Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung

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Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
N0 10 — 2020
                                                                              PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

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                                                                 LPER
                                                                      S
                                                         En d l E I N
                                                                          T

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  Klischees überwinden
Holland bot den Lernenden deutlich mehr als Tulpen, Käse und Velos.
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Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
— EDITORIAL —

                                                                                                                                                                            Alles
  Wir steigern Mobilität.
                                                                                                                                                                          ändert sich
  Unsere Spezialisten erarbeiten individuelle Versorgungskonzepte, um unseren
  Patientinnen und Patienten ein Höchstmass an Selbstbestimmung zu ermöglichen.                                                                                    Wir blicken zurück auf ein turbulentes Jahr, in dem
                                                                                                                                                                   sich auch bei uns viel geändert hat. Sei es die Um­be­
  Ihr verlässlicher Ansprechpartner in Sachen                                                                                                                      nennung zur Mathilde Escher Stiftung mit einem neuen
  • Rollstuhlversorgung (manuelle und Elektrorollstühle)

                                                                                                                                                                                                                               PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
  • Sitz- und Rückenschalen                                                                                                                                        visuellen Auftritt, Katharina Hildebrand als neue
  • Inkontinenzversorgung                                                                                                                                          ­Ge­schäfts­f ührerin oder natürlich die ganze Covid-19-
  • Orthopädie-Schuhtechnik                                                                                                                                        Situa­tion. In den Artikeln wird ebenfalls viel über Ver­
  • Orthopädietechnik
                                                                                                                                                                   änderungen berichtet. Da wäre zum Beispiel der Beitrag
  Balgrist Tec AG | Forchstrasse 340, 8008 Zürich | T +41 44 386 58 00 | www.balgrist-tec.ch                                                                       von ­Niklas, in dem er über sein Leben und seinen Um­
                                                                                                                                                                   zug in die Schweiz erzählt. Er zeigt, dass grosse Ver­
Pause meh.indd 1                                                                                        03.09.2020 14:37:05             Pascal Niffeler,           änderungen in unserem Leben auch eine grosse Chance
                                                                                                                                        Praktiker Mediamatik
                                                                                                                                                                   sein können. Oder jener von Johnny, der über den
                                                                                                                                        1. Ausbildungsjahr
                                                                                                                                                                   Wechsel zum selbstständigen Wohnen nachdenkt und
                                                                                                                                                                   was das für ihn bedeuten würde. Eine komplett andere

                                                                                           Kommunizieren.                                                          Art der Verwandlung haben die Lernenden der Aus­
                                                                                                                                                                   bildung beim Drehen eines Kurzfilms für die Jugend­
                                                                                           Lernen.                                                                 filmtage erlebt. Ich war verblüfft wie Filmszenen, die
                                                                                           Arbeiten.                                                               in Realität un­möglich erschienen, mit guter Planung
                                                                                           Wohnen.                                                                 und schlauen Tricks gefilmt werden konnten. Eine
                                                                                                                                                                   andere Perspektive eröffnet uns der Beitrag von Luca.
                                                                                                                              IMPRESSUM
                                                                                                                                                                   Er erzählt darin von seinem Hobby Malen und welchen
                                                                                                                              PAUSE — das Ausbildungsmagazin
                                                                                                                              der Mathilde Escher Stiftung         Einfluss seine fortschreitende Muskelschwäche darauf
                                                                                                                              Ausgabe Nr. 10, 2020
                                                                                                                                                                   hat. So wie Luca müssen wir uns Veränderungen stellen
                                                                                                                              Herausgeberin:
                                                                                                                              Mathilde Escher Stiftung             und handeln. Wir können diese nicht ignorieren, denn
                                                                                                                              Lengghalde 1, 8008 Zürich
                                                                                                                              Telefon 044 389 62 00                nichts ist bestän­diger als der Wandel.
                                                                                                                              Fotos: Ben Wadley, Daniel

    Digitale Assistive Technologien
                                                                                                                              Capitani, Michael Groer,
                                                                                                                              Dominik Zenhäusern

    für mehr Partizipation und Selbstbestimmung                                                                               Konzeption: grüninger grafik,
                                                                                                                              Atelier für visuelle Kommunikation
                                                                                                                              Lektorat: Sprache und
                                                                                                                              Kommunikation – Iris Vettiger
                                                                                                                              Lithografie: b+b repro AG
    www.activecommunication.ch                                                                                                Druck: Druckerei Albisrieden AG
    Active Communication AG | Ein Unternehmen der Schweizer Paraplegiker-Stiftung                    we integrate. active.
                                                                                                                              Auflage: 3‘200 Exemplare

                                                                                                                                                                                 3
                                                                                                                              Erscheint: 1 x pro Jahr
                                                                                                                              Gedruckt auf 100% Recyclingpapier
Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
Inhalt                                                                                                                                                                 – 36 –
                                                                                                                                                                                                                        Schiffe, Kräne
                                                                                                                                                                                                                       und haufenweise
                                                                                                                                                                                       –7–
                                                                                                                                                                                                                            Velos
                                                                                                                                                                            Eigene Welt
                                                                                                                                                                                                                    Die diesjährige Ausbildungsreise führte die
                                                                                                                                                                   Luca liebt das Malen und Zeichnen. Trotz         Lernenden nach Holland. Ein Reisebericht
                                                                                                                                                                   ­nachlassender Kraft verliert er den Mut nicht   über ein Land, das deutlich mehr zu bieten hat
                                                                                                                                                                   und findet immer wieder neue Lösungen.           als die üblichen Klichees.

                                                                                                                                       18                                           – 12 –                                           – 42 –
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                                                     PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                                                                                     «Herr Eisen­egger,                                       «Ich bewarb
                                                                                                                                                                       das haben Sie                                          mich aus den
                                                                                                                            «Ich bin ein
                                                                                                                                                                      toll gemacht!»                                            ­Ferien»
                                                                                                                            ­A lpha-Mensch»
                                                                                                                                                                   Mit einer Bühne am Zürichfest hat sich           Essen gut, alles gut. Wer ist in der Mathilde
                                                                                                                            Seit einem Jahr hat die Mathilde       Mirco einen Traum erfüllt. Ein einfaches         Escher Stiftung eigentlich für das leibliche
                                                                                                                            Escher Stiftung eine neue Geschäfts­   Unterfangen war das jedoch nicht.                Wohl zuständig?
                                                                                                                            führerin. Höchste Zeit, um Katharina
                                                                                                                            ­Hildebrand näher kennen zu lernen.
                                                                                                                                                                                    – 14 –

                                                                 8                                                                                                       Benzin im Blut
                                                                                                                                                                   Am liebsten mit Vollgas. Der Rennsport ist
                                                                                                                                                                                                                        Kurz & bündig
                                                                                                                                                                   Clas Leidenschaft. Um sicher im Rennauto zu
                                                                                                                                                                                                                        22    Das Redaktionsteam
                                                              «Früher war
                                                                                                                                                                   sitzen, muss alles passen. Und wer ist eigent­
                                                                                                                                                                   lich dieser Hans?
                                                                                                                                                                                                                        33    Wussten Sie, dass …
                                                              ich es, der Hilfe
                                                                                                                                                                                    – 30 –

                                                                                                                   24
                                                                                                                                                                                                                        34    Fotostory
                                                              benötigte»
                                                                                                                                                                            Und Action!
                                                                                                                                                                                                                              Ben hat eine neue App …

                                                              Niklas hat in seiner Kindheit viel                                                                                                                        35    Stolperstein
                                                              Zeit im K
                                                                      ­ rankenhaus verbracht.                                                                      Filmen macht Spass! Doch die wirkliche Arbeit              «Wenn ich selbstständig
                                                              Seine positive Lebenseinstellung hat                                                                 kommt erst danach. Für die Jugendfilmtage                  wohne, werde ich zum

                                                                                                     Der richtige Moment
                                                              er trotzdem nie verloren.                                                                            produzierten die Lernenden einen Kurzfilm                  ­A rbeitgeber»
                                                                                                                                                                   zum Thema «Money».
                                                                                                                                                                                                                         41   10 Fragen an …
                                                                                                     In der Projektwoche «Street Photography» haben                                                                           Marc von Arx
                                                                                                     die Lernenden der Mathilde Escher Stiftung scheinbar
                                                                                                     Alltägliches ins richtige Licht gerückt.

                                                                                                     4                                                                                                   5
Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
— PERSÖNLICH —

                                                                                                                                                        Eigene Welt
                                                                                                                                    Meine grosse Leidenschaft ist das                      die grossen Maler der Geschichte, am meisten

                                                                                                                                ­Malen. Dabei kann ich meiner Fantasie                     Pablo Picasso. Mein Lieblingsgemälde von ihm
                                                                                                                                                                                           ist Mediterranean Landscape. Mir gefallen die
                                                                                                                                freien Lauf lassen. Trotz nachlassender                    Formen und Farben des Bildes.
                                                                                                                                   Kraft verliere ich den Mut nicht und
                                                                                                                                  ­finde immer wieder neue Lösungen.                       Neue Lösungen und Hilfsmittel
                                                                                                                                                                                           Malen bedeutet mir sehr viel, aber es strengt
                                                                                                                                                                                           mich zunehmend an. Ich habe Muskeldystro­
                                                                                                                                              Von Luca Affolter                            phie Typ Duchenne, weshalb meine Muskel­
                                                                                                                                                                                           kraft nachlässt. Meine Hände werden immer
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                              PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                                                                                                           schwächer, mittlerweile kann ich sie selbst nur
                                                                                                                                                                                           noch von der Armlehne auf den Schreibtisch
                                                                                                                                                                                           oder auf meine Beine legen. Ausserdem kann
                                                                                                                                                                                           ich nicht mehr so gut auf das Papier blicken,
                                                                                                                                                                                           weil mein Kopf nicht mehr so beweglich ist.
                                                                                                                                                                                           Eine Computermaus oder einen Controller zum
                                                                                                                                                                                           Gamen kann ich noch bedienen. In der Ergo­
                                                                                                                                                                                           therapie haben wir verschiedene Möglichkeiten
                                                                                                                                                                                           ausprobiert, wie ich meinem Hobby Malen
                                                                                                                                                                                           weiterhin nachgehen kann. Zuerst haben wir
                                                                                                                                                                                           es mit einer schräg stellbaren Tischerhöhung
                                                                                                                                                                                           versucht und Kissen unter die Arme gelegt.
                                                                                                                                                                                           Das war aber noch nicht ideal. Ich sah nicht
                                                                                                                                                                                           gut aufs Blatt und es war unbequem für die
                                                                                                                                                                                           Arme. Schliesslich fanden wir einen Weg mit
                                                                                                                                                                                           einem Hilfsarm und einem Blatthalter. Der
                                                                                                                                                                                           Hilfsarm hat eine Feder, die es mir erlaubt, den
                                                                                                                                                                                           Arm mit wenig Kraft zu bewegen. Trotzdem
                                                                                                                                                                                           komme ich auf dem Blatt mittlerweile nicht
                                                                                                                                                                                           mehr bis ganz nach oben.
                                                                                                                                                                                           Eine gute Lösung für mich ist es, am Computer
                                                                                                                                      Die meisten Motive gestalte ich aus dem Kopf.        zu malen. Das funktioniert heute und hof­
                                                                                                                                      Ich male meist Tiere, erfundene Planeten und         fentlich auch in Zukunft. Zukünftig werde ich
                                                                                                                                      Sonnenuntergänge. Sonnenuntergänge male              wohl mit meiner Umweltsteuerung malen.
                                                                                                                                      ich, weil sie in mir ein Gefühl der Ruhe aus­        Die Umweltsteuerung ist ein System, mit dem
                                                                                                                                      lösen. Am liebsten verwende ich Farbstifte und       man über den E-Rollstuhl mit Bluetooth oder
                                                                                                                                      Filzstifte, weil ich damit am besten gestalten       Infrarot das Handy, den Lift, das Radio, den
                                                                                                                                      kann. Meine Lieblingsfarben sind Blau, Grün          Fern­seher und den PC steuern kann. Dennoch
                                                                                                                                      und Gelb. Beim Malen tauche ich in meine             würde ich viel lieber von Hand malen. Dann

