Jetzt erst recht. Kinderrechte umsetzen trotz der Pandemie - Impulse und Methoden für die pädagogische Praxis.
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Jetzt erst recht. Kinderrechte umsetzen trotz der Pandemie Impulse und Methoden für die pädagogische Praxis. Hrsg: Makista e.V.
Impressum Jetzt erst recht. Kinderrechte umsetzen trotz der Pandemie November 2020 Hrsg.: Makista – Bildung für Kinderrechte und Demokratie e.V., Frankfurt / Main, www.makista.de Gefördert im Projekt „KindGeRecht!“ im Rahmen des Landesprogramms „Hessen aktiv – für Demokratie und gegen Extremismus“ Autorin: Christa Kaletsch, freie Autorin und Fortbildnerin in den Bereichen konstruktive Konfliktbearbeitung sowie Demokratie- und Menschenrechtsbildung und seit vielen Jahren tätig im „beratungsNetzwerk hessen. Gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“. Seit 2018 ist sie Co-Vorsit- zende des Landesverbandes der DeGeDe Hessen und von Makista e.V.. Redaktion: Hannah Abels, Sarah Tabatabai (Makista e.V.) Layout: von Zubinski, Frankfurt / Main www.vonzubinski.de Fotos: „Eure Meinung zählt“ Bilder von Clara Isabelle, Golda, Lilli und Matilda „Handeln für die Menschenrechte“ – Timotheus Kartmann 2
Inhaltsverzeichnis Einleitung des Herausgebers 03 „Eure Meinung zählt!“ 04 – oder wie wir im Bewusstsein des „best interest of the child“ zu einer kinderrechtlichen Rahmung zurückfinden können Das Recht auf Information: 06 kindgerecht, subjektorientiert und stärkend über das Leben in Zeiten von Corona berichten und sprechen Recht auf freie Entfaltung, Liebe, Geborgenheit, Gesundheit und Erholung! 09 Hinweise zu einer schutzrechtlichen Dimension „Handeln für die Menschenrechte“ 13 – oder die Relevanz des Gleichheitsprinzips Empfehlungen zum Weiterlesen 23
Liebe Leser:innen … … wissen Sie noch, was Sie sich zum Jahreswechsel Wie kann das gelingen? Wie können unter den 2019 / 2020 vorgenommen haben? Sicherlich war ständig wechselnden Vorgaben Räume geschaffen weder darunter, im Schrank endlich mal Extraplatz werden, in denen Kinder mitentscheiden können, für mehr Klopapier zu schaffen, noch zu lernen, wie sie ihren Alltag gestalten wollen? Wie erklärt wie man eine Mund-Nasen-Bedeckung näht oder man auch jüngeren Kindern das Virus, ohne auf mit den Kindern zu jedem Händewaschen ein Verkürzungen zurückzugreifen, die Vorurteile Geburtstagslied zu trällern. Dieses Jahr ist anders befördern? Wie können Ungleichheiten im Blick als alles, was wir uns vor ein paar Monaten vor- behalten werden, die auch vorher schon bestanden stellen konnten – und doch werden in der durch und jetzt noch verstärkt sind? Was kann man dem Covid-19 ausgelösten Pandemie die Bedingungen Gefühl der Ohnmacht von Kindern und Jugendli- besonders deutlich, unter denen sie entstanden chen entgegensetzen? ist und unter denen wir als Gesellschaft einen Umgang damit finden können und müssen. Und Im April, einige Wochen nach dem Lockdown, auch in der Coronakrise gelten die in der Verfas- begannen wir im Rahmen unseres Projekts „Kind- sung verbrieften Grund-, Menschen- und Kinder- GeRecht“, nach Antworten auf diese Fragen aus rechte weiter. Einschränkungen müssen immer Sicht der UN-Kinderrechtskonvention zu suchen. temporär, sorgfältig abgewogen und so gering wie Vier Pakete mit Denkanstößen, Empfehlungen möglich sein. und Übungen oder Diskussionsleitfäden sind über die letzten Monate entstanden, die wir in dieser Was das konkret bedeutet, darüber wurde in allen Broschüre zusammenführen. Auch wenn einige Phasen der Entwicklung seit dem ersten Fall von davon in der Zeit strengerer Maßnahmen verfasst Covid-19 in der Bundesrepublik geforscht, gespro- wurden und andere nach den Lockerungen, lassen chen und auch gestritten. Und diese Frage be- sie sich in verschiedenen Situationen nutzen – schäftigt uns alle jeden Tag aufs Neue – Sie als auch wenn sich die Lage in den nächsten Monaten pädagogisch Tätige auf ganz besondere Weise. sicherlich noch oft ändern wird. Denn Sie müssen einen Spagat schaffen, für den schon einiges an akrobatischem Vermögen nötig Wir hoffen, Sie und die Ihnen anvertrauten ist: einerseits sollen Sie den alltäglichen Betrieb Kinder damit stärken zu können, in Ihren Schulen, Kitas und Horts aufrecht erhalten und so zu einem Funktionieren der gesamten Ge- Ihr Makista-Team sellschaft beitragen, denn Ihre Arbeit ist – auch so ein 2020-Wort – „systemrelevant“. Andererseits haben Sie aber auch die Aufgabe und Pflicht, Kinder bei Ihrem Hineinwachsen in eine demokra- tische, die Würde jedes Einzelnen schützende Gesellschaft zu unterstützen, sie zu befähigen, als starke Subjekte eigene Entscheidungen zu treffen und dabei mit anderen solidarisch zu handeln. Sie sind also auch „systemrelevant“ für die Gesell- schaft von morgen. 5
„Eure Meinung zählt!“ – oder wie wir im Bewusstsein des „best interest of the child“ zu einer kinderrechtlichen Rahmung zurückfinden können Das Recht auf Partizipation (gerade jetzt) bewusst in den Blick nehmen Wie die Grund- und Menschenrechte gelten selbstverständlich auch die Kinderrechte in Aus- nahmesituationen vollumfänglich weiter. Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihres Ent- wicklungsstandes bei Fragestellungen, die sie betreffen, zu beteiligen. Dies verlangt Artikel 12 (Berücksichtigung des Kindeswillens) der UN- Kinderrechtskonvention. Der Würdigung der Partizipationsrechte, konkret dem Recht auf Information und Meinungsfreiheit (Artikel 13), aber auch auf Beteiligung und Mit- bestimmung (Artikel 12), kommt auch in der Aus- nahmesituation eine besondere Bedeutung zu. Partizipation und das Prinzip des „Kindeswohlvor- behaltes“ (dessen Anspruch, Kinder und Jugend- „Freunde treffen, sich an einen versteckten Ort zu- rückziehen können, Spielen und Sport machen …“ – diese und ähnliche Aussagen fehl(t)en eigentlich nie, wenn wir Kinder und Jugendliche um ihre Methoden, Übungen, Diskussionsanlässe Meinung frag(t)en, was „ein Kind braucht, um gut und glücklich leben zu können“. Dazu kommen Ausgehend von möglichst offenen Fragestel- oft auch Aspekte wie „ein Zuhause, keine Angst lungen kann man um Eindrücke, Erfahrungen haben müssen, Erwachsene, denen man vertraut, und Anregungen für Ideen zum Umgang mit ein Ziel haben können“. Diese Aussagen aus weiteren Maßnahmen bitten: Einstiegen einer subjektorientierten Kinderrechts- bildung lesen sich in Zeiten der sogenannten • Was hat euch bisher geholfen, mit der Corona-Krise nochmal ganz besonders. Sie ver- schwierigen Situation klarzukommen? deutlichen, worauf Kinder und Jugendliche in • Was habt ihr erlebt? Zeiten von Schul- und Kitaschließungen und der • Gab es besondere Momente in eurer massiven Kontaktsperre verzichten müssen und Familie, dem Ort, an dem ihr lebt? wie gravierend die zur Eindämmung der Pandemie • Welche Schwierigkeiten sind aufgetreten ergriffenen Maßnahmen für das Leben von Kin- und wie konntet ihr sie meistern? dern und Jugendlichen sind bzw. sein können. • Wer und was hat euch in schwierigen Momenten geholfen? • Hattet ihr auch mal ein richtig gutes Erlebnis, von dem ihr uns berichten wollt? 6
