Klangspuren des Lebens Personalisierte Musik steigert das Wohlbefinden von
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2 | 2021 PRAXIS + FORSCHUNG Klangspuren des Lebens Personalisierte Musik steigert das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz Seite 8 Mobilität im Alter Corona in Alters- und Pflegeheimen – im ÖV Seite 4 Wie die Pflegefachkräfte im – beim Wohnen und Umziehen Seite 14 Tessin mit der Dauerbelastung – bei Demenz Seite 22 umgehen Seite 16
EDITORIAL IMPRESSUM Herausgeberin GERONTOLOGIE CH Kirchstrasse 24 Liebe Mitglieder, 3097 Liebefeld Liebe Leserinnen und Leser, www.gerontologie.ch Redaktionsleitung Regula Portillo, In dieser Ausgabe laden wir Sie ein, Patrick Probst, Themen zu entdecken, die in der komform GmbH Redaktionskontakt: Gerontologie eher selten diskutiert mail@komform.ch werden, wie zum Beispiel Mobilität 031 971 28 69 und Musik. Im Vergleich zu den gros- Redaktion sen sozialen und gesundheitlichen Camille-Angelo Aglione, Walliser Alters- Fragestellungen, die mit dem Älter- und Pflegeheime, Valérie werden verbunden sind, mögen die- MOBILITÄT Hugentobler, Haute école se Themen möglicherweise anekdo- de travail social et de la 4 Zugticket online kaufen? santé Lausanne; Chris- tisch wirken. Doch sie leisten einen Kein Problem! toph Hürny, Arzt; Barbara wichtigen Beitrag zur Lebensqualität Masotti, Scuola universi- älterer Menschen und sollten daher MUSIKSPIEGEL taria professionale della von Fachleuten im Bereich des 8 Den audiobiografischen Svizzera italiana; Delphine Alterns berücksichtigt werden. Klängen auf der Spur Roulet Schwab, Institut et Haute Ecole de la Santé Ein ganzheitlicher Ansatz für das INTERVIEW La Source (HES-SO); Altern wird auch von der WHO und Alexander Seifert, Zent- 11 Nico Meier rum für Gerontologie; den Vereinten Nationen in ihrem Leiter der Fachstelle Andreas Sidler, Age- Programm «Dekade des gesunden Incanto der Domicil Bern Stiftung; Dieter Sulzer, Alterns 2021−2030» gefordert. Die ZHAW, Gabrielle Wanzen- Dekade startete im Dezember 2020 8 12 NOTIZEN ried, Hochschule West- und gibt mit vielen globalen Aktio- schweiz HES-SO INTERVIEW Anzeigen nen Impulse für angemessenere 13 Dieter Sulzer info@gerontologie.ch Denk-, Sicht- und Handlungsweisen Leiter der ehemaligen Konzept und Gestaltung in Bezug auf das Altern. Im Fokus komform GmbH, Pro Senectute Bibliothek Liebefeld steht das Konzept des gesunden Foto Cover Alterns als «Prozess der Entwicklung WOHNMOBILITÄT Shutterstock und Aufrechterhaltung funktionaler 14 Zügeln? Nein danke! Übersetzungen Fähigkeiten, die es älteren Menschen Sylvain Bauhofer COVID-19 GERONTOLOGIE CH ermöglichen, einen Zustand des 16 Bis zur Belastungsgrenze Das Magazin für die Ver- Möchten Sie Wohlbefindens zu geniessen.» Funk- und darüber hinaus einsmitglieder erscheint tionale Fähigkeiten sind jene Fertig- 14 dreimal pro Jahr in einer Mitglied von keiten, die es braucht, um das zu 19 DREI STIMMEN Auflage von 1600 Exem- GERONTOLOGIE CH sein und zu tun, was jede*r Einzelne plaren. Der Verkaufspreis POLITIK ist im Mitgliederbeitrag werden oder als lohnend empfindet. Das Aktions- enthalten. Jahresabonne- 20 UNO Dekade für gesundes mente und Einzelaus- dieses Magazin programm lädt Fachleute im Bereich Delphine Roulet Schwab Altern: Auch für die Schweiz gaben können bei der abonnieren? des Alterns dazu ein, den älteren Dr. phil. Psychologie, Professorin und unsere Leserschaft! Herausgeberin bestellt Menschen in den Mittelpunkt aller am «Institut et Haute École werden. Überlegungen zu stellen und zu be- de la Santé La Source (HES-SO)» DEMENZ Kontaktieren Sie uns in Lausanne. Präsidentin ISSN 2673-4958 rücksichtigen, was für ihn wichtig ist. 22 «Aussenkontakte stärken bitte über Ich wünsche Ihnen eine spannen- GERONTOLOGIE CH. das Zugehörigkeitsgefühl» 1. Juli 2021 d.rouletschwab@ 22 © 2021 komform info@gerontologie.ch de und aufschlussreiche Lektüre. ecolelasource.ch GERONTOLOGIE CH 2/2021 3
MOBILITÄT Zugticket online kaufen? Senior*innen sehr internetaffin Bevorzugte Verkehrsmittel der befragten Senior*innen zeigen (gemäss der Studie «Di- gital Seniors» nutzen 70,1 % der Kein Problem! Schweizer Senior*innen das Inter- net regelmässig). Da das Internet im täglichen Leben der befragten 40% Senior*innen gut etabliert ist, liegt Eine nationale Umfrage des senior-lab und der rundum der Fokus auf Technologien rund 30% mobil GmbH zeigt, wie Menschen ab 65 Jahren Technologien um den Gebrauch öffentlicher Ver- kehrsmittel. rund um die Mobilität wahrnehmen und nutzen. Text: Rafael Fink, Michelle Marbach und Delphine Roulet Schwab Regionale Unterschiede: Deutsch- 20% schweizer fahren mehr Velo Die befragten Senior*innen sind in Bezug auf die Mobilität eine sehr D ie Verfügbarkeit geeigneter aktive Bevölkerungsgruppe: 90% 10% Verkehrsmittel, ob Auto, von ihnen sind täglich ausser Haus ÖV oder Langsamverkehr, unterwegs. Gesamthaft gesehen fördert die soziale Teilhabe und machen sie damit einen grossen 30,4% 34,2% 6,9% 9,5% 18,9% 0 Unabhängigkeit älterer Menschen Anteil der Verkehrsteilnehmenden Privatfahr- Öffentlicher E-Bike Velo zu Fuss und trägt zu ihrer Lebensqualität in der Schweiz aus. Ihre bevorzug- zeug Verkehr bei. Um das Mobilitätsverhalten ten Verkehrsmittel sind: ÖV (34 %) Auto/ und die Bedürfnisse dieser Be- und Auto (30 %), gefolgt von zu Motorrad völkerungsgruppe (ausserhalb von Fuss gehen (19 %), Velo (9%) und COVID-Zeiten) besser zu ver- Elektrovelo (7 %). Allerdings unter- 1418 Personen zwischen freundlichkeit hängen jedoch vom stehen, lancierte das senior-lab in scheiden sich die Gewohnheiten 64 und 94 Jahren wurden jeweiligen Werkzeug ab. Die Mehr- zu ihrem Mobilitätsver- Zusammenarbeit mit der rundum je nach Region. Bei den Deutsch- heit der befragten Senior*innen halten befragt. mobil GmbH zwischen April und schweizer*innen liegt die Nutzung empfand es als einfach, Fahrpläne Dezember 2020 eine nationale von ÖV, Velo und Elektrovelo hö- online einzusehen (86 %), Billetts Online-Umfrage. Dabei wurden her als im nationalen Durchschnitt. am Computer per Internet (63 %) 1418 Personen im Alter zwischen Bei den französisch- und italie- oder am Billettautomaten zu kau- 64 und 94 Jahren befragt, die in nischsprachigen Schweizer*innen fen (62%). Im Gegensatz dazu wer- der Stadt (40 %) und auf dem Land ist der Trend gerade umgekehrt: den der Ticketkauf per SMS (80%) (35 %) leben. Die Ergebnisse kon- Reisen mit dem Auto und zu Fuss und der Kauf mit der Smartphone- zentrieren sich auf den Gebrauch werden bevorzugt. App (57%) von den Befragten als von Technologien, die den Zugang schwieriger eingestuft und/oder zu Transportmitteln erleichtern Reiseplanung mithilfe des Internets gar nicht genutzt. Es gilt jedoch zu sollen. Dieser Aspekt ist umso Die befragten Senior*innen zeigen beachten, dass durch die Online- interessanter, als sich die heutigen eine grosse Offenheit für den Verteilung der Umfrage vor allem Einsatz von Travel-Management- Senior*innen antworteten, die mit Technologien wie z.B. Apps von dem Internet vertraut sind. Verkehrsunternehmen oder Rou- online-Konferenzen: tenplanern. Die meisten planen Im Rahmen der Europäischen Hybrider Einsatz der Technologien ihre Fahrten mit dem ÖV über eine Mobilitätswoche (16.