Pflege bei Demenz Dossier - Ausgewählte Fachartikel und Interviews aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 inklusive Literaturangaben zur ...
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Dossier Foto: © bilderstoeckchen/Fotolia.com Pflege bei Demenz Foto: www.martinglauser.ch Foto: iStock.com/Sandra Matic Ausgewählte Fachartikel und Interviews aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 inklusive Literaturangaben zur weiterführenden Recherche.
Inhaltsverzeichnis 1 Psychosoziale Interventionen: Neue Leitlinie: Was bei Demenz hilfreich ist Gedächtnistraining, Aktivierung, Snoezelen - welche Maßnahmen helfen Menschen mit Demenz wirklich? Aussagen hierzu macht die neue S3-Leitlinie „Demenzen“. Der Artikel fasst die wichtigsten Inhalte zusammen. Von Claudia Keller (06/2016) 2 Herausforderndes Verhalten bei Demenz: „Es gibt keine pauschale Empfehlung“ Der Umgang mit schwierigen Verhaltensweisen ist für Pflegende nicht immer leicht. Hinzu kommt, dass keine Maßnahmen per se richtig oder falsch sind. Ein Interview mit Pflegewissenschaftlerin Dr. Margareta Halek. Dr. Margareta Halek (06/2016) 3 Demenz im Krankenhaus: Auf dem Weg zur demenzsensiblen Uniklinik Wenn Menschen mit Demenz stationär aufgenommen werden, kommt es oft zu Problemen. Die Medizinische Hochschule Hannover hat Empfehlungen erarbeitet, um die Versorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus zu verbessern. Von Dr. Monika Büchler (06/2016) 4 Basale Stimulation bei Demenz: Die Suche nach Individualität Wenn Menschen über Worte und Gesten nur noch schwer zu erreichen sind, gewinnt die Kommunikation über Berührung immer mehr an Bedeutung. Bei der Basalen Stimulation wird Berührung bewusst eingesetzt, um diese Menschen zu erreichen. Von Thomas Buchholz (03/2015) 5 Literaturarbeit: Demenz: Pflegende Angehörige unterstützen Menschen mit Demenz werden oft zu Hause versorgt. Das kann für Angehörige sinnstiftend, aber auch belastend sein. Ambulant Pflegende sollten deshalb Überlastungen bei Angehörigen erkennen und darauf reagieren. Von Prof. Dr. Jürgen Osterbrink et al. (02/2017) 6 Studie Demenz-Monitor: Kommen Empfehlungen in der Praxis an? Für den Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz werden unterschiedliche Maßnahmen empfohlen. Werden diese in der stationären Altenhilfe umgesetzt? Die Ergeb- nisse der Studie DemenzMonitor geben Aufschluss. Von Dr. Bernhard Holle (01/2017) 7 Projekt Warte-Insel für Menschen mit Demenz: Wohlfühlort in der Notaufnahme Lärm, Hektik, unbekannte Gesichter – Patienten mit Demenz sind in Notaufnahmen häufig über- fordert. Das Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe hat deshalb das Projekt „Warte-Insel“ gestar- tet: Sie soll Stress und Anspannung vorbeugen. Von Axel Küppers (06/2017) 8 Mimikresonanz für Menschen mit Demenz: Was die Mimik verrät Der Gesichtsausdruck und die Körperhaltung sagen viel darüber aus, was ein Mensch mit Demenz gerade fühlt. In der Pflege bietet das die Chance, Emotionen richtig zu deuten und wertschätzend darauf zu reagieren. Von Margarete Stöcker (01/2016) 9 Erstes deutsches Demenzdorf: „Mittendrin und keineswegs abgeschottet“ In Deutschland werden Demenzdörfer oft kritisch betrachtet. Das Demenzdorf in Niedersachsen zeigt die Vorteile einer solchen Wohnform auf: Die Bewohner sollen dort einen möglichst norma- len Alltag erleben. Von Ingrid Hilgers (11/2015)
iStock oto: iS Foto Fot tock photo hoto tockphot phot K Kostenlos downloadbar Die S3-Leitlinie D „Demenzen“ ist als „ kostenloser Download k erhältlich: http://www.dgn. org/images/red_leitlinien/ LL_2015/PDFs_Download/ Foto: iStock.com/KatarzynaBialasiewicz Demenz/REV_S3-leiltlinie- demenzen.pdf 12 D S Di Die Sc chwe hwe est st r Der ste er Pf Pfllege Pfl ger 55. JJaah ahrg. g 66||16
Top-Thema Neue Leitlinie: Was bei Demenz hilfreich ist Psychosoziale Interventionen. Gedächtnistraining, Aktivierung, Snoezelen – viele Maßnahmen versprechen Erfolg bei Menschen mit Demenz. Doch sind sie wirkungsvoll? Aussagen hierzu macht die neue S3-Leitlinie „Demenzen“, an der 23 Organisationen fünf Jahre lang gearbeitet haben. Die wichtigsten Inhalte im Überblick. Von Claudia Keller K ognitive Funktionen und Alltagskompetenzen, die immer mehr verloren gehen – das sind die zentralen Merkmale einer Demenz. Im Laufe der Erkrankung nehmen die zeitlich-örtliche Orientierung, Demenz bei Alzheimer-Krankheit: Diese ist eine das Gehirn betreffende, fortschreitende Erkrankung, deren Ursachen nicht eindeutig geklärt sind. Sie tritt meist im höheren Lebensalter auf und ist durch Gedächtnis- die Kommunikationsfähigkeit, die autobiografische störungen als Hauptmerkmal gekennzeichnet. Identität und die Persönlichkeitsmerkmale immer weiter ab. Im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz sind Vaskuläre Demenz: Hiermit ist eine mit den Blutgefäßen die Betroffenen oft vollständig auf fremde Hilfe ange- zusammenhängende Form der Demenz gemeint. Sie tritt wiesen. meist im höheren Lebensalter auf und kommt in der Demenz ist eine schwere Erkrankung. Sie geht mit Regel über Gedächtnisstörungen zum Vorschein. Weite- einer erhöhten Sterblichkeit einher und erhöht das Risi- re typische Merkmale sind eine reduzierte Orientierung, ko für zusätzliche Beeinträchtigungen. Die persönlichen Aufmerksamkeit und Sprache. Anders als bei anderen und körperlichen Veränderungen der Betroffenen führen Demenzen kann es bei der vaskulären Demenz zu Pha- oft zu hohen psychischen und körperlichen Belastungen sen leichter Besserung und zu langen Phasen ohne weite- bei den Angehörigen. Auch medizinisches, pflegerisches res Fortschreiten der Erkrankung kommen. und therapeutisches Personal ist häufig unsicher in Fragen zum Umgang mit den demenziell veränderten Gemischte Demenz: Mit diesem Begriff ist die Kombi- Menschen. nation aus Alzheimer-Krankheit und weiterer patholo- gischer Veränderungen gemeint, die gemeinsam eine Keine Heilung möglich Demenz ergeben. Meist bezieht sich der Begriff auf das gemeinsame Vorhandensein einer Alzheimer-Krankheit In Deutschland sind rund 1,2 Millionen Menschen an und vaskulären Demenz. Es ist davon auszugehen, dass Demenz erkrankt. Frauen sind häufiger betroffen als die Mehrheit der älteren Demenzerkrankten von dieser Männer. Alle neurodegenerativen Demenzerkrankungen Form betroffen ist. haben einen fortschreitenden Verlauf, der mehrere Jahre andauert. Bisher existieren keine Möglichkeiten, um das Frontotemporale Demenz: Diese tritt meist im mittleren Fortschreiten zu stoppen und die Erkrankung zu heilen. Lebensalter auf und ist durch eine frühe, langsam fort- Demenzerkrankungen gehen somit fast immer mit ei- schreitende Persönlichkeitsveränderung und dem Verlust nem zunehmenden Pflegebedarf und einer verkürzten sozialer Fähigkeiten charakterisiert. Es treten Beein- Lebenszeit einher. Die neue S3-Leitlinie „Demenzen“ trächtigungen von Intellekt, Gedächtnis und Sprach- hat vor diesem Hintergrund zum Ziel, die Versorgung funktionen auf. und Lebensqualität der erkrankten Personen zu verbes- sern. Sie bezieht sich auf die häufigen primären Formen Demenz bei Morbus Parkinson: Diese entwickelt sich der Demenz. Zu diesen zählen: im Verlauf einer Parkinson-Erkrankung. Neuen Er- Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16 13