liche aktiv zu beteiligen, lässt sich besser in der der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen englischen Fassung „best interest of the child“ durchaus ergeben? Wo haben Erwachsene sie vermitteln) sind zentrale Aspekte der Kinderrechts- (auch unter dem Druck, viele Entscheidungen konvention. Kinder und Jugendliche sind u. a. schnell treffen zu müssen) vielleicht übergangen? von der Schließung von Schule, Kita und insbe- sondere auch allen ihren Freizeitorten massiv betroffen. An der Entscheidung darüber, ob und Es wird Zeit, Kinder nach ihren Erfahrungen wie die Schließung vollzogen wurde, waren sie zu fragen: Anregungen und Hinweise nicht beteiligt. Wir möchten daher unser „Paket“ zur Auseinander- Dies lässt sich in Anbetracht der von vielen Men- setzung mit der sogenannten Corona-Krise mit schen als verwirrend und bedrohlich empfundenen Blick auf die Demokratie- und Kinderrechtspäda- Ausgangssituation der Pandemie sicher nach- gogik mit einer starken Einheit zur Förderung des vollziehen. Und man kann die Nichtbeachtung des Rechts auf Meinungsfreiheit eröffnen und Multipli- Rechts auf Mitbestimmung sicher grundsätzlich kator:innen (Lehrer:innen / Erzieher:innen und an- erstmal als angemessen betrachten. Die Entschei- dere mit Kindern und Jugendlichen pädagogisch dung darüber hätte Kinder, Jugendliche (und Tätige) dabei unterstützen, Kinder und Jugendliche auch viele Erwachsene) sicher sehr belastet und dazu einzuladen, von ihren Erfahrungen zu berich- vielleicht auch überfordert (Abwägung der ge- ten und ihre Ideen einzubringen. Dabei möchten sundheitlichen Risiken und der ausdrücklichen wir dafür werben, Kinder und Jugendliche vor allem Beschäftigung mit Leben und Tod). auch in ihrer Expertise und kreativen Lösungs- kompetenz wahrzunehmen und entsprechend zu Trotzdem ist es wichtig, den die gesamte Kinder- adressieren. Sie sind Expert:innen ihres Alltags. rechtskonvention „überwölbenden“ Anspruch des Es kann gewinnbringend für alle sein, zu erfahren, Kindeswohlvorbehalts gerade in Zeiten der Aus- wie sie mit den verschiedenen Herausforderungen nahme und der Einschränkung von Grund-, Men- klargekommen sind und klarkommen. schen- und Kinderrechten bewusst in den Blick zu nehmen: Wo würden sich Gelegenheitsräume Mit zirkulären oder metaphorischen Fragen Methodischer Hinweis können nochmal weitere Perspektiven geöffnet (traumasensibler Aspekt) werden: Da die Ausnahmesituation noch weiter anhält • Wenn ihr Politiker:innen einen Rat geben bzw. ihr Ende nicht wirklich klar definiert ist und könntet / solltet: was würdet ihr ihnen emp- darüber hinaus davon auszugehen ist, dass fehlen: gibt es Dinge, die wichtig sind, damit manche Kinder und Jugendliche wiederkehrend Menschen in einer solchen Ausnahmesitua- schwierige Situationen erleben, aus denen sie tion gut klarkommen können? Habt ihr das auch nicht so leicht aussteigen können, emp- Gefühl, es wurde was Wichtiges vergessen? fiehlt es sich, die Frage(n) so zu stellen, dass Habt ihr einen Vorschlag, woran man denken die Befragten immer die Wahl haben, inwieweit sollte, wenn man nochmal in diese Situation sie sich öffnen möchten. Dies stärkt ihre Hand- oder eine ähnliche Situation kommt? lungskompetenz und ermöglicht einen (z.T. • Wenn ihr anderen Kindern und Jugendlichen, unterbewusst funktionierenden) emotionalen die einer ähnlichen Situation sind wie Selbstschutz. Es empfiehlt sich, nicht direkt ihr, einen Rat geben könntet, was würdet ihr nach schwierigen und schlimmen Situationen ihnen raten? zu fragen, sondern vielmehr die Möglichkeit zu • Stellt euch vor, ein „Außerirdischer“ käme eröffnen, sich handlungskompetent zu erleben auf die Erde, was würdet ihr ihm erzählen, und rückwirkend auf schwierige Situationen was bei uns so los ist? blicken zu können. • Stellt euch vor, Forscher:innen wollten in einem Gedankenexperiment eine neue Erde gründen. Was würdet ihr ihnen empfehlen: worauf muss man achten, wenn man gut leben möchte bzw. wenn man sicherstellen will, dass alle gut und glücklich leben können? 7
Das Recht auf Information: kindgerecht, subjektorientiert und stärkend über das Leben in Zeiten von Corona berichten und sprechen In den Anfängen der sogenannten Corona-Krise Hinweise zur Gestaltung kindgerechter, waren viele Menschen sehr verunsichert. Eine subjektorientierter Wege Medienberichterstattung, in der Bilder auswegloser Situationen dominierten: Bilder von schwer er- Diejenigen, die Kinder und Jugendliche auf ihren krankten Menschen, denen Intensivmedizin nicht Lernwegen begleiten, sollten im Bewusstsein be- wirklich zu helfen vermochte oder überfüllten halten, dass diese ein Recht darauf haben, Fragen Krankenhäusern trugen dazu bei, dass Ängste und zu stellen und Antworten zu bekommen. Das heißt Sorgen entstanden. Dem Wunsch nach Informa- nicht, dass die Erwachsenen auf jede Frage eine tionen nachzukommen und dabei eine fundierte Antwort parat haben müssen. Sie dürfen ruhig zu- Informiertheit zu erlangen, konnte nicht leicht geben, wenn sie was nicht wissen. Dann können entsprochen werden. Die dadurch entstandenen sie den Kindern und Jugendlichen helfen, Infor- Unsicherheiten waren sicher auch für Kinder und mationen zu suchen oder andere Ansprechpart- Jugendliche spürbar. Deshalb ist es sehr wichtig, ner:innen zu finden. nun zahlreiche Gelegenheitsräume zu schaffen, in denen Kinder und Jugendliche, wenn sie es möchten, ihr Erleben beschreiben können und Zentral erscheint uns dabei: dabei unterstützt werden, ihre Wahrnehmungen, Befürchtungen und Bedürfnisse zu reflektieren. • eine Aufbereitung der Informationen, die Die Komplexität der deutlich gewordenen Frage- Erklärungen anbietet, die die Kinder stärken stellungen besteht sicher fort und auch die Unsi- und nicht zusätzlich verunsichern. cherheiten darüber, welche Wirkungen das Virus • Die Informations- und Bildungsangebote (und seine möglichen Mutationen) weltweit aus- sollten