Romandie und Tessin Journal - 2 Brückenschlag in unbekanntes Land

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       Berufsverband für Coaching,
       Supervision und Organisationsberatung

       Journal

       Romandie und Tessin

       Brückenschlag in unbekanntes Land
2012
I n h a l t

                                           3 Editorial

                                           4	A k t u e l l

                                          		 T h e m a

                                           6 Eine Schweizer Adresse
                                          		 Soll der bso nationaler Verband werden?
                                          		 Susanne Fasel, Franz Käser

I m p r e s s u m
                                           9	Reflexive Instrumente
                                          		Supervision und Organisationsberatung
Journal bso Nr. 3/2012                        in der Romandie
Romandie und Tessin
                                          		 Françoise Tschopp, Isabelle Kolly-Ottiger,
Erscheinungstermin: 27. August 2012
                                          		 Sylvie Monnier, Sylvie Avet L’Oiseau
Nächste Ausgabe
Nr. 4/2012                                13 Bedarf nach Regulierung
Fach- und Prozessberatung
                                          		 Angebot und Nachfrage von Coaching nehmen zu
Redaktionsschluss: 1. Oktober 2012
Inserateschluss: 29. Oktober 2012         		 Ernst Bechinie, Willem Jan Hofmans
Erscheinungstermin: 26. November 2012
                                          15   Zwischen Röstigraben und Grande Nation
Auflage
1700 Expl.
                                          		   Von den Freuden und Leiden der Arbeit
Erscheint viermal jährlich                		   als ­Grenzgängerin
Herausgeber                               		   Madeleine Bähler
Berufsverband für Coaching, Supervision
und Organisationsberatung bso
                                          19 Motor für Entwicklung
Susanne Fasel-Rappo, Geschäftsleiterin    		 Coaching und Supervision im Tessin und in Italien
Redaktionskommission                      		 Anna Zanardi Cappon
Heike Osenger
Rita Scheurer                             22 Einheit, Verschiedenartigkeit,
Silvio Sgier                              		Einzigartigkeit
Geri Thomann                              		 Die Arbeit mit kulturspezifischen Brillen fordert
Andrea Zuffellato
                                          		 und ­bereichert
Redaktion                                 		 Roland Schaad
Anne-Sophie Scholl, bso
annesophie.scholl@bso.ch                  26	L i ter a t u r
Bilder
© Marco Zanoni                            28 T a g u n g e n
www.marcozanoni.ch
                                          		 P r a x i s
Layout und Druck
Canisius – Druck & Grafik, Freiburg       30 «Zu Beginn hatte ich oft Ängste und
Administration/Inserate                   		 fühlte mich allein»
Nelly Reinmann, bso                       		 Markus Tschopp im Interview
Schwarztorstrasse 22, CH-3007 Bern
Tel. [+41] 031 382 44 82                  33 Von Bürgerpflichten und faulem Zauber
Fax [+41] 031 382 44 39
                                          		 Kolumne von Peter Schneider
E-Mail: info@bso.ch
Bezugspreise                              		Ser v i c e
Jahresabonnement CHF 44.–
Einzelnummer CHF 11.–                     34 Weiterbildung
Jahresabonnement Ausland CHF 60.–         36 Intervision
Einzelnummer Ausland CHF 15.–
                                          36 Miete
Inserate
Preise auf der Basis                      37	M a r k t
einer druckfertigen ­Vorlage
1/4 Seite CHF 250.–
1/2 Seite CHF 500.–
1/1 Seite CHF 900.–
Inserate auf Umschlagseiten
3 und 4 im 4-Farben-Druck:
3. Umschlagseite 20% Zuschlag
4. Umschlagseite 30% Zuschlag
E D I T O R I A L                     3

                           Das Fremde
                           im eigenen Land

                           K
                                     eine Frage, an der Retraite der Redaktionskommission im vergan-
                                     genen Jahr waren sich alle einig: Eines der kommenden Hefte muss
                                     die Beratungslandschaft in der Romandie und im Tessin erkunden.
                           Präsident Franz Käser hatte soeben die Themen skizziert, die den Vorstand
                           umtreiben. Dass der bso die Fühler vermehrt in die West- und Südschweiz
                           ausstrecken will, war eines davon. Damit war ein Schwerpunkt der kom-
                           menden Ausgaben gesetzt.
                                Was ein Verband für die gesamte Schweiz bedeuten könnte, davon
                           bekamen die Mitglieder der Redaktionskommission an der Sitzung im März
                           eine erste Ahnung. Noch bevor es um Inhalte ging, entbrannte eine hefti-
                           ge Diskussion: In welcher Sprache sollten die Texte gedruckt werden? In
                           der jeweiligen Originalsprache? Oder mit Übersetzung, am besten gleich
                           dreisprachig? Ist es nicht Ausdruck von Arroganz, auf Deutsch über Kol-
                           legen im Tessin zu schreiben? Doch wer liest das Journal? Was ist wichtiger,
                           die Information oder die Geste? Und wie viel Geste kann man, will man,
                           darf man sich leisten? Schliesslich wird der bso von seinen – in der grossen
                           Mehrheit deutschsprachigen – Mitgliedern finanziert.
                                Kaum einfacher wurde es bei der inhaltlichen Konzeption: Kein Zwei-
                           fel, alle fanden das Thema spannend. Doch wer hat Vorkenntnisse von der
                           Beratungslandschaft in der Romandie und im Tessin? Wer hat entspre-
                           chende Kontakte? Und wie recherchiert man die Kultur, wenn man der
                           Sprache nicht mächtig ist?
                                Zwei Mitglieder des bso wohnen im Tessin, dreizehn in grösstenteils
                           französischsprachigen Kantonen, 115 Mitglieder führen Beratungen auf
                           Italienisch durch und 307 auf Französisch, diese Kennzahlen spuckt das
                           Beratungsverzeichnis des bso aus. Einige Mitglieder sind zudem im Schwes-
                           terverband ARS (Association Romande des Superviseurs) in der Romandie
                           organisiert. Hinzu kommen Leute, die in regem Austausch mit der Ge-
                           schäftsstelle stehen. Sie waren eine unschätzbare Hilfe, ohne die das vor-
                           liegende Heft keine Chance gehabt hätte. Und trotzdem: Eine angefragte
                           Autorin, ein angefragter Autor nach dem anderen lehnte ab, einen Über-
                           blick über die Romandie zu geben trauten sie sich nicht zu. Bald schlich
                           sich der Verdacht ein: Gibt es überhaupt Beratungslandschaften in der
                           französisch- und italienischsprachigen Schweiz, die mit den Verhältnissen
                           in der deutschsprachigen Schweiz vergleichbar sind? Oder gibt es dies­
                           bezüglich ein grundlegend anderes Verständnis, kulturell bedingt ganz
                           andere Strukturen? Wie soll man über etwas schreiben, das vielleicht gar
                           nicht existiert? Mutmassungen nur, zu vage um als Fachmeinung postuliert
                           zu werden.
                                Eigentlich kann man es nur falsch machen, als mehrheitlich Deutsch-
                           schweizer Verband, der über die weiteren Schweizer Kulturen publizieren
                           will. Wir haben es trotzdem gewagt. Und voilà, das Heft ist da. Es ist ­weniger
                           als letzte Antwort, denn als erster Schritt einer Erkundung zu verstehen,
                           als eine Art Work in Progress. Doch lesen Sie selbst auf den kommenden
Anne-Sophie Scholl,
Redaktorin Journal bso.    Seiten.
annesophie.scholl@bso.ch                                                           Anne-Sophie Scholl
4   A K T U E L L

    120 Tage im Vorstand
                                                                                     Veran staltung en

