Bouquet JANUAR BIS APRIL 2019 - Sardinien Insel der Hundertjährigen
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53. AUSGABE > MAGAZIN 1/2019 Bouquet JANUAR BIS APRIL 2019 Sardinien Insel der Hundertjährigen Philosophie Tagträume Bremensien Die Eiswette 34. Bremer Samba-Karneval Bremer Stadtmusikanten Mit Sonderseiten „KaF – Kunst aus Findorff“
BOUQUET 1/2019 3 Editorial Liebe Leserinnen und liebe Leser, Jedes Mal, wenn wir in der Redaktion die erste Jah- Veröffentlichung des Märchens der Gebrüder Grimm resausgabe von BOUQUET angehen, überkommt im Jahr 1819 widmet sich vom 23. März bis 1. Sep- mich eine gewisse Wehmut und zugleich eine große tember 2019 die Kunsthalle Bremen in einer großen Vorfreude auf ein neues Jahr. Im Spätsommer begin- Sonderausstellung dem Bremer Wahrzeichen „Den nen wir mit unserer Arbeit am neuen Heft. Einerseits Bremer Stadtmusikanten“ mit Kunst, Kitsch und Ka- noch ganz erfüllt vom Sommer, bereiten wir uns doch rikatur. Die BOUQUET skizziert in ihrem neuem Teil schon auf den kommenden Herbst und den Winter „Bremensien“ die Besonderheiten der Freien Hanse- vor. Jede einzelne Blüte sehen wir nun mit besonde- stadt Bremen und stellt Ihnen die wohl bekanntes- rer Aufmerksamkeit an, jeden Apfel, der vom Baum ten Tiere der Stadt vor: Das Märchen erzählt von 4 in den Korb wandert, betrachten wir als einen beson- Tieren – dem Esel, dem Hund, der Katze und dem deren Schatz – denn bald werden all diese Farben, Hahn. Alle diese Tiere sind alt geworden und nützen die Düfte und die Wärme für eine ganze Reihe von ihren Besitzern nicht mehr. Bevor sie getötet werden, Monaten verschwunden sein. können sie entkommen. Zufällig treffen die Tiere auf- einander und folgen dem Vorschlag des Esels nach Die Jahreszeiten sind für mich eine der wunderbars- Bremen zu gehen. Dort wollen sie als Stadtmusikan- ten Erfindungen der Natur. Altvertraut und doch ten ihren Lebensunterhalt verdienen. immer wieder anders macht uns jeder Wechsel neu- gierig und zwar genau dann, wenn wir das Gefühl Die BOUQUET stellt Ihnen textlich und mit vielen haben, es sei nun genug Sommer, Herbst, Winter wunderschönen Bildern das Phänomen der Hun- oder Frühling gewesen. dertjährigen von Sardinien vor, dort kommen auf 100.000 Einwohner durchschnittlich 21 Menschen, Lassen Sie es mich mit den bekannten Worten von die über 100 Jahre alt sind. Belegbare Gründe, wa- Albert Camus umschreiben: „Mitten im Winter erfuhr rum die Menschen hier so alt werden, gibt es noch ich endlich, dass in mir ein unvergänglicher Sommer nicht. Jedoch vermuten Altersforscher, dass der rela- ist!“ tiv stressfreie, ländliche Lebensstil sowie genetische Komponenten eine Rolle spielen. Der Rest bleibt das Auch jetzt ist es wieder so weit, der Sinn steht uns Geheimnis der Sarden... nach Veränderung, heißen Sie das neue Jahr und seine Vielfältigkeit herzlich willkommen. Viel Freude mit BOUQUET! Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der ersten Herzlichst Ihre Sven Beyer - Geschäftsführer Angela Bauriedl - Redaktion BOUQUET
4 BOUQUET 1/2019 Inhalt 2 Sommerfest in der Residenz 3 Editorial 6 Sardinien: 6 Insel der Hundertjährigen Sardinien: Insel der Hundertjährigen 10 Philosophie: Tagträume 12 Essay: Wohin geht die Reise? 14 Bericht: Reisen ist Leben 10 16 Nachbarn der Residenz Philosophie: Tagträume Magda Pauli 18 Kolumne: „Hatschi“! - Gesundheit! 19 Sonderseiten: 19 bis 38 KaF Kunst aus Findorff Sonderseiten: KaF - Kunst aus Findorff
BOUQUET 1/2019 5 39 Gedicht: Der Stern 40 Bremensie: Die Bremer Eiswette 42 Bremensie: Bremer Samba-Karneval 40 44 Kolumne: Bremensie: Die Bremer Eiswette Die Bremer Stadtmusikanten 45 Gedicht: Neujahrsgedicht 46 Auf einen Espresso... 46 Mirco Wienberg 48 Sicherheitstipps für Seniorinnen Auf einen Espresso… Mirco Wienberg und Senioren 50 Küchen der Welt - Vietnam 52 Kulinarik: Leckeres aus der 50 ResidenzKüche 54 Vorschau – Kultur – Programm Küchen der Welt - Vietnam
6 BOUQUET 1/2019 Sardinien Insel der Hundertjährigen A n verschiedenen Orten der Erde, die als Warum die Männer auf Sardinien den Frauen in Blue Zones bezeichnet werden, gibt es sta- der Lebenserwartung nicht hinterherhinken ist tistische Häufungen extrem Hochaltriger, bislang unklar. dazu zählen: Sardinien, Ikaria in Griechenland, Loma Linda in Kalifornien, die Nicoya-Halbinsel Zu den Faktoren, die die verbreitete Langlebig- in Costa Rica und die japanische Insel Okinawa. keit unterstützen, gehört die proteinreiche Er- nährung mit Fisch, der Einsatz der vielfältigen Neben möglichen genetischen Eigenschaften Kräuter der Insel, der ausgiebige Aufenthalt an teilen die Bewohner dieser Orte grundsätzlich der frischen Meeresluft und nicht zuletzt der die folgenden Einflüsse und Gewohnheiten: Ein hausgemachte Rotwein. Manche Sarden sagen stressarmes Leben, einen starken Familienver- von sich, noch nie im Leben Wasser getrunken band und vielfältige soziale Kontakte, körper- zu haben. liche Aktivität sowie ausgewogene und nicht übermäßige Ernährung. Das Gläschen Cannonau, wie der sehr dunkle, schwere Rotwein heißt, gehört zum Leben der In insgesamt 14 Bergdörfern im Osten Sardi- Sarden unbedingt dazu. So gut wie jeder Bau- niens leben mehr als 31 über Hundertjährige pro er auf Sardinien hat seinen eigenen Weinberg. 100.000 Einwohner, während der Durchschnitt Aber die Alten trinken maßvoll. Und wie wis- in ganz Sardinien immer noch bei 21 liegt. senschaftliche Studien bestätigen, ist gerade Rotwein dank der darin enthaltenen natürlichen In den Dörfern auf Sardinien ist das Verhältnis Pflanzenschutzstoffe sogar gut für die Gesund- von Frauen zu Männern zwei zu eins, und im ge- heit – vorausgesetzt, die Dosis stimmt. birgigen Innern der Insel steht es sogar eins zu eins zwischen Männern und Frauen.
