Kommunale Flüchtlingspolitik in Deutschland - Hannes Schammann, Boris Kühn gute gesellschaft - soziale demokratie
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Hannes Schammann, Boris Kühn Kommunale Flüchtlingspolitik in Deutschland gute gesellschaft – soziale demokratie # 2017 plus
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG gute gesellschaft – soziale demokratie # 2017 plus EIN PROJEKT DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG IN DEN JAHREN 2015 BIS 2017 Was macht eine Gute Gesellschaft aus? Wir vers tehen darunter soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltig- keit, eine innovative und erfolgreiche Wirtschaft und eine Demokratie, an der die Bürger_innen aktiv mit- wirken. Diese Gesellschaft wird getragen von den Grundwerten der Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Wir brauchen neue Ideen und Konzepte, um die Gute Gesellschaft nicht zur Utopie werden zu lassen. Deswegen entwickelt die Friedrich-Ebert-Stiftung konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik der kommenden Jahre. Folgende Themenbereiche stehen dabei im Mittelpunkt: – Debatte um Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität; – Demokratie und demokratische Teilhabe; – neues Wachstum und gestaltende Wirtschafts- und Finanzpolitik; – Gute Arbeit und sozialer Fortschritt. Eine Gute Gesellschaft entsteht nicht von selbst, sie muss kontinuierlich unter Mitw irkung von uns allen gestaltet werden. Für dieses Projekt nutzt die Friedrich-Ebert-Stiftung ihr weltweites Netzwerk, um die deutsche, europäische und internationale Perspektive miteinander zu verbinden. In zahlreichen Veröffent- lichungen und Veranstaltungen in den Jahren 2015 bis 2017 wird sich die Stiftung dem Thema konti- nuierlich widmen, um die Gute Gesellschaft zukunftsfähig zu machen. Weitere Informationen zum Projekt erhalten Sie hier: www.fes-2017plus.de Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozial- demokratie und den freien Gewerkschaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Über die Autoren dieser Ausgabe Hannes Schammann ist Juniorprofessor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. Boris Kühn ist Flüchtlings- und Integrationsbeauftragter der Stadt Mössingen. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Günther Schultze ist in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik Leiter des Gesprächskreises Migration und Integration der Friedrich-Ebert-Stiftung.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG Hannes Schammann, Boris Kühn Kommunale Flüchtlingspolitik in Deutschland 3 VORBEMERKUNG 4 ZUSAMMENFASSUNG 5 1 EINLEITUNG 6 2 DIE KOMMUNE IM MEHREBENENSYSTEM DER FLÜCHTLINGSPOLITIK 6 2.1 EU, Bund und Länder 7 2.2 Kommunen 9 3 HANDLUNGSFELDER KOMMUNALER FLÜCHTLINGSPOLITIK 9 3.1 Vollzug des Ausländerrechts 10 3.2 Unterbringung 14 3.3 Gewährung von Sozialleistungen 17 3.4 Gesundheitsversorgung 19 3.5 Frühkindliche und schulische Bildung 22 3.6 Sprachförderung Deutsch 24 3.7 Arbeit und Ausbildung 25 3.8 Zivilgesellschaftliches Engagement 27 3.9 Öffentlichkeitsarbeit 29 3.10 Finanzierung kommunaler Flüchtlingspolitik 32 3.11 Aufbauorganisation kommunaler Flüchtlingspolitik 35 4 FAZIT UND AUSBLICK 38 Abkürzungen 38 Tabellenverzeichnis 39 Literaturverzeichnis
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 2
KOMMUNALE FLÜCHTLINGSPOLITIK IN DEUTSCHLAND 3 VORBEMERKUNG Die hohen Zuwanderungszahlen in den Jahren 2014 und leistungsgesetzes haben die Länder und die Kommunen 2015, insbesondere die Zuwanderung von Flüchtlingen, haben einigen Handlungsspielraum, der, je nach politischer Grund- vor allem die Kommunen vor große Herausforderungen ge- überzeugung, entweder zu restriktiven oder liberalen Prakti- stellt. Innerhalb kürzester Zeit mussten sie Unterbringungs- ken führt. Das Gutachten liefert auch Argumente, darüber möglichkeiten, Betreuung und Versorgung für Flüchtlinge nachzudenken, ob das Asylbewerberleistungsgesetz abge- organisieren. Gemeinsam mit den ehrenamtlich tätigen Bür- schafft werden sollte und Asylsuchende die normalen Grund- ger_innen wurde in vielen Kommunen eine Willkommenskul- sicherungsleistungen erhalten sollten. Dies würde zu bürokra- tur mit Leben erfüllt. tischen Erleichterungen und damit zu Einsparungen führen. Eine Willkommenskultur braucht aber auch eine Willkom- Das Gutachten liefert viele Beispiele, wie unterschiedlich mensstruktur. Dies heißt, dass die organisatorischen und in den Kommunen die Unterbringung von Flüchtlingen gere- rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, gelt wird und wie vielfältig die Integrationsangebote, zum damit die Eingliederung und die Versorgung der Flüchtlinge Beispiel Sprachkurse für verschiedene Zielgruppen, sind. gemeistert werden können. Die Klärung und Optimierung Denn entgegen der vielfach verbreiteten Auffassung gibt es der Zuständigkeiten und der Aufgabenverteilung zwischen durchaus Handlungsspielräume auf kommunaler Ebene. Diese Bund, Ländern und Kommunen ist deshalb die grundlegende sind selbst bei den sogenannten „weisungsgebundenen Voraussetzung dafür, die Flüchtlingsaufnahme und -integra- Pflichtaufgaben“, z. B. dem Vollzug des Ausländerrechts durch tion zu bewältigen. die Ausländerbehörden, erkennbar. In die Konzepte der inter- Der Ort, an dem sich die Integration der Flüchtlinge letzt- kulturellen