Jetzt erst recht. Kinderrechte umsetzen trotz der Pandemie - Impulse und Methoden für die pädagogische Praxis.

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Jetzt erst recht. Kinderrechte umsetzen trotz der Pandemie - Impulse und Methoden für die pädagogische Praxis.
Jetzt erst recht.
Kinderrechte
umsetzen trotz
der Pandemie
Impulse und Methoden
für die pädagogische Praxis.

Hrsg: Makista e.V.
Jetzt erst recht. Kinderrechte umsetzen trotz der Pandemie - Impulse und Methoden für die pädagogische Praxis.
Impressum

    Jetzt erst recht.
    Kinderrechte
    umsetzen trotz
    der Pandemie
    November 2020

    Hrsg.:
    Makista – Bildung für Kinderrechte und Demokratie
    e.V., Frankfurt / Main, www.makista.de
    Gefördert im Projekt „KindGeRecht!“ im Rahmen
    des Landesprogramms „Hessen aktiv – für
    Demokratie und gegen Extremismus“

    Autorin:
    Christa Kaletsch, freie Autorin und Fortbildnerin
    in den Bereichen konstruktive Konfliktbearbeitung
    sowie Demokratie- und Menschenrechtsbildung
    und seit vielen Jahren tätig im „beratungsNetzwerk
    hessen. Gemeinsam für Demokratie und gegen
    Rechtsextremismus“. Seit 2018 ist sie Co-Vorsit-
    zende des Landesverbandes der DeGeDe Hessen
    und von Makista e.V..

    Redaktion:
    Hannah Abels, Sarah Tabatabai (Makista e.V.)

    Layout:
    von Zubinski, Frankfurt / Main
    www.vonzubinski.de

    Fotos:
    „Eure Meinung zählt“ Bilder von Clara Isabelle,
    Golda, Lilli und Matilda
    „Handeln für die Menschenrechte“ – Timotheus
    Kartmann

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Jetzt erst recht. Kinderrechte umsetzen trotz der Pandemie - Impulse und Methoden für die pädagogische Praxis.
Inhaltsverzeichnis

Einleitung des Herausgebers                                                 03

„Eure Meinung zählt!“                                                       04
– oder wie wir im Bewusstsein des „best interest of the child“ zu einer
kinderrechtlichen Rahmung zurückfinden können

Das Recht auf Information:                                                  06
kindgerecht, subjektorientiert und stärkend über das Leben in Zeiten
von Corona berichten und sprechen

Recht auf freie Entfaltung, Liebe, Geborgenheit, Gesundheit und Erholung!   09
Hinweise zu einer schutzrechtlichen Dimension

„Handeln für die Menschenrechte“                                            13
– oder die Relevanz des Gleichheitsprinzips

Empfehlungen zum Weiterlesen                                                23
Jetzt erst recht. Kinderrechte umsetzen trotz der Pandemie - Impulse und Methoden für die pädagogische Praxis.
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Liebe Leser:innen …

… wissen Sie noch, was Sie sich zum Jahreswechsel     Wie kann das gelingen? Wie können unter den
2019 / 2020 vorgenommen haben? Sicherlich war         ständig wechselnden Vorgaben Räume geschaffen
weder darunter, im Schrank endlich mal Extraplatz     werden, in denen Kinder mitentscheiden können,
für mehr Klopapier zu schaffen, noch zu lernen,        wie sie ihren Alltag gestalten wollen? Wie erklärt
wie man eine Mund-Nasen-Bedeckung näht oder           man auch jüngeren Kindern das Virus, ohne auf
mit den Kindern zu jedem Händewaschen ein             Verkürzungen zurückzugreifen, die Vorurteile
Geburtstagslied zu trällern. Dieses Jahr ist anders   befördern? Wie können Ungleichheiten im Blick
als alles, was wir uns vor ein paar Monaten vor-      behalten werden, die auch vorher schon bestanden
stellen konnten – und doch werden in der durch        und jetzt noch verstärkt sind? Was kann man dem
Covid-19 ausgelösten Pandemie die Bedingungen         Gefühl der Ohnmacht von Kindern und Jugendli-
besonders deutlich, unter denen sie entstanden        chen entgegensetzen?
ist und unter denen wir als Gesellschaft einen
Umgang damit finden können und müssen. Und            Im April, einige Wochen nach dem Lockdown,
auch in der Coronakrise gelten die in der Verfas-     begannen wir im Rahmen unseres Projekts „Kind-
sung verbrieften Grund-, Menschen- und Kinder-        GeRecht“, nach Antworten auf diese Fragen aus
rechte weiter. Einschränkungen müssen immer           Sicht der UN-Kinderrechtskonvention zu suchen.
temporär, sorgfältig abgewogen und so gering wie      Vier Pakete mit Denkanstößen, Empfehlungen
möglich sein.                                         und Übungen oder Diskussionsleitfäden sind über
                                                      die letzten Monate entstanden, die wir in dieser
Was das konkret bedeutet, darüber wurde in allen      Broschüre zusammenführen. Auch wenn einige
Phasen der Entwicklung seit dem ersten Fall von       davon in der Zeit strengerer Maßnahmen verfasst
Covid-19 in der Bundesrepublik geforscht, gespro-     wurden und andere nach den Lockerungen, lassen
chen und auch gestritten. Und diese Frage be-         sie sich in verschiedenen Situationen nutzen –
schäftigt uns alle jeden Tag aufs Neue – Sie als      auch wenn sich die Lage in den nächsten Monaten
pädagogisch Tätige auf ganz besondere Weise.          sicherlich noch oft ändern wird.
Denn Sie müssen einen Spagat schaffen, für den
schon einiges an akrobatischem Vermögen nötig         Wir hoffen, Sie und die Ihnen anvertrauten
ist: einerseits sollen Sie den alltäglichen Betrieb   Kinder damit stärken zu können,
in Ihren Schulen, Kitas und Horts aufrecht erhalten
und so zu einem Funktionieren der gesamten Ge-        Ihr Makista-Team
sellschaft beitragen, denn Ihre Arbeit ist – auch
so ein 2020-Wort – „systemrelevant“. Andererseits
haben Sie aber auch die Aufgabe und Pflicht,
Kinder bei Ihrem Hineinwachsen in eine demokra-
tische, die Würde jedes Einzelnen schützende
Gesellschaft zu unterstützen, sie zu befähigen, als
starke Subjekte eigene Entscheidungen zu treffen
und dabei mit anderen solidarisch zu handeln.
Sie sind also auch „systemrelevant“ für die Gesell-
schaft von morgen.

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„Eure Meinung zählt!“
    – oder wie wir im Bewusstsein des „best interest of the child“
    zu einer kinderrechtlichen Rahmung zurückfinden können

                                                         Das Recht auf Partizipation (gerade jetzt)
                                                         bewusst in den Blick nehmen

                                                         Wie die Grund- und Menschenrechte gelten
                                                         selbstverständlich auch die Kinderrechte in Aus-
                                                         nahmesituationen vollumfänglich weiter. Kinder
                                                         und Jugendliche sind entsprechend ihres Ent-
                                                         wicklungsstandes bei Fragestellungen, die sie
                                                         betreffen, zu beteiligen. Dies verlangt Artikel 12
                                                         (Berücksichtigung des Kindeswillens) der UN-
                                                         Kinderrechtskonvention.