Kompetenz in Demenz Die Malteser – Beratung, Unterstützung und Schulungen Dem Augenb lick Leben geben Oft suchen auch ehren Menschen, - oder haup ob Angehörig e, Freunde oder Rücken ten, einem tamtlich Tätig demenziell e, nach Mögl erkrankten ichkei- ● Silviahemm Worte oder Menschen et Touch kann große Vorbe ohne viele per nach vorne im Sitzen (mit Nähe zum reitung etwas dem Oberk Ausdruck zu Gutes zu tun über Stuhllehne ör- Herzen bringen. und in bequemer durchgefüh Bauchlage oder Tisch (Kopf auf den gebeugt) oder Hände im untere bereich rechts n Rücken- 4 Da ist Silvia rt werden. Armen abgel und links hemmet Touch Wichtig ist egt) Lendenwirbe der eine gute Alter und Haltung eine beque lsäule platzie zeit und ohne native. Jeder für beide Perso me Position mit beiden Händen in ren, große Hilfsm - auf der Kleid nen. Die Berüh Bewegungen herzförmigen gut, dem Erkra ittel umsetzbar ung durchgefüh rung wird von nkten wie dem tut es beide ● Die Berüh rt. über den Rücke unten nach oben n Silviahemm Gebenden. rung nicht n streichen. unterbrech Schulterbere Im en – eine Hand ich die Herzen et am Rücken! „malen“, dass so groß immer die gesamte Touch partie berühr Schulter- t wird. Spirale 1 Slalom Leben mit Dem Beide Hände links und rechts in Rückenmitte Hände rechts Wirbelsäule und links der 5 entspannen enz – platzieren. der Wirbel säule im Schulterbere und wohlfüh parallel in Dann mit den Händen platzieren. den paralle Nun mit den Hän- ich len immer größer l bis zur Lende den Kreise werden- wirbelsäule n- n im Uhrze „Slalom fahren den Rücken igersinn über streichen bis Der eigene “. Rücken erreich der ganze Körper folgt Bewegung! der t wurde. (Persö che Bereich e wie z. B. Achsel nli- meiden.) höhlen Uhr 2 Form des Rück Beide Hände dem Rücke liegen mittig n. Von dort auf Eine Hand im Nacken ren, die andere ens platzie- 6 Wenn Sie weite nend streich begin- Lendenwirbe im Bereich der re Informatione t eine Hand nach außen lsäule. Die n haben möch z.B. Richtu , zieht mittig erste Hand ng 6.00 Uhr, dann wend ten, Hand folgt, die zweite zur zweiten en Sie sich dann startet Danach streich nach unten. an: Hand von die erste t die erste Hand der Mitte aus wieder aus 7.00 Uhr, die Richtung der Grundstellun zweite Hand linken Seite g an der im Uhrzeigersin folgt usw. den Rücken unten, dann entlang nach n bis die Uhr an der rechten Eine Hand voll ist. Rücken entlan Seite den Malteser Fachs bleibt immer g zur zweite am Rücken. telle Deme Eine Hand n Hand. Kalker Haup nz immer am Rücken. Es ein Gefühl soll tstr. 22-24 für die Rückens entsteh Dimension des 51103 Köln Schwimme en. Tel.: 0221 98225 92 Hände im untere n n Rücken- 3 E-Mail: fsd@m bereich rechts und links der alteser.org Lendenwirbe lsäule platzie Spirale ren, mit 7 beiden Hände n in herzfö wie bei Bewegungen rmigen 1 von über den Rücke unten nach oben n streichen. Schulterbere Im www.malteser- ich die Herzen deme nzkompetenz.d „malen“, dass die gesamte so groß Ausklinge e 8 partie berühr Schulter- n lassen t wird. Hände auf den Schult hen lassen. ern ru- Den Erkran schauen und kten an- ein Getränk anbieten. Die Malteser beraten: Die Malteser schulen: → Angehörige und Menschen mit Demenz → Multiplikatoren → via E-Mail, telefonisch oder persönlich → Praxisanwender aus der ambulanten Pflege, → mit verschiedenen Broschüren und einem dem Krankenhaus, der Altenhilfe und anderen komprimierten Ratgeber Einrichtungen für Menschen mit Demenz → Alltagsbegleiter (Betreuungsassistent nach § 53c) Die Malteser unterstützen: → ehrenamtliche Demenzbegleiter → bedarfsgerecht → zentral, individuell und inhouse auf Anfrage → Ressourcen fördernd → ehrenamtlich und professionell Die zentrale Anlaufstelle bei allen Fragen rund um das Thema Demenz: Malteser Fachstelle Demenz | Erna-Scheffler-Str. 2 | 51103 Köln fsd@malteser.org | www.malteser-demenzkompetenz.de
kenntnissen zufolge zeigen Betroffene klinische Merk- male wie Aufmerksamkeitsstörungen, beeinträchtigte „Hohes fachliches Niveau intellektuelle Fähigkeiten, eingeschränkte visuell-räum- hat mich beeindruckt“ liche Funktionen sowie Beeinträchtigungen der Sprache und des Gedächtnisses. Verhaltensmerkmale wie Apathie, Diplom-Pflegewirtin (FH) Claudia Keller aus Freising Persönlichkeitsveränderungen und Stimmungsverände- hat als Repräsentantin der Bundesarbeitsgemein- rungen inklusive depressiver Symptome und Angst sind schaft „Stationäre Pflegeeinrichtungen“ des möglich. Halluzinationen, Wahn und verstärkte Tages- Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) müdigkeit können ebenfalls auftreten. an der Erstellung der S3-Leitlinie „Demenzen“ mitgewirkt. Den Entstehungsprozess erlebte sie Lewy-Körperchen-Demenz: Diese macht sich meist über als offen und konstruktiv. Funktionseinschränkungen im Alltag bemerkbar, wobei die Gedächtnisfunktion – anders als bei vielen anderen 2016 ist die vollständig überarbeitete Version der Demenzen – relativ gut erhalten bleibt. Kernmerkmale S3-Leitlinie „Demenzen“ veröffentlicht worden. Sie der Lewy-Körperchen-Demenz sind Schwankungen von wurde federführend von der Deutschen Gesell- Wachheit und Aufmerksamkeit, visuelle Halluzinationen schaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psycho- sowie Parkinson-Symptome. somatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Alzheimer Frühe Diagnose ist wichtig Gesellschaft erstellt. Mehr als 20 weitere Fachge- Die Diagnose dient dazu, die Erkrankten und Angehö- sellschaften, Berufsverbände und Organisationen aus Medizinern, Therapeuten, professionell Pflegen- rigen über die Ätiologie, die Symptomatik, die Prognose, den und Patientenvertretungen waren daran beteiligt. die Therapie und präventive Maßnahmen aufzuklären. Die Profession der beruflich Pflegenden war über Eine frühe Feststellung der Krankheit ist wichtig, weil den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe gerade im Frühstadium einer Demenz Belastung und (DBfK) und über die Bundesfachvereinigung Leiten- Pflegebedürftigkeit verzögert werden können. Die Diagno- der Krankenpflegepersonen in der Psychiatrie se basiert im Wesentlichen auf einer Anamnese sowie einer (BFLK) vertreten. körperlichen und psychopathischen Untersuchung. Ich habe als Mitglied der