Öffnung der kommunalen Verwaltung sollten des- lich vollzieht, sind die Kommunen und Gemeinden. Hier ent- halb die Ausländerbehörden unbedingt einbezogen werden. scheidet sich, ob es zu einem Miteinander und einem friedli- Das hier vorliegende Gutachten kommt zu dem Ergebnis, chen Zusammenleben kommt oder ob Ausgrenzung und dass sich bei der Bewältigung der Zuwanderung von über Diskriminierung vorherrschen. Das gesellschaftliche Klima einer Million Flüchtlingen in den letzten Jahren das föderale wird maßgeblich durch eine klare Positionierung der Reprä- System der Bundesrepublik bewährt hat, es aber gerade an sentant_innen der jeweiligen Kommune für die Integration den Schnittstellen der Zusammenarbeit von Bund, Ländern der Flüchtlinge in die Stadtgesellschaft beeinflusst. Besorgnis- und Kommunen Reibungsverluste gibt, die durch Reformen erregend sind die zahlreichen gewaltsamen Angriffe auf behoben werden können. Die Flüchtlingspolitik ist deshalb Flüchtlinge und die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünf- auch ein Katalysator, um das bewährte föderale System der te, die auch den Tod von Menschenleben in Kauf nehmen. Bundesrepublik Deutschland weiterzuentwickeln. Die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremis- Bei allen Problemen und Schwierigkeiten, die die Zuwan- mus und Rassismus ist deshalb eine gemeinsame Aufgabe derung von Flüchtlingen für Kommunen und Länder mit sich aller demokratischen Organisationen. bringt, dürfen wir aber nicht die Chancen und Potenziale Dieses Gutachten beleuchtet die Flüchtlingspolitik in außer Acht lassen, die sich für unsere Gesellschaft ergeben Deutschland aus einer kommunalpolitischen Perspektive. Es können. Diese realisieren sich, wenn uns eine frühzeitige und zeigt, dass trotz einiger Verbesserungen in der Kooperation nachhaltige Integration von Flüchtlingen in die Stadtteile und zwischen Bund, Ländern und Kommunen nach wie vor ein Wohnquartiere, in Schulen und Kindergärten sowie in die erheblicher Handlungsbedarf besteht. Obwohl sich bei der Arbeitswelt gelingt. Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme in den vergangenen Monaten einiges bewegt hat, müssen nach wie vor viele Kommunen erhebliche Eigenmittel aufwenden, um die Auf- GÜNTHER SCHULTZE gaben zu stemmen. Zusätzliche, zielgenauere Finanzierungs- Leiter des Gesprächskreises Migration und Integration der modelle sind nötig. Bei der Umsetzung des Asylbewerber- Friedrich-Ebert-Stiftung
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 4 ZUSAMMENFASSUNG Kommunen werden häufig als letztes Glied in der Kette föde- nen übertragen werden sollte, anstatt dies nur mittels un- raler Flüchtlingspolitik betrachtet. Sie gelten als Ebene mit mi- bestimmter Rechtsbegriffe zu tun. Gerade sehr aktive und nimalem Gestaltungsspielraum, die lediglich ausführt, was innovative Kommunen begrüßen solche Überlegungen. Europäische Union, Bund und Land beschließen. Dies ist je- Allerdings legt die Praxis nahe, dass die Hoffnung auf eine doch eine Fehlwahrnehmung. Faktisch haben Kreise, Städte flächendeckend progressive Flüchtlingspolitik, angetrieben und Gemeinden erhebliche Spielräume in nahezu allen Hand- durch in jeglicher Hinsicht kompetente Kommunen, etwas lungsfeldern der Flüchtlingspolitik. In besonderem Maße be- gedämpft werden muss. Schließlich scheint es angesichts trifft dies die Selbstverwaltungsaufgaben, beispielsweise die steigender Skepsis in der Bevölkerung durchaus vorstellbar, Organisation frühkindlicher Bildung oder die Koordination dass einige Kommunen eine neu zugestandene Kompetenz von ehrenamtlichem Engagement. Doch selbst bei weisungs- nutzen würden, um für Flüchtlinge unattraktiver zu werden. gebundenen Pflichtaufgaben, wie dem Vollzug des Auslän- Eine bewusste Delegation von Entscheidungskompetenz auf derrechts, können Kommunen eigene flüchtlingspolitische die kommunale Ebene macht durchaus Sinn, muss aber mit Positionen entwickeln und durchsetzen. Dies liegt vor allem Anreizen zur aktiven Politikgestaltung sowie der Durchset- daran, dass sich in den gesetzlichen Regelungen zahlreiche zung verbindlicher Mindeststandards in Kernbereichen wie Widersprüche und unbestimmte Rechtsbegriffe finden, die der Unterbringung einhergehen. auf ungelöste Konflikte auf Bundes- und Landesebene hin- Neben der Frage der Dezentralisierung wird in der Fach- weisen. Die Kommune muss – oder darf – diese mehrdeuti- debatte auch darüber gestritten, ob Flüchtlingspolitik als fö- ge Rechtslage in eindeutige Verwaltungspraxis umwandeln. derale Gemeinschaftsaufgabe im Sinne des Grundgesetzes Damit wird sie zur eigenständigen Politikgestalterin. (Art. 91a) ausgestaltet werden sollte. Kommunen aber brau- Ein Blick in die flüchtlingspolitische Praxis zeigt, dass chen keine weiteren Schnittstellen, sondern einen Abbau der- Kommunen sich dieser Spielräume in sehr unterschiedlichem selben. Dies betrifft weniger das Verhältnis zum Bund als Maße bewusst sind. Vielerorts konnte man in den vergange- das zum Land sowie die Aufgabenteilung zwischen Land- nen Jahren ein durchaus pragmatisches, aber wenig strate- kreisen und kreisangehörigen Gemeinden. Auf der föderalen gisch ausgerichtetes oder auch nur koordiniertes Verwal- Ebene von Land und Kommune geht es also darum, Kompe- tungshandeln feststellen. Verstärkt durch einen