KIRCHE - Leipziger Missionswerk
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MITTEILUNGSBLATT DES LEIPZIGER MISSIONSWERKES der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland KIRCHE 1/21 weltweit m e i n d e Ge i a l l o n postko GEMEINDE POSTKOLONIAL Das Thema (Post)Kolonialismus ist kein Thema für eine Kirchgemeinde? Diese Ausga- be zeigt, warum es im kirchlichen Kontext durchaus eine Rolle spielt. Zahlreiche An- regungen für die Gemeindearbeit sollen Ideen vermitteln, wie das Thema behandelt werden kann. NEUER MITARBEITER FÜR PAPUA-NEUGUINEA Uwe an Mey bereitet sich auf seinen Dienst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Papua-Neuguinea vor. Die kommenden drei Jahre wird er die Kirchenverwaltung insbesondere beim Immobilienmanagement unterstützen.
EDITORIAL & INHALT Liebe Leserinnen Inhalt und Leser, „Fremd ist der Fremde nur in 2 Editorial der Fremde“, sagt Karl Valentin 3 Anne Römpke 1940. In seinem köstlichen Dia- Meditation log wird das schwierige Thema der Konstruktion des Anderen 4 Sabine Ayeni als dem „Fremden“ greifbar. Postkoloniale Gemeinden – ein Traum? „Der Fremde“ hat eine dunkle Die Verwirklichung einer antirassistischen Hal- Hautfarbe; „wir“ aber, die „wir tung beginnt bei uns selbst von hier“ sind, sind hellhäutig, weiß … – Auf der Titelseite 8 Nadège Azafack dieser KIRCHE weltweit sind historische Sammelbüchsen Neue Perspektiven auf gewohnte Bilder zu sehen, an denen beispielhaft deutlich wird, wie die Ausstellung „weiß-schwarz“ des Entwicklungs- Mission zur Konstruktion des Anderen als dem Fremden politischen Netzwerkes Sachsen beigetragen hat: Der hilfsbedürftige Mensch anderer Haut- farbe, der dankbar mit dem Kopf nickt, wenn „wir“ einen 10 Nadège Azafack Groschen in den Hut geworfen haben. Bilder im Kopf Bei meiner Geburt 1966 in Braunschweig hatten meine Zwei beispielhafte Übungen, um sich dem The- Eltern nicht die Wahl, ob ich Deutscher oder Inder sein ma Rassismus zu nähern solle: Das Grundgesetz sah bis 1974 die deutsche Staats- 11 Materialhinweise bürgerschaft nur für Kinder deutscher Väter, nicht aber für Kinder deutscher Mütter vor. So war ich also in meinen 12 Fürbitte konkret ersten Lebensjahren gezwungenermaßen Inder. 1992, ich 14 Simon Parisius, Antje Lanzendorf war schon seit 17 Jahren Deutscher, flog ich mit einem Angebote aus der Region Mitteldeutschland neuen Reisepass nach Indien. Der Grenzbeamte las den Postkoloniale Initiativen in Sachsen, Sachsen- Namen und sprach mich auf Hindi an. Ich verstand nichts, Anhalt und Thüringen denn trotz meiner halbindischen Abstammung spreche ich die Sprache nicht. 1997 in meiner ersten Pfarrstelle 16 Susann Küster-Karugia wurde ich zur Friedensdekade unter dem Motto „Soll ich Freiwilligenprogramm postkolonial meines Bruders Hüter sein?“ um eine Andacht gebeten, Was Freiwillige und die Menschen in ihrem denn „das können Sie doch am besten nachvollziehen Umfeld lernen können …“, so die Begründung. Und schließlich 2008: In der 18 Uwe an Mey Vorbereitung für meine Einführung in die Sonderpfarr- „Öffne die Augen, nicht den Mund!“ stelle hatte ich mich zur Absprache mit dem Ortspfarrer Neuer LMW-Mitarbeiter in Papua-Neuguinea in der Stadtkirche verabredet. Er erkannte mich nicht, weil er aufgrund meines Namens einen ganz dunkelhäu- 19 Hans-Georg Tannhäuser tigen Menschen erwartet hatte. – In diesen Beispielen „Fenster öffnen in die Welt“ wird deutlich, wie ein vereinnahmendes „wir“ oder ein Adventsaktion leidet diesmal unter ausgrenzendes „Du“ konstruiert werden. Bei letzterem verminderten Aktivitäten in den Gemeinden schwingt wie interessiert-freundlich auch immer gemeint 20 Nachrichten der Unterton „eigentlich nicht von hier“ mit. Lassen Sie sich mit hineinnehmen in die Welt der Ambiva- 22 Geburtstage, Impressum lenzen, die in dieser zweiten Ausgabe der KIRCHE welt- 23 Termine weit zu unserem Motto „glaubwürdig? Mission postkolo- nial“ aufscheinen. 24 Vierteljahresprojekt Herzlichst, Ihr Ihr Anzeigen wie das Hintergrundbild auf der Titelseite erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts in den Pub- likationen der Leipziger Mission und warben für das Ravinder Salooja, Direktor des Leipziger Missionswerkes Sammeln von Spenden. 2 KIRCHE weltweit 1/2021
MEDITATION Meditation Von Anne Römpke, Referentin für Fragen der Schöpfungsverantwortung der sächsischen Landeskirche Christus ist Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Monatsspruch April 2021: Kolosser 1,15 Das ältere Geschwisterkind zu sein, ist nicht res) ehrenamtliches Enga- immer nur von Vorteil: Man soll auf jüngere Ge- gement zu finden. schwister aufpassen und vernünftig sein. Verhand- Als Menschen in der Nach- lungen mit den Eltern bezüglich Schlafenszeiten folge Christi haben wir aber oder Taschengeld müssen die Jüngeren oft nicht auch ein paar Vorteile. Der mehr führen. „Erstgeborene der ganzen Zu Zeiten des Bibelzitats gab es aber handfeste Schöpfung“ hat uns zuge- Vorteile für den erstgeborenen Sohn. Zum Bei- sagt, mitten unter uns zu spiel folgte dieser auf den Vater als neues Fami- sein. Wenn wir in Richtung lienoberhaupt und erbte deutlich mehr als seine Gerechtigkeit, Frieden und Brüder. Wenn Christus im Monatsspruch also als Bewahrung der Schöpfung der „Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ betitelt laufen, rennen wir sozusagen wird, so betont der Autor damit Jesu herausragen- mit dem Wind. Loslaufen de Stellung: Er steht über allen anderen Mächten müssen wir allerdings selbst. in der Welt. Und da ist es gut, sich nicht als einzelner Mensch auf Das ist eine gute Nachricht, vor allem aus Sicht den Weg machen zu müssen, sei es auf dem Pilger- der Schöpfung, zu der auch wir als Menschen gehö- weg für Klimagerechtigkeit oder bei Umweltschutz- ren: Mit Jesus als „Erstgeborenem“ der Schöpfung maßnahmen in der eigenen Kirchgemeinde. ist der Schutz von Mensch und natürlicher Umwelt Allein gegenüber globalen Problemen zu stehen: sozusagen „Chefsache“. Mit dem Gebot der Nächs- Das wäre beängstigend und demotivierend. Mit tenliebe gibt er uns Handlungsanweisungen mit auf einer Gruppe aus Vertrauten vor der Aufgabe zu den Weg. Umweltzerstörung, bewaffnete Konflik- stehen, vor Ort etwas zu verändern: Das ist mach- te und Ausbeutung gefährden das Leben unzäh- bar! Wir müssen also nicht die ganze Welt verän- liger Menschen weltweit und in Zukunft. Gelebte dern, sondern erstmal „nur“ unser eigenes Umfeld. Nächstenliebe und der Auftrag zur Bewahrung der Wenn Christinnen und Christen weltweit ihre Schöpfung gehen dabei Hand in Hand. Papst Fran- Gemeinde umweltfreundlich gestalten, haben wir ziskus formuliert diesen Auftrag in seiner Enzykli- gemeinsam einen enormen Einfluss. Interessierte ka Laudato si‘ sehr deutlich, wenn er schreibt: „Die Kirchgemeinden bekommen dabei Unterstützung Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, von den Umweltbeauftragten ihrer Landeskirchen. praktisch umzusetzen, gehört wesentlich zu einem Ich wünsche uns, dass unser Handeln für Gerech- tugendhaften Leben; sie ist nicht etwas Fakultati- tigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ves, noch ein sekundärer Aspekt der christlichen stets in dem Bewusstsein steht, dass Jesus als „Erst- Erfahrung.