BOUQUET 1/2019 7 Zu den weiteren Vermutungen gehört, dass der relativ stressfreie, ländliche Lebensstil ebenso dafür verantwortlich sein könnte oder sogar ein gewisses Maß an Inzucht, das sich in einer seit Jahrhunderten abgeschlossen lebenden Inselbe- völkerung gar nicht vermeiden lässt. Auch ein besonders risikoloses Leben scheinen die Sarden nicht zu führen. Viele der heute Überhundert- jährigen waren jahrzehntelang starke Raucher, und als Jugendliche waren sie genauso risiko- freudig wie alle jungen Menschen auf der Welt. Einige Wissenschaftler vermuten das Geheim- nis der Sarden in den Genen. Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte, dass das für die Männlichkeit verantwortliche Y-Chromosom leicht veränderte Erbanlagen enthält. Doch auch die so genann- ten Mitochondrien, die „Kraftwerke“ der Zelle, könnten besonders gut vor den schädlichen Ab- bauprodukten des Stoffwechsels geschützt sein, die den Alterungsprozess beschleunigen. Hand- feste Beweise für diese Vermutungen existieren jedoch noch nicht. Daran wird ebenso gearbei- tet, wie an dem Verdacht, dass die Menschen auf Sardinien ein außerordentlich stabiles Immun- system besitzen könnten. Normalerweise wird Rita, 104 Jahre (Gavoi) das Immunsystem im Alter schwächer. Doch bei den Sarden beginnt eben diese Immunkompo- nente im Alter zwischen 60 und 70 noch einmal besonders stark zu werden. Aber vielleicht färbt die Langlebigkeit ja auch nur ab. In zwei Punkten sind sich die Wissenschaftler si- cher: Bewegung und Ernährung der Inselbewoh- ner tragen zu großen Teilen bei zu ihrem langen Leben. Auf dem Weg zu ihren Feldern legen sie täglich mehrere hundert Höhenmeter zurück. Dass sich Treppensteigen positiv auf die Lebens- Peppino, 103 Jahre (Cabras) erwartung auswirkt, ist allerdings kein Geheim- nis. Essensgewohnheiten der Sarden Die Speisekarte birgt schon eher eine Über- raschung: Von traditioneller mediterraner, fleischarmer Diät mit viel Fisch wollen die Sar- der nichts wissen. Fisch? „Niemals“, lautet meist die energische Antwort der alten Menschen auf diese Frage. Wo auch immer man sie stellt: Hier Giovanna Maria, 102 Jahre (Cuglieri) in den Bergen hat man „eine Abneigung gegen
8 BOUQUET 1/2019 das Meer“. Eine typische Mahlzeit beginnt mit getrockneten Würsten oder Schinken und den „Thipula“. Das sind Krapfen aus Kartoffelpüree, Mehl und Ei. Auf die Vorspeisen folgen oft die „Culurgiones“, birnenförmige Ravioli, die mit Püree, Pecorino und frischer Minze gefüllt sind. Danach kommen die Fleischgerichte: Hammel oder Schwein oder beides, begleitet von einem gemischten Salat. Zum Nachtisch gibt es Obst oder Kuchen. In den Familien gehört es zur Tradition, quasi als Anna, 100 Jahre (Cagliari) Milchvorrat auf vier Beinen eine Ziege im Hof zu halten, und deren Milch gab (und gibt es heute noch) es zum Frühstück und darin eingebrockt ein wenig „Pane pistoccu“, wie das harte, haltba- re Sardenbrot der Berge heißt. Die Sarden fragen nicht nach Erlaubnis, wann (oder was) sie essen dürfen! Gesundheitsex- perten mögen noch so plausible Begründungen für diese oder jene Ernährungsregel geben – die Leute in den Bergen lachen über solche Theori- en. Sie essen, wenn sie Hunger haben, und sie essen, was gerade da ist – aber bei den Alten Angelo, 100 Jahre (Alghero) sind die Portionen sehr bescheiden. Ganz und gar mediterran allerdings sind der Genuss und die Geselligkeit, die die Mahlzeiten begleiten. Lebenseinstellung der Sarden Das Wichtigste: Die Familie ist den Sarden heilig. Egal, was kommt, man zieht an einem Strang. Im Zusammenspiel der Generationen bekommt die harte Arbeit, die das Selbstversorgerleben je- dem Einzelnen abverlangt, damit einen tieferen Vitorio, 103 Jahre (Perdsdefugo) Sinn. Und jeder weiß: Im Ernstfall bin ich nicht alleine – auch nicht im Alter. Im Gegenteil, die Alten sind der familiäre Mittelpunkt, um den das Leben kreist. Man hört hier keine Klagen. Die Menschen sind zufrieden. Sie finden immer ei- nen Grund zu lachen. Von Verbitterung im Alter ist hier nichts zu spüren. Villagrande Strisaili - ein Bergdorf Villagrande Strisaili ist eines der 14 Bergdör- fer im Osten der Insel Sardinien, in denen pro Guilio, 104 Jahre (Sperate)
BOUQUET 1/2019 9 100.000 Einwohner 31 über Hundertjährige le- ben. Deswegen ist das Dorf seit 1999 eine Art Echtzeitlabor. Biologen, Demografen, Genetiker und Endokrinologen versuchen, dem Rätsel der Langlebigkeit auf die Spur zu kommen. Die Lebens- und Gesundheitsberaterin Ulla Rahn-Huber ging dem Geheimnis der Langle- bigkeit der Sarden nach und schrieb in ihrem Buch „Das Geheimnis der Hundertjährigen von Sardinien“: „Ich habe den 95-jährigen Michelino Scudub aus Villagrande Strisaili gefragt, ob er 100 Jahre alt werden will, da wurde er fast är- Paolo, 103 Jahre (Borutta) gerlich: „Das ist schon viel zu nah, ich will viel länger leben!“ Scudub ist ein Energiebündel. Sobald er morgens seinen Kaffee getrunken hat, wandert er die steile Straße aufwärts, in der er wohnt, und steigt in seinen Fiat Panda. Mit dem verlässt er sein Dorf, um über die vielen Haarna- delkurven der sardischen Berge einen seiner Ge- müseäcker zu erklimmen. Wenn er nachmittags nach Hause zurückkehrt, macht er Mittagsschlaf und danach seinen Rundgang durchs Dorf, um die obligatorischen Schwätzchen zu halten. Soll- te Freitag sein, wird er noch eine Gymnastik-Ses- sion einlegen.“ Ignio, 103 Jahre (Villanova Strisali) Die Hundertjährigen im Portrait Im Sommer 2018 hatte ich die Ehre die Mittel- Besonders beeindruckt hat mich eine Fotoaus- meerinsel Sardinien zu besuchen. Ich war über- stellung von Hundertjährigen in Alghero. Die rascht von der Weltgewandtheit und Offenheit Stadt hat die lebensnahen Porträts von insge- der Einwohner. Aber auch vom Traditionsbe- samt 20 Einwohnern der Insel, die über 100 wusstsein und dem Festhalten an alten Riten Jahre alt sind, an markanten Stellen der Altstadt und Gebräuchen. Und vor allem von der Sorge als großflächige Fotografien zur Schau gestellt. um die Naturbelassenheit der Insel, die die Sar- In der Zeit von März bis Oktober 2017 hat die den über alles schätzen und auch zu hüten bereit Künstlerin Daniela Zedda diese Menschen in sind. ihrem authentischen Lebensraum abgelichtet und an den Fassaden der Stadt eine wunderbare Schau der späten Lebensfreude gestaltet. Leider reichte meine freie Zeit während des Urlaubs nicht aus, um alle Bilder zu finden und zu foto- grafieren. Allein für die Suche nach der ältesten fotografierten Einwohnerin brauchte ich eine geschlagene dreiviertel Stunde. Wohlsein – auf ein langes und sinnerfülltes Le- ben! Tatiana, 102 Jahre (Cagliari) > Angela Bauriedl