    Zwischen Urner Bergen
    und Genfersee                                                                   Mo, 1. Oktober 2012
                                                                                    Regiotreffen Zürich
                                                                                    Regiogruppe Zürich – Ort: Zürich
                                   Regula Villari – Mein bisheriger Lebensweg
                                   war in jeder Hinsicht spannend, kurvig, welt-    Do, 8. November 2012
                                   offen, arbeitsam und nicht zuletzt genuss-       Regiotreffen Ost
                                                                                    Regiogruppe Ost – Ort: St. Gallen
                                   voll. Im Kanton Uri geboren, kamen mir die
                                   Berge irgendwann zu nah, der Wind wurde          Do, 22. November 2012
                                   zu heftig, die Leute waren zu bodenverbun-       Regiotreffen Bern
                                   den und die beruflichen Perspektiven zu eng.     Regiogruppe Bern – Ort: Bern
                                   Der Schritt zum Status «Auslandurnerin»
                                                                                    Di, 22. Januar 2013
                                   war logisch; der Versuch in Luzern und           Neumitgliederapéro
                                   ­Zürich sesshaft zu werden scheiterte schnell,   Neumitglieder bso – Ort: Olten
                                    weil ich am ­Genfersee fündig wurde; die
                                    ­Romandie war so ganz anders als die gefühls-   Di, 26. Februar 2013
                                                                                    Regiotreffen Bern
    mässig doch recht kühle Deutschschweiz, und Sprache, Mentalität sowie           Regiogruppe Bern – Ort: Bern
    Kultur fas­zinierten mich. Ausserdem war ich im Süden, die Wetterlage
    anders und die Terrassen bereits im Frühling bezugsbereit. Über Jahre           Sa, 23. März 2013
    habe ich der Deutschschweiz, den Rücken gekehrt und das Gerede um den           Mitgliederversammlung
                                                                                    Mitglieder bso – Ort: Luzern
    Röstigraben entlockte mir höchstens ein mildes Lächeln. Da das Leben
    aber bekanntlich selten ein ruhig dahin fliessender Fluss ist, haben Fami-      Di/Mi, 9./10. April 2013
    lie und Beruf gewollte und ungewollte Veränderungen mit sich gebracht.          Personal Swiss
    Wissensdurst, Neugierde und Lust auf Neues wurden über Jahre zu stän-           HR – Ort: Zürich-Oerlikon
    digen Begleitern und brachten intensive, lehrreiche aber vor allem
                                                                                    Sommer 2013
    grenzübergrei­fende Erfahrungen. Meine inzwischen perfekte Zwei­                Sommeruniversität
    sprachigkeit, das Verständnis beider Kulturen, Deutsch- und Westschweiz,        ANSE – Ort: Littauen
    haben mir viele Türen geöffnet. Beim beruflichen Schritt in die Selbstän-
    digkeit vor vier Jahren habe ich das Angebot der Association Romande des        Do, 7. November 2013
                                                                                     Fachtagung «Vermessen(d)e
    Superviseurs (ARS), im Vorstand tätig zu werden, angenommen. Meine
                                                                                     Beratung – zwischen
    berufliche Vernetzung mit der HES-SO (Fachhochschule Westschweiz)                Co-Konstruktion und
    hatte bisher auf unterschiedlichen Ebenen positiven Einfluss auf die Vor-       ­physikalischer Messbarkeit»
    standstätigkeit bei der ARS. Ich übernahm ganz selbstverständlich die           Mitglieder bso – Ort: Bern
    Beziehungspflege mit dem bso. Daraus hat sich eine intensive und kons­
                                                                                    Sa, 29. März 2014
    truktive Zusammenarbeit entwickelt. Es ist mir ein wichtiges Anliegen,
                                                                                    Mitgliederversammlung
    die Vernetzung mit der Westschweiz sowie dem Tessin zu fördern und              Mitglieder bso – Ort: offen
    einen Weg zu finden, die vom bso vorgelebte Exzellenz mindestens in der
    Westschweiz zu verankern. Ich meine, dass mein Einsitz im Vorstand des
    bso diesbezüglich ein eigentlicher Wegbereiter sein kann und werde dieses
    Projekt, oder eher diesen persönlichen Wunsch, verwirklichen.

    www.villari.ch
A K T U E L L                  5

Evaluation Q-System

Qualitätssicherung schliesst die
Überprüfung der eigenen ­Qualität ein
mgt – Es sei zeit- und energieauf-      (AQK) im Winter beschlossen hat.           Prozesses wahrnehmen und wie sie
wändig. So lautet ein viel gehörter     Der Entscheid, das Q-System zu             die Verbindlichkeit des bestehen-
kritischer Einwand gegen das ak­        überprüfen, bedient darüber hinaus         den Systems einschätzen, wie sie
tuelle Qualitätssicherungs-System       den reflexiven Qualitätssicherungs-        die Auswirkungen auf die Praxis
(Q-System) des bso. Eine Aussen-        anspruch des Q-Systems: Ein Quali-         beurteilen und welchen Nutzen sie
sicht fehle, das Q-System sei eine      tätssicherungssystem muss zwin-            für sich selbst und für ihre eigene
interne Überprüfung von Mitglie-        gend auch die eigene Qualität              berufliche Arbeit daraus ziehen.
dern bso für Mitglieder bso, so eine    ­sichern. Nach sechs Jahren und zwei       Ergänzend zu dieser quantitativen
andere oft vorgebrachte kritische        Durchläufen des aktuellen Systems         Erhebung führen die Mitglieder der
Stimme. Aber: Das Q-System zu            ist es soweit: Verantwortlich für Pla-    AQK vertiefende Interviews mit
durchlaufen sei auch ein sehr wert-      nung, Ablauf und Koordination des        ­verschiedenen Anspruchsgruppen
voller Prozess, man könne für sich       Projekts ist Lydia Leumann mit den        durch: Vorgesehen sind Gespräche
selbst und für das eigene berufliche     weiteren Mitgliedern der AQK. Eine        mit Einzelmitgliedern, mit Leuten
Handeln viel dazulernen, das Q-Sys­      Vorinformation über das Projekt ha-       von Kundenseite sowie mit Leuten
tem biete Gelegenheit, sich selbst       ben die Mitglieder bso bereits über       aus Organisationen, die eine vom
weiterzuentwickeln. Eine solche          den Newsletter von Ende Juni 2012         bso anerkannte Beratungsausbil-
positive Einschätzung ist ebenfalls      erhalten. Im Newsletter von Mitte         dung anbieten. Geplant sind weiter
sehr verbreitet zu vernehmen. Doch       August 2012 haben alle Aktivmitglie-      Gruppeninterviews in Bern, Zürich,
wie genau erleben Mitglieder bso das     der den Link zu einem Fragebogen          St. Gallen und Luzern. Die qualita-
aktuelle Q-System? In welchem Ver-       zugeschickt bekommen, sowie die           tive Erhebung anhand von Inter-
hältnis stehen die kritischen und die    Einladung, sich zu einem der vertie-      view-Leitfäden ist für die Zeit zwi-
wertschätzenden Stimmen zueinan-         fenden Interviews anzumelden.             schen September und November
der? Wo liegen die feinen Nuancen                                                  2012 vorgesehen. Im Anschluss an
in der Einschätzung und wo lässt         Quantitative und qualitative              die Gespräche verfasst die Projekt-
sich das System allenfalls verbes-      ­Erhebung                                  gruppe eine Auswertung und einen
sern? Und wie erleben externe Inte-     Der Fragebogen sondiert einerseits,        Bericht, definiert Massnahmen und
ressensgruppen wie Kundinnen und        wie Mitglieder ganz grundsätzlich          erstellt einen Plan für deren Umset-
Kunden das verbandsinterne Stre-        das Qualitätskonzept und dessen            zung. Der Bericht wird den Mitglie-
ben nach kontinuierlicher Qualität      Nutzen zur Sicherung und Weiter-           dern bso an der Mitgliederver-
und Qualitätssteigerung? Solchen        entwicklung der Beratungsqualität          sammlung 2013 vorgestellt. Die
Fragen soll die Evaluation des          bewerten. Darüber hinaus geht er           Erkenntnisse der Evaluation flies­
­Q-Systems nachgehen, die die Auf-      der Frage nach, wie Mitglieder die         sen in eine allfällige Weiterentwick-
 nahme- und Qualitätskommission         Möglichkeiten zur Steuerung des            lung des Q-Systems ein.

Zeitplan der Evaluation
 Bis 3. September 2012                   September bis November 2012               Bis März 2013
 Quantitative Erhebung:                  Qualitative Erhebung:                     Auswertung und Bericht
 Ausfüllen der Fragebögen/               Vertiefende Interviews mit                ­zuhanden Vorstand und
 Anmeldung zu vertiefenden               ­Einzelmitgliedern bso, Kundinnen        ­Mitgliederversammlung 2013.
­Interviews.                              und Kunden, Organisationen,
                                          die anerkannte Ausbildungen
                                        ­anbieten.
6   T H E M A

    Eine Schweizer
    Adresse
    Soll der bso nationaler Verband werden?

