Intervalle Arbeitskreis Musik in der Jugend 2016

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Intervalle Arbeitskreis Musik in der Jugend 2016
Intervalle
   Arbeitskreis Musik in der Jugend 2016
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Inhaltsverzeichnis

       Editorial                                                           1

       11. Internationale Jugendkammerchor-Begegnung Usedom                2

       AMJ-Mitgliedschöre im Porträt:
       Konzertchor des Otto-Hahn-Gymnasiums Göttingen                     16

       Berichte aus der Kursarbeit
          Nur wer selbst brennt, kann andere entzünden
          Tipps und Tricks für die Kinderchorarbeit                       19
          Kinder.SINGEN.Lieder
          Fachtagung für MultiplikatorInnen in Wolfenbüttel               20
          Die Stimme im pädagogischen Alltag
          Das 14. Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme        23
          Interview mit Prof. Dr. Michael Fuchs, Gründer und Leiter der
          Leipziger Symposien zur Kinder- und Jugendstimme                26
          Kurzer Moment der Vollkommenheit
          Jazzchor-Workshop mit Felicia Friedrich auf dem Scheersberg     29
          Perfektes Training für angehende OrchesterdirigentInnen
          Orchesterdirigieren in Freiburg                                 32
          Circle & Pattern
          Circlesinging-Kurs mit Frank Ebeling                            34
          Großes Wiedersehen
          21. Jazz-It auf dem Bückeberg                                   36

       AMJ-Mitgliedschöre im Porträt:
       MDR Kinderchor                                                     38

       Thema: Singen mit geflüchteten Menschen                            40

       Ausgezeichneter Erfolg
       Der Christophorus-Jugendkammerchor Versmold in Wien                48

       Dona nobis pacem
       Der Weltjugendchor zu Gast in Wolfenbüttel                         50

       Keine Angst!
       Rezension zu „Chormusik und Migrationsgesellschaft“                52

       AMJ-Mitgliedschöre im Porträt:
       vox nova                                                           55

       Informationen und Neuigkeiten                                      58
Intervalle Arbeitskreis Musik in der Jugend 2016
Editorial

Liebe Mitglieder, liebe Freundinnen                    tun, solche gesell-
und Freunde des AMJ,                                   schaftlichen Grup-
sehr geehrte Damen und Herren,                         pen      einzubezie-
                                                       hen, die bislang
schon wieder ein Jahr vorbei, man glaubt es            nicht in befriedi-
nicht. Als ich das Vorwort zu den Intervallen          gendem Umfang
im letzten Jahr schrieb, war gerade die große          erreicht werden –
Fluchtbewegung nach Europa und Deutsch-                durchaus über die
land das beherrschende Thema. Dann ging die            Geflüchteten hin-
Zahl der in Deutschland ankommenden Flüch-             aus. Das ist, wenn
tenden zurück. Trotzdem bewegt uns das The-            man sich nur erst
ma noch. Muss es auch. Selbst wenn sie nichts          mal darauf ein-
lieber täten, als in ihre Heimat zurückzukehren,       lässt, einfacher, als
sind die Geflüchteten vorläufig erst mal da.           man meint. Das war eines der überraschenden
Sie sind meist noch am Anfang ihres Weges,             Untersuchungsergebnisse unseres Projektes
in Deutschland anzukommen. Sie wollen und              „Chormusikkultur und Migrationsgesellschaft“.
sollen für ihren Lebensunterhalt selbst auf-           Das ist inzwischen abgeschlossen, die Pro-
kommen. Sie brauchen die Voraussetzungen,              jektpublikation erschienen. In den Intervallen
um sich in Wirtschaft und Arbeit zu integrieren,       lesen Sie eine Rezension dazu. Im Jahrespro-
vor allem Sprachkenntnisse. Sie werden ler-            gramm finden sich erste Kurse, die das Thema
nen, wie Europa und Deutschland sozial, poli-          aufgreifen. Dazu lesen Sie u. a. ein Interview mit
tisch und kulturell „funktionieren“ und dass es        unserem Vorstandsmitglied Joachim Geibel.
gut tut, nicht nur in Sicherheit, sondern auch         Ungeachtet der Wichtigkeit dieser Vorgänge
in individueller Freiheit zu leben. Und wir ler-       hat der AMJ natürlich sein praktisches Geschäft
nen: In jeder Hinsicht wird unser Gemeinwe-            nicht vernachlässigt. Wieder wurde ein
sen noch farbiger, als wir es bislang gewohnt          umfangreiches Kursprogramm realisiert. Auf
waren. Manche tun sich schwer damit.                   Usedom wurde, zum 11. Mal, die Internationa-
Der Schriftsteller Wilhelm Raabe hat einmal            le Jugendkammerchor-Begegnung erfolgreich
geschrieben: „Man erlebt nicht das, was man            durchgeführt. Ein Fachtag zum Singen mit
erlebt, sondern wie man es erlebt.“ Das können         Kindern hat stattgefunden und wieder einmal
wir auch im politischen und kulturellen Leben          natürlich das große Symposium zur Kinder-
sehen: Die Einen, Gott sei Dank die Minder-            und Jugendstimme in Leipzig. Über dies und
heit, fürchten sich, schotten sich ab und rufen        Vieles mehr aus dem AMJ-Geschehen können
nach Verboten gegenüber allem, was sie nicht           Sie, wie gewohnt, Berichte lesen.
kennen. Die Anderen, Gott sei Dank die große           Ich bedanke mich für Ihr Interesse an der Arbeit
Mehrheit, begegnen den Herausforderungen               des AMJ, wünsche Ihnen ein gutes restliches
mit Selbstbewusstsein, Mitgefühl und Tatkraft.         Jahr 2016 sowie ein hervorragendes Jahr 2017.
Die unglaublich Vielen, die sich im Verlaufe des       Da kann übrigens der AMJ sein 70-jähriges
letzten Jahres für die Geflüchteten freiwillig         Bestehen feiern. Seien Sie herzlichst gegrüßt.
gemeinnützig engagiert haben, machen mich
stolz auf unser Land.
Auch viele Einzelpersonen, Ensembles und               Ihr
Verbände in der Amateurmusik haben sich mit
ihren Mitteln dem Thema Integration geöff-
net, von Willkommenskonzerten bis zu aufsu-
chender Arbeit, auch im AMJ. Das ist gut. Das
braucht aber auch einen langen Atem. Wir               Dr. Karl Ermert
haben es mit einem langfristigen Prozess zu            Bundesvorsitzender

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              Ein Bericht in Bildern

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Intervalle Arbeitskreis Musik in der Jugend 2016
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Zum 11. Mal trafen sich vom 12. bis 21. August dieses Jahres auf Einladung
des AMJ Jugendchöre aus ganz Europa auf der wunder­schönen Ostsee-Insel
Usedom, um gemeinsam und füreinander zu musizieren.
Sechs Chöre aus vier Ländern, rund 200 hoch motivierte TeilnehmerInnen,
dazu drei großartige Atelierleiter, über 1.500 BesucherInnen in sieben
öffentlichen Konzerten – das ist die reine Statistik. Zu allem anderen wollen
wir in dieser Ausgabe der Intervalle Bilder sprechen lassen, zahlreiche
bleibende Eindrücke, die unser Fotograf Jonathan Loyche während des
Festivals eingefangen hat.