                                                              Praktikant*in mit Mehrwert
                                                                                                                                      Fantasie ein und vergesse leicht die Zeit und        kann ich den Stift in der Hand spüren. Trotz
                                                                                                                                      die Umgebung. Ich finde es beruhigend, an            aller Hilfsmittel male ich nicht mehr so oft,
                                                                                                                                      einem Bild zu arbeiten. Meine Bilder gefallen        weil es mich zu sehr anstrengt. Ich habe lange
                                                                                                                                      mir, es ist aber auch ein tolles Gefühl, wenn        gebraucht, um damit klarzukommen, dass
                                                                     Wir sind auf der Suche nach Praktikumsplätzen.                   andere meine Bilder loben. Mich faszinieren          vieles nicht mehr geht.
                                                               Michael Groer (Leitung Ausbildung) freut sich auf Ihren Anruf:
                                                                                             6 389 62 56
                                                                                   Telefon 044                                                                                         7
Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
— PERSÖNLICH —

                                                                  «Früher
                                                                  war ich es,
                                                                  der Hilfe
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                        PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                  benötigte»
                                                                  Bis zu meinem dritten Lebensjahr war ich s­ ehr oft
                                                                  im Krankenhaus. Dort wurde mir auch klar, dass ich
                                                                  nicht so bin wie alle andern. Heute lasse ich mich
                                                                  trotz meiner Krankheit nicht unterkriegen, geniesse
                                                                  mein Leben und gestalte es aktiv.
                                                                  Von Niklas Halder

                                                              8                                  9
Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
— PERSÖNLICH —                                                                                              — PERSÖNLICH —

                                                                                                                                                                     «Ich musste fest­stellen,
                                                                                                                                                                        dass meine Mitbe-                                      laut meinem Vater nicht immer so positiv.
                                                                                                                                                                                                                               Ich habe gelernt, dass ich trotz meiner Krank­

                                                                                                                                                                     wohner trotz ihrer kör-                                   heit vieles verändern kann, aber auch etwas
                                                                                                                                                                                                                               dafür tun muss. Ich wurde von meinen Eltern

                                                              Ich habe eine Stoffwechselkrankheit, genauer
                                                                                                                                                                      perlichen Einschrän-                                     immer gut informiert, was meine Krankheit
                                                                                                                                                                                                                               betrifft, und in die Entscheidungen einge­
                                                              eine Eiweissunverträglichkeit, die als Glutara­
                                                              zidurie Typ 1 bezeichnet wird. Ich habe bereits
                                                                                                                                                                     kungen selbstständiger                                    bunden. Darum fühle ich mich meiner Krank­
                                                                                                                                                                                                                               heit nicht ausgeliefert.
                                                              zahlreiche unterschiedliche Medikamente
                                                              probiert, viele davon hatten aber leider mehr                                                               sind als ich.»
                                                              Nebenwirkungen als Nutzen. Hinzu kam, dass
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                                                                PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                              ich jeweils keinen normalen Alltag führen
                                                              konnte, bis sie richtig eingestellt waren. Diese
                                                              Medikamente wurden nicht speziell für meine
                                                              Krankheit entwickelt, helfen aber bei der
                                                              symp­tomatischen Behandlung meiner Spas­                                                                   sind als ich. Am Anfang wusste ich nicht so
                                                              tiken und meiner Verdauung.                                                                                recht, was in der WG erlaubt ist und was nicht.
                                                                                                                                                                         Wenn ich meine Bezugsperson fragte, was ich
                                                              Neuland                                                                                                    denn nun darf oder nicht, bekam die Antwort:
                                                              Neben den Herausforderungen, die meine                                                                     «Du darfst machen, was du willst.» Heute
                                                              Krankheit mit sich bringt, musste ich im Alter                                                             weiss ich, was sie damit meinte. Ich darf meine
                                                              von sechs Jahren eine weitere grosse Ver­                                                                  Entscheidungen selbst treffen, muss aber auch
                                                              änderung in meinem Leben meistern: den                                                                     allfällige Konsequenzen tragen. Ausserdem
                                                              Umzug meiner Familie von Deutschland in                                                                    musste ich auf meiner Wohngruppe geduldiger
                                                              die Schweiz, da mein Vater ein Stellenangebot                                                              werden, weil ich nicht mehr der einzige Roll­
                                                              annahm. Ich kann mich noch daran erin­                                                                     stuhlfahrer war, der Bedürfnisse hatte. Ich
                                                              nern, dass ich etwas traurig war, unser Haus                                                               lebte mich sehr schnell ein, weil ich mich will­
                                                              zurückzulassen. Hier in der Schweiz musste          In die Mathilde Escher Stiftung                        kommen fühlte und viel Unterstützung hatte.
                                                              ich mich auf viel Neues einlassen. Mein Start       Während meiner Schulzeit musste ich mich
                                                              an der neuen Schule war holprig. Wenn ich           nach einem Ausbildungsplatz umschauen. Ich             Blick nach vorne
                                                              mit dem Elektrorollstuhl am neuen Wohnort           entschloss mich schliesslich für die Mathilde          Im Moment weiss ich nicht, wie es mit meiner
                                                              ­u nterwegs war, fragten mich viele Leute,          Escher Stiftung, weil mir die Ausbildung am            Krankheit weitergehen wird. Ich hoffe, dass
                                                              was für eine Krankheit ich habe oder ob ich         besten zusagte. Zu Beginn der Ausbildung zog           sie sich stabilisiert, es gibt aber keine verläss­
                                                              Hilfe brauche. Das war für mich nicht immer         ich auch in eine WG in der Mathilde Escher             liche Prognose. Allerdings muss ich immer
                                                              einfach, weil ich logopädischen Bedarf hatte        Stiftung ein. Speziell war für mich, mit anderen       stärkere Medikamente gegen meine Spastiken
                                                              und nicht so gut reden konnte. Ich wollte           Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern              nehmen. Trotzdem beunruhigt mich das nicht.
                                                              manchmal gar nicht antworten, habe so aber          zusammenzuwohnen. In meiner alten Schule               Ich habe schon so viel durchgemacht. Rum­
                                                              auch gelernt, mich zu verständigen. Trotz der       war es immer ich, der Hilfe benötigte. In der          sitzen und Heulen helfen mir nicht. Es kommt,
                                                              anfänglichen Probleme fand ich in meiner            WG konnte ich nun auch anderen helfen, weil            wie es kommt. Der letzte Sommer war für
                                                              Schweizer Schule relativ schnell Anschluss. In      viele meiner Mitbewohner manuell stärker               mich die schönste Zeit meines Lebens, weil ich
                                                              Deutschland hatte ich nicht allzu viele Kolle­      eingeschränkt sind als ich. Ich stellte aber           einfach machen konnte, was ich wollte, und
                                                              gen, weil ich wegen meiner Krankheit oft im         auch fest, dass manche von ihnen trotz ihrer           auch ein bisschen Zeit mit meiner Familie
                                                              Krankenhaus war.                                    körperlichen Einschränkungen selbstständiger           verbringen konnte. Meine Grundhaltung war

                                                                                                                 10                                                                                                           11
Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
— PROJEKT ZÜRIFEST —

                                                                   «Herr Eisenegger, das
                                                                  haben Sie toll gemacht»
                                                                  Mirco, einer unserer ältesten                        ob er ihm ein Planungskonzept erstellen kön­