Mangel an tenzen klar zuzuordnen und das Schnittstellenmanagement intra- und interkommunalen Austauschforen führte dies zu zu optimieren. Regelmäßige Austauschforen sind dafür die einer enormen Variationsbreite flüchtlingspolitischer Praxis. Grundvoraussetzung. Teilweise lassen sich noch heute innerhalb derselben Verwal- Was kann der Bund tun, um die Kommunen zu unterstüt- tung diametral entgegengesetzte flüchtlingspolitische Aus- zen? Erstens muss er seinen eigenen Aufgaben in effizienter richtungen festmachen. Erst die Flüchtlingszuwanderung des Weise nachkommen: Schnelle Asylverfahren helfen den Kom- Jahres 2015 fungierte als Brennglas für diese Widersprüche munen ganz direkt. Zweitens sollten vorwiegend symboli- und sorgte dafür, dass sich Kommunen in bislang nicht ge- sche Regelungen, wie das Asylbewerberleistungsgesetz kanntem Maße um flüchtlingspolitische Kohärenz bemühen. oder die Orientierung an einer „guten Bleibeperspektive“, Dies führt unter anderem dazu, dass die Organisation lokaler auf ihre Sinnhaftigkeit und Praxistauglichkeit überprüft wer- Flüchtlings- und Integrationspolitik neu gedacht wird. Gewin- den. Sie verkomplizieren die Arbeit vor Ort und bewirken ner dieser Verschiebungen vor Ort sind die Sozialbehörden, faktisch wenig. Drittens geht es darum, die Integration (auch während kommunale Integrationsbeauftragte vielerorts an von anerkannten Flüchtlingen) strukturell und finanziell wei- Einfluss verlieren. ter zu unterstützen. Dazu ist eine enge Zusammenarbeit Angesichts der ohnehin vorhandenen Spielräume vor Ort mit den Ländern, aber auch mit den Spitzenverbänden der stellt sich die Frage, ob Entscheidungskompetenz nicht bes- Kommunen notwendig. ser ganz explizit vom Bund über das Land auf die Kommu-
KOMMUNALE FLÜCHTLINGSPOLITIK IN DEUTSCHLAND 5 1 EINLEITUNG Der Terminus der „kommunalen Flüchtlingspolitik“ ist spätes- wegs den Anspruch, ein vollständiges und repräsentatives tens seit dem Jahr 2015, als deutsche Städte und Gemeinden Bild kommunaler Flüchtlingspolitik in Deutschland zu zeich- Tausende von Asylsuchenden unterzubringen und zu versor- nen. Doch sie hat das Ziel, eine gewisse Orientierung im gen hatten, aus medialen und politischen Debatten nicht mehr Dschungel kommunaler Praxis zu bieten, aktuelle Entwicklun- wegzudenken. Doch eigentlich ist es mit Blick auf die Aufga- gen zu beleuchten und Anstöße für die Diskussion zu geben. benverteilung im Mehrebenensystem der Flüchtlingspolitik Die Studie beginnt in Kapitel 2 mit einer Verortung der gar nicht so selbstverständlich, von einer eigenständigen kom- Kommune im (europäischen) Mehrebenensystem der Migra- munalen Flüchtlingspolitik zu sprechen. Ein Dickicht an inter- tions- und Flüchtlingspolitik. Im Zuge dessen werden auch nationalen und nationalen Richtlinien, Gesetzen und Verord- die drei kommunalen Aufgabenarten – weisungsgebundene nungen scheint Städte, Kreise und Gemeinden regelrecht Pflichtaufgaben, pflichtige und freiwillige Selbstverwaltungs- einzuschnüren. In den vergangenen Jahren wurden die Kom- aufgaben – eingeführt. Dies dient als konzeptionelle Grund- munen daher sowohl von der flüchtlingspolitischen Praxis als lage zum institutionell geprägten Verständnis kommunaler auch von wissenschaftlicher Seite meist als mal gewissenhaf- Flüchtlingspolitik. Auf dieser Basis werden in Kapitel 3 neun te, mal etwas unwillige Befehlsempfänger von Bund und Län- konkrete Handlungsfelder kommunaler Flüchtlingspolitik so- dern wahrgenommen. Bestenfalls konnten sie als „Orte der wie zwei übergeordnete Themenbereiche näher betrachtet. Integration“ reüssieren. Eine eigenständige Politikgestaltung Darunter sind vier „klassische“ Pflichtaufgaben: Vollzug des wurde ihnen jedoch kaum zugetraut. Ausländerrechts, Unterbringung, Gewährung sozialer Leis- Ein Blick auf die kommunale Praxis zeigt allerdings, dass tungen und Gesundheitsversorgung. Als pflichtige Selbstver- Städte, Kreise und Gemeinden weitreichende Gestaltungs- waltungsaufgabe wird das Handlungsfeld „Bildung“ betrach- spielräume haben, die sie seit Jahren in sehr unterschiedli- tet. Die untersuchten vier freiwilligen Aufgaben umfassen cher Weise nutzen. Das führte dazu, dass Flüchtlingspolitik Sprachförderung, Arbeit und Ausbildung, zivilgesellschaftliches im deutschen Föderalismus heute keineswegs als kohärentes Engagement und Öffentlichkeitsarbeit. Als übergeordnete Gesamtkunstwerk, sondern eher als eine Art „Flickenteppich“ Themenbereiche werden Fragen der Finanzierung sowie – bezeichnet werden muss. Um zu verstehen, wie eine solche aufgrund aktueller Entwicklungen in zahlreichen Kommunen Varianz zustande kommen kann und wo die Ermessensspiel- – auch Verschiebungen in der Aufbauorganisation kommu- räume der Kommunen ganz grundsätzlich liegen, lohnt es naler Flüchtlingspolitik angesprochen. Die Studie schließt in sich, eine institutionell geprägte Perspektive auf die Rolle der Kapitel 4 mit zentralen Thesen für die Diskussion in und zwi- Kommunen im Mehrebenensystem der Flüchtlingspolitik ein- schen Kommunen, aber auch zwischen Kommunen und Län- zunehmen. Kurz gesagt: Was und wie viel dürfen, können, dern bzw. dem Bund. sollen und müssen Kommunen eigentlich in welchen Fragen der Flüchtlingspolitik tun und entscheiden? Die vorliegende Studie betrachtet aus diesem Blickwinkel zentrale Handlungsfelder kommunaler Flüchtlingspolitik so- wie deren Ausgestaltung in Abhängigkeit von Ländern und Bund. Beispiele aus der wissenschaftlichen Literatur und der aktuellen Praxis illustrieren, wie Kommunen ihre Spielräume nutzen – und wie sie sich diese zum Teil auch erkämpfen. Methodisch basiert die Untersuchung sowohl auf einer um- fangreichen Literatur- und Desktoprecherche als auch auf mehreren Experteninterviews mit Vertreter_innen kommuna- ler Praxis. Vor diesem Hintergrund erhebt die Studie keines-