10 BOUQUET 1/2019 Tagträume T Inhalt und Dauer von Tagträumen agträume haben uns ständig begleitet, sie waren immer da, in unserer Kindheit (dort vor allem), in der Jugend, aber auch Tagträume kann es zu allen, den wichtigen wie in den späteren Jahren – bis heute. Wir können auch den trivialen Umständen unseres Lebens Tagträume willentlich herbeiführen, wenn wir geben. Dabei scheinen der Phantasie kaum unsere Gedanken bewusst schweifen lassen und Grenzen gesetzt zu sein; doch kann das Gehirn uns dabei in die innere Welt unserer Phantasie- seine Traumbilder stets nur aus dem Bestand bilder versetzen. Tagträume entstehen aber auch der von ihm abgespeicherten Daten des eigenen von sich aus, immer dann nämlich, wenn unser Erfahrungs- und Empfindungshorizonts schöp- Verstand gerade nicht auf die Bewältigung einer fen. Wir bauen uns Luftschlösser und neue vor uns liegenden Aufgabe konzentriert ist, wir Wirklichkeiten, denken uns auch die Erfüllung vielmehr in entspannter Stimmung sind und un- von Wunschvorstellungen aus, z.B. wie eine Be- sere Gedanken kein bestimmtes Ziel haben. gegnung mit jemandem, an dem uns viel liegt, ausgehen könnte. Wir gestalten gedanklich auch So ist es z.B. auch bei einer Arbeit, die uns nicht Vergangenes um, etwa indem wir uns ausmalen, viel Aufmerksamkeit abverlangt, oder bei einer wie wir eine erlebte Situation erfolgreich – wohl uns wenig fesselnden Veranstaltung. Denn un- anders als wie in Wirklichkeit geschehen – be- ser Gehirn ist nie müßig, und immer dann, wenn wältigt hätten. Übrigens haben die meisten Tag- wir es nicht zur Lösung eines bestimmten Vorha- träume einen angenehmen Inhalt. Hier bringt bens beanspruchen, wird es von sich aus aktiv sich anscheinend ein uns innewohnendes Har- und bringt die Phantasien der Tagträume her- moniebedürfnis zur Geltung. vor. Wir nehmen diese durchaus bewusst wahr, befinden uns aber doch in einer Art von Trance. Die Dauer von Tagträumen ist sehr verschie- Unsere Aufmerksamkeit entfernt sich dabei von den; sie können sehr lange andauern oder sich den Sinneseindrücken aus der Außenwelt, und auf wenige Sekunden beschränken. Interessant wir erleben eine leichte Form von Bewusstseins- ist, wie viel Zeit wir insgesamt mit Tagträumen erweiterung. verbringen. Forschungsbefunde sprechen dafür,
BOUQUET 1/2019 11 dass deutlich mehr als ein Drittel der gesamten Zeit unseres Wachseins von Tagträumen beglei- tet wird: Das wäre ja dann wirklich ein bemer- kenswert großer Teil unseres gesamten Lebens! Sind Tagträume sinnvoll? Tagträumen stand man früher eher ablehnend gegenüber. Sigmund Freud etwa sah in ihnen Hinweise auf eine mögliche Neurosenentwick- lung. Und ein Tagträumer wurde meist als je- mand verstanden, der als Phantast oder Tage- dieb für ein tätiges Leben wenig taugte. Diese Sicht hat sich heute aber durchaus gewandelt. Zwar wäre es nicht gut, wenn jemand übermä- ßig von düsteren und belastenden Phantasie- bildern betroffen wird; hier kann sich u.U. die Frage einer depressiven Verstimmung stellen. Und es ist auch nicht sinnvoll, wenn man sich zu sehr in seiner Phantasiewelt verliert und die Anbindung an das reale Leben dadurch leidet. Aber für alle die Tagträume, die sonst das Dasein der Menschen ständig begleiten, fällt das Urteil anders aus: Heute geht man davon aus, dass das Tagträu- men eine ungemein produktive und bedeutsa- So weiß man heute, dass sich die Lösung einer me Tätigkeit ist. Die Tagträume, die unseren Aufgabe mitunter eher durch ein ungezwun- Alltag in so weitem Ausmaß ausfüllen, sind für genes Vor-sich-hin-Sinnieren im Tagtraum als uns wichtig, um uns im Leben zurechtzufinden. durch ein angestrengtes und konzentriertes Wir brauchen sie ebenso wie die Träume unseres Nachdenken finden lässt. Die im Tagtraum sich Nachtschlafes. „Bewahr dir deine Träume“, rät ständig vollziehenden Neuverknüpfungen von uns auch Charles Baudelaire, meint aber auch: Gedankeninhalten im neuronalen Netz des Ge- „Viel schöner als der Weise träumt der Narr“. _ hirns fördern das Denken und einen voraus- schauenden Blick. Das Gehirn wird dabei orga- Eines ist jedenfalls klar: Die menschliche Evolu- nisiert und trainiert. Das Schweifenlassen der tion hat uns nicht ohne Sinn mit einem Gehirn Gedanken, mit dem verschiedenartige Szenarien ausgestattet, das immer wieder zum Träumen durchgespielt werden, begünstigt die Fähigkeit, neigt und Phantasien hervorbringt. unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen und neue Perspektiven und innovative Gedankenket- Geben wir uns also ohne Widerstreben unseren ten zu entwickeln. So vermag das Tagträumen Tagträumen hin. Das ist für uns ungleich besser, auch die eigene Kreativität zu beflügeln. Beken- als etwa einen großen Teil des Tages vor dem nende Anhänger von Tagträumen unter Künst- Fernsehgerät zu verbringen! lern (so Woody Allen, Joanne K. Rowling) und Wissenschaftlern (auch Albert Einstein) haben > Dr. Hartwin von Gerkan bekundet, sie verdankten ihre besten Ideen ih- ren Tagträumen. Nicht zuletzt können Tagträu- me uns Gewissheit darüber geben, was uns ge- fühlsmäßig wichtig ist und was wir erstreben. Dr. Hartwin von Gerkan lebt seit 2011 Und sie tragen dazu bei, negative Gefühle zu in der Residenz in der Contrescarpe. bewältigen.
12 BOUQUET 1/2019 Wohin geht die Reise? W as war das für ein herrlicher Som- weiteres. Es ist kein Problem, wenn es beim Ein- mer 2018!! Sogar hier in Bremen wo- steigen heißt: „Bitte steigen Sie links ein. Die chenlang nur Sonne! Sonne! Sonne! rechte Tür ist defekt.“ Beim Aussteigen ist das Bis 36° im Schatten. Und kein Tropfen Regen! natürlich auch zu beachten. Beeilung! Der Zug Es war nicht mehr auszuhalten! Um zu überle- hält nur kurz in Bremen! Als etwas belastend ben, ging ich täglich ins Schwimmbad, was ich empfand ich es bei einer Temperatur von nahe- normalerweise vermeide. Mich tröstete die Aus- zu 30° - drinnen wie draußen - allerdings, als sicht, im August für drei Wochen nach Sylt zu es hieß: „Leider funktioniert die Klimaanlage im fahren. Herrlich! Dort kann man sich von der Wagen Nr. 14 nicht. Bitte suchen Sie sich bei Be- Hitze in Bremen erholen, weil bei frischer See- darf einen Platz in einem anderen Wagen!“ Weil luft mit Sicherheit moderatere Temperaturen bei mir Bedarf bestand, ging ich auf die Suche. herrschen. Allerdings bekam ich Ende Juli die Dass der Speisewagen gesperrt war, weil sich Nachricht aus Sylt, es sei dort entsetzlich heiss, die geöffneten Fenster nicht schließen ließen, kein Lüftchen rege sich, das Meer sei spiegelglatt war zwar ärgerlich, aber nicht zu ändern. Man und voller Quallen! An Schwimmen sei nicht zu war schon dankbar, wenn einem ein nahezu denken! Na toll! Aber - na ja, manche Leute nei- bewusstloser Bahnangestellter eine Flasche lau- gen zu Übertreibungen; bestimmt ist es nur halb warmen Wassers oder Cola verkaufte. so schlimm. Überraschenderweise herrschte auf Sylt abso- Das größte Problem am Verreisen ist das Koffer- lut kein Sommerwetter wie in Bremen, sondern packen. Eigentlich ein Grund für mich, zu Hause eine äußerst frische Brise. Während der ganzen zu bleiben. Aber diesmal bei der Hitze war es drei Wochen waren es 18 bis 20°. Dabei Wind- natürlich relativ einfach: Leichte Hosen, dünne stärke 3 oder 4, sogar mal 6! Brrrr! Und die Son- Jacke, Shirts, Badesachen, Socken, Sandalen ne hatte sich ziemlich verausgabt, in den gan- und selbstverständlich jede Menge Sonnen- zen drei Wochen gab es nur 5 oder 6 Tage, an schutzmittel. Na gut, sicherheitshalber auch ein denen die Sonne zeitweise schien. Gut, dass ich warmer Pulli – natürlich nicht den ganz dicken -, meinen Anorak dabei hatte! Aber wie sah es im Halbschuhe und Anorak. Das war vermutlich Übrigen mit meiner Ausstattung aus? Im Koffer alles überflüssig, aber man weiß ja nie! befand sich hauptsächlich Hochsommerliches. Also war ich gezwungen, umgehend bei „Steffi“ Die Reise selbst könnte nicht einfacher sein: in der Friedrichstraße zwei flotte Pullis zu kau- Direkte Zugverbindung Bremen – Westerland in fen. Und mich erfasste heftige Sehnsucht nach knapp 4 1/2 Stunden, mit Sitzplatzreservierung meiner dicken, flauschigen Strickjacke, die mich Wagen Nr. 14. Selbstverständlich verkraftet der/ stets zuverlässig vor Frösteln bewahrte und auch die einigermaßen gesunde und intelligente Rei- hier bewahrt hätte, wenn sie nicht zu Hause im sende die Mängel bei der Deutschen Bahn ohne Kleiderschrank hängen würde.