                            Arbeitsplatzbezogene Beratung soll schweizweit ­organisiert und
                            ­vertreten sein. Zur Diskussion steht, ob der bso in der nahen
                             oder ferneren Zukunft gesamt­schweizerischer Verband werden will.
                             Kosten und ­kulturelle Unterschiede sind Hürden, die Alternative
                             ist die verstärkte Zusammenarbeit über innerschweizerische
                             ­Grenzen hinweg. Viel wird bereits getan.

    Susanne Fasel                                            Nicht-Schweizern wird er oft als «der Schweizer Ver-
    Franz Käser                                              band» in Sachen Beratung wahrgenommen und ent-
                                                             sprechend angesprochen.
    Wenn es um Beratung in der Schweiz geht, ist der bso         Mit derartigen Engagements ist der bso als gesamt-
    immer wieder eine gefragte Adresse. So bei Vorstössen    schweizerischer Verband unterwegs. Dabei macht der
    von gesamtschweizerischer Bedeutung wie dem Projekt      bso nichts anderes, als seinen Auftrag umzusetzen, wie
    des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie        er im Leitbild festgehalten ist: «Der bso ist der federfüh-
    zur Einrichtung von eidgenössischen Abschlüssen für      rende Akteur im Feld der Beratung. Er engagiert sich für
    Beratungspersonen (BBT-Projekt). Und beim Projekt        die Entwicklung des Berufsfeldes Beratung auf schwei-
    zur Festsetzung von nationalen Qualifikationsrahmen,     zerischer und europäischer Ebene.» Und auch die Mit-
    bei dem sich der bso auf Einladung des Bundesamtes       glieder des Verbands sind gesamtschweizerisch enga-
    für Berufsbildung und Technologie (BBT) bei einem        giert. Die 1245 Aktiv-Mitglieder stammen aus nahezu
    Round-Table-Gespräch einbrachte. Auch bei For-           allen Kantonen der Schweiz, mehr als 100 Verbandsmit-
    schungsvorhaben von nationaler wie internationaler       glieder bieten Beratungsleistungen in italienischer Spra-
    Reichweite von Fachhochschulen und Universitäten ist     che an, mehr als 300 Mitglieder beraten in französischer
    der bso gefragt; mit seinen rund 1 300 Mitgliedern ist   Sprache. Der Zugang zum bso steht Personen aus der
    er ein attraktiver Praxispartner.                        ganzen Schweiz offen – die wichtigsten Grundlagen des
        Der bso seinerseits lud vor zwei Jahren zu einem     Verbands wie die Beratungsformate, Berufsethik und
    ersten schweizerischen Treffen von Verbänden und         Berufskodex und das Reglement zum Qualitätssystem
    Organisationen, die sich professionelle Beratung auf     bso sind auf Deutsch festgehalten und auf Französisch
    die Fahne geschrieben haben. 2011 trafen sich die rund   und Englisch übersetzt. Die Mitarbeitenden der Ge-
    25 Organisationen ein zweites Mal. Anliegen war, den
    unterschiedlichen Interessen nachzugehen und den
    kleinsten gemeinsamen Nenner aufzuspüren. Und                Bei Projekten von
    schon vor gut zehn Jahren streckte der bso als Grün-        ­g esamtschweizerischer
    dungsmitglied der Association of National Organisa-
    tions for Supervision in Europe (ANSE) seine Nase über
                                                                 ­Bedeutung ist der bso
    die Grenzen der Schweiz hinaus. Von interessierten            eine gefragte Anlaufstelle.
T H E M A               7

schäftsstelle beantworten auf umgangssprachlichem
Niveau Anfragen gut und gerne auf Französisch und
Englisch, Erstanfragen auch auf Italienisch. Soll der bso
also sein gesamtschweizerisches Engagement ausbauen?
Es fehlte nur noch die Übersetzung der Website – oder?

    «Der bso engagiert sich für die
    ­E ntwicklung des Berufsfeldes
     ­Beratung auf schweizerischer und
      europäischer Ebene»
                                               Leitbild bso

Hauptanliegen des bso ist die Qualität der Beratung,
was sich unter anderem in den hohen Anforderungen
an die Mitglieder bezüglich Ausbildung, Weiterbildung
und Verpflichtung auf das Q-System bso zeigt. Zudem
vertritt der Verband die drei Formate Coaching, Super-
vision und Organisationsentwicklung. Dies prägt die
Kultur des bso, dessen Mitglieder teilweise in allen
Formaten unterwegs sind oder zumindest die jeweiligen
Stärken, Grenzen und Einsatzgebiete kennen. Die Qua-
lität und die Formate sind das Markenzeichen des bso,
sein «Alleinstellungsmerkmal» beziehungsweise USP
(Unique Selling Proposition), um sich dieses Begriffs
aus der Marketingsprache zu bedienen.

Die Sorge um die Idendität
In der Romandie pflegt der bso eine bewährte Zusam-
menarbeit mit der Association Romande des Super­
viseurs (ARS). Ausbildungen, die von dem einen Verband
anerkannt sind, anerkennt beispielsweise auch der
­andere Verband. Aber es gibt Unterschiede – der augen-
 fälligste ist die Tatsache, dass sich die ARS auf Super­
 vision konzentriert, der bso jedoch klar berufliche
 ­Heimat für Beratende in den drei Formaten Coaching,
  Supervision und Organisationsberatung ist. Zusammen-
  gespannt h ­ aben die beiden Verbände für die Organi­sation
  von Tagungen, ein erstes Mal 2009 in Fribourg, ein zwei-
  tes Mal 2011 in Biel. Mitglieder von ARS und bso sowie
  weitere Interessierte konnten bei diesen Gelegenheiten
  erfahren, wie bereichernd sprach- und grenzüberschrei-
  tende Veranstaltungen sein können. Gleichzeitig haben
  die Tagungen jedoch auch ein Spannungsfeld vor Augen
  geführt: Wie kann man ureigenen Werten und Stär­ken
  treu bleiben und gleichzeitig offen sein für Neues, das
  sich durch die Begegnung ergibt? Klar ist: Neue Mit­
  glieder aus anderen sprachlichen und kulturellen
  ­Regionen hätten Auswirkungen auf die Kultur des bso.
       Kulturelle Unterschiede zeigen sich am augenfäl-
   ligsten in der Sprache. Und Mehrsprachigkeit kostet.
   Auch das haben die beiden von ARS und bso gemeinsam
8        T H E M A

         organisierten Tagungen gezeigt. In der Schweiz sind     ratung über eine verstärkte Zusammenarbeit mit be-
         zum Glück viele Menschen zumindest passiv einer         stehenden Akteuren in den andern Landesteilen führt
         zweiten Landessprache mächtig oder sprechen eng-        oder über vermehrte Eigenaktivitäten seitens des bso,
         lisch. Somit ist denkbar, dass in gemischtsprachigen    ist nicht zuletzt auch von möglichen Partnern abhängig.
         Gremien jeder und jede in der Muttersprache über die    Sicher ist: Die Vertretung der drei Formate und der
         Sprachgrenze hinaus sich am Verbandsleben aktiv be-     hohe Qualitätsanspruch des bso, der Ausdruck findet
                                                                 im Aufnahmeverfahren und im Qualitäts-System, sind
                                                                 die Rahmenbedingungen für jegliches Handeln. Es
Die hohen ­A nforderungen an die Qualität                        bleibt spannend zu sehen, wie es dem bso gelingt, s­ eine
und die V
        ­ ertretung der drei Beratungs­                          Identität zu bewahren und gleichzeitig auf dem Weg
formate sind das Marken­zeichen des bso.                         zu einem gesamtschweizerischen Verband weiterzu­
                                                                 gehen. Dass der bso dieses Ziel weiterverfolgt, haben
                                                                 die jüngsten Strategiediskussionen bestätigt.
         teiligen kann. Und doch wird es nicht immer und ganz
         ohne Simultanübersetzung gehen. Website, Druck­
         sachen, die ­Verbandskorrespondenz müssten in ver-
         schiedenen Sprachen zur Verfügung stehen, entspre-
         chende personelle Ressourcen müssten aufgestockt
         werden. Der zusätzliche Mittelbedarf müsste gedeckt
         werden können durch ein entsprechendes Mitglieder-
         wachstum, eine Erhöhung der Mitgliederbeiträge, den
                                                                                     Susanne Fasel,
         Verkauf von Dienstleistungen beziehungsweise eine                           Geschäftsleiterin bso.
         Mischung dieser Mittel.                                                     susanne.fasel@bso.ch