–22. Sep- Die Ergebnisse der Studie zeigen, App (44 %) oder die Website des tember 2021) organisiert das dass Senior*innen ihre Reisen Viele Senior*innen senior lab mehrere online-Kon- planen ihre Reisen Verkehrsunternehmens (43 %). Nur ferenzen. Das Programm und gerne «hybrid» managen: sie über eine App via 13 % nutzen einen Papierfahrplan. weitere Informationen folgen konsultieren den Fahrplan im Smartphone. Die Beliebtheit und die Benutzer- unter www.senior-lab.ch. Internet und planen ihre Reisen Foto: iStock 4 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 5
MOBILITÄT ANZEIGE Wahrnehmung der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln NEU Das Fahren im öffentlichen Verkehr gibt mir ein Gefühl von Freiheit 5% 16% Rafael Fink 23% Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der «Haute École online, kaufen ihre Tickets und de la Santé La Source» und Abonnemente aber mit Vorliebe verantwortlich für die Kommu 56% nikation mit der senior-lab Die fruchtige am Schalter. Diese Tatsache gilt es unbedingt zu berücksichtigen, Community. Trinknahrung mit r.fink@ecolelasource.ch wenn verhindert werden soll, dass höchster Protein- Senior*innen der Zugang zu öffent- Im öffentlichen Verkehr konzentration fühle ich mich sicher lichen Verkehrsmitteln erschwert wird. So könnte die angekündigte 6% Abschaffung der Tageskarten bis 2023 zugunsten von Spartickets, 29% die nur noch online oder über die App gekauft werden können, den Michelle Marbach Zugang von Senior*innen zu den MAS ETH Entwicklung und 64% Angeboten der SBB einschränken. Zusammenarbeit, Master of Dies ist umso problematischer, Science Umweltgeowissenschaf- wenn man bedenkt, dass 53% der ten. Projektleiterin bei rundum mobil. befragten Senior*innen Schwierig- m.marbach@ Wenn ich nicht mit dem keiten haben, Spartickets zu kau- rundum-mobil.ch öffentlichen Verkehr fahren könnte, fen und/oder diese nicht nutzen. müsste ich umziehen Um die Mobilität von Senior*innen zu fördern und sicherzustellen, 12% dass sie einen gleichberechtigten 300* Zugang zu Verkehrsmitteln haben, kcal 31% 18% ist eine enge Zusammenarbeit der 14 g* 0g verschiedenen Akteure (Verkehrs- Molken- *pro 200ml Flasche Fett unternehmen, Gerontolog*innen, Delphine Roulet Schwab protein 38% Seniorenverbände, Behörden usw.) Dr. phil. Psychologie, Professorin enorm wichtig. Um gute Lösungen am «Institut et Haute École Resource® Ultra fruit ist besonders geeignet als erfrischende Alternative zu milchigen zu erzielen, müssen die Bedürfnis- de la Santé La Source (HES-SO)» Ergänzungsnahrungen, bei Mangelernährung, onkologischen Erkrankungen oder zur in Lausanne. Präsidentin se und Anliegen älterer Menschen prä-/postoperativen Ernährung. Trifft völlig zu GERONTOLOGIE.CH, Mitglied des Trifft zu bei der Entwicklung neuer Dienst- Pilotprojekts senior-lab. Rückerstattung – Resource® Trinknahrungen werden von der Grund versicherung Trifft nicht zu leistungen von Anfang an berück- d.rouletschwab@ für medizinische Indikationen gemäss GESKES Richtlinien rückerstattet. Trifft überhaupt nicht zu sichtigt werden. ecolelasource.ch www.nestlehealthscience.ch 6 GERONTOLOGIE CH 2/2021
MUSIKSPIEGEL Den audiobiografischen Text: Sandra Oppikofer, Gabriela Hofstetter, Andrea Hess, Sonia Engström & Heather Edwards Klängen auf der Spur D ie Bedürfnisse von Men- Informationen können so bewahrt schen mit Demenz variieren und gleichzeitig mit emotional je nach individuellen Präfe- bedeutsamen Klängen und Musik Eine Schweizer Studie zeigt, wie sich die renzen, vorhandenen Ressourcen, verknüpft werden. Meistens wer- Lebensqualität von Menschen mit Demenz Kontext und Beeinträchtigungen. den musikalische Erinnerungen Eine Intervention zur Stabilisie- länger gespeichert als solche, die mithilfe des Musikspiegels verbessern lässt. rung des Wohlbefindens und der nicht von Musik oder Geräuschen Lebensqualität der betroffenen begleitet werden. Bei achtsamer Person muss deshalb genau auf Anwendung im Rahmen einer Ein Pflegefachmann diese zugeschnitten sein. Insofern kontinuierlichen persönlichen erstellt mit einer eignet sich der Musikspiegel als au- Beziehung, kann der Musikspiegel Studienteilnehmerin des Pflegeheims Reuss diobiografische Unterstützung für dabei helfen, Brücken der Kommu- park in Niederwil AG Menschen mit Gedächtnisschwie- nikation und des Verständnisses zu Was ist ein einen Musikspiegel. rigkeiten besonders gut. bauen und aufrechtzuerhalten. Musikspiegel? Foto: Jos Schmid Auch Erinnerungen bestimmen, Umfassende Interventionsstudie Die Musikspiegel-Metho- wer wir sind im häuslichen Kontext und in de ist eine just-in-time Geräusche, Klänge und Musik, Pflegeinstitutionen adaptive Intervention, die an schöne Erlebnisse geknüpft Die Methode des «Musikspiegels» die sich auf die Indivi- sind, können helfen, sich leichter wurde von der britischen Musik- dualität der Bedürfnisse an Dinge zu erinnern. Indem sie pädagogin und Pianistin Heather einer Person sowie den positive Assoziationen hervorru- Edwards entwickelt und in der fen, verbessern sie das Wohlbefin- Schweiz vom Zentrum für Geron- vorliegenden Kontext den – insbesondere bei Menschen tologie der Universität Zürich und konzentriert. Der Inhalt mit Gedächtnisschwierigkeiten, dem Universitären Forschungs- eines Musikspiegels ist aber auch bei ihren Pflege- und Be- schwerpunkt Dynamik Gesun- hochgradig individuali- treuungspersonen. Individuell ab- den Alterns im Rahmen einer siert und entsteht aus gestimmte, bedeutungsvolle Musik vierjährigen Interventionsstudie ausführlichen Gesprä- ermöglicht es diesen Menschen, im häuslichen Kontext sowie in chen mit der Person, die freudige sowie sinnstiftende Er- Pflegeinstitutionen im Kanton fahrungen zu machen, mit ihrem Aargau wissenschaftlich unter- an Gedächtnisverlust lei- Umfeld in Verbindung zu treten, sucht. Mittels dieser randomisier- det, und in einigen Fällen sich zu engagieren und dabei indi- ten, kontrollierten Studie wurden mit signifikanten anderen viduell bedeutsame Episoden ihres mögliche Auswirkungen des Personen, wenn die Per- Lebens aufleben zu lassen. Musikspiegels auf Personen mit son Schwierigkeiten hat, Gedächtnisschwierigkeiten und sich auszudrücken. Der Musikspiegel als Brückenbauer ihre Betreuenden untersucht. In Ein Musikspiegel besteht aus Zusammenarbeit mit freiwilligen Zeitpunkt der Nutzung positiven Erinnerungen, verfasst Mitarbeitenden sowie Pflege- und kann an die Bedürfnisse in den Worten der Person und ver- Betreuungspersonen wurden zu und Wünsche der Per- knüpft mit Geräuschen, Klängen diesem Zweck positive Erinnerun- son sowie an schwierige oder Musik, die mit den jeweili- gen (sogenannte «Lebensperlen») Situationen im Alltag an- gen Lebensepisoden zusammen- von 193 Demenzbetroffenen – wo gepasst werden. hängen. Wichtige biografische möglich – in deren eigenen Worten 8 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 9