sich an den Fragen der Kinder und lösen werden, sind nicht überwunden. Ebenso offen Jugendlichen orientieren. bleiben die Fragen, welche Möglichkeiten des • Bei komplexen Zusammenhängen, wider- Schutzes gegen das Virus es gibt und wann die ge- sprüchlichen Erkenntniswegen und fortbeste- sundheitliche Gefahr als überwunden gilt. Es gibt henden Unsicherheiten sollten diejenigen, daher fortbestehend die Herausforderung, Wege die Informationen anbieten, nichts vereindeu- zu finden, Kinder und Jugendliche angemessen tigen, was nicht klar und eindeutig ist. Das dabei zu unterstützen, von ihrem Recht auf Infor- Offenhalten und wertschätzende Darstellen mation Gebrauch zu machen. Kinder und Jugend- von Suchbewegungen – z. B. von Wissenschaft- liche haben ein Recht darauf, zu erfahren, was ler:innen nach Deutungen und Lösungen – geschieht. Artikel 13 der UN-KRK beschreibt all- kann ermunternd auf die Lernenden wirken. gemein das Recht, sich zu informieren und Infor- Es fördert das Mitdenken und verdeutlicht mationen mit anderen austauschen zu dürfen. den Wert kreativer Lösungsfindung durch das In Artikel 17 wird die Relevanz einer medialen Auf- Bilden und Abwägen von Thesen, Antithesen bereitung beschrieben, die sowohl den Schutz und eine darauf aufbauende Thesenbildung. als auch die Teilhaberechte der Kinder und Jugend- Dadurch kann eine der Komplexität angemes- liche in den Blick nimmt. sene Gelassenheit entstehen, die geeignet ist, die Ambiguitätstoleranz (Widerspruchstoleranz) bei den Lernenden zu fördern. • Komplexität reduzierende Erklärungsansätze bergen immer die Gefahr der Reproduktion diskriminierender, rassistischer Deutungen. Daher sollten sich – gerade bei dem Bemühen um verständliche Erläuterungen komplexer Zusammenhänge – die Erläuternden um einen diskriminierungssensiblen Blick bemühen. 8
Eine beispielgebende Art der gelungenen Erläute- Informationsvermittlung zu „Recht auf Gesund- rung bieten die Beiträge zu Corona von Autor heit“, die die Handlungsfähigkeit stärkt und Fernsehmoderator Ralph Caspers auf der „Seite mit der Maus“. In diesem Sendeformat geht Die Problematik von Virus-Erkrankungen wird uns Caspers regelmäßig Fragen von Kindern nach, ggf. noch eine Weile begleiten. Daher erscheint ordnet sie ein und erklärt die Hintergründe es sinnvoll, sich mit Strategien zu beschäftigen, gleichermaßen kindgerecht, wertschätzend und wie man zusammenkommen und dabei die Gefahr, diskriminierungssensibel. sich gegenseitig anzustecken, minimieren kann. Im Moment werden verschiedene Ideen zur För- In dem Beitrag zu „Was macht das Beatmungs- derung der Prävention und des Schutzes diskutiert gerät?“ lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie eine und ausprobiert: Tragen einer Mund-Nase-Bede- stärkende und nicht verunsichernde Darstellung ckung, Vermeiden von Händeschütteln, Distanz- gelingen kann: Caspers Erläuterungen verzichten Zonen, richtiges Händewaschen. Bei der Beschäf- auf jegliche Assoziationen zu Intensivstationen, tigung damit kann der Blick für verschiedene Schwerkranken und Sterbenden. Sie ist daher auch kulturelle Praktiken (gute Erfahrungen mit dem traumasensibel. Er zeigt ein Bild des Beatmungs- Mundschutz in Japan, alternative Begrüßungsfor- geräts und erläutert dann an selbst entwickelten men) geöffnet und gemeinsam kreative Lösungen Modellen (in denen Alltagsgegenstände zum Einsatz gefunden werden (Lieder zur Begleitung des kommen) die physikalischen und humanbiologi- Händewaschens, Lernen von Gebärden zur Kom- schen Vorgänge. Seine Darstellungsart ist gleicher- munikation auf Abstand). maßen gelassen wie begeisternd. Dem kann jede:r gut folgen, ohne sich fürchten zu müssen. Zentrales Anliegen bei der Beschäftigung mit den verschiedenen Verhaltensregeln und Umgangs- Wenn Caspers Fragen nach dem Virus und seinen formen ist die begleitende Haltung. Es erscheint Wirkungen auf den Menschen bzw. im Menschen uns wesentlich, aus der Logik des Verbietens aus- beschreibt, dann vermeidet er personalisierende zusteigen, die die in einem Gemeinwesen zusam- Darstellungen. Deutlich wird das Universelle des menlebenden Menschen zu „Unmündigen“ macht Virus, das Menschen überall auf der Welt zu schaf- und ihnen die Fähigkeit des verantwortungsbe- fen machen kann. Es ist ein biologisches Phäno- wussten Handelns und des Mitdenkens abspricht. men, das er erläutert, so gut er kann, gelassen und Dem könnte und sollte man Strategien der Er- fasziniert zugleich: „Von so was Kleinem, das so mächtigung und Aufklärung entgegensetzen. Damit viel Ärger machen kann“. Wichtig erscheint dabei, werden alle mit ihren Fähigkeiten einbezogen und dass in Caspers Ausführungen klar zwischen dem ein Bewusstsein für die Rechte der sozialen Teil- Virus und den Menschen, die von ihm betroffen habe aller und den damit verbundenen Chancen sind unterschieden wird. Es geht immer darum zu für das Zusammenleben (in Zeiten von Corona verstehen, was das Virus tut und durch welche und anderen Krisen) gestärkt. Handlungspraxen man sich vor dem Virus schützen kann. Dies ist in Zeiten von „Social-Distancing“ (Räumliche Distanzierung) sehr wichtig, denn es Anregungen zur Auseinandersetzung mit der passiert schnell, dass das Empfinden entsteht, Fragestellung „Woher kommt das Virus?“ der / die jeweils Andere stelle eine potentielle Ge- fahr (der Ansteckung) dar. Dies ist eine spannende Frage, die auch eine Vielzahl (rassismus- und kapitalismus-)kritischer Aspekte aufwirft. Gerne hätten wir eine einfache Antwort auf die Frage „Woher kam das Virus so plötzlich?“, so zu Beginn der Ausbreitung des Virus in Deutschland von der logo!-Kindernachrichten- redaktion aufgeworfen. Logo! erklärt, chinesische Forscherinnen und Forscher seien ziemlich sicher, dass das Virus zuerst von einem Schuppentier, einem Säugetier aus Asien, auf Menschen über- tragen wurde. Es werde dort verbotenerweise ver- kauft, weil manche sein Fleisch gerne essen. Diese Erläuterung ist aus zweierlei Hinsicht problema- tisch: Zum einen war man sich in der Forschung schnell gar nicht mehr so sicher, ob nicht vielmehr Fledermäuse und nicht das erwähnte Schuppen- tier der Anfang der Pandemie ist. Vor allem aber suggeriert der Text, es gäbe da im fernen China Leute, die einen Fehler und was Böses gemacht 9