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Intervalle Arbeitskreis Musik in der Jugend 2016
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   Atelier Mädchenchor
   Stan Engebretson (USA)

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Intervalle Arbeitskreis Musik in der Jugend 2016
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Atelier-Repertoire
A Pentatonic Alleluia
Ross Whitney
Wana Baraka
arr. Shawn L. Kirchner
Seal Lullaby
Eric Whitacre
Las Amarillas
arr. Stephen Hatfield
Music Down In My Soul
arr. Moses Hogan

                         Mädchenchor Zhuravachka (Weißrussland)
                         Leitung: Olga Belko

                         Jugendchor des Runge-Gymnasiums Wolgast
                         (Deutschland), Leitung: Fred Winter
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   Atelier gemischter Jugendchor
   Dominique Tille (Schweiz)

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Intervalle Arbeitskreis Musik in der Jugend 2016
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  Atelier-Repertoire
  Locus iste
  Anton Bruckner
  Watane
 Mark Sirett
 Blackbird
 arr. Daryl Runswick
 Ubi Caritas
Ola Gjeilo
Viva la Vida
arr. Jens Johansen

                       Jugendchor Giovani Cantori di Torino (Italien)
                       Leitung: Carlo Pavese

                       Konzertchor des Otto-Hahn-Gymnasiums Göttingen
                       (Deutschland), Leitung: Michael Krause
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   Atelier Mädchenchor
   Basilio Astulez (Spanien)

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Atelier-Repertoire
Media Vita
arr. Michael McGlynn
Zai Itxoiten
Javier Busto
Niška banja
arr. Nick Page
Bonse Aba
arr. Victor C. Johnson
Goza mi Calipso
Albert Hernández

                         Mädchenchor Canzone (Estland)
                         Leitung: Ulrika Grauberg

                         Jugendchor Haager Spatzen (Deutschland)
                         Leitung: Zsuzsanna Kàrolyi-Philippzig
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   Ich habe mich gleich beim ersten Mal verliebt!
   Usedom, „Strandgut“ in Trassenheide. In einem                 Ort gerechnet, und ich habe mich gleich beim
   Nebenraum der Jugendherberge sind die letzten                 ersten Mal total verliebt. Da Usedom eine Insel
   Akkorde eines jazzigen Stücks zu hören, danach                ist, habe ich damals ein Programm zum Thema
   strömen die Mitglieder des italienischen Jugend-              Wasser erarbeitet. Ich habe alle Chöre meines
   chores „Giovani Cantori di Torino“ auf den Innen-             Ateliers – ein Chor aus Ungarn, einer aus Tsche-
   hof, um vor dem abendlichen Konzert noch ihre                 chien und der Wolgaster Chor – gebeten, ein
   Freizeit zu genießen, gefolgt von Carlo Pavese,               Volkslied zu diesem Thema auszusuchen. Diese
   dem Chorleiter des Chores, und Stan Engebretson,              Stücke haben wir alle gemeinsam geprobt und
   der gerade die Probe mit dem Chor unterstützt                 dann eine Improvisation darüber gemacht,
   hat. Beide sind in gewisser Weise „Veteranen“ der             die mit Monteverdis „Ecco mormorar l’onde“
   Jugendkammerchor-Begegnung. Stan ist bereits                  endete. Beim Abschlusskonzert in Wolgast sind
   zum dritten Mal als Atelierleiter auf der Insel, Carlo        dann die SängerInnen wie Wasser aus allen
   sogar schon zum fünften Mal dabei, zwei Mal als               Ecken singend in die Kirche geströmt. Das war
   Atelierleiter und drei Mal mit einem seiner Chöre.            ein besonderer Moment und ein sehr speziel-
   Zeit für ein Gespräch über Erinnerungen, Traditio-            les Festival für mich.
   nen und die Frage, warum sie immer wieder gerne
   nach Usedom zurückkommen.                                     Stan: Ich war 2006 das erste Mal als Atelierlei-
                                                                 ter dabei, und gleich von Anfang an fand ich
   Ihr seid beide zum wiederholten Male                          die Gemütlichkeit hier großartig, das Zusam-
   beim Festival dabei. Was macht für euch                       menkommen verschiedener Länder, den Aus-
   die Besonderheit der Jugendkammerchor-                        tausch zwischen den ChorleiterInnen, auch
   Begegnung aus? Und erinnert ihr euch                          über Repertoirefragen. Und gerade für die
   noch an das erste Mal hier?                                   Jugendlichen ist das ein tolles Erlebnis, sie
                                                                 wachsen so stark durch ihre Teilnahme hier.
   Carlo: Ich erinnere mich sehr gut an mein ers-                Wenn man mit seinem Chor mal die bekannte
   tes Mal Usedom. Das war 2002, und ich hatte                   Umgebung verlässt, bekommt man zum einen
   zuvor noch kein solches Festival als Atelierleiter            die Aufmerksamkeit der SängerInnen, und
   erlebt, zumindest kein so langes. Ich war also                wenn man dann hierher kommt, hat man so
   sehr aufgeregt und sehr, sehr gut vorbereitet!                vielfältige Möglichkeiten, gemeinsam Musik zu
   (lacht) Aber ich hatte nicht mit so einem tollen              lernen und zu erleben.

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Gibt es besondere Momente, an die ihr                        damals noch in Karlshagen untergebracht und
euch erinnert? Was sind die Höhepunkte                       irgendwann während des Festivals stellten wir
des Festivals für euch?                                      fest, dass der große Spaß aber hier in Trassen-
                                                             heide stattfand. Wir haben uns also Fahrräder
Stan: Ich war ja drei Mal in der gleichen Rolle hier,        ausgeliehen und sind jeden Abend hergefah-
als Atelierleiter. Jeder Chor hat seine eigene Per-          ren, und dann mitten in der Nacht zurück nach
sönlichkeit, und es ist toll zu sehen, wie sich das          Karlshagen – singend! Das ist eine wunderbare
im Festivalverlauf langsam mischt und wie am                 Erinnerung. Oder den zugleich traurigen wie
Ende alles zusammenfindet und jeder alles gibt,              schönen Moment 2010, als wir am Ende des Fes-
um die bestmögliche Performance zu bringen.                  tivals nach Hause fahren mussten. Wir hatten
Das ist eine enorme Stimmung. Ein Höhepunkt?                 damals einen brasilianischen Sänger dabei, und
Das ist für mich immer das Abschlusskonzert.                 der hat sich dann, als wir kurz vor dem Gehen
Ich will nicht sagen „Hosanna, Hosanna“ – aber               waren, ein Mikrofon geschnappt und ein brasi-
es könnte sein (lacht). Ich liebe diese Erfahrung,           lianisches Lullaby gesungen. Als wir dann mit
die Jugendlichen dabei zu beobachten, wie sie                dem Bus losfuhren, mitten in der Nacht, haben
Spaß an der Musik haben. Und natürlich ist die               alle unsere alten und neuen Freunde auf der
„Naschkatze“ in Krummin immer ein Muss!                      Straße gestanden und gewunken. Diese Erinne-
                                                             rungen sind alle sehr besonders, weil sie etwas
Carlo: Das Abschlusskonzert ist natürlich ein                über die menschliche Seite sagen, die aber ohne
wunderbarer Moment, das stimmt. Ich habe                     die Musik nicht existieren würde.
darüber hinaus viele kleine Bilder im Kopf. Etwas
wirklich Besonderes hier ist ja, dass man viele              Im Rückblick auf euer erstes Festival hier:
Tage mit relativ wenigen Chören zusammen-                    Gibt es Veränderungen, die euch aufgefal-
lebt, sodass sich zahlreiche Möglichkeiten bie-              len sind? Haben sich musikalisch und
ten, sich gegenseitig kennenzulernen, mitein-                organisatorisch neue Dinge ergeben?
ander zu singen und vieles mehr… man wird
wie eine kleine Familie. Ich erinnere mich zum               Carlo: Ich mag Innovation, aber ich würde
Beispiel auch an das erste Mal, als ich mit einem            sagen, dass dieses Festival sehr ähnlich ist
Chor hier war (2006, Anm. d. Red.). Wir waren                wie schon 2002. Und ich mag auch oder gera-

Stan Engebretson beim Abschlusskonzert der                   Carlo Pavese 2008 mit seinen Atelierleiter-Kolleginnen
7. Internationalen Jugendkammerchor-Begegnung 2006           Thekla Jonathal (li.) und Sanna Valvanne