MUSIKSPIEGEL INTERVIEW «Interaktionen beim festgehalten und mit Geräuschen eigenes Stressniveau vor, während oder Musik kombiniert, die mit und nach der Intervention. Von 155 gemeinsamen Musikhören den entsprechenden Lebensepiso- Personen liegen komplette Daten- den zusammenhängen. sätze vor. Über alle vier Inter- sind zentral» ventionsphasen hinweg wurden insgesamt 1406 Tagebucheinträge erfasst. «Die Studie zeigt: Seit vielen Jahren arbeitet Nico Meier Nico Meier ist Soziokulturel- Erfreuliche Resultate ler Animator FH und Musikge- Von der Musikspiegel- bei der Betreuung von Menschen mit ragoge. Er leitet die Fachstel- bei allen Beteiligten Methode profitieren Demenz mit personalisierter Musik. le Incanto der Domicil Bern Die Resultate zeigen, dass die Mu- AG und den Bereich Sozio- nicht nur die von Demenz sikspiegel-Methode das Wohlbe- Dazu hat er die ursprüngliche Methodik kultur/Aktivierung im Domicil Betroffenen, sondern finden von Menschen mit Demenz Kompetenzzentrum Demenz aus den USA weiterentwickelt. auch das Betreuungs- hochsignifikant steigern kann: Bethlehemacker. und Pflegepersonal.» sowohl in Alltagssituationen als Interview: Andreas Sidler auch bei herausforderndem Ver- Sandra Oppikofer halten wie Unruhe, Apathie oder Dr. phil., Betriebsökonomin und Aggression. Darüber hinaus konn- Sozialpsychologin. Am Zentrum Umsetzung: 1406 Tagebucheinträge ten mittelfristige positive Effekte für Gerontologie der Universität Pflege- und Betreuungspersonen ausgemacht werden: So verringer- Zürich leitet sie den Bereich Musik ist ein etabliertes Instrument Minderung von Schmerzen, usw. beobachten. Nur so können wir die «Entwicklung und Evaluation, setzten diese akustisch eingebet- ten sich während der Intervention der Aktivierung. Seit fünf Jahren besonders intensiv bewirken. richtige Dauer, Tageszeit, Um- Evaluationsberatung». teten biografischen Erinnerungs- depressive Verstimmungen und sandra.oppikofer@uzh.ch gehen Sie im Domicil Kompetenz- gebung und Art der Musik heraus- texte während eines Zeitraums von abweichende Bewegungsmuster – zentrum Demenz Bethlehemacker Sie haben sich ursprünglich am kristallisieren. jeweils sechs Wochen regelmässig darunter etwa Rastlosigkeit. Doch neue Wege und arbeiten mit perso- Konzept «Music & Memory» aus den in kritischen Alltagssituation ein; nicht nur die von Demenz Betroffe- nalisierten Playlisten. Wo liegt der USA orientiert. Heute verfolgen Sie Und welche Rolle spielen die etwa wenn sie als Nachtwache den nen profitierten: Auch die Grund- Unterschied? mit Incanto einen eigenen Ansatz. Angehörigen? Spätdienst ablösten und eine ver- stimmung von Betreuungs- und Mehr wissen: Die personalisierte Playlist besteht Was ist dabei anders? Bei der Suche nach den Musik- trauensvolle Beziehung zum Be- Pflegepersonen verbesserte sich, nicht einfach aus Musik, die man In den USA wird personalisierte stücken führen wir mit ihnen Publikation wohnenden aufbauen wollten oder während das akute Stressempfin- schön findet. Es sind Musikstücke, Musik vor allem als Möglichkeit leitfadengestützte Interviews. «Musikspiegel – Klangspuren des wenn sich eine Bewohnende einem den sank. Darüber hinaus stieg die Lebens». Eine Anleitung zur au- die mit bestimmten Augenblicken, zur Selbstbeschäftigung betrach- Zudem begleiten viele Angehörige Verbandwechsel verweigerte. In wahrgenommene Nähe zwischen diobiografischen Unterstützung Lebensphasen, Menschen oder Or- tet, die das Personal entlastet. die Bewohner*innen beim Musik- einem Tagebuch hielten sie den den Betreuungs- und Pflegeperso- in der Pflege und Betreuung ten aus der eigenen Vergangenheit Was aber, wenn ein Musikstück hören. Es ist eine gute Grundlage, Kontext des Einsatzes sowie ihre nen und den an Demenz erkrank- von Menschen mit Gedächtnis- verknüpft sind. Dadurch werden sehr starke Emotionen wie grosse um ihren Besuch konstruktiv zu Beobachtungen zu den Auswir- ten Menschen. Die empfundene schwierigkeiten (inkl. Notizheft). Erinnerungen und Lebensgefühle Freude oder auch Trauer oder Wut gestalten. CHF 15.00. Bestellung: kungen des Musikspiegels auf die Nähe weist zudem darauf hin, dass zfg@zfg.uzh.ch hervorgerufen, welche für unsere weckt? Dann braucht es jemanden, an Demenz erkrankte Person fest. der Musikspiegel eine positive Bewohner*innen mit Demenz be- der das auffängt und begleitet. Bei Bietet die Fachstelle Incanto auch Auf dieser Basis wurde analysiert, Beziehung zwischen Menschen Veranstaltungen zum Thema sonders wichtig sind. So können sie Incanto macht diese Begleitung Schulungen für Angehörige an? wie sich der Einsatz des Musikspie- mit einer Demenzerkrankung und Kursangebot «Musikspiegel – einen Teil ihrer Identität wieder- den Unterschied. Es ist immer Die Schulung und Zertifizierung gels auf die Gefühlslage und das ihren Betreuungspersonen fördert Erstellen und Anwenden» entdecken und über sich selbst jemand da, der das Hörerlebnis richten sich in erster Linie an https://www.zfg.uzh.ch/de/ Verhalten der Demenzbetroffenen und somit das Potential hat, den sprechen. Zudem sind es diese und seine Wirkung teilt oder be- Institutionen. Wir schulen ihre weiterbild/Musikspiegel.html auswirkte. Berücksichtigt wurden Betreuungs- und Pflegealltag auf Lieder, die Freude, Entspannung, obachtet. Die Interaktionen beim Kernteams darin, andere Personen zudem Effekte auf die Pflegebelas- der emotionalen Ebene bedeutend Fachtagung «Musik in der gemeinsamen Musikhören – erzäh- beim Musikhören mit den Bewoh- tung und die Nähe zwischen Pfle- zu verbessern. Pflege und Betreuung von an len, tanzen, das Mienenspiel – sind ner*innen anzuleiten – also auch gepersonen und Bewohnenden. Demenz erkrankten Menschen» für uns zentral. Will jemand die Angehörige sowie Mitarbeitende Zusätzlich schätzten die Pflegen- 4. März 2022 im Pflegezentrum Musik für sich allein geniessen, und Freiwillige. Wir unterstützen Reusspark den herausforderndes Verhalten https://www.reusspark.ch/ Mehr wissen: wird das respektiert. Die Begleit- die Institutionen zudem dabei, das mithilfe des neuropsychiatrischen pflege-und-betreuung/articles/ Fachstelle Incanto person bleibt jedoch in der Nähe. Incanto-Modell an ihre eigenen Inventars ein und beurteilten ihr fachtagung-172 www.domicilbern.ch/incanto Es ist wichtig, die Reaktionen zu Verhältnisse anzupassen. 10 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 11