haben, weswegen jetzt die ganze Welt ein Riesen- Solidarität oder Spaltung – die Problematik problem hat. Diese Erklärung ist zu einfach und (alters-)diskriminierender Erklärungsmuster mit Blick auf diskriminierungssensible Überlegun- gen sehr unglücklich. Wenn Caspers auf der An dieser Stelle soll abschließend noch auf die „Seite mit der Maus“ der Frage nachgeht, woher Problematik Ungleichheit (re-)produzierender das Virus kommt, verzichtet er auf Verallgemeine- Erklärungsmuster hingewiesen werden. Für ein rungen. Er versteht es, die Zuschauer:innen auf Hinnehmen der massiven Einschränkungen in dem Weg des Nichtwissens und des noch nicht die Grund-, Kinder- und Menschenrechte wurde endgültig Erforschten mitzunehmen und vermeidet häufig mit einem Appell an das Mitgefühl gewor- die Reproduktion rassistischer Zuschreibungsme- ben, das bestimmte Bevölkerungsgruppen als chanismen. besonders schutzbedürftig kennzeichnete. Damit fand eine Reduktion auf ein Merkmal ihrer Person, In komplexen und verunsichernden Situationen z. B. Alter, Krankheit, Behinderung statt, die der steigt der Wunsch nach einfachen und möglichst Vielheit und Komplexität jedes Individuums nicht eindeutigen Erklärungen. Werden schwierig zu entspricht. Darüber hinaus wurden auf diesem Bild erfassende Geschehnisse reduziert dargestellt, Zugehörigkeit und Teilhabe neu verhandelt: die besteht immer die Gefahr, dass dabei diskrimi- auf das Krankheitsrisiko reduzierten Menschen nierende Bilder und Deutungen entstehen. Dies wurden zu denen gemacht, „wegen derer nun alle kann bewusst oder unbewusst geschehen (z. B. im zuhause bleiben müssen“. In der Auseinander- Spiegel 06 / 2020: Corona-Virus. Made in China. setzung um potentiell nicht ausreichende Intensiv- Wann die Globalisierung zur tödlichen Gefahr betten wurden ganz selbstverständlich Wertig- wird). Unabhängig von der Absicht empfehlen wir, keitsdiskurse belebt, die insbesondere auf Men- die Wirkung dieser Aussagen in Worten oder schen mit Behinderung beunruhigende Wirkungen Bildern aufzugreifen und kritisch zu reflektieren. entfalteten. Altersdiskriminierende und die Würde Denn diese Deutungsmuster bleiben nicht wir- verletzende Formen nahmen die öffentlichen Dis- kungslos: Von Anbeginn der Berichterstattung kurse an, als Politiker:innen begannen, darüber über die durch das Corona-Virus ausgelösten zu diskutieren, ob für Menschen, deren Lebenser- Krankheitswelle nahmen Anfeindungen und An- wartung sowieso gering sei, ein das gesamte griffe auf Menschen zu, die als Asiat:innen wahr- (Wirtschafts-)Leben blockierender Lockdown genommen werden. angemessen sei. Das Deutsche Institut für Men- schenrechte mahnt in seiner im April 2020 Als Alternative zu einer reduzierten Darstellungs- veröffentlichten Stellungnahme „Menschenrechte weise bietet sich eine „kritische Forschungsreise“ Älterer auch in der Corona-Pandemie wirksam an, in der geografische, biologische und volkswirt- schützen“ einen sorgsamen Umgang mit „Alters- schaftliche Fragen zum Tragen kommen und die bildern“ an: „Ältere bilden keine homogene Gruppe, globalen Zusammenhänge erfahrbar werden. Die sondern das Risiko hängt vom individuellen Ge- Corona-Krise ist eine von vielen Krisen, die damit sundheitszustand und von der Lebenssituation ab. zu tun haben, wie der Mensch an vielen verschie- Wird zu häufig betont, dass Ältere vor allem schutz- denen Stellen die natürlichen Gegebenheiten bedürftig seien, werden negative Altersbilder der Erde ausbeutet und damit Rückzugsräume für bekräftigt, die dann beim weiteren Umgang mit Tiere verletzt. Darüber hinaus birgt die industrielle der Krise auch Grundlage für diskriminierende Verwertung von Tieren in der weltweit tätigen Regelungen sein können.“ Nahrungsmittelindustrie weitere Gefahren globa- ler Viruserkrankungen. Um der Gefahr des Ausbruchs weltweiter Pande- mien nachhaltig zu begegnen zu können, bedarf es eines grundlegenden Umdenkens. In den Überlegungen zur „Welt nach Corona“, die von ver- schiedenen Medien (u. a. der Frankfurter Rund- schau) angeregt werden, spielen verschiedene Aspekte der globalen Verflechtungen eine Rolle. Diese sind an vielen Stellen anschlussfähig an die Anliegen der Fridays for Future-Bewegung. Ein Nachdenken über die Entwicklung des Umgangs mit den Gegebenheiten des Erdballs hat eine zukunftsweisende Richtung. Von den hier getroffe- nen Entscheidungen sind Kinder und Jugendliche zentral betroffen. Daher regen wir eine partizipa- tive Auseinandersetzung hierzu an. 10
Recht auf freie Entfaltung, Liebe, Geborgenheit, Gesundheit und Erholung! Hinweise zu einer schutzrechtlichen Dimension Die gegenwärtige Situation des Lebens mit der scheidungen nachvollziehen und mitzubestimmen fortbestehenden Gefahr durch das Corona-Virus zu können und sich in seinen emotionalen Bedürf- wirft große menschen- und kinderrechtliche Di- nissen geachtet zu erleben. Gesundheit beschreibt lemmata auf. Denn im Bemühen, möglichst viele einen „Zustand des vollständigen körperlichen, Menschen vor einer Infektion mit dem Virus zu geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht schützen, werden andere für das Leben und die nur das Freisein von Krankheiten und Gebrechen“, Gesundheit wichtige Kinder- und Menschenrechte hebt Michael Krennerich, Experte für wirtschaft- eingeschränkt oder gar verletzt. Die besondere liche, soziale und kulturelle Rechte in seinem Herausforderung besteht darin, dass es nun häu- Standardwerk „Soziale Menschenrechte. Zwischen fig um Eingriffe in Rechte mit schutzrechtlicher Recht und Politik“ (2003 im Wochenschau Verlag Dimension geht. Rechte also, die als absolut be- erschienen) hervor. Die im März ergriffenen trachtet werden müssen und die vor Verletzungen Maßnahmen verfolgten das Ziel, die Ausbreitung und Einschränkungen schützen. Mit Menschen im der Pandemie zu verzögern. Dadurch zeigt sich Kontakt sein, die man liebt und deren Nähe man das Bemühen, dem Recht auf Gesundheit zu ent- schätzt, frei zu wählen, wen man trifft und wie nah sprechen und gleichzeitig wird damit auch seine man sich dabei kommen möchte, rauszugehen, Durchsetzung eingeschränkt. Deshalb erscheint frische Luft tanken, sich zu bewegen, toben, spie- es uns wichtig, genau hinzuschauen, was die len oder sich zurückziehen zu können – alles ganz beschlossenen Einschränkungen wirklich bedeuten wesentliche Rechte, durch die sich die freie Ent- und vor allem auf welcher Grundlage all dies ge- faltung des Menschen ausdrückt und in die einzu- schieht. Die politisch Verantwortlichen treffen ihre greifen eine wesentliche Verletzung von Grund-, Entscheidungen nicht in einem luftleeren Raum. Kinder- und Menschenrechten darstellt. In diese Sie sind an die demokratischen Verfahrensregeln wurde auch in Deutschland seit