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   de das sehr. Man kommt her und alles läuft in               zulernen. Und es gibt auch ein größeres Interes-
   ähnlicher Art und Weise: nette Menschen, wun-               se an Aufführungspraxis und Performance. Wir
   derbare Orte, ein tolles Team. Eine Sache, die              sind einfach neugieriger als Chorleiter.
   allerdings einen Unterschied ausmacht, ist der
   Mittwoch, wenn die „common pieces“ geprobt                  Carlo: Ich möchte noch eine andere Sache
   werden und die AtelierleiterInnen in die ande-              ergänzen, wo sich etwas verändert hat. Bei
   ren Ateliers kommen. Das ist eine große Ver-                anderen Festivals ist es ja oft so, dass die Stü-
   besserung. Das bietet die Möglichkeit, auch die             cke der Ateliers im Vorfeld vorbereitet werden
   Arbeit der anderen AtelierleiterInnen kennenzu-             sollen. Wir alle wissen aber, dass normalerwei-
   lernen, und die gemeinsame Probe aller Teilneh-             se nicht immer jeder Chor wirklich vorbereitet
   merInnen am Abend ist einfach schön.                        kommt, und wir akzeptieren das stillschwei-
                                                               gend. Als ich das erste Mal hier war, gab es,
   Stan: Ich würde sogar soweit gehen zu sagen,                glaube ich, noch die Idee, den Chören die Stü-
   dass ich kein Festival kenne, das so gut organi-            cke vorher zuzusenden. Und ich erinnere mich,
   siert ist. Ich schätze auch einfach sehr, dass alles        dass der Vorbereitungsstand … nun, sehr
   so ausgewogen ist. Nach einer anstrengenden                 unterschiedlich war. Damit ist am Ende natür-
   Atelierprobe am Morgen gibt es am Nachmittag                lich immer irgendwer nicht ganz glücklich, weil
   Freizeit und die Möglichkeit, bei gutem Wetter              die Proben für den einen Chor zu langsam sind
   an den Strand zu gehen. Die Begegnungskon-                  und für den anderen zu schnell. Die Tatsache,
   zerte am Abend sind wunderbar, und auch sonst               dass jetzt alle bei Null starten, finde ich daher
   die Möglichkeit, mit allen zusammenzukommen                 sehr gut und realistisch. Und da das Festival so
   und sich auszutauschen. Wie ich vorhin schon                lang ist, bleibt als AtelierleiterIn auch genug
   sagte, trifft es das Wort „Gemütlichkeit“ wahr-             Zeit, um ganz von Anfang an zu starten.
   scheinlich am Besten. Was die Musik, auch in
   den Ateliers, betrifft: Es gibt definitiv mehr Viel-        Stan: Und der andere Aspekt ist der, dass der/die
   falt. Aber ich denke, das liegt schon allein daran,         jeweilige ChorleiterIn die Zeit dafür nutzen kann,
   dass sich in der Welt so viel geändert hat. Vor 15          das individuelle Programm des Chores vorzube-
   Jahren gab es fast keinen Austausch von Noten               reiten. Das bietet die Möglichkeit, sich auf dieses
   über das Internet. Man hatte nicht in diesem                Programm zu fokussieren und sie haben nicht
   Maße die Möglichkeit, alles bei Youtube nach-               das Gefühl, dass ihnen Zeit weggenommen wird.
   zuschauen und so Musik aus aller Welt kennen-               Ich denke, dass das eine kluge Sache ist.

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Wie geht es euch mit dem aktuellen Festival?                       der Qualität der Arbeit ist, die sie hier machen.
Seid ihr zufrieden mit euren Ateliers?                             Natürlich sind sie morgens müde, und es ist nicht
                                                                   einfach, um 9.30 Uhr im Atelier zu proben – aber
Stan: Absolut! Es gibt eine unglaubliche Vielfalt                  sie wollen da sein! Sie wissen oder spüren, dass
in den einzelnen Konzerten. Es ist großartig, die                  sie etwas lernen, von Dominique, vom ande-
verschiedenen nationalen Stile zu sehen, auch                      ren Chor in ihrem Atelier. Und sie lernen, auf die
die neuen Ideen mit Improvisation oder Per-                        anderen zu hören, und das sehr gut! Das ist nicht
formance. Ich habe noch nicht die Möglichkeit                      selbstverständlich. In Turin singen wir immer mal
gehabt, alles zu sehen, was meine Kollegen vor-                    wieder mit anderen Chören, und dann ist oft
bereitet haben, aber in meinem Atelier bin ich                     eine gewisse Unruhe, sie reden ein bisschen und
sehr glücklich mit dem Level der SängerInnen                       man muss schauen, wie sie sich benehmen. Hier
und vor allem dem Einsatz. Für mich ist das ein                    sind sie viel mehr fokussiert und verstehen und
absolut beispielhaftes Festival. Als ich gefragt                   nehmen in sich auf, was die anderen anbieten.
wurde, ob ich wieder als Atelierleiter dabei sein
wolle, hab ich keine Sekunde gezögert und nur                      Stan: Sie waren fantastisch vorhin, als wir den
gesagt „Please, yes, I want to come“.                              kleinen Jazz-Workshop gemacht haben. Sie
                                                                   haben es gleich auf den Punkt hinbekommen.
Carlo: Da kann ich nur zustimmen. Es ist eines
der besten Festivals, wenn nicht das beste Fes-                    Carlo: Oh ja, und das ist noch eine andere
tival, das ich kenne. Ich versuche, alle zwei Jahre                wunderbare Sache, die hier passieren kann,
hierher zu kommen, und eigentlich können nur                       und die dieses Festival von anderen unter-
andere Termine oder Verpflichtungen dagegen                        scheidet. Man kann einfach sagen „Let’s work
sprechen, sonst gibt es keine Diskussion. Meine                    a little bit“ und die Gelegenheit nutzen, dass
SängerInnen – mit diesem Chor bin ich das ers-                     Stan mehr über diese Musik weiß als wir und
te Mal hier – lernen hier so viel, und sie beneh-                  uns helfen kann. Denn der Chor ist in einer Art
men sich sogar besser, als ich das erwartet hät-                   „Lernmodus“, das ist einfacher als im Alltag.
te … (schmunzelt) Und ich denke, dass es wegen                     Dort ist alles ein bisschen Routine, sie sind bei
                                                                   vielleicht 60 bis 70 Prozent – aber hier sind sie
Carlo und Stan 2010 nach einem kleinen Überraschungskonzert        auf einen Schlag zu 120 Prozent aufmerksam
gemeinsam in der „Naschkatze“ in Krummin                           und aufnahmefähig.

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AMJ-Mitgliedschöre im Porträt

    Konzertchor des Otto-Hahn-                                den Schwerpunkt im Musikzweig des Otto-
                                                              Hahn-Gymnasiums (OHG) auf die Musikpraxis
    Gymnasiums Göttingen                                      und die Arbeit in jahrgangsübergreifenden
    Von Michael Krause                                        Ensembles gelegt. Eine Entscheidung mit weit
                                                              reichenden Konsequenzen, bis heute.

       Wie man einen Vogel malt                                 Bisweilen kommt der Vogel bald / aber er
                                                                kann ebenso gut viele Jahre brauchen / bis er
       Male zuerst einen Käfig / mit einer offenen              sich dazu entschließt. / Verlier nicht den Mut /
       Tür / dann male / irgend etwas Hübsches /                warte, wenn’s sein muss jahrelang. / Denn der
       irgend etwas Einfaches / irgend etwas Schönes /          rasche oder langsame Anflug des Vogels / hat
       irgend etwas Nützliches / was nur den Vogel              nichts zu tun / mit dem Gelingen des Bildes.
       angeht. / Dann lehne die Leinwand an einen
       Baum / in einem Garten / in einem Wäldchen /           Singen ist ein menschliches Grundbedürfnis.
       verbirg dich hinter dem Baum / ohne zu spre-           Unsere SchülerInnen wollen singen, wollen
       chen / ohne dich zu rühren…                            auch singen lernen, haben ihre Klangidea-
                                                              le, zeigen sich aber beglückend interessiert
    1995 gründen an einer Schule ohne Chortra-                an für sie neuen und „alten“ Musikstilen. Die
    dition (aber mit dem zarten Pflänzchen eines              Kunst in Europa hat alte Wurzeln – auch Gre-
    frisch gegründeten Musikzweigs) 26 SängerIn-              gorianik und Renaissance können faszinieren,
    nen, vornehmlich junge Damen, einen Schul-                ebenso die Musik des 21. Jahrhunderts. Der
    chor. Sie führen zum Schattenspiel des Kunst-             Chor wächst, schneller als geahnt, für manchen
    kurses Orffs Weihnachtsgeschichte auf. Schnell            beobachtenden Pädagogen an der Schule
    vergrößert sich der kleine Chor, Männerstim-              wirkt die singbegeisterte Eigendynamik sogar
    men aus dem Oberstufenkurs stoßen dazu.                   beängstigend. Der Chor muss geteilt werden,
    Ende des Schuljahres sind es bereits 40 Sänge-            das Stundendeputat erhöht. Der Konzertchor
    rInnen. Die Schulorganisation und der Mangel              des OHG Göttingen wird gegründet. Bei ersten
    an MusiklehrerInnen geben wenig Spielraum                 öffentlichkeitswirksamen Auftritten außerhalb
    für eine sinnvolle Stundenplanung. Aus diesem             der Schule zeigt sich, dass am OHG ein beacht-
    Problem haben wir eine Tugend gemacht und                 liches Sängerpotential heranwächst. Der Kon-

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AMJ-Mitgliedschöre im Porträt