                                                               Be­wohner, hatte sich letztes Jahr                      ne. «Die Arbeit hat sich gelohnt, unser Konzept
                                                                                                                       hat die Veranstalter des Zürifests überzeugt»,
                                                              mit einer Party-Bühne am Zürichfest                      ergänzt Mirco zufrieden.
                                                               einen g­ rossen Traum erfüllt. Trotz
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                         PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                              Hürden und Herausforderungen war                         Nicht alles nach Plan
                                                                                                                       Eine weitere grosse Hürde war die Finanzie­
                                                                  es für ihn ein grosser Erfolg.                       rung. Zum Glück fanden sich grosszügige Spen­
                                                                                                                       derinnen und Spender, die Mirco bei seinem
                                                                         Von Pascal Niffeler                           Projekt finanziell unterstützten. Zudem konnte
                                                                                                                       er durch die Vermietung von Flächen für
                                                                                                                       Essensstände einen Teil der Kosten abdecken.
                                                                                                                       Leider lief nicht alles nach Plan: Ein Kollege
                                                                    Mirco Eisenegger liebt es, Partys zu veranstal­    von Mirco versprach, als Projektpartner bei
                                                                    ten, in den Ausgang zu gehen und zu basteln.       der Organisation zu helfen und eine hohe
                                                                    Früher nahm er mehr Dinge auseinander, als         Summe an Kosten zu übernehmen. Leider hielt
                                                                    er wieder zusammenbauen konnte. Heute              er sich nicht an die Abmachung und nutzte die
                                                                    konstruiert er gerne kleine Solarfahrzeuge,        Bühne vor allem als persönliche Werbeplatt­
                                                                    Partymobile und beschäftigt sich mit Modell­       form. Dadurch fielen am Ende mehrere tausend
                                                                    bau. Sein Wunsch, am Zürifest mit einer            Franken Schulden an. «Dank glücklicher Um­
                                                                    eigenen Bühne dabei zu sein, hatte er schon        stände haben wir es aber geschafft, diese abzu­
                                                                    lange: «Ich wollte eine riesen Party veranstal­    zahlen», erzählt Mirco in ruhigem Ton.
                                                                    ten, bei der Menschen mit und ohne Behinde­
                                                                    rung gemeinsam Spass haben können.»                Gemeinsam abfeiern
                                                                                                                       «Die Teilnahme am Zürifest war trotz allem
                                                                    Überzeugungsarbeit                                 ein grosser Erfolg», sagt Mirco und erzählt
                                                                    Die Bühne am Zürifest war sein bisher grösstes     stolz, wie die Leiter des Zürifests seine Bühne
                                                                    Projekt. Dafür musste er viele Helferinnen und     betraten und ihm schulterklopfend sagten:
                                                                    Helfer organisieren, die ihm bei der Planung,      «Herr Eisenegger, das haben Sie toll gemacht,
                                                                    der Organisation, beim Aufbau und auch bei         wir sind sehr, sehr zufrieden mit Ihnen.» ­
                                                                    der Administration halfen. Einige konnte er        Mirco meint rückblickend: «Es hat mir sehr
                                                                    überzeugen, freiwillig mitzumachen, anderen        viel Spass gemacht, am Zürifest teilzunehmen
                                                                    zahlte er Lohn. Die Anzahl der Bühnen ist beim     und allen zu zeigen, wie Fussgänger und be­
                                                                    Zürifest begrenzt. Mirco meinte: «Die erste        hinderte Menschen gemeinsam abfeiern
                                                                    grosse Hürde war, überhaupt einen Platz am         können. Es hat uns viel Geld, Schweiss und
                                                                    Zürifest zu bekommen.» Er musste deshalb           Nerven gekostet, doch am Ende waren wir
                                                                    die Veranstalter mit einem Bühnenvorschlag         mit dem Ergebnis sehr zufrieden.» Sein Fazit
                                                                    überzeugen. Mirco fragte einen Freund, der im      lautet: «Ich bin sehr stolz auf das Projekt
                                                                    Event- und Bühnenbau professionell arbeitet,       und werde es im Leben nie vergessen.»

                                                                                                                      13
Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
— LEIDENSCHAFT MOTORSPORT —

                                                                                                                                                     Benzin
                                                                                                                                                       im
                                                                                                                                                      Blut
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                                          PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                                                                        Rennsport und Oldtimer sind meine grosse
                                                                                                                                                  ­Leidenschaft. Mein Vater ist ein begnadeter Renn-
                                                                                                                                                     fahrer und hat mir die Liebe für den Rennsport ­
                                                                                                                                                 vererbt. Dank ihm kann ich hautnah dabei sein und
                                                                                                                                                      einen Hauch von Formel-1-Feeling miterleben.
                                                                                                                                                                                    Von Cla Capitani
                                                              «Ich liebe alte Sportwagen», schwärmt Cla, was ihn aber nicht davon
                                                              abhält, auch in einem topmodernen Boliden mitzufahren.

                                                                                                                                    Heisse Boliden, glühender Asphalt … und Reifen! Gemein­     Ausserdem schlagen die Emotionen in einem Oldtimer
                                                                                                                                    same Abenteuer und interessante Gespräche über Autos,       höher als in einem topmodernen Auto. Deshalb ist der
                                                                                                                                    das gefällt mir am Rennsport. Das Spezielle daran ist,      Rennsport für mich und meine Familie so spannend.
                                                                                                                                    dass ich Rollstuhlfahrer bin. Ich habe Muskeldystro­phie    Wir sind durch unseren Freund Andreas Lautenschlager
                                                                                                                                    Typ Duchenne. Trotzdem fühle ich mich in dieser Umge­       zum Rennsport gekommen. 2018 machten mein Vater
                                                                                                                                    bung sehr wohl und empfinde meine Krankheit bei             und meine Mutter am Hockenheimring die internatio­
                                                                                                                                    diesem Hobby nicht als Problem.                             nale Rennlizenz, um an Rennen im In- und Ausland
                                                                                                                                                                                                mitzufahren. Meistens fährt mein Vater mit einer Lancia
                                                                                                                                    Speziellen Anpassungen                                      ­Fulvia Sport 1.3 s Zagato Competizione. Aufgrund der
                                                                                                                                    Mich fasziniert an alten Sportwagen, dass man die           guten Platzverhältnisse und Rennsitze kann ich bei
                                                                                                                                    Technik sieht, das Benzin riecht und den Motor hört.        meinem Vater als Co-Pilot mitfahren. Selbst in meinem

                                                                                                                    14                                                                         15
Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
— LEIDENSCHAFT MOTORSPORT —

                                                                                                                                                                                                                                                                           Mit den richtigen
                                                                                                                                                                                                                                                                           Kontakten ist Cla in

                                                               «Wenn ich vom Roll-
                                                                                                                                                                                                                                                                           der Pole Position.

                                                                   stuhl ins Auto                                          Wenn der Puls steigt
                                                                                                                           Ein tolles Rennen ist die Eggberg Klassik in Bad Säckingen

                                                               gehoben werde, fühlt                                        am Rhein. Es ist eine Bergrennstrecke, auf der die Teil­
                                                                                                                           nehmenden jeden Lauf mit der möglichst gleichen

                                                               es sich an, als könnte                                      Zeit absolvieren sollen. Es werden Höchstgeschwindig­
                                                                                                                           keiten bis zu 200 km/h erreicht. Alle versuchen die

                                                                 ich aufstehen und                                         Ideallinie zu fahren, um die schnellste Rundenzeit zu
                                                                                                                           erreichen. Dabei kommen manche auch ins Driften.

                                                                     ­losgehen.»                                           Beim Kurvendriften steigt der Puls, das macht besonders
                                                                                                                           Spass. Wenn die Aussentemperatur sehr warm ist, wird
                                                                                                                           es meinem Fahrer und mir wegen der obligatorischen
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                                           feuerfesten Kleider richtig heiss. Da es beim Rennen
                                                                                                                           mehrere Läufe gibt und ich nicht pausenlos im Auto
                                                              Rollstuhl benötige ich einen Gurt, damit ich nicht her­      sitzen bleiben kann, werde ich sehr oft umgesetzt. In der
                                                              ausfalle. Nun stellen Sie sich vor, was ohne Anpassungen     Wartezeit zwischen den Rennläufen bleibt viel Zeit für
                                                              in einem Rennauto passieren würde. Damit ich bei einem       interessante Gespräche mit den anderen Teilnehmenden.
                                                              Rennen in einem Fahrzeug mitfahren kann, braucht es
                                                              einen Schalensitz für den Seitenhalt. Am Helm ist der        Heimvorteil                                                  Dezibel-Begrenzung. Unsere Rallye Crew veranstaltet          und Fahrer die Autos anschaute. Ich habe mich ziemlich
                                                              sogenannte HANS angebracht. Dieser Kopf- und Nacken­         Das Lenzerheide Motor Classics ist mein liebstes Rennen,     am Rennwochenende immer eine Party. Diese Feier              erschrocken, aber zum Glück ist nichts passiert. Ein
                                                              schutz sorgt dafür, dass der Kopf stabil bleibt. Mein Helm   weil es direkt in meinem Heimatdorf startet und mein         bedeutet mir sehr viel, da ich dort alle meine Freunde       anderes Mal habe ich mich leicht am Ellenbogen ver-
                                                              wird mit Klebeband an der Kopfstütze befestigt, auch die     Vater im Organisationskomitee ist. Dies ermöglicht           gleichzeitig treffen und mich so geben kann, wie ich         letzt. Seither achte ich viel mehr darauf, was um mich
                                                              Hände und Füsse werden zusammengeklebt. So mache             mir Dinge, die bei anderen Rennen nicht möglich sind,        bin. Letztes Jahr war für mich das tollste Rennen, denn      herum läuft und wo ich mich schützen kann. Ich
                                                              ich keinen «Wank» mehr. Ferner brauche ich einen Fünf­       wie zum Beispiel am Start neben dem Rennleiter zu            mein Freund Mael begleitete mich das ganze Renn­             habe Respekt, aber keine Ängste. Das wäre fatal in
                                                              punktgurt, damit ich fest im Sitz bleibe. Trotz alledem      stehen und so eine super Sicht auf das Renngeschehen         wochenende. Wir streiften durch das Lager der Fahrer­        diesem Sport, denn aus Ängsten heraus passieren Fehler
                                                              fühle ich mich nicht eingeengt, diese Massnahmen geben       zu haben. Bei diesem Rennen geht es nur um Spass, ohne       innen und Fahrer, schauten dem Rennbetrieb zu und            und die wiederum könnten schlimme Folgen haben.
                                                              mir ein Gefühl von Sicherheit.                               Zeitmessung, Rangliste, Geschwindigkeitslimit und            machten eine Taxifahrt. An jedem Essensstand machten         Die meisten Fahrerinnen und Fahrer kennen ihre Gren­
                                                                                                                                                                                        wir Halt und haben uns verköstigt. Nie zuvor hatte ich       zen, trotzdem kann es Unfälle geben. Es gab auch schon
                                                                                                                                                                                        so viel gegessen wie an diesem Wochenende. Da beim           einmal einen Todesfall an einem Rennen mit einem
                                                                                                                                                                                        Lenzerheide Motor Classics keine Beifahrerinnen und          Motorrad und einmal mit einem Formel Wagen. Das
                                                                                                                                                                                        Beifahrer erlaubt sind, nehme ich jeweils ein Renntaxi,      könnte uns selbstverständlich auch passieren; würde
                                                                                                                                                                                        das von einem lizenzierten Rennfahrer gefahren wird.         ich mir jedoch zu viele Gedanken über Unfälle machen,
                                                                                                                                                                                        Eine Fahrt über vier bis fünf Runden kostet hundert          könnte ich diese Sportart nicht mehr ausführen. Es gibt
                                                                                                                                                                                        Franken. Ein teurer Spass, aber das ist es wert.             aber auch lustige Momente, z. B. als mein Rennkollege
                                                                                                                                                                                        Meine tollsten Rennerlebnisse waren, als ich mit Ferruccio   Riccardo mit seinem Ford T-Racer 1929 auf der kurvigen
                                                                                                                                                                                        Finkbohner in einer Lancia Delta S4 mit 680 PS voll          Passstrasse am Jochberg Memorial 2017 ein Rad verlor.
                                                                                                                                                                                        ­Karacho mitfahren konnte! Auch die Fahrt mit Tom            Er fuhr auf drei Rädern trotzdem weiter und konnte sein
                                                                                                                                                                                        Alpiger von Motorex mit einem Radical RXC Turbo 500          Rad, das den ganzen Pass selbst heruntergerollt war,
                                                                                                                                                                                        war unvergesslich. Während der Fahrt fragte ich              kurz vor dem Ziel wieder montieren.
                                                                                                                                                                                        ihn: «Wie schnell kannst du mit diesem Auto fahren?»         Mein grösster Traum wäre eine «Taxifahrt» mit Ken
                                                                                                                                                                                        Da wusste Tom, dass er mehr Gas geben kann!                  Block, einem US-amerikanischen Rallye- und Rallye­
                                                                                   Um den starken Beschleuigungs-                                                                                                                                    cross-Fahrer. In Zukunft wünsche ich mir vor allem
                                                                                     kräften entgegenzuwirken, ist
                                                                                                                                                                                        Kein Spass ohne Risiko                                       viele weitere Rennen mit meinem Vater. Vielleicht klappt
                                                                                       an Clas Helm der Kopf- und
                                                                                      Nackenschutz «HANS» ange-                                                                         Ich habe bei Rennen auch schon gefährliche Situationen       es auch mit einer Teilnahme an der Rallye Monte Carlo
                                                                                    bracht. So bleibt der Kopf auch                                                                     erlebt. Bei einem Rennen driftete einer der Wagen in­        historique oder gar mit einer Mitfahrgelegenheit in der
                                                                                         in schnellen Kurven stabil.                                                                    mitten vieler Leute, als ich im Lager der Fahrerinnen        Rallye Paris-Dakar.