Bundesarbeitsgruppe Kognitive Kurztests zur orientierenden Einschätzung „Stationäre Pflegeeinrichtungen“ als DBfK-Reprä- kognitiver Störungen können die Diagnostik ergänzen. sentantin an der Erstellung der Leitlinie mitgewirkt. Tests wie der Mini-Mental-Status-Test (MMST), der Als Diplom-Pflegewirtin (FH), Krankenschwester, DemTest, der Test zur Früherkennung von Demenzen Auditorin und Dementia-Care-Mapping-Anwenderin mit Depressionsabgrenzung (TFDD) und der Montreal (Basic User) verfüge ich über langjährige Erfahrung Cognitive Assessment Test (MoCA) können von geschul- im Umgang mit demenzkranken Personen und habe tem, medizinisch-psychologischem Personal ausgeführt im Zeitraum der Erstellung meine Expertise gut einbringen können. Ich hatte schon an der ersten werden, um das Vorhandensein und den ungefähren Fassung von 2009 mitgearbeitet; der Aktualisierungs- Schweregrad einer Demenz zu bestimmen. prozess begann im Jahr 2014. Ein Demenz-Screening, also die systematische Den Prozess der Leitlinienerstellung habe ich Anwendung eines Tests bei beschwerdefreien Personen, über den gesamten Zeitraum hinweg als offen, wird nicht empfohlen, weil es zu einer hohen Zahl an transparent und konstruktiv erlebt. Jedes Arbeits- Falschdiagnosen kommen würde. gruppenmitglied konnte sein Wissen, seine Erfah- Um geeignete Maßnahmen auszuwählen sowie um rungen und Meinungen einbringen, egal welcher Betroffene und Angehörige adäquat informieren und Organisation oder Berufsgruppe es angehörte. beraten zu können, ist die Feststellung eines Demenz- Zudem war es jederzeit möglich, Fragen zu stellen schweregrads wichtig. Hierfür ist die subjektive Einschät- oder Kritik zu üben. Ein guter Informationsfluss war zung der kognitiven Leistung durch den Patienten selbst, per E-Mail hervorragend gewährleistet. In vier die Angehörigen oder den Arzt allein jedoch nicht Treffen wurden die Empfehlungen und die Empfeh- ausreichend. Bei der Alzheimer-Demenz ist der MMST lungsgrade diskutiert und konzertiert. Der Fließtext zur Verabschiedung der Leitlinie wurde von den ein geeignetes Instrument, um einen Schweregrad zu Repräsentanten der insgesamt 23 Organisationen bestimmen. Wichtig ist jedoch, dass die Grenzen zwi- in einem schriftlichen Verfahren konsertiert. schen den einzelnen Stufen im individuellen Fall nur als Im Rückblick hat mich das hohe Niveau, auf Orientierungshilfe dienen und auch eine Zuordnung der die Literaturrecherche und Leitlinienerstellung eines Patienten zu einem Schwergrad möglich ist, der erfolgte, ungeheuer beeindruckt. Die sogenannte außerhalb der hier genannten Grenzen liegt: S3-Leitlinie stellt die qualitativ höchste Stufe dar. n MMST 20 bis 26 Punkte: leichte Alzheimer-Erkrankung, Aufgrund der hohen Zahl der beteiligten Orga- n MMST 10 bis 19 Punkte: moderate/mittelschwere nisationen ist der breite nationale Konsens, auf der Alzheimer-Erkrankung, die Leitlinie beruht, deutlich hervorzuheben. n MMST weniger als 10 Punkte: schwere Alzheimer- Erkrankung. 14 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16
Fotos: iStockphotos Empfehlenswert Körperliche Aktivität und künstlerische Therapien können sich positiv auf kognitive Funktionen, psychische Symptome, Verhalten und Beweglichkeit auswirken Fokus liegt auf psychosozialen Vorsicht bei Medikamenten Maßnahmen Die Therapie von Demenzerkrankungen setzt sich zu- Psychosoziale Interventionen sind zentraler und notwen- sammen aus einer medikamentösen Behandlung und diger Bestandteil der Betreuung und Begleitung von De- psychosozialen Interventionen, die individuell auf den menzerkrankten. Sie haben im Alltagsgeschehen zum Teil Betroffenen angepasst sein müssen. einen größeren Stellenwert als die Medikamentengabe Die pharmakologische Therapie ist ärztliche Aufgabe und die zahlreichen Möglichkeiten lassen sich personen- und soll an dieser Stelle nur am Rande erwähnt werden. bezogen anwenden. Gleichzeitig ist die Qualität der Studi- Bei der Alzheimer-Demenz werden grundsätzlich die en zu den einzelnen Verfahren aus methodischen Gründen Kernsymptomatik der Demenz wie kognitive Störungen oft geringer als bei pharmakologischen Prüfungen. Die und Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten sowie psy- Wirksamkeit nicht-pharmakologischer Interventionen ist chische und Verhaltenssymptome wie Depression und somit aus wissenschaftlichen Gesichtspunkten schwieriger Wahn medikamentös behandelt. Die aktuell zur Behand- bewertbar. Die Maßnahmen im Einzelnen: lung von Demenz-Kernsymptomen zugelassenen und nachweislich wirksamen Medikamente sind Acetylcho- Kognitive Verfahren: Diese sollen die sogenannten linesterase-Hemmer – die sogenannten Antidementiva – kognitiven Funktionen, also das Gedächtnis, die Auf- und der nichtkompetitive NMDA-Antagonist Meman- merksamkeit und die Sprachfähigkeit, aktivieren. Die tin. Interventionen lassen sich unter anderem einteilen in: Die Leitlinie rät davon ab, Demenzerkrankten Anti- n kognitives Training – Durchführung von Übungen psychotika wie Haloperidol zu verabreichen, da die Gabe kognitiver Funktionen, wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko für Mortalität n kognitive Stimulation – Anregung kognitiver Tätig- assoziiert ist. Benzodiazepine sollen bei Patienten mit keit, zum Beispiel über Aktivierung von Altgedächtnis- Demenz nur bei speziellen Indikationen und nur kurz- inhalten oder Einbindung in Konversation, fristig eingesetzt werden. Vorsicht geboten ist auch bei n Realitätsorientierung – Förderung der Orientierung der Verabreichung von Antidepressiva, da Demenz- in Zeit und Raum durch Hinweise und Hilfen, erkrankte häufig sehr sensibel auf diese Medikamente n autobiografische Arbeit – Aktivierung von autobio- reagieren. grafischen, insbesondere emotional positiv besetzten Altgedächtnisinhalten. Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16 15