                                                           dass Kinder und Jugendliche mit Begeisterung
                                                           musizieren/singen, wenn wir ihnen die dazu
                                                           nötigen Räume beschneiden. Eine Beobach-
                                                           tung, die alle PädagogInnen in Zeiten verkürz-
                                                           ter Schulzeit (G8), voll gestopfter Lehrpläne
                                                           und persönlicher Tagespläne, die durch die
                                                           Ganztagsschule in ein Korsett aus Terminen
                                                           gezwängt werden, bestätigen können.
zertchor fährt zum EUROTREFF Wolfenbüttel,
beherbergt Gäste aus Mazedonien und konzer-                2. Raum und Zeit: Auch wenn es in den Medi-
tiert mit dem Göttinger Sinfonie-Orchester…                en regelmäßig suggeriert wird, dürfen wir in
Zurzeit singen am OHG in drei Chorgruppen                  unserer Event-Gesellschaft nicht erwarten,
(Unterstufenchor, Schulchor und Konzertchor)               dass Singen „einfach“ ist. Die Singstimme ist
und dem Praxisunterricht Chorsingen der 5. und             ein Instrument, das einem ständigen Wachs-
6. Klassen ca. 200 Schüler und Schülerinnen.               tumsprozess unterliegt. Sie will regelmäßig
                                                           gepflegt werden und benötigt wie alle Instru-
  Wenn der Vogel kommt / falls er kommt / so               mente Jahre der Übung, um sich zu entfalten.
  sei ganz still / warte bis der Vogel in den Käfig        Eine Schul-AG, die alle Halbjahre neu in Kon-
  schlüpft / und wenn er hineingeschlüpft ist /            kurrenz zu anderen Angeboten und Zwängen
  schließe mit dem Pinsel leise die Tür.                   des Stundenplanes gerät und um Lehrerstun-
                                                           den bangen muss, ist so gesehen keine aus-
Im Konzertchor finden ca. 45 Jugendliche der               reichende Basis für einen funktionstüchtigen
Jahrgansstufen 8 bis 12 zusammen, die etwas                Chor. Gerade deshalb müssen wir unserer
mehr Zeit in die Probenarbeit investieren wol-             Schulleitung danken, die der Chormusik am
len. Sie finden dort:                                      OHG trotz aller schulpolitischen Unwägbarkei-
                                                           ten 20 Jahre Kontinuität ermöglicht hat.
1. Einen Ort: Einen Käfig im positiven Sinn. Je
jünger, ungeübter und unerfahrener die Sän-                3. Motivation: Die SchülerInnen sind zum Glück
gerInnen sind, desto wesentlicher ist der opti-            nicht alle kleine Pavarottis oder Bartolis. Nicht
male Rahmen. Wir können nicht erwarten,                    allein Begabung ist die entscheidende Vor-

                                                      17
AMJ-Mitgliedschöre im Porträt

    aussetzung, sondern der Wille durchzuhalten,
    wenn es noch nicht so schön klingt. Zur Probe
    gehen, auch wenn man mal keinen „Bock“ hat,
    Werke ertragen, die einem nicht liegen, priva-
    te Termine zurückstellen: Singen kann, wer die
    Proben durchhält! Man kann die Stimme nicht
    per App herunterladen und abspielen. Die Ein-
    satzfreude der SängerInnen und ihrer Eltern
    für Konzerte, Probenwochenenden, Fahrdiens-             Produktionen in der Sparkassen-Arena oder die
    te und familiäre Organisationen geht über ein           Konzertreisen zum EUROTREFF 1997 und 2001
    selbstverständliches Maß weit hinaus.                   sowie zur Internationalen Jugendkammerchor-
                                                            Begegnung Usedom 2000 und 2016. In diesem
       Dann tilge nacheinander die Gitterstäbe aus /        Herbst führten wir gemeinsam mit dem Göttin-
       wobei du keine einzige Feder des Vogels              ger Knabenchor und dem Philharmonic Volks-
       berühren darfst / Sodann male den Baum /             wagen Orchestra in einem Friedenskonzert „The
       und wähle den schönsten seiner Äste / für den        Armed Man – A Mass for Peace“ von Karl Jenkins
       Vogel. / Male auch das grüne Laub und den            in der St. Johanniskirche in Göttingen auf.
       frischen Wind / den Sonnenstaub / und das
       Gesumm der Grastiere in der Sommerglut.              Seit zwei Jahren treffen sich ehemalige Sän-
                                                            gerInnen des Konzertchores zu Pfingsten in
    Die Konzerte sind das Salz in der Suppe. Etli-          einem Kammerchorprojekt und halten so Kon-
    che Schulkonzerte, Weihnachtsmusiken und                takt zu ihrer „alten“ Schule. Nicht wenige haben
    Gottesdienst-Auftritte prägen unser Konzert-            nach dem Abitur eine Berufslaufbahn als Musi-
    leben. Regelmäßig gestalten die SängerIn-               kerIn oder MusikpädagogIn eingeschlagen.
    nen Konzertprogramme auch inhaltlich selb-
    ständig und treten in kleinen Ensembles auf.              Und dann warte / ob der Vogel sich entschließt
    Darüber hinaus gibt es Höhepunkte, die allen              zu singen. / Wenn der Vogel nicht singt / so ist
    Beteiligten in Erinnerung bleiben werden,                 es ein schlechtes Zeichen / ein Zeichen dass
    wie die Konzerte mit dem Göttinger Sinfonie-              das Bild schlecht ist. / Aber wenn er singt /
    orchester (u.a. Carmina burana, Die Jahres-               ist es ein gutes Zeichen / ein Zeichen dass du
    zeiten), „Pop meets classic“, das AMJ-Projekt             das Bild mit deinem Namen zeichnen darfst. /
    „Komponistinnen und Komponisten schrei-                   Dann zupfst du ganz sacht eine Feder aus dem
    ben für Kinder- und Jugendchöre“, oratorische             Vogelgefieder / und schreibst in eine Ecke des
    Aufführungen gemeinsam mit dem Göttinger                  Bildes deinen Namen nieder.
    Knabenchor (u.a. Fauré-Requiem, John Rut-
    ter: Mass of the Children, Händel: Der Messias,           Jacques Prévert (1900–1977)
    Bach: Weihnachtsoratorium I-III), fünf Musical-           deutsch: K. Kusenberg

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Aus der Kursarbeit

Nur wer selbst brennt,                                    den geduldig beantwortet, der Ablauf (inklusi-
                                                          ve des geselligen Beisammenseins) aber nie
kann andere entzünden                                     aus den Augen verloren. Dieser Einstieg ist bei-
AMJ-Kurs „Tipps und Tricks                                spielhaft für das ganze Wochen­ende.
für die Kinderchorarbeit“                                 Natürlich werden auch viele Lieder gesungen:
in Vöhl, 06. bis 08. November 2015                        kurze, längere, laute, leise, SingBach, SingRo-
                                                          mantik, einstimmig, mehrstimmig. Die Anre-
Von Christine Eichner                                     gungen – theoretisch wie praktisch – sind
                                                          mannigfaltig, egal ob es sich um Literatur oder
Es ist Freitagabend, das Seminar fängt gleich             kindgerechtes Verpacken von Stimmbildung
an. Alles ist bereits vorbereitet, die Stühle ste-        und Einsingen handelt, um Liedvermittlung
hen schon im Kreis, diverse Literatur ist zur             durch die Verbindung von Stimme, Körper und
Ansicht ausgebreitet. Gleich wird es begin-               Bewegung (Gesten), positive Bestärkung und
nen, mit einer gewissen Routine formuliere ich            Motivation (Nie negativ! Immer Bilder suchen,
mir in Gedanken ein paar Sätze: Wer bin ich,              die die Kinder dort abholen, wo sie sind!) oder
wo komme ich her, was mache ich und was                   den Rat, niemals die Leichtigkeit und Einfach-
erhoffe (erwarte) ich von diesem Seminar. Mal             heit aus den Augen zu verlieren. Ihre gelebte
sehen, ob wir uns einen Ball oder so zuwerfen             Botschaft an uns: „Nur wer selbst brennt, kann
oder der Reihe nach drankommen.                           andere entzünden!“ Dabei immer offen und
Aber es kommt anders.                                     wach bleiben für die Belange der Kinder, denn:
Friedhilde (Friedhi) Trüün erscheint und fesselt          sie haben immer recht!
sofort mit Ausstrahlung und Präsenz. Nach-                Friedhi stellte jeder von uns am Anfang (bild-
dem sie sich vorgestellt hat und wir uns alle             lich gesprochen) drei Wäschekörbe hin: Der
aufs Du verständigt haben, gibt es eine etwas             erste für Sachen, die eher nicht meins sind.
andere Kennenlernrunde. Wir stellen uns nach              Der zweite, wo Sachen hineinkommen, die ich
Tätigkeitsbereichen (Schule, Kindergarten, Kir-           ausprobieren möchte. Und der dritte mit Anre-
che, …), nach Wohnorten, Geburtsorten, nach               gungen, Ideen, die ich sofort anwenden wer-
den Anfangsbuchstaben unserer Vornamen                    de. Das Blitzlicht zum Abschluss zeigte: Nur
auf. Sofort wird das Eis gebrochen, werden                der erste Wäschekorb ist bei uns allen fast leer
Gemeinsamkeiten entdeckt und viel gelacht.                geblieben. Danke Friedhi!
Ganz nebenbei lernt Friedhi unsere Namen.
Danach setzen wir uns auf unsere Stühle und
Friedhi erklärt und reflektiert das gerade Getä-            2017 kann man Friedhilde Trüün mit dem Kurs
tigte. Sofort gibt es den Literatur-/Skriptver-             „Kinder, ihr singt so klasse!“
weis dazu und den Bezug zur Kinderchor­arbeit               vom 06. – 08.10.2017 in Kloster Frenswegen in
(wann, in welcher Situation und in welcher                  Nordhorn erleben.
Altersklasse am besten einsetzbar). Fragen wer-