                                                         Der Würdigung der Partizipationsrechte, konkret
                                                         dem Recht auf Information und Meinungsfreiheit
                                                         (Artikel 13), aber auch auf Beteiligung und Mit-
                                                         bestimmung (Artikel 12), kommt auch in der Aus-
                                                         nahmesituation eine besondere Bedeutung zu.
                                                         Partizipation und das Prinzip des „Kindeswohlvor-
                                                         behaltes“ (dessen Anspruch, Kinder und Jugend-

    „Freunde treffen, sich an einen versteckten Ort zu-
    rückziehen können, Spielen und Sport machen …“
    – diese und ähnliche Aussagen fehl(t)en eigentlich
    nie, wenn wir Kinder und Jugendliche um ihre           Methoden, Übungen, Diskussionsanlässe
    Meinung frag(t)en, was „ein Kind braucht, um gut
    und glücklich leben zu können“. Dazu kommen            Ausgehend von möglichst offenen Fragestel-
    oft auch Aspekte wie „ein Zuhause, keine Angst         lungen kann man um Eindrücke, Erfahrungen
    haben müssen, Erwachsene, denen man vertraut,          und Anregungen für Ideen zum Umgang mit
    ein Ziel haben können“. Diese Aussagen aus             weiteren Maßnahmen bitten:
    Einstiegen einer subjektorientierten Kinderrechts-
    bildung lesen sich in Zeiten der sogenannten           • Was hat euch bisher geholfen, mit der
    Corona-Krise nochmal ganz besonders. Sie ver-            schwierigen Situation klarzukommen?
    deutlichen, worauf Kinder und Jugendliche in           • Was habt ihr erlebt?
    Zeiten von Schul- und Kitaschließungen und der         • Gab es besondere Momente in eurer
    massiven Kontaktsperre verzichten müssen und             Familie, dem Ort, an dem ihr lebt?
    wie gravierend die zur Eindämmung der Pandemie         • Welche Schwierigkeiten sind aufgetreten
    ergriffenen Maßnahmen für das Leben von Kin-              und wie konntet ihr sie meistern?
    dern und Jugendlichen sind bzw. sein können.           • Wer und was hat euch in schwierigen
                                                             Momenten geholfen?
                                                           • Hattet ihr auch mal ein richtig gutes
                                                             Erlebnis, von dem ihr uns berichten wollt?

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liche aktiv zu beteiligen, lässt sich besser in der   der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
englischen Fassung „best interest of the child“       durchaus ergeben? Wo haben Erwachsene sie
vermitteln) sind zentrale Aspekte der Kinderrechts-   (auch unter dem Druck, viele Entscheidungen
konvention. Kinder und Jugendliche sind u. a.         schnell treffen zu müssen) vielleicht übergangen?
von der Schließung von Schule, Kita und insbe-
sondere auch allen ihren Freizeitorten massiv
betroffen. An der Entscheidung darüber, ob und        Es wird Zeit, Kinder nach ihren Erfahrungen
wie die Schließung vollzogen wurde, waren sie         zu fragen: Anregungen und Hinweise
nicht beteiligt.
                                                      Wir möchten daher unser „Paket“ zur Auseinander-
Dies lässt sich in Anbetracht der von vielen Men-     setzung mit der sogenannten Corona-Krise mit
schen als verwirrend und bedrohlich empfundenen       Blick auf die Demokratie- und Kinderrechtspäda-
Ausgangssituation der Pandemie sicher nach-           gogik mit einer starken Einheit zur Förderung des
vollziehen. Und man kann die Nichtbeachtung des       Rechts auf Meinungsfreiheit eröffnen und Multipli-
Rechts auf Mitbestimmung sicher grundsätzlich         kator:innen (Lehrer:innen / Erzieher:innen und an-
erstmal als angemessen betrachten. Die Entschei-      dere mit Kindern und Jugendlichen pädagogisch
dung darüber hätte Kinder, Jugendliche (und           Tätige) dabei unterstützen, Kinder und Jugendliche
auch viele Erwachsene) sicher sehr belastet und       dazu einzuladen, von ihren Erfahrungen zu berich-
vielleicht auch überfordert (Abwägung der ge-         ten und ihre Ideen einzubringen. Dabei möchten
sundheitlichen Risiken und der ausdrücklichen         wir dafür werben, Kinder und Jugendliche vor allem
Beschäftigung mit Leben und Tod).                     auch in ihrer Expertise und kreativen Lösungs-
                                                      kompetenz wahrzunehmen und entsprechend zu
Trotzdem ist es wichtig, den die gesamte Kinder-      adressieren. Sie sind Expert:innen ihres Alltags.
rechtskonvention „überwölbenden“ Anspruch des         Es kann gewinnbringend für alle sein, zu erfahren,
Kindeswohlvorbehalts gerade in Zeiten der Aus-        wie sie mit den verschiedenen Herausforderungen
nahme und der Einschränkung von Grund-, Men-          klargekommen sind und klarkommen.
schen- und Kinderrechten bewusst in den Blick
zu nehmen: Wo würden sich Gelegenheitsräume

  Mit zirkulären oder metaphorischen Fragen             Methodischer Hinweis
  können nochmal weitere Perspektiven geöffnet           (traumasensibler Aspekt)
  werden:
                                                        Da die Ausnahmesituation noch weiter anhält
  • Wenn ihr Politiker:innen einen Rat geben            bzw. ihr Ende nicht wirklich klar definiert ist und
    könntet / solltet: was würdet ihr ihnen emp-        darüber hinaus davon auszugehen ist, dass
    fehlen: gibt es Dinge, die wichtig sind, damit      manche Kinder und Jugendliche wiederkehrend
    Menschen in einer solchen Ausnahmesitua-            schwierige Situationen erleben, aus denen sie
    tion gut klarkommen können? Habt ihr das            auch nicht so leicht aussteigen können, emp-
    Gefühl, es wurde was Wichtiges vergessen?           fiehlt es sich, die Frage(n) so zu stellen, dass
    Habt ihr einen Vorschlag, woran man denken          die Befragten immer die Wahl haben, inwieweit
    sollte, wenn man nochmal in diese Situation         sie sich öffnen möchten. Dies stärkt ihre Hand-
    oder eine ähnliche Situation kommt?                 lungskompetenz und ermöglicht einen (z.T.
  • Wenn ihr anderen Kindern und Jugendlichen,          unterbewusst funktionierenden) emotionalen
    die einer ähnlichen Situation sind wie              Selbstschutz. Es empfiehlt sich, nicht direkt
    ihr, einen Rat geben könntet, was würdet ihr        nach schwierigen und schlimmen Situationen
    ihnen raten?                                        zu fragen, sondern vielmehr die Möglichkeit zu
  • Stellt euch vor, ein „Außerirdischer“ käme          eröffnen, sich handlungskompetent zu erleben
    auf die Erde, was würdet ihr ihm erzählen,          und rückwirkend auf schwierige Situationen
    was bei uns so los ist?                             blicken zu können.
  • Stellt euch vor, Forscher:innen wollten in
    einem Gedankenexperiment eine neue Erde
    gründen. Was würdet ihr ihnen empfehlen:
    worauf muss man achten, wenn man gut
    leben möchte bzw. wenn man sicherstellen
    will, dass alle gut und glücklich leben können?                                                          7
Das Recht auf Information:
    kindgerecht, subjektorientiert und stärkend über das
    Leben in Zeiten von Corona berichten und sprechen