“ geborener“ der Schöpfung mit uns geht und dass Der Auftrag ist klar. Doch die Umsetzung im unsere gemeinsame Wirkkraft als Gemeindemit- Alltag fällt nicht nur Christinnen und Christen glieder und weltweite Glieder der Kirche ein wich- schwer: Oft muss mit langjährigen Gewohnheiten tiger Bestandteil des Wandels sein kann. gebrochen werden, einige politische Entscheidun- gen sind schlichtweg entmutigend und neben Ar- Anne Römpke ist seit Oktober 2020 „Referentin für Fra- beit, Familie und Freundeskreis ist es in der Regel gen der Schöpfungsverantwortung“ (Umweltbeauftragte) gar nicht so einfach, ausreichend Zeit für (weite- in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. KIRCHE weltweit 1/2021 3
GEMEINDE POSTKOLONIAL Postkoloniale Gemeinden – ein Traum? Die Verwirklichung einer antirassistischen Haltung beginnt bei uns selbst Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer postkolonialen Gemeinde ist der Umgang mit dem Thema Rassismus. Vielen erscheint dieses Problem im eigenen kirchlichen Umfeld irrelevant. Allerdings gibt es viel mehr Ausdrucksformen, als uns bewusst ist, zum Beispiel welche Weltbilder transportiert werden. Von Sabine Ayeni, mohio e.V., Halle an der Saale Kirchengemeinden meistern derzeit beständig neue An vielen Orten in Deutschland haben sich Kirch- Herausforderungen. Wie lässt sich das Gemeinde- gemeinden in den vergangenen Jahren stark ge- leben aktiv gestalten, ohne all die Elemente, die es macht für Menschen, die auf der Flucht aus anderen eigentlich ausmachen: keine Gemeindetreffen, kein Ländern der Welt ihren Weg zu uns gefunden haben. gemeinsames Singen, keine Gesprächs- oder Ge- Geflüchtete aufzunehmen und sie zu unterstützen ist betskreise? Kirchliche Mitarbeitende sind vollauf be- für viele Gemeinden gelebte praktische Nächstenlie- schäftigt. Und nun sollen sie sich auch noch Gedan- be. Ich bin froh zu wissen, dass christliche Gemein- den hier ein deutliches Zeichen setzen und zeigen, dass Gastfreundlichkeit auch in Deutschland mög- lich ist und Menschen hier ankommen und Freund- schaft, Zuwendung und Sicherheit finden können. Gott sei Dank! Dann können wir doch eigentlich gar nicht rassistisch sein oder? Und bitte, wenn Sie beim Lesen jetzt spüren, ich kann mich gerade nicht mit diesem Thema (auch noch) befassen, dann sind Sie herzlich eingeladen, an dieser Stelle oder an irgendeiner Stelle – aufzu- hören weiterzulesen. Was ich schreibe, ist eine Ein- ladung, sich mit einem durchaus komplexen, sehr oft sehr emotionalen und anstrengenden Thema auseinander zu setzen. Ich kann Ihnen versichern, es gibt keinen schnellen Weg, um sich dem Thema Rassismus auch in Gemeinden zu nähern. Aber er Kerzen gegen Rechtsextremismus und Gewalt: Veranstaltungen, an lohnt sich. Denn – davon bin ich zutiefst überzeugt denen sich auch viele Kirchgemeinden beteiligen – hier in Dresden. – als christliche Gemeinden haben wir hier einen besonderen Auftrag. ken zu Rassismus, Diversität und Postkolonialismus Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie mir nun sagen, machen … Da mag sich manche*r denken: Das doch dass Gemeinden schon so viel tun und sich vieler- nicht auch noch. Verständlich – bis zu einem gewis- orts engagiert einsetzen für Menschen in unserer sen Grad zumindest. Gesellschaft. Doch lassen Sie sich einladen, dass wir Denn wer sich noch nicht viel mit Rassismus und noch ein kleines Stückchen weiter denken. Denn Postkolonialismus beschäftigt hat, kann leicht dazu das, was Rassismus so effektiv macht und dauerhaft verleitet werden zu denken, dass das gar nicht unser verankert, ist unter anderem, dass er sich so gut zu Thema ist und Rassismus bei uns gar nicht so schlimm verkleiden vermag und uns suggeriert: Das alles hat sein kann, wie wir es von anderen Ländern hören. mit uns doch nicht wirklich was zu tun. Leider ist es aber so, dass Rassismus ein „schlaues Kerlchen“ ist. Er trägt ein äußerst wandelbares Kleid Rassismus wirkt sich auf alle aus – ein bisschen wie der vielfarbige Mantel Daniels oder der Elfenumhang, den die Hobbits in „Herr der Rin- In der Bibel können wir im 1. Brief an die Korinther ge“ geschenkt bekommen haben: Jedes Mal, wenn 21, Vers 27 (und eigentlich das gesamte Kapitel) ler- man hinschaut, zeigt sich was Neues und manchmal nen: Ihr alle seid zusammen der Leib Christi und als auch Unerwartetes. Einzelne seid ihr Teile an diesem Leib. 4 KIRCHE weltweit 1/2021
GEMEINDE POSTKOLONIAL Wenn nun einem Teil des Leibes etwas passiert, dann leidet der gesamte Körper. Wer kennt das nicht … Zahnschmerzen oder Bauchweh … da kann der Rest von mir gar nicht mehr richtig funktionieren, konzentriert denken geht kaum mehr. Und Rassismus ist so ein Schmerz, einer, den vie- le Menschen in unserem Land erleben, auch in den Kirchgemeinden. Ein Schmerz, den wir oft außen vor schieben, denn, ganz ehrlich, die Mehrheit der deut- schen Gesellschaft und damit auch der Kirchen betrifft Rassismus nicht wirklich. Und aus dieser – vermeintli- chen – Un-betroffenheit ist es einfach zu denken, dass wir doch eigentlich schon genug tun … Eine bequeme Position, aber eben auch eine, die wir bewusst einneh- men und ebenso bewusst ändern können. Was mich immer wieder erschreckt ist, wie leicht es ist, die Position als weiße Person nicht zu ändern, nicht ändern zu müssen. Wenn ich aber anfange, mich als Christin mit Rassismus zu befassen, so stel- le ich leider fest: Rassismus passiert jetzt – egal, ob ich es sehen will oder nicht. Und wenn Menschen Rassismus erleben, gerade auch in Kirchen, dann sind alle betroffen. Ist nur Weiß-Sein normal? „Rassismus verletzt uns alle. Aus theologischer Alle Menschen haben Vorurteile. Problematisch werden Perspektive ist Rassismus Sünde, die alle von Gott Vorurteile dann, wenn auf Grund dieser Menschen ab- geschaffenen Menschen (sowohl die von Rassismus gewertet, ausgeschlossen oder diskriminiert werden. Betroffenen als auch die von Rassismus Profitieren- den) und schließlich Gott selbst verletzt.