                                                     19
Aus der Kursarbeit

    Kinder.SINGEN.Lieder
    Fachtagung für MultiplikatorInnen
    in Wolfenbüttel, 02. bis 03. April 2016                 forderungen beim Musizieren mit Kinder- und
    Von Franka Weber                                        Jugendgruppen mit oder auch ohne Inklusi-
                                                            onsbedarf diskutiert.
    Eine Gruppe Erwachsener sitzt im Stuhlkreis,            Die erste Fachtagung des AMJ, durchgeführt
    singt ein Lied und lauscht dabei der Stille. Die        in Kooperation mit der Bundesakademie für
    Melodie ist nur im Kopf zu hören, der Ausdruck          Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, richtet sich
    ist physisch – mithilfe von Gebärden. Andäch-           speziell an MultiplikatorInnen aus KiTa, Grund-
    tig, vielleicht auch etwas unbeholfen, werden           schule und Kinderchor und ist aus einer einfa-
    die gerade erst erlernten Gesten ausgeführt.            chen Einsicht entstanden: Im frühkindlichen
    Unsicher darüber, was als nächstes kommt,               und vorschulischen Alter werden die Grund-
    schielen einige immer wieder zum Kursleiter,            lagen für spätere musikalische Aktivitäten
    Unmada Manfred Kindel. Dieser gebärdet so               gelegt. Damit diese Grundlagen erfolgreich
    lebhaft, und gleichzeitig so still, dass man das        gelegt werden können, bedarf es ausreichend
    Gefühl hat, sich in einen Gehörlosen hineinver-         qualitativ hochwertiger Angebote für Kinder.
    setzen zu können.                                       Daher bietet diese Fachtagung sowohl Aus-
    Während des zweistündigen Workshops Inklu-              tauschmöglichkeiten über die musikalische
    sion bei der Fachtagung „Kinder.SINGEN.Lieder“          Arbeit mit Kindern, als auch Workshops, in
    lernen die TeilnehmerInnen Lieder mit Gebär-            denen den TeilnehmerInnen Impulse für die
    den aus der Deutschen Gebärdensprache, ver-             praktische Arbeit vermittelt werden.
    bunden mit Tänzen und Spielen. Aber es wird             Die Tagung beginnt mit einer Einführung ins
    nicht nur getanzt und gesungen, sondern auch            Thema durch Prof. Robert Göstl. Dieser zeigt
    über Gestaltungsmöglichkeiten und Heraus-               am Beispiel eines Videos von seiner Tochter,

                                                       20
Aus der Kursarbeit

welche Begeisterung Kinder für das Singen
entwickeln können und fordert spontan das
Publikum auf, jenes eben von seiner Tochter
vorgetragene Lied anzustimmen. Indem er den
TeilnehmerInnen so in Erinnerung ruft, welche
Freude Singen bringt, ist die Motivation in allen
geschürt, sich dafür einzusetzen, dass mög-              werden viele Fragen gestellt: Wie motiviere
lichst viele Kinder ebenfalls diese Erfahrung            ich Kinder zum Singen? Wie wähle ich pas-
machen können.                                           sendes Repertoire? Wie vermittele ich Lieder
In den nächsten Stunden rotieren die Teilneh-            aus anderen Kulturen, wenn ich mich selber in
merInnen im World Café an Thementischen zu               der Kultur nicht auskenne? Wo bekomme ich
Integration, Inklusion und Singleitung. Neben            Unterstützung für größere Projekte? Es entste-
dem Austausch über bisherige Erfahrungen                 hen Diskussionen, einige Fragen können direkt
                                                         beantwortet werden, andere noch nicht.
                                                         Am Ende des ersten Tages werden die wich-
                                                         tigsten Erkenntnisse und Stichworte im Ple-
                                                         num zusammengetragen. Abgerundet wird
                                                         der Abend durch ein offenes Singen, das von
                                                         Markus Brünger geleitet wird, AMJ-Vorstands-
                                                         mitglied und zugleich Initiator und Ideengeber
                                                         der Tagung.
                                                         Am nächsten Tag ist nach einem kurzen Einsin-
                                                         gen die Zeit gekommen, dass die TeilnehmerIn-
                                                         nen der Tagung von den professionellen Kurslei-
                                                         terInnen lernen können. Zeitgleich mit dem Kurs

                                                    21
Aus der Kursarbeit

    zu Inklusion finden zwei weitere Workshops
    statt. Bei Robert Göstl lernen die TeilnehmerIn-
    nen Handwerkszeug: Einsätze geben, dirigie-
    ren, Details korrigieren und die Probe im Fluss
    halten. Jeder ist mal dran, sich vor der Gruppe
    und unter den Augen des Profis auszuprobie-
    ren. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf Feingefühl.
    Schon sehr kleine Gesten und Veränderungen
    der Mimik können viel bewirken – häufig auch            wichtig es ist, ein Lied in den richtigen Kontext
    mehr als ihre großen Gegenstücke. Die Rolle der         einzubetten, und zum Beispiel nicht grobe Ver-
    Chorleitung gegenüber dem Chor, sowie der               allgemeinerungen über das Leben in Afrika
    Umgang mit Lob und Kritik, auch gegenüber               zu verbreiten, sondern sich intensiv, auch in
    der Chorleitung, werden besprochen.                     Kooperation mit Menschen einer bestimmten
    Im Workshop Integration begeben sich die                Herkunft, mit einem Land oder einer Kultur
    TeilnehmerInnen mit Josephine Kronfli und               auseinanderzusetzen und so Kindern einen
    Pit Budde auf eine Reise um die ganze Welt.             unverfälschten Einblick zu geben.
    Die Lieder in fremden Sprachen und mit teils            Am Ende der zwei Tage hört man als Rückmel-
    ungewohnten Rhythmen und Melodien sind                  dung von den TeilnehmerInnen, dass sie in
    zunächst etwas schwer zu erlernen. Da aber              den jeweiligen Bereichen viel Neues gelernt
    Teile der Texte von den LiedermacherInnen ins           haben, was auch unmittelbar relevant für ihre
    Deutsche übersetzt wurden, wird eine Brücke             alltägliche Arbeit ist. Es bleibt aber eine deut-
    geschlagen, die das Kennenlernen einfacher              liche Nachfrage nach zusätzlicher Förderung,
    macht. Dazu kommen Tänze und Rhythmus-                  Unterstützung und weiteren Fortbildungen in
    spiele, wodurch ein lebendiges Spiel mit der            allen drei Gebieten Integration, Inklusion und
    Musik und eine Auseinandersetzung mit der               Singleitung. Darüber hinaus hieß es aber auch
    eigenen und den fremden Kulturen entste-                immer wieder: Wir würden gerne noch mehr
    hen. Hierbei betonen die KursleiterInnen, wie           Praktisches lernen, z.B. noch mehr Kinderlieder.