Kognitive Verfahren sind häufig untersucht worden, perliche Berührung als Kommunikationsmittel eingesetzt wobei viele dieser Studien von fragwürdiger Qualität werden und eine beruhigende Wirkung haben können. sind. Insgesamt ergeben die Studienergebnisse ein geteil- tes Bild: Teilweise zeigen die Untersuchungen keine Lichttherapie: Der Einsatz von hellem Licht soll bei Effekte auf die Kognition der Betroffenen. In anderen Menschen mit Demenz positive Effekte auf den Schlaf- Studien werden hingegen entweder geringe, kurz an- Wach-Rhythmus sowie auf psychische und Verhaltens- dauernde oder positive Auswirkungen konstatiert. symptome bewirken. In einer Metaanalyse des Cochra- In der jüngeren Zeit ist deutlich geworden, dass ko- ne-Instituts zur Lichttherapie konnte eine Wirksamkeit gnitive Stimulation positive Effekte auf Kognition zeigt, von Lichttherapie zur Behandlung der häufig auftreten- wobei dies nicht für kognitives Training zutrifft. Insge- den Schlafstörungen und Verhaltenssymptome wie Agi- samt sind die Effekte von kognitiven Verfahren jedoch tation und Depression nicht gezeigt werden. In einer als gering zu bewerten. Bei leichter bis moderater weiteren Übersichtsarbeit wird hingegen festgestellt, dass Demenz ist kognitive Stimulation zu empfehlen. sich Lichttherapie günstig auf den Schlaf-Wach-Rhyth- mus auswirkt. In einer aktuellen Cochrane-Metaanalyse Körperliche Aktivität: Diese kann sich positiv auf kogni- zur Lichttherapie bei Demenz zeigten sich keine Effekte tive Funktionen, Alltagsfunktionen, psychische Sympto- auf kognitive Funktionen, Schlaf, Psyche und Verhaltens- me, Verhaltenssymptome, Beweglichkeit und Balance symptome. Insgesamt betrachtet ist der therapeutische auswirken. Sie ist daher zu empfehlen. Nutzen von Licht also nicht belegt. Ergotherapie: Ergotherapeutische, individuell angepasste Angehörigentraining: Studien zeigen, dass Schulungen Maßnahmen tragen bei Patienten mit leichter bis mittel- und Trainings von Angehörigen zum fachgerechten Um- schwerer Demenz zum Erhalt der Alltagsfunktionen bei. gang mit Demenzsymptomen zu einer Verbesserung der Sie sollten betroffenen Personen unter Einbeziehung der Situation des Erkrankten führen können. Bezugspersonen angeboten werden. Was tun bei Demenz-Symptomen? Künstlerische Therapien: Auch diese sind vielverspre- chend. Es gibt Hinweise, dass aktive Musiktherapie In der Leitlinie werden des Weiteren Maßnahmen be- günstige Effekte auf die Psyche und das Verhalten von wertet, die bei bestimmten problematischen Verhaltens- Menschen mit Demenz hat, insbesondere auf das Symp- symptomen in Betracht kommen. tom Angst. Persönlich bevorzugte Musik kann ebenfalls Depression: Der Einsatz supervidierter ehrenamtlicher positive Wirkungen entfalten, besonders bei Personen Kontakte, kognitive Gruppentherapie und Freizeitaktivi- mit agitiertem und aggressivem Verhalten. Verbesserun- täten können sich positiv auf depressive Verstimmungen gen der Stimmung, der Gesamtbefindlichkeit im von Demenzkranken auswirken. Das zeigte eine Über- Lebensalltag und der kognitiven Leistungen wurden teil- sichtsarbeit bei Pflegeheimbewohnern mit Demenz. In weise bei der Kunsttherapie beschrieben. Tanztherapie einer weiteren Übersichtsarbeit stellte sich heraus, dass kann bei Demenzerkrankten mit ausgeprägten Störun- Schulungsprogramme und Unterstützung von Pflegen- gen der Kommunikation hilfreich sein. den wirksam sind. Andere Studien zeigten eine Wirk- samkeit von Verhaltenstherapie, insbesondere die Erhö- Aromatherapie: Bei der Aromatherapie werden Ge- hung angenehmer Tätigkeiten. Zudem sind Wirkungen ruchsstoffe eingesetzt, um demenzspezifisches Verhalten von körperlichen Übungen auf Depressionssymptome zu beeinflussen. Untersuchungen zeigen, dass die An- beschrieben. wendung von Aromastoffen geringe Effekte auf agitiertes Verhalten und allgemeine Verhaltenssymptome bei Pa- Agitiertes Verhalten: Personenzentrierte Pflege, beson- tienten mit mittel- bis schwergradiger Demenz haben dere Kommunikationstechniken, Dementia Care Map- kann. Die Leitlinie empfiehlt daher die Aromatherapie. ping (DCM) und Musiktherapie können sich positiv auf agitiertes Verhalten auswirken. Das zeigte eine große Snoezelen: Unter Snoezelen wird die multisensorische Übersichtsarbeit. Anwendung beruhigender Stimuli verstanden. Ziel ist die beruhigende und entspannende Wirkung auf die an Erhöhter Bewegungsdrang: Viele Demenzerkrankte ha- Demenz erkrankte Person. Untersuchungen zeigen, dass ben einen hohen Bewegungsdrang. Dieses Phänomen Snoezelen mit individualisierten, biografiebezogenen wird in Fachkreisen auch Wandering genannt. Da die Stimuli im 24-Stunden-Ansatz geringe Effekte auf Freu- Betroffenen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit als de und Aktivität bei Patienten mit moderater bis schwe- belastend erleben, sollte grundsätzlich eine Umgebung rer Demenz haben. Snoezelen ist daher zu empfehlen. geschaffen werden, die freie Bewegung ohne Gefährdung ermöglicht. Ist es nicht möglich, eine solche Umgebung Massagen und Berührung: Es gibt nur sehr wenige, me- zu schaffen, oder sollte ein sehr großer Bewegungsdrang thodisch hochwertige Studien, die die Wirkung von Be- zu einer Gefährdung des Erkrankten führen, können In- rührung auf Demenzkranke untersucht haben. Insgesamt terventionen zur Reduktion der Bewegung erforderlich sind jedoch Hinweise erkennbar, dass Massagen und kör- sein. Eine systematische Übersichtsarbeit kommt zu dem 16 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16
Schluss, dass eine psychosoziale Beeinflussung des Bewe- Wichtiger Leitfaden gungsdrangs bei Menschen mit Demenz wissenschaft- lich nicht belegt ist. Studien mit schwacher Evidenz zei- Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die S3-Leitlinie gen jedoch positive Effekte von gezielter körperlicher „Demenzen“ einen umfassenden Überblick gibt, um Aktivität und von Snoezelen auf. Menschen mit Demenz fachlich fundiert zu begleiten und zu unterstützen. Auch wenn es sich um eine vorran- Schluckstörungen: Im Verlauf einer Demenzerkrankung gig medizinische Leitlinie handelt, enthält sie viele können Schluckstörungen auftreten. Diese machen sich Inhalte, die sowohl für professionell Pflegende, Betreu- beispielsweise über Mangelernährung, Nahrungsverwei- ungskräfte, ehrenamtliche Unterstützungspersonen, für gerung, ungewollten Gewichtsverlust, Verschleimung pflegende Angehörige, als auch für Entscheidungsträger und vermehrtes Husten bemerkbar. Betroffene benötigen im Gesundheitswesen wichtig und hilfreich sind – insbe- adaptive Maßnahmen wie eine sichere Koststufenwahl sondere die Ausführungen zu den nicht-medikamentö- unter Berücksichtigung einer ausgewogenen Ernährung, sen Interventionen. Da durch die Maßnahmen die die Anpassung der Konsistenz von Flüssigkeiten („Andi- Qualität der Versorgung verbessert wird, dient die Leitli- cken“) und den Einsatz geeigneter Hilfsmittel. Zudem ist nie gleichzeitig der Qualitätssicherung. Es bleibt zu hof- eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit Logo- fen, dass das Thema Demenz in naher Zukunft auch im päden erforderlich. Rahmen eines nationalen Expertenstandards wissen- schaftlich aufbereitet wird. Schlafrhythmus: Viele Demenzkranke leiden unter einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus. Eine aussage- kräftige Studie hat gezeigt, dass ein tägliches ein- bis Claudia Keller ist Diplom-Pflegewirtin (FH), zweistündiges Aktivierungsprogramm zu einer Verbesse- Auditorin, Qualitätsmanagerin, Fachbuchautorin, rung dieser Problematik geführt hat. Eine biografie- Dozentin im Gesundheitswesen und Kranken- basierte Tagesstruktur