    In den Anfängen der sogenannten Corona-Krise          Hinweise zur Gestaltung kindgerechter,
    waren viele Menschen sehr verunsichert. Eine          subjektorientierter Wege
    Medienberichterstattung, in der Bilder auswegloser
    Situationen dominierten: Bilder von schwer er-        Diejenigen, die Kinder und Jugendliche auf ihren
    krankten Menschen, denen Intensivmedizin nicht        Lernwegen begleiten, sollten im Bewusstsein be-
    wirklich zu helfen vermochte oder überfüllten         halten, dass diese ein Recht darauf haben, Fragen
    Krankenhäusern trugen dazu bei, dass Ängste und       zu stellen und Antworten zu bekommen. Das heißt
    Sorgen entstanden. Dem Wunsch nach Informa-           nicht, dass die Erwachsenen auf jede Frage eine
    tionen nachzukommen und dabei eine fundierte          Antwort parat haben müssen. Sie dürfen ruhig zu-
    Informiertheit zu erlangen, konnte nicht leicht       geben, wenn sie was nicht wissen. Dann können
    entsprochen werden. Die dadurch entstandenen          sie den Kindern und Jugendlichen helfen, Infor-
    Unsicherheiten waren sicher auch für Kinder und       mationen zu suchen oder andere Ansprechpart-
    Jugendliche spürbar. Deshalb ist es sehr wichtig,     ner:innen zu finden.
    nun zahlreiche Gelegenheitsräume zu schaffen,
    in denen Kinder und Jugendliche, wenn sie es
    möchten, ihr Erleben beschreiben können und           Zentral erscheint uns dabei:
    dabei unterstützt werden, ihre Wahrnehmungen,
    Befürchtungen und Bedürfnisse zu reflektieren.        • eine Aufbereitung der Informationen, die
    Die Komplexität der deutlich gewordenen Frage-          Erklärungen anbietet, die die Kinder stärken
    stellungen besteht sicher fort und auch die Unsi-       und nicht zusätzlich verunsichern.
    cherheiten darüber, welche Wirkungen das Virus        • Die Informations- und Bildungsangebote
    (und seine möglichen Mutationen) weltweit aus-          sollten sich an den Fragen der Kinder und
    lösen werden, sind nicht überwunden. Ebenso offen        Jugendlichen orientieren.
    bleiben die Fragen, welche Möglichkeiten des          • Bei komplexen Zusammenhängen, wider-
    Schutzes gegen das Virus es gibt und wann die ge-       sprüchlichen Erkenntniswegen und fortbeste-
    sundheitliche Gefahr als überwunden gilt. Es gibt       henden Unsicherheiten sollten diejenigen,
    daher fortbestehend die Herausforderung, Wege           die Informationen anbieten, nichts vereindeu-
    zu finden, Kinder und Jugendliche angemessen             tigen, was nicht klar und eindeutig ist. Das
    dabei zu unterstützen, von ihrem Recht auf Infor-       Offenhalten und wertschätzende Darstellen
    mation Gebrauch zu machen. Kinder und Jugend-           von Suchbewegungen – z. B. von Wissenschaft-
    liche haben ein Recht darauf, zu erfahren, was          ler:innen nach Deutungen und Lösungen –
    geschieht. Artikel 13 der UN-KRK beschreibt all-        kann ermunternd auf die Lernenden wirken.
    gemein das Recht, sich zu informieren und Infor-        Es fördert das Mitdenken und verdeutlicht
    mationen mit anderen austauschen zu dürfen.             den Wert kreativer Lösungsfindung durch das
    In Artikel 17 wird die Relevanz einer medialen Auf-     Bilden und Abwägen von Thesen, Antithesen
    bereitung beschrieben, die sowohl den Schutz            und eine darauf aufbauende Thesenbildung.
    als auch die Teilhaberechte der Kinder und Jugend-      Dadurch kann eine der Komplexität angemes-
    liche in den Blick nimmt.                               sene Gelassenheit entstehen, die geeignet ist,
                                                            die Ambiguitätstoleranz (Widerspruchstoleranz)
                                                            bei den Lernenden zu fördern.
                                                          • Komplexität reduzierende Erklärungsansätze
                                                            bergen immer die Gefahr der Reproduktion
                                                            diskriminierender, rassistischer Deutungen.
                                                            Daher sollten sich – gerade bei dem Bemühen
                                                            um verständliche Erläuterungen komplexer
                                                            Zusammenhänge – die Erläuternden um einen
                                                            diskriminierungssensiblen Blick bemühen.

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Eine beispielgebende Art der gelungenen Erläute-       Informationsvermittlung zu „Recht auf Gesund-
rung bieten die Beiträge zu Corona von Autor           heit“, die die Handlungsfähigkeit stärkt
und Fernsehmoderator Ralph Caspers auf der
„Seite mit der Maus“. In diesem Sendeformat geht       Die Problematik von Virus-Erkrankungen wird uns
Caspers regelmäßig Fragen von Kindern nach,            ggf. noch eine Weile begleiten. Daher erscheint
ordnet sie ein und erklärt die Hintergründe            es sinnvoll, sich mit Strategien zu beschäftigen,
gleichermaßen kindgerecht, wertschätzend und           wie man zusammenkommen und dabei die Gefahr,
diskriminierungssensibel.                              sich gegenseitig anzustecken, minimieren kann.
                                                       Im Moment werden verschiedene Ideen zur För-
In dem Beitrag zu „Was macht das Beatmungs-            derung der Prävention und des Schutzes diskutiert
gerät?“ lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie eine   und ausprobiert: Tragen einer Mund-Nase-Bede-
stärkende und nicht verunsichernde Darstellung         ckung, Vermeiden von Händeschütteln, Distanz-
gelingen kann: Caspers Erläuterungen verzichten        Zonen, richtiges Händewaschen. Bei der Beschäf-
auf jegliche Assoziationen zu Intensivstationen,       tigung damit kann der Blick für verschiedene
Schwerkranken und Sterbenden. Sie ist daher auch       kulturelle Praktiken (gute Erfahrungen mit dem
traumasensibel. Er zeigt ein Bild des Beatmungs-       Mundschutz in Japan, alternative Begrüßungsfor-
geräts und erläutert dann an selbst entwickelten       men) geöffnet und gemeinsam kreative Lösungen
Modellen (in denen Alltagsgegenstände zum Einsatz      gefunden werden (Lieder zur Begleitung des
kommen) die physikalischen und humanbiologi-           Händewaschens, Lernen von Gebärden zur Kom-
schen Vorgänge. Seine Darstellungsart ist gleicher-    munikation auf Abstand).
maßen gelassen wie begeisternd. Dem kann jede:r
gut folgen, ohne sich fürchten zu müssen.              Zentrales Anliegen bei der Beschäftigung mit den
                                                       verschiedenen Verhaltensregeln und Umgangs-
Wenn Caspers Fragen nach dem Virus und seinen          formen ist die begleitende Haltung. Es erscheint
Wirkungen auf den Menschen bzw. im Menschen            uns wesentlich, aus der Logik des Verbietens aus-
beschreibt, dann vermeidet er personalisierende        zusteigen, die die in einem Gemeinwesen zusam-
Darstellungen. Deutlich wird das Universelle des       menlebenden Menschen zu „Unmündigen“ macht
Virus, das Menschen überall auf der Welt zu schaf-     und ihnen die Fähigkeit des verantwortungsbe-
fen machen kann. Es ist ein biologisches Phäno-        wussten Handelns und des Mitdenkens abspricht.
men, das er erläutert, so gut er kann, gelassen und    Dem könnte und sollte man Strategien der Er-
