KOHLENHYDRATE UND DENDRIMERE: CHEMIE UND BIOLOGIE - THISBEK.LINDHORST,INSTITUTFÜRORGANISCHECHEMIE
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Organic Chemistry
Thisbe K. Lindhorst, Institut für Organische Chemie
Kohlenhydrate und Dendrimere:
Chemie und Biologie
Kohlenhydrate sind unter den biologisch wichtigen Naturstoffklassen durch die größte strukturelle Vielfalt aus-
gezeichnet. Sie kommen in unübertroffener molekularer Diversität in Form von Monosacchariden, Oligo- und
Polysacchariden vor. Man findet sie in der Welt der Mikroben, im Pflanzen- wie im Tierreich zahlreich vertreten
und vor allem an Orten, die für das Leben eines Organismus von strategischer Wichtigkeit sind.
Carbohydrates and Dendrimers:
Chemistry and Biology
Among the most important classes of biomolecules, carbohydrates are special for their extraordinary structural
diversity which is reflected in an almost infinite variety of monosaccharide, oligosaccharide and polysaccharide
molecules. Carbohydrates are ubiquitous among microbes, plants as well as animals, where they are often
found at sites of strategic biological relevance.
Biologische Funktionen von Kohlenhydraten Biological Functions of Carbohydrates
Alle bekannten Zellen sind, in unterschiedlicher Weise, von Koh- Literally all cells are coated with carbohydrates, although in
lenhydraten umgeben. In Eukaryontenzellen ragen Zuckerstruk- many different ways. Eukaryotic cells expose oligosaccharide
turen wie Antennen auf die Außenseite der Zelle hinaus. Sie moieties like molecular antennae. These sugars are covalently
sind kovalent an Proteine oder Lipide gebunden, die in die Li- bound to proteins (glycoproteins) and lipids (glycolipids) which
piddoppelschicht, welche die Zellmembran aufbaut, eingebettet are embedded in the lipid bilayer making up the plasma mem-
sind. Diese großen Moleküle werden Glycokonjugate, die Zuk- brane of a cell. The sugar layer which consists of these glyco-
kerschicht auf der eukaryontischen Zelloberfläche wird Glycoca- conjugates is called glycocalyx (Figure 1).
lix genannt (Bild 1).
It is known today that carbohydrates encode biological informa-
Heute weiß man, dass die Zuckermuster auf Zelloberflächen die tion in form of their three-dimensional structure. This information
Zelle nach Entwicklungsstadium, Typ und Status auszeichnen, is decoded by specialized proteins, called lectins and selectins.
und dass diesen Molekülen eine Schlüsselrolle bei vielen Vor- By the formation of non-covalent carbohydrate-protein complex-
gängen der Zellkommunikation zukommt. Man kennt Proteine, es, biological events are triggered such as cell adhesion and sig-
die darauf spezialisiert sind, Teile der Zelloberflächensaccharide nal transduction.
als Liganden zu erkennen und mit ihnen nicht-kovalente Kom-
plexe auszubilden. Solche Kohlenhydrat-Protein-Wechselwir-
kungen sind für das Zellgeschehen von essentieller Bedeutung. Carbohydrate-Protein Interactions
Aktuelle Forschung beschäftigt sich mit den molekularen Details
dieser Rezeptor-Ligand-Interaktionen, um die Biologie der Zu- Interestingly, singular carbohydrate-protein contacts are rather
cker und ihre physiologischen Konsequenzen genauer verste- weak with association constants in the millimolar range. Nature
hen und, im Falle pathologischer Veränderungen, in einem the- affects biological efficiency by establishing multivalent contacts,
rapeutischen Sinne beeinflussen zu lernen. Diese Aktivitäten a principle that allows increasing specificity as well as biological
sind in einem stark interdisziplinär ausgerichteten Forschungs- control and fine-tuning. It is the goal of current research in the
feld, dem Gebiet der Glycobiologie angesiedelt. field of glycobiology to unravel the molecular, physical-chemical,
and biological details of carbohydrate-protein interactions, also
Unsere Forschungen sind von der Neugier auf die biologischen with an emphasis on the multivalency aspect of the molecular
Funktionen von Zelloberflächensacchariden motiviert. Mit Hilfe recognition events under investigation.