                                                                                                                         16                                                                                                                       17
Klischees überwinden Endlich alleine wohnen - Mathilde Escher Stiftung
— INTERVIEW —

                                                              «Ich
                                                              bin ein
                                                              Alpha-
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                              PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                              Mensch»
                                                              Schwarzwälder Torte bringt sie auf die Palme. Sie würde
                                                              gerne mit Al Di Meola, Bryan Adams, Tracy Chapman und
                                                              ­vielen anderen eine gemeinsame Session machen. Ihre
                                                               Ausbildung in Scuola Teatro Dimitri hat sie für ihr Leben
                                                               ­geprägt. Katharina Hildebrand, die neue Geschäftsführerin
                                                                der Mathilde Escher Stiftung, hat viele Facetten. Im Inter-
                                                                view berichtet sie von Persönlichem, von ihrer Arbeit als
                                                                Geschäftsführerin, von den Herausforderungen und Zielen
                                                                für sie und die ­Mathilde Escher Stiftung.

                                                              Von Luca Affolter

                                                                                     19
— INTERVIEW —                                                                                                           — INTERVIEW —

                                                                                                                                   «Ich halte gerne
                                                              Luca Affolter: Du bist nun ein Jahr in der
                                                                                                                                für ­Zukunftsvisionen                                  Auf gegenseitigen Respekt. Auf Sorgfalt im Handeln und        ­Cocker, Janice Joplin, Mahalia Jackson, Al Di Meola,
                                                              Mathilde Escher Stiftung. Bist du inzwischen
                                                              ­richtig angekommen?
                                                                                                                                   die Nase in den                                     Entscheiden, auf Konstanz und Ehrlichkeit.                    Bryan Adams, Harrys Alexio, Marianne Faithfull,
                                                                                                                                                                                                                                                     Mercedes Sosa, Tracy Chapman, Carlo Bergonzi, Pippo
                                                              Katharina Hildebrand: Ich bin angekommen, fühle
                                                              mich wohl und konnte von Anfang an auf grosse Unter­
                                                                                                                                 Wind und versuche,                                    Was gefällt dir daran, Geschäftsführerin zu sein?
                                                                                                                                                                                       Ich bin ein Alpha-Mensch und fühle mich wohl so.
                                                                                                                                                                                                                                                     Pollina. Und immer wieder würden neue auftauchen.
                                                                                                                                                                                                                                                     Das kann irgendwo auf der Welt sein. Könnt ihr euch
                                                              stützung zählen. Ich bin stolz, Geschäftsführerin der
                                                              Mathilde Escher Stiftung zu sein.
                                                                                                                                beruflich am Puls der                                  ­Darum führe ich gerne. Ich trage gerne Verantwortung,
                                                                                                                                                                                       bin es gewohnt und mag es, für die Anliegen der Mit­
                                                                                                                                                                                                                                                     das vorstellen? Unglaublich, oder?

                                                              Wie war die erste Zeit in der Mathilde Escher                          Zeit zu sein.»                                    arbeitenden ein offenes Ohr zu haben und individuelle
                                                                                                                                                                                       Lösungen zu finden. Für die Menschen in der Institution
                                                                                                                                                                                                                                                     Welches war das schönste Kompliment, das dir
                                                                                                                                                                                                                                                     jemand einmal gemacht hat?
                                                              ­Stiftung für dich?                                                                                                      stehe ich mit Herzblut ein und präsentiere die Institution    Aus jeder Phase meines Lebens bewahre ich schöne
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                              Am Anfang prasselten viele Informationen in dichter                                                                      gerne in der Öffentlichkeit und bei Mitgliedern der Ver­      ­Erinnerungen in mir drin auf. «Wer dich ins Team geholt
                                                              Ladung auf mich ein. Abends hatte ich oft einen etwas                                                                    waltung, wenn ich hinter dem Konzept stehen kann. Und         hat, hat seine Prämie wirklich verdient», erhalten von
                                                              quadratischen Kopf davon. Geholfen hat, dass ich              Lösungsfindung für die Anliegen der Bewohner und Be­       das tue ich voll und ganz in der Mathilde Escher Stiftung.    den Kolleginnen und Kollegen der erweiterten Geschäfts­
                                                              sofort feststellen konnte, wie gut die Mathilde Escher        wohnerinnen weiterhin möglich sein, ja sogar ausgebaut     Ich halte gerne für Zukunftsvisionen die Nase in den          leitung der Zürcher Kinder und Jugendheime zkj.
                                                              Stiftung aufgestellt ist und funktioniert und wie viele       werden können.                                             Wind und versuche, beruflich am Puls der Zeit zu sein.
                                                              motivierte, versierte und langjährige Mitarbeitende die                                                                  Ich brauche Herausforderung!                                  Was ist dein persönlich grösster Wunsch für die
                                                              Institution tragen und prägen. Und als ich dann etwas         Du hast in deinem Leben schon viele verschiedene                                                                         Zukunft?
                                                              zur Ruhe kam, tauchte Corona auf …                            Dinge gemacht. Was hat dich beruflich besonders             Inwieweit darf eine Chefin auch Schwächen                    Ich möchte eine zufriedene, aufgestellte, aktive, gesunde,
                                                                                                                            geprägt?                                                   ­zeigen?                                                      kluge, stolze, liebenswerte, weise alte Frau werden.
                                                              Was sind die Herausforderungen in der Mathilde                Die Ausbildung an der Scuola Teatro Dimitri hat mich für   Gibt es denn Schwächen? In meinem Weltbild gibt es
                                                              Escher Stiftung?                                              das ganze Leben geprägt, beruflich und privat. Ich habe    ­ausgeprägte Stärken und weniger ausgeprägte Stärken.         Was bringt dich auf die Palme?
                                                              Herausfordernd sind die komplexen Finanzierungs­              da gelernt, immer die ganze «Szene» im Auge zu behalten                                                                  Wenn kein Feuer mehr brennt, im Herzen und in den
                                                              systeme der verschiedenen Bereiche mit den unter­             und aufmerksam auf das Gegenüber zu reagieren. Ich         Was hat dich geprägt?                                         Augen. Arroganz, Besserwisserei, abgelöscht sein und
                                                              schiedlichen Anforderungen. Für die kommende Zeit             achte auf die Körpersprache genauso wie auf die Worte.     Geprägt haben mich eine starke Mutter, die mir immer          Schwarzwälder Torte.
                                                              werden auch die Veränderungen durch Integrationen,            Ich bin gerne «Regisseurin».                               vertraut hat, eine schöne Kindheit, Fröhlichkeit und
                                                              durch das Assistenzmodell und durch das neue                                                                             unser offenes Haus. Geprägt haben mich aber auch einige
                                                              ­Finanzierungsmodell für die Sonderschule heraus­             Was sind deine schwierigsten Momente bei der               schwere Verluste, ich habe meinen Vater sehr früh ver­