13 Fast jeden Morgen, wenn ich im Hotelzimmer Wenn ich die Menschenmassen auf Sylt sehe, die Gardine aufzog, der gleiche deprimierende wundert es mich nicht im Geringsten, dass sei- Anblick: Düstere Wolken über einem aufgewühl- tens der Raumfahrtexperten für die Zukunft die ten grauen Meer. Und das Mitte August nach Möglichkeit anvisiert wird, dass die Menschen einem zuvor superheißen Sommer! Ob Sie es regelmäßig zum Mond reisen und sich dort auch glauben oder nicht, es gab 2 bis 3 Menschen, die ansiedeln könnten. Für die Hinfahrt braucht sich regelmäßig frühmorgens ins Meer stürzten. man nicht mal seinen Jahresurlaub zu opfern, sie dauert nur drei Tage. Des Weiteren hat man Wenn sich die Sonne mal sehen ließ, saß ich den Mars im Visier. Hier sieht es schon anders natürlich im Strandkorb. Hier ergab sich ein un- aus, man ist für die Hinreise immerhin ein hal- glaublicher Zufall: Meine Strandkorbnachbarin, bes Jahr unterwegs. Aber auch wenn eines Tages Frau Sch. aus F., früher Journalistin, war we- Tomaten und Salat auf dem Mond wachsen soll- gen ihres Asthmas nach Sylt übergesiedelt. Das ten, wird er nie konkurrieren können mit unse- Asthma war verschwunden. Aber lebenslang das rer wunderschönen, lebendigen, bunten, chaoti- ganze Jahr über auf Sylt? „Der Winter ist schreck- schen, wenn auch ständig von Katastrophen und lich!“ vertraute sie mir an. Und weiter: „Durch Kriegen heimgesuchten Erde. meinen Beruf bin ich viel herumgekommen, aber eigentlich stamme ich aus Bremen!“ „Ich auch,“ Wieder zurück in Bremen - Sonnenschein, Wär- sagte ich. „Wo haben Sie in Bremen gewohnt?“ me, kein rauer Wind! Es ist wunderbar, wieder Frau Sch.: „Am Wandrahm, gegenüber der Feu- zu Hause zu sein. Übrigens werde ich mich ganz erwehr!“ Und weiter: „Unter anderem war ich sicher nicht auf die Reise zum Mond begeben! bei Radio Bremen. Aber zu allererst war ich bei Dort ist mir das Wetter zu unsicher. der Firma X an der Bürgermeister-Smidt-Straße beschäftigt.“ Ich: „Dann kennen Sie gewiss auch > Erika Rauser unseren früheren Nachbarn, Herrn Y, der dort in der Geschäftsführung tätig war?“ Frau Sch.: „Natürlich!“ Langweilig war es also keineswegs; nur herrschte nicht das richtige Wetter. Mein Vorrat an Sonnenschutzmitteln wird vermutlich bis an mein Lebensende reichen, weil er weitge- hend geschont wurde. Wohin eventuell die nächste Reise gehen soll, das muss ich mir sehr gut überlegen. Wobei mir – fortgeschrittenes Alter, alleinstehend – natür- lich Grenzen gesetzt sind. Hinsichtlich ihrer Reiseziele haben die Men- schen bekanntlich breit gefächerte Ambitionen. Der eine fährt seit 40 Jahren ins Sauerland, der andere will nach Peru, einer bevorzugt die Nordsee, der nächste die Riviera. Zum Beispiel hat der japanische Milliardär Yusaku Maezawa einen ausgesprochen exklusiven Geschmack. Er hat bereits für 2023 beim SpaceX-Chef ein Ticket für die Fahrt zum Mond gekauft. Als gewiefter Geschäftsmann hat Herr Maezawa weise voraus- schauend gehandelt, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Tickets 2023 eventuell vergriffen sind. Erika Rauser lebt seit 2011 in der Residenz in der Contrescarpe.
14 BOUQUET 1/2019 Reisen ist Leben „Nur Reisen ist Leben, wie umgekehrt Leben Reisen ist.“ (Jean Paul, 1763 - 1825, deutscher Dichter, Publizist und Pädagoge) Im Januar 1941 stand ich zum ersten Mal auf Al- tet Clas Schierenbeck, der als Übungs- und Fahr- pinskiern. Von meinen Eltern habe ich das Ski- tenleiter beim Bremer Skiclub fungiert. Es stellte laufen gelernt. Nach dem Krieg reiste ich mit mei- sich heraus, dass Käthe Seidel aus Rablinghausen nen Eltern nach Österreich und in die Schweiz. 1963 einen Tipp bekommen hatte und deswegen Im Oktober 1968 bin ich beim Bremer Ski-Club zu Fuß bis zur Planneralm wanderte und so den (BSC) eingetreten. Später lief ich mit der Gruppe kleinen Ort für den Bremer Skiclub entdeckte. vom BSC auf der Planneralm/Steiermark (Öster- Seitdem organisiert der Skiclub regelmäßige Fa- reich). Jetzt bin ich seit 50 Jahren beim BSC. milien- und auch Singlefahrten in das österreichi- sche Skigebiet. Auf der Januarfahrt 2013 wurde Planneralm: „Vor 50 Jahren entdeckte Käthe das 50-jährige Jubiläum dann mit Unterstützung Seidel die Planneralm und veränderte damit das von Bürgermeister Karl Lackner ausgelassen ge- Vereinsleben des Bremer Skiclubs. Seit 1963 ver- feiert. Lackner dankte den Bremern besonders für anstaltet der Skiclub jährlich vier Fahrten in das ihren Anteil an den touristischen Entwicklungen kleine Skigebiet in der Steiermark. Für die skibe- des Skigebiets Planneralm. (…)“ (Auszug aus dem geisterten Bremerinnen und Bremer ist die Plan- Weser-Kurier, 12.05.2013) neralm schon wie ein zweites Zuhause. Auch die Almbewohner freuen sich immer wieder über die Im August / September 1965 bin ich mit meinen Gäste aus Norddeutschland. Eltern zum 1. Mal mit dem Flugzeug nach Athen (Griechenland) geflogen. Ferner flogen wir ge- Im Skigebiet Planneralm sind sogar die Taxifahrer meinsam nach Korfu, Rhodos und Kreta. aus Bremen, und der Lift-Chef ist großer Werder- fan. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn der Später unternahm ich 15 Mal mit dem Reisever- Bremer Skiclub fährt seit 50 Jahren in das kleine, anstalter baumeler Wanderreisen. aber auch höchstgelegene Skigebiet in der Steier- mark. „Ich saß im Taxi zum Skiort und mein Ta- Baumeler ist spezialisierter Veranstalter von Ak- xifahrer, der zufällig auch aus Bremen kam, hatte tivreisen auf der ganzen Welt. Die angebotenen vor 20 Jahren schon mit Käthe Seidel gesprochen, Reisen sind authentisch, genussvoll, innovativ, die ihm von der Planneralm erzählte – also haben abenteuerlich und bieten hohe Erlebniswerte. wir angefangen, genauer nachzuforschen“, berich- Der Schwerpunkt der Reiseziele liegt in Europa
BOUQUET 1/2019 15 mit seiner großen, vielfältigen Natur, Landschaft die Sehnsucht danach. Sich lebendig fühlen, Neues und Kultur. Auch bei Übersee-Reisen konzentriert erleben, Spaß haben, der grauen Eintönigkeit un- sich baumeler-Reisen nicht auf Palmenstrände, seres Alltags (für kurze Zeit) entgehen, alte Sor- sondern auf einen Einblick in die Lebensweise der gen (vermeintlich) hinter uns lassen – all das ist Bewohner. Ihre Reisen sollen zum Kennen- und es doch, was wir mit dem Reisen verbinden. Ein Verstehenlernen anderer Länder und Menschen paar Zitate über das Reisen und Leben von Dich- beitragen und echte Begegnungen und überra- tern und Denkern: schende Erlebnisse im Reiseland vermitteln. Da- rauf sind baumeler-Reiseleiter sensibilisiert, sie „Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben!“ sind gut ausgebildet, professionell und vermitteln (Kurt Tucholsky) Mehrwert. „Eine Reise ist ein Trunk aus der Quelle des Lebens.“ Dann reiste ich 14. Mal mit den Studiosus-Rei- (Christian Friedrich Hebbel) sen. Auf diesen Reisen habe ich viel gelernt und Interessantes erlebt. „Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Studiosus Reisen ist ein deutscher Reiseveran- Freuden, Schönheit und Natur, stalter mit Sitz in München. Er bietet Studienrei- Gesundheit, Reisen und Kultur. sen in mehr als 100 Länder weltweit an. Dabei Darum, Mensch, sei zeitig weise! wird insbesondere auf die Vermittlung der dorti- Höchste Zeit ist’s! Reise, reise!“ gen Kultur und die Begegnung mit Land und Leu- (Wilhelm Busch) ten Wert gelegt. Literaten wie Jean Paul, Wilhelm Busch, Kurt Tu- > Helga Schädlich cholsky und Co. wussten: „Reisen ist Leben“. Oder Helga Schädlich wohnt seit 2016 in der Residenz in der Contrescarpe.