fasziniert zugleich: „Von so was Kleinem, das so       mächtigung und Aufklärung entgegensetzen. Damit
viel Ärger machen kann“. Wichtig erscheint dabei,      werden alle mit ihren Fähigkeiten einbezogen und
dass in Caspers Ausführungen klar zwischen dem         ein Bewusstsein für die Rechte der sozialen Teil-
Virus und den Menschen, die von ihm betroffen           habe aller und den damit verbundenen Chancen
sind unterschieden wird. Es geht immer darum zu        für das Zusammenleben (in Zeiten von Corona
verstehen, was das Virus tut und durch welche          und anderen Krisen) gestärkt.
Handlungspraxen man sich vor dem Virus schützen
kann. Dies ist in Zeiten von „Social-Distancing“
(Räumliche Distanzierung) sehr wichtig, denn es        Anregungen zur Auseinandersetzung mit der
passiert schnell, dass das Empfinden entsteht,          Fragestellung „Woher kommt das Virus?“
der / die jeweils Andere stelle eine potentielle Ge-
fahr (der Ansteckung) dar.                             Dies ist eine spannende Frage, die auch eine
                                                       Vielzahl (rassismus- und kapitalismus-)kritischer
                                                       Aspekte aufwirft. Gerne hätten wir eine einfache
                                                       Antwort auf die Frage „Woher kam das Virus so
                                                       plötzlich?“, so zu Beginn der Ausbreitung des Virus
                                                       in Deutschland von der logo!-Kindernachrichten-
                                                       redaktion aufgeworfen. Logo! erklärt, chinesische
                                                       Forscherinnen und Forscher seien ziemlich sicher,
                                                       dass das Virus zuerst von einem Schuppentier,
                                                       einem Säugetier aus Asien, auf Menschen über-
                                                       tragen wurde. Es werde dort verbotenerweise ver-
                                                       kauft, weil manche sein Fleisch gerne essen. Diese
                                                       Erläuterung ist aus zweierlei Hinsicht problema-
                                                       tisch: Zum einen war man sich in der Forschung
                                                       schnell gar nicht mehr so sicher, ob nicht vielmehr
                                                       Fledermäuse und nicht das erwähnte Schuppen-
                                                       tier der Anfang der Pandemie ist. Vor allem aber
                                                       suggeriert der Text, es gäbe da im fernen China
                                                       Leute, die einen Fehler und was Böses gemacht
                                                                                                             9
haben, weswegen jetzt die ganze Welt ein Riesen-        Solidarität oder Spaltung – die Problematik
     problem hat. Diese Erklärung ist zu einfach und         (alters-)diskriminierender Erklärungsmuster
     mit Blick auf diskriminierungssensible Überlegun-
     gen sehr unglücklich. Wenn Caspers auf der              An dieser Stelle soll abschließend noch auf die
     „Seite mit der Maus“ der Frage nachgeht, woher          Problematik Ungleichheit (re-)produzierender
     das Virus kommt, verzichtet er auf Verallgemeine-       Erklärungsmuster hingewiesen werden. Für ein
     rungen. Er versteht es, die Zuschauer:innen auf         Hinnehmen der massiven Einschränkungen in
     dem Weg des Nichtwissens und des noch nicht             die Grund-, Kinder- und Menschenrechte wurde
     endgültig Erforschten mitzunehmen und vermeidet         häufig mit einem Appell an das Mitgefühl gewor-
     die Reproduktion rassistischer Zuschreibungsme-         ben, das bestimmte Bevölkerungsgruppen als
     chanismen.                                              besonders schutzbedürftig kennzeichnete. Damit
                                                             fand eine Reduktion auf ein Merkmal ihrer Person,
     In komplexen und verunsichernden Situationen            z. B. Alter, Krankheit, Behinderung statt, die der
     steigt der Wunsch nach einfachen und möglichst          Vielheit und Komplexität jedes Individuums nicht
     eindeutigen Erklärungen. Werden schwierig zu            entspricht. Darüber hinaus wurden auf diesem Bild
     erfassende Geschehnisse reduziert dargestellt,          Zugehörigkeit und Teilhabe neu verhandelt: die
     besteht immer die Gefahr, dass dabei diskrimi-          auf das Krankheitsrisiko reduzierten Menschen
     nierende Bilder und Deutungen entstehen. Dies           wurden zu denen gemacht, „wegen derer nun alle
     kann bewusst oder unbewusst geschehen (z. B. im         zuhause bleiben müssen“. In der Auseinander-
     Spiegel 06 / 2020: Corona-Virus. Made in China.         setzung um potentiell nicht ausreichende Intensiv-
     Wann die Globalisierung zur tödlichen Gefahr            betten wurden ganz selbstverständlich Wertig-
     wird). Unabhängig von der Absicht empfehlen wir,        keitsdiskurse belebt, die insbesondere auf Men-
     die Wirkung dieser Aussagen in Worten oder              schen mit Behinderung beunruhigende Wirkungen
     Bildern aufzugreifen und kritisch zu reflektieren.       entfalteten. Altersdiskriminierende und die Würde
     Denn diese Deutungsmuster bleiben nicht wir-            verletzende Formen nahmen die öffentlichen Dis-
     kungslos: Von Anbeginn der Berichterstattung            kurse an, als Politiker:innen begannen, darüber
     über die durch das Corona-Virus ausgelösten             zu diskutieren, ob für Menschen, deren Lebenser-
     Krankheitswelle nahmen Anfeindungen und An-             wartung sowieso gering sei, ein das gesamte
     griffe auf Menschen zu, die als Asiat:innen wahr-        (Wirtschafts-)Leben blockierender Lockdown
     genommen werden.                                        angemessen sei. Das Deutsche Institut für Men-
                                                             schenrechte mahnt in seiner im April 2020
     Als Alternative zu einer reduzierten Darstellungs-      veröffentlichten Stellungnahme „Menschenrechte
     weise bietet sich eine „kritische Forschungsreise“      Älterer auch in der Corona-Pandemie wirksam
     an, in der geografische, biologische und volkswirt-      schützen“ einen sorgsamen Umgang mit „Alters-
     schaftliche Fragen zum Tragen kommen und die            bildern“ an: „Ältere bilden keine homogene Gruppe,
     globalen Zusammenhänge erfahrbar werden. Die            sondern das Risiko hängt vom individuellen Ge-
     Corona-Krise ist eine von vielen Krisen, die damit      sundheitszustand und von der Lebenssituation ab.
     zu tun haben, wie der Mensch an vielen verschie-        Wird zu häufig betont, dass Ältere vor allem schutz-
     denen Stellen die natürlichen Gegebenheiten             bedürftig seien, werden negative Altersbilder
     der Erde ausbeutet und damit Rückzugsräume für          bekräftigt, die dann beim weiteren Umgang mit
     Tiere verletzt. Darüber hinaus birgt die industrielle   der Krise auch Grundlage für diskriminierende
     Verwertung von Tieren in der weltweit tätigen           Regelungen sein können.“
     Nahrungsmittelindustrie weitere Gefahren globa-
     ler Viruserkrankungen.

