KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.

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KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
DER REPORT 2021                                      Sonderheft der

                                 Bewusstseinsbildung bei Unternehmern, Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten

                           KLIMASCHUTZ

                                 Steuern
                                 steuern
                                  nicht!
                                  MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT.
                           ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND
                                      UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
Foto: iStock.com/themacx
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
EDiTORial

                                            Etikettenschwindel
                                            beim Klimaschutz
     Foto: Christian Plach

                                            V
                                                    or Kurzem machte der schwedische Hoch-           zent. Das geht so weit, dass überhaupt kein CO2
                                                    schulprofessor Magnus Söderland den              mehr ausgestoßen werden soll. Die latte wird im-
                                                    durchaus ernst verpackten Vorschlag, man         mer höher gesetzt und mit dem vermeintlichen
                                            solle doch darüber nachdenken, für den Klima-            Endzeitszenario argumentiert. Doch was dabei völ-
                                            schutz zukünftig auch menschliche leichen zu ver-        lig aus dem Blick gerät, ist der Sinn für das Mach-
                                            speisen. Das sei effizient und würde helfen, den          bare und das Vernünftige. ist es vernünftig, große
                                            tierischen Fleischkonsum zu reduzieren. Seine aus-       anstrengungen für den Klimaschutz zu machen?
                                            führungen wurden auch in namhaften Fachzeit-             Ja, definitiv. Doch nicht alles, was Klimaaktivisten
                                            schriften besprochen. So absurd und verwerflich           fordern, ist dieser Vernunft unterworfen.
                                            dieser Vorschlag ist, die große Empörung darüber
                                            blieb aus. aus der Klimabewegung kam sogar ver-          Beim Klimaschutz müssen wir daher wieder ein ge-
                                            haltene Zustimmung. Wenn es dem Klima nützt,             sundes Urteilsvermögen entwickeln. Wir müssen
                                            wird man wohl irgendwann darüber nachdenken              darüber diskutieren, welche Maßnahmen wirklich
                                            müssen.                                                  effektiv sind und vor allem auch effizient. ansons-
                                                                                                     ten laufen wir Gefahr, uns in Sackgassen zu verren-
                                            Nun, ernst gemeint hat Söderland das natürlich           nen, indem wir voller Zuversicht Maßnahmen tref-
                                            nicht, denn er forscht zu Marketingstrategien und        fen, die am Ende dem Klima nichts nützen. Die Wis-
                                            er ließ mit seinem unappetitlichen Vorschlag einen       senschaft ist hier durchaus ein guter anhaltspunkt,
                                            Testballon los, wie die Öffentlichkeit auf scheinbar     der ideologische Klimaaktivismus eher nicht. Denn
                                            absurdes und komplett Verwerfliches reagiert,             mit letzterem ist es wie mit der Pharmaindustrie,
                                            wenn man es nur mit den richtigen Framings und           deren Geschäftsmodell darauf beruht, dass die Pa-
                                            Narrativen verbindet. Damit entlarvt er eine mitt-       tienten nie „ganz“ gesund werden. Genauso hat
                                            lerweile sehr ernst zu nehmende Urteilsschwäche          der ideologische Klimaaktivismus eigentlich kein
                                            der öffentlichen Meinung, wenn es um den Klima-          interesse daran, das Klima „ganz“ zu retten, denn
                                            schutz geht. Unter dem Etikett „Klimaschutz“ lässt       dann würde der aktivismus ja seine Daseinsbe-
                                            sich inzwischen so ziemlich alles wirtschaftlich und     rechtigung verlieren.
                                            auch politisch verkaufen. Sind die argumente ei-
                                            nigermaßen logisch gestrickt und mit einigen abs-        Genauso wie wir das Greenwashing der Konzerne
                                            trakten Messdaten vermischt, wird auch der absur-        durchschauen müssen, müssen wir auch den Eti-
                                            deste Vorschlag schon einmal durchgenickt.               kettenschwindel der Klima-ideologen durschauen.
                                                                                                     Nämlich dort, wo es nicht ums Klima, sondern um
                                            Es ist nie genug                                         Machtinteressen geht. Denn dafür haben wir wirk-
                                            Bei genauerer Betrachtung gibt es innerhalb der          lich keine Zeit mehr!
                                            aktivistischen Klimabewegung bereits eine Vielzahl
                                            solcher absurden Forderungen, die man argumen-
                                            tativ mit dem Klimaschutz verbindet, die aber na-        Meint wohlwollend ihr
                                            türlich gänzlich in die falsche Richtung gehen wür-
                                            den. Z.B. sollten klimabewusste Frauen darüber           Stefan Rothbart
                                            nachdenken, keine Kinder mehr zu bekommen                Chefredakteur
                                            (luisa Neubauer). Egal welches Ziel die Politik an-      Wirtschaftsnachrichten Süd
                                            peilt, für die Klimaaktivisten wird es nie genug sein.
                                            Wenn die EU die CO2-Emissionen um 55 Prozent
                                            reduzieren will, fordern aktivisten sofort 70 Pro-

54                            Klimaschutz                                                                                            DER REPORT 2021
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
Ein erster schritt – aber wohin?
im märz wurde das Erneuerbaren-ausbau-Gesetz, kurz EaG, durch minis-
terin leonore Gewessler vorgestellt. Endlich. Doch der spießrutenlauf
beginnt damit erst. Jetzt muss das wichtige Gesetz zum Erreichen der
Energieziele im Parlament beschlossen werden. Für Energieversorger
wie der EVN ein erster wichtiger schritt, dem weitere folgen müssen.
                                                                                                              Von stefan Rothbart

D
         as EaG gilt als der große Wurf für die Ener-
         giepolitik in Österreich. Nach langer Eva-
         luierungsphase und zahlreichen Einwen-
dungen soll das Gesetzt nun durch den Nationalrat
gehen und schließlich beschlossen werden. Um
das Ziel, bis 2030 die Stromproduktion in Öster-
reich auf 100 Prozent erneuerbare Energien um-
zustellen, zu erreichen, ist das EaG von zentraler
Bedeutung. Es schafft die Rahmenbedingungen,
damit die investments in die Energiewirtschaft flie-
ßen können. Doch es bleiben viele Fragen nach
wie vor offen. Es wird als nächsten Schritt einen mit
der Energiewirtschaft abgestimmten ausbauplan
benötigen, denn bislang ist noch nicht hinreichend
geklärt, wo und vor allem von wem die benötigten
Kapazitäten ausgebaut werden sollen. Klimaminis-
terin leonore Gewessler will hier auch die Bundes-      ten Flächen für eine Energienutzung freihalten.          Foto: iStock.com/Hartmut Kosig

länder stärker in die Pflicht nehmen.                    Das würde mehr überregionale Planung erlauben.

Raumordnung für Energienutzung                          Netz- und speicherausbau
Neben zahlreichen technischen Fragen stellt sich        Die niederösterreichische EVN war im Jänner der
vor allem jene des Platzbedarfs. Für große Foto-        erste Energieversorger, der nach dem „Beinahe-
voltaikanlagen oder Windräder braucht es die nö-        Blackout“ im europäischen Energienetz mehr Ver-
tigen Flächen. Die österreichischen Solar- und          sorgungssicherheit einmahnte. Wie beurteilt man
Windkataster zeigen an, wo die Errichtung von er-       bei der EVN nun das neue ausbau-Gesetz? „Das
neuerbaren Energien günstig ist. Erst recht spät        Gesetzespaket schafft die Grundlage für ein künf-
hat die Politik begriffen, dass man dafür auch mas-     tig weitgehend erneuerbares Energiesystem in
siv und dringend in die Raumordnungspolitik der         Österreich. Wichtig ist jedoch, dass der dafür er-
Gemeinden und Bundesländer eingreifen muss,             forderliche massive ausbau der erneuerbaren
um die geeigneten Flächen auch zu sichern. Bei          Energien Hand in Hand mit der Versorgungssicher-
Fotovoltaik soll der Dachausbau Vorrang bekom-          heit geht“, heißt es dazu von der EVN. Um das künf-
men. auf landwirtschaftlichen Flächen soll eine         tige Energiesystem erneuerbar, leistbar und vor al-
Doppelnutzung kommen. Die grüne Wiese soll              lem sicher zu gestalten, brauche es ein ganzes
wenn möglich verschont werden.                          Bündel an sinnvollen Begleitmaßnahmen – etwa
                                                        flexible Kapazitäten wie schnellstartende kleine
Nicht den ländern und Gemeinden                         Gasturbinen, mit denen die Schwankungen von
überlassen                                              Wind- und Sonnenstrom ausgeglichen und nach
Da die länder und Kommunen vielerorts schon             einem ausfall die Netze rasch wieder aufgebaut
jetzt keine vernünftige Raumplanung hinbekom-           werden können. „Speziell das österreichische
men, sollte man ihnen den ausbau der Erneuer-           Stromnetz ist extrem sicher und gut auf alle arten
baren besser nicht überantworten. Der Bund hätte        von Störfällen vorbereitet. Ein europaweites Black-
die Möglichkeit, die Raumordnung zu steuern. Zur        out kann aber trotzdem niemand zu 100 Prozent
Sicherung wichtiger Rohstoffe kann jetzt schon die      ausschließen. Unsere Sorge gilt in erster linie dem
Bundesregierung sogenannte Rohstoffvorrangzo-           Netzwiederaufbau danach. Hier sehen wir großen
nen einrichten, um die Flächen vor Verbauung zu         Handlungsbedarf und halten einen runden Tisch
sichern. Ähnlich könnten auch Energievorrangzo-         mit allen Verantwortlichen für ein Gebot der
nen angedacht werden, die sich am Solar- und            Stunde“, berichtet EVN-Pressesprecher Stefan
Windkataster orientieren und die die ertragreichs-      Zach.                                             l