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Organische Chemie
Bild 1 / Figure 1
Cartoon des Aufbaus einer eukaryontischen Zellmembran mit eingebetteten Glycokonjugaten mit möglichen Kohlenhydrat-Protein-Wechsel-
wirkungen andeutet. Ein Zucker-Ausschnitt eines Glycoprotein-Moleküls ist in Formelschreibweise wiedergegeben.
Cartoon of an eukaryotic cell membrane with embedded glycoconjugates and the possible interactions of the cell surface carbohydrates with pro-
teins of various kinds. A cutout of a glycoprotein molecule is depicted by the molecular formula.
synthetischer, oft nach einem künstlichen Bauplan hergestellten, Our research provides carbohydrate mimetics which can serve
Zuckerderivate und Glycomimetika, versuchen wir zum Ver- as molecular tools to elucidate the secrets of carbohydrate-pro-
ständnis des biologischen Potentials von Kohlenhydraten beizu- tein interactions.
tragen.
Glycomimetics
Kohlenhydrat-Protein-Wechselwirkungen
Glycomimetics are molecules which perform like the natural car-
Kohlenhydrat-bindende Proteine, sogenannte Lektine und Se- bohydrates (or better); they are, however, synthesized following
lektine besitzen Kohlenhydrat-erkennende Domänen, die nach an artificial design. The artificial architectures aim at facile bio-
dem englischen Ausdruck (carbohydrate recognition domains) labelling, thus assisting biological testing, as well as fast and
CRDs genannt werden. broad variations of the molecular structures in order to clarify the
molecular details of molecular recognition events. Figures 2 and
Einzelne Lektin-Kohlenhydrat-Wechselwirkungen wurden als 3 give examples of glycomimetics which have been introduced
besonders niedrig affin charakterisiert mit Assoziationskonstan- in our laboratory to affect the inhibition of bacterial adhesion to
ten im millimolaren Bereich. Für ein biologisch effektives Signal their host cells.
bieten häufig multivalente Wechselwirkungen zwischen Zucker-
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Organic Chemistry
Liganden und Protein-Rezeptoren die
Grundlage. Dabei gewinnt die Natur die
Möglichkeit für größere Spezifität und besse-
re Kontrolle über das biologische Ereignis -
eine Art Feinabstimmung. Hochinteressant
und im Detail unverstanden ist das moleku-
lare Zusammenspiel in diesem komplexen
supramolekularen System, sowie die Kon-
trolle von Funktion und Spezifität.
Unsere Arbeiten konzentrieren sich unter an-
derem darauf, Zuckerderivate zu synthetisie-
ren, welche die Strukturen komplexer Oligo-
saccharide nachempfinden, bzw. als Mimeti-
ka multivalenter Glycokonjugate dienen kön-
nen. Solche Verbindungen sind leichter zu
erhalten und besser strukturell zu variieren
und zu funktionalisieren als ihre natürlichen
Vorbilder. Sie dienen so als molekulare
Werkzeuge für die Untersuchung von Koh-
lenhydrat-Portein-Wechselwirkungen in der Bild 2 / Figure 2
Natur.
Glycomimetikum mit "Bio-Label" (Biotin).
Example structure of a trivalent glycomimetic carrying a biotin label.
Glycomimetika
Für die Synthese von Glycomimetika haben wir teilweise ganz
neue molekulare Architekturen eingeführt. Man kann z.B. kleine
"Zuckerbäumchen" synthetisieren und sie mit einem Markermo-
lekül wie einem Fluoreszenzlabel oder einer Biotinteilstruktur
ausrüsten (Bild 2). Als
Ersatz für sogenann-
te hoch-mannosidi-
sche Oligosaccharide
haben wir Oligosac-
charid-Mimetika mit
Zuckerkern eingeführt
(Bild 3), deren Struk-
turen sich vielfältig
abwandeln lassen.