der am 23. März gebunden, diese wiederum schützen die in einer 2020 beschlossenen weitreichenden Kontakt- demokratisch verfassten Gesellschaft lebenden beschränkung wiederkehrend eingegriffen. Die Menschen vor Willkür und Machtmissbrauch. Die Kinder- und Menschenrechte gelten dabei vollum- Bundesrepublik Deutschland hat aufgrund der fänglich weiter. Aus diesem Grund ist es wirklich Erfahrung mit ihrer Geschichte (dem historischen wichtig, jeden Schritt, jede Entscheidung gut Nationalsozialismus) im Grundgesetz wichtige abzuwägen und ergebnisoffen zu bleiben. Verfahrenswege entwickelt, um die Verantwortung über derart gravierende Fragen auf mehrere Ent- scheidungsträger:innen und Gremien zu verteilen Das Recht auf Gesundheit ist auch ein Recht und ausreichend Diskussions- und Einspruchs- auf freie Entfaltung rechte zu ermöglichen. Das kann dazu führen, dass Entscheidungen länger dauern und dass auch Läden konnten nach und nach wieder öffnen, an verschiedenen Stellen unterschiedliche Rege- manche blieben geschlossen oder mussten wieder lungen gefunden werden. Allen gemeinsam ist das schließen, die Bewegungsfreiheit bleibt einge- Bemühen und die Verpflichtung, einen Weg in schränkt und doch auch möglich, Sport- oder Achtung der Grund- und Menschenrechte aller zu Spielplätze sind Stellen (temporär) geöffnet etc. finden. Er sollte dem vorrangigen Interesse des Dies alles kann ganz schön verwirrend sein. Damit Rechts auf eine gute Gesundheit(-sversorgung) gelassen und wertschätzend umzugehen, stellt entsprechen und gleichzeitig die anderen Grund- wiederum einen wesentlichen Beitrag zur Durch- rechte im Blick behalten. setzung des Rechts auf Leben und Gesundheit in seinem weitreichenden Verständnis dar. Denn das Recht auf Gesundheit bedeutet mehr, als das Überleben zu sichern und die körperliche Unver- sehrtheit in den Blick zu nehmen. Zum Recht auf Gesundheit gehört auch das Recht, sich entfalten zu können, das Wohlbefinden betreffende Ent- 11
Ausgangssperre!? Spielen, Ruhen, Toben und nahmenkatalog vor, der das Betreten des öffentli- Rennen sind weiterhin erlaubt chen Raums in vielfältigen Situationen zulässt“ (vgl. Ruschemeier & Peters: Verfassungsblog. Allein In der aktuellen Situation wird in zentrale Persön- in öffentlichen Raum. Social Distancing zwischen lichkeitsrechte, in die allgemeine Handlungsfrei- Ausgangsbeschränkung und Kontaktverbot). heit, die Bewegungsfreiheit (Freizügigkeit) und die Versammlungsfreiheit eingegriffen. In der Bundes- Die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepu- republik Deutschland gilt generell keine absolute blik Deutschland haben sich gegen eine generelle Ausgangssperre. Eine Ausgangssperre stellt eine Ausgangssperre und für die Einschränkungen des sehr starke Verletzung der Grund- und Menschen- sozialen Kontakts (Kontaktverbot) entschieden. rechte dar. Sie ist in Deutschland nur in ganz spe- Dies kann man als das vergleichbar weichere Mit- zifischen Situationen (mit einer plötzlichen großen tel betrachten. In der Suche nach dem möglichst Krankheitswelle) in einzelnen kleinen Gemeinden schwächeren Eingriff zeigt sich das Bewusstsein erlassen worden. „Von ‚klassischen‘ Ausgangssper- darüber, dass jedes Verbot einen massiven Eingriff ren unterscheiden sich die genannten Regelungen in die Grund- und Menschenrechte und damit – auch wenn sie teilweise ausdrücklich als solche letztendlich in die demokratische Verfasstheit der bezeichnet werden – trotz allem erheblich. Denn Gesellschaft bedeutet. Nochmal zur Erinnerung: alle Regelungen sehen bislang einen breiten Aus- Methoden, Übungen, Diskussionsanlässe an Regeln halten muss. Dazu müssen Regeln aber auch durchdacht und sinnvoll sein, denkt „Eure Meinung zählt! Jetzt seid ihr Felix Matheo weiter. Und irgendwie kommen als Verfassungsrechtler:innen gefragt. ihm Zweifel, ob die Regel an dieser Stelle sinn- Verhältnismäßig oder nicht?“ voll ist. Für belebtere Momente des Tages ist er damit absolut einverstanden: sind viele Kinder Die Bewegungsfreiheit unterliegt allerdings be- zusammen, kann man den Abstand nicht ein- stimmten Regeln, von denen zunehmend mehr halten. Aber jetzt ist ja außer Mona und ihrem als diskussionswürdig betrachtet werden. Im Bruder niemand da. Da könnte er doch einfach Folgenden finden sich methodische Anregungen, mit den Kindern über das Band steigen und wie Schüler:innen dazu eingeladen werden Mona erlauben, zu schaukeln. können, anhand konkreter (authentischer) Beispiele Kinder- und Grundrechtsfragen zu Diskussionsfragen: diskutieren. Dabei kann die Kompetenz der • Was denkt ihr darüber? Wäre dies zulässig Güterabwägung gefördert und ein Bewusstsein oder nicht? für die Kinderrechte gestärkt werden. • Welche Rechte sind betroffen, wenn ihr über die Situation nachdenkt? Beispiel 1: Schaukeln verboten • Wie bewertet ihr die (vergangene) generelle Felix Matheo, der Vater des siebenjährigen Leo Sperrung aller Spielplätze? Findet ihr, das und der dreijährigen Mona, ist an einem frühen war verhältnismäßig? Oder stellte die absolute Sonntagvormittag mit seinen Kindern und dem Sperrung der Spielplätze einen zu starken Dackel Maxi unterwegs. Außer zwei anderen Eingriff in die Kinderrechte dar? Hundebesitzer:innen ist noch niemand unter- • Welche Alternativen gäbe es für diese wegs. Sie passieren den vor Wochen vom Situation? Grünflächenamt mit einem Band gesperrten • Habt ihr Ideen, wie man Spiel- und Sport- Spielplatz. Außer Herrn Matheo und seinen Kin- plätze nutzen könnte und gleichzeitig die dern ist niemand zu sehen. Herr Matheo über- Hygienevorschriften und den Schutz / die legt, ob er seiner dreijährigen Tochter nicht für Gesundheit aller Menschen aufrechterhalten einen kleinen Moment ihren Herzenswunsch könnte? erfüllen und sie schaukeln lassen sollte. Drei- • Habt ihr andere Beispiele für Einschränkungen jährige Menschen können einfach noch nicht von Kinderrechten? Habt ihr in eurem Alltag joggen gehen, um sich mal auszutoben. Für konkrete Situationen erlebt, in denen ihr Mona wäre das Schaukeln wie Joggen, was den in einem eurer Rechte eingeschränkt wart? Erwachsenen und Jugendlichen ja auch erlaubt Konntet ihr die Einschränkung verstehen, ist. Gleichzeitig weiß er, dass er ein Verbot nachvollziehen und akzeptieren – oder er- übertreten würde und das möchte Herr Matheo schienen sie euch übertrieben und damit nicht. Er möchte seinen Kindern ein gutes Vor- nicht verhältnismäßig? Welche Alternativen 12 bild sein und deutlich machen, dass man sich hätte es gegeben?