“ So steht es Einer ablehnenden Haltung gegenüber einigen Men- im Vorwort der Handreichung „Vor Gott sind alle schen stellt das Studienbegleitprogramm für Studie- Menschen gleich. Beiträge zu einer rassismuskriti- rende aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Südosteuropa schen Religionspädagogik und Theologie“ (2015). an Hochschulen in Sachsen, kurz STUBE Sachsen, Genauso wie Rassismus in der Gesellschaft verankert eine positive Fotoausstellung entgegen. Diese soll ist, so macht er auch vor Gemeinden keinen Halt. Wir Empathie und Akzeptanz schaffen. Niemand soll be- sind als Menschen dieser Gesellschaft geprägt von be- schuldigt oder bemitleidet werden, vielmehr soll der stimmten Annahmen und Ideen. Eine dieser Grund- einzelne Mensch im Fokus stehen. Die Porträts sollen annahmen ist ganz oft immer noch: Weiß-sein ist dazu anhalten, in jedem Menschen das Individuum normal. Menschen, deren Hautfarbe nicht als „weiß“ zu sehen und ihm die gleiche Empathie und Offen- wahrgenommen wird, werden schnell als „anders“ ge- heit entgegenzubringen wie jedem anderen auch. Die sehen und auch behandelt. Sicherlich, die Frage „Wo- Ausstellung steht für ein respektvolles Miteinander in her kommst du?“ sieht harmlos aus und oft wird sie der Gesellschaft. Menschen, die unsere Gemeinden besuchen, gestellt. Doch was steckt hinter dieser Frage? Warum frage ich Kooperation: Bündnis gegen Rassismus, Entwick- das eigentlich? Was will ich wirklich wissen? lungspolitische Netzwerk Sachsen Meine Tochter, die eine deutlich dunklere Hautfarbe hat als ich, wurde in Deutschland geboren. Sie spricht Fotos: Gerardo Palacios Borjas deutsch und hat (nur!) einen deutschen Pass, beide Eltern haben einen deutschen Pass. Wenn sie gefragt www.stube-sachsen.de wird, woher sie kommt, dann antwortet sie wahr- KIRCHE weltweit 1/2021 5
Beunruhigung als Herausforderung anzunehmen. Das bedeutet, die Kritik an rassistischen Gewaltver- hältnissen zugleich als Kritik an mir selbst aufzufas- sen und mich im Blick auf mein Denken und Han- deln immer wieder beunruhigen zu lassen.“, schreibt Astrid Messerschmidt 2009 im Beitrag „Weltbilder und Selbstbilder. Bildungsprozesse im Umgang mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte“. Wenn ich ernst nehme, dass alle Menschen Eben- bilder Gottes sind – unabhängig davon, ob sie zu meiner Gemeinde gehören oder nicht – und dass wir in der Gemeinde besonders dazu aufgerufen sind, uns als Teile ein und desselben Leibes zu sehen, so komme ich nicht umhin, auch die Schmerzen an- derer ernst zu nehmen und achtsam hinzuhören. Unsere Freiwillige Johanna Mwasajone aus Neinstedt fühlt sich Nicht so tun, als würde es uns nichts angehen „nicht halb deutsch und halb tansanisch, sondern beides zu 100%“. Welche Texte singen wir in unserer Gemeinde? heitsgemäß, aus welchem deutschen Ort sie stammt. Welche Worte und Bilder werden in Predigten und Nicht selten stellen sich bei ihrem Gegenüber dann auch im Kindergottesdienst verwendet? Welche verwirrte Gesichtszüge ein und sie wird weiterhin ge- Weltbilder „malen“ wir in unseren Gesprächen mit- fragt: Aber, woher kommst Du wirklich? Oder auch: einander innerhalb und außerhalb von Gemeinde? Aber woher kommen Deine Eltern? Geht es also in Es regt sich Widerstand in Ihnen? Das ist mehr als dieser Frage darum herauszufinden, woher jemand verständlich und zutiefst menschlich UND Teil des kommt oder um mir selber zu bestätigen: Diese Per- Weges … Denn das ist eine ganz normale Reaktion! son kommt von wo-anders und ist deshalb „anders“? Wer will schon sein Weltbild angefragt und seine Wenn Sie sich nun überführt fühlen: Wunderbar, Sprachgewohnheiten kritisch betrachtet haben. Es denn Sie sind gerade dabei für sich zu entdecken, ist ja auch wirklich nicht leicht, sich mit dem, was wie subtil Rassismus sein kann: Er verführt uns man schon immer als richtig erachtet hat, auf ein- dazu, Menschen einzuteilen in „gehört dazu“ oder mal kritisch auseinander zu setzen. Da lässt mitun- „gehört nicht dazu“. Und das tun wir mitunter auch ter Liebgewonnenes Federn und man verabschiedet in unseren Gemeinden, bewusst oder unbewusst, sich auch mal von vertrauten Ritualen und Bildern. und es verletzt uns alle, nicht nur die Menschen, die Gleichzeitig mag ich Ihnen zusprechen: Fassen Sie davon betroffen sind. Mut! Sie und keine Person sonst können sich den He- rausforderungen jahrhundertelanger, tief verankerter Praktiken und Sprachgebräuche alleine stellen. Dazu Beunruhigender Vorgang braucht es gemeinsame Ansätze, Austausch und Wil- Sich auf den Weg zu machen, eine rassismuskriti- len, sich immer wieder ein Stück weiter auf den Weg schere und post-koloniale Gemeinde zu sein, heißt zu machen, denn „Rassismus ist ein komplexes Phäno- mitunter die unbequeme Auseinandersetzung mit men, das keineswegs immer individuell ausgeübt wird. mir selber und meiner Geschichte sowie der Ge- Er kennt viele Spielarten, die eher subtil und latent wir- schichte meiner Gemeinde. Dabei ist sicher: „Ras- ken und häufig ein Effekt von Handlungen sind, die sismuskritisches Lernen ist ein beunruhigender nicht rassistisch, ausgrenzend oder abwertend gemeint Vorgang. Ich muss einsehen, dass ich als weißer waren. Rassismus manifestiert sich auf interindividu- Mensch in rassistische Verhältnisse eingebunden eller Ebene ebenso wie auf institutioneller oder struk- bin. Meine Kritik an Rassismus bringt immer ein tureller Ebene.“, so Wiebke Scharathow in dem Heft Stück neuen Rassismus mit sich. Dennoch kann ich „Woher komme ich? Reflexive und methodische An- nicht einfach aufhören, Kritik an weißer Vorherr- regungen für eine rassismuskritische Bildungsarbeit“. schaft zu üben. Ich würde Rassismus damit hinneh- Nur so zu tun, als ob uns das alles nichts angeht, men. Ein Weg kann es jedoch sein, diese doppelte das dürfen wir nicht tun … denn, „was ihr getan 6 KIRCHE weltweit 1/2021
GEMEINDE POSTKOLONIAL habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, Weitere Informationen das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40). Astrid Messerschmidt (2009): Welt- Reflexion in Liebe und Achtsamkeit bilder und Selbstbilder. Bildungs- prozesse im Umgang mit Globalisie- Damit sich was ändert, braucht es Menschen, die rung, Migration und Zeitgeschichte. sich trauen, sich mit sich selber und auch alt Ver- – Frankfurt am Main: Brandes & Apsel trautem immer wieder kritisch auseinander zu set- zen, in Liebe und Achtsamkeit ihre Worte und Ge- danken zu reflektieren, neue Wege im Miteinander zu gehen und auch Fehler zuzugeben. Einsehen, dass Wiebke Scharathow (2015): Ras- man im gesellschaftlichen Gefüge mehr „Macht“ hat Woher komme ich? sismus, in: Diakonie Württemberg, als andere, ist nicht immer einfach, aber essentiell Reflexive und methodische Anregungen Woher komme ich? Reflexive und für eine rassismuskritische Bildungsarbeit wichtig, um Rassismus den scheinheiligen Man- Ra ss ism Bio methodische Anregungen für eine tel auszuziehen. Wenn Rassismus Schmerzen ver- gra us fie arb rassismuskritische Bildungsarbeit eit ursacht, dann tun wir gut daran, denen, die den Em pow erm ent Spr ac he Schmerz erleben, gut zuzuhören. Schließlich ist die :D eu tsch Als Spiegelbild der Frage „Woher ? Person, die Schmerz erlebt, diejenige, die darüber 1 kommst Du?