         Viele Wege führen nach Rom
         Neben der ARS, die sich auf Supervision konzentriert,
         sind in der Romandie und in den anderen Landesteilen
         Organisationen entstanden, die sich ausschliesslich
                                                                                     Franz Käser,
         mit Coaching befassen. Ob der Weg zu einer schlag-                          Präsident bso.
         kräftigen gesamtschweizerischen Organisation für Be-                        franz.kaeser@bso.ch
T H E M A             9

 Reflexive

R
­Instrumente
Supervision und Organisationsberatung in der Romandie

                             In den 1950er-Jahren wurde Supervision erstmals im Sozialdienst
                             erwähnt. Seither ist sie in Aus- und Weiterbildung in der
                             ­Sozialarbeit institutionalisiert. Als Reflexionsgefäss für Fachleute
                              und in Organisationen ist sie heute in verschiedene Formen
                              ­ausdifferenziert. Für die Effizienz sozialer Institutionen und das
                               Wohl von Klientinnen und Klienten sind Supervision und
                               ­Organisationsberatung unerlässlich geworden.

Françoise Tschopp                                           Historische Meilensteine
Isabelle Kolly-Ottiger                                      Supervision wurde in der Westschweiz erstmals 1954
Sylvie Monnier                                              im Sozialdienst erwähnt (de Jonckheere/Monnier 1997).
Sylvie Avet L’Oiseau                                        Einen ersten Lehrgang für Supervisoren bot 1958 die
                                                            Ecole de service social de Genève an. 1970 führte die
Die Sozialarbeit sieht sich mit grossen wirtschaftli-       Ecole d’éducateurs spécialisés die obligatorische Su-
chen, sozialen und kulturellen Veränderungen kon-           pervision für ihre Studierenden ein und organisierte
frontiert. Supervision hilft, diese zu bewältigen, indem    ab 1971 einen Lehrgang für Supervidierende. In der
sie Raum bietet, das Handeln der Fachleute in den           Folge boten die Schulen in Lausanne und Genf regel-
Institutionen zu reflektieren. Sie hilft, institutionelle   mässig gemeinsam Lehrgänge an. 1996 übernahm das
Mechanismen zu identifizieren, und trägt so dazu bei,       Centre de formation continue pour travailleurs sociaux
die Arbeit in den Dienst des Menschen zu stellen. Über      (CEFOC) des Institut d’études sociales in Genf diese
Stress und Leiden bei der Arbeit zu sprechen, institu-      Ausbildung. Von da an besuchten Sozialarbeiterinnen,
tionelle, kulturelle, soziale, wirtschaftliche und poli-    Erzieher und soziokulturelle Betreuende den gleichen
tische Zwänge zu identifizieren und zu analysieren,         Lehrgang.
sich aus einer lähmenden Isolation zu befreien, die             In den seit 2002 von den Fachhochschulen ange-
neuen Normen der «Exzellenz und Leistung» (De               botenen Lehrgängen für Sozialarbeit ist die pädago­
Gaule­jac 2005) zu hinterfragen, verschiedene Heraus-       gische Supervision für alle Bachelor-Studenten obliga-
forderungen zu erkennen – all dies verlangt beson­dere      torisch. Die Ausbildung der Supervisorinnen im so­
Aufmerksamkeit, damit die sozialen Widersprüche             zialen und psychosozialen Bereich steht auch Sozial-
und das täglich anzutreffende Leid nicht allein getra-      arbeitern im weiteren Sinne offen, beispielsweise
gen werden müssen. Der vorliegende Artikel versucht,        Ergotherapeuten, Psychomotorik-Therapeutinnen,
die verschiedenen Typen von Supervision und Orga-           Kleinkindererziehern und Sozialpädagoginnen. Derzeit
nisationsberatung sowie deren Funktion und Nutzen           bietet das Weiterbildungszentrum der Haute école de
zu definieren.                                              travail social (HETS) zwei Ausbildungslehrgänge an:
10   T H E M A

     Ein CAS für Supervidierende im sozialen und psycho-         Funktion oder den gleichen Beruf ausüben, berufliche
     sozialen Bereich, die sich in der individuellen Super-      Situationen zu besprechen. Diese Fachleute können in
     vision, sei sie pädagogischer oder beruflicher Natur,       verschiedenen Bereichen tätig sein, beispielsweise im
     und in der Supervision in kleinen Gruppen weiterbilden      Gesundheitswesen, in den Sozialdiensten oder in der
     wollen. Und ein CAS für Organisationsberaterinnen           Erziehung. Die besprochenen Themen können den Be-
     und -berater.                                               ruf, die Funktion, die spezifischen Tätigkeitsbereiche
                                                                 oder die Entwicklung neuer Praktiken betreffen. Der
     Individuelle Instrumente                                    Gedankenaustausch in Anwesenheit einer Supervisorin
     Die pädagogische Supervision gehört in der Sozialarbeit     bringt viele Vorteile: Die Teilnehmenden profitieren
     zur Grundausbildung und begleitet die Studierenden          von der Erfahrung der anderen und durch die Hervor-
     während ihrer praktischen Ausbildung. Sie hat eine klar     hebung der vorhandenen Ressourcen unterstützen sie
     pädagogische Funktion und ermöglicht es, die in der         sich gegenseitig. Wissen wird zusammengetragen, Kon-
     Schule erworbene Theorie mit der Praxis zu verbinden.       zepte werden entwickelt und die Isolation bei der Arbeit
         Die professionelle Einzelsupervision erfolgt auf
     Anfrage einer Fachperson, die ihre Arbeit reflektieren
     will. Sie befasst sich mit konkreten, aktuellen Situa­
     tionen aus dem Berufsleben, die vom Supervisand ein-
     gebracht werden. Ihr Ziel ist es, bei ihm das Bewusstsein
     bezüglich seiner Handlungen, seiner Verantwortung,
     seines Engagements, seiner Fähigkeit, interpersonelle
     Bindungen herzustellen und zu kooperieren, zu entwi-
     ckeln. Die Supervisandin soll ihre Arbeitsweise unter
     Einbezug der kognitiven, zwischenmenschlichen, emo-
     tionalen und körperlichen Aspekte verstehen und ana-
     lysieren lernen. Eine Supervision setzt die Fähigkeit
     voraus, sich zu distanzieren, um zu verstehen, was der
     Supervisand erlebt hat, was ihn zum Handeln oder zur
     Untätigkeit bewegt hat, was ihm Klarsicht gebracht oder
     ihn blind gemacht hat. Ausgehend von den Erzählungen
     der Supervisandin führt die Supervision zu einer Re-
     flexion, die frei von persönlichem Engagement und den
     Emotionen einer persönlichen Beziehung ist. Diese
     Distanzierung ermöglicht es dem Supervisand, seine
     Funktionsweise zu erkennen und sich diese zum pro-
     fessionellen Arbeitsinstrument zu machen, um die
     Dienstleistungen für seine Klienten zu verbessern. Die
     Supervision erfolgt in Form eines zeitlich befristeten
     Vertrags, der auf den Bedürfnissen und Zielen der Su-
     pervisandin basiert. Sie findet in regelmässigen Abstän-
     den statt und ermöglicht damit einen Reifungsprozess.