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 6 2 DIE KOMMUNE IM MEHREBENENSYSTEM DER FLÜCHTLINGSPOLITIK1 2.1 EU, BUND UND LÄNDER gen ist derzeit noch am ehesten hinsichtlich der Abkommen mit Drittstaaten zu erreichen, die eine Reduzierung der Flücht- Europäische Union lingszuwanderung zum Ziel haben (u. a. Türkei, Marokko). Asyl- und Flüchtlingspolitik ist zumindest in ihren Grundlini- Bund en durchaus europäisiert (Bendel 2015). Dies wird deutlich, wenn man auf das 2013 verabschiedete Gemeinsame Euro- Doch bei all der berechtigten Sorge um die Zukunft einer ge- päische Asylsystem (CEAS) blickt, das zahlreiche rechtliche meinsamen europäischen Flüchtlingspolitik wird häufig ver- Mindeststandards eingeführt bzw. aktualisiert und zusam- gessen, dass auch einige Nationalstaaten innerhalb der EU mengefasst hat. Dazu gehören beispielsweise die Qualifikati- eine Binnenstruktur haben, die eine zusätzliche Herausforde- onsrichtlinie zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, die rung für flüchtlingspolitische Kohärenz darstellt. Dies gilt ins- Verfahrensrichtlinie zur Durchführung des Asylverfahrens besondere für Deutschland. Migrationspolitik ist hierzulande oder die Aufnahmerichtlinie zur menschenwürdigen Unter- in wesentlichen Teilen durch Bundesgesetze geregelt, wobei bringung und Behandlung von Asylsuchenden. Hinzu kom- für Flüchtlingspolitik überwiegend die konkurrierende Ge- men zahlreiche Verordnungen, von denen insbesondere die setzgebung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 und 6 GG) gilt. In der Folge Dublin-III-Verordnung eine gewisse Prominenz besitzt, da sie ist nach Maßgabe des Asylgesetzes (§ 5 Abs. 1 AsylG) aus- regelt, welche Staaten für die Bearbeitung von Asylanträgen schließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig sind. Aber auch per Verordnung eingerichtete Ins- (BAMF) für das Asylverfahren zuständig. Kommen Asylsu- titutionen wie das European Asylum Support Office (EASO) chende nach Deutschland, wird ihr Antrag also auf der Bun- auf Malta, das zur Harmonisierung der Umsetzungspraxis in desebene in den Außenstellen des BAMF bearbeitet. Die den Mitgliedstaaten beitragen soll, sind Teil des CEAS. Ge- Asylsuchenden werden einer landesbetriebenen Erstaufnah- rade die Existenz des EASO zeigt auch, dass es den Mitglied- mestelle in räumlicher Nähe zur jeweiligen Außenstelle des staaten und vor allem der EU-Kommission durchaus bewusst BAMF zugewiesen und nach einigen Tagen oder Wochen auf ist, dass alleine das Vorliegen gemeinsamer Regelungen noch die Kommunen verteilt. An den ihnen zugewiesenen Orten keinen faktischen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des müssen sie mindestens für die Dauer des Verfahrens wohnen. Rechts“ (Art. 67 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise Zusätzlich zur eigenständigen Durchführung des Asylver- der Europäischen Union) bedeuten. Ob dessen Verwirklichung fahrens legt die Bundesebene auch die Rahmenbedingungen in absehbarer Zeit gelingt, darf mit gutem Grund bezweifelt für den Zugang von Asylsuchenden zu weiten Teilen des ge- werden. Schließlich ist europäische Flüchtlingspolitik aktuell sellschaftlichen Lebens fest, beispielsweise zum Arbeitsmarkt vor allem durch nationalstaatliche Alleingänge geprägt, etwa oder zu Integrationskursen. Außerdem regelt das Asylbewer- durch die mehrfach praktizierte, einseitige Schließung der berleistungsgesetz (AsylbLG), welche Leistungen Asylsuchen- Schengen-Grenzen (u. a. Schweden, Österreich), die anhalten- den in den ersten 15 Monaten für „Ernährung, Unterkunft, Hei- de Weigerung einiger Staaten, beispielsweise Polens, über- zung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und haupt Flüchtlinge aufzunehmen, oder die „Brexit“-Entschei- Verbrauchsgütern des Haushalts“ (§ 3) oder für die „Behand- dung Großbritanniens. Auch eine konsensfähige Lösung, die lung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ (§ 4) zuste- das faktisch gescheiterte Dublin-III-System zur Verteilung der hen. Zudem trifft es Aussagen über den Zugang zu Arbeits- Schutzsuchenden ersetzen könnte, ist weiter nicht in Sicht. gelegenheiten (§ 5). Die Zustimmung der Mitgliedstaaten zu europäischen Lösun- Die Federführung für das AsylbLG hat das Bundesminis- terium für Arbeit und Soziales. Die Verantwortung für asyl- 1 Die Darstellung kommunaler Aufgaben im Mehrebenensystem folgt im und aufenthaltsrechtliche Fragen sowie die Fachaufsicht über Wesentlichen Schammann (2015a, 2016). das BAMF liegen dagegen beim Bundesministerium des In-