                                                                                                                                                                                                                                                          «Geprägt haben mich
                                                              fordernd sein. Die grosse Herausforderung aktuell ist         Arbeit?                                                    loren wie auch meinen Partner. Das prägt.
                                                              das Bewältigen der Corona-Krise.                              Schwierige Momente zeigen sich vor allem in Zeiten
                                                                                                                                                                                       Wie wäre ein Mensch, der das Gegenteil von
                                                                                                                                                                                                                                                           eine starke Mutter,
                                                              Langfristig sollen die Angebote den Bedürfnissen der          von Krisen. Da spüre ich die Verantwortungen noch
                                                              betroffenen Menschen entsprechen. Ich habe den                deutlicher und realer – in jedem Moment, bei jeder Ent­    dir ist?
                                                              ­A nspruch, dass wir da flexibel genug sind, um Anpas­        scheidung. Die Entscheidungen sind nie für alle nach­      Wir würden uns respektieren, kämen aber schon
                                                              sungen zeitnah vorzunehmen und, wo nötig und
                                                              ­möglich, neue Angebote zu schaffen. Nicht mehr zeit­
                                                                                                                            vollziehbar. Es gilt, bei sich zu sein, Fachargumente
                                                                                                                            einzuholen, abzuwägen, mutig zu sein im Bewusstsein
                                                                                                                                                                                       nicht immer klar. Wir könnten uns ergänzen, aber es
                                                                                                                                                                                       würde mir mit dieser Person eventuell etwas langweilig
                                                                                                                                                                                                                                                          eine schöne Kindheit,
                                                              gemässe Angebote müssen wir loslassen können.                 für die Risiken. Und auf das Team zählen zu können.        werden …
                                                                                                                                                                                                                                                         Fröhlichkeit und unser
                                                              Was sollte sich aus deiner Sicht in der Mathilde
                                                              Escher Stiftung auf keinen Fall ändern?
                                                                                                                            Was sind deine lustigsten Momente bei der Arbeit?
                                                                                                                            Die gibt es immer wieder, auch in Zeiten von Krisen.
                                                                                                                                                                                       Welche berühmte Persönlichkeit (lebend oder
                                                                                                                                                                                       tot) würdest du gerne einmal treffen? Wo                              offenes Haus.»
                                                              Die Mitarbeitenden der Mathilde Escher Stiftung zeigen        Zum Glück! Ich lache gerne und oft. Es sind die kleinen    ­würdest du sie treffen? Worüber würdest du
                                                              eine grosse Identifikation mit ihrer Aufgabe und dem Be­      Momente, die froh machen.                                   mit ihr sprechen?
                                                              trieb. Das soll und muss so bleiben. Dafür ist es w
                                                                                                                ­ ichtig                                                               Ich würde mit einigen Musikerinnen und Musikern
                                                              und richtig, dass man gemeinsam Lösungen für die              Worauf legst du besonderen Wert bei deiner                 eine Session machen, singen, tanzen, fein essen, lachen
                                                              Zukunft erarbeitet. Im Weiteren muss die individuelle         Arbeit?                                                    und sprechen. Anwesend wären Leonard Cohen, Joe

                                                                                                                           20                                                                                                                       21
Das Redaktionsteam                                                                 5
                                                                                                                                                                                                Au
                                                                                                                                                                                           schn s-
                                                                                                                                                                                                ei
                                                              Das Pause-Magazin ist ein Ausbildungsprojekt der Mathilde                                                                    un d de n
                                                                                                                                                                                                 a
                                                                                                                                                                                           stell uf-
                                                              Escher Stiftung. Die Lernenden erarbeiten die Inhalte und
                                                              gestalten das Pause-Magazin im Rahmen ihrer Praktischen
                                                              Ausbildung nach INSOS (Praktiker*in PrA Mediamatik) mit der
                                                                                                                                                               6
                                                                                                                                                                                                e n!
                                                                                                                                         4
                                                              Unterstützung ihrer Ausbildner und Ausbildnerinnen.
                                                                                                                                                                             7

                                                                                                                                3
                                                                                                 2

                                                               1

                                                                         Wir
                                                                      sind Das
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                   PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                     Redaktions-
                                                                                                                                                          10
                                                                                                                                                                                      12

                                                                        team                                                                                       11

                                                                                                                            8

                                                                                                                                             9

                                                                                                     14

                                                                                                                                                                                 1    Flipchart Nobo
                                                                                                                                                                                 2    Jonathan Frei
                                                                                    13
                                                                                                                                                                                 3    Stuhl Embru, Modell 4610
                                                                                                                                                                                 4    Steven Deblander
                                                                                                                                                                                 5    Cla Capitani
                                                                                                                                                                        18
                                                                                                                                                                                 6    Laura Dominguez
                                                                                                                                                                                 7    Drucker, Xerox Phaser 7760
                                                                                                                       15
                                                                                                                                    16               17
                                                                                                                                                                                 8    Niklas Halder
                                                                                                                                                                                 9    Yucca elephantipes
                                                                                                                                                                                 10   Ben Wadley
                                                                                                                                                                                 11   Michael Groer
                                                                                                                                                                                 12   Pascal Niffeler
                                                                                                                                                                                 13   Walter Schwaninger
                                                                                                                                                                                 14   Aurelia Baumann
                                                                                                                                                                                 15   Papierkorb Karl, grösse L
                                                                                                                                                                                 16   Frank Grüninger
                                                                                                                                                                                 17   Matthias Peter
                                                                                                                                                                                 18   Luca Affolter
— STREET PHOTOGRAPHY —

                                                                                                          In der ­Ausbildung der Mathilde Escher
                                                                                                             ­Stiftung fand eine Projektwoche
                                                                                                         zum Thema «Street Photography» statt.
                                                                                                          Die Bilder der Auszubildenden zeigen,
                                                                                                             wie spannende Momente aus der
                                                                                                           Rollstuhl­perspektive mit der Kamera
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                     PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                                ­eingefangen werden können.

                                                                                                                             Von Ben Wadley

                                                                                                         Fotografieren ist ein tolles Hobby, man kann dabei seiner
                                                                                                         Kreativität freien Lauf lassen. Leider können viele Men­
                                                                                                         schen mit Muskeldystrophie Typ Duchenne selbst ein

                                                              Der
                                                                                                         Handy nicht mehr von Hand bedienen, ganz zu schweigen
                                                                                                         also von einer professionellen Fotoausrüstung. Ich bin
                                                                                                         in der glücklichen Lage, dass ich die Kamera noch in der
                                                                                                         Hand halten kann. Wenn ich fotografiere, ist das den­
                                                                                                         noch etwas Spezielles. Ich habe eine andere Perspektive
                                                                                                         als ein Fussgänger, da ich meine Kamera tiefer halte.
                                                                                                         Viele meiner Kollegen konnten die Kamera jedoch nicht

                                                              richtige
                                                                                                         in der Hand halten. Daher mussten wir die Kameras mit
                                                                                                         Stativen an den Rollstühlen befestigen und mit einem
                                                                                                         Fernauslöser oder einer App bedienen. So zu fotografie­
                                                                                                         ren, muss kein Nachteil sein. Wir haben rausgefunden,
                                                                                                         dass der Rollstuhl ein tolles fahrendes Stativ ist und
                                                                                         Niklas Halder   man dadurch sehr spezielle Aufnahmen machen kann.
                                                                                                         Es gibt aber auch einen sehr grossen Nachteil, wenn

                                                              Moment
                                                                                                         man den Bildausschnitt ändern möchte, muss man den
                                                                                                         Rollstuhl bewegen. Johnnys Kamera war sehr weit unten
                                                                                                         angebracht, er konnte nicht einmal deren Display sehen.
                                                                                                         Er meinte dazu: «Ich stellte mir vor, wie das Bild aus­
                                                                                                         sehen könnte, und schoss dann drauflos. Obwohl ich die
                                                                                                         Kamera nicht gesehen habe, finde ich, dass meine Bilder
                                                                                                         die besten sind.»

                                                                                                         Flüchtige Momente
                                                                                                         Wir hatten uns für diese Woche verschiedene Themen
                                                                                                         vorgenommen, z.B. «Licht», «Schatten», «Farben»,
                                                                                                         «Selfie in einem spiegelnden Objekt» und «Emotionen».

                                                                          24                                    25
Luca Affolter
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                       PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                Street Photographie öffnet den Blick für
                                                                                scheinbar alltägliche Situationen. Neben
                                                                                einer guten Beobachtungsgabe gehört
                                                                                auch eine Portion Glück dazu. Während
                                                                                der Projektwoche haben die Lernenden
                                                                                insgesamt 11‘000 Bilder geschossen.
                                                                                Die hier gezeigten Fotografien gehören
                                                                                zu den rund 30 Bildern, welche sie in einer
                                                                                Ausstellung präsentiert haben.
                                                                                                                                                                                          Ben Wadley

                                                                                                                                                   Pascal Niffeler

                                                                                                                                                                     Niklas Halder

                                                                                                                                                                                                       Jonathan Frei

                                                              Pascal Niffeler

                                                                                                                              26                                                     27
— STREET PHOTOGRAPHY —

                                                                   «Ich bin in der
                                                                 ­glücklichen Lage,                                        Bilderberg
                                                                                                                                                                                                                                 Jetzt
                                                                                                                                                                                                                                     un d
                                                                                                                           Nach dem Fotografieren ging die Arbeit erst richtig los.

                                                                dass ich die Kamera                                        Wir mussten die Fotos sortieren und eine Auswahl
                                                                                                                                                                                                                              liken ren
                                                                                                                                                                                                                                      ie
                                                                                                                                                                                                                              a bo nn
                                                                                                                           ­erstellen. Ich konnte die Finger leider nie vom Auslöser

                                                                  noch in der Hand                                         lassen, daher habe ich allein am ersten Tag 1‘000 Fotos
                                                                                                                           gemacht. Vieles war Mist, aber es waren auch ein paar

                                                                    halten kann.»                                          Treffer dabei. Eine Auswahl von 20 guten Bildern zu
                                                                                                                           treffen, ist schwierig und dauert lang. Innerhalb der Pro­

                                                                                                                                                                                        #mathilde
                                                                                                                           jektwoche haben wir insgesamt 11‘000 Fotos geschossen.
                                                                                                                           Da die Fotos von modernen Kameras extrem gross sind,
                                                                                                                           entsprachen diese am Ende insgesamt 280 GB. Früher
                                                              «Emotionen» war für mich das schwierigste Thema. Man         wären das 80‘000 Disketten gewesen. Eigentlich müsste
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                            PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                              muss Situationen sehr schnell analysieren und schnell        ich daraus lernen, mich zurückzuhalten.
                                                              reagieren. Emotionen werden oft nur ganz kurz sichtbar.