kann also zu einer Verbesserung schwester. Sie hatte als Repräsentantin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe des Tag-Nacht-Schlafverhältnisses führen und sollte ge- (DBfK) an der S3-Leitlinie „Demenzen“ mitge- währleistet sein. arbeitet. Mail: c.kellerfreising@googlemail.com Unser neuesS TPortal: U D I E R E N VO N Z U H AU S E www.bibliomed-pflege.de ONLINE-STUDIUM PFLEGEWISSENSCHAFT Schon online gewesen? • Ideal für Berufstätige • Maximale Flexibilität • Hoher Praxisbezug • Minimale Anwesenheit • Einstieg jederzeit möglich Studienform: Online-Studium, berufsbegleitend Studienabschluss: Bachelor of Science in Nursing (BScN) Studiendauer: 3 Jahre (3 Kompetenzlevel), 180 ECTS Ihre Vorteile: Studieninhalte: u. a. Grundlagen der Pflegewissenschaft ■ Alle Abonnenten von Die Schwester Der Pfleger und -forschung, Research Utilization, Theorien/Modelle haben vollen Zugriff auf das neue Portal der Pflege, Public Health, Qualitätsmanagement, ■ Kein Extra-Abo erforderlich Pädagogische Grundlagen, Statistik, Ethik ■ Kostenfreier Zugang zum Heftarchiv und Studiengebühren: Euro 2.480,- je Kompetenzlevel zu allen Fachartikeln Studienstart: jederzeit möglich ■ Exklusive Artikel und Themen-Specials ■ Nutzbar auf allen gängigen Endgeräten Nähere Informationen zu Studieninhalten und Zugangsvoraussetzungen unter www.pmu.ac.at/onlinestudium
„Es gibt keine pauschale Empfehlung“ Herausforderndes Verhalten bei Demenz. Der Umgang mit schwierigen Verhaltensweisen bei an Demenz erkrankten Patienten und Bewohnern ist für Pflegende nicht immer einfach. Hinzu kommt, dass keine Maßnahme per se richtig oder falsch sei, sagt Pflegewissenschaftlerin Dr. Margareta Halek. Alles müsse individuell abgestimmt werden. Das erfordere viel pflegerische Fachkompetenz. Interview: Nadine Millich Frau Dr. Halek, ab wann gilt ein Verhalten von Men- per se richtig oder falsch, alles muss individuell abge- schen mit Demenz als herausfordernd? stimmt werden. Pflegende brauchen dafür eigentlich eine Das ist eine sehr wichtige, aber gleichzeitig auch sehr Art Baukasten, denn sie müssen sich in unterschiedlichen schwierige Frage, denn es gibt keine klare Definition dieses Ansätzen, beispielsweise auch in der Psychologie, gut Begriffs. In der Praxis ist es meist so, dass jeder ein bestimm- auskennen und diese auch anwenden können. Eine gute tes Verhalten unterschiedlich stark herausfordernd findet. Hilfestellung bieten die Rahmenempfehlungen zum he- Tritt herausforderndes Verhalten zwangsläufig bei allen rausfordernden Verhalten von Menschen mit Demenz. an Demenz erkrankten Patienten auf? Sie sind zwar schon 2007 entwickelt worden, stellen aus Ja, entsprechende Untersuchungen haben ergeben, dass meiner Sicht aber immer noch den aktuellen Stand des fast jeder Betroffene solche Verhaltenssymptome im Ver- Wissens zum Thema dar und sind für die Situation in lauf der Krankheit zeigt. Die häufigsten Symptome sind deutschen Pflegeheimen entwickelt worden. Sie stellen dabei Agitation und Apathie. die sogenannte „Verstehende Diagnostik“ in den Mittel- Viele Pflegende fühlen sich hilflos, wenn sie in einer punkt. Damit ist gemeint, dass das Verstehen des Verhal- Situation mit herausforderndem Verhalten konfrontiert tens vor dem Handeln kommt. sind. Was können sie konkret tun, wenn ein Patienten Ein Ansatz könnte auch das etwas in die Jahre gekom- kontinuierlich umherläuft, weint oder schreit? mene Modell der Validation der US-Amerikanerin Nao- Wenn eine solche Situation über einen längeren Zeit- mi Feil aus den 1990er-Jahren sein. Dieses lehrt, dass raum anhält, sollte sie auf jeden Fall im Team besprochen man an Demenz Erkrankten wertschätzend begegnen werden. Gemeinsam analysiert man dann, ob das Verhal- und ihre momentanen Gefühle spiegeln muss. Zurecht- ten vielleicht immer nur bei einer bestimmten Person weisungen sind laut Feil immer unangebracht. Ist das auftritt oder ob es generell ein Problem ist und wie ande- nicht auch eine hilfreiche Strategie? re mit dieser Situation umgehen. Auch sollte man ge- Ob Validation richtig ist, kann ich nicht sagen, zumal es meinsam eruieren, was die Ursachen für dieses Verhalten keine guten Effektivitätsstudien zu diesem Ansatz gibt. sein können und welche geeigneten Maßnahmen ange- Dennoch ist sicherlich der hinter dem Modell steckende wendet werden sollten. Grundsätzlich aber kann ich kei- Ansatz entscheidend in der Pflege. Es ist eine Prämisse, ne pauschale Empfehlung aussprechen. Es wäre nicht Menschen wertschätzend zu begegnen und sie auch so zu richtig, wenn ich Validation, Snoezelen oder Musikthera- behandeln. Ob das nun nach den Regeln von Naomi Feil pie empfehlen würde. Die richtige Maßnahme hängt oder Nicole Richards, die die integrative Validation etab- sehr von der betreffenden Person ab, worin ihr Verhalten liert hat, erfolgt, ist zweitrangig. Wenn es einen positiven begründet liegt und auf was sie positiv reagiert. Effekt auf die Person hat, dann ist es gut. So simpel, wie Haben Sie trotzdem einen Rat für Pflegende? das klingt, ist es auch. Meine Empfehlung ist, ein solches Verhalten wirklich als Aber was, wenn eine Pflegefachperson mit einer Situati- ein Signal zu verstehen und als einen Kommunikations- on überfordert ist, beispielsweise weil ein Patient unent- ansatz des Patienten, um herauszufinden, was er mir mit wegt umherläuft und das womöglich auch noch in einer diesem Verhalten mitteilen möchte. Keine Maßnahme ist Situation, in der ohnehin schon Zeitdruck herrscht? 18 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16
Foto: iStockphoto Top-Thema Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16 19
Auch hier kann ich keinen konkreten Tipp geben. Wenn schon seit der Jahrtausendwende von herausforderndem die Situation sehr problematisch ist, dann helfen sicher- Verhalten. Der Begriff soll auch die Individualität von lich Deeskalationsstrategien, die den Moment entschär- Verhalten abbilden. Zuvor sprach man eher von Pro- fen und beruhigen. Dazu zählt zum Beispiel, der Person blemverhalten, störendem Verhalten oder demenzspezifi- ruhig, mit Respekt und Empathie entgegenzutreten. Ver- schem Verhalten, also sehr medizinisch oder psychi- bale Drohungen oder Drohgebärden wie der erhobene atrisch geprägten Ausdrücken. Wobei der Begriff des Fingerzeig sollten vermieden werden. Grundsätzlich herausfordernden Verhaltens hier in Deutschland nicht kommen wir aber nicht umhin, dass wir die Person ken- unumstritten ist. Meinem Empfinden nach nutzt nur die nen müssen, um zu wissen, was sie in schwierigen Situa- Minderheit in der Praxis solche Assessment-Instrumen- tionen beruhigt. Die unmittelbar nächsten Minuten kann te. Sie gehören nicht zum Standard, sondern werden vor man damit überbrücken und gewinnt