     Kollektive Instrumente
     Die pädagogische Supervision in Gruppen richtet sich
     an Studierende der Sozialarbeit, die Praktika in ver-
     schiedenen Institutionen absolvieren. Die praktische
     Analyse ist integrierender Bestandteil von Grundaus-
     bildung und Weiterbildung. Sie ermöglicht Gruppen
     von Studierenden, sich konstruktiv und strukturiert
     auszutauschen, und sie findet über einen längeren Zeit-
     raum mit den gleichen Teilnehmenden sowie dem glei-
     chen Ausbilder statt. In der praktischen Analyse geht
     es um die Koproduktion von Wissen, das für die prak-
     tische Arbeit von Nutzen ist. Die professionelle Grup-
     pensupervision ermöglicht Fachleuten, die die gleiche
T H E M A              11

reduziert. Teamsupervision richtet sich an eine Grup-           Anhand der Konzepte, die aus der Analyse der Psycho-
pe, die beruflich zusammenarbeitet. Eine Anfrage für            dynamik der Arbeit und der Arbeit selbst entstanden
eine solche Supervision geht entweder von der Leitung           sind, kann ein Teil der Begriffe, die die Grundlage der
oder vom Team selber aus. In regelmässigen Treffen              Supervisionsarbeit bilden, gestützt werden. Dabei geht
werden verschiedene Themen besprochen, wie zum                  es darum, die Fä-
Beispiel die Funktionsweise des Teams, seine Werte,             higkeit zu stär-
seine Bewältigungsstrategien für interne Konflikte, die         ken, das eigene
                                                                                     Les démarches des superviseurs
Kommunikation, das Verhältnis zur Leitung; die Orga-            berufliche Han- et des ­i ntervenants en institution
nisation des Teams und seine Arbeitsweise oder den              deln und die im
                                                                                     se réfèrent e­ xplicitement ou
Auftrag und die Aufgaben, die Beziehung zu den Klien-           Alltag erlebten
ten, zu den Familien, zum innerberuflichen Netzwerk             Interaktionen non à ­d iverses théories développées
oder die Entwicklung von Projekten.                             aus der Metaper- dans les sciences ­h umaines
     Die Organisationsberatung ermöglicht es, in                spektive zu be-
­Organisationen vorhandene Widersprüche zu analy-               trachten. Super-
                                                                                     et sociales.
 sieren und dynamische partizipative Regulations- und           visoren wie Or-
 Manage­mentinstrumente zu entwickeln, die Verände-             ganisationsberaterinnen müssen interaktive und
 rungen begleiten. Der Berater richtet seinen Blick auf         ­dynamische Instrumente entwickeln, die den Teilneh-
 die Institution als Ganzes und analysiert die Abläufe           menden ermöglichen, die institutionelle Realität abzu-
 in der Institution, er unterstützt und leitet die Refle­xion    bilden und damit ein Verständnis für Schwierigkeiten
 über deren Funktionsweise. Die Beraterin nimmt dabei            zu entwickeln.
 die Rolle einer aussenstehenden Person ein, «die mit
 dem Klientensystem in einem egalitären Verhältnis              Supervision und Berufspraxis
 zusammenarbeitet und damit die Gefahrenerkennung               Supervisieren an sich bedingt ein Zusammentreffen
 unterstützt» (Ferretti/Grau 2005). Sie kann dabei von          des Supervisors mit einer oder mehreren Fachpersonen.
 Verschiedenem ausgehen: Von der Analyse und dem                Es verlangt von der Supervisorin, dass sie sich für ihr
 Verständnis der institutionellen Herausforderungen             Gegenüber in dessen Gesamtheit interessiert. Es kann
 und der unterschiedlichen Akteure; der Evaluation von          keine Supervision geben, wenn eine hierarchische
 sozialpädagogischen Projekten, von Regeln und Abläu-           ­Beziehung zwischen dem Supervisor und dem Super-
 fen innerhalb der Institution, der Reflexion bezüglich          visand existiert. Die Supervision dient nicht der Be-
 Auftrag und Aufgaben; der Konzeptualisierung von                treuung oder der Kontrolle, sie soll die beruflichen
 institutionellen Projekten; oder von der Begleitung von         Kompetenzen unterstützen. Sie impliziert eine kom-
 institutionellen Veränderungen durch die Bereitstel-            plementäre Beziehung zwischen Supervisorin und Su-
 lung von methodologischen Instrumenten und Ma-                  pervisandin, eingebettet in ein gemeinsames Konstrukt.
 nagementhilfen.                                                 Dieses ist durch eine Asymmetrie der Positionen ge-
                                                                 kennzeichnet, die erst die Reflexion möglich macht.
Grundlagen für die Praxis                                            Es kann keine Supervision geben, wenn der Super-
Die Vorgehensweise der Supervisorinnen und Organi-               visand berufliche Situationen nicht hinterfragt – Vor-
sationsberater stützt sich auf verschiedene Theorien             kommnisse mit Nutzerinnen, Klienten, Kolleginnen
der Geistes- und Sozialwissenschaften. De Jonckheere             und Kollegen und Ereignisse innerhalb der Institution,
und Monnier (1999) unterstreichen in ihrem Buch zu               in der die Supervisandin arbeitet. Dabei geht es immer
Supervision, dass dabei die psychoanalytischen oder              darum, wie der Supervisand in den betreffenden Situa­
psychodynamischen, systemischen und institutiona-                tionen im Berufsalltag handelt. Die Supervision bezieht
listischen oder personenzentrierten Ansätze die wich-            sich immer auf das Anliegen, das von der Super­visandin
tigsten Referenzen bilden. Die Supervision wurde                 vorgebracht wird. Dies geschieht in einem mehr oder
­einerseits durch Supervisoren selber konzipiert, ande-          weniger formellen Rahmen und wird stufenweise ver-
 rerseits durch die in der Sozialarbeit entwickelten Mo-         tieft. Das führt zu einer Überprüfung der bestehenden
 delle. Die Organisationsberatung ist aus dem psycho­            Bindungen zwischen der beschriebenen beruflichen
 soziologischen Ansatz der Sozialpsychologie und der             Beziehung und der in der Supervision erlebten Bezie-
 klinischen Soziologie entstanden, auf die sich die For-         hung und fördert dadurch die Einnahme der Haltung
 schenden des Laboratoire du changement social de                eines reflektierenden Praktikers. Der Supervisand kann
 l’Université de Paris VII beziehen. Diese Theorien sind         überdies die Hintergründe seiner beruflichen Bezie-
 indes nicht die einzigen Bestandteile der Beratungs­            hungen ausleuchten und deren Relevanz für seine
 modelle, Werte und Ideologien sowie Lebenserfahrung             Funktion als Fachperson im sozialen und psycholo­
 beeinflussen die Praxis der Beratenden.                         gischen Bereich stärken.
12   T H E M A

                                              Parler de la souffrance et du stress vécu au travail,
                                              ­identifier et analyser les c­ ontraintes ­i nstitutionnelles,
                                               ­culturelles, ­s ociales, économiques et politiques,
                                                sortir d’un isolement paralysant méritent que l’on
                                                puisse s’y arrêter pour éviter de p­ orter seul les
                                              contra­d ictions sociales.

     Jedes Individuum ist das Produkt einer Geschichte, in                          lisierung in unserer Gesellschaft zusammenhängen,
     der es versucht, ein möglichst bewusstes Subjekt zu                            jedoch nie von einem Individuum alleine bewältigt
     werden. Die Wahl eines Berufes, einer Spezialisierung                          werden können, ist die Zusammenarbeit und die Soli-
     oder der Entscheid zur Umschulung ist ein entschei-                            darität in der Praxis unerlässlich. Angesichts der Ero-
     dender Moment im Leben. Sowohl im Rahmen der                                   sion der traditionellen Formen des Widerstands und
     Grundausbildung wie in der Weiterbildung ist die                               des Umgangs mit kollektiven Konflikten sind Super­
     ­Supervision ein geeignetes Mittel, diesen Übergang zu                         vision und Organisationsberatung geeignete Instru-
      begleiten. Die Analyse von Veränderungen ermöglicht                           mente, um die Fähigkeit zur Teamarbeit und kohären-
      schrittweise eine persönliche und zweckmässige Posi-                          tere Vorstellungen einer ungleichen Realität zu entwi-
      tionierung in einem gegebenen institutionellen Rah-                           ckeln. Die kollektive Arbeit ist für die Effizienz der
      men. Zudem können damit neue berufliche Funktionen                            sozialen Institutionen und zum Wohle der Klienten
      verstanden und ausprobiert sowie ethische Fragestel-                          heute mehr denn je unerlässlich. Begeben sich Super-
      lungen angegangen werden.                                                     visorinnen und Berater in die Welt der Fachpersonen
                                                                                    und Insti­tutionen hinein, müssen sie diese Komplexität
     Organisationen im Wandel                                                       erfassen können. Jede Krise bringt Veränderungen;
     Damit eine Organisation sich verändern kann, müssen                            wenn aber in Teams Aggressivität, Gewalt, Schuld­
     die Betroffenen akzeptieren, dass sie sich in einem sich                       gefühle und Passivität oder sogar «Triebhaftigkeit»
     wandelnden Umfeld befinden. Die Funktion der Bera-                             (Enriquez 1992) auftreten, besteht die Gefahr, dass ­diese
     tenden ist es, die «Realität aufzudecken», im Sinne                            Belastung verharmlost und damit jegliche Verände-
     einer «Entblössung der bewussten und unbewussten                               rungsmöglichkeit umgangen wird.
     Triebkräfte des menschlichen und organisatorischen
     Verhaltens» (Enriquez 2001). Bei der Beratung geht es                          Der Artikel wurde 2006 erstmals publiziert, im Juni 2012
     im Kern darum, die Interessen aller Beteiligten, deren                         überarbeitet, übersetzt und redaktionell gekürzt.
     Arbeitsmotivation, deren Glauben an den Sinn ihrer
     Arbeit, deren Fähigkeit, mit Widersprüchen umzuge-
     hen, die vielen Konflikten und Verzögerungen zugrun-
     de liegen, zu verstehen. Die Beteiligten sollen durch die
     Analyse unterscheiden können, was durch die eigene
     Geschichte, durch ihre Problematik und was durch die
     Interaktion mit einem ganzen System verursacht wird.
         Die genannten Formen der Supervision und Bera-
     tung setzen alle einen Dialog rund um die aktuellen
     Sorgen und Anliegen der Sozialarbeit voraus. In einem                             Françoise Tschopp
     Umfeld, das zunehmend durch die unterschiedlichsten                               mit Isabelle Kolly-Ottiger, Sylvie Monnier,
                                                                                       Sylvie Avet L’Oiseau
     Risiken gekennzeichnet ist (Arbeitslosigkeit, Probleme                            Haute Ecole de Travail Social de Genève.
     am Arbeitsplatz, Verarmung etc.), die mit der Individua­                          francoise.tschopp@hesge.ch

