werden uns immer wieder Verbesserun- gen erlauben. Um unser Fach auf Dauer voranzubringen, müssen wir Förderpro- gramme und berufliche Perspektiven bieten. zu erfassen, intra- und postoperative Be- Förderprogramme sonderheiten wie Osteoporose, aber auch Elementar für unser Fachgebiet ist die Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Joachim Grifka, mangelnde Compliance zu verifizieren Nachwuchsgewinnung und die frühzei- Bad Abbach und in den Gesamtkontext des klini- tige Integration junger Kolleginnen und Prof. Dr. Markus Huber-Lang, Ulm schen Ergebnisses zu stellen. Wir kön- Kollegen in Forschung, Lehre und Kran- nen also nicht bei Leitlinien und EbM kenversorgung. Förderprogramme wie Prof. Dr. Henning Madry, Homburg stehen bleiben, sondern müssen für die Stipendien, Doktorandenseminare und Versorgungsforschung spezielle Instru- eine engagierte Betreuung der Studie- Prof. Dr. Udo Obertacke, Mannheim mente der Outcome-Messung berück- renden sind hierfür sinnvoll. Für Assis- Prof. Dr. J. Michael Raschke, Münster, sichtigen. tenzärzte bietet das Junge Forum der Präsident DGU, Register sind heute fester Bestandteil DGOU eine Übersicht an Fördermaß- Stellvertretender Präsident DGOU der Qualitätserfassung und Qualitätssi- nahmen wie Weiterbildungskurse, An- cherung. Sie müssen entsprechend der leitungen für Qualifikationen und einen Prof. Dr. Markus Rickert, Gießen Outcome-Bewertung ausgebaut und von regelmäßigen Austausch. Prof. Dr. Felix Walcher, Magdeburg den Kostenträgern hinreichend finan- Von Seiten der Universitätskliniken ziert werden. Die Grundlage für den sind wir in der Pflicht, Förderprogram- Prof. Dr. Dieter C. Wirtz, Bonn, Auf- und Ausbau von Registern, die un- me voranzutreiben sowie Forschungs- Präsident DGOOC und DGOU ter anderem die Qualitätssicherung be- projekte, Advanced Clinician Scientist- dienen, muss jedoch primär von öffent- Programme, Wissenschaftspreise und licher Hand umfangreich gefördert wer- schließlich für die „High potentials“ un- den. Der Innovationsfonds des Gemein- seres Faches Fellowships und Nach- samen Bundesausschusses wie auch die wuchsprofessuren zu etablieren. Öffnung der DFG zur Förderung von Wir müssen unser derzeitiges Umfeld Versorgungsforschung und Registern anpassen, um stärker als bisher die bes- sind wichtige, sinnvolle Schritte. ten Köpfe zu gewinnen und zu fördern. Da unsere Patienten mit Verletzungen, Dafür brauchen wir ein durchgängiges degenerativen Erkrankungen und deren longitudinales Curriculum vom Studi- Folgen zunehmend älter werden und wir um bis zur Professur, also klare Karrie- daraus folgend zunehmend mit Multi- rewege in O und U. Orthopädie und Unfallchirurgie 2021; 11 (1) 31
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