DER REPORT 2021                                                                                                 Klimaschutz                       55
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
Foto: iStock.com/acilo

                    Klimaschutz: ein statusbericht
                    Das Klimaabkommen von Paris hat sich zum ziel gesetzt, die globale Er-
                    wärmung unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu
                    halten. Dafür muss sich unser cO2-ausstoß bis 2050 mehr als halbieren.
                    Europa ist auf einem guten Weg, doch wie sieht es im Rest der Welt aus?
                                                                                                                          Von stefan Rothbart

                                       i
                                           n Europa bekommt man leicht den Eindruck,           für Klima- und Umweltschutz ist weltweit genauso
                                           Klimaschutz sei ein zentrales weltweites            ungleich verteilt, wie es die Verursacher der Klima-
                                           Thema. Die Dichte der medialen Berichterstat-       krise sind. Das Handlungsbewusstsein in den meis-
                                       tung hierzulande lässt einem diese annahme sehr         ten westlichen industrieländern ist inzwischen sehr
                                       leicht treffen. Und obwohl der Klimaschutz auf ei-      hoch, in Entwicklungsländern hingegen leider
                                       ner politischen Ebene definitiv ein weltweites zen-      nicht. Dabei sind letztere ausgerechnet jene, die
                                       trales Thema ist, ist er in der breiten, globalen Be-   die Probleme der Klimakrise als erstes spüren.
                                       völkerung längst nicht angekommen. in vielen län-       Doch der Klimawandel ist oft nicht ihr dringendstes
                                       dern ist der Kampf gegen die Klimakrise lediglich       Problem. Die tägliche Portion Nahrung oder Was-
                                       ein weiteres Problem von vielen. Das Bewusstsein        ser, Zugang zu Hygiene und Gesundheit sind drän-

     56                  Klimaschutz                                                                                            DER REPORT 2021
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
gender. Bewusstsein für Klimaschutz ist        ter, Milliarden in eine von vornherein dekarboni-
           ein Wohlstandsphänomen, wenn sonst             sierte Entwicklung ärmerer länder zu stecken? Wo
           keine existenziellen Nöte im alltag vor-       ist eine Klimaschutzmilliarde daher am effizientes-
           handen sind. Diese Erkenntnis ist insofern     ten investiert? Darauf gibt es bislang keine befrie-
           wichtig, denn sie zeigt auf, dass die Klima-   digende antwort. Die komplette Dekarbonisierung
           krise keineswegs nur mit der Vermeidung        aller Wirtschaftssektoren in Deutschland würde ge-
           von CO2 zu lösen ist, sondern eine umfas-      schätzt 4.000 Milliarden Euro an Kosten verursa-
           sende soziale Krise darstellt. Ginge es nur    chen. 2019 lag die weltweite investitionssumme in
           um die Vermeidung von CO2, dann wäre           erneuerbare Energien nur bei 301,7 Milliarden US-
           es ein logischer Schluss, die armen länder     Dollar. Derweil lebt rund die Hälfe aller 1,3 Milliar-
           möglichst arm und unterentwickelt zu hal-      den afrikaner noch ohne Strom. laut Schätzungen
           ten. Weil das niemand will, sollen die rei-    der african Development Bank würde eine Elektri-
           chen industriestaaten die Hauptlast der        fizierung des Kontinents mit erneuerbarem Strom
           CO2-Einsparung übernehmen, während             für 80 Prozent der Bewohner lediglich rund 500 Mil-
           sich die Entwicklungsländer, nun ja, ent-      liarden US-Dollar kosten. Vier Billionen für die De-
           wickeln können. Wenn aber Europa (das          karbonisierung eines industrielandes gegen eine
           nur rund sieben Prozent der Weltbevölke-       halbe Billion für die komplette erneuerbare Elek-
           rung ausmacht) 55 Prozent seiner Treib-        trifizierung eines Kontinents. Nun, durchgerechnet
           hausgasemissionen einspart, dann ist das       hat sich das noch niemand genau. Doch vielleicht
           global ein Tropfen auf den heißen Stein.       sollten wir den Mitteleinsatz im Kampf gegen den
           Zielführend kann daher nur sein, das           Klimawandel neu bewerten.
           Klimabewusstsein in den Schwellen- und
           Entwicklungsländern radikal zu steigern        cO2-statusbericht
           und deren Wohlstand von vornherein             Die Europäische Union plus Großbritannien und
           nachhaltig zu gestalten.                       die USa haben von 1990 bis 2019 etwa gleich viel
                                                          CO2 ausgestoßen, wie China seitdem zusätzlich
          Klimasünden der Vergangenheit                   emittiert hat. Das zeigt der CO2-Report des Joint
          Bisweilen argumentiert man in der Klima-        Research Centers (JRC) der Europäischen Kommis-
          politik so: Die reichen industriestaaten sind   sion. Die Einsparungen westlicher industriestaaten
          die größten Verursacher von Treibhausga-        seit 1990 sind durch die Zuwächse an Treibhaus-
          sen. Sie haben in der Vergangenheit am          gasen in ländern wie indien und China vollständig
          meisten zur Klimaerwärmung beigetra-            kompensiert worden. Klimapolitik verkommt zur
          gen, daher müssen sie jetzt auch die größ-      Sisyphusarbeit. Der JRC-Bericht für das Jahr 2020
          ten anstrengungen zur CO2-Einsparung            zeigt, dass global über alle industriesektoren der
          treffen. Diese argumentation ist aber inef-     CO2-ausstoß von 1990 bis 2019 um 68 Prozent zu-
          fizient. Die industriestaaten haben sich an-     genommen hat. Die EU27 plus Großbritannien ha-
          hand der damals verfügbaren vorrangig           ben im selben Zeitraum ihre CO2-Emissionen um
          fossilen Technologien entwickelt. Entwick-      25 Prozent verringert, während sie in China um
lungsländer hätten aber heute die Chance, das fos-        ganze 380 Prozent, in indien um 333 Prozent, in in-
sile Zeitalter zu überspringen und ihre industriali-      donesien um 282 Prozent und in Staaten wie Kam-
sierung gleich mit erneuerbaren Technologien zu           bodscha sogar um satte 3.951 Prozent gestiegen
gestalten. Das passiert aber vielerorts nicht, weil er-   sind. Wenn wir nicht bald mehr auf eine nachhal-
neuerbare Technologien angeblich für viele länder         tige Entwicklung der Schwellenländer setzen, wird
nicht leistbar sind. Deshalb bauen China und indien       das mit dem Zwei-Grad-Ziel garantiert nichts. Üb-
weiterhin Kohlekraftwerke, während der Westen             rigens: Österreich ist kein Klima-Musterschüler. im
Milliarden dafür einsetzt, seine industrie unter gro-     Gegensatz zu vielen EU-ländern haben wir von
ßen anstrengungen zu dekarbonisieren. Global be-          1990 bis 2019 um 15 Prozent mehr CO2 ver-
trachtet, ist das effizient? Wäre es nicht viel effizien-   braucht.                                          l

   CO2-Emissionen von 1990 bis 2019 in Prozent:
   Quelle: JRC-Bericht 2020 der EU Kommission