“ will die Erkundung des am besten Auskunft geben kann. eigenen „Woher“ Denkmuster unter- Ich wünsche mir sehr, dass sich immer mehr Men- brechen, Einstellungen hinterfragen schen in Gemeinden auf den Weg machen zu erfor- und für neue Perspektiven sensibi- schen, wie eine postkoloniale Gemeinde, die sich lisieren. Hierfür legt die Arbeitshilfe unter anderem kritisch mit Rassismus auseinander- Grundlagentexte und Methoden vor. setzt, aussehen kann. So schaffen wir Raum für ge- schwisterlichen Umgang auf Augenhöhe. So lassen * www.diakonie-wuerttemberg.de wir ungerechte Machtverhältnisse, die wir zumeist /themen/interkulturelle-orientierung nicht selber verursacht oder geschaffen haben und von denen wir dennoch betroffen sind, zurück. Stel- Vor Gott sind alle Menschen Gleich B e i t r äG e z u e i n e r r a s s i s M u s k r i t i s c h e n r e l i G i o n s pä daG o G i k u n d t h e o lo G i e Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche len Sie sich vor, ein Mensch, der sich sonst oft (im und Rechtsextremismus, Aktion Süh- wahrsten Sinne des Wortes) seiner Haut erwehren nezeichen Friedensdienste, Evangeli- und sich erklären muss, findet eine Gemeinde mit sche Akademie zu Berlin (2016): Vor Menschen, die verstehen, dass es solche und an- Gott sind alle Menschen gleich. dere Erfahrungen wirklich gibt, was die Ursachen Beiträge zu einer rassismuskritischen dafür sind und was sie selber tun können, um sich Religionspädagogik und Theologie zu reflektieren. So findet man in solchen Gemein- den Menschen, die dann offenen Herzens Menschen Diese Broschüre liefert Informationen, nicht länger das „Anderssein“ zuschreiben, sondern Denkanstöße und Materialien zur ei- einander in Achtsamkeit tragen und begegnen. Ein genen Auseinandersetzung mit dem Traum? Das mag sein, aber ich glaube fest daran, Thema Rassismus. dass das zu schaffen ist. * bagkr.de/publikationen Sabine Ayeni arbeitet für den Das in Dresden ansässige Bündnis Hallenser Verein mohio. Ihr gegen Rassismus bündelt auf seiner Berufsweg führte sie über Internetseite verschiedene Bildungsan- Irland und Südafrika wieder gebote aus seinem vielschichtigen Trä- zurück nach Deutschland. gernetzwerk, zum Beispiel das Seminar Ihre Erfahrungen außerhalb „Blickpunkt Rassismus … rassisti- Deutschlands haben ihren schem Verhalten handelnd begegnen“. Blick für Fairness und anti- rassistische Denkweisen ge- * www.buendnisgegenrassismus. schärft. de/workshop KIRCHE weltweit 1/2021 7
AUSSTELLUNG Neue Perspektiven auf gewohnte Bilder Ausstellung „weiß-schwarz“ des Entwicklungspolitischen Netzwerkes Sachsen Die Ausstellung „weiß-schwarz“ des Entwicklungspolitischen Netzwerkes Sachsen (ENS) ist gut geeignet, um eigene Reaktionen auf die Frage „Was wäre wenn?“ zu testen. Sie kann Anknüpfungspunkt sein, um in Gemeindegruppen über Stereotype und Rollenverständnisse ins Gespräch zu kommen. Von Nadège Azafack, ehrenamtliche Mitarbeiterin im ENS mit dem Schwerpunkt Antirassismus, Berlin Vor einigen Wochen bei dem halbjährlichen El- Wahrnehmung und damit verbunden unserer Per- terngespräch in der Schule unterhielt ich mich mit spektiven auf die Bilder, die uns begegnen, immer der Lehrerin meines Sohnes über die Bewertung der noch ist. Wie dringend es ist, den Mitmenschen eine Schüler im Fachunterricht Kunst. Sie erklärte mir, neue Perspektive darauf anzubieten. Eine Perspekti- dass die Benotung weniger von der Richtigkeit des ve auf die Überlegung „Wie wäre es, wenn …?“ Dargestellten abhängt, als viel mehr von der Genau- Stereotype reflektieren Bereits vor zehn Jahren hat sich das Entwicklungs- politische Netzwerk Sachsen e.V. (ENS) mit diesem Perspektivwechsel beschäftigt und beschlossen, ei- nen Beitrag dazu zu leisten: die Wanderausstellung „weiß-schwarz“. Es entstanden Fotopaare mit Mo- tiven aus der Entwicklungszusammenarbeit. Aller- dings waren bei den Portraitierten die Hautfarben und damit auch die Rollen getauscht. Anschließend wurden Passant*innen in Dresden und Berlin nach Untertiteln und Kommentaren für diese Fotos ge- fragt. In der Ausstellung „weiß-schwarz“ werden die Ergebnisse auf fünf Textilbannern präsentiert. Durch das Vertauschen der Rollen wird die ge- wohnte mediale Wirklichkeit auf den Kopf gestellt Die Ausstellung „weiß-schwarz“ des Entwicklungspolitischen Netz- und die Möglichkeit eingeräumt, Stereotype zu re- werkes Sachsen steht auch Kirchgemeinden zur Verfügung. flektieren. Bestimmt haben sich bislang nur wenige gefragt, wie es wohl wäre, wenn die Erzieherin der eigenen igkeit und der Mühe bei der Arbeit. Es werde eher Kinder eine junge geflüchtete Frau aus Syrien wäre darauf geschaut, wie sauber beispielsweise die Weih- oder wie sie wohl reagieren würden, wenn sich bei nachtsfiguren bemalt wurden und weniger auf die der Organtransplantation herausstellen würde, dass benutzen Farben. Ein Schüler würde keine schlech- der Spender ein schwarzer Afrikaner wäre? Warum tere Benotung bekommen, weil der Weihnachts- sollte es ein Unwohlsein hervorrufen zu erfahren, mann schwarz statt weiß bemalt wurde. Auf meine wenn der Sicherheitschef des Berliner Flughafens Antwort, dass der Weihnachtsmann bei uns schwarz ein Muslim wäre? Wieso schmunzeln manche El- ist, musste die Lehrerin kurz innehalten und diese tern, wenn mein schwarzer Sohn bei der Frage nach neue und unerwartete Information verarbeiten. der Berufswahl verkündet, dass er vorhat, Bundes- Auch wenn ich diese Reaktion erwartet hatte, bin kanzler zu werden? ich jedes Mal erneut erstaunt und ich frage mich, Diese Situationsbeispiele führen in unseren Köp- wie es wohl wäre, wenn der Weihnachtsmann nicht fen instinktiv zu Reaktionen wie Abwehr, Irritation, immer ausschließlich als weißer Mensch präsentiert Unwohlsein und manchmal Schock. Unsere Reak- werden würde? Würde sich dadurch ein solches Ge- tion könnte auf die Art unserer Erziehung, auf den spräch wie mit der Lehrerin erübrigen? Mir wurde Druck der Gesellschaft oder vielleicht auf die Medi- bewusst, wie aktuell die Frage unserer „fremden“ en mit ihrer meist einseitigen Berichterstattung zu- 8 KIRCHE weltweit 1/2021