NOTIZEN INTERVIEW THEMA «Die Webseite ist sehr Was hat die Pro Senectute übersichtlich. Unter den Punkten «Wissen» und mit ihrer Bibliothek «Werkzeuge» gibt es angestellt? wichtige Hinweise, die Dieter Sulzer, Fachreferent in der Praxis angewandt Die grösste gerontologische «Angewandte Gerontologie» ZHAW, ehemaliger Leiter der Pro werden können. Der Fachbibliothek ist neu in die Hoch- Senectute Bibliothek (2012–2021). Fragebogen beinhaltet schulbibliothek der ZHAW integriert. alle Punkte, die für die Interview: Andreas Sidler Alterspolitik relevant sind.» Rudolf Hasler, Vereinspräsident Mehr als siebzig Jahre sammelte Die Pro Senectute Bibliothek hatte Dazu hat sich die ZHAW klar be- #AWorld4AllAges von «Senioren für Senioren Möhlin», Kanton Aargau die Pro Senectute Bibliothek einen ausgeprägten Praxisbezug. kannt. Auch Personen ausserhalb Medien zum gesellschaftlichen Dort fand man neben Fachliteratur der ZHAW sollen die Sammlung Im März 2021 hat die WHO den Querschnittsthema Alter. Laien, auch Ratgeber, Belletristik, Aktivie- «Angewandte Gerontologie» nut- «Global report on ageism» veröffent- Studierende und Fachpersonen aus rungsspiele, Graue Literatur und eine zen können. Wer sich registriert, licht. Gleichzeitig startete sie eine der Altersarbeit sowie aus Wissen- der umfangreichsten Sammlungen an hat zudem Zugang zu den Quellen weltweite Kampagne gegen Altersdis- schaft, Verwaltung und Politik er- Filmmaterial zum Thema Alter. Passt aller Hochschulbibliotheken. Aller- hielten so Zugriff auf einen einzig- das in eine Hochschulbibliothek? dings erscheinen die Webseite und kriminierung, an der auch GERONTOLOGIE CH teilnimmt. Inspirationsquelle artigen multimedialen Fundus an Den Bestand eins zu eins zu über- der Newsletter nur auf Deutsch, Informationen. Im Frühling 2021 nehmen und bewusst an seinem auch wenn die Nutzung von der Der «Global report on ageism» skizziert einen für Altersarbeit in hat die Sammlung die Räumlich- bisherigen Profil festzuhalten, ver- Westschweiz und dem Tessin aus Handlungsrahmen zur Bekämpfung von Altersdis- kriminierung und gibt spezifische Empfehlungen der Gemeinde keiten im Zürcher Enge-Quartier verlassen – samt ihrem Bibliotheks- langte Offenheit und Innovations- geist. Das zeigt, dass der Bestand selbstverständlich möglich ist. ab für verschiedene Akteure. Im Bericht sind die Die Plattform Altersfreundliche leiter Dieter Sulzer, der in seiner hier am richtigen Ort angekommen Finden sich Ungeübte dort noch aktuell vorliegenden Erkenntnisse über Wesen und neuen Funktion als Fachreferent ist. Pro Senectute beteiligt sich zurecht oder kann man sich Unter- Ausmass, Determinanten und Auswirkungen der Gemeinde von GERONTOLOGIE CH i «Angewandte Gerontologie» an übrigens weiterhin am Betrieb und stützung holen? Altersdiskriminierung zusammengefasst. Zudem st im ersten Halbjahr ihrer Laufzeit der ZHAW Hochschulbibliothek in soll als Praxispartner einbezogen Im Online-Katalog wird die Suche wird aufgezeigt, welche Strategien zur Prävention rege genutzt worden. Bereits liegen Winterthur erzählt, was der Umzug werden. So wird die bereits vor- mit wenigen Klicks auf die Samm- und Bekämpfung von Altersdiskriminierung wirk- erste Anwendungsbeispiele vor. bedeutet. handene Verbindung der Zürcher lung «Angewandte Gerontologie» sam sind und wo Lücken bestehen. Es werden zu- künftige Forschungslinien vorgeschlagen, die dazu Unter der Rubrik «Aus der Praxis» werden auf der Hochschule für Angewandte eingegrenzt. Wer persönlich in beitragen können, unser Verständnis der Altersdis- Plattform Altersfreundliche Gemeinde in loser Gibt es die Pro Senectute Wissenschaften zur praktischen der in Bahnhofsnähe gelegenen kriminierung zu verbessern. Der Gesamtbericht ist Folge Kurzinterviews mit Fachpersonen veröf- Bibliothek noch? Altersarbeit weiter gestärkt. An- Hochschulbibliothek in Winterthur auf Englisch, die Zusammenfassung auf Französisch fentlicht, die den Weg ihrer Gemeinden zu mehr Ja und Nein. Als Pro Senectute lässlich der Übernahme prüft die vorbeikommt, findet unsere Samm- und Spanisch verfügbar. An der parallel lancierten Altersfreundlichkeit beschreiben – und die Rolle, Schweiz entschied, dass eine eige- ZHAW auch die Möglichkeit einer lung an prominenter Stelle im Erd- weltweiten Kampagne #AWorld4AllAges nimmt die der Check der Plattform Altersfreundliche Ge- ne Bibliothek nicht mehr zu ihrem intensiveren interdepartementalen geschoss. Das Bibliothekspersonal auch GERONTOLOGIE CH teil. Die Kampagne-Web- meinde dabei einnimmt. So soll mit der Zeit eine Kernauftrag gehören soll, konnte Zusammenarbeit im Bereich An- bietet stets Hilfe zur Selbsthilfe. site bietet umfangreiche Materialien (Filme, Bilder, Sammlung von Praxisbeispielen entstehen, die mit der ZHAW eine Hochschule gewandte Gerontologie. Info-Grafiken, Tipps zur Lancierung eigener Kampa- Gemeindeverantwortlichen sowie engagierten gefunden werden, die interes- gnen etc.) sowie die Möglichkeit, sich als teilneh- Senior*innen Ideen und Inspiration liefern können siert war, den Gesamtbestand als Am alten Standort waren interes- mende Organisation direkt einzuschreiben. für die Altersarbeit in ihrer eigenen Schenkung in ihre Bibliothek zu sierte Laien ebenso anzutreffen wie Gemeinde. integrieren. Er ist hier unter dem gestandene Gerontologen. Ist dieses Mehr wissen: Der «Global report on ageism» und Informationen zur Kampagne sind Zu den Interviews: neuen Namen «Angewandte Ge- bunt gemischte Publikum auch in Webseite Fachinformation einzusehen unter: https://altersfreundliche-gemeinde.ch/ rontologie» zugänglich und wird der modernen Lernwelt der ZHAW- Angewandte Gerontologie: https://bit.ly/3wFjy0c aus-der-praxis weiterentwickelt. Bibliothek willkommen? zhaw.ch/hsb/gerontologie 12 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 13