                                                       22
Aus der Kursarbeit

Die Stimme im                                        Nachfolgend soll von den Vorträgen berichtet
                                                     werden, die für die SängerInnen, Gesangspäd-
pädagogischen Alltag                                 agogInnen, ChorleiterInnen und Schulmusike-
Das 14. Leipziger Symposium                          rInnen eine besondere Relevanz hatten.
zur Kinder- und Jugendstimme,                        Im Eröffnungsvortrag skizzierte Prof. Dr. Ulrich
26. bis 28. Februar 2016                             Mahlert (Berlin) Perspektiven des Musikler-
                                                     nens und -lehrens und ging insbesondere
Von Prof. Dr. Michael Fuchs                          darauf ein, dass gerade dort, wo das Singen
                                                     Bestandteil des Unterrichts oder auch einer
Im Fokus des diesjährigen Symposiums mit             Therapiesituation ist, das gemeinsame Erle-
rund 500 TeilnehmerInnen stand die Stim-             ben von Glück beim Musizieren Kräfte entfal-
me der PädagogInnen: ihre Ausbildung, ihre           ten kann, die die pädagogischen Bemühungen
Gesunderhaltung, die Behandlungsmöglich­             und die stimmlichen Ausdrucksmöglichkei-
keiten bei berufsbedingten Dysphonien und            ten sehr unterstützen. In einem Vortrag über
Dysodien sowie die Wirkungen der Stimme              Stimmauffälligkeiten vor und nach Aufnahme
auf die Kinder und Jugendlichen und ihr Lern-        der Berufstätigkeit als LehrerIn erläuterte Dr.
verhalten sowie die zahlreichen Wechsel­             Sigrun Lemke (Leipzig) die Bedeutung einer
wirkungen, die mit der Stimme in der Unter-          umfassenden Ausbildung der Stimme von
richtssituation entstehen. Wie auch in den           angehenden PädagogInnen. So fanden sich
Jahren zuvor zeichnete sich das Symposi-             bereits bei den Lehramtsstudierenden bei fast
um wieder durch das intensive Diskutie-              40 Prozent stimmliche und sprecherische Auf-
ren zwischen den Fachgebieten der Musik-             fälligkeiten, die einer ärztlichen Abklärung und
pädagogik und Medizin und durch eine von             zum Teil einer logopädischen Übungsbehand-
gegen­seitiger Wertschätzung getragene, freu-        lung bedurften.
dig-aufgeschlossene Atmo­sphäre aus, zu der          Dass stimmliche Auffälligkeiten bei Pädago-
nicht zuletzt das Ambiente der Hochschule            gInnen eine unmittelbare Konsequenz auf
beitrug.                                             die Leistungen von Kindern haben, schilderte

                                                23
Aus der Kursarbeit

    Dr. Susanne Voigt-Zimmermann (Magdeburg)                 tes und der auditiven Steuerung beim Singen
    in ihrem Vortrag. Die eingeschränkte Steige-             und Sprechen. Den Hauptvortrag des Symposi-
    rungs-, Modulations- und Gestaltungsfähigkeit            ums hielt Prof. Robert Göstl (Köln) zur Singstim-
    einer erkrankten Stimme wirkt sich unmittel-             me. Unter dem Titel „Sing doch, was Du willst“
    bar auf das Sprachverstehen (insbesondere                schilderte er auf der Basis einer jahrelangen
    bei schwierigen akustischen Unterrichtsbedin-            Erfahrung als Musikpädagoge und Sänger vor-
    gungen) und damit auch auf die Aufmerksam-               der-, hinter- und tiefgründige Aspekte der Vor-
    keit- und Konzentrationsfähigkeit der Kinder             bildwirkung von Sing-Stimmen. Der Vortrag
    aus. Außerdem gibt es einen direkten Zusam-              fasste in einer beeindruckenden Weise zusam-
    menhang zwischen einer erkrankten Stimme                 men, in welch vielschichtiger Art PädagogIn-
    und schlechteren schulischen Leistungen der              nen und TherapeutInnen mit ihren Stimmen
    unterrichteten Kinder. Prof. Michael Fuchs stell-        auf ihr Gegenüber wirken.
    te im Namen einer Leipziger Forschergruppe               Dr. Vera Oelze (Halle) forderte auch für Mitar-
    Ergebnisse einer Studie dar, die deutlich macht,         beiterInnen in Kindertagestätten eine medizi-
    dass unabhängig von weiteren Ursachen für                nische Betreuung, da sich der Lärm in Kinder-
    Stimmerkrankungen das Risiko für eine berufs-            tagesstätten nicht nur auf die Stimme sondern
    bedingte Dysphonie um das 1,6fache steigt,               auch auf das Hören negativ auswirken kann.
    wenn eine entsprechende Ausbildung im Lehr-              Prof. Dr. Malte Kob (Detmold) ergänzte diesen
    amtsstudium fehlt.                                       Vortrag mit akustischen Grundlagen über die
    Frau Dr. Daniela Sammler (Leipzig) stellte neu-          Möglichkeit der Optimierung der Raumakus-
    ronale Grundlagen des motorischen Lernens                tik für den künstlerischen, pädagogischen und
    mit Fokus auf die Stimme und die Relevanz für            diagnostischen Stimmgebrauch. Die Raum-
    die Gesangsausbildung vor. Anhand aktuel-                akustik hat einen erheblichen Einfluss auf die
    ler internationaler Forschungsergebnisse ver-            Belastung der PädagogInnenstimme. Daher
    anschaulichte sie neue Erkenntnisse über die             sollten alle geplanten Renovierungsarbeiten
    Zusammenarbeit verschiedener Regionen des                oder Neubauten an Unterrichts- und Thera-
    Gehirns bei der Steuerung des Stimmappara-               pieräumen immer auch genutzt werden, um

                                                        24
Aus der Kursarbeit

die Akustik zu prüfen und gegebenenfalls zu             Handelns im Unterricht und in der Therapiesi-
optimieren.                                             tuation vor. Juan Garcia (Halle/Saale) widme-
Dr. Michael Kroll (Leipzig und Stadtroda) wies          te sich den Möglichkeiten der Arbeit mit der
in seinem Vortrag darauf hin, dass PädagogIn-           jungen Erwachsenen-Singstimme im Gen-
nen über ihren persönlichen Einsatz wirken              re Pop und Jazz und stellte insbesondere das
und sich dabei auch als Instrument nutzen.              Warm-Up (Einsingen) in drei Phasen in den
Kroll stellte die Frage, in welchem Maße es             Mittelpunkt. Schließlich gestaltete Evemarie
gelingt, achtsam zu sein und stellte Möglich-           Haupt (München) einen Workshop über inte-
keiten vor, diese Achtsamkeit zu schulen. Prof.         grative Stimmtherapie und -pädagogik unter
Dr. Claudia Spahn (Freiburg) beschrieb Risiko-          Einbeziehung komplementärer Verfahren, wie
gruppen, die sich bereits im Lehramtsstudium            Qi-Gong. Die Referentin konnte dem Publikum
finden lassen, die unter Belastungssituationen          eindrucksvoll neue Optionen für die Anwen-
zu einer Störung der psychischen Gesundheit             dung in der Unterrichts- und Therapiesituation
neigen.                                                 darstellen.
Parallel zu den Vorträgen fanden vier Work-             Auch dieser sehr erfolgreiche Jahrgang des
shops statt, die durch die viermalige Wiederho-         Symposiums basierte auf der intensiven,
lung von allen TeilnehmerInnen wahrgenom-               fruchtbaren und mittlerweile schon als freund­
men werden konnten. Johanna Seiler (Berlin)             schaftlich zu bezeichnenden Zusammenarbeit
stellte anhand zahlreicher praktischer Beispiele        zwischen der Hochschule für Musik und Thea-
mit dem Publikum Vokalimprovisation im päd-             ter Leipzig, dem Universitätsklinikum Leipzig
agogischen und therapeutischen Kontext dar.             und dem Arbeitskreis Musik in der Jugend.
Dabei kann Improvisieren als didaktisches und
therapeutisches Element fungieren. Micaëla
Grohé (Berlin) widmete sich der Kommunika-                Das 15. Leipziger Symposium zur Kinder- und
tion in (pädagogischen) Konfliktsituationen.              Jugendstimme findet vom 24. – 26.02.2017 statt.
Dabei stellte sie anhand konkreter Gesprächs-             Thema: „Beziehungssystem Stimme“.
situationen Möglichkeiten des professionellen

                                                   25
Aus der Kursarbeit

    „Wir sehen uns als einen
    Schrittmacher im Bereich der
    Kinder- und Jugendstimme“
    Anlässlich des 15. Leipziger Symposiums zur
    Kinder- und Jugendstimme hat unsere General-
    sekretärin, Marleen Mützlaff, mit dem Leiter
    des Symposiums, Prof. Dr. Michael Fuchs,
    gesprochen – über die Anfänge und die Zukunft.