     Um der Gefahr des Ausbruchs weltweiter Pande-
     mien nachhaltig zu begegnen zu können, bedarf
     es eines grundlegenden Umdenkens. In den
     Überlegungen zur „Welt nach Corona“, die von ver-
     schiedenen Medien (u. a. der Frankfurter Rund-
     schau) angeregt werden, spielen verschiedene
     Aspekte der globalen Verflechtungen eine Rolle.
     Diese sind an vielen Stellen anschlussfähig an die
     Anliegen der Fridays for Future-Bewegung. Ein
     Nachdenken über die Entwicklung des Umgangs
     mit den Gegebenheiten des Erdballs hat eine
     zukunftsweisende Richtung. Von den hier getroffe-
     nen Entscheidungen sind Kinder und Jugendliche
     zentral betroffen. Daher regen wir eine partizipa-
     tive Auseinandersetzung hierzu an.
10
Recht auf freie Entfaltung, Liebe,
Geborgenheit, Gesundheit und Erholung!
Hinweise zu einer schutzrechtlichen Dimension

Die gegenwärtige Situation des Lebens mit der        scheidungen nachvollziehen und mitzubestimmen
fortbestehenden Gefahr durch das Corona-Virus        zu können und sich in seinen emotionalen Bedürf-
wirft große menschen- und kinderrechtliche Di-       nissen geachtet zu erleben. Gesundheit beschreibt
lemmata auf. Denn im Bemühen, möglichst viele        einen „Zustand des vollständigen körperlichen,
Menschen vor einer Infektion mit dem Virus zu        geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht
schützen, werden andere für das Leben und die        nur das Freisein von Krankheiten und Gebrechen“,
Gesundheit wichtige Kinder- und Menschenrechte       hebt Michael Krennerich, Experte für wirtschaft-
eingeschränkt oder gar verletzt. Die besondere       liche, soziale und kulturelle Rechte in seinem
Herausforderung besteht darin, dass es nun häu-      Standardwerk „Soziale Menschenrechte. Zwischen
fig um Eingriffe in Rechte mit schutzrechtlicher       Recht und Politik“ (2003 im Wochenschau Verlag
Dimension geht. Rechte also, die als absolut be-     erschienen) hervor. Die im März ergriffenen
trachtet werden müssen und die vor Verletzungen      Maßnahmen verfolgten das Ziel, die Ausbreitung
und Einschränkungen schützen. Mit Menschen im        der Pandemie zu verzögern. Dadurch zeigt sich
Kontakt sein, die man liebt und deren Nähe man       das Bemühen, dem Recht auf Gesundheit zu ent-
schätzt, frei zu wählen, wen man trifft und wie nah   sprechen und gleichzeitig wird damit auch seine
man sich dabei kommen möchte, rauszugehen,           Durchsetzung eingeschränkt. Deshalb erscheint
frische Luft tanken, sich zu bewegen, toben, spie-   es uns wichtig, genau hinzuschauen, was die
len oder sich zurückziehen zu können – alles ganz    beschlossenen Einschränkungen wirklich bedeuten
wesentliche Rechte, durch die sich die freie Ent-    und vor allem auf welcher Grundlage all dies ge-
faltung des Menschen ausdrückt und in die einzu-     schieht. Die politisch Verantwortlichen treffen ihre
greifen eine wesentliche Verletzung von Grund-,      Entscheidungen nicht in einem luftleeren Raum.
Kinder- und Menschenrechten darstellt. In diese      Sie sind an die demokratischen Verfahrensregeln
wurde auch in Deutschland seit der am 23. März       gebunden, diese wiederum schützen die in einer
2020 beschlossenen weitreichenden Kontakt-           demokratisch verfassten Gesellschaft lebenden
beschränkung wiederkehrend eingegriffen. Die         Menschen vor Willkür und Machtmissbrauch. Die
Kinder- und Menschenrechte gelten dabei vollum-      Bundesrepublik Deutschland hat aufgrund der
fänglich weiter. Aus diesem Grund ist es wirklich    Erfahrung mit ihrer Geschichte (dem historischen
wichtig, jeden Schritt, jede Entscheidung gut        Nationalsozialismus) im Grundgesetz wichtige
abzuwägen und ergebnisoffen zu bleiben.               Verfahrenswege entwickelt, um die Verantwortung
                                                     über derart gravierende Fragen auf mehrere Ent-
                                                     scheidungsträger:innen und Gremien zu verteilen
Das Recht auf Gesundheit ist auch ein Recht          und ausreichend Diskussions- und Einspruchs-
auf freie Entfaltung                                 rechte zu ermöglichen. Das kann dazu führen, dass
                                                     Entscheidungen länger dauern und dass auch
Läden konnten nach und nach wieder öffnen,            an verschiedenen Stellen unterschiedliche Rege-
manche blieben geschlossen oder mussten wieder       lungen gefunden werden. Allen gemeinsam ist das
schließen, die Bewegungsfreiheit bleibt einge-       Bemühen und die Verpflichtung, einen Weg in
schränkt und doch auch möglich, Sport- oder          Achtung der Grund- und Menschenrechte aller zu
Spielplätze sind Stellen (temporär) geöffnet etc.     finden. Er sollte dem vorrangigen Interesse des
Dies alles kann ganz schön verwirrend sein. Damit    Rechts auf eine gute Gesundheit(-sversorgung)
gelassen und wertschätzend umzugehen, stellt         entsprechen und gleichzeitig die anderen Grund-
wiederum einen wesentlichen Beitrag zur Durch-       rechte im Blick behalten.
setzung des Rechts auf Leben und Gesundheit in
seinem weitreichenden Verständnis dar. Denn
das Recht auf Gesundheit bedeutet mehr, als das
Überleben zu sichern und die körperliche Unver-
sehrtheit in den Blick zu nehmen. Zum Recht auf
Gesundheit gehört auch das Recht, sich entfalten
zu können, das Wohlbefinden betreffende Ent-                                                                 11
Ausgangssperre!? Spielen, Ruhen, Toben und            nahmenkatalog vor, der das Betreten des öffentli-
     Rennen sind weiterhin erlaubt                         chen Raums in vielfältigen Situationen zulässt“
                                                           (vgl. Ruschemeier & Peters: Verfassungsblog. Allein
     In der aktuellen Situation wird in zentrale Persön-   in öffentlichen Raum. Social Distancing zwischen
     lichkeitsrechte, in die allgemeine Handlungsfrei-     Ausgangsbeschränkung und Kontaktverbot).
     heit, die Bewegungsfreiheit (Freizügigkeit) und die
     Versammlungsfreiheit eingegriffen. In der Bundes-      Die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepu-
     republik Deutschland gilt generell keine absolute     blik Deutschland haben sich gegen eine generelle
     Ausgangssperre. Eine Ausgangssperre stellt eine       Ausgangssperre und für die Einschränkungen des
     sehr starke Verletzung der Grund- und Menschen-       sozialen Kontakts (Kontaktverbot) entschieden.
     rechte dar. Sie ist in Deutschland nur in ganz spe-   Dies kann man als das vergleichbar weichere Mit-
     zifischen Situationen (mit einer plötzlichen großen    tel betrachten. In der Suche nach dem möglichst
     Krankheitswelle) in einzelnen kleinen Gemeinden       schwächeren Eingriff zeigt sich das Bewusstsein
     erlassen worden. „Von ‚klassischen‘ Ausgangssper-     darüber, dass jedes Verbot einen massiven Eingriff
     ren unterscheiden sich die genannten Regelungen       in die Grund- und Menschenrechte und damit
     – auch wenn sie teilweise ausdrücklich als solche     letztendlich in die demokratische Verfasstheit der
     bezeichnet werden – trotz allem erheblich. Denn       Gesellschaft bedeutet. Nochmal zur Erinnerung:
     alle Regelungen sehen bislang einen breiten Aus-

       Methoden, Übungen, Diskussionsanlässe                 an Regeln halten muss. Dazu müssen Regeln
                                                             aber auch durchdacht und sinnvoll sein, denkt
       „Eure Meinung zählt! Jetzt seid ihr                   Felix Matheo weiter. Und irgendwie kommen
       als Verfassungsrechtler:innen gefragt.                ihm Zweifel, ob die Regel an dieser Stelle sinn-
       Verhältnismäßig oder nicht?“                          voll ist. Für belebtere Momente des Tages ist
                                                             er damit absolut einverstanden: sind viele Kinder
       Die Bewegungsfreiheit unterliegt allerdings be-       zusammen, kann man den Abstand nicht ein-
       stimmten Regeln, von denen zunehmend mehr             halten. Aber jetzt ist ja außer Mona und ihrem
       als diskussionswürdig betrachtet werden. Im           Bruder niemand da. Da könnte er doch einfach
       Folgenden finden sich methodische Anregungen,          mit den Kindern über das Band steigen und
       wie Schüler:innen dazu eingeladen werden              Mona erlauben, zu schaukeln.
       können, anhand konkreter (authentischer)
       Beispiele Kinder- und Grundrechtsfragen zu            Diskussionsfragen:
       diskutieren. Dabei kann die Kompetenz der             • Was denkt ihr darüber? Wäre dies zulässig
       Güterabwägung gefördert und ein Bewusstsein             oder nicht?
       für die Kinderrechte gestärkt werden.                 • Welche Rechte sind betroffen, wenn ihr über
                                                               die Situation nachdenkt?
       Beispiel 1: Schaukeln verboten                        • Wie bewertet ihr die (vergangene) generelle
       Felix Matheo, der Vater des siebenjährigen Leo          Sperrung aller Spielplätze? Findet ihr, das
       und der dreijährigen Mona, ist an einem frühen          war verhältnismäßig? Oder stellte die absolute
       Sonntagvormittag mit seinen Kindern und dem             Sperrung der Spielplätze einen zu starken
       Dackel Maxi unterwegs. Außer zwei anderen               Eingriff in die Kinderrechte dar?
       Hundebesitzer:innen ist noch niemand unter-           • Welche Alternativen gäbe es für diese
       wegs. Sie passieren den vor Wochen vom                  Situation?
       Grünflächenamt mit einem Band gesperrten              • Habt ihr Ideen, wie man Spiel- und Sport-
       Spielplatz. Außer Herrn Matheo und seinen Kin-          plätze nutzen könnte und gleichzeitig die
       dern ist niemand zu sehen. Herr Matheo über-            Hygienevorschriften und den Schutz / die
       legt, ob er seiner dreijährigen Tochter nicht für       Gesundheit aller Menschen aufrechterhalten
       einen kleinen Moment ihren Herzenswunsch                könnte?
       erfüllen und sie schaukeln lassen sollte. Drei-       • Habt ihr andere Beispiele für Einschränkungen
       jährige Menschen können einfach noch nicht              von Kinderrechten? Habt ihr in eurem Alltag
       joggen gehen, um sich mal auszutoben. Für               konkrete Situationen erlebt, in denen ihr
       Mona wäre das Schaukeln wie Joggen, was den             in einem eurer Rechte eingeschränkt wart?
       Erwachsenen und Jugendlichen ja auch erlaubt            Konntet ihr die Einschränkung verstehen,
       ist. Gleichzeitig weiß er, dass er ein Verbot           nachvollziehen und akzeptieren – oder er-
       übertreten würde und das möchte Herr Matheo             schienen sie euch übertrieben und damit
       nicht. Er möchte seinen Kindern ein gutes Vor-          nicht verhältnismäßig? Welche Alternativen
12     bild sein und deutlich machen, dass man sich            hätte es gegeben?
Eingriffe in Grund-, Kinder- und Menschenrechte          um so sicherzustellen, dass die Maßnahmen keine
müssen verhältnismäßig sein. Als nicht angemessen       diskriminierende Wirkung haben“. In jedem Fall
(verhältnismäßig) wurde eine generelle, absolute        sind das Zusammenleben, Arbeiten, Kochen, Essen
Einschränkung der Bewegungsfreiheit bewertet.           und Ausspannen auf begrenztem Raum für alle
Den Weg einer sorgsamen Grundrechtsprüfung              sehr anstrengend. Die Einschränkung der Bewe-
beschreibt das Deutsche Institut für Menschen-          gungsfreiheit stellt daher eine empfindliche Ver-
rechte (DIMR) sehr gut nachvollziehbar in seiner        letzung des Rechts auf freie Entfaltung und gutes
Stellungnahme „Menschenrechte Älterer auch in           (Kinder-)Leben dar und dies macht sich je nach
der Corona-Pandemie wirksam schützen“ im April          räumlichen Verhältnissen und Möglichkeit auch
2020: „In Krisenzeiten muss auf die Einhaltung          unterschiedlich stark bemerkbar. Es ist daher
von Grund- und Menschenrechten verstärkt ge-            wichtig wahrzunehmen, dass trotz Einschränkung
achtet werden, weil deren Einschränkungen, auf-         der Bewegungsfreiheit, der Aufenthalt draußen
grund der Schwere der Gefahr für die gesamte            mit Toben, Rennen, Schreien oder Faulenzen auf
Bevölkerung, oft zu pauschal mit Argumenten des         der Wiese (mit bestimmten Regeln) möglich ist.
Gemeinwohls oder des Schutzes einzelner Grup-           Und wir empfehlen, davon am besten täglich Ge-
pen begründet werden. [ … ] Auf allen drei Ebenen       brauch zu machen. All dies stärkt das Immunsys-
der Prüfung der Verhältnismäßigkeit (geeignet,          tem und kommt sowohl dem Recht auf Gesundheit
erforderlich, angemessen) sind die verschiedenen        als auch auf dem nach Erholung sehr entgegen.
Lebenslagen von Menschen zu berücksichtigen,