      Literatur De Gaulejac V. (2005): La société malade de la gestion. Paris: Seuil. /// de Jonckheere C. / Monnier S. (1997): La supervision en
      travail social: un espace d’élaboration de la pratique. Revue Psychoscope 8. /// Ferretti P. / Grau C. (2005): L’intervention institutionnelle. ­Genève:
      Editions IES, S.41. /// de Jonckheere C. / Monnier S. (1999): Miroir sans tain pour une pratique sans phare: la supervision en travail social. Genève:
      Editions IES. /// Enriquez E. (2001): L’éthique de l’intervenant. In Vranken C. / Kurz O.: La sociologie de l’intervention, enjeux et perspectives.
      Bruxelles: de Boeck. /// Enriquez E. (1992): L’organisation en analyse. Paris: PUF, S. 135.
T H E M A              13

Bedarf nach
Regulierung
Angebot und Nachfrage von Coaching nehmen zu

                           Der Coaching-Markt in der Westschweiz floriert.
                           Dies zeigt eine Umfrage. Wer genau hinschaut, sieht jedoch:
                           Es besteht Nachholbedarf bei Qualitätskontrolle
                           und ­Zertifizierung. Bestehende Coaching-Vereinigungen
                           wie SR Coach und ICF Schweiz ergreifen erste Massnahmen.

Ernst Bechinie                                             schweiz, stellt aber explizit keinen Anspruch auf Wis-
Willem Jan Hofmans                                         senschaftlichkeit. Für die Erhebung wurden 468 Per-
                                                           sonen angegangen. Die Adressen sind von unterschied-
Die Westschweiz ist ein wachsender Wirtschaftsraum         licher Glaubwürdigkeit: Die Kontakte stammen aus dem
mit etwa 2 Millionen Menschen in 7 Kantonen. Eine          Telefonbuch von Leuten, die sich dort selbst als Coach
gesunde mittelständische Industrie, Dienstleistung,        oder als Anbieter von Coaching bezeichnen, von Insti-
multinationale Unternehmen und internationale Or-          tuten, die Lehrgänge in Coaching anbieten oder von
ganisationen charakterisieren diesen Wirtschaftsraum;      Leuten, die sich über die Website von SR Coach spontan
potentielle Klienten von Coaching in der Romandie sind     gemeldet haben. 143 vollständig ausgefüllte Fragebogen
Schweizer Führungskräfte und Fachkräfte in Unterneh-       gingen ein, die Antworten zeichnen folgendes Bild:
men, vor Ort arbeitende Ausländer mit internationaler      – Coaching ist in der Romandie generell eine Teilzeit-
Ausrichtung oder selbständig Tätige. Dies führt zu einer      Tätigkeit. Lediglich 15% der Antwortenden waren
unterschiedlich gearteter Nachfrage nach dieser Dienst-       mehr als 75% ihrer Zeit als Coach tätig; bei 70% lag
leistung. Entsprechend vielfältig präsentiert sich die        die Coaching-Aktivität bei unter 50% ihrer Zeit und
Coaching-Landschaft in der Romandie. Eine nicht-re-           für ein Drittel waren es weniger als 25%.
präsentative Markt-Umfrage, die 2011 von der Société       – Schwerpunkte im Coaching sind Life-Coaching bei
Romande de Coaching (SR Coach), einer Vereinigung             60% beziehungsweise Executive-Coaching bei 55%
Westschweizer Coachs, in Auftrag gegeben wurde, ver-          der Antwortenden sowie Business- und Team-Coa-
mittelt einen ersten Eindruck dieser Landschaft. Die          ching.
Umfrage bezieht sich ausschliesslich auf die West-         – Die Coachs sind zu 60% als Trainer und 40% als
                                                              Berater oder in geringerem Ausmass als Mentoren
                                                              oder Therapeuten tätig.
                                                           – 83% der Coachs sind älter als 40 Jahre; fast 60% sind
En Suisse Romande, les coachs                                 Frauen.
sont sollicités par les ­p articuliers                     – 70% der Antwortenden sind Selbständige, der Rest
                                                              arbeitet in einer Teil- oder Vollzeitanstellung.
et les organisations à propos dʼun                         – 85% haben eine Form von Ausbildung in Coaching
­l arge éventail de demandes.                                 und 80% nutzen Supervision.
14   T H E M A

     Die Auswertung der Umfrage lässt den Schluss zu, dass   forderungen für eine ICF-Zertifizierung entspricht. Für
     in der Westschweiz Coachs von Organisationen und eine Mitgliedschaft ohne Zertifizierung waren bisher
     Einzelpersonen für eine breite Palette von Anliegen in lediglich die Zustimmung zum ICF-Moralkodex und die
     Anspruch genommen werden. Dies mit zunehmender Begleichung der Mitgliedergebühr unabhängig von
     Tendenz.                                                jeglicher Coaching Kompetenz und Qualifikationen
          Beachtenswert für die Westschweiz ist, dass diese erforderlich. Aktuell sind ein Viertel der ICF-Mitglieder
     im internationalen Vergleich eine überdurchschnitt­ in der Romandie zertifizierte Coachs, haben also ein
     liche Dichte an Coachs aufweist. Bei einer vorsichtigen Mindestpensum von 60 Stunden Ausbildung, 100 Stun-
     Schätzung von 350 bis 400 Coachs in der Romandie        den Coaching mit Kunden und eine Prüfung absolviert.
     ergibt das 175 bis 200 Coachs auf 1 Mil­lion
     Einwohner. Die entsprechende Ver-
     gleichszahl für Westeuropa aus einer La régulation de la profession
     ­aktuell von der Beratungsgesellschaft       de coach sʼorganise par des processus
      PwC (PricewaterhouseCoopers) im Auf-
      trag der International Coach Federation
                                                  dʼaccréditation qui représentent
      (ICF) weltweit durchgeführten Studie la voie de lʼavenir.
      liegt bei 45 Coachs pro 1 Million Einwoh-
      ner. Von den 265 Mitgliedern beim ICF
      Schweiz sind knapp 50 Prozent in der Romandie behei-   Qualitätssicherung und Professionalisierung in Form
      matet. Ausserdem ist bekannt, dass die in der Roman- von Coach-Ausbildungen und Zertifizierungen werden
      die ansässigen internationalen Organisationen und      zunehmend auch für Unternehmen wichtig sein.
      multinationalen Unternehmen ausländische Coachs
      beschäftigen.