KOMMUNALE FLÜCHTLINGSPOLITIK IN DEUTSCHLAND 7 nern (BMI). In dieser Ressortzuständigkeit manifestiert sich aufgaben“ 2 delegiert werden. Dabei werden Aufgabeninhalt ein Spannungsverhältnis zwischen einem wohlfahrtsstaatli- und -durchführung detailliert durch das Land vorgegeben. chen Ansatz (Versorgung und arbeitsmarktorientierte Inte- Ein Ermessensspielraum ist eigentlich nicht vorgesehen, da gration) und einem ordnungsrechtlichen (Migrationskontrolle). die Ministerien des Landes das Ob und Wie der Aufgabener- Dieser Konflikt prägt die Flüchtlingspolitik auf Bundesebene füllung grundsätzlich im Detail steuern können. und setzt sich, da er dort institutionell nicht gelöst wird, als Eine vom Land delegierte Pflichtaufgabe der Kommunen ständiges Ringen um Kohärenz auf Ebene der Länder und ist der Vollzug des Aufenthaltsrechts (siehe Kapitel 3.1). Ins- Kommunen fort. Dies wird in den folgenden Kapiteln noch besondere im Falle der Ablehnung eines Asylantrags stellen des Öfteren deutlich werden. kommunale Ausländerbehörden fest, ob Abschiebungshin- dernisse vorliegen und für wie lange ggf. eine „Duldung“, also Bundesländer die Aussetzung einer Abschiebung, ausgestellt werden kann. Sie entscheiden auch darüber, ob Asylsuchende ihrer „Mitwir- Bundesländer haben trotz der beschriebenen Regelungskom- kungspflicht“, beispielsweise bei der Passbeschaffung, nachge- petenz des Bundes erhebliche Spielräume in der Flüchtlings- kommen sind. Erkennen sie hier Versäumnisse, kann etwa der politik, sowohl in Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe als Zugang zu Arbeit, Ausbildung oder Studium versagt werden. auch im primär aufenthaltsrechtlichen Bereich. Eine wichtige Ein zweiter Komplex an Pflichtaufgaben umfasst die Ge- aufenthaltsrechtliche Kompetenz ist, dass die obersten Lan- währung sozialer Leistungen (siehe Kapitel 3.3), die Gesund- desbehörden humanitäre Aufenthaltstitel vergeben können. heitsversorgung (siehe Kapitel 3.4) und zumeist auch die Dies erfolgt für konkrete Einzelfälle eigenständig über die Unterbringung (siehe Kapitel 3.2). Hier agieren die Kommu- Einsetzung von sogenannten Härtefallkommissionen und für nen in direktem Auftrag der Länder. Bundesländer können Gruppen in Abstimmung mit dem BMI (SVR 2012). Ferner die Ausgabenausführung auch hier grundsätzlich sehr eng führen sie die Fachaufsicht über die Ausländerbehörden der steuern. Allerdings ergeben sich erhebliche Gestaltungsmög- Kommunen, die für die Umsetzung des Aufenthaltsgesetzes lichkeiten in der Praxis – einerseits im Zuge der Implementation während und vor allem nach Beendigung des Asylverfahrens andererseits durch die Überschneidung von Pflichtaufgabe zuständig sind. Deren Entscheidungsspielraum können die und freiwilliger Selbstverwaltungsaufgabe. Auch wenn bei- Bundesländer über Landesaufnahmegesetze und Erlasse ein- spielsweise die Standards einer Sammelunterkunft landessei- schränken. tig vorgegeben werden, liegt es im Ermessen der Kommune, Daneben hat der Bund die Zuständigkeit für „Aufnahme, ob sie noch während der Such- und Bauphase zivilgesell- Unterbringung und Gewährung […] existenzsichernder Leis- schaftliche Akteure einbezieht und/oder informiert. Dies kann tungen“ (Müller 2013: 13) und damit vor allem für die Umset- geboten erscheinen, da die Suche nach geeigneten Standor- zung des AsylbLG an die Bundesländer delegiert. In der Pra- ten oder die Entscheidung für ein zentrales oder dezentrales xis reichen die meisten Bundesländer diese Aufgaben – mit Unterbringungskonzept nicht selten die Bevölkerung ent- Ausnahme der Erstaufnahme – ganz oder teilweise an die zweien und zu intensiven, teils emotionalen Debatten in den kommunale Ebene weiter und regeln diese durch Landesauf- Gemeinderäten und Kreistagen führen können. Unterbrin- nahmegesetze. gung und Versorgung sind somit ein Quell öffentlichen Drucks auf die örtliche Verwaltung, bei der aus Pflichtaufgaben di- rekter Handlungsdruck für das Initiieren freiwilliger Selbstver- 2.2 KOMMUNEN waltungsaufgaben erwachsen kann. Kommunalpolitische Konzepte zur Flüchtlingsarbeit sind daher häufig erweiterte Möglich ist die Delegation von Aufgaben von Bundesland auf Unterbringungskonzepte. Kommune, da Kommunen staatsrechtlich gesehen keine eige- ne föderale Ebene, sondern Teil des jeweiligen Bundeslandes Pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben sind (Wehling 2009: 9). Je nach Bundesland kann die Aufga- benteilung zwischen Kommune und Land in der Flüchtlings- Mehr Freiheit in der Umsetzung haben Kommunen im Rah- politik unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Spielräume der men der „pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben“. Hier be- Kommune lassen sich dabei nach drei Aufgabenarten unter- steht eine Verpflichtung zum kommunalen Handeln. Zusätz- scheiden, die sich auch in anderen Politikfeldern finden (grund- lich sind Zielrichtung und Umsetzung der Maßnahmen durch sätzlich dazu u. a. Bieker 2006; Dahme/Wohlfahrt 2013): wei- Landesgesetze oder Verordnungen vorgegeben. Allerdings sungsgebundene Pflichtaufgaben, pflichtige Selbstverwal- sind Eingriffe in die Umsetzung per Weisung ausgeschlossen. tungsaufgaben und freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben. Im Rahmen der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben Um kommunalpolitisches Handeln in einem flüchtlingspolitisch sind Kommunen unter anderem Träger von Grund-, Haupt-, relevanten Feld – wie beispielsweise Bildung oder Sprache – Berufs- und Volkshochschulen oder übernehmen Aufgaben verstehen zu können, ist es ratsam, die im Folgenden skizzier- der Jugendhilfe (siehe Kapitel 3.5). Dies ist unter anderem in- ten drei Aufgabenarten im Hinterkopf zu behalten. Sie bieten sofern relevant, als auch für Asylsuchende die Schulpflicht auch das Raster für die Vorstellung der Handlungsfelder. Weisungsgebundene Pflichtaufgaben 2 Neben dem Terminus der „weisungsgebundenen Pflichtaufgaben“ existieren die Formulierungen „Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Wei- sung“ und „staatliche Auftragsangelegenheiten“. Diese implizieren jeweils Besonders stark ist die formale Abhängigkeit der Kommune ein leicht differierendes Verständnis der Aufgabenteilung, werden in die- vom Land, wenn Aufgaben als „weisungsgebundene Pflicht- ser Studie jedoch gemeinsam betrachtet.