                        EU27 + GB: -25 %

                        China: +380 %

                        Indien: +333 %

                        USA: + 1 %

                        Großbritannien: -38 %

                        Dänemark: -42 %

                        Deutschland: -31 %

                        Österreich: +15 %

DER REPORT 2021                                                                                                    Klimaschutz   57
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
„Keine ausreden,
      nur handeln“
     Klimaschutzministerin leonore Gewessler
     (Die Grünen) führt das wichtigste ministe-
     rium für die Konjunkturbelebung nach co-
     rona. Ob Energie, mobilität, umwelt oder
     infrastruktur, für die transformation der
     Wirtschaft führt kein Weg an ihr vorbei.
     Das birgt chancen, schürt aber auch Wider-
     stand. Wie weit sind die Pläne der super-
     ministerin bereits und wo ist sie zu Kom-
     promissen bereit?
     interview von stefan Rothbart

                           Frau Ministerin Gewessler, die Wirtschaft
                           möchte die NoVA-Erhöhung für gewerbliche
                           Fahrzeuge aufschieben. War die Erhöhung mit-
                           ten in einer massiven Wirtschaftskrise wirklich
                           der beste Zeitpunkt und wird es Nachbesserun-
                           gen bei der NoVA-Erhöhung geben?
                           Mit diesem Teil der ökosozialen Steuerreform be-
                           lohnen wir all jene, die Öffis, Fahrräder und E-au-       Kürzlich haben Sie das wichtige und von der
                           tos nutzen. Mit der Sachbezugsbefreiung auf Netz-        Wirtschaft heißerwartete EAG auf den Weg ge-
                           und Zeitkarten und auf Diensträder. Und – beson-         bracht. Wie kann sichergestellt werden, dass die
                           ders hochpreisige und umweltschädliche Spritfres-        Ausbauziele in den nächsten Jahren bis 2030
                           ser werden teurer. Wer unser Klima besonders be-         auch wirklich erreicht werden?
                           lastet, soll einen fairen Beitrag leisten. Das stellen   Wir haben eines der größten, manche sagen das
                           wir damit sicher. Die Klimakrise ist die große Frage     größte, Gesetzespakete im Energiebereich auf den
                           unserer Zeit – da gelten keine ausreden, nur Han-        Weg gebracht. Das Erneuerbaren-ausbau-Gesetz
                           deln. Uns war dabei auch wichtig, den CO2-aus-           (EaG) ist nun im parlamentarischen Prozess. Mit
                           stoß als Kriterium noch stärker zu gewichten und         diesem Gesetz schaffen wir die Grundlage für 100
                           bestehende Schlupflöcher zu schließen. Dazu zäh-          Prozent erneuerbaren Strom bis 2030. Jetzt geht
                           len etwa die leichten Nutzfahrzeuge, wobei hier          es einerseits um die Umsetzung der vielen Punkte
                           auch häufig privat genutzte Pick-ups und Gelän-           darin, sei es bei der Regulierung durch Verordnun-
                           defahrzeuge hineinfallen. Bislang hat CO2 in der         gen oder aber auch einfach für die vielen akteure.
                           Kaufentscheidung in diesem Bereich keine Rolle           Beispielsweise Netzbetreiber, die vor wirklich gro-
                           gespielt. Das ändert sich nun schrittweise. Für wirk-    ßen Herausforderungen stehen, etwa ihre Kommu-
                           samen Klimaschutz ist es zentral, die richtigen Rah-     nikationseinrichtungen und abläufe anzupassen
                           menbedingungen und damit auch Preissignale zu            und viel mehr. aber auch Unternehmen und
                           setzen. Viele Hersteller werden hier auch reagieren      Stromvermarkter, die neue Geschäftsmodelle ent-
                           und vermehrt sparsame Modellvarianten anbieten.          wickeln können und sollen. Wir ermöglichen hier
                           Wir beobachten darüber hinaus schon jetzt bei E-         wirklich viel Neues, und das ist erst der anfang. Um
                           Fahrzeugen eine enorme Dynamik in der Markt-             für 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien
                           entwicklung, auch im Bereich der Nutzfahrzeuge,          zu sorgen, müssen auch die Fotovoltaikanlagen,
                           die wir ebenfalls mit Förderungen und steuerli-          Windkraftanlagen und andere Kraftwerke gebaut
                           chen anreizen stimulieren.                               werden können. Hier muss an vielen Schrauben

58      Klimaschutz                                                                                                  DER REPORT 2021
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
Klimaschutz- und Innovationsministerin
                                                       Leonore Gewessler
                                                       Foto: andy Wenzel/BKa

gedreht werden. auch die Bundesländer sind hier        Kraftwerke errichtet werden können. Einige Bun-
gefordert. Mit ihren wesentlichen gesetzlichen Ver-    desländer wie das Burgenland, die Steiermark
antwortlichkeiten bei Bau- und Raumordnung kön-        oder Niederösterreich haben das bereits vorge-
nen sie jedes einzelne Bundesland zum Vorreiter        zeigt.
in Sachen Klimaschutz und ausbau der Erneuer-
baren machen. Das sorgt auch für regionale Wert-       Die steirischen Grünen haben kürzlich einen An-
schöpfung und sichere arbeitsplätze. Denn Klima-       trag eingebracht, um Fotovoltaikflächen in der
schutz ist der absolute Job- und Wirtschaftsmotor.     Raumordnung entsprechend widmen zu kön-
                                                       nen. Dies sei notwendig, um dem Wildwuchs
Wird es noch einen mit der E-Wirtschaft abge-          bei großen PV-Anlagen vorzubeugen und die
stimmten Fahrplan geben, der genau definiert,          Energiewende in geordnete Bahnen zu lenken.
wer wie viel Erneuerbare und vor allem wo aus-         Ist angedacht, hier seitens des Bundes den Län-
bauen wird?                                            dern raumplanerische Vorgaben zu geben, da-
Mit dem EaG schaffen wir die Rahmenbedingun-           mit der Flächenbedarf für den EE-Ausbau auch
gen, die etwa auch die Marktakteure und die E-         gesichert ist?
Wirtschaft brauchen. Wir legen damit den Grund-        Was wir tun wollen und machen, ist gemeinsam
stein für die Möglichkeit, diese Bedingungen zu        mit den Bundesländern daran zu arbeiten, dass wir
nutzen, um Geschäftsmodelle und erneuerbare
Energien zu entwickeln. Wir unterstützen mit            mit dem EaG etwa investieren wir bis 2030 jährlich
höchstem Engagement solche Projekte dann, da-
mit sie realisiert werden. Was die Planung und Er-      eine milliarde Euro in den ausbau der erneuerbaren
richtung von infrastruktur und Erzeugungsanlagen        Energien. Damit lösen wir in den kommenden zehn
für Erneuerbare betrifft, ist es natürlich sinnvoll,
                                                        Jahren Gesamtinvestitionen von insgesamt 30 milliar-
dass Bundesländer Zonenpläne entwerfen, wo
etwa Windenergieanlagen oder Sonnenstrom-               den Euro aus.

DER REPORT 2021                                                                                            Klimaschutz   59
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
Bundesministerin Gewessler im Gespräch
     über NoVA-Erhöhung, EAG und Co.
     Foto: Cajetan Perwein