so Zeit, weiterge- allem dann angewandt, wenn die Einschätzung von Ver- hende Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Ein sensibler halten vor allem strukturelle oder finanzielle Bedeutung und reflektierter Umgang mit Patienten und Bewohnern hat. Also wenn zum Beispiel Altenhilfeeinrichtungen mit ist in jeder Situation maßgeblich. spezialisierten Wohneinheiten zusätzliche Finanzie- Es gibt unterschiedliche Assessment-Instrumente, die rungstöpfe generieren wollen. bei der Einschätzung von herausforderndem Verhalten Woran liegt es, dass die Instrumente nicht Standard in helfen sollen. Sind diese lediglich als Orientierung zu der pflegerischen Praxis sind, wenn doch die Zahl der verstehen? Betroffenen so hoch ist? Tatsächlich gibt es fast über 100 solcher Instrumente, die Assessment-Instrumente sind generell wenig beliebt in so etwas wie problematisches, neuropsychiatrisches oder der Praxis und werden eher als lästig empfunden. Verhal- herausforderndes Verhalten erfassen – selbst der Begriff tenserfassung ist zudem nicht wirklich ein Thema in der für dieses bestimmte Phänomen von Verhalten ist nicht Ausbildung. Darüber hinaus sind die meisten Verhaltens- eindeutig. Erst die bereits erwähnten Rahmenempfeh- instrumente nicht von der oder für die Pflege entwickelt lungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten worden, sondern es sind in der Regel medizinische For- von Menschen mit Demenz des Bundesgesundheits- schungsinstrumente, zu denen es nur wenige Empfeh- ministeriums schafften diesbezüglich mehr Klarheit. In- lungen gibt, wie sie für die Gestaltung des Pflegeprozes- ternational spricht man in Zusammenhang mit Demenz ses genutzt werden können. Außerdem wird Verhalten in der Praxis nicht als Pflegephänomen wie Schmerz oder Inkontinenz wahrgenommen. Im Pflegealltag schaut jede Pflegekraft individuell, ob sie es mit herausforderndem Verhalten zu tun hat oder nicht. Meistens gibt es in den einzelnen Pflegeteams aber schon so etwas wie ein ge- meinsames Verständnis von herausforderndem Verhal- HERAUSFORDERNDES ten. Dennoch offenbart sich manchmal in gemeinsamen VERHALTEN BESTIMMEN Fallbesprechungen, dass dieses Verständnis trotzdem sehr unterschiedlich sein kann. Es gibt eine Vielzahl an Assessment-Instrumenten, mit denen herausforderndes Verhalten bestimmt Inwiefern? werden kann. Zum Beispiel gibt es das sogenannte Wenn beispielsweise das Team davon ausgeht, ein Patient neuropsychiatrische Inventar. Das ist ein Instrument, oder Bewohner sei herausfordernd, zeigt sich in der Fall- mit dem Symptome wie Unruhe, Apathie oder besprechung plötzlich, dass die eine Pflegekraft dieses Aggression erfasst werden. Erst ab einem be- Verhalten eher beim Essen wahrnimmt, die andere aber stimmten Punktwert spricht man in diesem Fall beim Anziehen. Sie sind sich zwar einig, dass diese von klinisch relevantem Verhalten. In Deutschland weit verbreitet ist das Cohen- Person herausfordernd ist, aber was genau das Herausfor- Mansfield-Agitations-Inventar. Damit wird aggres- dernde ist, dazu gibt es häufig unterschiedliche Wahr- sives Verhalten mit seiner Häufigkeit in einem nehmungen. Die Bewertung liegt im Auge des Betrach- Beurteilungszeitraum von meist zwei Wochen do- ters, es ist etwas sehr Subjektives. Dem gegenüber steht kumentiert. Insgesamt 29 Formen des Verhaltens der wissenschaftliche Ansatz. Ein Wert auf einer Skala sind dort vorgegeben. definiert, ob das Verhalten ein herausforderndes ist. Ist Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, heraus- forderndes Verhalten einerseits über die Häufigkeit dem so, dann ist es damit objektiv dokumentiert. zu definieren. Zeigt ein Patient oder Bewohner Welche Konsequenzen haben diese beiden unterschied- über einen bestimmten Zeitraum ein gewisses lichen Ansätze? Verhalten, gilt es als herausfordernd. Andererseits Beide Sichtweisen haben Vor- und Nachteile. Die For- gibt es den Ansatz, anhand der Stärke eines Ver- schung hat vor allem Programme entwickelt, die Lösun- haltens die entsprechende Schlussfolgerung zu gen für eine ganze Gruppe von Menschen mit Demenz ziehen. Also wenn beispielsweise ein Patient hin und wieder schlägt, dies jedoch dann sehr gewalt- anbieten und die auf die Minderung von herausfordern- voll, findet das zwar nicht so oft statt, wie ein dem Verhalten ausgerichtet sind. Dazu zählen zum Bei- unruhiges Verhalten, aber es ist sehr belastend für spiel Musikangebote oder sensorische Stimulation. Die Pflegende und Angehörige. Gefahr dabei ist, dass man den Menschen mit Demenz Unrecht tut, weil die individuelle Bedeutung des Verhal- 20 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16
Je mehr Pflegende über Demenz wissen, desto ein größeres Handlungsrepertoire haben sie Dr. Margareta Halek (MScN), 43, ist Leiterin der Forschungsgruppe Versorgungsinterventionen und stellvertretende Sprecherin des Standorts Witten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE). Außerdem ist sie Juniorprofessorin für Pflegewissenschaften mit dem Schwerpunkt Pflege von Menschen mit Demenz am Department für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke. Mail: margareta.halek@dzne.de tens vernachlässigt wird. Die individuelle, sagen wir „Al- gungen durchaus nachvollziehbar. Aber wenn dieses He- les-liegt-im-Auge-des-Betrachters-Perspektive“ verleitet rumlaufen eines der wenigen Funktionen ist, die diese mitunter dazu, ernste Probleme zu übersehen, zu bagatel- Person noch selbstständig ausführen kann, die ihn be- lisieren, den Umgang mit dem Verhalten zu stark von schäftigt und beruhigt, dann ist das eine Ressource, die es individuellen Einstellungen abhängig zu machen. zu erhalten gilt. Der nächste Schritt wäre zu schauen, wie Wie können Pflegende hier einen richtigen Weg ein- man die Umgebung anpassen kann, damit seine Selbst- schlagen? Gibt es einen solchen überhaupt? ständigkeit möglichst erhalten bleibt. Verhalten muss also In den meisten Fällen besteht kein Widerspruch zwi- in Zusammenhang mit Demenz nicht zwangsläufig schen dem, was die Pflegenden sagen und was die Aus- negativ sein. wertung einer Skala ergibt. Aber wenn jemand schlägt, Dennoch kann diese Unruhe auch im Schmerz begrün- sagen viele Pflegende oft, dass sie wissen, warum derjeni- det sein. Forschungsergebnisse weisen auf einen engen ge das tut. Damit ist es für sie kein herausforderndes Zusammenhang dieser beiden Faktoren hin. Verhalten mehr, weil es für sie eine nachvollziehbare Re- Das will ich nicht bestreiten. In solchen Fällen muss der aktion ist und sie wissen, wie sie solche Situationen ver- Schmerz natürlich behandelt werden, um die Unruhe zu meiden können. Die wissenschaftlichen Methoden kön- reduzieren. Die Suche nach den Ursachen ist das Ele- nen zwar ein Verhalten