Eingriffe in Grund-, Kinder- und Menschenrechte um so sicherzustellen, dass die Maßnahmen keine müssen verhältnismäßig sein. Als nicht angemessen diskriminierende Wirkung haben“. In jedem Fall (verhältnismäßig) wurde eine generelle, absolute sind das Zusammenleben, Arbeiten, Kochen, Essen Einschränkung der Bewegungsfreiheit bewertet. und Ausspannen auf begrenztem Raum für alle Den Weg einer sorgsamen Grundrechtsprüfung sehr anstrengend. Die Einschränkung der Bewe- beschreibt das Deutsche Institut für Menschen- gungsfreiheit stellt daher eine empfindliche Ver- rechte (DIMR) sehr gut nachvollziehbar in seiner letzung des Rechts auf freie Entfaltung und gutes Stellungnahme „Menschenrechte Älterer auch in (Kinder-)Leben dar und dies macht sich je nach der Corona-Pandemie wirksam schützen“ im April räumlichen Verhältnissen und Möglichkeit auch 2020: „In Krisenzeiten muss auf die Einhaltung unterschiedlich stark bemerkbar. Es ist daher von Grund- und Menschenrechten verstärkt ge- wichtig wahrzunehmen, dass trotz Einschränkung achtet werden, weil deren Einschränkungen, auf- der Bewegungsfreiheit, der Aufenthalt draußen grund der Schwere der Gefahr für die gesamte mit Toben, Rennen, Schreien oder Faulenzen auf Bevölkerung, oft zu pauschal mit Argumenten des der Wiese (mit bestimmten Regeln) möglich ist. Gemeinwohls oder des Schutzes einzelner Grup- Und wir empfehlen, davon am besten täglich Ge- pen begründet werden. [ … ] Auf allen drei Ebenen brauch zu machen. All dies stärkt das Immunsys- der Prüfung der Verhältnismäßigkeit (geeignet, tem und kommt sowohl dem Recht auf Gesundheit erforderlich, angemessen) sind die verschiedenen als auch auf dem nach Erholung sehr entgegen. Lebenslagen von Menschen zu berücksichtigen, Beispiel 2: Freundschaft erhalten, auch, Leons Argumente schon verstehen. Sie würde wenn man sich gerade nicht sehen kann Leon aber trotzdem gerne dazu bewegen, mal Marta, die ältere Schwester von Leon, möchte mit an die frische Luft zu kommen. gerne einen Rat. Marta selbst ist 13 Jahre alt. Ihr Bruder Leon ist acht und besucht die dritte Diskussionsfragen: Klasse. Normalerweise ist Leon wirklich gerne • Habt ihr eine Idee, was Marta sagen / machen draußen. Das Wetter spielt dabei auch keine könnte, um Leon zu bewegen, mit ihr mal Rolle. Selbst, wenn es draußen kühl und nass rauszugehen? Könnt ihr verstehen, warum ist, geht Leon meist mit seinem besten Freund Marta es wichtig ist, dass Leon auch mal raus- Timm raus. Wenn die beiden nicht mit anderen geht? Versteht ihr Leons Motivation, nicht auf Wiesen oder Sportplätzen irgendwelche mehr rauszugehen? Habt ihr weitere Ideen, Ballspiele spielen, streifen sie durch die Nach- wie Leon seine Solidarität mit Timm zeigen barschaft, bauen sich irgendwo Hütten, Brücken könnte? oder andere Sachen. Und ausgerechnet jetzt in • Das Problem Freundschaften (in Corona- Corona-Zeiten wird Leon zum Stubenhocker. Zeiten) zu pflegen kennt ihr bestimmt. Dabei ist das Wetter schön und rausgehen – mit Was habt ihr erlebt? Was hat euch geholfen, Familienmitgliedern – ist doch auch erlaubt. gut mit anderen im Kontakt zu bleiben? Aber weder Marta, noch Franz (Mamas neuer • Gab es besonders schwierige Momente für Lebensgefährte, der bereits schon zwei Jahre euch? Momente, in denen ihr nicht wusstet, mit in der Wohnung lebt und mit dem Leon sich was ihr machen sollt und in denen ihr eure/n auch gut versteht) können Leon dazu bewegen, beste/n Freund:in unbedingt in eurer Nähe mal vor die Tür zu gehen. Will er einfach nicht. gebraucht hättet? „Ich geh wieder raus, wenn Corona zu Ende ist“, • Gab es Momente, in denen ihr Streit mit meint Leon. Er begründet das damit, dass er Freund:innen bekommen habt und wie kann nur draußen sein will, wenn Timm auch raus man mit Streit in Zeiten von Kontaktsperren kann. Ohne seinen besten Freund Timm sei es lösen? draußen einfach blöd und langweilig. Außerdem • Habt ihr auch etwas Schönes, Neues ent- – und das ist wirklich ein starkes Argument – deckt? Seid ihr vielleicht sogar mit jemanden fände Leon es unfair, wenn er rausgehen würde in Kontakt gekommen, den ihr vorher noch und Timm nicht. Er wolle mit Timm solidarisch nicht gut kanntet? sein. Und tatsächlich geht Timm aus Rücksicht auf seine Schwester, die chronisch krank ist, Fragen, die darüber hinaus von Interesse und der der Virus sehr zusetzen könnte, gar sein können: nicht raus. Nur manchmal auf den Balkon und • Und was macht man, wenn man in Corona- da hat Marta Timm auch schon mal gesehen Zeiten frisch verliebt ist, sich unbedingt – am und sich mit ihm mit lautem Rufen auch ein besten 24 Stunden am Tag – sehen möchte, bisschen austauschen können. Marta kann aber – weil man (noch) kein gemeinsamer 13
Haushalt ist – sich nicht sehen darf? Wäre Und klar, sie fände es furchtbar, wenn sie jetzt das leichter auszuhalten und eine Lösung zu durch ihre Reise zur Mutter andere in der Familie finden, wenn man über seine Gefühle und gefährden würde. Und vielleicht ist Lenas Mutter Wünsche offen mit anderen in der Familie auch zu allen Fragen von (Hygiene-)Regeln etwas reden kann? lockerer eingestellt als Leyla, die neue Lebens- • Habt ihr eine Idee, was man machen kann, gefährtin ihres Vaters. Genau weiß sie das nicht. wenn man verliebt ist, aber auf keinen Fall mit Aber sie möchte ihrer Mutter vertrauen können anderen in der Familie darüber reden mag? und vermisst den Kontakt mit ihr. Sie hat sie (Hinweis für Lehrer:innen, die mit älteren mittlerweile seit mehr als fünf Wochen nicht ge- Schüler:innen arbeiten: Sensibilität für nicht- sehen und würde sie wirklich sehr gerne treffen heteronormative Liebes- und Lebenskonzepte und auch sehr gerne mal in den Arm nehmen entwickeln) können. Lena ist hin- und hergerissen, soll sie noch weiter abwarten oder richtig loslegen und Falls Kinder und Jugendliche Sorgen oder Ängste dafür kämpfen, dass sie endlich mal wieder Zeit haben und nicht mit Familienmitgliedern oder mit ihrer Mutter verbringen kann? Freund:innen reden möchten, dann können sie anonym und kostenlos bei der Nummer gegen Nun seid ihr gefragt: Kummer (Kinder- und Jugendtelefon) anrufen: • Was ratet ihr Lena? Soll sie abwarten oder 116111 versuchen, unbedingt ihre Mutter treffen zu können? Beispiel 3: Mutter treffen können, auch wenn • Welche Kinder- und Menschenrechte spielen die Eltern nicht mehr zusammenleben hier eine Rolle? Welche geraten miteinander Lena ist wirklich traurig, wütend, aber