    Marleen Mützlaff: Es gibt nächstes Jahr
    ein Jubiläum im Symposium: Es findet
    zum 15. Mal statt. Wie hat eigentlich alles
    angefangen?
    Prof. Dr. Michael Fuchs: Der Anfang war ein
    erster Kontakt zum Arbeitskreis Musik in der           punkt und wir haben damals sehr schnell die
    Jugend um das Jahr 2000 herum. Helmut Ste-             Idee entwickelt, genau dieses Symposium die-
    ger und Rolf Pasdzierny suchten den Kon-               sem Thema zu widmen.
    takt – wahrscheinlich über die Wahrnehmung             Im Jahr 2002 wurden wir auf dem 13. Phoniatrie-
    unserer Abteilung, da wir uns mit der Kinder-          Symposium, dem letzten seiner Art, aktiv: Es
    und Jugendstimme beschäftigen. Sehr genau              wurde ein Workshop „Kinder- und Jugendstim-
    kann ich mich an ein wunderbares Treffen und           me“ zum Thema Chorische Stimmbildung ange-
    ein langes Gespräch im „Bachstübl“ erinnern,           boten. Genauer gesagt war es ein Kongress für
    einem Café auf dem Thomaskirchhof, auf dem             Ärzte, der auch schon aus Vorträgen und rich-
    wir gemeinsam überlegten, wie eine Zusam-              tigen Workshops bestand und an die Leipziger
    menarbeit aussehen könnte.                             Musikhochschule angegliedert war. Aufgrund
    Dazu muss man wissen, dass seit den 1960er             der weitreichend positiven Resonanz beschlos-
    Jahren in Leipzig ein Symposium, es nannte             sen wir, weiterzumachen. Die Idee war, das Sym-
    sich seinerzeit Phoniatrie-Symposium, alle drei        posium zweijährig durchzuführen. Daher fand
    Jahre veranstaltet wurde. Es hatte vorrangig           das zweite Symposium 2004 statt, mit dem Titel:
    die Aufgabe, die Stimmärzte (Phoniater) beid-          „Der Klang der Kinder- und Jugendstimme“
    seits der damaligen deutsch-deutschen Grenze           (unter der Schirmherrschaft des damaligen Bun-
    für einen wissenschaftlichen Austausch zusam-          despräsidenten Johannes Rau). Dieses Sympo-
    men zu bringen. Nach der Wiedervereinigung             sium war bereits losgelöst und fand nicht mehr
    Deutschlands war diese Aufgabe erloschen,              im Rahmen des Phoniatrie-Symposiums statt,
    das Leipziger Symposium lief Gefahr, unterzu-          sondern wir hatten ein eigenes Symposium zur
    gehen in einer fast unüberschaubaren Vielfalt          Kinder- und Jugendstimme kreiert, was von
    an entsprechenden Kongressen, Symposien                vornherein Wert auf die Multidisziplinarität leg-
    und Weiterbildungen. Wir waren damals sehr             te. Weil das so gut lief und die Nachfrage so groß
    daran interessiert, dem Symposium einen                war, sind wir bei der Durchführung zum jährli-
    Inhalt zu geben, für den sich Leipzig in beson-        chen Rhythmus übergangen, den wir seitdem
    derer Weise auszeichnet, und das ist unsere            beibehalten haben und der dazu führt, dass wir
    klinische und wissenschaftliche Beschäftigung          im Jahr 2017 unser 15-jähriges Jubiläum des
    mit der Kinder- und Jugendstimme – mit dem             Symposiums feiern können.
    besonderen Schwerpunkt der Arbeit mit sin-             Im Rahmen des 1. Workshops haben Medizine-
    genden Kindern und Jugendlichen. Insofern              rInnen und MusikpädagogInnen teilgenommen.
    kamen die Beiden genau zum richtigen Zeit-             Dies war die Grundidee des Ganzen – nämlich,

                                                      26
Aus der Kursarbeit

                                                         künstlerischen Beiträgen. Über die Jahre haben
                                                         wir uns immer weiter entwickelt und perfektio-
                                                         niert, haben immer auch kleinere Veränderun-
                                                         gen vorgenommen und das Ganze als einen
                                                         lernenden Prozess verstanden. Die Grundidee
                                                         – einen Wechsel aus Vortrag und Praxis zu
                                                         haben – hat sich dabei sehr bewährt.
                                                         Weiterhin ist das rotierende System der Work-
                                                         shops zu nennen – dass also vier Workshops vier
                                                         Mal parallel angeboten werden. Dies ermög-
                                                         licht es allen TeilnehmerInnen, jeden Workshop
                                                         zu erleben. Wir empfinden das als sehr glück-
                                                         liche Lösung für die TeilnehmerInnen, die so
                                                         wirklich alles mitbekommen können. Ich kenne
                                                         viele andere Kongresse, bei denen Workshops
                                                         so parallel angeboten werden, dass man sich
dass eine etablierte Veranstaltung genutzt wer-          einen unter vielen aussuchen muss. Zuweilen
den sollte, an der an diesem Fachgebiet interes-         beschleicht einen dann das Gefühl, dass man
sierte ÄrztInnen und auch LogopädInnen (aller-           etwas verpasst, oder dass man den falschen
dings in geringerer Zahl, als es heute der Fall          Workshop ausgewählt hat… Einmal hatten wir
ist) teilnehmen. Und wir hatten uns überlegt,            auch versucht, Kleinworkshops mit begrenzter
MusikpädagogInnen einzuladen, MusiklehrerIn-             TeilnehmerInnenzahl anzubieten, die parallel
nen, MusikleiterInnen, MusikschullehrerInnen             zu den anderen Workshops liefen – dies hatte
bis zu ChorleiterInnen und StimmbildnerInnen.            keine positive Resonanz gebracht und wurde
Dies hat seitdem sehr gut funktioniert; das Podi-        deshalb nicht wiederholt, da nicht zuletzt auch
um wurde immer interdisziplinärer. Nun neh-              die Stimmung der Veranstaltung nicht beein-
men auch die PsychologInnen teil, die gesam-             trächtigt werden sollte.
ten StimmtherapeutInnen, KinderärztInnen                 Eine Besonderheit des Symposiums ist, dass
und sogar ZahnärztInnen. Das Spektrum wurde              wir als Konzeptionsteam inhaltlich einen star-
erweitert. Der interdisziplinäre Grundgedanke            ken „roten Faden“ haben; wir wissen, warum
bestand von Anfang an; es war von Anfang an              wir die Vorträge in einer bestimmten Reihen-
eine Zusammenarbeit zwischen AMJ und uns,                folge positionieren und wie sich die Work-
gemeinsam mit dem Partner Hochschule für                 shops dabei einfügen. Insofern macht es Sinn,
Musik und Theater Leipzig. Inhaltliches Input            dass jeder alles erlebt und nicht eine gewisse
kam von Anfang bis heute besonders vom AMJ               Beliebigkeit auftritt mit einem breiten Ange-
– ebenso die Position Teamzusammensetzung.               bot, aus dem sich jeder etwas aussuchen kann.
                                                         Wir möchten jede TeilnehmerIn von Anfang bis
Gibt es besondere Entwicklungen in der                   zum Ende didaktisch begleiten.
Struktur des Symposiums – wenn Du den
Ausgangspunkt betrachtest, vom ersten                    Kannst Du Dir, als Visionär des Symposiums,
Leipziger Symposium zur Kinder- und                      vorstellen, wo Du das Symposium in gut 5 Jah-
Jugendstimme bis heute?                                  ren im Jahr 2022 siehst, also die 20. Ausgabe?
An unserer Grundstruktur, die wir von Anfang             Ich glaube, dass es Sinn macht, an den bewähr-
hatten, an der wir festgehalten haben und                ten Konzepten grundsätzlich festzuhalten.
die sich bewährt hat, hat sich nicht viel geän-          Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, neue
dert: nämlich der Wechsel zwischen Vorträgen,            didaktische Formen auszuprobieren, die Tech-
Rundtischdiskussionen, Präsentationen und                nik mehr mit einzubeziehen, z.B. bei Work-
Workshops – umrahmt von musikalischen und                shops oder Vorträgen mithilfe elektronischer