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 8 im Primar- und Sekundarbereich I gilt (Weiser 2014). Wie die auch die Einbindung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft in staatlichen Schulämter des Landes gemeinsam mit kommu- die flüchtlingspolitische Strategie der Kommune. Die Kapitel nalen Stellen diese Schulpflicht durch- und umsetzen, kann 3.6 bis 3.9 werden illustrieren, wie unterschiedliche Kommu- sehr unterschiedlich sein: Werden Schüler_innen mit Flucht- nen die freiwilligen Aufgaben interpretieren und welche erfahrung beispielsweise in einem inklusiven Ansatz auf be- Schwerpunkte gelegt werden. stehende Klassen verteilt, oder werden gesonderte „Willkom- mensklassen“ eingerichtet? Ähnliches gilt für Maßnahmen Die vierte Ebene? Interaktion zwischen Landkreis und der Jugendhilfe: Werden spezielle Angebote für Asylsuchen- kreisangehöriger Gemeinde de geschaffen, oder werden bestehende Einrichtungen für Flüchtlinge geöffnet? Bestehen Kooperationen mit Akteuren Dieses Kapitel wirbt für eine stärkere Differenzierung der aus den Bereichen der weisungsgebundenen Pflichtaufgaben Aufgabenarten, die der Kommune zufallen. Dabei sollte aber und der freiwilligen Aufgaben? In solchen Fragen spiegelt nicht übersehen werden, dass Kommune nicht gleich Kom- sich die Diskussion um eine interkulturelle Öffnung kommu- mune ist. Zum Teil unterscheiden sich die Kommunen erheb- naler Einrichtungen. Diese Debatte ist für kommunale Inte- lich in Größe und Zuschnitt. Spricht man über kommunale grationspolitik geradezu paradigmatisch und wird je nach Flüchtlingspolitik, so verbergen sich dahinter sowohl große Standort bereits unterschiedlich lange, unterschiedlich inten- kreisfreie Städte als auch Landkreise, kreisangehörige Städte siv und mit unterschiedlichem Ausgang geführt (dazu u. a. und kleine Gemeinden. In den folgenden Kapiteln wird deut- Reichwein und Rashid 2012). lich werden, dass besonders die Interaktion zwischen Land- Die Grenze zwischen Pflichtaufgabe und freiwilliger Leis- kreis und kreisangehöriger Gemeinde faktisch eine weitere tung der Kommune ist im Bereich pflichtiger Selbstverwal- Ebene im Mehrebenensystem der Flüchtlingspolitik bedeuten tungsaufgaben noch schwerer zu ziehen als im Bereich der kann – mit ähnlichen Konflikten wie zwischen Land und der weisungsgebundenen Pflichtaufgaben. So kann beispielswei- „ersten“ kommunalen Ebene. Die Aufgabenteilung zwischen se die Einrichtung einer Stelle für die sozialpädagogische Be- Landkreis und kreisangehöriger Gemeinde kann dabei sehr gleitung von schulpflichtigen Asylsuchenden einerseits als unterschiedlich sein und hängt stark von der Einwohnerzahl notwendige Maßnahme zur Durchsetzung der Schulpflicht der Gemeinde ab. Gerade größere kreisangehörige Städte ste- begründet werden. Sie kann aber auch als freiwillige Leis- hen häufig in einer Art Konkurrenzsituation zum Landkreis. tung zur Steigerung der Teilhabechancen dieser Zielgruppe begriffen werden. Unterschiede zwischen Stadt und Land Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben Neben der Differenzierung nach unterschiedlichen adminis- trativen Zuschnitten lassen sich auch weitere strukturelle Un- Den größten Gestaltungsspielraum haben Kommunen im Be- terschiede zwischen Kommunen ausmachen. Besonders reich der „freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben“. Hier kann wichtig für das Verständnis der kommunalen Praxis ist die lokale Politik entscheiden, ob sie überhaupt tätig wird und wie Differenzierung zwischen Städten und ländlich geprägten sie dabei vorgeht. Die Landesministerien wachen lediglich Kommunen. So erreicht die Anzahl der Asylsuchenden in Mit- über die Einhaltung bestehender Gesetze. tel- und Großstädten schneller eine kritische Masse. Auch Unter die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben fällt die Entfernung zwischen Unterkünften und Angeboten ist beispielsweise, ob Deutschkurse oder Migrationsberatungs- kürzer als auf dem Land. Außerdem haben Städte in der Re- stellen auch für Asylsuchende mit unklarer Bleibeperspektive gel häufig lange und kontinuierliche Erfahrung mit den The- bereitgestellt werden (siehe Kapitel 3.6). Die Kommune hat men Migration und Integration und verfügen meist über ge- in einem solchen Fall keinen Anspruch darauf, die benötigten wachsene institutionelle Strukturen – manifestiert etwa im Mittel vom Bund oder vom Land zu erhalten, denn zumin- Amt eines kommunalen Integrationsbeauftragten oder in dest die bundesgeförderten Maßnahmen (§§ 43–44 Auf- der regelmäßigen Erhebung statistischer Daten zur Bevölke- enthG) stehen bislang