THEMA WOHNMOBILITÄT Wohnmobilität im Alter: demographischen Entwicklung mit altersgerechten Wohnungen mit Auf Bedürfnisse älterer Wohnraum- dem Eintritt der geburtenstarken entsprechenden Zusatzdienstleis- suchender eingehen Jahrgänge der Babyboomer-Gene- tungen sowohl aus individueller Ältere Menschen haben in Bezug Zügeln? Nein danke! ration ins Pensionsalter und ihrer hohen Lebenserwartung wird es umso wichtiger, auch aus dieser als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll. auf die Wohnungssuche andere Informationsbedürfnisse und Entscheidungsprozesse als jün- raumplanerischen Perspektive die Entscheidungsträger in der Pflicht gere Altersgruppen. Dies kann Das Verharren in einer grossen, wenig altersfreundlichen Wohnmobilität im Alter zu fördern. Die Politik ist gefordert, die Er- insbesondere in lokal angespann- Wohnung kann zu gesundheitlichen Problemen führen. kenntnisse in die Anpassungen der ten Wohnungsmärkten zu einer Auch aus raumplanerischer Sicht ist es wichtig, dass mehr kantonalen und regionalen Richt- Diskriminierung der älteren planungen, Planungs- und Bau- Bevölkerung führen. Umso wich- altersgerechter Wohnraum zur Verfügung steht. 52 Jahre gesetze und die Beurteilung von tiger ist neben einem zielgruppen- So lange wohnen die Projekten einfliessen zu lassen, orientierten Wohnungsangebot Text: Gabrielle Wanzenried damit vermehrt bedürfnisgerechte auch die entsprechend angepasste über 85-Jährigen durch- Wohnungsangebote entstehen, Vermarktungsstrategie, welche schnittlich am gleichen welche sich u.a. je nach Raumtypo- auf die Bedürfnisse der älteren Ort, und 34 Jahre in logie unterscheiden. Neben der Generation eingeht. Schliesslich AUSGANGSLAGE ten älteren Menschen vor, so lange wie z.B Sturzgefahr oder sozialer derselben Wohnung. Raumplanung besteht je nach Kan- nehmen die Städte und Gemein- Pro Jahr ziehen in der Schweizer wie möglich in ihrer Wohnung Isolation, jedoch gravierende Aus- Quelle: Age Report 2018 ton zudem Handlungsbedarf bei den eine wichtige Rolle ein, indem Bevölkerung rund 10% der Haus- bzw. ihrem Haus und am gleichen wirkungen auf die Gesundheit der entsprechenden finanziellen Anrei- das Thema «Wohnen im Alter» halte um. Die Umzugswahrschein- Wohnort zu bleiben, wo sie auf- älteren Person haben und im Falle zen und Unterstützungsangeboten explizit in die Strategie der Ge- lichkeit hängt stark vom Alter und grund der Wohn- und Haushalts- eines Unfalls oft notfallmässig und PERSPEKTIVEN von staatlicher Seite zur Förderung meinde- und Stadtentwicklung der entsprechenden Lebensphase routinen mit der Umgebung ver- ungeplant sogar den Umzug in Um die Wohnmobilität im Alter der Wohnangebote. Eine wichtige einbezogen wird. Neben eigenen ab. Gemäss BFS ist die Umzugs- traut sind. Gemäss dem Schweizer ein Altersheim erzwingen. Neben zu fördern, muss altersgerechter Rolle nehmen zudem die Liegen- Angeboten bzw. der Unterstützung häufigkeit zwischen 20 bis 35 Haushaltspanel bei 65+-Jährigen dem Verlust der Unabhängigkeit Wohnraum am richtigen Stand- schaftseigentümer bzw. die Inves- von entsprechenden Drittanbie- Jahren am höchsten, wenn die wollen nur rund 13.5% der Haus- und den weiteren negativen Aus- ort vorhanden sein. Diesbezüglich toren sowie die Liegenschaftsver- tern von geeignetem Wohnraum Ausbildung beendet, eine neue halte zügeln. Als häufigste Gründe wirkungen auf die Lebensqualität wurden in den letzten Jahren Fort- waltungen wahr. Sie entscheiden geht es auch um Vernetzung der Arbeitsstelle angetreten oder mit für einen Wohnungswechsel gelten der betroffenen Person, entstehen schritte erzielt, doch das Angebot über Wohnangebote sowie über die weiteren Dienstleistungsangebo- dem Lebenspartner zusammenge- gesundheitliche Probleme, eine zu daraus in der Regel auch Mehrkos- insbesondere auch in Hinblick auf Zuteilung der Wohnungen an die te, welche über das reine Wohnen zogen wird. Mit der Familiengrün- grosse Wohnung oder der Wunsch, ten auf individueller und volkswirt- die demographische Entwicklung Bewohnenden. hinaus für ein bedürfnisgerechtes dung, dem Kauf von Wohneigen- näher bei den Kindern zu sein. schaftlicher Ebene. reicht noch lange nicht aus. Aus Leben im Alter und ein Altern in tum oder anderen stabilisierenden Sicht der Lebensqualität der älte- Würde sorgen. Lebensereignissen nimmt die Sinkende Wohnmobilität – ren Menschen sowie aus Kosten- durchschnittliche Umzugswahr- scheinlichkeit kontinuierlich ab. 2,5 % steigender Wohnflächenverbrauch Der individuelle Wohnflächenver- überlegungen ist das Angebot an Auch nach der Pensionierung So hoch ist die brauch steigt mit dem Alter signi- verbleiben die meisten an ihrem Umzugswahrscheinlich- fikant. Ältere Menschen verbleiben Bestehen ge- Wohnort. Erst ab dem 75. Lebens- keit bei den über oft in der langjährigen, auch aus eignete Wohn- jahr wird relativ gesehen wieder 65-Jährigen. ihrer Sicht zu gross gewordenen angebote, kann mehr umgezogen, oft verbunden Familienwohnung, selbst nachdem ein Umzug grosse mit dem Umzug in eine kleinere die Kinder ausgezogen und der Erleichterung Wohneinheit, eine Alterswohnung, PROBLEMATIK Partner verstorben sind. Häufige bringen. Gabrielle Wanzenried oder später und oft gezwungener Stabilität und Routine sind gerade Gründe dafür sind das Fehlen von Prof. Dr., Ordentliche Fachhoch- massen mit dem Umzug in ein auch mit fortschreitendem Alter altersgerechten Wohnangeboten schulprofessorin an der Haute Altersheim. wichtig. Mit den altersbedingten in der Umgebung, höhere Wohn- Ecole d’Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud, Hochschule Einschränkungen kann die feh- kosten bei einem Umzug, oder Westschweiz HES-SO. Vertraute Umgebung ist wichtig lende Alterstauglichkeit einer die Wahrnehmung des Zügelns gabrielle.wanzenried@ Grundsätzlich ziehen es die meis- Wohnlage aufgrund von Risiken, als zu grosse Last. Aufgrund der heig-vd.ch Foto: Shutterstock 14 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 15
COVID-19 Bis zur Belastungsgrenze bestand aus zwei Phasen. Von Mai nach Verständnis und Unterstüt- veränderte sich die Müdigkeit hin bis November 2020 trafen sich die zung verlangt. Zu Beginn der Pan- zu «die vielen Abläufe und Proto- Forschenden mit der Leitung und demie fühlten sich die Hälfte und kolle einzuhalten, erfordert viel und darüber hinaus den Mitarbeitenden von sieben Alters- und Pflegeheimen. Anhand von Fragebogen wurden die Mit- im weiteren Pandemieverlauf 39% aller Pflegenden schlecht gelaunt, unverstanden und allein. Anhand Konzentration und strengt an». Es war eine Müdigkeit, die auf die An- sammlung schwieriger Erfahrun- arbeitenden zu ihren Erfahrungen der Daten lassen sich zwei typische gen, körperlicher Erschöpfung und Ein kantonales Interventionsprojekt im Tessin und ihrem Gemütszustand befragt. Reaktionen auf diese Dauerbelas- psychischer Widerstände zurück- erforschte, wie die ständige Angst, sich oder andere mit Insgesamt wurden 428 Fragebo- tung feststellen: Viele reagieren zuführen war; eine Müdigkeit, die dem Virus anzustecken, das Wohl- und Stressempfinden der gen ausgefüllt, davon 269 im Mai/ einerseits mit Gereiztheit auf die – angesichts der Ungewissheit über Juni und 159 in der zweiten Runde überfordernde Situation, was so- die Dauer der Pandemie – einem Pflegefachkräfte in Alters- und Pflegeheimen beeinflusst. im November. Weiter fanden in wohl im März als auch im Novem- Abnützungskampf ähnelte. jedem Alters- und Pflegeheim ber auf mehr als 60% der Betreu- Text: Rita Pezzati, Luisa Lomazzi, Carla Sargenti, drei Gesprächsrunden statt, wo ungspersonen zutraf. Andererseits Emotionaler Balanceakt Sara Di