AUSSTELLUNG rückzuführen sein. Dies bedeutet aber keineswegs, dass nur die anderen für die Misere unserer Denk- Technische Daten zur Ausstellung muster verantwortlich sind und wir selbst nichts dafür können. • fünf Textilsegmente (jeweils ca.1,20 Meter breit) • Ausstellungssystem Aluminium, selbststehend, für In- Für ein Mehr an Miteinander nen- und Außenräume geeignet • Gesamthöhe etwa 2 Meter, Gesamtbreite etwa 6 Me- Die Ausstellung „weiß-schwarz“ mit ihrer beglei- ter, Tiefe etwa 0,8 Meter tenden Bildungsmappe bietet hier die Möglichkeit, • Aufstellung flexibel, das heißt Anordnung um die sich mit seiner eigenen Verantwortlichkeit ausein- Ecke oder im Kreis (Durchmesser 3 Meter) ander zu setzen. Anne Schicht vom ENS fasste es zusammen und schrieb in Vorbereitung auf die Die Ausleihgebühren betragen pro Woche 25 Euro plus Ausstellung: „Täglich begegnen uns Bilder, die Transportkosten. Menschen und Lebenssituationen aus Ländern des Südens abbilden – in Zeitungen und Zeitschriften, Kontakt in der Werbung, in Imagebroschüren. Nicht selten Entwicklungspolitisches transportieren diese Bilder rassistische Botschaf- Netzwerk Sachsen e.V. ten, Klischees und Rollenzuschreibungen. Deren Kreuzstraße 7, 01067 Dresden Wirkung ist den BetrachterInnen oft nicht bewusst. Telefon: 03 51/ 4 92 33 64 Zwar sind leidende Kinder in der Spendenwerbung kontakt@einewelt-sachsen.de selten geworden. Doch es gibt weiterhin subtile Bot- schaften: Wer ist aktiv, wer passiv auf den Bildern? In welcher Umgebung werden Menschen darge- pe bildet allerdings die Mehrheit und ist in unter- stellt? In welcher Funktion?“ schiedlichen sozialen Schichten zu finden. Nur Mit der Ausstellung sollen nicht nur die Botschaf- wenn diese „Desinteressierten“ angesprochen und ten von Bildern kritisiert werden, sondern mit den in die politische Diskussion involviert werden, be- nachgestellten Bildern in vertauschten Rollen eine kommen sie eine Möglichkeit, andere Perspektiven neue kritische Wahrnehmung von Menschen ge- zu betrachten, diese vielleicht zu akzeptieren und weckt werden. Die Ausstellung will die Menschen zu berücksichtigen. Darin liegt die Chance, ein po- aus ihrer Gewohnheit schubsen. Wenn sich da- sitives und tolerantes Miteinander statt einem aus- durch nur eine Person dieser wichtigen Fragestel- grenzenden Übereinander in der gesellschaftlichen lung „Wieso wäre es eigentlich nicht möglich, wenn Kultur des Zusammenlebens zu schaffen. …?“ stellt, dann haben wir geschafft, einen Samen Vor diesem Hintergrund wird die Ausstellung der- zu pflanzen, der hoffentlich morgen Früchte brin- zeit aktualisiert und die ausgewählten Bilder wer- gen wird. den der aktuellen gesellschaftlichen Situation und Heute, neun Jahre nach der Fertigstellung der dem politischen Diskurs angepasst. Die Ausstellung Ausstellung, steht die Gesellschaft in Sachsen – seit wird zudem um ein digitales Paket erweitert, um der „Flüchtlingswelle“ 2015 noch mehr als in den die Entwicklungspolitik zu den Menschen zu brin- Jahren zuvor – unter Spannung. Die in der Ausstel- gen – für ein Mehr an Miteinander. lung angesprochenen Themen haben nochmals an Wichtigkeit gewonnen. Sie dürfen sich nicht in den politischen Diskussionen abdrängen lassen. Dafür Bildungsmaterialmappe „weiß- müssen weiterhin und verstärkt Themen der Bil- schwarz“ dung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und der Die Mappe enthält Bildungsmaterialien Entwicklungspolitik in Bildungsveranstaltungen zum Thema Rollenverteilungen in der und Fachgesprächen sowie in der Öffentlichkeits- Entwicklungszusammenarbeit. In fünf arbeit so eingebracht werden, dass die Gesellschaft interaktiven Methoden wird sich dem sich für sie interessiert. Auch Menschen, die nicht Thema auch spielerisch angenähert. oder nur selten zu entwicklungspolitischen Vorträ- Empfohlen für Menschen ab 12 Jahren. gen oder Tagungen gehen, sollen sich angesprochen Preis: 10 Euro fühlen. Diese scheinbar unerreichbare Zielgrup- * www.einewelt-sachsen.de KIRCHE weltweit 1/2021 9
METHODEN Bilder im Kopf Zwei beispielhafte Übungen, um sich dem Thema Rassismus zu nähern Es gibt zahlreiche Methoden, die dazu dienen können, eine Reflexion des Umgangs mit rassistischen Ste- reotypen anzuregen. Hier werden zwei Übungen vorgestellt, die für unterschiedliche Altersgruppen geeignet sind und sowohl allein als auch in einer Gruppe durchgeführt werden können. Probieren Sie sie aus! Von Nadège Azafack, ehrenamtliche Mitarbeiterin im ENS mit dem Schwerpunkt Antirassismus, Berlin Bilder im Kopf VORBEREITUNG: Für ein klares Ergebnis ist es notwendig, ein Blatt zum Schreiben und einen Stift parat zu haben. Beim Lesen der Frage sollte sofort der erste aufkommende Gedanke aufgeschrieben wer- den. Es geht hier darum, reale Alltagssituationen auf das Blatt zu bringen. ÜBUNG: Stellen Sie sich vor, Sie müssen auswandern. Sie sind gezwungen, Europa zu verlassen. Wohin werden Sie gehen? Schreiben Sie die Vor- und Nachteile auf, die Sie zu Ihrer Wahl bewogen haben. ZUSATZAUFGABE: Falls Sie sich gegen ein afrikanisches Land entschieden haben, schreiben Sie bitte die Beweggründe (Vor- und Nachteile) auf. REFLEXION: Worauf stützen sich Ihre Gründe? Auf persönliche Erfahrungen (Urlaub, Studium, …) oder Informationen von Dritten (Familie, Nachbarn, Medien, …)? Vergleichen Sie die Beweggründe in beiden Aufgaben: Was fällt Ihnen auf? „White fragility“ – Wer hat Angst, als „Rassist“ eingestuft zu werden? ANLEITUNG: In dieser Übung werden zwei Gesprächsabläufe vorgestellt, die im Alltag öfter vorkommen. Es geht hier darum, unsere instinktive Reaktion auf bestimmte Themen zu durchleuchten und uns damit auseinander zu setzen. Paul (19 Jahre, weiß) sagt übermütig zu Max (19 Jahre, schwarz): „Du braune Schoko- lade, lass uns weiterziehen.“ Wie verläuft die weitere Kommunikation? ABLAUF 1: Max: Wieso beleidigst Du mich jetzt? Womit habe ich das verdient? Paul: Ich habe Dich nicht beleidigt. Ist nur eine Redewendung und ist nicht böse gemeint. Max: Ich finde aber Deine Redewendung beleidigend und obendrauf rassistisch. Paul: Schon gut! Tut mir leid, ich lasse es in Zukunft sein. ABLAUF 2: Max: Wieso beleidigst Du mich jetzt. Womit habe ich das verdient? Paul: Ich habe Dich nicht beleidigt. Ist nur eine Redewendung und ist nicht böse gemeint. Max: Ich finde aber Deine Redewendung herablassend und obendrauf rassistisch. Paul: Nun aber ganz langsam. Ich bin kein Rassist und mein Ausdruck war auch keinesfalls rassistisch gemeint. Max: So kommt es aber bei mir an. Paul: Sei doch nicht so sensibel. Ich glaube, Du hast ein Problem … Meist eskaliert die Situation. REFLEXION: Welche der beiden Abläufe hätte bei Ihnen vorkommen können, wenn Sie an Pauls Stelle gewesen wären? Warum geht Paul in die Abwehrhaltung, sobald das Wort „rassistisch“ fällt? Meinen Sie, ein „Tut mir leid“ hätte die Diskussion auch an der Stelle vor einer Eskalation beenden können? Wenn nein, wieso nicht? Ist Pauls Reaktion im zweiten Ablauf ein Einzelfall? 10 KIRCHE weltweit 1/2021