nur Personen mit einer „guten Blei- rung mit Migrationshintergrund. Auch zivilgesellschaftliche beperspektive“ offen. Dies gilt auch für bundesgeförderte Initiativen der Integrations- und Flüchtlingsarbeit sowie Projekte zur Herstellung des gesellschaftlichen Zusammen- Migrantenorganisationen sind in großen Städten zahlreicher halts vor Ort, also beispielsweise Begegnungsprojekte zwi- und kontinuierlicher präsent. Ihre Interessenartikulation ist schen Einheimischen und Asylsuchenden. Die Landesregierun- meist über Integrationsbeiräte oder runde Tische institutio- gen können hier zwar Anreize schaffen, indem Landesmittel nalisiert. All dies sorgt für eine kontinuierliche Präsenz des zur Verfügung gestellt werden, sie sind dazu aber nicht ver- Themas Migration in der Stadtpolitik, an die in der Flücht- pflichtet. Aumüller (2009: 115) betont daher die häufig prak- lingspolitik, die von starken Schwankungen gekennzeichnet tizierte, pragmatische Nutzung europäischer Fördergelder ist, angeknüpft werden kann. In ländlicheren Regionen ver- durch Kommunen seit Ende der 1990er Jahre. Die Beispiele schwindet das Thema Migration dagegen häufig für längere in Kapitel 3.6 zeigen, aus welch unterschiedlichen Finanzie- Zeit von der Agenda und wird in Zeiten großer (Flucht-)Zu- rungsquellen sich gerade die Sprachförderung speist. wanderung jeweils wieder neu als lokalpolitisches Thema Art und Umfang der freiwilligen Leistungen einer Kommu- „entdeckt“. Diese strukturellen Unterschiede zwischen Stadt ne hängen besonders stark von der kommunalen Finanzlage und Land führen dazu, dass man sowohl für die Erledigung ab. Doch mindestens ebenso entscheidend ist der kommunal- von Pflichtaufgaben als auch für die Initiierung freiwilliger politische Wille, in dem Feld tätig zu werden. Dies betrifft nicht Aufgaben unterschiedliche Erfahrungs- und Handlungskon- nur eine Umverteilung von Mitteln, sondern beispielsweise texte annehmen muss.
KOMMUNALE FLÜCHTLINGSPOLITIK IN DEUTSCHLAND 9 3 HANDLUNGSFELDER KOMMUNALER FLÜCHTLINGS- POLITIK 3.1 VOLLZUG DES AUSLÄNDERRECHTS gar den Sachbearbeitenden – überlassen, die Auslegung des Bundesgesetzes und der landesgesetzlichen Bestimmungen Das eigentliche Asylverfahren ist im Asylgesetz (AsylG) gere- vorzunehmen. Empirische Studien zeigen, dass diese Delega- gelt und wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge tionskette dazu führt, dass die aufenthaltsrechtliche Praxis in durchgeführt (siehe Kapitel 2). Doch für nahezu alle anderen Deutschland erheblich variiert (Ellermann 2009; Eule 2014). ausländerrechtlichen Fragen im Alltag der Geflüchteten wäh- Eule argumentiert, dass die Entscheidungsfindung der Sach- rend und nach dem Verfahren gelten das Aufenthaltsgesetz bearbeitenden neben dem Gesetzestext weitere Quellen (AufenthG) und damit zusammenhängende Gesetze und Ver- habe: den organisatorischen Kontext der Behörde, die politi- ordnungen. Diese führen die Länder in weiten Teilen als ei- sche Lobbyarbeit durch externe Akteure wie Flüchtlingshilfs- gene Angelegenheit aus und betreiben dafür Ausländerbe- organisationen sowie die Orientierung an der Auslegungs- hörden. Dabei kann die „Landesregierung oder die von ihr praxis von Kolleg_innen. In der Konsequenz wird, etwas bestimmte Stelle [bestimmen], dass für einzelne Aufgaben überspitzt ausgedrückt, das Aufenthaltsrecht vor Ort neu ge- nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zu- schrieben. ständig sind“ (§ 71 Abs. 1 AufenthG). In der Regel sind Aus- Trotz dieser Bedeutung der Ausländerbehörden für die länderbehörden direkt Kreisen, kreisfreien Städten oder auch kommunale Flüchtlingspolitik ist die Ansicht weit verbreitet, größeren kreisangehörigen Städten zugeordnet. Sie sind also dass sich aufenthaltsrechtliche Belange nicht in kommunaler meist kommunale Behörden, die ihre Aufgaben als weisungs- Verantwortung befänden. Dies zeigt sich auch mit Blick auf gebundene Pflichtaufgaben ausführen. einschlägige Umfragen zur Situation der Kommunen während Vor diesem Hintergrund lässt sich festhalten, dass in der der Flüchtlingszuwanderung des Jahres 2015/16, bei denen Praxis nahezu alle aufenthaltsrechtlichen Regelungen, die die Aufgaben der Ausländerbehörde weder in den Fragebö- Ausländer_innen jenseits der Asylentscheidung direkt oder gen auftauchen noch durch die Kommunen gesondert als indirekt betreffen, in einer kommunalen Behörde umgesetzt Handlungsfeld oder Herausforderung benannt wurden (z. B. werden. Dies betrifft etwa Entscheidungen über die Verlän- Gesemann/Roth 2016; vhw 2016). gerung oder Verfestigung von Aufenthaltstiteln, aber auch die Verpflichtung zu Integrationskursen des Bundes, die Mit- Beispiel: Projekt für geduldete Jugendliche in Köln wirkung bei Visaerteilungen zum Familiennachzug, zur Ar- beitsaufnahme oder die Zuständigkeit für Einbürgerungen. Nichtsdestotrotz füllen einige Ausländerbehörden ihre Rolle Die Ausländerbehörde muss aber teilweise auch beteiligt aktiv und durchaus strategisch aus. Besonders offensiv und werden, wenn Asylsuchende eine Arbeit oder ein Studium öffentlichkeitswirksam geht die Ausländerbehörde Kölns mit aufnehmen wollen. Diagnostiziert eine Behörde Verstöße ge- ihren eigenen Gestaltungsspielräumen um. Sie interpretiert gen die „Mitwirkungspflicht“ der Geflüchteten – beispiels- ihr Aufgabenspektrum sehr weit und