  Beispiel 2: Freundschaft erhalten, auch,                Leons Argumente schon verstehen. Sie würde
  wenn man sich gerade nicht sehen kann                   Leon aber trotzdem gerne dazu bewegen, mal
  Marta, die ältere Schwester von Leon, möchte            mit an die frische Luft zu kommen.
  gerne einen Rat. Marta selbst ist 13 Jahre alt. Ihr
  Bruder Leon ist acht und besucht die dritte             Diskussionsfragen:
  Klasse. Normalerweise ist Leon wirklich gerne           • Habt ihr eine Idee, was Marta sagen / machen
  draußen. Das Wetter spielt dabei auch keine               könnte, um Leon zu bewegen, mit ihr mal
  Rolle. Selbst, wenn es draußen kühl und nass              rauszugehen? Könnt ihr verstehen, warum
  ist, geht Leon meist mit seinem besten Freund             Marta es wichtig ist, dass Leon auch mal raus-
  Timm raus. Wenn die beiden nicht mit anderen              geht? Versteht ihr Leons Motivation, nicht
  auf Wiesen oder Sportplätzen irgendwelche                 mehr rauszugehen? Habt ihr weitere Ideen,
  Ballspiele spielen, streifen sie durch die Nach-          wie Leon seine Solidarität mit Timm zeigen
  barschaft, bauen sich irgendwo Hütten, Brücken            könnte?
  oder andere Sachen. Und ausgerechnet jetzt in           • Das Problem Freundschaften (in Corona-
  Corona-Zeiten wird Leon zum Stubenhocker.                 Zeiten) zu pflegen kennt ihr bestimmt.
  Dabei ist das Wetter schön und rausgehen – mit            Was habt ihr erlebt? Was hat euch geholfen,
  Familienmitgliedern – ist doch auch erlaubt.              gut mit anderen im Kontakt zu bleiben?
  Aber weder Marta, noch Franz (Mamas neuer               • Gab es besonders schwierige Momente für
  Lebensgefährte, der bereits schon zwei Jahre              euch? Momente, in denen ihr nicht wusstet,
  mit in der Wohnung lebt und mit dem Leon sich             was ihr machen sollt und in denen ihr eure/n
  auch gut versteht) können Leon dazu bewegen,              beste/n Freund:in unbedingt in eurer Nähe
  mal vor die Tür zu gehen. Will er einfach nicht.          gebraucht hättet?
  „Ich geh wieder raus, wenn Corona zu Ende ist“,         • Gab es Momente, in denen ihr Streit mit
  meint Leon. Er begründet das damit, dass er               Freund:innen bekommen habt und wie kann
  nur draußen sein will, wenn Timm auch raus                man mit Streit in Zeiten von Kontaktsperren
  kann. Ohne seinen besten Freund Timm sei es               lösen?
  draußen einfach blöd und langweilig. Außerdem           • Habt ihr auch etwas Schönes, Neues ent-
  – und das ist wirklich ein starkes Argument –             deckt? Seid ihr vielleicht sogar mit jemanden
  fände Leon es unfair, wenn er rausgehen würde             in Kontakt gekommen, den ihr vorher noch
  und Timm nicht. Er wolle mit Timm solidarisch             nicht gut kanntet?
  sein. Und tatsächlich geht Timm aus Rücksicht
  auf seine Schwester, die chronisch krank ist,           Fragen, die darüber hinaus von Interesse
  und der der Virus sehr zusetzen könnte, gar             sein können:
  nicht raus. Nur manchmal auf den Balkon und             • Und was macht man, wenn man in Corona-
  da hat Marta Timm auch schon mal gesehen                  Zeiten frisch verliebt ist, sich unbedingt – am
  und sich mit ihm mit lautem Rufen auch ein                besten 24 Stunden am Tag – sehen möchte,
  bisschen austauschen können. Marta kann                   aber – weil man (noch) kein gemeinsamer
                                                                                                              13
Haushalt ist – sich nicht sehen darf? Wäre          Und klar, sie fände es furchtbar, wenn sie jetzt
       das leichter auszuhalten und eine Lösung zu         durch ihre Reise zur Mutter andere in der Familie
       finden, wenn man über seine Gefühle und              gefährden würde. Und vielleicht ist Lenas Mutter
       Wünsche offen mit anderen in der Familie             auch zu allen Fragen von (Hygiene-)Regeln etwas
       reden kann?                                         lockerer eingestellt als Leyla, die neue Lebens-
     • Habt ihr eine Idee, was man machen kann,            gefährtin ihres Vaters. Genau weiß sie das nicht.
       wenn man verliebt ist, aber auf keinen Fall mit     Aber sie möchte ihrer Mutter vertrauen können
       anderen in der Familie darüber reden mag?           und vermisst den Kontakt mit ihr. Sie hat sie
       (Hinweis für Lehrer:innen, die mit älteren          mittlerweile seit mehr als fünf Wochen nicht ge-
       Schüler:innen arbeiten: Sensibilität für nicht-     sehen und würde sie wirklich sehr gerne treffen
       heteronormative Liebes- und Lebenskonzepte          und auch sehr gerne mal in den Arm nehmen
       entwickeln)                                         können. Lena ist hin- und hergerissen, soll sie
                                                           noch weiter abwarten oder richtig loslegen und
     Falls Kinder und Jugendliche Sorgen oder Ängste       dafür kämpfen, dass sie endlich mal wieder Zeit
     haben und nicht mit Familienmitgliedern oder          mit ihrer Mutter verbringen kann?
     Freund:innen reden möchten, dann können sie
     anonym und kostenlos bei der Nummer gegen             Nun seid ihr gefragt:
     Kummer (Kinder- und Jugendtelefon) anrufen:           • Was ratet ihr Lena? Soll sie abwarten oder
     116111                                                  versuchen, unbedingt ihre Mutter treffen zu
                                                             können?
     Beispiel 3: Mutter treffen können, auch wenn           • Welche Kinder- und Menschenrechte spielen
     die Eltern nicht mehr zusammenleben                     hier eine Rolle? Welche geraten miteinander
     Lena ist wirklich traurig, wütend, aber auch ein        in Konflikt? Was passiert, wenn Menschen, die
     bisschen verunsichert, was das Richtige ist.            sich ganz nah sind, sich über einen längeren
     Die Neunjährige hat sich sehr darauf gefreut,           Zeitraum gar nicht sehen können? Warum ist
     das verlängerte Wochenende mal wieder bei               es wichtig für Lena, dass sie regelmäßig auch
     ihrer Mutter verbringen zu können. Lena lebt –          ihre Mutter sehen kann?
     seit der Scheidung der Eltern vor zwei Jahren –       • Und was sagen die Kinderrechte dazu? Was
     gemeinsam mit ihrem Vater, seiner neuen                 sagt Artikel 9 der UN-KRK dazu, in dem Fragen
     Lebensgefährtin und deren beiden Kindern, dem           der Trennung von den Eltern und der persön-
     vierjährigen Maxi und der elfjährigen Tabea. Sie        liche Umgang geregelt ist?
     fühlt sich wohl in der neuen Familienkonstella-
     tion, aber es ist ihr auch sehr wichtig, in Kontakt   Anmerkung für die Fachkraft: „Die Vertragsstaa-
     mit ihrer Mutter zu bleiben. Die wohnt 60 Kilo-       ten achten das Recht des Kindes, das von einem
     meter entfernt in einer Kleinstadt, ist aber als      der beiden Elternteile getrennt ist, regelmäßige
     Reiseleiterin viel unterwegs, weshalb es für Lena     persönliche Beziehungen und unmittelbare
     zum einen gut ist, in der Familie mit ihrem Vater     Kontakte zu den beiden Elternteilen zu pflegen,
     zu leben und zum anderen eben auch was Be-            soweit dies nicht dem Wohl des Kindes wider-
     sonderes ist, wenn sie ihre Mutter sehen kann.        spricht“. Das Wohl des Kindes ist entscheidend.
     Lena hatte auch Verständnis dafür, dass sie in        Und dies gilt es (wie immer) im Einzelfall zu
     der ersten Phase der Verunsicherung durch das         prüfen. Lenas Wohl würde entsprechen, sie zu
     Coronavirus aus Vorsicht auf einen Wochenend-         beteiligen und dabei nicht zu überfordern. Sie
     besuch verzichtet hat. Da war Lenas Mutter            braucht Unterstützung, eine schwierige Frage
     gerade von der Begleitung einer Reisegruppe in        sorgsam abwägen zu können. Sie braucht eine
     Südfrankreich zurückgekommen und wollte ab-           Begleitung durch Erwachsene, die ihr helfen,
     warten, was passiert. Aber jetzt hat Lenas Mutter     nachzuvollziehen, worum es geht. Sie braucht
     schon länger keine Reisegruppe mehr begleitet         Klärungshilfe und nicht Verunsicherung.
     und Lena versteht nicht, warum ihr Vater weiter-
     hin der Meinung ist, Lena solle „bis auf weiteres“    • Wenn wir all dies im Hinterkopf behalten
     auf die Besuche bei ihrer Mutter verzichten.            und dem Vater einen Brief schreiben wollten:
     Die Mutter sei einfach „nicht zuverlässig genug“,       Was könnten wir ihm schreiben? Wenn wir
     meint der Vater. Lena stört das immer, wenn der         als Rechtsanwält:in tätig werden wollten, wie
     Vater schlecht über seine ehemalige Frau redet.         würden wir argumentieren? Oder: wenn wir
     Kommt nicht oft vor, kommt aber vor – und Lena          Rechtsanwält:innen beraten wollten, was
     weiß, dass das eigentlich nicht okay ist. Es hat        würden wir ihnen raten, worauf müssen sie
     auch vor Corona manchmal Streit wegen den               achten, wenn die die Kinderrechte ernst und
     Besuchen gegeben. Da war Lena aber ganz klar,           wichtig nehmen?
     sie wusste, dass das es ihr Recht ist und dass
     sie (wenn sie es will) ihre Mutter auf jeden Fall
14   regelmäßig sehen darf. Doch jetzt ist sie unsicher.
„Handeln für die Menschenrechte“
– oder die Relevanz des Gleichheitsprinzips