16 BOUQUET 1/2019 Nachbarn der Residenz Die „GOLDENE WOLKE“ aus der Contrescarpe - Eine verklungene Bremer Melodie (Bremen 1954) - Hört man in Bremen den Namen „Melchers“ dann schwingt da fast immer ein bisschen Schwermut mit. Das Schicksal der Magdalene Melchers ge- hört untrennbar zur Geschichte der Familie. Vereinzelt gibt es noch Spuren in der Bremer In- nenstadt, die an die Familie Melchers erinnern. Doch Stellen wo man sich erinnern könnte, blei- ben oft ungenutzt. Nutzen wir doch diesen Arti- kel zum Erinnern! Schlägt man das Bremer Adressbuch aus dem Jahr 1875 - dem Geburtsjahr von Magdalene Melchers - auf, so findet man die Familie Mel- chers bereits in der Contrescarpe. Genauer ge- sagt eine halbe Spalte machen die Melchers aus. Es scheint so, als wenn die ganze Familie in meh- reren Häusern nebeneinander gewohnt hat. Magdalene Melchers (1875-1970) im Jahr 1894 Geistige Urväter der „GOLDENEN WOLKE“ wa- ren Rudolf Alexander Schröder, anerkannter Schriftsteller, Architekt und Maler und sein Vet- ter der Schriftsteller, Mäzen und Sportsmann und Mitbesitzer des Insel-Verlages Alfred Walter Heymel. Beide waren aus Paris und München nach Bremen zurückgekehrt. Hier jedoch schien ihnen 1903 die Bremer Gesellschaft bei dem Erfolg des Norddeutschen Lloyd und der wirt- schaftlichen Entwicklung zum Welthandelsplatz zu selbstgefällig und so selbstzufrieden zu sein, das sie Gustav Pauli (Ehemann von Magdalene Elternhaus von Magdalene Melchers Melchers) vorschlugen, etwas ändern zu wollen. Contrescarpe 1915/16 Ihr Ziel „das geistige Niveau der Gesellschaft zu heben“. Leseabende sollten den Anfang bilden. Das Umfeld, in dem Magdalene groß wird, kann So scharte sich schon bald ein Kreis in der „GOL- man trefflich beschreiben mit „hanseatisch groß- DENEN WOLKE“, der aus Kaufleuten, Rechts- bürgerlicher Atmosphäre“. anwälten, Musikern, Schriftstellern und ihren Frauen bestand. Verfolgen wir mal den typischen Weg von Frau Melchers nicht weiter, sondern stimmen eine Dem Lesekreis gehörten an: Lina und Robert „verklungene Bremer Melodie“ an: Voigt, Lina Segnitz, Dorrel Seebeck, Lisa Strube, Agnes von Kapff und Gustava Tewes, ferner Mag- die „GOLDENE WOLKE“. dalene und Gustav Pauli und ihre Tante Aline,
BOUQUET 1/2019 17 gen, wie z.B. der Dichter Hugo von Hofmanns- thal sie zu Tisch geführt habe oder wie der große Kulturphilosoph und Dichter Rudolf Borchardt während seines Vortrags vom schnarchenden Alfred Walter Heymel „begleitet“ wurde. Förm- lich fühlt man sich als Leser in die Situation ver- setzt, als wenn man ihr gegenüber sitzt und ihr zuhört. Aus aktuellem Anlass hören wir doch mal was sie zu „ihm“ sagt: „Nein Rilke, so sehr wir ihn damals schon ver- ehrten und von seinem Genie überzeugt waren, hätte in unsere Leseabende nicht gepasst. Er war sehr unglücklich damals, ganz mit sich beschäf- tigt und halb schon auf dem Weg von Worpswe- de nach Paris.“ Wohingegen sie ihre erste Begegnung mit Paula Becker Modersohn wie folgt beschreibt: „Sie wich damals schon, von Fitgers unguten Kritiken verscheucht, allem öffentlichen Leben immer mehr aus (…) Ihre Stille aber, (…) ihre große Schlichtheit, durchströmt von einer verhaltenen Liebe, erschütterten mich. Ich habe sie später in Die von Claus Homfeld geschaffene Büste Magda Paulis. Worpswede noch öfter gesehen (…). Den stillen Glanz, den sie ausströmte, empfinde ich noch heute vor ihren Bildern.“ Georg Crüsemann, Sigmund Gildemeister und einige andere. „Wir gaben keine Gesellschaften, In der offiziellen Geschichtsschreibung wird die wir waren eine.“ „GOLDENE WOLKE“ nicht erwähnt, und doch hatte sie in den Kreisen, die es sich leisten konn- Das wir heute noch etwas darüber „nachlesen“ ten, sich mit den schönen Dingen des Lebens zu können, verdanken wir Magdalene Melchers beschäftigen, großen Einfluss. „Diese glücklich selbst. Nicht nur, daß sie vom ersten Augenblick geborgene Oberklasse der Vorkriegszeit lebte federführend mit dabei war, sie „führte“ Jahr- nun einmal im Überfluss und war von der Gott- zehnte später nochmal die Feder und hat das gegebenheit sozialer Unterschiede noch so über- alles in einem Buch „Die goldene Wolke – eine zeugt, dass sie sich auch durch den Mangel an- verklungene Bremer Melodie“ (erschienen in derer nicht eingeschränkt fühlte.“ Bremen 1954 unter dem Namen Marga Berck) aufgeschrieben. Dieses ist heute noch in der Mit dem Buch „Die goldene Wolke“ hat diese Stadtbibliothek ausleihbar und auch noch anti- „ehemalige Nachbarin“ der Residenz in der quarisch zu beziehen. Contrescarpe etwas Besonderes geschaffen, was dringend größerer Beachtung verdient hat. Wie heißt es da im Vorwort von Werner Kloos: „Es erfüllte die Chronistin (…) mit mächtigem > Christine Renken | Karoline Lentz Stolz, dass seit dem Auftreten der Wolkenkinder THEATER INTERAKTIWo das Klischee von dem nur in Geschäft und Ren- dite denkenden Bremern nicht mehr stimmen konnte.“ Das THEATER INTERAKTIWo ist ein Privattheater, welches im Jahr 2002 aus ehemaligen Ensemble- Nimmt man sich das Buch zur Lektüre vor, dann mitgliedern des Waldau Theater - Komödie folgt man schon bald gespannt ihren Schilderun- Bremen gegründet wurde.