                             den großen und notwendigen ausbau möglichst            Wie kann sichergestellt werden, dass bei der
                             sinnvoll weiterentwickeln. Grundsätzlich liegt die     Einführung der CO2-Besteuerung auch schon
                             Kompetenz bei Raumordnungen jedoch auf lan-            genügend Alternativen für die Menschen vor-
                             desebene.                                              handen sind?
                                                                                    Die Bereitstellung der klimafreundlichen alterna-
                             Heuer soll die ökosoziale Steuerreform erfol-          tiven ist natürlich ein wichtiger Punkt. Daher haben
                             gen. Können Sie uns schon einen Ausblick ge-           wir frühzeitig auf entsprechende infrastrukturmaß-
                             ben, wie ein sinnvolles Gesamtpaket aussehen           nahmen gesetzt, etwa im Bereich öffentlicher Ver-
                             wird und wo Sie die größten Hebel für einen            kehr und Energie. Mit klaren Zielen, Strategien und
                             ökosozialen Lenkungseffekt sehen?                      budgetär verankerten Maßnahmen geben wir den
                             Wir haben immer davon gesprochen, die Umset-           Menschen in Österreich, aber auch den Märkten
                             zung der ökosozialen Steuerreform stufenweise          eine klare und längerfristige Perspektive und er-
                             anzugehen. Wir haben im Sommer letzten Jahres          möglichen damit Planungssicherheit. Wir durch-
                             mit der Flugticketabgabe den ersten Schritt ge-        brechen damit die in vielen Bereichen praktizierte
                             macht und mit einer umfassenden Reform der             Stop-and-go-Politik, die klimafreundliche Markt-
                             NoVa weitergemacht, dabei auch erste Schritte im       entwicklungen und damit auch Jobpotenziale ge-
                             Kampf gegen den Tanktourismus gesetzt und ei-          bremst hat. Genau dadurch erwarten wir auch
                             nen Bonus auf Reparaturen geschaffen. Es ist aber      deutlich mehr Jobs durch Klimaschutz und Ener-
                             auch völlig klar – wir werden weitermachen, und        giewende. Mit dem EaG etwa investieren wir bis
                             das Schritt für Schritt bis zur CO2-Bepreisung 2022.   2030 jährlich eine Milliarde Euro in den ausbau
                             Ein klimafittes Steuersystem ist eine zentrale Rah-     der erneuerbaren Energien. Damit lösen wir in den
                             menbedingung für die Klimaneutralität 2040. Wir        kommenden zehn Jahren Gesamtinvestitionen
                             setzen auf der einen Seite investitionsanreize in      von insgesamt 30 Milliarden Euro aus. Und gleich-
                             den Klimaschutz, etwa durch deutlich erhöhte Bud-      zeitig schaffen und sichern wir mit diesen investi-
                             gets für Förderungen, wie etwa die Sanierungsof-       tionen in Österreich fast 70.000 arbeitsplätze. 100
                             fensive und den Heizkesseltausch, den ausbau er-       Prozent heimischer Ökostrom bedeutet also auch
                             neuerbarer Energie, die E-Mobilitätsförderung          70.000 Green Jobs in Österreich. Und der Umstieg
                             und den ausbau des öffentlichen Verkehrs. Stich-       auf die Erneuerbaren bedeutet auch jährliche BiP-
                             wort Klimamilliarden des Konjunkturpakets. Zu-         Zuwächse von 5,5 Milliarden Euro.
                             gleich wird Klimaneutralität immer mehr zum Stan-
                             dard und damit auch der schrittweise ausstieg aus      Ihr Ministerium wird für den Konjunkturauf-
                             der Nutzung fossiler Energie. Hier wird die Wär-       schwung nach der Corona-Pandemie eine zen-
                             mestrategie, an der wir als Bund und länder im in-     trale Rolle spielen. Wie kann eine Öko-Standort-
                             tensiven Dialog stehen, eine tragende Rolle spie-      politik in Zusammenarbeit mit dem Wirtschafts-
                             len. Kernelement der ökosozialen Steuerreform ist      ministerium am besten gelingen?
                             dabei die CO2-Bepreisung. im Sinne erhöhter Kos-       Die Kreislaufwirtschaft ist entscheidender Hebel,
                             tenwahrheit werden klimaschädliche Emissionen          um die Klimaneutralität in der EU bis 2050, national
                             wirksam bepreist. Gleichzeitig werden Unterneh-        bis 2040 zu realisieren und Umweltbelastungen
                             men und Private entlastet. Konkrete Modelle dazu       deutlich zu reduzieren. Die Kreislaufwirtschaft ist
                             werden gerade erarbeitet.                              für den Konjunkturaufschwung nach der Pandemie

60   Klimaschutz                                                                                                     DER REPORT 2021
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
genauso wichtig wie die investitionen in den Kli-
maschutz. Gleichzeitig sind innovationen, Techno-
logien und Forschung wesentliche Pfeiler einer kli-
mafreundlich ausgerichteten Wirtschaft der Zu-
kunft. Denn nur mit den grünsten Produkten und
Produktionsweisen werden wir künftig wettbe-
werbsfähig bleiben können. Besonders für Unter-
nehmen ist Klimaschutz nicht nur ein besonders
wichtiges Handlungsfeld, sondern auch ein ent-
sprechender wirtschaftlicher Faktor, der mehr und
mehr an Bedeutung gewinnt. Genau das zeigt zum
Beispiel die äußerst erfolgreiche Öko-investitions-
prämie, die wir mit dem BMDW gemeinsam auf
den Weg gebracht haben. Wir unterstützen aber
etwa auch grüne Start-ups und sind mit Schlüssel-
unternehmen der Technologiebranche vielfach im
austausch.

Zum Abschluss: Welche Klimaschutzvorhaben
möchten Sie unbedingt am Ende dieses Jahres
umgesetzt haben?
Wir haben mit dem Umbau unseres Steuersystems         der Verdoppelung der Förderung für die E-Mobi-           Die Politik von Leonore
in eine ökologische Richtung begonnen. Und mit        lität sind uns hier schon einige wichtige Schritte       Gewessler steht besonders
dem Erneuerbaren-ausbau-Gesetz schaffen wir es,       gelungen. Für dieses Jahr sind viele weitere Maß-        im Fokus. Sie wird sich mit
eine Million Dächer mit Fotovoltaik-anlagen aus-      nahmen und initiativen geplant, die darauf abzie-        Kritik weiterhin auseinan-
zustatten und den ausbau der erneuerbaren Ener-       len, Klimaneutralität in Österreich 2040 zu errei-       dersetzen müssen. Ihre
gien voranzutreiben. im Verkehr bauen wir sukzes-     chen, vom neuen Klimaschutzgesetz bis zum Ener-          Agenden sind zu bedeu-
sive die Bahnverbindungen aus und sorgen so für       gieeffizienzgesetz, dem Wärmegesetz oder dem              tend, um Reibungsverluste
ein besseres angebot. So gelingt der Umstieg auf      abfallwirtschaftsgesetz. So werden wir Österreich        zu riskieren. Wobei: Rei-
klimafreundliche Verkehrssysteme für die Kundin-      in den nächsten Jahren umbauen. all das bedeutet         bung erzeugt Energie.
nen und Kunden. Mit dem ausbau des Nachtzug-          mehr lebensqualität für uns alle – ein grüner und             Foto: Christopher Dunker/BKa

angebots und der Verzehnfachung des Förder-           klimafreundlicher Umbau, den wir alle spüren wer-
budgets für Radverkehr und saubere Mobilität und      den.                                            zz

                                                                                INDUSTRIE +
                                                                                INNOVATION =
                                                                                KLIMASCHUTZ,
                                                                                DER WIRKT
                                                                                Dank ihrer Technologie gehören
                                                                                Österreichs Unternehmen zu den
                                                                                klimafreundlichsten der Welt.

                                                                                                                          www.iv.at
                                                                                Die Industriellenvereinigung
KLIMASCHUTZ - MEHR STEUERN ALLEIN RETTEN DAS KLIMA NICHT. ES BRAUCHT ANREIZE FÜR EINEN KLAREN LENKUNGSEFFEKT UND UM DIE BEVÖLKERUNG MITZUNEHMEN.
Foto: iStock.com/sharply_done
     Die Grenzen von cO2-steuern
     Die überwiegende mehrheit der Klimaökonomen sieht eine Besteuerung
     des cO2-ausstoßes als unverzichtbares mittel im Kampf gegen die Klima-
     krise an. Doch hat diese auch einen technologischen lenkungseffekt? Da-
     rüber herrscht zunehmend skepsis in der Wissenschaft. Die Wirtschafts-
     wissenschaftlerinnen margit schratzenstaller und angela Köppl vom
     WiFO haben ebenfalls zu den Effekten von cO2-steuern geforscht und
     deren Grenzen ausgelotet.
                                                                                                     Von stefan Rothbart

                     D
                              ie Besteuerung des CO2-ausstoßes gilt        der Preis nur 27 Euro pro Tonne CO2. 2019 wurde
                              den Klimaökonomen weltweit als geeig-        der Preis auf 120 Euro pro Tonne angehoben. Da-
                              netes instrument, um Kostenwahrheit bei      mit hat das skandinavische land den mit abstand
                     Produkten und Dienstleistungen herzustellen. Seit     höchsten CO2-Preis weltweit. auch etwa in Frank-
                     den 1990er-Jahren gibt es in einigen ländern der      reich, Deutschland, Großbritannien und Slowenien
                     Welt eine sogenannte CO2-Steuer. am längsten          existieren CO2-Steuern. Eine einheitliche Regelung
                     existiert eine solche in Schweden, das bereits 1991   gibt es in der EU allerdings noch nicht. Was es
                     als erstes land der Welt eine direkte Steuer auf      schwierig macht, die Effekte von CO2-Steuern ge-
                     CO2-Emissionen eingeführt hat. anfänglich betrug      nau zu evaluieren.