Demokratien brauchen einen klaren Bezug auf           Vielfalt von Lebenssituationen mitdenken!
Grund-, Kinder- und Menschenrechte. Dies wird –
wie so vieles – durch die fortstehenden Herausfor-    Wenn wir uns in diesem Baustein mit dem Recht
derungen in der Covid-19-Pandemie sehr deutlich.      auf Nicht-Diskriminierung und dem Gleichheits-
Durch Grund-, Kinder- und Menschenrechte sind         prinzip auseinandersetzen, wollen wir vor allem
Sicherheitsgarantien in demokratische Entschei-       die Empathie und Hilfsbereitschaft von vielen Kin-
dungsprozesse eingebaut, die insbesondere dafür       dern und Jugendlichen würdigen und fördern.
sorgen sollen, dass alle in einer Gesellschaft Le-    Darüber hinaus wollen wir Räume öffnen, die Mut
benden gesehen, ihre Bedürfnisse gewürdigt und        machen, die Vielfalt von Lebenssituationen wahr-
alle gleichermaßen geschützt und beteiligt werden     zunehmen und Einblicke in besondere Lebensum-
können. Sie sind ein Korrektiv und helfen, Mehr-      stände, Herausforderungen und kinderrechtliche
heitsentscheide – die oftmals von Schlüsselak-        Fragestellungen anzubieten.
teur:innen mit den besten Absichten entwickelt
wurden – einer kritischen Prüfung zu unterziehen      Die Komplexität der deutlich gewordenen Frage-
und aufzuspüren, wo die Gefahr besteht, dass Ent-     stellungen besteht sicher fort und auch die Unsi-
scheidungen unfaire Wirkungen entfalten könn-         cherheiten, welche Wirkungen das Virus (und
ten. Die zur Verlangsamung der Ausbreitung des        seine möglichen Mutationen) weltweit auslösen
Virus getroffenen Entscheidungen haben alle in         werden, sind nicht überwunden. Ebenso offen
der Bundesrepublik lebenden Menschen beein-           bleiben die Fragen, welche Möglichkeiten des
flusst. Je nach Lebensumständen waren und sind         Schutzes gegen das Virus es gibt und wann die
Menschen jedoch unterschiedlich von den Ein-          gesundheitliche Gefahr als überwunden gilt. Es
schränkungen betroffen. Dies im Blick zu behalten      gibt daher fortbestehend die Herausforderung,
ist ein zentraler Aspekt einer menschenrechtsba-      Wege zu finden, Kinder und Jugendliche angemes-
sierten Ausrichtung. Menschenrechte brauchen          sen dabei zu unterstützen, von ihrem Recht auf
Menschen, die sich für die Bedürfnisse und Rechte     Information Gebrauch zu machen. Kinder und
anderer einsetzen. Gerade in der Auseinanderset-      Jugendliche haben ein Recht darauf, zu erfahren,
zung mit dem Gleichheitsprinzip der Kinder- und       was geschieht. Artikel 13 der UN-KRK beschreibt
Menschenrechte zeigen sich die Fähigkeiten zu         allgemein das Recht, sich zu informieren und In-
Empathie und Solidarität. „Handeln für die Men-       formationen mit anderen austauschen zu dürfen.
schenrechte“, sich für die Wahrung der Rechte         In Artikel 17 werden hierzu nähere Ausführungen
aller einzusetzen, ist vielen Kindern und Jugendli-   gemacht, die die Relevanz der medialen Aufberei-
chen ein Anliegen. Dies zeigt sich beispielsweise     tung beschreibt, der sowohl den Schutz als auch
in der Aussage einer der Befragten der „JuCo-Stu-     die Teilhaberechte der Kinder und Jugendliche in
die“ zu Erfahrungen und Perspektiven von jungen       den Blick nimmt.
Menschen während der Corona-Maßnahmen:

„Die Politik macht viele tolle Versprechungen und
stellt Regeln auf die zum größten Teil auch sinn-
voll sind; aber gerade diejenigen die es sowieso
schwer haben werden nicht berücksichtigt. Z. B.
Obdachlose (wie sollen sie die Hygiene Vorschrif-
ten einhalten), Kinder deren Eltern kein Deutsch
sprechen (wie sollen sie die Aufgaben für die
Schulen bearbeiten) oder Flüchtlinge (abstand
halten im Flüchtlingslager??). Viele Personen-
gruppen leiden um ein Vielfaches mehr durch die
aktuelle Situation und diese groß proklamierte
Solidarität sollte auch sie miteinschließen.“
(JuCo 2020, S. 14)                                                                                         15
Methoden, Übungen, Diskussionsanlässe

       Ausgangspunkt der Beschäftigung mit dem               • Hat sich dein Leben durch die Pandemie
       Recht auf Nichtdiskriminierung und Gleichheit           verändert?
       können selbstreflexive Fragestellungen sein.           • Hast du etwas dazu gewonnen?
       Sie laden einerseits dazu ein, Erfahrungen des        • Musst du auf was verzichten?
       eigenen Umgangs mit der fortbestehenden               • Was hilft dir „locker“ zu bleiben, den
       Pandemie einzubringen und sichtbar zu machen            Mut nicht zu verlieren?
       und legen dabei andererseits erste Spuren             • Hast du jemand Neues kennen gelernt?
       zur Förderung einer Solidaritätskultur:               • Erinnerst du dich an eine Situation, in
                                                               der dir jemand bei etwas helfen konnte?
                                                             • Konntest du jemanden helfen?
                                                             • Kennst du Leute, die Hilfe brauchen
                                                               könnten?
                                                             • …

     Die Bedeutung subjektorientierter Zugänge

     Wann immer wir Gesprächsanlässe anbieten, kön-          Alicia im Rahmen von KindGeRecht geführt
     nen wir feststellen, wie groß der Bedarf und wie        haben, berichtet diese, dass sie es genießt, länger
     vielfältig die Erfahrungen sind, die Kinder, Jugend-    ausschlafen und mehr Zeit mit ihren Eltern ver-
     liche aber auch Erwachsene teilen möchten. Auch         bringen zu können. Die Kontaktsperre und die
     die Studie „KiCo“ (Forschungsverbund „Kindheit –        fehlenden Möglichkeiten, Freund:innen treffen zu
     Jugend – Familie in der Corona-Zeit“) macht das         können, empfindet sie dagegen als große Beein-
     deutlich, in der insbesondere Erziehungsberech-         trächtigung. Außerdem berichtet sie von häufige-
     tigte ihre Perspektive schildern und die ihrer jünge-   ren Konfliktsituationen innerhalb der Familie:
     ren Kinder einbringen. Verunsicherungen und             „Man sieht sich natürlich auch viel öfter, der eine
     Herausforderungen bestehen weiterhin fort, daher        ist gereizt, der andere hatte einen schlechten Tag
     ist es wichtig, auf eine Herangehensweise zu            und dann rasselt man aneinander, wo normaler-
     achten, die die Resilienz fördert und der Vielfalt      weise gar kein Grund für einen Streit wäre.“
     der Empfindungen gerecht wird.
                                                             Die Würdigung sowohl schöner als auch schwieriger
     Bei der Thematisierung ungleicher Bedingungen           Erfahrungen hilft allen Beteiligten, eine Stimmung
     erscheint es uns wichtig, darauf zu achten, eine        zu entwickeln, in der sich ein Austausch gestalten
     möglichst beschämungs- und bewertungsfreie              und das Erleben von Handlungskompetenz ermög-
     (Lern- und Arbeits-)Atmosphäre zu gestalten.            lichen lässt. Auf dieser Grundlage können beson-
     Gewinnbringend kann in diesem Zusammenhang              dere Herausforderungen betrachtet und eine
     sein, Fragen so aufzuwerfen, dass sich alle glei-       Auseinandersetzung mit ungleichen Bedingungen
     chermaßen angesprochen fühlen können und                und daraus resultierenden Verletzungen des
     Unterschiede nicht personen- sondern themenbe-          Gleichheitsgebots angestoßen werden.
     zogen betrachtet werden. Fast alle können von
     guten und schlechten Momenten berichten. In
     einem Interview, das wir mit der sechzehnjährigen

16
Methoden, Übungen, Diskussionsanlässe

Von der erweiterten Glücksfrage über die             Ausgehend von der Betrachtung sehr unter-
Perspektiverweiterung zur Entwicklung von            schiedlicher (Wohn-)Verhältnisse, können die
Handlungsoptionen                                    Auswirkungen der im Zuge der Auseinander-
                                                     setzung mit der Pandemie ergriffenen Maßnah-
Als hilfreich hat sich in diesem Zusammenhang        men betrachtet und ihre unterschiedliche
erwiesen, sich zunächst einen Bezugs- und            Tragweite ermittelt werden.
Bewertungsrahmen zu erarbeiten bzw. sich wieder
mit diesem zu verbinden, ehe konkrete Situatio-      • Wie viel Platz braucht ein Mensch,
nen in spezifischen Kontexten betrachtet wer-           um sich gesund und glücklich fühlen
den können. Über den Einsatz der „erweiterten          zu können?
Glücksfrage“ können die Kinderrechte konkret
(wieder) benannt werden und damit eine Grund-        • Ist ein großes Haus ausschlaggebend
lage bieten, auf der Situationen bewertet und          dafür, dass man sich wohl und glücklich
entsprechende Handlungsoptionen entwickelt             fühlen kann?
werden können.
                                                     • Was braucht man, um gut am Leben
„Nenne fünf Aspekte / Dinge, die ein Mensch            teilnehmen, sich informieren und lernen
braucht, um sich gesund und glücklich fühlen zu        zu können?
können“ lautet dabei die Ausgangsfrage, zu der
Kinder Bilder malen, Jugendliche und Erwach-         Über diese Fragestellungen können unterschied-
sene Begriffe sammeln und im Austausch auf            liche Lebensumstände betrachtet, gemeinsam
wesentliche Aspekte einigen können. Die Samm-        Bedarfe ermittelt und entsprechende Hand-
lung kann mit den Kinderrechten verknüpft            lungsoptionen erarbeitet bzw. auf entsprechende
werden und gegebenenfalls. darauf verwiesen          Initiativen verwiesen werden. Die Corona-Krise
werden, dass das Recht auf Gesundheit mehr           wirkt dabei wie eine Art Brennglas, in der schon
meint „als die Abwesenheit körperlicher Gebre-       länger bestehende Frage- und Problemstellungen
chen“ und Teilhabe- und Entfaltungsmöglichkei-       plastisch sichtbar werden.
ten des Menschen einbezieht.
                                                     Wesentliche Kinderrechte sind dabei zentral
Auf dieser Grundlage können besondere Lebens-        berührt. Insbesondere in Bezug auf das Recht
umstände in beengten (Wohn-)Verhältnissen,           auf ein unbeschwertes Aufwachsen, zu dem
finanziellen oder anderen strukturellen Ein-          auch Freizeit und Erholungsmöglichkeiten
schränkungen betrachtet und zusätzliche Verun-       gehören, fördern die Auseinandersetzung mit
sicherungen in den Blick genommen werden.            der Pandemie und die ergriffenen Maßnahmen
All dies sollte sehr behutsam geschehen und          zentrale Erkenntnisse hervor. Dabei erleben
das Ziel verfolgen, Kinder und Jugendliche in        Kinder und Jugendliche unterschiedliche Arten
ihrer Wahrnehmungsfähigkeit zu fördern und           von Gefährdungen und Einschränkungen
sie in ihrem Bedürfnis nach „gerechten“ / „fairen“   dieses Rechts. Die Notwendigkeit einer grund-
Bedingungen zu stärken.                              legenden Überprüfung eingespielter Rituale
                                                     und Praktiken wird jedoch deutlich.

                                                                                                        17
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