18 BOUQUET 1/2019 „Hatschi“! _ „Gesundheit!“ N ach zehn Jahren wird die Debatte darüber, ob der frischen Luft, Sauna, viel Vitamin C), häufiges Hände- Gesundheits-Wunsch dem Niesenden gegenüber waschen mit Seife, Händedesinfektion. Das Tragen eines zeitgemäß ist oder nicht, mit der Aufhebung des Mundschutzes wäre zwar nützlich (zuhause, in der Fa- Verbots, Gesundheit zu wünschen, durch die Experten milie), aber in der Öffentlichkeit eher aufsehenerregend für gutes Benehmen, nämlich durch die Knigge-Gesell- (Sitzplatzgarantie?). schaft entschieden. Hurra! Für mich gehört es sich so! Was natürlich bei einem Heuschnupfen-Leidenden mit Eine Erkältung muss man durchstehen, eine Impfung da- Nies-Attacken bis zu 30mal (selbst erlebt!) dann für den gegen gibt es nicht. Es gibt, siehe Werbung, besonders Gesundheit-Wünschenden doch etwas ermüdend sein für die schwerwiegende „Männererkältung“ u.a. nur den kann. Reagiert man nicht oder wendet man sich beim qualvollen Ruf nach „Mama!“ Mit einer durch Viren aus- quälenden oder erlösenden Niesen eines anderen einfach gelösten Grippe oder Influenza sieht das ganz anders aus. ab, hat das etwas von „Muss das sein?“ und „Kann er/sie Hier ist die Impfung möglich, ggf. sogar Pflicht. Müßig zu sich nicht beherrschen?“, was leicht für den Niesenden betonen, dass ältere Menschen mit einer verminderten als beleidigend wirken könnte. Immunabwehr und mit chronischen Erkrankungen zu der besonders gefährdeten Gruppe gehören. (Die Ständi- Außerdem begegnen wir in dieser Jahreszeit zunehmend ge Impfkommission „StiKo“ empfiehlt die Influenza-Imp- den „Handschlagverweigerern“, die mit einem dogmati- fung für alle Menschen über 60!). schen „Ich gebe keine Hand mehr!“ zur Begrüßung auf den Tisch klopfen oder andere Begrüßungsgesten an- Aber bitte glauben Sie nicht, dass mit dem Jahreswechsel wenden. So befremdlich das Gefühl ist, dass eine ausge- die Erkältungs- und Grippegefahr schon vorbei ist: Den streckte Hand ignoriert wird und man sie unverrichteter Höhepunkt von Erkrankungen aus diesem Bereich haben Dinge wieder zurückziehen muss, so sinnvoll erscheint wir - wie in jedem Jahr - nach Aussagen der Medizinwis- diese Maßnahme aus hygienischer Sicht für beide Begrü- senschaftler erst ab Januar und mit dem Zenit im Februar ßungs-Partner. noch vor uns! Hauptübertragungsquelle sind nun Und glauben Sie ja nicht, dass Sie mit dem Piks der Schutzimpfung aus dem Risiko einer Influenza heraus einmal die Hände. sind! Ursache ist, dass dem in einem halbjährigen Ent- wicklungsverfahren im Frühjahr für die kommende Impf- In den öffentlichen Verkehrsmitteln kann täglich beob- saison hergestellter Impfstoff das Erregerspektrum des achtet werden, wie in die Innenflächen von rechten und Vorjahres zugrunde gelegt wird. Dieses verändert sich je- linken Händen geniest und gehustet wird. Allerdings doch von Jahr zu Jahr. Deshalb betrug der Schutz für die reicht dabei eine Verweigerung des Handschlags als Vor- Geimpften in der Winterzeit 2016/2017 lediglich 40% sichtsmaßnahme gegen eine Keimübertragung nicht aus: (nur 15% in der Saison davor), und für Senioren wird Nieser und Huster klammern sich anschließend an den er sogar eher noch geringer geschätzt, er gewährt somit Plastik-Haltegriffen fest, bedienen die Türöffner und hin- keine Vollkasko-Versicherung! Insgesamt nur bis zu 25% terlassen für Nachfolgende einen infektiösen Hand- und aller Deutschen lassen sich gegen Influenza impfen, das Fingerabdruck. Robert-Koch-Institut erwartet, dass das Ziel der Weltge- sundheitsorganisation (WHO), mit einer 75%igen Impf- Auch das enge Beieinander in Bus und Bahn sind für eine bereitschaft von älteren Menschen in Deutschland sobald Ansteckung förderlich. Würden wir Bakterien und Viren nicht zu erreichen ist. mit unseren Augen wahrnehmen können, wir würden zweifellos geschockt sein und wahrscheinlich zumindest Also muss man es halten, wie schon Heinz Erhardt es sah: vorübergehend das Haus nicht mehr verlassen. „Leute hütet euch vor diesen, die da husten, wenn sie nie- sen“! Also „Px“, wie der Bayer sagt: „Pleibens xsund!“. Dabei wäre mit geringem Aufwand mehr Sicherheit ge- geben: Niesen in die Armbeuge, Tragen von Handschu- > Dr. Dirk Mittermeier hen, Maßnahmen zur Immunstärkung (Bewegung in der Mediensprecher der „Seniorenvertretung Bremen“
BOUQUET KUNST/2019 19 KUNST AUS FINDORFF Birte Plutat Ingrid Kemnade Manfred Schlösser Peter Holz Thomas Recker Isa Fischer Ursula Gottwald Ursula Häckell Frauke Beck-Domin Ausstellung in der Residenz
20 BOUQUET KUNST/2019 Kunst entsteht! Frauke Beck-Domin Isa Fischer zeichnet im Hafen direkt vor dem Motiv Peter Holz in seinem Atelier „use_action!“
BOUQUET KUNST/2019 21 KaF? Was ist das denn? „Was ist das denn für ein Kuh-Kaff?“ So etwa die Gruppenausstellung hier in der Re- sidenz in der Contrescarpe, die am Donnerstag, Diese oder eine ähnliche Frage haben Sie sicher 7. Februar 2019, um 18:00 Uhr mit einer feierli- schon einmal gehört. Oder sogar selbst gestellt. chen Vernissage eröffnet wird. Ein „Kaff“ ist laut Duden eine kleine, abgelege- Kommen Sie vorbei! ne, langweilige Ortschaft. Vielseitige Kunstwerke und anregende Gesprä- che erwarten Sie. Aber: Kaff ist nicht gleich KaF! KaF ist Kunst aus Findorff: Viele Grüße im Namen von KaF Und obwohl seinerzeit in Findorff sicherlich Dr. Peter Holz die eine oder andere Kuh über die Bürgerwei- de zum Schlachthof getrieben wurde, sind diese Weitere Informationen unter: Zeiten längst vorbei. Der Schlachthof ist seit vie- len Jahrzehnten das Findorffer Kultur-Zentrum. www.kaf-bremen.de Viele von uns haben dort schon Theaterstücke, Konzerte, Kunstausstellungen und andere kul- turelle Veranstaltungen erlebt. Darum ist eine Zeichnung des Schlachthofs auf der Titelseite dieser Kunst-Beilage zu sehen und gleichzeitig gewissermaßen unser „Firmenzeichen“. KaF ist eine Gruppe von Künstlerinnen und Künst- Mitwirkende Birte Plutat lern, die entweder in Findorff leben oder ihr Ate- bei KaF Ingrid Kemnade lier in Findorff haben: Maler/innen, Zeichner/ Manfred Schlösser innen, Bildhauer/innen, Grafiker/innen u.a.. Peter Holz Doro Schlüter-Durth Wir haben uns im Dezember 2017 mit dem Ziel Thomas Recker Anna Ribeau zusammengetan, Kunst aus Findorff - wie man Isa Fischer so schön sagt – „nach vorne“ zu bringen. Ursula Gottwald Ursula Häckell Unser Anliegen ist es, unsere Arbeiten erlebbar Frauke Beck-Domin zu machen und Kunst-Orte der Begegnung und Ingrid Lange-Schmidt Kommunikation zu gestalten und zu bespielen. Die Ausstellung wird kuratiert von Angela Bauriedl und ist täglich vom 7. Februar 2019 Wir organisieren dazu Ausstellungen und ande- bis zum 5. Mai 2019 von 11.30 bis 17.00 Uhr re kulturelle Veranstaltungen in Findorff, „und in der Residenz in der Contrescarpe geöffnet. umzu“. Der Eintritt ist frei.