auch ein in Konflikt? Was passiert, wenn Menschen, die bisschen verunsichert, was das Richtige ist. sich ganz nah sind, sich über einen längeren Die Neunjährige hat sich sehr darauf gefreut, Zeitraum gar nicht sehen können? Warum ist das verlängerte Wochenende mal wieder bei es wichtig für Lena, dass sie regelmäßig auch ihrer Mutter verbringen zu können. Lena lebt – ihre Mutter sehen kann? seit der Scheidung der Eltern vor zwei Jahren – • Und was sagen die Kinderrechte dazu? Was gemeinsam mit ihrem Vater, seiner neuen sagt Artikel 9 der UN-KRK dazu, in dem Fragen Lebensgefährtin und deren beiden Kindern, dem der Trennung von den Eltern und der persön- vierjährigen Maxi und der elfjährigen Tabea. Sie liche Umgang geregelt ist? fühlt sich wohl in der neuen Familienkonstella- tion, aber es ist ihr auch sehr wichtig, in Kontakt Anmerkung für die Fachkraft: „Die Vertragsstaa- mit ihrer Mutter zu bleiben. Die wohnt 60 Kilo- ten achten das Recht des Kindes, das von einem meter entfernt in einer Kleinstadt, ist aber als der beiden Elternteile getrennt ist, regelmäßige Reiseleiterin viel unterwegs, weshalb es für Lena persönliche Beziehungen und unmittelbare zum einen gut ist, in der Familie mit ihrem Vater Kontakte zu den beiden Elternteilen zu pflegen, zu leben und zum anderen eben auch was Be- soweit dies nicht dem Wohl des Kindes wider- sonderes ist, wenn sie ihre Mutter sehen kann. spricht“. Das Wohl des Kindes ist entscheidend. Lena hatte auch Verständnis dafür, dass sie in Und dies gilt es (wie immer) im Einzelfall zu der ersten Phase der Verunsicherung durch das prüfen. Lenas Wohl würde entsprechen, sie zu Coronavirus aus Vorsicht auf einen Wochenend- beteiligen und dabei nicht zu überfordern. Sie besuch verzichtet hat. Da war Lenas Mutter braucht Unterstützung, eine schwierige Frage gerade von der Begleitung einer Reisegruppe in sorgsam abwägen zu können. Sie braucht eine Südfrankreich zurückgekommen und wollte ab- Begleitung durch Erwachsene, die ihr helfen, warten, was passiert. Aber jetzt hat Lenas Mutter nachzuvollziehen, worum es geht. Sie braucht schon länger keine Reisegruppe mehr begleitet Klärungshilfe und nicht Verunsicherung. und Lena versteht nicht, warum ihr Vater weiter- hin der Meinung ist, Lena solle „bis auf weiteres“ • Wenn wir all dies im Hinterkopf behalten auf die Besuche bei ihrer Mutter verzichten. und dem Vater einen Brief schreiben wollten: Die Mutter sei einfach „nicht zuverlässig genug“, Was könnten wir ihm schreiben? Wenn wir meint der Vater. Lena stört das immer, wenn der als Rechtsanwält:in tätig werden wollten, wie Vater schlecht über seine ehemalige Frau redet. würden wir argumentieren? Oder: wenn wir Kommt nicht oft vor, kommt aber vor – und Lena Rechtsanwält:innen beraten wollten, was weiß, dass das eigentlich nicht okay ist. Es hat würden wir ihnen raten, worauf müssen sie auch vor Corona manchmal Streit wegen den achten, wenn die die Kinderrechte ernst und Besuchen gegeben. Da war Lena aber ganz klar, wichtig nehmen? sie wusste, dass das es ihr Recht ist und dass sie (wenn sie es will) ihre Mutter auf jeden Fall 14 regelmäßig sehen darf. Doch jetzt ist sie unsicher.
„Handeln für die Menschenrechte“ – oder die Relevanz des Gleichheitsprinzips Demokratien brauchen einen klaren Bezug auf Vielfalt von Lebenssituationen mitdenken! Grund-, Kinder- und Menschenrechte. Dies wird – wie so vieles – durch die fortstehenden Herausfor- Wenn wir uns in diesem Baustein mit dem Recht derungen in der Covid-19-Pandemie sehr deutlich. auf Nicht-Diskriminierung und dem Gleichheits- Durch Grund-, Kinder- und Menschenrechte sind prinzip auseinandersetzen, wollen wir vor allem Sicherheitsgarantien in demokratische Entschei- die Empathie und Hilfsbereitschaft von vielen Kin- dungsprozesse eingebaut, die insbesondere dafür dern und Jugendlichen würdigen und fördern. sorgen sollen, dass alle in einer Gesellschaft Le- Darüber hinaus wollen wir Räume öffnen, die Mut benden gesehen, ihre Bedürfnisse gewürdigt und machen, die Vielfalt von Lebenssituationen wahr- alle gleichermaßen geschützt und beteiligt werden zunehmen und Einblicke in besondere Lebensum- können. Sie sind ein Korrektiv und helfen, Mehr- stände, Herausforderungen und kinderrechtliche heitsentscheide – die oftmals von Schlüsselak- Fragestellungen anzubieten. teur:innen mit den besten Absichten entwickelt wurden – einer kritischen Prüfung zu unterziehen Die Komplexität der deutlich gewordenen Frage- und aufzuspüren, wo die Gefahr besteht, dass Ent- stellungen besteht sicher fort und auch die Unsi- scheidungen unfaire Wirkungen entfalten könn- cherheiten, welche Wirkungen das Virus (und ten. Die zur Verlangsamung der Ausbreitung des seine möglichen Mutationen) weltweit auslösen Virus getroffenen Entscheidungen haben alle in werden, sind nicht überwunden. Ebenso offen der Bundesrepublik lebenden Menschen beein- bleiben die Fragen, welche Möglichkeiten des flusst. Je nach Lebensumständen waren und sind Schutzes gegen das Virus es gibt und wann die Menschen jedoch unterschiedlich von den Ein- gesundheitliche Gefahr als überwunden gilt. Es schränkungen betroffen. Dies im Blick zu behalten gibt daher fortbestehend die Herausforderung, ist ein zentraler Aspekt einer menschenrechtsba- Wege zu finden, Kinder und Jugendliche angemes- sierten Ausrichtung. Menschenrechte brauchen sen dabei zu unterstützen, von ihrem Recht auf Menschen, die sich für die Bedürfnisse und Rechte Information Gebrauch zu machen. Kinder und anderer einsetzen. Gerade in der Auseinanderset- Jugendliche haben ein Recht darauf, zu erfahren, zung mit dem Gleichheitsprinzip der Kinder- und was geschieht. Artikel 13 der UN-KRK beschreibt Menschenrechte zeigen sich die Fähigkeiten zu allgemein das Recht, sich zu informieren und In- Empathie und Solidarität. „Handeln für die Men- formationen mit anderen austauschen zu dürfen. schenrechte“, sich für die Wahrung der Rechte In Artikel 17 werden hierzu nähere Ausführungen aller einzusetzen, ist vielen Kindern und Jugendli- gemacht, die die Relevanz der medialen Aufberei- chen ein Anliegen. Dies zeigt sich beispielsweise tung beschreibt, der sowohl den Schutz als auch in der Aussage einer der Befragten der „JuCo-Stu- die Teilhaberechte der Kinder und Jugendliche in die“ zu Erfahrungen und Perspektiven von jungen den Blick nimmt. Menschen während der Corona-Maßnahmen: „Die Politik macht viele tolle Versprechungen und stellt Regeln auf die zum größten Teil auch sinn- voll sind; aber gerade diejenigen die es sowieso schwer haben werden nicht berücksichtigt. Z. B. Obdachlose (wie sollen sie die Hygiene Vorschrif- ten einhalten), Kinder deren Eltern kein Deutsch sprechen (wie sollen sie die Aufgaben für die Schulen bearbeiten) oder Flüchtlinge (abstand halten im Flüchtlingslager??). Viele Personen- gruppen leiden um ein Vielfaches mehr durch die aktuelle Situation und diese groß proklamierte Solidarität sollte auch sie miteinschließen.“ (JuCo 2020, S. 14) 15