Besonders erfolgreich
lässt sich die Dendri-
mer-Chemie für die
Synthese multivalen-
ter Glycomimetika
einsetzen.
Bild 3 / Figure 3
Oligosaccharidmimetika mit Zucker-Kern (Glucose bzw. Raffinose).
Oligosaccharide mimetics with carbohydrate core (glucose and raffinose, respectively).
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Organische Chemie
Dendrimere Dendrimers
Dendrimere sind eine relativ junge Klasse hochverzweigter We have often used dendrimer chemistry to synthesize multiva-
künstlicher Makromoleküle, die sich - anders als künstliche Poly- lent glycomimetics, called glycodendrimers. Dendrimers are
mere - ausgehend von einem Initiatorkern, generationsweise hyperbranched molecules, arising from a central initiator core.
aufbauen und vergrößern lassen. Dabei ist u.a. ihr Verzwei- They can be grown in a controlled manner to afford the different
gungsgrad steuerbar, wobei im Idealfall jeweils einheitliche, also dendrimer generations in which the number of peripheral func-
monodisperse Moleküle erhalten werden. Ein dendritisches tionalities is increased in each cylce. Figure 4 shows the princi-
Strukturprinzip ist für den Nachbau hochverzweigter (polyanten- pal possibilities, how dendrimer chemistry can be combined with
närer) Kohlenhydrate prädestiniert. Sogenannte Glyco- carbohydrate chemistry to yield multivalent, highly branched
dendrimere haben wir nach vielen verschiedenen neuen Prinzi- neoglycoconjugates, which have been used to elucidate and
pien hergestellt. Dabei haben wir nicht-Kohlenhydratdendrimere manipulate carbohydrate-protein interactions, both in vitro as
mit Zuckern ummantelt, "reine" Glycodendrimere aus geeigne- well as in vivo.
ten Kohlenhydratbausteinen aufgebaut, oder Kohlen-
hydratderivate als Initiatorkerne verwendet und mit Dendrimer-
generationen umgeben (Bild 4).
Bild 4 / Figure 4
Grundstrukturen von Glycodendrimeren: Kohlenhydrat-ummantelte Dendrimere, "reine" Kohlenhydratdendrimere, Kohlenhydrat-zentrierte Den-
drimere.
Principal architectures of glycodendrimers: carbohydrate-coated, from carbohydrate building blocks, branching out from carbohydrate cores.
Mit Hilfe solcher Glycodendrimere untersuchen und mani- Biological Investigations with Carbohydrates
pulieren wir Kohlenhydrat-Protein-Wechselwirkungen in vitro
und in vivo, vielfach in Kooperation und erforschen dabei auch A variety of physiological as well as pathological events in cell
den Multivalenzaspekt dieser molekularen Erkennungsvorgän- biology are dependent on carbohydrates and their recognition by
ge. Dendrimere bieten aber noch ganz andere Anwen- proteins. The different blood groups, for example, are deter-
dungsfelder, z.B. in der Diagnostik oder der Katalyse, für die un- mined by differences in the glycocalyx of erythrocytes. Clearing
sere Arbeiten ebenfalls von Interesse sind. of old blood cells from the blood stream is also triggered by car-
bohydrate-protein interactions, taking place in the liver. Recruit-
ment of leukocytes during an inflammation process is dependent
Biologische Untersuchungen mit Kohlenydraten on the initial recognition of a carbohydrate sub-structure on neu-
trophils on the one hand and epithelial cells on the other by pro-
Kohlenhydrate determinieren das Zellgeschehen in vielfältiger teins called selectins. Exaggerated leukocyte recruitment in cas-
Weise. Der Blutgruppenzugehörigkeit beispielsweise liegen es of chronical inflammation diseases might thus be prevented
unterschiedliche Zuckermuster auf den roten Blutkörperchen by suitable carbohydrate derivatives, which will eventually serve
(Erythrozyten) zu Grunde. "Altersschwache" Erythrozyten wer- as carbohydrate drugs. This and other potential of carbohydrate
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den von einem Leberlektin (dem "Ashwell-Rezeptor") an ihrem research motivate our work and our collaborations with medicine
Zuckermuster erkannt, in einer multivalenten Wechselwirkung and biology.