62     Klimaschutz                                                                                         DER REPORT 2021
sinkende Emissionen,                                    pelten Dividende, also einem ökonomischen Nut-
schwache lenkungswirkung?                               zen und einer ökologischen Wirksamkeit, ist die
Dass es aber mit CO2-Steuern nicht so einfach ist,      Verwendung der Einnahmen aus CO2-Steuern von
zeigen immer mehr wissenschaftliche Untersu-            großer Relevanz“, ergänzt angela Köppl. Hier
chungen auf. Eine Studie der ETH Zürich und des         komme es ganz darauf an, wie sinnvoll eine Be-
instituts für transformative Nachhaltigkeitsfor-        steuerung der CO2-Emissionen in ein Gesamtpa-
schung (iaSS Potsdam) zeigten kürzlich auf, dass        ket integriert wird. „CO2-Steuern dürfen nicht als
durch eine CO2-Bepreisung zwar eine Senkungen           Einzelmaßnahmen betrachtet werden, sondern
der Emissionen erkennbar ist, aber der technolo-        müssen in ein ökonomisches und politisches Ge-
gische lenkungseffekt wesentlich geringer ausfällt      samtpaket einfließen. Die Umschichtung der Ein-
als erhofft. „Wir beobachten zum Teil beachtliche       nahmen über eine Senkung von Sozialversiche-
Senkungen der Emissionen, allerdings nicht durch        rungsbeträgen oder von arbeitsbezogenen Steu-
die dringend nötigen investitionen in CO2-freie         ern ist im Gegensatz zu pauschalen Transfers oft
Technologien, sondern durch einen Umstieg auf           wirkungsvoller“, erklärt Schratzenstaller.
andere, etwas weniger CO2-intensive Nutzungen.
Für die angestrebte Klimaneutralität ist ein Um-        unterschiedliche Effekte                                Dr. Margit Schratzenstaller
stieg von Benzin auf Diesel oder von Kohle- auf         laut den beiden WiFO-Ökonominnen besteht                Foto: alexander Müller/WiFO

Gasstrom aber praktisch irrelevant“, so leitautor       auch ein empirischer Konsens darüber, dass Um-
                                                        weltsteuern differenzierte Verteilungseffekte ha-
                                                        ben. Die Besteuerung von Kraftstoffen wirke in der
                                                        Regel eher progressiv, während Steuern auf Heiz-
                                                        stoffe leicht regressiv und Steuern auf Strom deut-
cO2-steuern beeinflussen die Wettbe-                     lich regressiv wirken. Modellsimulationen zeigen,
werbsfähigkeit von unternehmen nur                      dass pauschale Transfers besser geeignet sind, die
                                                        regressiven Effekte für niedrigere Einkommen ab-
in geringem maße.
                                                        zumildern, während höhere Einkommen stärker
                                                        von einer Reduktion der abgaben auf arbeit pro-
                                                        fitieren. „Für die öffentliche akzeptanz spielen Kli-
                                                        maschutzinvestitionen aus den Mitteln der Steuer-
Johan lilliestam vom iaSS. Ein zu niedriger CO2-        einnahmen eine Rolle. insgesamt hängt die öffent-
Preis ist laut den iaSS-Wissenschaftlern dafür keine    liche akzeptanz von CO2-Steuern von einer Reihe
hinreichende Erklärung. Denn selbst in den nordi-       von Faktoren ab und kann durch öffentliche infor-
schen ländern, wo verhältnismäßig hohe CO2-             mation, die Vermeidung negativer Verteilungsef-
Preise existieren, sei keine lenkungswirkung in         fekte und die Zweckbindung eines Teils der Ein-
Richtung eines technologischen Wandels beob-            nahmen für Umweltprojekte erhöht werden. Paket-         Dr. Angela Köppl
achtbar. Die Energiewende werde dagegen viel            lösungen, die mehrere klimapolitische Maßnah-           Foto: alexander Müller/WiFO

mehr durch andere Politikmaßnahmen, wie etwa            men im allgemeinen und preisbasierte instru-
Förderprogramme für erneuerbare Energien, in            mente im Besonderen kombinieren, können effek-
Schwung gebracht. Dadurch habe es für investo-          tiver sein als Einzelmaßnahmen“, so das Fazit von
ren viel stärkere investitionsanreize gegeben, was      Schratzenstaller und Köppl. Generell sehen beide
bei der Wind- und Solarenergie in starken Kosten-
senkungen resultierte. Eine CO2-Bepreisung kann
damit als Teil eines breit angelegten Maßnahmen-
paketes durchaus einen wichtigen Beitrag zum Er-
reichen der Klimaziele leisten. Sie darf jedoch nicht   Der schlüssel zum Erreichen einer doppelten Dividende,
als zentrales Klimaschutzinstrument angesehen
werden, da sie zwar durchaus lenkungswirkungen          bestehend aus ökologischer Wirksamkeit und einem
erzielen, nicht jedoch einen umfassenden techno-        ökonomischen Nutzen, ist die Verwendung der Einnahmen.
logischen Wandel forcieren kann, so die Sichtweise
                                                        schließlich hängt die öffentliche akzeptanz von cO2-steuern
der iaSS-Forscher.
                                                        von einer Reihe von Faktoren ab und kann durch öffentliche
Effekte einer cO2-Besteuerung                           information, die Vermeidung negativer Verteilungseffekte
auch die beiden österreichischen Wirtschaftswis-
senschaftlerinnen Margit Schratzenstaller und an-       und die zweckbindung eines teils der Einnahmen für
gela Köppl vom WiFO-institut haben sich kürzlich        umweltprojekte erhöht werden.
in einem Working Paper mit den Effekten und
Grenzen einer CO2-Besteuerung beschäftigt. ihr
Fazit fällt ähnlich aus. „Wir sehen noch keine hin-
reichenden empirischen Belege für einen signifi-
kanten technologischen lenkungseffekt, der für          die österreichische Politik mit der Zielsetzung einer
eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft       ökologischen Steuerreform auf dem richtigen
und der Gesellschaft erforderlich ist“, so Schratzen-   Weg. Hinsichtlich der kommenden ökosozialen
staller. Zwar hätte ein Review der empirischen Stu-     Steuerreform wird es aber darauf ankommen, wie
dien gezeigt, dass CO2-Steuern die Emissionen ef-       gut die Maßnahmen mit den sozioökonomischen
fektiv reduzieren oder ihr Wachstum dämpfen kön-        Bedingungen in Österreich abgestimmt und in ei-
nen, die emissionsmindernden Effekte aber oft           nen breiten klimapolitischen instrumenten-Mix ein-
eher moderat sind. „Für das Erreichen einer dop-        gebettet werden.                                   l

DER REPORT 2021                                                                                                    Klimaschutz                63
abwärme der aBRG für die Fernwärme

                                                                                                                                                    Werbung
     arnoldstein und Villach
     Die KElaG Energie & Wärme Gmbh stellt die Fernwärmeversorgung von
     arnoldstein und Villach auf eine noch breitere Basis und bezieht nun von
     einem weiteren industrieunternehmen in arnoldstein abwärme, von der
     aBRG – abfall Behandlung & Recycling Gmbh.

                                                                                        „Mit der Wärme aus dieser regionalen Energie-Zu-
                                                                                        sammenarbeit verringern wir den Einsatz von Erd-
                                                                                        gas, schonen Ressourcen, verbessern die Effizienz
                                                                                        unserer anlagen sowie die Gesamtumweltbilanz
                                                                                        und verfügen über Potenzial für den weiteren aus-
                                                                                        bau unserer Fernwärmesysteme.“

                                                                                        industrie und Klimaschutz für
                                                                                        eine enkeltaugliche zukunft
                                                                                        Reinhard antolitsch, Bürgermeister der Marktge-
                                                                                        meinde arnoldstein, freut sich über die neue Koope-
                                                                                        ration: „Die Zusammenarbeit zwischen der KElaG
                                                                                        Energie & Wärme GmbH und der aBRG als Unter-
                                                                                        nehmen am industriestandort EURONOVa ist ein wei-