     Qualtiätssicherung und Professionalisierung
     Die quantitativen Angaben sind jedoch mit Vorsicht zu
     geniessen, sie sagen wenig aus über den Hintergrund
     der Coachs. Aus der Studie von PwC, bezogen auf die
     gesamte Schweiz, geht die Regulierung der Coach­
     profession in Form von Zertifizierungen als wichtiges
     Zukunftsthema hervor. Und in der Praxis ist ein Trend
     zu zunehmender Professionalisierung und damit zu
     Qualitätsanforderungen erkennbar. So überlegt die          Ernst Bechinie,
     Vereinigung SR Coach, eine Zertifizierung für ihre Mit-    Vorstandsmitglied ICF Schweiz.
     glieder einzuführen. ICF fordert neu seit diesem Jahr      ernst.bechinie@coachfederation.ch
                                                                mit
     von allen bestehenden sowie neu hinzukommenden
                                                                Willem Jan Hofmans,
     Mitgliedern eine Ausbildung in Coaching von mindes-        Präsident-elect ICF Schweiz.
     tens 60 Stunden, was einer der bisherigen Mindestan-       willem.jan.hofmans@coachfederation.ch
Z
                                                                                              T H E M A              15

Zwischen Röstigraben
und Grande Nation
Von den Freuden und Leiden der Arbeit als Grenzgängerin

                           In verschiedenen Ländern und Kulturen zu arbeiten,
                           kann eine Bereicherung sein. Madeleine Bähler ist als Coach
                           und Organisationsberaterin zwischen deutscher und
                           ­französischer Schweiz, Deutschland und Frankreich unterwegs.
                            Sie kennt die Unterschiede, weiss, wo die Herausforderungen
                            ­liegen und lässt sich von tiefen Löhnen im Euro-Land
                             nicht abschrecken.

Madeleine Bähler                                          auch Mediationsverbände und andere Interessenge-
                                                          meinschaften leisten wichtige Aufklärungsarbeit und
Kein Zweifel: Meine Beratungs- und Seminartätigkeit       tragen zu einem differenzierten Verständnis bei, auch
in der Deutschschweiz und der Romandie sowie in           auf Kundenseite. Am ehesten erlebe ich, dass die Be-
Frankreich und Deutschland ist ein Privileg. Ich bin in   griffe Supervision und Moderation in der Deutsch-
der Romandie aufgewachsen, lebe seit vielen Jahren in     schweiz unspezifisch genutzt werden.
der Deutschschweiz, genauer gesagt im Dreiländereck,           In der französischen Schweiz wird ganz selten nach
im Grossraum Basel. In meiner Arbeit in den verschie-     Organisationsentwicklung gefragt. Der Supervisions-
denen Ländern und Kulturkreisen gibt es Ähnlichkei-       begriff steht in der Romandie im Vordergrund, ebenso
ten, Unterschiede und Besonderheiten, die mir auf­        wie Coaching und Mediation. Dies hängt möglicher-
fallen. Zum Beispiel hinsichtlich Begrifflichkeiten,      weise damit zusammen, dass sich der Schwesterver-
Arbeitsweise, dem Umgang mit Geld oder Vorurteilen,       band des bso in der Romandie Association Romande
die sich bestätigen. Meine Gedanken dazu sind sehr        des Superviseurs (ARS) nennt und somit den Begriff
su­bjektiv und hängen mit meiner Person, meinem be-       Supervision in den Vordergrund rückt. Unter Super­
ruflichen Werdegang und den dazugehörenden Kom-           vision verstehen die Romands aber durchaus auch
petenzen sowie meinem Kundenkreis zusammen. Je-           ­Organisationsentwicklung, ebenso wie teilweise unter
mand anders mag dies anders empfinden und wahr-            dem Begriff Coaching. Letzterer Begriff wird häufig für
nehmen. Im Folgenden beschränke ich mich auf Re­           die Teamentwicklung genutzt. Mediation wird sehr breit
flexionen zur Beratung in der Deutschschweiz, der          verstanden und umfasst alles, was im Bereich der Kon-
Romandie und Frankreich.                                   fliktbearbeitung angesiedelt ist.
                                                               In Frankreich stehen die Fallsupervision (analyse
Beratungsformate und Begrifflichkeiten                     des pratiques), Organisationsberatung (consulting),
In der Deutschschweiz fragen Kundinnen und Kunden          Coaching, Seminare und Mediation im Vordergrund.
häufig recht präzis nach bestimmten Beratungsforma-        Soviel ich weiss gibt es in Frankreich keine Super­vi­
ten: Supervision, Organisationsentwicklung, Team­          sionsausbildung. Supervisoren sind meist Psychologen,
entwicklung, Coaching, Konfliktberatung, Mediation         die Fallsupervisionen oder Teamberatung und Team-
und so weiter. Darin, so mein Eindruck, äussert sich       begleitung anbieten. Wer nach Coaching fragt, kann
der Einfluss von Berufsverbänden wie dem bso. Aber         von der Lebensberatung bis zur Teamentwicklung alles
16        T H E M A

                                                       Sous les termes de supervision – et
                                                       partiellement de coaching – les Romands
                                                       entendent également développement
                                                      ­organisationnel.

          erwarten. Organisationsberatung wird vorwiegend             heit, auf sie zu verweisen beziehungsweise schnell zu
          ­unter dem Aspekt der Fachberatung verstanden. Der          erkennen, was für Vorstellungen die potenziellen Kun-
           Organisationsentwicklungsauftrag äussert sich meist        dinnen und Kunden haben und ihnen gegebenenfalls
           in der Anfrage für ein Seminar. Weshalb dies so ist,       rasch jemand anderes zu empfehlen. Ich stelle mir ein
           werde ich im nächsten Abschnitt beschreiben. Der           Merkblatt in Deutsch und Französisch vor, das von den
           Media­tionsbegriff wird in Frankreich ähnlich wie in der   verschiedenen ­berufsspezifischen Verbänden verant-
           Romandie sehr breit genutzt.                               wortet würde. Die diversen Beratungsformate wären
               Diese Unterschiede in den Begrifflichkeiten verlan-    dort aufgelistet und so erläutert, dass sie potenziellen
           gen von mir, sorgfältig nachzufragen und zu klären,        Kunden die Suche nach der geeigneten Unterstützung
           was Kundinnen und Kunden mit der Anfrage für ein           beispielsweise mit Hinweisen zu unterschiedlichen
           bestimmtes Beratungsformat genau erwarten und ihre         Beratungsportalen erleichtern.
           Bedürfnisse mit ihnen beim Contracting-Gespräch
           ­herauszuschälen. Nicht die Begriffe, sondern die Er-      Arbeitsweise und Methoden
                                                                      Als Beraterin mit systemischem Ansatz und leiden-
                                                                      schaftliche Moderatorin bin ich in der Deutschschweiz
En France je dois donner beaucoup                                     eine von vielen. Dadurch profitiere ich von einer Fülle
                                                                      von Anregungen und Materialien für interaktive Ar-
d’explications et parfois convaincre pour                             beitsprozesse mit Kunden. Ich bin jedoch auch damit
que les événements aient lieu dans des                                konfrontiert, dass manche Teams eine gewisse Müdig-
                                                                      keit gegenüber bestimmten Methoden äussern. So be-
locaux adaptés et que le matériel ­d’­a ni­m ation
                                                                      komme ich, wenn ich jeweils am Anfang die Frage stel-
nécessaire soit disponible, ­comme par                                le, was ich als Beraterin vermeiden sollte, beispiels­weise
­exemple plusieurs tableaux de conférence                             den Hinweis: «Also Zukunftskonferenzen und Punkte
                                                                      kleben, das haben wir jetzt satt!».
 avec un grand nombre de feuilles ou                                       In der Romandie hingegen werden interaktive
 d’autres fournitures.                                                ­Moderationsmethoden und -abläufe mit Interesse auf-
                                                                       genommen. Allerdings scheint es schwieriger zu sein,
                                                                       diese Ansätze in Weiterbildungen zu vermitteln. Als
          wartungen, Bedürfnisse und Ziele entscheiden darüber,        ich vor einigen Jahren gebeten wurde, für ein Fort­
          ob ich einen Auftrag annehme. Wenn ich gemeinsam             bildungsprogramm für Lehrkräfte einen Moderations-
          mit den Kunden zur Überzeugung komme, dass meine             kurs anzubieten, konnte dieser mangels genügenden
          Kompetenzen und mein Arbeitsstil passend und ziel-           Anmeldungen nicht durchgeführt werden.
          dienlich sind, ist es mir letztlich egal, ob der Auftrag         In Frankreich ist sowohl der systemische Ansatz als
          beispielsweise unter dem Begriff Supervision, Team­          auch eine stark prozessorientierte und interaktive Ar-
          entwicklung oder Teamcoaching läuft. Trotzdem ­würde         beitsweise ein Nischenprodukt. Ausbildungen im so-
          ich es schätzen, wenn sich mindestens in der Schweiz         zialen und pädagogischen Bereich sind immer noch
          die verschiedenen Berufsverbände für einheitlich ge-         psychoanalytisch geprägt. Wenn Personen die syste­
          füllte Begriffe entscheiden. Sie bieten den Kunden           mische Denkweise in Weiterbildungen kennen lernen,
          ­Orientierung und geben mir als Beraterin die Gelegen-       führt dies unter Umständen dazu, dass sie nachfolgend
T H E M A              17