                                                                                                                                                                                          escher
                                                              Man muss die Kamera also sehr schnell bereit haben,          Neues Hobby
                                                              wenn sich z. B. zwei Leute am Bahnhof zum Abschied           Auf einem meiner besten Bildern sitzt eine Person zwi­
                                                              umarmen. Es ist schwierig vorauszusehen, was passieren       schen mehreren Steinsäulen. Mir gefällt am Bild, dass
                                                              wird. Neben einer guten Beobachtungsgabe gehört sicher       die Person schön eingerahmt ist und das T-Shirt und der
                                                              auch eine gute Portion Glück dazu. Pascal erzählte mir,      Stein einen schönen Kontrast bilden. Es fühlt sich richtig
                                                              dass er auf der Suche nach seinem nächsten Fotomotiv         gut an, wenn deine Bilder anderen Leuten gefallen. Ich

                                                                                                                                                                                         stiftung
                                                              sah, dass eine Gruppe von Tierschützern gerade Unter­        habe in dieser Woche festgestellt, dass Fotografie mich
                                                              schriften sammelte. Als eine ältere Dame sich von einem      sehr interessiert. Ich habe mir deshalb eine Kamera
                                                              Tierschützer verabschiedete, drückte er ab. Als er sich      gekauft und fotografiere nun häufig auch in meiner Frei­
                                                              das Foto später ansah, entdeckte er, dass sich die beiden    zeit. Es wäre schön, Fotograf zu werden und damit Geld
                                                              gerade ein High Five gaben.                                  zu verdienen. Ich kenne jemanden, der mit Duchenne
                                                                                                                           beruflich fotografiert. Das finde ich toll. Ich habe mir
                                                              Geduld                                                       überlegt, ob es auch etwas für mich wäre. Ich suche nicht
                                                              Bei der «Street Photography» gibt es verschiedene            aktiv danach, aber wenn ich ein Job-Angebot bekäme,
                                                              ­Techniken, wie z. B. Fishing . Wie beim Fischen wartet      würde ich wohl nicht nein sagen.
                                                              man an einem Ort, bis das gewünschte Ereignis eintritt.
                                                              Wir haben uns vor spannenden Hintergründen wie                                                                             Mehr Storys aus der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                                                                                                             auf unseren Social-Media-Kanälen.
                                                              vor Graffitis oder Schaufenstern positioniert und war­
                                                              teten, bis etwas Interessantes passierte. Dabei braucht
                                                              es einiges an Geduld. Manchmal muss man sich Zeit
                                                              lassen, um das perfekte Foto zu schiessen. Eine andere
                                                              Technik ist der Bewegungseffekt. Ich finde es sehr schön,
                                                              wenn Teile des Bildes verschwommen sind und es wie
                                                              ein Kunstwerk aussieht. Man stellt dafür die Belich­
                                                              tungszeit länger ein. Wenn sich eine Person im Bildaus­
                                                              schnitt dann während der Aufnahme bewegt, ist diese
                                                              verschwommen, der Rest bleibt scharf, wenn man nicht
                                                                                                                                               BEN WADLEY
                                                              gewackelt hat.
                                                                                                                                       Er hat während der Projektwoche
                                                                                                                                      «Street Photography» die Kunst des
                                                                                                                                       Fotografierens für sich entdeckt.
                                                                                                                                      Seine neue Kamera gibt er seitdem
                                                                                                                                           nicht mehr aus der Hand.

                                                                                                                          28                                                                                 29
— JUGENDFILMTAGE —

                                                                                                                        Und
                                                                                                                       Action!
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                           PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                         Dieses Jahr nahmen die Lernenden der Mathilde Escher
                                                                                                            Stiftung zum zweiten Mal an den Jugendfilmtagen
                                                                                                       teil. Während einer Woche lernten sie, was es heisst, einen
                                                                                                         Film zu produzieren – vom Drehbuch bis zum Schnitt.
                                                                                                                                              Von Pascal Niffeler

                                                                                                        Das diesjährige Thema war «Money». Wir            konnten wir alle Szenen an einem Tag drehen.
                                                                                                        besprachen allerlei Ideen, Handlungen und         Die Dreharbeiten machten uns viel Spass. Sei
                                                                                                        Richtungen für unseren Film. Zunächst hatten      es die Inszenierung eines Überfalls in einer
                                                                                                        wir den Eindruck, wir würden keine Fort­          dunklen Unterführung oder die Abfahrt eines
                                                                                                        schritte machen und es blieben zu viele Fragen    farbenfrohen Ferienbusses, alles wurde mit
                                                                                                        ungeklärt. Dann kamen einzelne Stücke wie         viel Enthusiasmus gespielt und gefilmt. Nach­
                                                                                                        Teile eines Puzzles zusammen und ergaben          dem wir die Szenen im Kasten hatten, fingen
                                                                                                        nach und nach eine Geschichte, der wir folgen     wir mit dem letzten Schritt der Produktion an:
                                                                                                        konnten. Die folgenden Schritte erwiesen sich     dem Schneiden des Films.
                                                                                                        als weitaus aufwändiger. Die Szenen mussten
                                                                                                        geplant, Requisiten beschafft und Aufgaben        Operation Schnitt
                                                                                                        verteilt werden. Es wurden Orte fotografiert      Was mit dem Lernen eines neuen Programms
                                                                                                        und Dokumente erstellt, Kostüme gebracht und      begann, stellte sich schnell als Herkules-­
                                                                                                        Materialien gesammelt, Personal informiert        Aufgabe heraus: von der Auswahl der Szenen
                                                                                                        und vieles mehr. In dieser Zeit lernten wir       über den Schnitt des FIlms bis zur Bearbeitung
                                                                                                        auch David, den Leiter der Agentur Phirstfilm,    des Tons. Wir bildeten Arbeitsgruppen und
                                                                                                        kennen. Sie erstellt Projekte im Bereich Ani­     arbeiteten an mehreren Fronten gleichzeitig.
                                                                                                        mationsvideos und Videoproduktion. Er stellte     Als nach etlichem Einfügen, Verschieben
                                                              David von der Agentur Phirstfilm          uns verschiedene Filmtechniken vor und half       und Löschen endlich die erste Version des
                                                              stellte uns verschiedene Film-            uns später als Regie- und Kameramann beim         Films vorlag, fing die Nachbearbeitung an. Ob
                                                              techniken vor und half uns später         Drehen des Filmes. Die gesamten Vorbereitungen    Effekte, Geschwindigkeit, Titel, Abspann oder
                                                              als Regie- und Kameramann
                                                                                                        dauerten viele Stunden, im Gegensatz dazu         Musik, es gab viel zu tun. Mit viel Schweiss
                                                              beim Drehen des Filmes.

                                                                                                  30                                                     31
— JUGENDFILMTAGE —                                                                                                      — IN KÜRZE —

                                                                «Szenen auswählen, Film
                                                              schneiden und Ton bearbeiten.
                                                                                                                                                                      Wussten Sie, dass …
                                                                                                                                                                      Von Walter Schwaninger
                                                               Wir arbeiteten an mehreren
                                                                  Fronten gleichzeitig.»

                                                                                                                                                                                                                                                         … es Emojis mit
                                                                   und Herzblut schafften wir auch dies. Wir        Das grosse Bangen
                                                                   veranstalteten Vorpremieren und holten uns       Zwei Durchgänge der Nachbearbeitung waren                                                                                            Handicap gibt?
                                                                   von unserem Publikum Feedback. Bei der           erforderlich, um die Story klarer zu gestalten.
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                                                                                PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                   ersten Vorpremiere waren wir sehr gespannt       Wir haben daran gearbeitet, bis wir den Film                                                                                         Pro Infirmis lancierte eine eigene
                                                                   auf die Reaktion des Publikums. Zu unserem       schliesslich einreichen mussten. Dann konnten                                                                                        Emoji-Edition. Menschen mit Handi­
                                                                   Schrecken offenbarte sich ein katastrophales     wir nur gespannt abwarten, ob unser Film                                                                                             cap sollen als selbstverständlicher
                                                                   Problem. Da wir mit unserem Film bestens         angenommen und an den Jugendfilmtagen                                                                                                Teil der Gesellschaft dargestellt
                                                                   vertraut waren, empfanden wir die Filmstory      gezeigt würde oder nicht. Nach langem Bangen                                                                                         werden. Man kann nicht nur die
                                                                   als gut verständlich. Für das Publikum jedoch    kam am 22. Januar dann endlich die Rück­                                                                                             Hautfarbe wählen und bestimmen,
                                                                   war die Handlung zu schnell und teilweise        meldung. Unser Film wurde angenommen und                                                                                             ob sein Emoji schwarz, braun oder
                                                                   gänzlich unklar. Wir machten uns also mit        sollte vor grossem Publikum präsentiert wer­                                                                                         weiss sein soll, sondern auch, ob es
                                                                   neuen Anhaltspunkten und frischem Elan           den. Leider kamen schon bald die schlechten                                                                                          mit oder ohne Handicap sein soll.
                                                                   nochmals an die Filmbearbeitung.                 Neuigkeiten: Das Live Event wurde wegen des       Die Tanzgruppe «Kinetic Light» zeigt, dass der Rollstuhl nicht im Weg sein muss.
                                                                                                                    Corona-Virus abgesagt. Auch wenn wir des­                                                                                                 proinfirmis.ch
                                                                                                                    wegen alle betrübt waren, so mussten gerade
                                                                                                                    wir als gefährdete Gruppe Verständnis zeigen.
                                                                                                                    Die Jugendfilmtage wurden dann über einen
                                                                                                                                                                      … man mit einem
                                                                     Schweizer
                                                                                                                    Livestream abgehalten. So konnten wir uns
                                                                                                                    die tollen, für das Event erstellten Kurzfilme    Rollstuhl t­ anzen kann?                                                           … das gesamte
                                                                   Jugendfilmtage
                                                                                                                    trotzdem ansehen. Leider haben wir es nicht
                                                                                                                    geschafft, mit einem Medaillenplatz aus dem       Tango, Discofox oder Freestyle tan­        rende miteinander) sowie der For­
                                                                                                                                                                                                                                                         Umfeld mit dem
                                                                                                                    Wettbewerb hervorzugehen. Wir waren aber          zen – im Rollstuhl? Klar geht das!         mationstanz (mehrere Rollstuhl­         Smartphone
                                                               Die Schweizer Jugendfilmtage finden                  stolz darauf, unseren Film doch noch zeigen zu    Dies beweisen nicht nur die argen­         fahrende). Inzwischen werden auch
                                                               einmal im Jahr in Zürich statt. Es ist               können. Die Teilnahme an den Jugendfilm­tagen     tinische Rollstuhltänzerin Gabriela        Europameisterschaften und seit          ­gesteuert werden
                                                               das grösste Filmfestival der Schweiz für             gab es uns einen interessanten Einblick in die    Fernanda Torres, welche schon              1998 Weltmeister­schaften im Para
                                                               junge Filmemacher­i nnen und Filme­                  Welt der Filmproduktion. Es war eine tolle        an der Tango-Weltmeisterschaft             Dance Sport ausgetragen. In der          kann?
                                                               macher bis 30 Jahre. Das Festival bietet             Chance, an diesem Projekt mitzumachen.            teilnahm, sondern auch Tanz- und           Schweiz fristet der Rollstuhltanz
                                                               Interessierten die Möglichkeit, eigene                                                                 Künstlergruppen wie «Kinetic               hingegen noch ein Mauerblümchen­        «HouseMate» heisst das Gerät,
                                                               Filme zu präsentieren und sich mit dem               		          Neugierig auf unseren Film?           Light» oder «Infinite Flow», die sich      dasein. Nur gerade die beiden Roll­     welches das Steuern verschiedens­-
                                                               Publikum und anderen Filmschaffen­                   		               film.mathilde-escher.ch          Inklusion, den Abbau von Barrieren,        stuhlclubs Zürich und Solothurn         ter Geräte per Handy oder Tablet
                                                               den auszutauschen. Die Wettbewerbs­                                                                    gross auf die Fahne geschrieben            bieten Rollstuhltanz an. Während        ­ermöglicht. Damit ­können Fern-
                                                               beiträge starten in fünf Kategorien, die                                                               haben.                                     in Zürich Standard- und latein­         seher, Computer, Licht, Türen,
                                                               nach ­A lter, Rahmen der Produktion und                                                                Im Rollstuhltanz werden vier               amerikanische Tänze sowie For­          Storen, Lift und noch ­v ieles mehr
                                                               Thema gegliedert sind.                                                                                 Kategorien unterschieden: Der              mationen eingeübt werden, widmet        bedient ­werden – ganz einfach vom
                                                                                                                                                                      Einzeltanz, der Combi-Tanz (je ein         sich der Rollstuhlclub Solothurn        Sofa, Bett oder Rollstuhl aus.
                                                                    jugendfilmtage.ch                                                                                 Partner mit und ohne Rollstuhl),           dem Breitensport-Tanz sowie dem
                                                                                                                                                                      der Duo-Tanz (zwei Rollstuhlfah­           Ballroom-und Freestyle-Dancing.              activecommunication.ch