wie Schlagen, Rufen oder Gehen mentare im Umgang mit herausforderndem Verhalten. objektiv festhalten. Die Bewertung jedoch, ob das auch Kann eine Pflegekraft die dafür nötige Kompetenz in etwas Problematisches, Herausforderndes ist, passiert ei- sich allein bündeln oder ist vielmehr ein interdiszipli- gentlich in den Köpfen der Betrachter. näres Team ratsam? Also kommt es immer auch auf eine genaue Beobach- Es ist zweifelsohne schwer, bei Patienten mit herausfor- tung der Patienten an? Das erfordert Fachkompetenz … derndem Verhalten die situationsbedingt richtige Strate- Ja, genau, je mehr Pflegende über Demenz wissen, desto gie zu finden. Deshalb sind gemeinsame Fallbesprechun- ein größeres Handlungsrepertoire haben sie. Verhalten ist gen mit allen am Behandlungsprozess Beteiligten sehr immer ein Ausdruck von Bedürfnissen, Umfeldbedin- sinnvoll. International spielen Psychologen dabei eine gungen und der eigenen Persönlichkeit – auch bei gesun- Schlüsselrolle. Hierzulande kenne ich jedoch keine Ein- den Menschen. Dieses Verhalten sollte zunächst als eine richtung, die einen Psychologen zur Beratung zieht be- Art von Kommunikation wahrgenommen werden, um ziehungsweise ziehen kann. Genauso wichtig wie Psy- dann die Gründe dafür herauszufinden. Wenn Pflegende chologen sind Pharmakologen. Auch das ist in der Praxis sehr sorgfältig den an Demenz Erkrankten betrachten, kaum umsetzbar. Deshalb geht es eher um die Frage, wie dann finden sie mitunter raus, dass vermeintliches oder man trotz dieser widrigen Umstände an das Fachwissen zunächst problematisches Verhalten auch als eine Res- dieser Experten kommt. Und das funktioniert am besten source verstanden werden kann. über gut geknüpfte Netzwerke. Wie meinen Sie das? Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Halek. Menschen, die viel herumlaufen, werden immer als Pro- nadine.millich@bibliomed.de blemfall betrachtet. Das ist aufgrund der Rahmenbedin- Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16 21
Auf dem Weg zur demenzsensiblen Uniklinik Demenz im Krankenhaus. Menschen mit Demenz haben besondere Bedürfnisse. Werden sie stationär im Krankenhaus aufgenommen, kommt es oft zu typischen Problemen wie Verwirrtheit, Widerstand, Weglauftendenzen. An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat eine Arbeitsgruppe deshalb ein Bündel von Empfehlungen erarbeitet, die sich speziell für Universitätskliniken eignen, um die Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern. Von Dr. Monika Büchler und Katja Freund Fortbildung Assessment Geriatrische Betreuung Illustration: designed by freepik.com Einbindung Angehöriger Lotsendienst 22 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16
Top-Thema B egleiten wir einen 82-jähri- gen Patienten, der mit einem Oberschenkelhalsbruch in eine Uni- versitätsklinik aufgenommen worden Um herauszufinden, wie viele Pa- tienten in der Medizinischen Hoch- schule Hannover (MHH) mit der näre Aufnahmestation waren, gefolgt von der Gastroenterologie. Ebenso wurden die Stationsleitungen unter Nebendiagnose Demenz in den ein- anderem dazu befragt, wie häufig ist: Bereits am ersten Tag seines Auf- zelnen Bereichen versorgt werden, Patienten mit Demenz nach ihrer enthalts wird deutlich, dass er sich wurden 2013 Daten in SAP ausge- Einschätzung auf den Stationen lie- im hektischen Klinikalltag nicht zu- wertet. Für den Zeitraum von 2003 gen. Fünf antworteten mit „täglich“, recht findet, es besteht der Verdacht bis 2012 wurde nach Patienten ge- fünf mit „wöchentlich“ und drei mit auf eine Demenzerkrankung. Er ist sucht, die stationär behandelt wur- „monatlich“. Die Zahl der Patienten zeitlich, situativ und räumlich des- den und mit der Nebendiagnose De- variierte von eins bis drei. Diese orientiert. Nach der Operation gerät menz beziehungsweise Demenz-as- Beobachtungen legen den Verdacht er in ein postoperatives Delir. Da er soziiertes Durchgangssyndrom co- nahe, dass nicht alle Patienten, die seine Bettruhe nicht einhält und als diert worden waren. Ausgenommen als dement eingestuft wurden, in sturzgefährdet gilt, muss er von einer waren die (Geronto-)Psychiatrie und SAP auch erfasst wurden. Sitzwache betreut werden. Er ver- die Intensivstationen, weil diese Sta- weigert das Essen und sämtliche tionen – unter anderem durch einen Typische pflegerische Interventionen. Er be- besseren Personalschlüssel – mehr kommt eine Lungenentzündung und Herausforderungen Möglichkeiten haben, auf die Be- wird einige Tage auf der Intensivsta- dürfnisse dieser Patienten einzuge- Aus der Literatur (Wingenfeld tion behandelt. Als man ihn endlich hen. 2007) sind typische Probleme be- entlassen kann, hat sich sein kogniti- Auf Basis dieser Auswertung kannt, die im Rahmen der stationä- ver Zustand derart verschlechtert, wurden in einem zweiten Schritt 17 ren Behandlung und pflegerischen dass er nicht mehr zu Hause versorgt Stations- und Bereichsleitungen Versorgung auftreten können. Diese werden kann und in ein Pflegeheim mithilfe eines leitfadengestützten wurden auch von den Stationsleitun- umziehen muss. Interviews befragt. Die Leitungs- gen der MHH bestätigt: Der geschilderte Fall ist fiktiv. kräfte repräsentierten insgesamt die n Verwirrtheit/Orientierungslosig- Fakt ist jedoch, dass älteren Patien- 19 Stationen, auf denen besonders keit, ten mit Demenz ein Krankenhaus- häufig Patienten mit Demenz be- n Hinlauftendenzen, aufenthalt unter Umständen mehr handelt werden, sowie die zentrale n Widerstand oder mangelnde schaden als nutzen kann. Kranken- Notaufnahme. Ziel war es herauszu- Mitarbeit bei pflegerischen Hand- häuser sind in der Regel noch nicht finden, wie sich die Versorgung von lungen/Operationsvorbereitungen, angemessen auf die Bedürfnisse Menschen mit Demenz aus Sicht n Probleme bei der Nahrungs- und dieser Patientengruppe eingestellt der Pflegenden darstellt. Die Zahl Flüssigkeitsaufnahme, (Hibbeler 2013). Nicht nur die Pa- der Betten auf den Stationen beweg- n Verständigungsprobleme, zum tienten erleben den Aufenthalt als te sich zwischen 24 und 38, wobei Beispiel Aufstehen nach Operation Belastung (Angerhausen 2008). die Mehrzahl der Stationen über 30 trotz angeordneter Bettruhe, Auch die Pflegekräfte, die diese Pa- Betten hatte. n Notwendigkeit der Fixierung we- tienten nicht so gut versorgen kön- Das Ergebnis der SAP-Recher- gen Eigengefährdung, zum Beispiel nen, wie sie es gerne möchten, fühlen che in der MHH zeigte, dass im Jahr Entfernen von venösen Zugängen, sich belastet (Isfort et al. 2014). 