                                  D
     Reinhard Antolitsch (Bür-             ie aBRG betreibt auf dem Standort arnold-    terer Schritt für eine positive Umwelt- und Klimapolitik.
     germeister Arnoldstein),              stein zwei Wirbelschichtöfen und verwer-     Die Fernwärmeversorgung der Stadt Villach mit ab-
     Thomas Werner (Ge-                    tet pro Jahr rund 70.000 Tonnen industrie-   wärme aus arnoldstein beweist, dass industrie und
     schäftsführer ABRG), Adolf   und Gewerbeabfall. „Bis jetzt haben wir Dampf         Klimaschutz kein Gegensatz sind, sondern, so wie in
     Melcher (Geschäftsführer     und Wärme an benachbarte industrieunterneh-           diesem Fall, eine nachhaltige Entscheidung für eine
     KELAG), Manfred Freitag      men geliefert, nun speisen wir auch Wärme in das      klimafitte und enkeltaugliche Zukunft darstellen.“
     (Sprecher des Vorstandes     Fernwärmesystem arnoldstein/Villach der KElaG
     der KELAG), Günther Albel    Energie & Wärme GmbH ein“, erläutert Geschäfts-       ziel der stadt Villach: bis 2035
     (Bürgermeister Villach)      führer Thomas Werner. „Die Wärmelieferung für         cO2-neutral
     und Danny Güthlein (Vor-     die Fernwärme ist für uns eine sehr gute Ergän-       „Die Stadt Villach möchte bis 2025 alle städtischen
     stand KELAG) Fotos: KElaG    zung unseres Gesamtportfolios, die Vorgespräche       Gebäude frei von fossilen Brennstoffen machen
                                  für diese Zusammenarbeit haben schon vor eini-        und bis 2035 CO2-neutral sein. Bei der Umsetzung
                                  gen Jahren begonnen.“ Die aBRG verfügt in ar-         dieser Ziele unterstützen uns verlässliche Partner-
                                  noldstein über eine thermische leistung von 18        betriebe wie die KElaG Energie & Wärme GmbH,
                                  MW, davon stehen nun 4 MW für die Fernwärme           mit der wir bereits viele nachhaltige Projekte um-
                                  zur Verfügung. „Die auskopplung von Fernwärme         gesetzt haben. Die nun beschlossene Zusammen-
                                  geht zulasten der Stromerzeugung, verbessert          arbeit mit der aBRG macht die Erzeugung von
                                  aber den Gesamtwirkungsgrad unserer anlagen“,         Fernwärme noch effizienter“, betont der Villacher
                                  erklärt Geschäftsführer Werner.                       Bürgermeister Günther albel.
     Wirbelschichtöfen bei der
     ABRG liefern Abwärme für     Regionale Energie-zusammenarbeit                      Freitag: aktiver Klimaschutz in
     das Fernwärmesystem.         „Die Zusammenarbeit mit der aBRG erschließt           arnoldstein und Villach
                                                   eine weitere Wärmequelle             „Die Zusammenarbeit mit der aBRG entspricht zu
                                                   für unsere Fernwärmesys-             100 Prozent der Strategie unseres Unternehmens,
                                                   teme in arnoldstein und Vil-         den Kunden möglichst umweltfreundliche Energie
                                                   lach“, sagt adolf Melcher, Ge-       zu liefern“, erklärt Manfred Freitag, Sprecher des
                                                   schäftsführer der KElaG              Vorstandes der Kelag. „Unser Tochterunternehmen
                                                   Energie & Wärme GmbH.                KElaG Energie & Wärme GmbH geht hier einen
                                                   „Pro Jahr werden wir voraus-         sehr konsequenten Weg und nutzt vorhandene
                                                   sichtlich rund 16 Millionen Ki-      abwärme, wo immer es möglich ist. in zweiter linie
                                                   lowattstunden abwärme von            wird für die Fernwärme Biomasse eingesetzt. Die
                                                   der aBRG beziehen.“ Diese            Fernwärme der KElaG Energie & Wärme GmbH
                                                   Wärmemenge          entspricht       in arnoldstein ist zu 90 Prozent abwärme der KRV
                                                   dem Bedarf der Kunden in             und nun auch der aBRG, die Fernwärme in Villach
                                                   arnoldstein       beziehungs-        kommt bis zu 90 Prozent aus abwärme und Bio-
                                                   weise rund 7 Prozent des Be-         masse. Erdgas dient nur noch als ausfallsreserve
                                                   darfes der Kunden in Villach.        und für einen Teil der Spitzenabdeckung.        l

64        Klimaschutz                                                                                                       DER REPORT 2021
Neues BOKu-Gebäude: high-touch meets high-tech

F
      ür die Universität für Bodenkultur in Wien-
      Döbling wurde von der arbeitsgemeinschaft
      DElTa SWaP architekten ein neues Biblio-
theks- und Seminarzentrum in Holzbauweise ge-
plant, das jüngst auch mit dem Green & Blue Buil-
ding award für dessen Nachhaltigkeit ausgezeich-
net wurde.
Das Gebäude erweitert den bestehenden BOKU-
Campus und bietet u.a. Platz für ein Seminarzen-
trum, eine Bibliothek und institutsräume. Neben
den atmosphärischen Qualitäten des Baustoffs
Holz trägt hier der hohe Tageslichtanteil zu einer
freundlichen lern- und arbeitsumgebung bei. „Die
Jury überzeugte die hohe ökologische Qualität
durch Verwendung recycelbarer und erneuerbarer
Materialien“, so Juryleiter Marc Guido Höhne zu
den erfüllten anforderungen an die Nachhaltigkeit
und zur Vergabe des Green & Blue Building
awards.
                                                       Wood Products Sensoren eingesetzt, die während             Das neue BOKU-Gebäude
Ein haus aus Daten                                     des Transports und der Bauphase informationen              nach seiner Eröffnung.
Modernste digitale Technologien kamen bei der          über die aktuellen Temperaturen und Feuchtig-              Foto: Florian Voggeneder

Planung und dem Bau zum Einsatz. So wurde auf          keitswerte übermittelten. Diese Daten wertete das
ein integrales BiM-Modell gesetzt, auf das auch in     „Track & Trace Tool“, die von den sogenannten Wi-
der Fertigung der einzelnen Holzbauteile zurück-       iste-Sensoren erfasst wurden, aus. So wurden wich-
gegriffen wurde. Um die Qualität der Bauteile zu       tige informationen über Transport, lagerung und
prüfen, lieferte ein Monitoring der Holzbauteile       Verarbeitung der Holzelemente, die auch später
vom Werk bis zur Fertigstellung laufend Daten da-      für das Facility-Management relevant sein können,
rüber. in die Holzbauteile wurden von Stora Enso       weitergeleitet. Weitere infos: www.delta.at     l

algen – mit „Qualität aus Österreich“
algen als gesunden lebensmittel-
zusatz regional und nachhaltig in
Österreich produzieren.

D
         as ist das Ziel des Projektes „algae4Food“, das vom Kom-
         petenzzentrum BEST – Bioenergy and Sustainable Tech-
         nologies GmbH geleitet wird. Bei lebensmitteln sind
für Konsumenten hohe Qualität und Nachverfolgbarkeit der
Herstellung wichtige Kriterien. aktuell werden algen vorwie-
gend in Süd-Ost-asien produziert und erfüllen oft nicht die
österreichischen und europäischen Qualitätskriterien. Darüber
hinaus haben algen durch die Trocknung einen oft strengen Ge-
ruch oder Geschmack. Das Ziel des Projekts „algae4Food“ ist
es, einen algenrohstoff in Österreich bereitzustellen, der regio-   Algen aus österreichischer Produktion können in vielen Lebensmittelpro-
nal und nachhaltig produziert wird und die höchsten Qualitäts-      dukten zum Einsatz kommen und erhöhen damit nicht nur die Qualität,
standards aufweist. Der neuartig verarbeitete Rohstoff soll dann    sondern sind auch ein Beitrag für regionale Wertschöpfung.
für die Produktion unterschiedlicher lebensmittel getestet wer-                                                          Foto: ROHKRaFT green GmbH

den.