                                                                                                                   32                                                                                                                33
— FOTOSTORY —

                                                                                                                                                                                                                                 STEIN
                                                                                                                                                                                                                         STOLPER
                                                              Ben hat eine neue App …
                                                              Von Pascal Niffeler
                                                                                                                                                Wow, das ist ja cool!
                                                                                                                                                Zeig mal her.
                                                              Niklas, du wirst es
                                                              kaum glauben: Ich
                                                              habe eine App, mit

                                                                                                                                                                                        «Wenn ich selbst-
                                                              der ich via Bluetooth
                                                              jedes beliebige Gerät
                                                              steuern kann.

                                                                                                                                                                                      ständig wohne, werde
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                                                                                     PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                     Schau!
                                                                                                                                                   Womit lässt sich die
                                                                                                                                                   App denn verbinden?
                                                                                                                                                                                      ich zum ­A rbeitgeber»
                                                                                                                        Krass!                                                                                            Von Jonathan Frei

                                                                                                                                                                          Im Sommer bin ich mit meiner Aus­       Wohnung finden. Und dann muss             Problem. Soll ich erst mal liegen
                                                                                                                                                                          bildung als Praktiker PrA ­Media­-      ich A
                                                                                                                                                                                                                      ­ ssistenzpersonen anstellen, die     bleiben, bis mich jemand findet, oder
                                                                                                                                                                          matik fertig. Es wird sich für mich     mir beim Kochen, Wohnung putzen           endlich mal ausschlafen. Sollte es
                                                                                                                                                                          vieles ändern. Ich mache mir schon      und Wäsche machen helfen. Eine            jucken, ist der Spass vorbei. Ich kann
                                                                                                                                                                          lange Gedanken, wie ich dann leben      tolle Vorstellung: Ich sitze wie ein      mich ja nicht kratzen. Ich könnte
                                                                                                                                                                          will. Ich würde gerne weiterhin in      «moderner Sklavenhalter» daneben          mit dem Handy-Sprachassistenten
                                                              Mit allem Möglichen:
                                                                                                                                 Klar. Schau!
                                                                                                                                                                   ???    meinem derzeitigen Praktikums­          und darf zusehen. Kling gut, oder?        jemanden anrufen, das hat aber so
                                                              Computern, Licht­                                                                                           betrieb arbeiten – und ja, gerne auch   Glauben Sie mir, Sie möchten nicht        seine Tücken. Das letzte Mal hat mich
                                                              schaltern, Rollstühlen...   Sogar mit einem                                                                 eine eigene Wohnung haben. In           tauschen. Leider fällt gutes Personal     Google mit Österreich ver­bun­den.
                                                                                          fremden Rollstuhl?                                                              den eigenen vier Wänden zu leben        nicht vom Himmel. Im Gegensatz zu         Eigentlich wollte ich nur auf meiner
                                                                                                                                                                          und meine Ruhe zu haben – ausser        den früheren, rauen Methoden der          Wohngruppe anru­fen, damit sie mir
                                                                                                                                                                          hoffentlich vor der Liebe meines        Personal­beschaffung muss ich heute       die Türe öffnen.
                                                                                                                                                                          Lebens – wäre für mich ein Traum.       auch administrative Auflagen erfül­       Ich werde wahrscheinlich nach
                                                                                                                                                                          So könnte ich endlich so viel Cordon    len und Lohn auszahlen. Wenn ich          der Ausbildung in der Grafikwerk­
                                                                                                                                                                          Bleu essen, wie ich will, und müsste    selbstständig wohne, werde ich zum        statt der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                                                                                          mich nicht mehr über die Unordnung      Arbeitgeber. Ich muss mich in ver­        arbeiten. Ziehe ich aber aus, wird es
                                                                                                                                                                          meines Zimmerkollegen aufregen.         schiedenste B
                                                                                                                                                                                                                              ­ ereiche der Personal­       schwierig dort weiter zu arbeiten,
                                                                                                                                                                          Das klingt jetzt eigentlich nach nor­   führung und Lohnabrechnung                weil mir dann der Assistenzbeitrag

                                                                                          Ich frage mich,
                                                                                                                    ?                                                     malen und realistischen Zukunfts­
                                                                                                                                                                          plänen – und seit der Einführung
                                                                                                                                                                                                                  ein­a r­bei­ten: Netto-Personalbedarfs­
                                                                                                                                                                                                                  ermittlung, Motivationspsycho-
                                                                                                                                                                                                                                                            gekürzt wird. Ich werde also vor die
                                                                                                                                                                                                                                                            Wahl gestellt: entweder arbeiten
                                                                                          was die Eject-                                                                  des Assistenzbeitrags 2012 ist dies     logie, Kompetenzmanagement, Emp­          oder ausziehen. Auch wenn ich für
                                                                                          Taste macht?                                                                    auch für Menschen wie mich, die auf     owerment, AHV, ALV, NBUVG, BVG…           meinen Arbeitsweg ein Taxi brauche,
                                                                                                                                                                          Betreuung angewiesen sind, theore­      Sind Sie noch dabei?                      weil ich den ÖV nicht nutzen kann,
                                                                                                                                                                          tisch auch möglich. Doch leider gibt    Was mache ich, z. B. bei einem Krank-     zahle ich drauf. Immerhin kann ich
                                                                                                                                                                          es einige Stolpersteine auf dem Weg     heitsausfall? Wenn ich im Bett liege      heute dank Assistenzbeitrag Zu­
                                                                                                                                                                          zu diesem «normalen» Leben. Zuerst      und es erscheint keine Assistenz­         kunftspläne schmieden. Ein guter
                                                                                                                                                                          muss ich eine geeignete, bezahlbare     person, dann habe ich ein dickes          Anfang ist damit gemacht.

                                                                                                               34                                                                                                                  35
— AUSBILDUNGSREISE —

                                                              Schiffe,
                                                              Kräne und
                                                              haufen-­
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                               PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                              weise Velos
                                                               Holland hat weit mehr zu bieten als Grachten, Tulpen und
                                                               Käse: Wir folgten unter anderem den ­Spuren der Vergangenheit
                                                              in Amsterdam, machten eine Hafenrundfahrt in Rotterdam
                                                              und besuchten ein Autorennen in Zandvoort. Und wo immer wir
                                                              ­hinkamen, gab es jede Menge Überraschungen!
                                                              Von Walter Schwaninger

                                                                                                37
— AUSBILDUNGSREISE —

                                                              Endlich war es soweit, die Ausbildungsreise         das bunte Treiben in Amsterdam heute an­
                                                              im Juli 2019 konnte beginnen. Für unsere Reise      sieht, ist es kaum vorstellbar, welch schreckli­
                                                              nach Amsterdam hatten wir einen Car mit             che Zeiten diese Stadt hinter sich hat. Auch
                                                              einer Hebebühne. Im Inneren hatte es ein paar       wir konzentrierten uns nach der Tour wieder
                                                              Sitzreihen für die Betreuenden, der Rest war        auf die Gegenwart. Einige gingen shoppen,
                                                              für uns Rollstuhlfahrende. Während der Fahrt        andere etwas trinken. Ben kurvte mit einem
                                                              wünschte ich mir, man könnte Menschen               Betreuer auf seinen Rollerblades im Schlepp­
                                                              einfach von einem Ort zum nächsten beamen.          tau herum. Der Akku meines Rollstuhls war
                                                              Bei Sonnenuntergang erreichten wir endlich          leer, also musste ich einen Boxenstopp in
                                                              unser Hotel in De Rijp, einem kleinen Städt­        einem Restaurant einlegen. Am Abend besuch­
                                                              chen in der Nähe von Amsterdam. Unser Hotel         ten wir das Openluchttheater im Vondelpark.
                                                              war eine Mischung aus Hogwarts und einem            Was ist mir von diesem Theaterbesuch in
                                                              Brockenhaus, überall standen oder hingen            Erinnerung geblieben? Zuerst tanzten sie auf
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                              skurrile Objekte, dort eine Modelleisenbahn,        der Bühne und dann zogen sie sich aus. Ich
                                                              da ein Flugzeug oder Autoteile. Das Hotel war       fand das sehr komisch, weil das nichts mit
                                                              ein Glückstreffer, da es alles andere als einfach   Theater zu tun hat, wie ich es mir vorstelle.
                                                              ist, ein passendes Hotel für elf Rollstuhlfah­      Zurück im Hotel liessen wir einen Tag mit vie­
                                                              rende und elf Betreuende zu finden. Ich wollte      len Eindrücken an der Bar ausklingen.
                                                              schon immer mal nach Holland. Für mich ist es
                                                              ein vielseitiges Land, das man besucht haben
                                                              muss, und das nicht nur wegen der liberalen
                                                              Drogengesetzgebung.