Salvatore, Anna De Benedetti, Daniele Stival die unterschiedlichen Erfahrun- kamen bei vielen Pflegefachkräften Die bisherigen Daten und Ergeb- gen untereinander ausgetauscht die Emotionen hoch in Form von nisse der Arbeitsgruppen spie- werden konnten. Daran beteiligten Tränen, was die Verzweiflung zum geln den Grad der Erschöpfung C OVID-19 hat den Alltag, das sich rund 100 Pflegefachkräfte. Ausdruck bringt, aber auch hilft, der Pflegefachkräfte Ende 2020. berufliche und private Le- angestaute Spannung abzubauen. Gleichzeitig wird deutlich, dass ben im Tessin insbesondere Gebundene Hände Rund die Hälfte der Pflegenden eine nahe und einfühlsame Be- während der ersten Corona-Welle führen zu Frustration gab an, im März mit Tränen auf die ziehung zu den Bewohnenden und stark verändert. Besonders betrof- Die Sorge und Erfahrung, selbst schwierige Situation reagiert zu ha- fen von Angst, Stress und Erschöp- infiziert zu werden und Bewoh- ben. Ernüchternd ist die Tatsache, fung waren die Pflegefachkräfte nende und Angehörige mit dem dass 32% der Pflegenden auch im Während der ersten in Gesundheitseinrichtungen und Virus anzustecken, wurde in allen November noch häufig weinten. Corona-Welle … Alters- und Pflegeheimen. Auf- Arbeitsgruppen geäussert. Dazu grund der schwierigen Umstände kam die ungewohnt intensive Stressabbau ist überlebenswichtig … empfanden 97% der in den Alters- und Pflegeheimen Konfrontation mit dem Leid und Die Emotionsregulation ist ent- Befragten eine höhere lancierte das «Amt für Alten- und dem Sterben von Bewohnenden scheidend, wenn es darum geht, Arbeitsbelastung. Heimpflege (UACD)» und der in einem Kontext, in dem auf- die Gesundheit der Pflegenden Tessiner Kantonsarzt ein Inter- grund der Pandemie keine übliche zu schützen. Ansonsten können … hatten 69% Angst, sich ventionsprojekt, um das Ausmass Sterbebegleitung geleistet werden Schlaf- und Appetitstörungen mit selber und/oder andere der Belastung und des Stressemp- konnte. Das Bewusstsein, nicht den bisher beschriebenen Aus- mit dem Virus anzuste- findens in verschiedenen Pflege- die Qualität der Pflege leisten zu prägungen ein pathologisches cken. einrichtungen zu ermitteln und mit können, für die man ausgebil- Krankheitsbild abgeben. So gaben Unterstützungsangeboten entspre- det ist, führte zu Demotivation, sowohl im März als auch im … erlebten 87% der Be- chend zu reagieren. Dazu gehörte Frustration und Schuldgefühlen November über 60% der Pflegen- fragten weitreichende auch, dass für die Mitarbeitenden sowie zu Schwierigkeiten im Um- den an, unter Schlafstörungen zu Veränderungen im Pri- Raum geschaffen wurde zum Inne- gang mit den eigenen Emotionen leiden. 80% der Befragten klagten halten, Nachdenken und Gedan- sowohl gegenüber sich selbst (Wut) über Müdigkeit – nicht nur phy- vatleben wie wie z.B. der kenaustausch. als auch gegenüber Kolleg*innen sisch, sondern auch psychisch. Im Verzicht, Angehörige zu (Reizbarkeit). März war die Müdigkeit begleitet besuchen. Bestandsaufnahme: von «So viel Antrieb und Adre- Wie geht es den Pflegenden? Was löst die Dauerbelastung aus? nalin…» oder «das Zusammen- … hatten sich 43% zu- Die Pflegenden kamen während Das Interventionsprojekt wurde Ständige Angst und Sorge erzeu- gehörigkeitsgefühl ist gross, wir hause isoliert oder sind der Corona- vom Kompetenzzentrum für ältere gen eine Art Alarmbereitschaft, kämpfen gemeinsam». Im Mai vorübergehend ins Hotel Pandemie kaum Menschen der Fachhochschule die sich negativ auf die Gesundheit die Hoffnung, «bald haben wir zur Ruhe. gezogen. Südschweiz (SUPSI) konzipiert und und die Stimmung auswirkt, und es geschafft» und im November Foto: Shutterstock 16 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 17
COVID-19 DREI STIMMEN ein guter Teamzusammenhalt für die Arbeitszufriedenheit der Pfle- zweiflung sind wir Menschen, die es schaffen, zu lächeln und positi- Drei Altersstimmen gefachkräfte grundlegend sind. Viele Pflegende äussern das Be- ve Energie zu übertragen»; «Die Solidarität unter den Mitarbeiten- aus drei Landesteilen dürfnis nach mehr Unterstützung den ist gross. Wir tun unser Bestes und Ruhephasen, was erahnen für alle: für die Bewohnenden und Fühlen Sie sich aufgrund Ihres Alters lässt, wie sehr sie immer noch das Team.» manchmal benachteiligt oder diskriminiert? « « « nach einem emotionalen Gleich- gewicht suchen. Dabei fallen Sätze wie: «Wir haben die Stärke Von Altersdiskriminierung Ich bin 85 Jahre alt und Zu Beginn der Pandemie des Kollektivs zurückgewonnen. fühlte ich mich bisher sehr unabhängig, aber erhielten wir Ratschläge: Aber wir sind immer noch müde»; kaum betroffen. Auch in als ich nach einer CO- aufzuräumen, unsere nutz- «Trotz der Frustration und Ver- der Pandemie konnte ich meinen VID-19-Erkrankung aus dem losen Sachen im Keller zu entsor- Mehr wissen: Anfangsschock schnell überwin- Krankenhaus entlassen wurde, gen, unsere Patientenverfügungen Die Gefühlslage der Pflegenden Rita Pezzati den: Als eine noch recht fitte Pen- musste mich meine Tochter zu den und Vorsorgeaufträge anzupassen während der ersten Corona-Welle Der Bericht «Die Pandemie aus Sicht der Pflegenden in Pflege- Professorin am Centro compe- sionärin gehörte ich nun also mit Arztterminen chauffieren. Mein oder die eigenen Lebensgeschich- wurde u.a. beeinflusst durch: und Altersheimen» zum Tessiner tenze anziani der SUPSI, Psycho- 65+ zur «Risikogruppe». Da ich Hörverlust hat sich in den letzten ten aufzuschreiben. Das war sicher • Ungewissheit der Interventionsprojekt ist auf login und Psychotherapeutin, noch nicht in einer Alterseinrich- Jahren verschlimmert, doch mit gut gemeint. Aber warum hörte Französisch einsehbar unter: Projektleiterin. Dauer der Pandemie tung lebe, blieb mir häufiges Wan- dem Hörgerät höre ich gut, wenn ich aus diesen Ratschlägen so oft gerontologie.ch > Publikationen. rita.pezzati@supsi.ch • Fehlen eines dern in einsamen Gegenden zur mich die Menschen direkt an- eine leicht herablassende Hal- Stärkung meines Immunsystems. sprechen. Doch leider sprechen tung? Da schien auf einmal nicht Impfstoffes Mit erfolgreicher Impfung im einige medizinische Fachkräfte mit mehr zu gelten, was wir von der • Ständige Alarmbereit- Mai 2021 gab es erst recht keinen meiner Tochter und nicht mit mir, Altersforschung her immer wieder ANZEIGE schaft Grund mehr, sich als über 70jähri- was selbst meiner Tochter unan- deutlich verkündeten: Alter an sich • Anfangsschwierigkeiten ge gesellschaftlich benachteiligt zu genehm ist. Das Maskentragen ist keine Krankheit. Zur Frage der bei der Beschaffung fühlen. Aufgrund meines Alters in macht das Verstehen nicht leichter, Altersdiskriminierung habe ich ein von Schutzmaterialien einer Triage nicht ausreichend in- vor allem, wenn man mich nicht ambivalentes