METHODEN Spiel „SPRACHE (D)EINER MACHT“ Gemeinsam mit kündigung. Dazu gehört auch das bewusste Wahr- David Schupp hat nehmen von Diskriminierung und den vorherr- unsere ehema- schenden Machtstrukturen. In der Art und Weise lige Freiwillige wie wir über Diskriminierung sprechen, wird deut- Nina Sinde das lich mit welchem Blickwinkel wir darauf schauen. Spiel „Sprache Das Spiel lädt ein, die Aufmerksamkeit auf den (D)einer Macht“ eigenen Sprachgebrauch zu richten und diesen zu entwickelt. „Das hinterfragen. Insbesondere, da in der Öffentlich- Spiel ist mit viel keit darüber zunehmend verbissen diskutiert wird, Herzblut und wurde Wert darauf gelegt, das Thema spielerisch mal mehr, mal anzugehen. weniger spiele- Die Spielmaterialien stehen online zum Ausdru- rischer Leichtig- cken zur Verfügung. Zum Spiel gehören ein Spiel- keit entstanden. brett, Spielkarten und eine Spielanleitung. Für alle, Aber es war jeden die gerne eine hochwertigere Qualität verwenden Schweißtropfen möchten, kann das Spiel gegen Übernahme der wert, denn wir glauben, dass es viele gesellschaft- Portogebühren ausgeliehen werden: sprachedei- liche Herausforderungen gibt, die es für uns alle zu nermacht@riseup.net. meistern gilt.“, schreiben die beiden in ihrer An- * urlzs.com/HKcr9 Webportal „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ Das Portal „BNE men Kolonialismus oder Rassismus auf einem Sachsen“ bündelt Zeitstrahl angeordnet. Auch als e eLearning Tool: Angebote und Ma- * www.connecting-the-dots.org/kategorie/kolonialismus terialien zur Bildung • Welthaus Bielefeld: Einführung in die deutsche für nachhaltige Ent- Kolonialgeschichte, Arbeitsblätter „Koloniale wicklung (BNE) und dem Globalen Lernen, darun- Kontinuitäten“ ter auch zum Thema (Post)Kolonialismus. Alle an- Die Rolle Deutschlands als Kolonialmacht und geboten Methoden wurden vom Konzeptwerk Neue die Konsequenzen der Berliner Afrika-Konferenz Ökonomie e.V. (KNÖ) Leipzig für die Anbindung stehen im Mittelpunkt dieser Einheit. Weitere an den sächsischen Lehrplan überarbeitet. empfehlenswerte Arbeitsblätter: * www.welthaus.de/bildung/ • Informationsbüro Nicaragua e.V.: Wie steht ihr unterrichtsmaterialien-downloads dazu? Ein Meinungsbarometer zu Postkolonia • KNÖ: War da was? Deutschland und der Kolo lismus nialismus Diese Aktivierungsmethode bietet einen Einstieg Verschiedene kolonialgeschichtliche Ereignisse, in die Auseinandersetzung mit (Post)Kolonialis- die eine Verbindung zu Deutschland haben, sol- mus. Auf einem „Barometer“ wird zu verschie- len auf einem Zeitstrahl in die richtige zeitliche denen Aussagen Position bezogen. Darüber lässt Reihenfolge gebracht werden. sich gut ins Gespräch kommen. • KNÖ: Wenn Deutschland kolonialisiert worden • Kolonialismus – Ein Quiz wäre ... Eine Internetrecherche zu den Folgen des Mit einem umfangreichen Quiz lernen die Teil- Kolonialismus nehmenden wichtige Zahlen und Fakten zum Nach einer einleitenden Textlektüre, die die Pers- Kolonialismus kennen und steigen in eine Ausei- pektive auf den Kopf stellt, folgt eine Recherche zu nandersetzung ein. den Auswirkungen des Kolonialismus auf gesell- • Glokal e.V.: connecting the dots – Ein Zeitstrahl schaftliche, politische, wirtschaftliche, kulturelle zu Kolonialismus / Rassismus und ökologische Bereiche. Mit dieser Methode werden Zitate zu den The- * www.bne-sachsen.de KIRCHE weltweit 1/2021 11
FÜRBITTE KONKRET Fürbitte für Indien Gott, unsere Mutter und unser Vater, Dir vertrauen wir uns an. Deine Botschaft der Liebe, Gerechtigkeit, der Gleichberechtigung und Würde erreichte uns und erhellt unser Land seit zwei Jahrtausenden. Wir ha- ben gelernt, neue Maßstäbe in unseren Beziehungen zu unseren Mitmenschen zu setzen. Wir danken Dir für Deine befreiende Botschaft. Gott, Du Herr und Lenker der Geschichte, wir danken Dir für die Einsicht und Weitsicht der Gründungsväter und -mütter unseres Staates. Sie haben sich für einen sä- kularen Staat entschieden. Wir danken Dir für die vielen Menschen, die für den Schutz der Minderheiten und für die Menschenrechte eintreten. Hilf denen, die in unserem Land die politische Verantwortung tragen, ihrer Fürsor- gepflicht nachzukommen. Du Gott aller Menschen und Nationen, Deine Bot- Christliche Gemeinden leben häufig in Angst, dass ihre Kirchen, schaft sollte die Schranken und Mauern der Trennun- Schulen und Einrichtungen angegriffen werden. gen überwinden. Wir bekennen, dass wir als Christen Am Sonntag Reminiszere wird deutschlandweit für neue Mauern aufgebaut haben und zur Teilung der bedrängte und verfolgte Christinnen und Christen Gesellschaft beigetragen haben. Als Christen wollten wir gebetet. Am 28. Februar 2021 stand Indien im Fokus, „bessere“ Menschen sein. Unsere „Besserwisserei“ hat wo besonders Christ*innen und Muslim*innen schon manchen von uns intolerant gegenüber unseren Mitmen- seit mehreren Jahren in ihrer Glaubensfreiheit be- schen gemacht. Deinen Jüngern wird heute mit Skepsis schnitten werden. Das zeigt sich auch in Gesetzen der und Verdächtigungen begegnet. Wir haben Angst, dass Regierungspartei BJP. So wird der Wechsel zum Chris- wir angegriffen werden, unsere Frauen vergewaltigt wer- tentum oder zum Islam immer schwieriger, geht mit den. Wir haben Angst, dass unsere Kirchen, Schulen und Nachteilen und Drohungen einher oder wird gar unter Einrichtungen zerstört werden und dass unsere Kinder Strafe gestellt. Aber auch im normalen Glaubensalltag keine sichere Zukunft haben. Wir fühlen uns hilflos und sowie in der Durchführung von Projekten und sozialen schwach gegenüber den Fanatikern. Sie stehen bewaffnet Aufgaben wird die Freiheit eingeschränkt. Das macht vor unseren Türen. Hilf uns, Gott, und wehre ab, die uns vielen Menschen Angst. Die EKD hat eine Arbeitshilfe angreifen. Verdränge Wut und Hass aus ihren Herzen. mit Hintergrundinformationen und Gottesdienstbau- Lass uns spüren, dass Du uns hörst und helfen wirst. Bei steinen herausgegeben, dem wir Teile des folgenden Dir, Gott, finden wir Hilfe. Wir glauben an Dich und Gebets von Johni Thonipara entnommen haben. Deine Liebe. Amen. Fürbitte für die Partnerkirche in Papua-Neuguinea In Neuguinea gibt es immer wieder Streitfälle we- Herr, unser Gott, wir bitten Dich für die Region gen Landrechten und Diskussionen um Aufenthalts- Madang und für eine gerechte und friedvolle Durch- genehmigungen. Menschen siedeln sich in der Nähe führung der Wohnungsbaupläne der Regierung. Kon- der größeren Städte an, um dort Arbeit zu finden. flikte können ausgeräumt werden, wenn Vorhaben Oft haben sie aber keine Erlaubnis dafür und woh- transparent erklärt und gegenseitiges Verständnis ge- nen illegal. Unsere Partnerkirche ELC-PNG besitzt weckt werden. Wir bitten Dich für unsere Partnerkir- ebenfalls verschiedene Grundstücke. In der Region che, dass sie dazu beitragen kann, dass ihr Eigentum Madang wird nun eine dieser Landflächen von der segensreich genutzt wird. Wehre allem Unverständnis Regierung für den sozialen Wohnungsneubau vor- und aller Konfrontation und gib allen Verantwortli- bereitet, um sozial schwachen Familien eine Pers- chen Weisheit und Verständnis, um zu einer guten pektive zu eröffnen. Entwicklung beizutragen. Amen. 12 KIRCHE weltweit 1/2021