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Aus der Kursarbeit

                                                           Kontext. Dazu gehört die zunehmende Vernet-
                                                           zung mit anderen Veranstaltungen, wie zum
                                                           Beispiel zu dem Osnabrücker Symposium von
                                                           Prof. Mohr. Es gibt seit jeher weniger dieser
                                                           interdisziplinären Veranstaltungen für die Kin-
                                                           der- und Jugendstimme als für die Erwachse-
                                                           nenstimme.
                                                           Aber wir sehen auch andere Veranstaltungen,
                                                           wie die Internationalen Stuttgarter Stimmtage,
                                                           das A-cappella-Festival in Leipzig, mit denen
                                                           wir uns gern vernetzen, mit denen wir uns aus-
                                                           tauschen, Inhalte importieren und exportieren
                                                           und auf diese Weise unser Netzwerk gestalten.
    Abstimmungssysteme noch mehr mit dem                   Dies ist eine Vision, die ich über 2022 hin-
    Publikum zu interagieren. Wir haben auch eine          aus habe, da hier die Aspekte der klinischen
    sehr große Offenheit gegenüber den neu-                Betreuung und Forschung hinzukommen und
    en Medien. Wir sind auf Facebook vertreten             wir darüber berichten, welche Ergebnisse die
    und haben einen eigenen YouTube-Channel,               Wissenschaft erbringt und welche für die Rou-
    was besonders stark dazu beiträgt, uns in der          tine der Arbeit mit Kinder- und Jugendstim-
    Wahrnehmung gerade der TeilnehmerInnen                 men geeignet und bedeutsam sind. Ein gro-
    zu verankern, die uns über die sonst im medi-          ßes Stück dieser Vision ist schon Wirklichkeit
    zinischen Bereich etablierten Verteilungswege          geworden – aber all dies gilt es noch weiter zu
    nicht erreichen. Die Akzeptanz und die Reso-           vernetzen und zu beleben.
    nanz auf YouTube bzw. Facebook zeigen, dass
    ein großer Bedarf besteht und eine starke Nut-         Dies ist ein schöner Abschlussgedanke.
    zung stattfindet, was anhand der Abrufzahlen           Vielen Dank für das Interview.
    deutlich wird. Dadurch tragen wir zur Verbrei-
    tung und zur Nachhaltigkeit bei.                       Die vollständige Fassung des Interviews, das wir
    Außerdem ist in diesem Zusammenhang zu                 aus Platzgründen für die Intervalle etwas kürzen
    erwähnen, dass der erste Schritt, den wir dies-        mussten, finden Sie auf unserer Internetseite unter
    bezüglich gegangen sind, die Etablierung               www.amj-musik.de/interviewmichaelfuchs
    der Schriftenreihe war, die nicht von Anfang
    bestanden hatte. Das erste Buch bezog sich auf
                                                           Prof. Dr. Michael Fuchs
    das Symposium 2006, zum Thema Singen und
    Lernen. Ab dem vierten Symposium haben wir             Leiter der Sektion Phoniatrie und Audiologie
    jährlich die Schriftenreihe Kinder- und Jugend-        und des Cochlea-Implantat-Zentrums am Uni-
    stimme über den Logos-Verlag/Berlin heraus-            versitätsklinikum Leipzig. Facharzt für HNO-Heil-
    gegeben.                                               kunde und Facharzt für Phoniatrie und Pädau-
    Natürlich besteht auch ein gewisser Wettbe-            diologie. Sächsischer Landesarzt für Menschen
    werb oder gar eine Konkurrenz mit anderen              mit Hör-, Sprach-, Sprech- und Stimmbehinde-
    Anbietern, aber eigentlich steht das für uns           rungen. Spezialisierte Betreuung von SängerIn-
    nicht zu sehr im Vordergrund. Wir möchten uns          nen und MusikerInnen mit Hör- und Stimmstö-
    in Leipzig auf unser Alleinstellungsmerkmal            rungen, spezialisierte Betreuung der Kinder- und
    konzentrieren (wie oben näher erläutert) und           Jugendstimme. Gründer und Leiter der Leipziger
    wir verstehen uns eher nicht nur als ein Teil,         Symposien zur Kinder- und Jugendstimme,
    sondern als ein sehr aktiver und sehr zentra-          Herausgeber der Schriftenreihe „Kinder- und
    ler Schrittmacher auf dem Gebiet Kinder- und           Jugendstimme“. Präsident des Förderkreises
    Jugendstimme – national und im europäischen            Thomanerchor Leipzig.

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Aus der Kursarbeit

                                                       es auch, der Strand sechs Kilometer entfernt,
Kurzer Moment                                          Mönche waren nicht dabei, aber jede Menge
der Vollkommenheit                                     andere Menschen mit interessanten Berufen
                                                       und Leben, zusammen ein wahres Generati-
AMJ-Jazzchor-Workshop mit Felicia Friedrich
                                                       onenprojekt: der jüngste Teilnehmer elf Jahre
auf dem Scheersberg, 24. bis 31. Juli 2016
                                                       alt, die ältesten Mitte 70. Zur Freude über das
Von Ulrike Friebel                                     Wiedersehen mit bekannten Gesichtern kam
                                                       wie immer die Möglichkeit, neue Sängerinnen
Der Jazzchor-Workshop mit Felicia Friedrich            und Sänger kennen zu lernen, denn bei allem
lässt mich immer wieder an die Mandalas aus            Streben nach Vollkommenheit gab es auch
buntem Sand denken, die von buddhistischen             diesmal genug Zeit für Gespräche und Aus­
Mönchen hergestellt werden. Sie arbeiten dar-          flüge.
an, als ob es nichts anderes auf der Welt gäbe,        „Im Zentrum des Workshops steht eine Stimm-
streben nach Vollkommenheit, heiter und                bildung nach den Grundprinzipien des Funkti-
gelassen, und wenn das Kunstwerk fertig ist,           onalen Stimmtrainings. In dieser Stimmarbeit
gibt es einen kurzen Moment tiefer Freude und          sollen die SängerInnen mit Hilfe unterschied-
Bewunderung, dann wird alles wieder zusam-             lichster Übungen mit ihrem „Instrument Stim-
mengefegt.                                             me“ vertrauter werden. Ziel dieser Stimmar-
Der diesjährige Jazz- (und Gospel-) Chor-              beit ist eine differenzierte Wahrnehmung des
Workshop fand vom 24. Juli bis zum 31. Juli            Stimmklangs und des Körpers beim Singen,
im Jugendhof Scheersberg an der Ostsee, gut            so dass ein müheloser und ökonomischer
20 km südlich von Flensburg, statt. Sand gab           Umgang mit der Stimme möglich wird.“ Was

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Aus der Kursarbeit

                                                                         dienen vor allem dazu, dem Kehl-
                                                                         kopf zu einem entspannten Sich-
                                                                         Hängen-Lassen zu verhelfen,
                                                                         denn (so meine laienhafte Kurz-
                                                                         version wesentlich differenzierte-
    auf der Website so wissenschaftlich daher-            rer Erklärungen): Wenn der Kehlkopf tief steht,
    kommt, wird in der Praxis zum nicht nur ima-          kann der Ton hoch werden.
    ginären Werkzeugkasten mit Bildern, Vorstel-          Nach vielleicht 20 Minuten klingt es schon so
    lungen, Bewegungen und Gegenständen aller             schön, dass wir gar nicht mehr aufhören wol-
    Art. Wir laufen durch den Raum und ziehen uns         len, aber jetzt kommen die Chorstücke dran.
    dabei Ahs, Uhs und Ohs in unterschiedlichen           Stefan Zimmermann, seit einigen Jahren der
    Tonhöhen aus den Ohren, steigern die Vibra-           umsichtige Mitorganisator des jährlich statt-
    tionsfähigkeit unserer Lippen durch Kamm-             findenden Workshops, hat dafür gesorgt, dass
    blasen, schicken die Töne in die Nasenrachen-         uns neben anderen wichtigen Informationen
    räume unserer NachbarInnen oder in eine               auch die Noten, meist auch Hörproben auf
    imaginäre Domkuppel über uns, kontrollieren           CDs, rechtzeitig vor dem Kurs erreichen, sodass
    mit dem Spiegel die Stellung der Mundwinkel,          immerhin ein Teil der TeilnehmerInnen gut vor-
    und lassen weitere Töne in Spiralen auf- oder         bereitet ist. Dieses Mal sind es drei Stücke. „My
    absteigen. Gummibänder, Federn und Kopien             favorite things“ ist ein nicht mehr ganz junger
    von Wasserstrudeln erleichtern uns Vorstellun-        Musical-Song (1959), in dem mit etwas trälle-
    gen und Bewegungen, helfen Resonanzräume              riger Melodie die Lieblingsdinge aufgezählt
    im ganzen Körper ausfindig zu machen, und             werden, die dem Textschreiber selbst bei Hun-

                                                     30
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