Methoden, Übungen, Diskussionsanlässe Ausgangspunkt der Beschäftigung mit dem • Hat sich dein Leben durch die Pandemie Recht auf Nichtdiskriminierung und Gleichheit verändert? können selbstreflexive Fragestellungen sein. • Hast du etwas dazu gewonnen? Sie laden einerseits dazu ein, Erfahrungen des • Musst du auf was verzichten? eigenen Umgangs mit der fortbestehenden • Was hilft dir „locker“ zu bleiben, den Pandemie einzubringen und sichtbar zu machen Mut nicht zu verlieren? und legen dabei andererseits erste Spuren • Hast du jemand Neues kennen gelernt? zur Förderung einer Solidaritätskultur: • Erinnerst du dich an eine Situation, in der dir jemand bei etwas helfen konnte? • Konntest du jemanden helfen? • Kennst du Leute, die Hilfe brauchen könnten? • … Die Bedeutung subjektorientierter Zugänge Wann immer wir Gesprächsanlässe anbieten, kön- Alicia im Rahmen von KindGeRecht geführt nen wir feststellen, wie groß der Bedarf und wie haben, berichtet diese, dass sie es genießt, länger vielfältig die Erfahrungen sind, die Kinder, Jugend- ausschlafen und mehr Zeit mit ihren Eltern ver- liche aber auch Erwachsene teilen möchten. Auch bringen zu können. Die Kontaktsperre und die die Studie „KiCo“ (Forschungsverbund „Kindheit – fehlenden Möglichkeiten, Freund:innen treffen zu Jugend – Familie in der Corona-Zeit“) macht das können, empfindet sie dagegen als große Beein- deutlich, in der insbesondere Erziehungsberech- trächtigung. Außerdem berichtet sie von häufige- tigte ihre Perspektive schildern und die ihrer jünge- ren Konfliktsituationen innerhalb der Familie: ren Kinder einbringen. Verunsicherungen und „Man sieht sich natürlich auch viel öfter, der eine Herausforderungen bestehen weiterhin fort, daher ist gereizt, der andere hatte einen schlechten Tag ist es wichtig, auf eine Herangehensweise zu und dann rasselt man aneinander, wo normaler- achten, die die Resilienz fördert und der Vielfalt weise gar kein Grund für einen Streit wäre.“ der Empfindungen gerecht wird. Die Würdigung sowohl schöner als auch schwieriger Bei der Thematisierung ungleicher Bedingungen Erfahrungen hilft allen Beteiligten, eine Stimmung erscheint es uns wichtig, darauf zu achten, eine zu entwickeln, in der sich ein Austausch gestalten möglichst beschämungs- und bewertungsfreie und das Erleben von Handlungskompetenz ermög- (Lern- und Arbeits-)Atmosphäre zu gestalten. lichen lässt. Auf dieser Grundlage können beson- Gewinnbringend kann in diesem Zusammenhang dere Herausforderungen betrachtet und eine sein, Fragen so aufzuwerfen, dass sich alle glei- Auseinandersetzung mit ungleichen Bedingungen chermaßen angesprochen fühlen können und und daraus resultierenden Verletzungen des Unterschiede nicht personen- sondern themenbe- Gleichheitsgebots angestoßen werden. zogen betrachtet werden. Fast alle können von guten und schlechten Momenten berichten. In einem Interview, das wir mit der sechzehnjährigen 16
Methoden, Übungen, Diskussionsanlässe Von der erweiterten Glücksfrage über die Ausgehend von der Betrachtung sehr unter- Perspektiverweiterung zur Entwicklung von schiedlicher (Wohn-)Verhältnisse, können die Handlungsoptionen Auswirkungen der im Zuge der Auseinander- setzung mit der Pandemie ergriffenen Maßnah- Als hilfreich hat sich in diesem Zusammenhang men betrachtet und ihre unterschiedliche erwiesen, sich zunächst einen Bezugs- und Tragweite ermittelt werden. Bewertungsrahmen zu erarbeiten bzw. sich wieder mit diesem zu verbinden, ehe konkrete Situatio- • Wie viel Platz braucht ein Mensch, nen in spezifischen Kontexten betrachtet wer- um sich gesund und glücklich fühlen den können. Über den Einsatz der „erweiterten zu können? Glücksfrage“ können die Kinderrechte konkret (wieder) benannt werden und damit eine Grund- • Ist ein großes Haus ausschlaggebend lage bieten, auf der Situationen bewertet und dafür, dass man sich wohl und glücklich entsprechende Handlungsoptionen entwickelt fühlen kann? werden können. • Was braucht man, um gut am Leben „Nenne fünf Aspekte / Dinge, die ein Mensch teilnehmen, sich informieren und lernen braucht, um sich gesund und glücklich fühlen zu zu können? können“ lautet dabei die Ausgangsfrage, zu der Kinder Bilder malen, Jugendliche und Erwach- Über diese Fragestellungen können unterschied- sene Begriffe sammeln und im Austausch auf liche Lebensumstände betrachtet, gemeinsam wesentliche Aspekte einigen können. Die Samm- Bedarfe ermittelt und entsprechende Hand- lung kann mit den Kinderrechten verknüpft lungsoptionen erarbeitet bzw. auf entsprechende werden und gegebenenfalls. darauf verwiesen Initiativen verwiesen werden. Die Corona-Krise werden, dass das Recht auf Gesundheit mehr wirkt dabei wie eine Art Brennglas, in der schon meint „als die Abwesenheit körperlicher Gebre- länger bestehende Frage- und Problemstellungen chen“ und Teilhabe- und Entfaltungsmöglichkei- plastisch sichtbar werden. ten des Menschen einbezieht. Wesentliche Kinderrechte sind dabei zentral Auf dieser Grundlage können besondere Lebens- berührt. Insbesondere in Bezug auf das Recht umstände in beengten (Wohn-)Verhältnissen, auf ein unbeschwertes Aufwachsen, zu dem finanziellen oder anderen strukturellen Ein- auch Freizeit und Erholungsmöglichkeiten schränkungen betrachtet und zusätzliche Verun- gehören, fördern die Auseinandersetzung mit sicherungen in den Blick genommen werden. der Pandemie und die ergriffenen Maßnahmen All dies sollte sehr behutsam geschehen und zentrale Erkenntnisse hervor. Dabei erleben das Ziel verfolgen, Kinder und Jugendliche in Kinder und Jugendliche unterschiedliche Arten ihrer Wahrnehmungsfähigkeit zu fördern und von Gefährdungen und Einschränkungen sie in ihrem Bedürfnis nach „gerechten“ / „fairen“ dieses Rechts. Die Notwendigkeit einer grund- Bedingungen zu stärken. legenden Überprüfung eingespielter Rituale und Praktiken wird jedoch deutlich. 17
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