FÜRBITTE KONKRET Fürbitte für unsere Freiwilligen Das LMW-Freiwilligenprogramm versucht trotz der Corona-Pandemie, den Weg zu den normalen Abläufen zu finden. Ende Januar fand das Aus- wahlseminar für die Einsatzstellen in Tansania und Indien statt. Die Ausreise ist wie üblich für den September geplant. Die Planungen laufen in enger Abstimmung mit den Partnerkirchen und den koor- dinierenden Organisationen des bundesdeutschen weltwärts-Programms. Im Süd-Nord-Programm gehen die Vorbereitungen in die letzte Phase. Im Spracheninstitut der Evange- lisch-Lutherischen Kirche in Tansania in Morogoro fand ein vierwöchiges intensives landesspezifisches Seminar statt. Die zehn Freiwilligen sehen gespannt auf ihren Bundesfreiwilligendienst in Deutschland in sozialdiakonischen und kulturellen Einrichtungen in Im Spracheninstitut in Morogoro, Tansania, wurden unsere Süd- Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Auch eini- Nord-Freiwilligen intensiv auf die deutsche Kultur vorbereitet. ge neue Einsatzstellen wird es geben. Guter Gott, wir danken Dir, dass sich junge Men- Menschen und Kulturen kennenzulernen und den ge- schen in dieser schwierigen Pandemiezeit, in der meinsamen Glauben zu teilen. Stelle ihnen Menschen viele auf sich selbst konzentriert sind, für einen Frei- an ihre Seite, die sie begleiten und für sie da sind. willigendienst entschieden haben. Stärke sie in ihrer Wir bitten für die Einsatzstellen in Deutschland, Entscheidung, die eigene gewohnte Umgebung zu ver- Tansania und Indien: Lass die interkulturelle Begeg- lassen und den eigenen Horizont zu erweitern, neue nung zu einer Bereicherung für alle werden. Amen. Fürbitte für die Partnerkirche in Tansania Zum Weltgebetstag kommen auch in Tansania am die solidarische Gemeinschaft der Kirchengemeinde 5. März in allen Kirchengemeinden die Frauen zum vor Ort, die sofort geholfen hat und weitergehende gemeinsamen Gebet für die Welt zusammen. „Worauf Hilfe organisieren und koordinieren konnte. bauen wir?“, lautet das Motto des diesjährigen Weltge- betstages in Anlehnung an das Wort Jesu vom Haus- Herr, unser Gott, Du hast uns in diese wunderba- bau aus der Bergpredigt (Matthäus 7,24-25): „Alle, re Welt gestellt, und dankbar schauen wir auf Deine die nun meine Worte hören und entsprechend han- Schöpfung. Aber wir vergessen oft, dass wir nicht Her- deln, werden einer klugen Frau, einem vernünftigen ren, sondern Teil der Schöpfung sind und verantwort- Mann ähnlich sein, die ihr Haus auf Felsen bauten. lich mit ihr in Einklang leben müssen. Und Regen fällt herab, es kommen reißende Flüsse, Hilf uns, dass wir sensibel und bereit werden, Deinem Stürme wehen und überfallen dieses Haus – und es Werk mit Achtung und Respekt zu begegnen und ent- stürzt nicht ein! Denn es ist auf Felsen gegründet.“ sprechend zu handeln, um das Leben aller Menschen – Im vergangenen Jahr waren auch einige Regionen auch das Leben der Menschen in unserer Partnerkirche Tansanias aufgrund der Klimakrise von schweren in Tansania – zu schützen und zu bewahren. Überschwemmungen betroffen. Als Leipziger Missi- Wir bitten Dich besonders für die tansanischen Frau- onswerk konnten wir vereinzelt, zum Beispiel in der en, dass sie nicht nachlassen in ihrem Gebet für Frie- Kirchengemeinde Mwika am Kilimanjaro, Katastro- den, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung phenhilfe leisten, damit obdachlos gewordene Fami- in ihrem Land und überall auf der Erde. Stärke ihren lien wieder ein sicheres Haus bauen konnten. Wich- Mut und ihre Entschlossenheit, sich mit ihrer Stimme tiger noch als die materielle Unterstützung war aber einzubringen in Kirche und Gesellschaft! Amen. KIRCHE weltweit 1/2021 13
INITIATIVEN VOR ORT Angebote aus der Region Mitteldeutschland Postkoloniale Initiativen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Womit sollen sich Gemeindepädagogen und Pfarrerinnen nicht alles beschäftigen? Jetzt auch noch mit dem Thema Kolonialismus – der doch Geschichte ist und weit weg von der eigenen Lebensrealität. Dass dies nicht der Fall ist, versuchen zahlreiche Initiativen zu vermitteln und bieten dafür kreative Formate an. Von Simon Parisius (Recherche) und Antje Lanzendorf, Öffentlichkeitsarbeit des Leipziger Missionswerkes Postkolonialismus ist ein The- ma, das in der Gemeindear- DECOLONIZE JENA! beit nicht gerade obenauf liegt. Aktiv seit 2017 Allerdings gibt es in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt Kurzvorstellung selbst organisierte politische Gruppe, die auf einen viele – häufig studentische – Ini- kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit kolo- tiativen, die sich teilweise bereits nialen Verhältnissen in Vergangenheit und Gegenwart seit vielen Jahren damit beschäf- hinwirken will tigen und gern bereit sind, ihr Pädagogische • Stadtrundgänge Wissen weiterzugeben und ins Schwerpunkte • Bildungsarbeit in Form von Diskussionsveranstaltun- Gespräch zu kommen. Gerade gen und Vorträgen für die Jungen Gemeinden oder Kontakt decolonize-jena@riseup.net den Konfirmandenunterricht bieten sich zahlreiche Möglich- www.jenapostkolonial.noblogs.org keiten, das Thema mit externen Expert*innen zu bearbeiten. Einige der genannten Grup- pen vertreten dabei durchaus DECOLONIZE ERFURT radikale Ansätze, die nicht Aktiv seit 2017 immer geteilt werden mögen. Nichtsdestotrotz sollte der Ver- Kurzvorstellung zivilgesellschaftliche Initiative, die Erfurts Kolonialge- such gewagt werden, sich mit schichte aufarbeitet ihren Anliegen auseinanderzu- Pädagogische • Stadtrundgang (auch virtuell) setzen und eigene Standpunkte Schwerpunkte • Ausstellungen kritisch hinterfragen zu lassen. • Umbenennungskampagnen Kontakt decolonize.erfurt@gmail.com Postkolonialer Stadtrundgang www.decolonizeerfurt.wordpress.com Ein „Standardformat“ der postkolonialen Initiativen sind Stadtrundgänge, bei denen an- DECOLONIZE WEIMAR hand von historischen Plätzen oder noch existierenden Bezü- Aktiv seit 2020 gen die Spuren der Kolonialzeit Kurzvorstellung Projekt von Studierenden der Bauhaus-Universität verdeutlicht werden. Weimar, das kritisch auf koloniale Räume und Ge- In größeren Städten wie Leip- schichte in Weimar aufmerksam machen möchte zig gab es Ausstellungen, die den »kolonialen Gedanken« in Pädagogische • Stadtrundgänge der Bevölkerung fördern soll- Schwerpunkte • Stadtplan ten. Auch sogenannte Völker- Kontakt julia.bee@decolonize-weimar.org schauen waren Anfang des 20. Jahrhunderts weit verbreitet. www.decolonize-weimar.org 14 KIRCHE weltweit 1/2021