22 BOUQUET KUNST/2019 Ingrid Kemnade Über meine Malerei Das vorrangige Hier beispielhaft einige Projekte: Ziel meiner Ma- lerei ist die Ver- Menschen in Bewegung (In Motion); knüpfung von „Kunst der Linie“ mit dem „Spiel Monochrome Maltechnik von Farben und (bisher zu den einzelnen Farben Formen“, also das Weiß…Grau….Rot…Gelb….Blau); Zusammenwirken und Aufeinander- Erinnerungen an; treffen von Farben und Linien und Formen. In ihrem Sprichwörter und Redensarten; Zusammenwirken und Aufeinandertreffen ar- beite ich mit verschiedensten Malmitteln und Zeit für; Techniken, die untereinander experimentierend verbunden werden. Balance. Obwohl die Ursprünge vieler meiner Bilder ge- Ein besonderes Projekt war das Experimentie- genständliche/reale Motive und Hintergründe ren mit weißer Farbe. Physikalisch ist Weiß die sind – male ich überwiegend nicht gegenstands- Summe aller Farben. Da Weiß keinen negativen bezogen. Ich wähle verschiedenste Malmittel Zusammenhang hat, gilt sie als vollkommenste und Techniken, die ich auch mit- und unter- Farbe und fordert mich als Malerin durch ihre einander experimentierend verbinde. So ent- zugeschriebene Symbolkraft besonders heraus. stehen Bilder in Acryl, Aquarell, (Ei-)Tempera, Denn: Weiß ist nicht gleich Weiß. Öl, Wachs auf Leinwand, Stoff, Packpapier, Pap- pe, Holz- auch als Kollagen, Monotypien u.a. – Und: Unsichtbares soll sichtbar werden – beson- auch versehen mit Drucken und Zeichnungen. ders bei mehrschichtiger Malerei. Mein folgen- des Gedicht hierzu symbolisiert mein künstleri- Themenbezogene Vorhaben (auch über längere sches Tun. Zeiträume hinweg) stehen dabei im Mittelpunkt meiner Arbeiten. www.ingridkemnade.de Farbe Blau Farbe Rot Impression
BOUQUET KUNST/2019 23 Unsichtbares in meinen Bildern GEMALTES Spuren versteckt, durchsichtig, verklebt, durchleuchtend, verhüllt, durchscheinend. verändert. durchlässig. Verdeckte Durchschimmernd Farbschichten Verborgenes. Farbschichten Verborgenes abgewaschen, gesucht, abgekratzt, gefühlt, abradiert, gespürt, abgespachtelt. gefunden. Spuren Sichtbar Abgemalte Unsichtbares. Spuren. Hinweis: Hiermit kennzeichne ich meine Bilder/ Texte Künstlerische Vita - Weiterbildungsstudium an der Hochschule für Künste, Bremen (Schwerpunkt Malerei), u.a. Till Meyer (Zeichnen), Isabel Valecka (Malen), Detlef Stein (Stilgeschichte) - Mitgliedschaften: KulturKataster Schwachhausen; Verein KUNST in der Provinz e.V., Mitglied der Künstlergruppe Internetportal Bremer Quadrate (ehemals 15art15); Mitglied und –gründerin des KaF (Kunst aus Findorff) - Künstlerin in der Mal-KunstWerkstatt Buchenstraße 8a. - Einzel – und Gruppenausstellungen.
24 BOUQUET KUNST/2019 Peter Holz „Leere Wände provozieren mich.“ Das ist das Motto des Bremer Künstlers Peter Holz. Im Hinblick auf die KaF-Ausstellung hat Kulturmanagerin Angela Bauriedl mit ihm ge- sprochen. Herr Holz, was ist Ihre Motivation, Kunst zu machen? Neugier und Veränderungs-Lust sind zwei Le- Kunst machen ist für mich ein Gegenmittel ge- benskräfte, die mich antreiben. Ich bin schnell gen den oft monotonen Alltag. von einer Sache gelangweilt, wenn sie nur noch Routine ist und ich sie nicht weiter entwickeln, Ich mache auch täglich etwas Ungewohntes, intensivieren und dadurch zu etwas Besonde- etwa eine Flasche mit links aufschrauben oder rem machen kann. mir mit links die Zähne putzen. Die Kehrseiten: Unzufriedenheit und Ungeduld. Nervt oft. Sie beschreiben ihren künstlerischen Arbeits- prozess als Transformation. Wie gehen Sie mit diesen Kehrseiten um? Was müssen wir uns darunter vorstellen? Arbeit und Struktur. Ich begegne diesen inneren Ich mag den Begriff „kreativ“ nicht. Klingt für Anteilen mit Disziplin, damit ich weiterkomme mich nach „Schöpfung aus dem Nichts“. Wohin und mehr oder weniger zufrieden bin. Humor wir auch kommen oder gehen, wir finden immer hilft übrigens auch. schon etwas vor. Bestes Beispiel: Unsere Geburt.
BOUQUET KUNST/2019 25 Sie bezeichnen Ihre Kunst als Material-Kunst. Können Sie diesen Begriff erläutern? Für mich ist die Physik, die „Mutter aller Wis- senschaften“. Die unbelebte Materie ist die Aus- gangssituation. Das Leben kam später. Ebenso die Kunst. Die künstlerische Tätigkeit dient in meinem Fall dazu, die Materie zu gestalten und im übertragenen Sinne zu beleben. Meine Bilder und alle Materialien, die ich in ih- nen verarbeite, können zwar im herkömmlichen Sinne nicht sprechen. Aber man kann, wenn man will, mit ihnen nonverbal kommunizieren. Eine letzte Frage: Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Kunst? Ich habe mir einen speziellen Blick auf die Welt angewöhnt. Ich nehme alltägliche Dinge wahr und frage mich ständig: „Wie kannst du das zu Die Welt ist schon da. Oder: Ein Raum, den wir einem Bild machen?“ Ein Gullydeckel zum Bei- betreten, ein Mensch, dem wir begegnen. Mit spiel oder die Anordnung festgetretener Kau- dem Vorgefundenen gehen wir dann irgendwie gummis auf dem Gehweg. um: kümmern uns, ignorieren, gehen ran, neh- men Abstand, verändern, zerstören usw. Im Atelier, meinem Labor, verwandele ich mei- Was tue ich als Künstler? Ich forme um, trans- ne gespeicherten Wahrnehmungen mit meinen formiere das Neuronen-Feuer in meinem Gehirn Mitteln und Techniken zu etwas Besonderem, mittels meiner Hände und meiner Werkzeuge in nämlich zu Kunstwerken, die ich dann anderen sinnlich wahrnehmbare Materie, nämlich Kunst- Menschen zur Verfügung stelle. Wenn sie wol- werke. len, können sie dann ihrerseits ungewöhnliche Wahrnehmungen machen und auf ungewöhnli- In Ihrem Atelier kleben an den Wänden che Gedanken kommen, auf die sie sonst nicht Sinnsprüche. Unter anderem dieser von gekommen wären. Arthur Schopenhauer: „Das Schicksal mischt die Karten; wir spielen.“ Was hat das mit Ihrer Kunst zu tun? www.holzaufholz.de In der Kunst wie im „echten Leben“ gibt es Din- ge, die man beeinflussen kann und andere, die einfach passieren; man muss mit ihnen umge- hen. Es ist der Widerspruch zwischen Zufall und Ab- sicht, den ich spielerisch in meinen Bildern in- szeniere. Die Rohversionen meiner Bilder sind hochgradig zufällig, die Endversionen dagegen vorsätzlich. Es sind ja meine Entscheidungen, welche Linien und Flächen ich mit welchen Farben und ande- ren Substanzen betone und dadurch hervorhebe.