                                                              Zeitreise in die Vergangenheit                       «Wir parkten auf dem
                                                                                                                    Veloweg, was durch-
                                                              Endlich war der Freitag gekommen, an dem
                                                              ich Amsterdam kennenlernen würde. Darauf
                                                              hatte ich mich besonders gefreut. Leider muss­
                                                              ten wir früh aufstehen. Es war sehr schwierig,
                                                              mit unserem grossen Car einen Parkplatz in
                                                                                                                     aus Mut erfordert,
                                                              der Innenstadt zu finden. Zum Glück hatten
                                                              wir einen selbstbewussten Chauffeur. Am
                                                                                                                  denn schliesslich haben
                                                              Ende parkten wir auf dem Veloweg, was durch­
                                                              aus Mut erfordert, denn schliesslich haben
                                                                                                                    in Holland die Velo­
                                                              in Holland die Velofahrer das Sagen. Die Reise­
                                                              führerin der Anne-Frank-Tour erwartete uns             fahrer das Sagen.»
                                                              im Jüdischen Viertel. Sie erzählte uns die tra­
                                                              gische Geschichte von Anne Frank und zeigte
                                                              uns wichtige Orte ihres Lebens. Ich finde das
                                                              Schicksal von Anne sehr traurig, wie sie und
                                                              ihre Familie von den Nazis verfolgt wurden          Das Tor zur Welt
                                                              und wie sie sich verstecken musste. All dies hat    Am Samstag besuchten wir Rotterdam. Auf der
                                                              sie in ihrem Tagebuch festgehalten. Schliess­       Rundfahrt durch den Hafen sahen wir riesige
                                                              lich wurde sie verraten und kam mit 15 Jahren       Schiffe und Kräne. Einige fanden diese Riesen­
                                                              kurz vor Kriegsende in einem KZ ums Leben.          dinger spektakulär, mich beeindruckten sie
                                                              Wenn man sich die fröhlichen Menschen und           wenig. Ausserdem stank es zwei Stunden lang

                                                                                                                38                                                   39
— AUSBILDUNGSREISE —                                                                                                            — IN KÜRZE —

                                                                                                                                                                        Zehn Fragen an …
                                                                                                                                                                        Von Pascal Niffeler

                                                                Die Betreuenden
                                                                                                                     Qualmende Reifen und Meeresbrise                                                                                                    Und was würdest du gerne
                                                               waren am Jammern,                                     Am Sonntag fuhren wie nach Zandvoort. Für
                                                                                                                     mich war das der beste Tag der gesamten
                                                                                                                                                                                                                                                        ­ändern?
                                                                                                                                                                                                                                                        Manchmal wäre etwas weniger

                                                                 Ben am Fluchen                                      Reise. Zandvoort liegt am Meer und hat einen
                                                                                                                     langen Sandstrand mit Dünen. Es ist sehr
                                                                                                                                                                                                                                                        Stress auf der Wohngruppe schön.
                                                                                                                                                                                                                                                        Ich finde es schade, dass die Betreu­

                                                              und der Rest der Reise-                                schön, vor allem wenn die Sonne scheint. Man­
                                                                                                                     che von uns Rollstuhlfahrenden sind schon
                                                                                                                                                                                                                                                        ungspersonen weniger Zeit haben
                                                                                                                                                                                                                                                        für jeden Einzelnen.

                                                               gruppe am Lachen.                                     auf dem Parkplatz im Sand stecken geblieben
                                                                                                                     und mussten von Betreuenden rausgezogen                                                                                             Welches Erlebnis in deinem
                                                                                                                     werden. Zunächst besuchten wir den Circuit                                                                                          ­Leben ist dir besonders in
PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung

                                                                                                                                                                                                                                                                                                PAUSE — Das Ausbildungsmagazin der Mathilde Escher Stiftung
                                                                                                                     Park in Zandvoort, eine Rennstrecke, auf der                                                                                       ­Erinnerung geblieben?
                                                                                                                     früher sogar Formel-1-Rennen stattfanden.                                                                                          Das Grösste war, als ich vor 29
                                                                                                                     Bei unserem Besuch fanden vor allem Rennen                                                                                         Jahren an ein Hockeytournier nach
                                                                 wie in einem Katzenklo. Als wir endlich wieder      mit Oldtimern statt, die wir neben der Strecke                                                                                     Australien gehen konnte. Es war
                                                                 am Steg anlegten, wurden wir als Letzte aus­        bestaunten. Das Mini-Cooper-Rennen war sehr                                                                                        eine Weltmeisterschaft mit nur

                                                                                                                                                                                               Marc von Arx
                                                                 geladen, als hätten wir ein Ticket dritter Klas­    spannend, unglaublich welche Geschwindig­                                                                                          sechs Mannschaften. Wir belegten
                                                                 se gelöst. Danach wollten wir uns in mehrere        keit diese Autos erreichten. Etwas Besonderes                                                                                      den vierten Platz.
                                                                 Gruppen aufteilen, was fast so lang in Anspruch     an dieser Rennstrecke sind auch Wetterele­
                                                                 nahm wie die Rundfahrt. Einige gingen shop­         mente wie Wind oder Regen und das Gefühl                                            Alter: 47 Jahre                                 Was würdest du tun, wenn
                                                                 pen oder fuhren im Regen herum. Ich fuhr mit        der salzigen Brise im Gesicht. Später gingen die                  In der Mathilde Escher Stiftung seit: April 1990                  du unbegrenzt viel Geld zur
                                                                 ein paar anderen direkt zu den Foodhallen,          Mutigen im Meer baden. Für Ben war dies das                    Hobbies: Sonnenbaden, fernsehen, Musik hören                        ­Ver­fügung hättest?
                                                                 wo wir uns später alle zum Essen treffen            schönste Erlebnies der Reise. Ich wollte mich            Besondere Kennzeichen: Zwei Tattoos am rechten Oberarm                    Dann würde ich ein Haus bauen
                                                                 wollten. Leider war der Treppenlift dort zu         lieber etwas aufwärmen und nicht in der Nähe                     Lieblingskleider: Jeans und Levi‘s Jeanshemd                      und mit meinen eigenen Betreuungs­
                                                                 schwach für unsere Rollstühle, die über 250 kg      von Industrieanlagen baden. Ben blieb einmal                                                                                       personen dort richtig eigenständig
                                                                 wiegen. Das entspricht dem Gewicht von einem        mehr im Sand stecken. Bei seinem Befreiungs­                                                                                       leben.
                                                                 halben Fiat 500. Zum Glück gab es noch einen        versuch brannte eine Sicherung beim Rollstuhl      Wie würdest du dich                      Wie sieht dein Alltag in der
                                                                 Warenlift, sonst wären wir im Regen stehen          durch und er musste fortan geschoben werden.       ­beschreiben?                            ­Mathilde Escher Stiftung aus?         Was möchtest du in der
                                                                 geblieben. Die Foodhallen waren das reinste         Die Betreuenden waren am Jammern, Ben              Ich bin kollegial und gastfreundlich,    Ich stehe spät auf. Nach dem Mittag­   Zukunft gerne noch erleben?
                                                                 Schlaraffenland. Es gab alles von griechischen      am Fluchen und der Rest der Reisegruppe am         das schätzen meine Freunde sehr.         essen gehe ich gerne nach draussen,    In zwei Jahren den 50. Geburtstag
                                                                 Pita über mexikanische Tacos und holländi­          Lachen. Leider hat jede Reise auch ein Ende,       Manchmal mache ich eine Party.           um nach den Pflanzen zu schauen.       feiern.
                                                                 sche Bitterballs bis zu Caribbean Surinam.          und das kam am Montag. Wir mussten früh            Dann gibt es eine kalte Platte mit       Ich habe Erdbeeren, Chili, Curry,
                                                                 Man musste dafür keine Weltreise unterneh­          aufstehen, da eine lange Rückreise vor uns lag.    Snacks und alkoholische oder alko­       Rosmarin, Thymian, Schnittlauch,       Wenn es eine Heilung für deine
                                                                 men, sondern nur ein paar Meter zurücklegen,        Jene, die bis vier Uhr wach gewesen waren,         holfreie Getränke. Ausserdem mache       Petersilie, Dill und Lavendel ange­    Krankheit gäbe, was würdest
                                                                 was für uns Rollstuhlfahrende ideal war.            sahen aus, als ob Albert Einstein persönlich       ich jedes Jahr eine Geburtstagsparty     sät. Am Nachmittag und nach dem        du tun?
                                                                 Meine Menüwahl war dann allerdings nicht            sie frisiert hätte. Nach einer beinahe end­        und meine Kolleginnen und Kollegen       Nachtessen schaue ich die Tages­       Ich würde mir eine Lehrstelle als
                                                                 allzu exotisch. Ich bestellte mir einen Burger.     losen Rückfahrt kamen wir gegen Abend alle         freuen sich immer darauf.                schau, höre Musik oder schaue sonst    Automechaniker suchen. Dann würde
                                                                 Die Betreuenden hingegen machten sich über          wohlbehalten in der Mathilde Escher Stiftung                                                fern.                                  ich mein Traumauto, einen Porsche
                                                                 undefinierbare vegane Sachen her.                   an. Holland war meiner Meinung nach das            Was kannst du besonders gut?                                                    911 Turbo in Schwarz, kaufen.
                                                                                                                     ­perfekte Reiseziel gewesen. Was bleibt, sind      Was fällt dir schwer?                    Was gefällt dir an der Mathilde
                                                                                                                     der Stolz, Hürden gemeistert zu haben, und         Ich koche sehr gerne. Ich kann           Escher Stiftung besonders gut?         Woran kannst du dich immer
                                                                                                                     tolle Erinnerungen.                                nicht mehr so gut essen wie früher.      Hier hat man viel mehr Freiheiten      wieder erfreuen?
                                                                                                                                                                        Aufgrund meiner Krankheit fällt mir      als in anderen Institutionen, wie      An der Sonne. Nach dem Mittagessen
                                                                                                                                                                        das Schlucken schwer, das ist ein        zum Beispiel spät ins Bett zu gehen,   ruhe ich mich gerne aus. Wenn es
                                                                                                                                                                        Problem für mich.                        ein Gläschen Wein zu trinken.          schön ist, gerne draussen.

                                                                                                                    40                                                                                                            41
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