INITIATIVEN VOR ORT Allerdings lassen sich auch HALLE POSTKOLONIAL in kleineren Städten Anknüp- fungspunkte entdecken. In Aktiv seit 2018 Kolonialwarenläden wurden Kurzvorstellung Gruppe junger Aktivist*innen, die antirassistische Solidari- überseeische Lebens- und Ge- täts-, Vernetzungs- und pädagogische Arbeit leistet nussmittel, wie Zucker, Kaffee, Pädagogische • Broschüre „Unsichtbare Geschichten – Antikolonialer Tabak, Reis, Kakao, Gewürze Schwerpunkte Widerstand und Halle“ und Tee verkauft. Denkmäler • Umbenennungskampagnen für Otto von Bismarck sind auch häufig zu finden. Was hatte er Kontakt hallepostkolonial@riseup.net mit dem Kolonialismus zu tun? Mancherorts tragen Straßen hallepostkolonial.noblogs.org hallepostkolonial noch immer die Namen von Befürwortern des Kolonialis- LEIPZIG POSTKOLONIAL mus. So gibt es in Erfurt die Initi- ative, das Nettelbeckufer in Gert- Aktiv seit 2011 Schramm-Ufer umzubenennen. Auch der Begriff „Mohr“ führt Kurzvorstellung Arbeitsgruppe des Vereins Engagierte Wissenschaft immer wieder zu Diskussio- e.V. , die das koloniale Erbe der Stadt Leipzig sowie nen, etwa bei Apotheken. Was postkoloniale Perspektiven sichtbar machen will steckt dahinter? Was ist daran Pädagogische • Stadtrundgänge schlimm? Interessant ist auch Schwerpunkte • Bildungsarbeit die Geschichte der Supermarkt- Kontakt poko@engagiertewissenschaft.de kette Edeka. 1898 schlossen sich Kaufleute zur sogenannten www.leipzig-postkolonial.de AGpostkolonial „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“, kurz E. d. K., zusammen. An solch einer DRESDEN POSTKOLONIAL Station lässt sich auch gut über neokoloniale Handelsstrukturen Aktiv seit 2013 und Fairen Handel reden. Kurzvorstellung offene, interdisziplinär arbeitende Gruppe; erforscht und Ließe sich nicht mit Konfir- dokumentiert Dresdner Kolonialgeschichte mandengruppen auf die Suche Pädagogische • Stadtrundgänge nach solche Anknüpfungspunk- Schwerpunkte • rassismuskritische und postkoloniale Seminare, Vorträge ten begeben? Vielleicht würden sie danach auch selbst Rundgän- Kontakt dresden-postkolonial@riseup.net ge für die Gemeinde anbieten ... www.dresden-postkolonial.de @ddpostkolonial Vielleicht gibt es auch noch älte- re Gemeindemitglieder, die sich noch an den Kolonialwarenla- WELTLADEN MAGDEBURG den erinnern können? Es soll keineswegs darum ge- Aktiv seit 2017 hen, Denkmäler zu stürzen oder Farbbeutel auf Edeka-Filialen Kurzvorstellung Arbeitsgruppe beim Weltladen Magdeburg zur Aufar- zu werfen! Es geht darum, sich beitung der kolonialen Spuren in Magdeburg zu vergegenwärtigen, wie der Pädagogische • Stadtrundgänge Kolonialismus gewirkt hat und Schwerpunkte • Bildungsarbeit an Schulen teilweise bis heute wirkt. Die Kontakt bildung@weltladen-magdeburg.de Sensibilität für die Betroffenen, die Folgen und die Strukturen zu www.weltladen-magdeburg.de erhöhen. Das ist das Ziel. KIRCHE weltweit 1/2021 15
FREIWILLIGENPROGRAMM Freiwilligenprogramm postkolonial Was Freiwillige und die Menschen in ihrem Umfeld lernen können Das Freiwilligenprogramm ist eines der offensten, buntesten und vielfältigsten Programme in der kirchlichen Arbeit. Die Themen und Debatten, mit denen Freiwillige und ihre Einsatzstellen konfrontiert werden, sind wegweisend und prägend sowohl in den Biografien der jungen Menschen als auch ihrer Kolleg*innen. Von Susann Küster-Karugia, Referentin für Freiwilligen- und internationale Jugendprogramme des LMW Seit fast 30 Jahren ermöglichst das Leipziger Missi- Rahmen unseres Programms nach Leipzig. Ganze 20 onswerk jungen Menschen einen Freiwilligendienst Jahre nachdem die ersten Freiwilligen aus Leipzig nach in einer der Partnerkirchen. Viel zu lange war das eine Tansania entsandt wurden. Das hat klar mit globalen Einbahnstraße: Allein Jugendliche aus den „reichen“ Machtstrukturen zu tun. Ländern hatten dieses Privileg – junge Menschen aus Das koloniale Erbe, die politischen und wirtschaftli- chen globalen Zusammenhänge und die Reflexion der eigenen Herkunft sind fester Bestandteil der Vorberei- tung und Nachbereitung im Nord-Süd-Programm. Die Auseinandersetzung mit Rassismuserfahrungen und neokolonialen Strukturen und Denkweisen in Deutschland gehört schwerpunktmäßig zur pädago- gischen Begleitung im Süd-Nord-Programm. Natürlich geht es in den Freiwilligenprogrammen um Austausch, einander Kennen- und Verstehenler- nen und darum, Vorurteile zu überwinden. Aber das ist ein Prozess, auf den sich alle Beteiligten, die Frei- willigen, die Einsatzstellen, das gesamte Umfeld und natürlich auch wir Koordinierenden einlassen müs- sen. Dieser Lernweg ist nicht immer bequem. Die Er- fahrungen der Süd-Nord-Freiwilligen sind dabei sehr viel schmerzhafter als das, was alle weiß-sozialisierten Akteur*innen im Programm je erfahren und spüren. Die Freiwilligenprogramme des LMW vernetzen Menschen aus unter- schiedlichen Kulturen: Lernerfahrungen, die alle Beteiligten verändern. Machtgefälle bleibt Tansania, Indien und Papua-Neuguinea hingegen Beide Programme sind unheimlich wertvoll und ich nicht. Eine der größten Hürden ist bis heute die Vi- kann stolz sagen, dass sie besonders in den vergange- sumsvergabe, die es zu überwinden gilt und auf die nen zehn Jahren stark an Qualität gewonnen haben. wir die Freiwilligen am wenigsten verbindlich vorbe- Wir haben auch mehr und mehr auf Programmebene reiten können. die gleichberechtigte Einbeziehung der Partner*innen in Indien, Tansania und Papua-Neuguinea im Blick. Aber – und das müssen wir uns klar machen – es sind Etablierung des Süd-Nord-Programms Programme in deutscher (weißer) Federführung. Es Die Etablierung des Süd-Nord-Programms ist eine ist ein Programm, das in Deutschland gestrickt wurde der wichtigsten Antworten im Kontext von Freiwilli- und das in Deutschland beschieden wird. genprogrammen. Wie viele Abers haben wir gehört, Wir versuchen sehr gewissenhaft, die Programm- als die zivilgesellschaftlichen Stimmen in Deutsch- verantwortlichen in den Partnerkirchen bei allen land immer mehr wurden! Vor allem zurückgekehrte Entscheidungen einzubeziehen. Aber wir merken Nord-Süd-Freiwillige forderten die gleichberechtigte auch, dass es ein Machtgefälle gibt. Es ist schwierig, Teilnahme von Jugendlichen aus dem globalen Süden dies aufzulösen – und ich vermute dahinter auch an dem staatlich geförderten Freiwilligenprogramm ein koloniales Syndrom. Umso mehr geht es darum, „weltwärts“. 2014 kamen die ersten Freiwilligen im weiterhin die Partner*innen zur gleichberechtig- 16 KIRCHE weltweit 1/2021
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