26 BOUQUET KUNST/2019 Isa Fischer „Ich will, solange ich hier bin, die Augen auftun, bescheiden sehen und erwarten, was sich mir in der Seele bildet.“ Goethe Isa Fischer zeichnet draußen direkt vor dem Mo- tiv. Sie streift durch die Stadt, fährt über Land oder durch den Hafen, führt Hocker, Papier, Tu- sche und Aquarellfarbe mit sich und findet im- mer wieder interessante Motive. Mit ihrer besonderen Vorliebe für Gebäude und Schiffe zeichnet sie im Auftrag oder für ihre ei- genen Projekte. Ihre Arbeiten stellt sie aus oder verwendet sie für künstlerische Bildbände, die sie im eigenen Verlag herausgibt. Isa Fischer studierte nach dem Abitur Grafik-De- wieder ein größerer Teil ihrer freiberuflichen sign an der Hochschule für Künste in Bremen. Mit Tätigkeit als Grafik-Designerin geworden. ihren Professoren zeichnete sie schon während des Studiums oft draußen – auf Reisen und in der Umgebung der Hochschule. Seit 2012 kehrte sie verstärkt zu ihren „Ursprüngen“ zurück und seitdem ist die künstlerisch/zeichnerische Arbeit www.hausgezeichnet.info
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28 BOUQUET KUNST/2019 Thomas Recker Welt der Antike, der Tiere, der Pflanzen, der Briefmarkensammler, viele Welten, aber wie kommt man hin? Ein Künstler stellt sich vor Ja, aber.......? Blau, blau ist der Enzian, wenn Sie mich jetzt Ich bin gelernter Töpfer, fragen würden, was blau ist. studierter Bildhauer und Zeichner. Ich habe mein Was will man wissen, wenn es um Ihre Arbei- Leben lang von der Kunst ten geht? gelebt. Meistens fragt man nicht, sondern erzählt so ein Stück Lebensgeschichte, weit weg von Kunst, die Mein Atelier habe ich in wohl nur Anlass war … das ist dann der Wirk- meinem Haus im Findorff. lichkeit sehr nahe. Es gefällt mir. Hauptarbeitsfeld waren Aufträge durch Kunst im Sind Sie unsicher? öffentlichen Raum der Nein, denn Wahrheit im Leben gibt es nicht, au- Stadt Bremen. Weitere Arbeitsfelder sind Klein- ßer die Pfadfinder machen es! plastiken und Zeichnungen, in zahlreichen Aus- stellungen dokumentiert. Seine Philosophie: www.thomasrecker.de Damit die Kunst nicht verlorengeht, soll sie ein Geheimnis bleiben. Zum Verständnis seiner Arbeiten - ein fiktives Interview - Sie teilen sich über Skulpturen, Bilder, Zeich- nungen mit, haben Sie eine Botschaft? Eine direkte nicht, ich will nur zeigen, dass mög- licherweise viele Menschen wissen, was läuft, aber trotzdem eine Kaninchenhaltung einneh- men, nämlich davor zu sitzen und zu warten, was passiert. Wie im Fernsehen. Wovor sitzen und wie Fernsehen? „Sag, was ist wichtig, was unwichtig?“ Na, die Bilder kommen, die Ereignisse, man be- wegt sich nicht, kann teilhaben, Meinung haben, ein Brot essen, schadlos bleiben, braucht ja nicht aufzubrechen, nicht zu handeln. Ich glaube das so nicht: Erstens sind die Menschen im Fern- sehen viel kleiner als normal und zweitens ant- worten sie auch nicht, wenn ich mit ihnen rede. Das ist aber eine schwierig nachvollziehbare Betrachtungsweise, oder? Ist doch einfach, das sind wirkliche Bilder von der Wirklichkeit, eine zum Sehen, eine zum An- fassen oder die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt der Außenwelt … Es gibt ja auch die „Wo soll ich hin?“ (2009)
BOUQUET KUNST/2019 29 Frauke Beck-Domin „Es ist nicht wichtig, was du betrachtest, sondern was du siehst.“ Henry David Thoreau (1817-1862) Frauke Beck-Domin über ihre Kunst: „Das Reale mit dem In- formellen spannungs- reich zu verbinden, reizt mich am meisten. Die Beziehung von Mensch zu Mensch oder von Mensch zu Natur, ist ein inhaltliches Thema, was mich nicht loslässt. Wenn sich die Stimmung eines Motivs auf mich überträgt und ich beim Malen restlos versinken kann, sodass es nichts anderes mehr gibt - das beglückt mich immer wieder!“ Beim Betrachten von Kunst gilt für mich: „Das Gefühl ist der Deal“. Mme Zopf Fuchs
30 BOUQUET KUNST/2019 auch die kopflosen Frauen halb abstrakt. „Rein abstrakte Arbeiten nutze ich eher, um neue Techniken auszuprobieren“, sagt Gottwald, „sie lassen einem dafür maximale Freiheit“. Auf die Kunst gekommen sei sie schleichend. Erst machte sie eine Ausbildung zur Bürokauf- frau, später zur Kunstmöbeltischlerin. „Ich hatte immer Kontakte zur kreativen Szene, und dann macht man automatisch auch etwas“, sagt die 1958 in Köln geborene Wahlbremerin. Sie mal- te, widmete sich der Literatur und dem Theater. „Ich war auf der Suche nach einer Sprache. Es Ursula Gottwald geht immer um Kommunikation.“ 2010 veränderte ein Kunstseminar Gottwalds Drei Lebensabschnitte Schaffen. Als die Kursleiterin Gottwalds Bau- Portrait der Künstlerin und einem farbenfrohen marktpinsel durch einen Künstlerpinsel ersetzte, Triptychon war diese begeistert. „Vorher musste ich die Farbe förmlich überreden, auf die Leinwand zu gehen.“ Gottwald besuchte Kurse im Weiterbildungsstu- In dem Triptychon aus hochformatigen Einzelbil- dium an der Hochschule für Künste und feilte an dern „Das Model“, „Die Flexible“ und „Die Alte ihrer Technik. Zuhause macht die Künstlerin vor auf dem Eis“ widmet sich Ursula Gottwald drei allem Skizzen, anderes erarbeitet sie im Atelier. Lebensabschnitten einer Frau in der Gesellschaft. Die Herausforderung in der Kunst sieht Gott- Das Triptychon wurde durch ein Gemälde auf ei- wald darin, dass sie „viele Ideen“ hat und über- ner Postkarte inspiriert. Bei der Betrachtung des legen muss, was sie in Anbetracht der verfügba- Motivs mit drei tanzenden Meeresnymphen, frag- ren Zeit davon machen will und kann. Zurzeit te sie sich nach dem damaligen und dem heutigen experimentiert sie mit Aktmalerei. Schönheitsideal und den Eigenschaften als Frau. Ob wir Kunst brauchen? – „Natürlich! Was wäre Gottwalds drei Bilder bezeichnen drei Le- ohne Kunst? Kein Theater, keine Filme, keine Bil- bensphasen, sagt die Künstlerin: „Das Model“ im der und keine Musik. Alle Kunstwerke in einem Gepardenfell trägt seine junge Haut zu Markte - Buch zusammengefasst, würden die Geschichte Schule, Ausbildung - und geht nach dem Bauch- des Menschen zeigen.“ gefühl. „Die Flexible“ ist schon etwas reifer. Sie steht im „Urwald des Lebens“ mit Kindern, Beruf Zu den Künstlern, die für Gottwald besonders und Partner. Für sie heißt es, immer schön ent- bedeutend sind, zählen die Maler Franz Marc spannt und flexibel zu bleiben. „Die Alte“ tanzt (1880 bis 1916) und Otto Mueller (1874 bis als Kuh in Salamanderhaut. Sie ist etwas dicker 1930) der Künstlervereinigung „Brücke“. An und lustvoll. „Denn mit ihrer Erfahrung kommt Marc faszinieren Gottwald dessen Farbenfreu- sie überall hin. Sie braucht keine Kuh mehr vom de und abstrahierten Naturbilder. „Die Brü- Eis zu holen, sondern tanzt selbst darauf“, er- cke-Künstler malten alles bunt und halbabstrakt. klärt Gottwald. Der Raum wird nicht gemalt, wie er wirklich ist sondern wie er gefühlt ist.“ Die Bilder sind 2017 entstanden. Sie wurden mit Öl auf eine Grundierung aus Acrylfarbe gemalt. Wie die meisten Darstellungen Gottwalds sind www.ursula-gottwald.other-q.com Text (gekürzt): Ilka Langkowski (Mediengruppe Kreiszeitung 20.04.2018)
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