gebunden und so aus dem Blutstrom ent-
fernt. Kohlenhydrat-Selektin-Wechselwir-
kungen stehen am Anfang einer Ereigni-
skaskade, die im Rahmen einer Entzün-
dungsreaktion in Gang kommt und die Ak-
tivierung des Immunsystems zum Zweck
hat. Zur Behandlung chronischer Entzün-
dungen könnte es deshalb sinnvoll sein,
die initialen Kohenhydrat-Protein-Interak-
tionen mit Hilfe geeigneter Moleküle zu
verhindern. Solche und ähnliche Fragen
verbinden uns mit unseren Kooperations-
partnern aus Biologie und Medizin.
Ein anderes Gebiet, auf dem Kohlenhy-
drate als Therapeutika von Nutzen sein
könnten, sind Infektionen. Mikroben müs-
sen sich zunächst an ihre Wirtszellen an-
heften ("Adhäsion") bevor sie die Zell-
membran durchdringen können. Der Pro-
zess der Adhäsion ist häufig von Zellober-
flächensacchariden abhängig, an die sich
Bakterien und Viren mit Hilfe eigener Lek-
tine anheften. Wir untersuchen im S1-La- Bild 5 / Figure 5
bor im Falle der Mannose-abhängigen Modell der bakteriellen Adhäsion, die durch die Bindung bakterieller Lektine an den
bakteriellen Adhäsion, ob sie sich effektiv Kohlenhydratmantel der Wirtszelle vermittelt wird, und ihre Inhibition durch multivalente
mit multivalenten Glycomimetika blockie- Glycomimetika.
ren lässt (vgl. Bild 5). Um beim Design der
Cartoon of bacterial adhesion utilizing bacterial lectins to adhere to the carbohydrate coat of a
potentiellen Inhibitoren bakterieller Adhä-
host cell, and its inhibition with multivalent glycomimetics.
sion nicht ganz im Trüben zu fischen,
unterstützen wir unsere bio-organischen
Arbeiten mit Computer-Modelling-Studien.
In our own S1 laboratory, we develop and investigate carbohy-
drate mimetics, such as glycodendrimers as inhibitors of bacte-
rial adhesion. This is an appealing possibility to prevent bacteri-
al infection in cases where it is dependent on the interaction of
bacterial lectins with the carbohydrates of the host cell surface
Literaturangaben / References
(see Figure 5). In cases where the structure of the investigated
lectins is known, we support the design of carbohydrate in-
Um einen schnellen Überblick über unsere Arbeiten zu erhalten, sei
auf zwei Übersichtsartikel verwiesen - To quickly snap up with our hibitors by molecular modeling studies.
research, two review articles are recommended:
Ansprechpartner / Contact:
[1] Th. K. Lindhorst, Artificial Multivalent Sugar Ligands to Under-
stand and Manipulate Carbohydrate-Protein Interactions, in:
Prof. Dr. Thisbe K. Lindhorst
Host-Guest Chemistry, Mimetic Approaches to Study
Carbohydrate Recognition (S. Penadés, Ed.), Topics Curr. Otto-Hahn-Platz 3
Chem. 218, 201 (2002). D-24098 Kiel
[2] N. Röckendorf, Th. K. Lindhorst, Glycodendrimers, in: Den- Tel: 0431-880-2023
drimers IV, (F. Vögtle, C. A. Schalley, Eds.), Topics Curr. Chem. Fax: 0431-880-7410
217, 201 (2002). E-Mail: tklind@oc.uni-kiel.de
URL: http://scholle.oc.uni-kiel.de
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