Verhältnis. Eigent- • Stigmatisierung von tensivmedizinisch versorgt zu wer- direkt anspricht. Jedes Mal muss lich erleben wir in vieler Hinsicht CAS Gerontologie den, machte mir nie Angst. Was ich eingreifen und die Ärzte darauf eine positive Diskriminierung. Wir Mitarbeitenden im mir Angst macht – und das betrifft hinweisen, dass ich die Patientin geniessen im Alter viele Vorteile, Kontakt mit infizierten als praxisorientierte alle Schwerkranken und Sterben- bin und dass sie sich die Mühe nicht zuletzt, dass wir weitgehend Personen den – ist, dass unser Patientenwille machen sollen, von Angesicht zu frei von existenzieller Sorge unser Wissenschaft • Unterbrechung der bei COVID-19 am Lebensende Angesicht mit mir zu sprechen. Ich Leben gestalten können. Und es Routinearbeit scheinbar wenig zählt. Gleich zu finde es wichtig, dass sich Ärzte ist mir bewusst, als weitgehend ge- • Sauberkeits- und Beginn der Pandemie habe ich eine und andere Fachleute dieses Prob- sunder 76-jähriger privilegiert zu Patientenverfügung ausgefüllt, in lems bewusst sind, das viele ältere sein, dass ich bereits Mitte Februar Hygienebewusstsein, Erhalten Sie einen interdisziplinären Einblick der ich eine künstliche Beatmung Menschen haben, die Hörgeräte die zweite COVID-Impfung erhal- das teilweise an Beses- in Forschung und Praxis zum Thema Alter(n). für mich ablehne. Falls es mich benutzen und begleitet werden ten habe. Vielleicht hätten jüngere senheit grenzte Lernen Sie Lösungsimpulse für die sozialen He- trifft, dann möchte ich, solange es müssen. Nicht alle trauen sich Menschen, die beruflich und privat • ständige Überwachung rausforderungen unserer alternden Gesellschaft geht, unter palliativer Versorgung während der Konsultation, sich zu mehr auf direkte Kontakte ange- der Umsetzung von Si- zu setzen. bei Bewusstsein bleiben und in wehren!» wiesen sind, eine frühere Impfung cherheitsmassnahmen Würde Abschied nehmen können – Leonor Zwick-Merchan noch nötiger gehabt?» 22 Studientage | 15 ECTS-Credits • die körperliche Belas- Januar bis November 2022 ein Sterben mit über 70 kann ich in 85 Jahre, Genf Robert Zimmermann ranstaltung: Nächste Infove Dankbarkeit für ein erfülltes Leben tung durch das ständi- pt em be r 20 21 – Online 76 Jahre, Spiegel b. Bern 2. Se Ihre Weiterbildung zum Thema annehmen.» ge Tragen von Schutz- Alter –kompetent, engagiert, zukunftsweisend: Karin Wilkening masken bfh.ch/alter/weiterbildung ‣ Institut Alter 73 Jahre, Gross SZ 18 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 19
POLITIK Alterspolitik. Dementsprechend sierung aller über 65-Jährigen undifferenziert wie dasjenige der legt der Aktionsplan einen Paradig- generell als «besonders gefährdet fitten Alten, das uns die Werbung menwechsel fest «weg von einem und vulnerabel durch COVID» ist gerne vorspiegelt.» durch Abwesenheit von Krankheit die Forderung nach veränderten gekennzeichneten Verständnis des Denk-, Sicht- und Handlungswei- Meine Schlussfolgerung gesunden Alterns hin zur Förde- sen aktueller denn je, wurde doch Fachleute aus dem Altersbereich rung funktionaler Fähigkeiten, die dadurch das in der Gesellschaft (ja sind dazu aufgefordert, ihre es älteren Menschen ermöglichen, unter Alternden) vorherrschende Forschungsresultate mit ihren das zu tun, was sie schätzen. Dazu Altersbild um Jahrzehnte zurück- differenzierten Aussagen über das werden vielschichtige Massnahmen geworfen. Eigentlich sollten die heutige Altern zu publizieren und Unser Bild vom in mehreren Bereichen erforderlich von der WHO propagierte differen- weit zu streuen – damit es gelingt, Alter ist häufig sein, abzielend auf Gesundheits- ziertere Sichtweise sowie ihre Mit- den Paradigmenwechsel auch in von Stereotypen prävention, -förderung, Wahrung te März 2021 lancierte weltweite der Praxis zu vollziehen. geprägt. von innewohnendem Leistungs- Kampagne gegen Altersdiskrimi- Illustration: Shutterstock vermögen und Befähigung zur nierung in der Schweiz auf offene Alltagsbewältigung [...]. Die zur Ohren stossen. Wurden sie doch UNO Dekade für D ie Dekade stipuliert die Alltagsbewältigung erforderlichen kurz vor Ausbruch der COVID-19 Schaffung von günstigen Fähigkeiten eines Individuums Pandemie in Bundesrat Alain Rahmenbedingungen für werden durch sein ihm innewoh- Bersets Einführungsreferat zur gesundes Altern: eine verbesserte Lebensqualität, nendes Leistungsvermögen (d.h. Nationalen Gesundheitskonferenz sowie ein gewandeltes Verständnis die Gesamtheit seines körperlichen 2030 zum Thema «Gesund altern» und eine aufgewertete Rolle der äl- und geistigen Potenzials), die Um- vorweggenommen: Ausgehend Auch für die von der erfreulichen, aber erstaun- Hans Peter Graf teren Personen in der Gesellschaft. gebung, in der es lebt (im weitesten Um diese Ziele zu erreichen, Sinne verstanden und einschliess- lichen Feststellung, dass nur gera- Dr. sc. pol., Vorstandsmitglied fokussiert ihr Aktionsplan auf vier lich der physischen, sozialen und de ein Zwölftel der 83- bis 89-Jähri- GERONTOLOGIE CH, Mitglied Schweiz und unsere Stiftungsrat FAAG – Fondation Handlungsfelder: politischen Rahmenbedingungen), gen ihren Gesundheitszustand als pour la formation des aînées 1. Veränderung der Denk-, Sicht- und seine Interaktionen mit dieser schlecht bezeichnet, folgerte unser et des aînées de Genève, und Leserschaft! und Handlungsweisen in Bezug Umgebung bestimmt.» Gesundheitsminister: Mitglied des Vorstands / von auf Alter und Altern. «Wir müssen konstatieren: Kommissionen mehrerer Genfer 2. Entwicklung von Gemeinschaf- Alterspolitik geht über Politik hinaus 1. Wir wissen über dieses noch Altersorganisationen sowie der VASOS. ten, welche die Fähigkeiten älterer Gesundes Altern sowie Alters- junge Phänomen des hohen Alters graf-junod@bluewin.ch Die von der UNO und der WHO lancierte Menschen fördern. politik betreffen also nicht nur im Grunde noch viel zu wenig. 3. Bereitstellen von altersgerechten Gesundheits- und Sozialdeparte- 2. Unser kalendarisches Alter sagt «Décennie pour le vieillissement en bonne integrierten personenzentrierten mente, sondern benötigen die Be- wenig über uns aus. Nicht nur zu santé / Decade of healthy ageing 2021-2030» Angeboten und Leistungen der rücksichtigung von allen Politikbe- Beginn in den Kleinkinderjahren, Mehr wissen: liefert willkommene Anstösse für adäquatere primären Gesundheitsversorgung. reichen, ja erfordern gemäss WHO sondern vor allem im hohen Alter. 