Regionale Wertschöpfung mit algen                                   talisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) gefördert. Die ab-
im Projekt wird die gesamte Wertschöpfungskette von der Be-         wicklung erfolgt über die Forschungsförderungsgesellschaft
reitstellung des algenrohstoffs über die Verarbeitung, die Pro-     (FFG). Das Projektkonsortium besteht aus BEST (Projektleitung),
dukterzeugung, Verpackung bis hin zur Vermarktung und zum           ROHKRaFTgreen GmbH, ROHKRaFT ing. Karl Pfiel GmbH,
Vertrieb abgebildet. Um eine regionale und kosteneffiziente al-      Felzl GmbH, JuiceFactory – JuiceBars GmbH, Urbanhealthcon-
genproduktion zu ermöglichen, wird diese in eine Biogasanlage       cept, NaKu e. U., Universität für Bodenkultur Wien, FH Wiener
integriert. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Digi-        Neustadt, CleverClover und Zotter Schokolade GmbH.           l

DER REPORT 2021                                                                                                       Klimaschutz                    65
Bodenverbrauch
     und Baukultur als
     zukunftsfragen

     in Österreich wird seit Jahren zu viel Boden zugebaut. längst wird von
     der Politik ein Gegensteuern gefordert. Doch dieses blieb bislang aus.
     um den Bodenverbrauch zu stoppen, braucht es nicht zuletzt auch völlig
     neue ansätze in der Baukultur im land.
                                                                                                      Von stefan Rothbart

                     Ö
                              sterreich ist beim Zubetonieren europäi-     Bodenverbrauch stoppen, aber wie?
                              scher Spitzenreiter. Damit geht immer        allein mit dem Verhindern von Verbauung ist dem
                              mehr Naturraum verloren. laut der Öster-     Bodenverbrauch nicht beizukommen. Vielmehr
                     reichischen Hagelversicherung wurden in den letz-     braucht es auch Strategien zur aktiven Renaturie-
                     ten 50 Jahren so viele Felder und Wiesen verbaut,     rung, zur Folgenutzung von bereits bebautem
                     wie Oberösterreich ackerflächen hat. Mit 15 Me-        Brachland und wesentlich nachhaltigere Raumord-
                     tern pro Kopf hat Österreich eines der dichtesten     nungspläne, um zukünftige Verbauung möglichst
                     Straßennetze Europas. Deutschland hat nur 7,9         effizient und flächenschonend zu gestalten. Dabei
                     Meter pro Kopf. 1950 standen in Österreich zudem      gilt: in die Höhe statt in die Breite. laut Umwelt-
                     2.400m2 ackerfläche pro Einwohner zur Verfü-           bundesamt hat Österreich rund 13.000 Hektar in-
                     gung. Heute sind es nur mehr 1.600 m2. „Unsere        dustriebrachen. Trotzdem werden immer wieder
                     Böden bilden unsere lebensgrundlage: Sie sind         neue Gewerbegebiete und industrieflächen auf
                     die Basis für die lebensmittelsicherheit in unserem   der grünen Wiese gebaut. inklusive leerstehender
                     land, sie tragen einen wesentlichen Teil zum Kli-     Häuser und Gewerbeflächen wird die verbaute un-
                     maschutz bei und sind als Natur- und Erholungs-       genutzte Fläche auf bis zu 40.000 Hektar, also
                     raum für unsere lebensqualität unverzichtbar. Da-     400.000.000 m2 geschätzt. angesichts dieser Zah-
                     her werde ich weiter für das Ziel der Bundesregie-    len braucht die Politik dringend gesetzliche Rege-
                     rung, den Bodenverbrauch bis 2030 substanziell        lungen zur Renaturierung oder Folgenutzung die-
                     zu reduzieren, kämpfen“, bekräftigt auch die Bun-     ser Flächen. Beispielsweise könnte es Subventio-
                     desministerin für landwirtschaft, Regionen und        nen für Gemeinden geben, wenn diese sich ent-
                     Tourismus, Elisabeth Köstinger.                       scheiden, eine industriebrache anzukaufen und
                                                                           wieder zu begrünen.

66     Klimaschutz                                                                                          DER REPORT 2021
Österreich fallen jährlich
                                                                                                                           rund drei Millionen Ton-
                                                                                                                           nen altbeton an. Hiervon
                                                                                                                           werden bereits über 97
                                                                                                                           Prozent stofflich wieder-
                                                                                                                           verwertet. Um eine per-
                                                                                                                           fekte Kreislaufwirtschaft
                                                                                                                           im Bereich Beton zu er-
                                                                                                                           zielen, ist eine Verwen-
                                                                                                                           dung von altbeton aus-
                                                                                                                           schließlich für die Her-
                                                                                                                           stellung von neuem Be-
                                                                                                                           ton, Recyclingbeton, an-
                                                                                                                           zustreben. Dafür ist in
                                                                                                                           Österreich seit 2018 eine
                                                                                                                           neue Betonnorm in Kraft.
                                                                                                                           Sie dient als Grundlage
                                                                                                                           für eine kreislauffähige
                                                                                                                           Bauweise. Beispiele für
                                                                                                                           erfolgreiches Beton-Re-
                                                                                                                           cycling gibt es zudem
                             Das Bauen auf der grünen Wiese steht in der Kritik. Die             bereits. So wurde das Gebäude des ehemaligen
                             Politik braucht Konzepte, um vor allem ungenutzte ver-              Coca-Cola-Werks in Wien rückgebaut und für den
                             baute Flächen besser zu nutzen.        Foto: iStock.com/Fokusiert   Neubau des Biotope City Quartiers an gleicher
                                                                                                 Stelle zu wesentlichen Teilen wiederverwertet. Der
                                                                                                 Verein Betonmarketing Österreich engagiert sich
                             Bodenverbrauch auch Frage der Baukultur                             auch seit Jahren, die Sensibilität für die Wiederver-
                             Schließlich geht es auch um die Frage, wie und wo                   wertbarkeit des Baustoffes und die Möglichkeiten
Foto: iStock.com/ikercelik

                             wird zukünftig gebaut. Österreich ist ein land der                  für eine Kreislaufwirtschaft zu fördern, denn oft
                             zweistöckigen Häuser. Das Einfamilienhaus wurde                     muss es in den Köpfen von Verantwortlichen und
                             in Deutschland bereits zum Feindbild erklärt. Doch                  Planern erst ankommen, welche Möglichkeiten
                             ganz so einfach ist es nicht. Es kommt vor allem da-                zum Recycling beim Bau bestehen.
                             rauf an, wie nachhaltig wir Häuser bauen und vor
                             allem wo. in österreichischen Gemeinden mangelt                     Beton und holz haben zukunft
                             es am Mut zur Verdichtung. Gerade in Gemeinde-                      in der Kombination haben Beton und Holz eine            Unsere Landschaft ist von
                             zentren könnte und sollte inzwischen höher gebaut                   sehr gute Zukunft. Beide Baustoffe können zu ei-        Verkehrsflächen jeglicher
                             werden. Siedlungsstrukturen sollten so angelegt                     nem hohen Grad wiederverwertet werden und ha-           Art durchschnitten. Tat-
                             werden, dass sie kurze Wege ermöglichen und auf                     ben eine hohe Wertschöpfung in Österreich. Wie          sächlich machen Straßen,
                             große Verkehrsflächen verzichten können, denn                        ein Gebäude nach ablauf seiner lebenszeit also          aber auch Parkflächen ei-
                             Straßen machen einen wesentlich Teil der Boden-                     wieder verwertet werden kann, sollte viel stärker       nen Großteil der Flächen-
                             versiegelung in Österreich aus. letztendlich sind                   in den Fokus der Planungen einbezogen werden.           versiegelung aus. Oft be-
                             auch die Baumaterialien entscheidend. Je nach                       So kann es gelingen, nicht nur den Bodenver-            tragen Verkehrsflächen ein
                             Nutzung eines Gebäudes sollten Materialien ver-                     brauch zu minimieren, sondern die Baubranche zu         Vielfaches der Versiege-
                             wendet werden, die nach ablauf der Nutzungs-                        einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft umzuge-         lung in Relation zur reinen
                             dauer auch leicht wieder recycelt werden können.                    stalten. Darin liegt auch ein beträchtliches Wert-      Gebäudefläche.
                             Holz wird daher in Zukunft eine viel stärkere Rolle                 schöpfungspotenzial, sind sich Experten einig. l        Foto: iStock.com/Marcos assis

                             beim Bau von Häusern spielen. Die Wiederver-
                             wertbarkeit von Baumaterialien und die Möglich-
                             keit, diese wieder in eine Kreislaufwirtschaft einzu-
                             bringen, würden die Renaturierung von Flächen
                             stark begünstigen. auch Beton spielt dabei in Zu-
                             kunft eine wichtige Rolle. als sehr flexibler Baustoff
                             wird er praktisch überall und für alle erdenklichen
                             Zweckbauten eingesetzt. Dabei genießt Beton ei-
                             nen eher schlechten Ruf hinsichtlich seiner Klima-
                             bilanz. Dem muss aber nicht so sein. Dank seiner
                             Zusammensetzung aus natürlichen mineralischen
                             Rohstoffen ist Beton nach dem Rückbau und der
                             aufbereitung zu 100 Prozent wiederverwertbar
                             und spielt so eine wichtige Rolle für einen ressour-
                             censchonenden Materialkreislauf. Zur Etablierung
                             von geschlossenen Kreisläufen hat die altstoff Re-
                             cycling austria (aRa) kürzlich die Wiederverwen-
                             dung von Bauten und Baustoffen bei infrastruktur-
                             und Erhaltungsmaßnahmen als zentralen Stellhe-
                             bel bezeichnet. Für den Baustoff Beton gibt es eine
                             beinahe hundertprozentige Kreislaufwirtschaft. in