ganz gezielt nach einer Beraterin mit diesem Ansatz        design anzupassen und zu verfeinern. Dann kommt die
suchen. Ich staune, welch langen Anfahrtsweg manche        nächste Hürde: die Rahmenbedingungen für die prak-
Coachs auf sich nehmen, um genau diesen Fokus zu           tische Durchführung. Es braucht reichlich Erklärungen
erfahren. Die langen Distanzen haben mich auf die Idee     und gelegentlich auch Überzeugungsarbeit, damit die
gebracht, Skype-Coaching anzubieten. Dieses Angebot        Anlässe in geeigneten Räumen stattfinden und genü-
wird regelmässig genutzt.                                  gend Moderationsmaterial zur Verfügung steht, zum
      Aufwändiger für mich gestaltet sich der Umgang       Beispiel mehrere Flipcharts, grössere Mengen an
mit Moderationsabläufen und -methoden für die Team-        ­Flipchart-Papier und Ähnliches. Wenn es dann soweit
oder Organisationsentwicklung. Wie im ersten Ab-            ist, macht die Arbeit sehr viel Spass. Weil der Vorlauf
schnitt erwähnt, formulieren die Kundinnen und              bereits zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik
­Kunden Bedarf in diesem Bereich häufig als Anfragen        geführt hat, sind die Teilnehmenden interessiert und
 für ein Seminar beziehungsweise eine Weiterbildung.        engagiert mit dabei. Für mich als Prozessmoderatorin
 ­Darunter verstehen sie vorwiegend eine zielgerichtete     sind solche Aufträge besonders befriedigend, weil die
  Wissensvermittlung. Wenn ich den Eindruck gewinne,
  sie wünschen eine nachhaltige Veränderung und Ent-
  wicklung, erkläre ich meine partizipative und prozess­      Différentes compréhensions
  orientierte Arbeitsweise und Vorgehensoptionen. Nicht
  selten finden die potenziellen Auftraggebenden dies
                                                              des concepts exigent que
  interessant, bitten mich jedoch, das «Projekt» einem        je questionne et clarifie soigneuse-
  bestimmten Personenkreis wie dem Vorstand oder dem          ment les attentes des clientes
  Leitungsteam zu erläutern. Meist erlebe ich Offenheit
  und grosses Interesse an meinem Vorgehensvorschlag.         et des clients lorsqu’ils me sollicitent
  Kritische Rückfragen helfen mir, das Interventions­         pour un type précis de conseil.
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     Teilnehmenden neue Wege entdecken, ihre Ressourcen          Angenehme Vorurteile, die sich bestätigen
     zu nutzen und gemeinsam Inhalte zu entwickeln. Im-          Während in der Deutschschweiz und der Romandie
     mer wieder bekomme ich die Rückmeldung, wie beein-          Vereinbarungen und Verträge meist möglichst knapp
     druckt Personen sind, mit wie wenig inhaltlicher Ein-       gehalten werden, müssen diese in Frankreich unter
     mischung meinerseits so viele brauchbare Resultate          Umständen recht ausführlich formuliert und dokumen-
     erarbeitet werden.                                          tiert sein. Da es jedoch in Frankreich keinen Verband
                                                                 für Supervision und Organisationsberatung gibt, gibt
     Das liebe Geld                                              es keine Vorlagen, die man rasch auf eigene Bedürf­nisse
     Das Thema Geld gehört für mich zu den anstrengenden         anpassen kann. Vor allem am Anfang ist ein Auftrag in
     Aspekten meiner selbständigen Beratungstätigkeit. Das       Frankreich recht aufwändig, auch administrativ.
     hängt unter anderem damit zusammen, dass ich zwar                 Danach kommen jedoch die angenehmen Seiten:
     eine leidenschaftliche Beraterin, aber keine leiden-        Wenn ich mit dem Zug unterwegs bin und dieser
     schaftliche Verkäuferin bin. In der Deutschschweiz          ­Verspätung hat, kann ich ganz entspannt bleiben. Ich
     habe ich dank der Unterstützung durch den bso und            ­habe die Handy-Nummer des Direktors oder der Direk-
     über das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen in der         torin, kann anrufen und werde halt später abgeholt.
     Intervisionsgruppe eine gute Orientierungshilfe für die       Trotz Verspätung werden mir bei der Ankunft zuerst
     Festlegung von Honoraren. In der Romandie stehen              Kaffee und Croissant angeboten. Überhaupt wird den
     zwar Richttarife auf der Website der ARS. Sie sind je-        Pausen und der Verpflegung Rechnung getragen. Wäh-
     doch tief. Anscheinend wird davon ausgegangen, Su-            rend ich in der Deutschschweiz gelegentlich Getränke
     pervision geschehe eher im Nebenerwerb. Interessant           und Früchte für die Teilnehmenden mitbringe, können
     ist für mich die Erfahrung, dass ich, wenn ich die tiefen     in Frankreich die Parteien bei einem Konflikt noch so
     Ansätze bei der Auftragsklärung thematisiere, gele-           zerstritten sein, sie schaffen es, sich zu organisieren,
     gentlich den Hinweis erhalte, meine «Deutsch­                 damit Getränke und etwas zum Knabbern oder zu Essen
     schweizer-Tarife» seien durchaus auch in der Romandie         vorhanden sind. Und es braucht wenig Überzeugungs-
     akzeptabel, beziehungsweise sie würden auch von               arbeit, um bei einem Open-Space-Anlass eine Bar ein-
     ­Romands verlangt. Andere Institutionen orientieren           zurichten oder beim World Café den Begriff Café wört-
      sich hingegen strikt an den von der ARS empfohlenen          lich zu nehmen. Zwischen den Pausen wird aber enga-
      Tarifen. Solche Organisationen erteilen mir den Auftrag      giert gearbeitet. Sollte dann wegen der Verspätung bei
      zu meinen Konditionen meist nur, wenn es um eine             meiner Ankunft oder einer etwas längeren Pause ein
      Konflikt- oder eine Krisenintervention geht, mit andern      späterer Abschluss oder ein weiterer Termin notwendig
      Worten, wenn der Leidensdruck bei ihnen genügend             sein, wird dies keine gereizten Reaktionen hervorrufen.
      gross ist. Ich wünsche mir, dass bso und ARS auch dies-      Nicht nur aus diesen Gründen, aber auch ihretwegen,
      bezüglich das Gespräch miteinander suchen, um die            arbeite ich gerne in Frankreich.
      finanziellen Aspekte für Beratende, die in ihrer Arbeit
      den Röstigraben überschreiten, zu erleichtern.
           Beratungsmandate in Frankreich übernehme ich
      ganz sicher nicht aus finanziellen Überlegungen. Die
      Kaufkraft ist dort grundsätzlich tiefer und der aktuelle
      Euro-Wechselkurs ungünstig. Ich sage gelegentlich,
      dass ich etwas Unübliches und Unlogisches mache,
      indem ich in der Schweiz wohne und in Frankreich
      arbeite. Das Gegenteil wäre profitabler. Trotzdem ar-
      beite ich gerne in Frankreich. Weshalb? Das erläutere
                                                                   Madeleine Bähler,
      ich im nächsten und letzten Abschnitt meiner Einschät-       Organisationsberaterin und Coach bso.
      zungen und Überlegungen.                                     info@pro-action.ch
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