4. Schaffen von Angeboten der «die Konstituierung von verschie- 3. Unser Bild vom Alter ist in Ste- www.who.int/ageing/ Denk-, Sicht- und Handlungsweisen in decade-of-healthy-ageing Langzeitpflege für hilfsbedürftige dene Stakeholder umfassenden reotypen gefangen. [...] Altersbil- Bezug auf Altern. ältere Menschen. Partnerschaften» unter Einbezug der haben einen direkten Einfluss Die im Beitrag zitierten Stellen nicht nur der Alternden und ihrer darauf, was jüngere Menschen vom sind übersetzt aus: Décennie Text: Hans Peter Graf pour le vieillissement en bonne Paradigmenwechsel: Organisationen, sondern auch von Alter erwarten und was sich ältere santé, 2020–2030 [Final propo- Fähigkeiten im Fokus Raumplanern, Hausvermietern, Menschen selbst zutrauen. Viele sal], Genève : OMS, avril 2020, 31 Für die Schweiz wie auch für die Concierges, Detailhandel, Dienst- der gängigen Altersbilder ent- p. Siehe 4-seitiger Auszug in: Fachleute im Altersbereich sind leistern, einschliesslich Taxis und springen negativen Annahmen. Sie https://bit.ly/3xFZZ95 vor allem die ersten beiden Ach- Coiffeuren! gehen davon aus, dass Älterwerden Die Rede des Gesundheitsminis- sen interessant in Ergänzung zur einhergeht mit abnehmender kör- ters Alain Berset anlässlich der gängigen, vorwiegend auf Kom- Der Gesundheitsminister perlicher und geistiger Leistungs- nationalen Gesundheitskonfe- pensation von mit Altern verbun- und unsere Altersbilder fähigkeit und ein Leben in Abhän- renz 2030 ist nachzulesen unter: denen Defiziten ausgerichteten Nach der anfänglichen Stigmati gigkeit bedeutet. Dieses Bild ist so https://bit.ly/3vnLyoV 20 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 21
DEMENZ «Aussenkontakte stärken das Zugehörigkeitsgefühl» Eine Westschweizer Studie geht der Frage nach, wie sich ältere Menschen mit Demenz im öffentlichen Raum bewegen und was es braucht, damit sie am Bewegung und Begegnungen gesellschaftlichen Leben teilhaben können. an der frischen Luft sind auch für ältere Menschen Text: Isabel Margot-Cattin mit Demenz sehr wichtig. Foto: Shutterstock B ewegung an der frischen ist nur wenig erforscht. Welche sitze, Bank, Post, kulturelle und ad- fördern, die von älteren Menschen verstärkt in den Fokus gerückt ist. Luft, Begegnungen mit Orte werden aufgesucht? Welche ministrative Einrichtungen kaum aufgesucht werden. Darüber Und es bleibt zu hoffen, dass Fach- «Soziale Partizipation Menschen oder der Aufent- Aktivitäten ausgeführt? Wo findet besucht. Die Möglichkeiten zur hinaus sollen Erholungsgebiete in leute und Entscheidungsträger aus halt in der Natur haben eine positi- das gesellschaftliche Leben älterer ist für ältere Teilhabe älterer Menschen werden der Natur mehr Aufmerksamkeit dem Gesundheits- und Sozialwe- ve Wirkung auf das Wohlbefinden. Menschen statt? Mit diesen Fragen Menschen mit Demenz von verschiedenen Faktoren be- und Ressourcen bekommen, damit sen sowie der Politik ihre Aufmerk- Das gilt selbstverständlich auch beschäftigte sich eine Studie, die besonders wichtig. einflusst, etwa ob sich ein Ort im sie auch wirklich genutzt werden samkeit in Zukunft vermehrt auf für ältere Menschen, ob mit oder in den vergangenen Jahren in der Sie beeinflusst ihre Freien befindet, ob er mit dem ÖV können. So müssen beispielsweise die soziale und gesellschaftliche ohne Demenz. Aussenkontakte französischsprachigen Schweiz oder dem Auto, selbständig oder Parks und Spazierwege am See Teilhabe älterer Menschen richten Gesundheit und stärken das Zugehörigkeitsgefühl – durchgeführt wurde. Grundlage nur begleitet erreichbar ist. oder im Wald sicher und leicht zu- werden. und helfen an Demenz erkrankten war unter anderem der Frage- ihr Gefühl von gänglich sein. Menschen, ihr Selbst- und Identi- bogen «Participation in Activi- Zugehörigkeit.» Sozialpolitische Massnahmen tätsgefühl zu wahren. Doch das ties and Places Outside Home erforderlich Isolation während der Pandemie: Haus zu verlassen und am öffent- (ACT-OUT)», der eine Liste von Ältere Menschen mit Demenz sind Ein Weckruf? lichen Leben teilzunehmen, ist Orten vorschlägt, die von älteren die mit einer Anreise verbunden mit einer sich ständig verändern- Die aktuelle COVID-Krise hat ge- nicht selbstverständlich. Für ältere Menschen besucht werden. Die sind. Obwohl die soziale Teilhabe den Aussenwelt konfrontiert, die zeigt, wie wichtig es ist, dass ältere Menschen ist es schwierig, sich in Teilnehmenden wurden nach ihrer mit dem Alter generell abnimmt ihre soziale Partizipation, welche Menschen am gesellschaftlichen einer sich ständig verändernden Nutzung dieser Orte gefragt – (um 10%), ist dies bei Menschen für ihr Wohlbefinden, ihre Ge- Leben teilnehmen können. Die städtischen Umgebung inmitten aktuell, in der Vergangenheit oder mit Demenz deutlicher der Fall sundheit und ihr Zugehörigkeits- angeordneten Massnahmen zum von Verkehr, Lärm und Baustellen in der Zukunft. Zwei Gruppen von (um 27%), was auf einen signifi- gefühl wichtig ist, immer mehr Schutz der Gesundheit haben die zu bewegen und zurechtzufinden. älteren Menschen mit und ohne kanten Rückgang der Anzahl und einschränkt. Um möglichst vielen Teilhabe von älteren Menschen Isabel Margot-Cattin Das Risiko, sich zu verlaufen oder Demenz nahmen an der Studie teil. Vielfalt der besuchten Orte hin- Menschen soziale Teilhabe zu er- teilweise massiv eingeschränkt. zu stürzen, nimmt zu und hält viele weist. Orte, die nach wie vor am möglichen, ist es von Bedeutung, Dies obwohl bekannt ist, dass sich Dr. in Ergotherapie, Assoziierte davon ab, überhaupt nach draus- Manche Orte sind unerreichbar meisten frequentiert werden, sind wie wir unsere Städte und Dörfer soziale Isolation negativ auswirkt Professorin, Fachhochschule Westschweiz (HETSL | HES-SO). sen zu gehen. Die Ergebnisse zeigen erwartungs- der Garten rund um das eigene bauen, unsere Gemeinden planen auf die psychische Gesundheit und isabel.margot@hetsl.ch gemäss, dass ältere Menschen Haus, Arztpraxen und Gesund- und Unterstützungsdienste, Haus- dass das Risiko von kognitiven Wo findet gesellschaftliche mit Demenz in ihrer Teilhabe am heitseinrichtungen, Tagesstätten, haltshilfe oder Spitex organisieren. Beeinträchtigungen steigt. Die län- Teilhabe statt? gesellschaftlichen Leben stark Häuser von Freunden und Familie, Sozialpolitische Massnahmen, die gerfristigen Auswirkungen, welche Wie ältere Menschen mit und eingeschränkt sind. Orte wie Parks, die eigene Nachbarschaft und das auf der Entwicklung von demenz- die Einschränkungen mit sich brin- ohne Demenz die Partizipation wo man sich bewegen oder erholen vertraute Restaurant oder Café. Im freundlichen Gemeinden basieren, gen, müssen noch erforscht wer- Mehr wissen: an der Gesellschaft ausserhalb könnte, werden kaum aufgesucht. Gegensatz dazu werden beispiels- können die Zugänglichkeit, Nutz- den. Doch schon jetzt ist klar, dass Die Studie finden Sie unter: der eigenen vier Wände erleben, Genauso wenig unbekannte Orte, weise Sportzentren, Zweitwohn- barkeit und Vertrautheit von Orten das Thema durch die Pandemie https://bit.ly/2SE2AAA 22 GERONTOLOGIE CH 2/2021 GERONTOLOGIE CH 2/2021 23
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