                             DER REPORT 2021                                                                                                                 Klimaschutz                 67
Wo die Energiewende Realität wird
     Die Klima- und Energie-modellregion murau ist seit Jahren Vorreiter bei
     der Energiewende. in der Region ist man sich der Verantwortung für den
     Klimaschutz bewusst. Ob Wasserkraft, Wind- oder sonnenenergie, ein
     Blick in den Bezirk murau lohnt sich, wenn man wissen will, wie Energie-
     wende geht.                                                                                                Von stefan Rothbart

                                                 D
                                                         er Bezirk Murau mit sei-     serkraftwerke, die rund 80 Prozent des in der Re-
                                                         nen rund 28.000 Einwoh-      gion erzeugten Stroms liefern.
                                                         nern ist eine ländlich ge-
                                                prägte Region mit einzigartigem       holz als Energieträger
                                                und intaktem lebens- und Nah-         auch an Holz als Rohstoff mangelt es in der Region
                                                erholungsraum und überdurch-          nicht. Der Waldanteil beträgt im Bezirk Murau rund
                                                schnittlich guter luftqualität. Der   58 Prozent. Daraus werden jährlich 333.000 Fest-
                                                Tourismus floriert und ein starkes     meter Holz gewonnen. Rund ein Viertel des Roh-
                                                regionales Handwerk sowie eine        stoffes wird für die energetische Nutzung verwen-
                                                nachhaltige land- und Forstwirt-      det. im Bezirk Murau sind in nahezu jedem Ort bzw.
                                                schaft bilden die wirtschaftlichen    Ortsteil mit Biomasseheizwerken betriebene Fern-
                                Standbeine der Region. Die lage südlich des al-       wärmenetze entstanden – kein einziges wird mit
     89 Wasserkraftwerke pro-   penhauptkammes mit einer Seehöhe von 654 m            fossilen Brennstoffen betrieben. Somit können
     duzieren 80 Prozent des    bis 2.742 m und einer Fläche von 1.384 km2 be-        viele fossile Einzelanlagen Zug um Zug durch an-
     Stroms in der Region.      günstigt einen Reichtum an den natürlichen Res-       schluss ans Fernwärmenetz ersetzt werden.
     Fotos: Tom lamm            sourcen Wasser, Biomasse, Sonne und Wind.
                                Schon vor Jahrzehnten, als der Klimawandel noch       sonne und Wind
                                kein Thema in der breiten Bevölkerung war, hat        Die Seehöhe, die günstige lage südlich des al-
                                man im Bezirk Murau begonnen, die Weichen             penhauptkammes und wenige Nebeltage sorgen
                                Richtung Energiewende zu stellen.                     für hohe Sonneneinstrahlung und Wirkungsgrade.
                                                                                      Die Region Murau ist im österreichischen Vergleich
                                Wasserkraft                                           Vorreiter bei Fotovoltaik. Mit mehr als 50 anlagen
                                Was man seit den anfängen der Modellregion er-        auf 1000 Einwohner sind die Gemeinden St.
                                reicht hat, ist beachtlich. Heute ist die Region      Georgen am Kreisch-
                                Netto-Energieexporteur. Der jährliche Stromver-       berg und Scheifling
                                brauch der Region beträgt rund 119 GWh. Dem           sowie Ranten mit 45
                                gegenüber steht eine Menge von 417 GWh an er-         anlagen      absolute
                                neuerbarer Stromerzeugung. aufgrund der Topo-         österreichische Spit-
                                grafie ist die Region prädestiniert für die Wasser-    zenreiter. in Sachen
                                kraft. Bereits 1906 wurde das erste Murkraftwerk      Windkraft ist der Tau-
                                in der Stadt Murau errichtet. Heute sind es 89 Was-   ernwindpark        am
                                                                                      Schönberg          ein
        Volle Energie! Kraftwerke in der Region Murau                                 leuchtturmprojekt.
                                                                                      Zehn Windräder mit
        ‰ 89 Wasserkraftwerke                                                         einer leistung von 32
        Gesamtleistung: 88.500 kW                                                     MW werden ergänzt
        Jahresstromproduktion: 337.400 MWh (= 337,4 Millionen kWh)                    von einer Zwei-MWp-
        ‰ 6 Heizwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung                                        Fotovoltaik-anlage.
        Gesamtleistung: 2.200 kW                                                      Gesamt erzeugt man Strom für umgerechnet
        Jahresstromproduktion: 14.400 MWh (= 14,4 Millionen kWh)                      25.000 E-autos oder 20.000 Haushalte und spart
        ‰ 45 Heizwerke mit Biomasse                                                   damit rund sechs Millionen liter Öl ein.         l
        Gesamtleistung: 41.000 kW
        Jahreswärmeproduktion: 95.000 MWh (= 95 Millionen kWh)
        ‰ 973 Photovoltaik-Anlagen                                                    n Die Region produziert dreimal mehr Strom, als
        Gesamtleistung: 12.600 kWpeak                                                   sie selbst verbraucht.
        Jahresstromproduktion: 12.600 MWh (= 12,6 Millionen kWh)                      n Die Stadt Murau ist inselbetriebsfähig und kann
        ‰ 10 Windräder                                                                  sich im Falle eines Blackouts selbst versorgen.
        Gesamtleistung: 32.000 kW                                                     n Erneuerbare Energien locken Touristen an. Mit
        Jahresstromproduktion: 60.000 MWh (= 60 Millionen kWh)                          den Murauer Energietouren gibt es einen re-
                                                                                        gelrechten Kraftwerks-Tourismus.

68         Klimaschutz                                                                                                DER REPORT 2021
Kann denn Reisen sünde sein?

                                                                                                                                               Werbung
tourismus im zeitalter des Klimawandels
Es ist wieder so weit – das 7. Energiecamp der holzwelt murau und des
landes steiermark (ich tu’s) findet am 29. und 30. april 2021 statt und
beschäftigt sich mit der Frage, wie umweltverträglich Reisen ist bzw.
sein kann.

z
       ur Einleitung der diesjährigen Konferenz      auch Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber ist einer
       nehmen landesrätin Mag.a Ursula lackner       der Speaker. Er zählt zu den weltweit führenden
       und Bundesministerin leonore Gewessler        Klimaforschern, bekam von der Queen den briti-
Stellung zu den aktuellen Herausforderungen          schen Verdienstorden, sitzt im Klimaboard des Va-
beim Thema „Klimawandel & Tourismus“. Der Titel      tikans und berät nationale Regierungen und glo-
„Kann denn Reisen Sünde sein?“ ist vom Gestalter     bale Organisationen wie die UNO. insgesamt wer-
der gleichnamigen ORF-Dokumentation, Hanno           den sich fünfzehn exzellente Referentinnen aus
Settele, geliehen. Er ist einer der hochkarätigen    dem in- und ausland beim diesjährigen Camp ein-
Referenten des Energiecamps.                         bringen.

Ebenfalls mit dabei ist die Pionierin und Vorden-    Das Energiecamp 2021 wird als liVE-Stream kos-
kerin Michaela Reitterer – sie ist Vorsitzende der   tenlos angeboten, damit ein möglichst nieder-        Prof. Dr. Hans Joachim
ÖHV und inhaberin des ersten Null-Energiebilanz-     schwelliger Zugang, vor allem für junge Menschen,    Schellnhuber ist einer der
Hotels Europas.                                      gewährleistet ist.                             l     führenden Klimaforscher
                                                                                                          und einer der Speaker
                                                     alle Programminhalte unter:                          beim diesjährigen Energie-
                                                     www.energiecamp.at                                   camp.        Foto: Frederic Batier

                                                           TOURISMUS IM
                                                            ZEITALTER DES
                                                           KLIMAWANDELS
                                                                    29. und 30. April 2021

                                                                     ONFEREmeN, An           LIVESTREAM
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                                                     Weitere Infos unter:
                                                     www.energiecamp.at

DER REPORT 2021                                                                                              Klimaschutz                             69
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