2012 insgesamt 60 526 Patienten n Sturzgefahr, stationär behandelt wurden. Davon n Aggressivität. Wie groß ist das Problem? waren außerhalb der Gerontopsy- chiatrie und der Intensivstationen Alle Befragten gaben einen deut- Immer häufiger werden alte und an 730 Patienten mit der Nebendiagno- lichen pflegerischen Mehraufwand Demenz erkrankte Patienten in ein se Demenz codiert, das sind 1,2 Pro- bei Patienten mit Demenz an. Die Krankenhaus aufgenommen. Auch zent. Im Gegensatz dazu wurden im Stationen, die seltener mit dieser Pa- Universitätskliniken und Kranken- Jahr 2003 nur 176 Patienten mit der tientengruppe zu tun haben, können häuser der Maximalversorgung bil- Nebendiagnose Demenz behandelt. den Mehraufwand besser verkraften den hier keine Ausnahme. Bundes- Der Anstieg dieser Patientengruppe als die Stationen, auf denen täglich weit gibt es jedoch keine validen beträgt von 2003 bis 2012 immerhin einer oder mehrere dieser Patienten Zahlen zum Anteil der Patienten, 400 Prozent und lässt sich nicht mit versorgt werden müssen. Dort haben die stationär mit der Nebendiagnose der Entwicklung der gesamten sta- Pflegende immer häufiger das Ge- Demenz in Krankenhäusern behan- tionären Behandlungen in diesem fühl, dieser Patientengruppe nicht delt werden. Die Auswertung der Zeitraum erklären. gerecht zu werden. wenigen Studien hierzulande ergab Deutlich wurde in der Auswer- Häufig werden bei unruhigen einen Anteil von 3,4 bis 43,3 Pro- tung, dass die am meisten betroffe- oder hinlaufgefährdeten Patienten zent (Isfort et al. 2014, Pinkert/Hol- nen Abteilungen die Neurologie, die Sitzwachen eingesetzt, vor allem le 2012). Unfallchirurgie und die interdiszipli- auch, um eine Fixierung zu vermei- Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16 23
Assessment bei Aufnahme: Zur AG zum Thema Demenz in der MHH gebildet Identifizierung von geriatrischen Pa- Die Arbeitsgruppe (AG) an der MHH setzte sich aus leitenden Ärzten tienten mit kognitiven Einschrän- und Pflegekräften der am meisten betroffenen Bereiche, einer Mitar- kungen könnte das Instrument beiterin der Unternehmensentwicklung sowie einem Vertreter der „Identification of Senior at Risk“ Alzheimer Gesellschaft Hannover zusammen. Punktuell eingebunden waren weiterhin der Sozialdienst, das Entlassungsmanagement, das (ISAR) (Thiem et al. 2012) im Rah- Controlling, ein Anästhesist sowie ein Psychologe. In acht Sitzungen men des Aufnahmegesprächs in der hat sich die AG mit Konzepten näher beschäftigt, die bereits in Kranken- zentralen Notaufnahme eingeführt häusern der Grund- und Regelversorgung erfolgreich umgesetzt werden. Bei differentialdiagnosti- werden und evaluiert wurden (vgl. Deutsche Alzheimer Gesellschaft scher Indikation könnte nach einer 2013, Isfort 2012, Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege erneuten Prüfung auf der Station ein und Alter 2012, Pinkert/Holle 2012, Bayrisches Staatsministerium für geriatrisches, ein gerontopsychiatri- Umwelt und Gesundheit 2011, Wingenfeld/Kleina 2007). Darüber hinaus ist auch die Studie von Kirchen-Peters (2012) berücksichtigt sches oder bei Bedarf ein klinisch- worden, in der die fördernden und hemmenden Faktoren für die pharmakologisches Konsil initiiert Umsetzung von Konzepten in Akutkrankenhäusern näher beschrie- werden. Um insbesondere ein post- ben wurden. operatives Delir zu verhindern, sollte In der Diskussion innerhalb der AG wurde schnell klar, dass der auch bei elektiven Aufnahmen eine Fokus nicht alleine auf die Demenz, sondern auf Patienten mit kog- Risikoeinschätzung älterer Patienten nitiven Einschränkungen zu legen sei. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, den Blickwinkel auf ältere Patienten zu erweitern, da diese Patienten- vorgenommen werden. gruppe häufiger von kognitiven Einschränkungen betroffen ist und Ein weiterer Vorteil beim Ein- aufgrund des multifaktoriellen Geschehens einen potenziell kompli- satz eines solchen Assessments ist zierteren stationären Verlauf haben kann. die Tatsache, valide Angaben zur Zahl der betroffenen Patienten zu erhalten. Diese sollten mittelfristig auch als Grundlage für Verhandlun- gen mit Kostenträgern genutzt wer- den. Auf die Frage, was die Situation schen einer Universitätsklinik, Kran- den. Denn diese Patientengruppe verbessern könnte, nannten die kenhäusern der Maximalversorgung verursacht durch den erhöhten Be- Stationsleitungen Niedrigflurbetten, sowie Krankenhäusern der Grund- handlungsaufwand höhere Kosten, Hüftprotektoren, Tiefsessel, Pikto- und Regelversorgung: Der Case- die noch nicht ausreichend refinan- gramme und Beschäftigungsmateri- Mix-Index ist deutlich höher und ziert werden. al. Ebenso häufig präferierten die somit sind die Patienten kränker. Befragten auch die Einrichtung Das Gebäude ist größer und unüber- Ehrenamtlicher Lotsendienst: Die einer interdisziplinären Station für sichtlicher, es gibt mehr diagnosti- Einführung eines ehrenamtlichen Patienten mit kognitiven Einschrän- sche und therapeutische Möglich- Lotsendienstes wäre der erste Schritt kungen sowie – auf besonders keiten und damit häufig wechselnde in Richtung eines Masterplans für betroffenen Stationen – die Auf- Umgebungen. Die Stationen sind die Versorgung von geriatrischen stockung der Personaldecke mit ger- größer, und der Patient erlebt ständi- und kognitiv eingeschränkten Men- iatrisch ausgebildetem Personal. ge Veränderungen in der ärztlichen schen. Dabei wäre es wichtig, die Die vorgeschlagenen Lösungsan- und pflegerischen Betreuung. Lotsen in die Besprechungskultur sätze unterscheiden sich nicht we- auf den Stationen einzubinden und sentlich von den in Theorie und Pra- Besserer Umgang mit eine verbindliche Erreichbarkeit von xis diskutierten und durchgeführten Montag bis Freitag in der Zeit von Demenz an Unikliniken Maßnahmen (Isfort et al. 2014). 8 bis 16 Uhr zu gewährleisten. Da- Dennoch gibt es Unterschiede zwi- Aufgrund dieser besonderen Fakto- rüber hinaus wäre eine Stelle für die ren stellt sich folgende Frage: Wel- Koordination der Einsätze, Beglei- che Konzepte eignen sich für eine tung und Erstkontaktaufnahme der Universitätsklinik, um den Umgang Ehrenamtlichen notwendig. mit Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zu verbes- Geriatrische Betreuung rund um die sern? Dieser Frage ist in OP: Als eine vielversprechende Kostenfreier der MHH eine interdis- Maßnahme schätzt die AG auch ziplinäre Arbeitsgruppe eine geriatrische Betreuung bei (AG) im Auftrag der Operationen ein. Hier gewährleisten Newsletter! Klinikkonferenz nach- speziell geschulte Altenpflegerinnen gegangen (s. Kasten). und Altenpfleger eine persönliche News Sie gibt die im Fol- Betreuungskontinuität in der prä-, Abonnieren Sie uns: genden aufgeführten Empfehlungen. peri- und postoperativen Phase, um ein Delir zu vermeiden. www.bibliomedpflege.de/ Die smarteste News�App der Pflege newsletter Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 6|16
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