beansprucht eine akti- weise bei der Passbeschaffung – kann ein Arbeits- oder Stu- ve Rolle in der Integrationsarbeit. Ein Beispiel ist die Ausle- dienverbot ausgesprochen werden. gung des § 25a AufenthG. Dieser sieht vor, dass geduldeten Jugendlichen eine reguläre Aufenthaltserlaubnis ausgestellt Unterschätzte Gestaltungsspielräume werden kann, wenn sie sich vier Jahre ununterbrochen legal in Deutschland befinden und bestimmte Integrationsleistun- Da das Ausländerrecht Deutschlands zahlreiche unbestimm- gen nachweisen. Darunter fällt insbesondere eine schulische te Rechtsbegriffe und Ermessensspielräume beinhaltet, die oder/und berufliche Ausbildung, aber auch eine wesentlich das zuständige Landesministerium nicht vollständig durch unbestimmtere Formulierung. So muss die Ausländerbehörde Landesgesetze und Weisungen konkretisieren kann (oder will), beurteilen, ob „es gewährleistet erscheint, dass [der Gedul- bleibt es den lokalen Ausländerbehörden – und oftmals so- dete] sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Le-
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 10 bensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepu- rechtlichen Regelungen aus. Zwar existieren einige entspre- blik Deutschland einfügen kann“ (§25a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). chende Gremien, insbesondere der bundesweite Erfahrungs- Die Konkretisierung dieser Bestimmungen erfolgt in der Aus- austausch der Ausländerbehörden großer Städte. Allerdings länderbehörde Köln, wie in zahlreichen anderen Kommunen ist dies keineswegs der Regelfall. Gerade bei Landkreisen auch, im Wesentlichen über die Feststellung eines Schulab- und kleineren Städten scheint der Wille, voneinander zu ler- schlusses, zu dem wiederum Sprachkenntnisse als notwendi- nen, geringer ausgeprägt zu sein als in anderen Bereichen ge Voraussetzung angesehen werden (Stadt Köln 2014). Um der Flüchtlingspolitik. Das gilt gerade für die freiwilligen Auf- diese zu erreichen, hat die Ausländerbehörde Köln erfolgreich gaben. Dort gehen beispielsweise Integrationsbeauftragte Drittmittel eingeworben, mit denen Jugendintegrationskurse häufig regionale, landes- oder sogar bundesweite Koopera- und Maßnahmen zur Überleitung in Berufskollegs finanziert tionen ein. Zwar lässt sich keine abschließende Aussage da- werden können. Die Behörde spricht Jugendliche, die auf- rüber treffen, woher diese Zurückhaltung der Ausländerbe- grund ihrer Aufenthaltsdauer grundsätzlich infrage kommen, hörden rührt. Allerdings wird in Einzelgesprächen unter an- gezielt an und versucht, sie gemeinsam mit Kooperations- derem eine als zu hoch empfundene Arbeitsbelastung durch partner_innen an einen Punkt zu bringen, an dem sie die Alltagsaufgaben als Grund angegeben. Darüber hinaus scheint Voraussetzungen des §25a AufenthG erfüllen. Damit erreicht in manchen Kommunen die interkommunale Varianz auslän- die Behörde nicht nur ihre explizit formulierten, integrations- derrechtlicher Praxis wenig bekannt und somit das Problem- politischen Ziele, sondern implizit auch ganz pragmatische, bewusstsein wenig entwickelt zu sein. auf die eigenen Abläufe bezogene Vereinfachungen: Schließ- lich müssen auch Geduldete, die auf absehbare Zeit nicht ab- Komplexitätsdichte vor Ort nimmt zu schiebbar sind, spätestens alle drei Monate ihre Duldung ver- längern lassen. Dies verursacht Verwaltungsaufwand in den Auch ohne kontinuierlichen Austausch besteht unter kom- Ausländerbehörden, der durch die Überführung in einen re- munalen Ausländerbehörden jedoch meist Einigkeit darü- gulären Aufenthalt im Rahmen des Projektes perspektivisch ber, dass ihr Aufgabenspektrum in den letzten Jahren deut- deutlich vermindert wird. Durch das Projekt kombiniert die lich gewachsen ist. Dies ging auch mit einer vergrößerten Ausländerbehörde Kölns die Pflichtaufgaben mit zusätzlichen Anzahl an Ermessensspielräumen einher. Selbst bundesge- freiwilligen Aufgaben. Dies ist in der lokalen Fachdebatte, setzliche Regelungen, die während der „Flüchtlingskrise“ des gerade bei „klassischen“ Integrationsakteuren, nicht immer Jahres 2015/16 erlassen wurden und eigentlich das Ziel ei- unumstritten. Doch es zeigt, dass Ausländerbehörden keines- ner Beschleunigung bürokratischer Vorgänge hatten, haben wegs nur als restriktive Erfüllungsgehilfen des Landes gese- eher für steigende Komplexität bei der Aufgabenwahrneh- hen werden müssen. mung vor Ort gesorgt. Beispielsweise bedeutet die Verkür- zung der maximalen Geltungsdauer einer Duldung von Gewandeltes Selbstverständnis? sechs auf drei Monate (§ 60a Abs. 1 AufenthG) in der Praxis, dass bei langfristig Geduldeten doppelt so viele Vorsprachen Auf welche Weise eine Ausländerbehörde ihren Ermessens- anfallen müssten. Einige Ausländerbehörden berichteten uns spielraum nutzt, hat auch viel mit ihrem Selbstverständnis jedoch in Hintergrundgesprächen, dass sie diese Regelung zu tun. Sahen sich Ausländerbehörden bis zum Zuwande- in ihrer Praxis bislang nicht umsetzen. Auch das im Sommer rungsgesetz 2005 nahezu ausschließlich als Ordnungsbe- 2016 vom Bundestag verabschiedete „Integrationsgesetz“ hörden, hat sich dies mit einem um Integrationsaufgaben enthält Passagen, die deutliche Mehrarbeit für die Auslän- erweiterten Aufgabenspektrum geändert. Hinzu kommt die derbehörden erwarten lassen. So sollen anerkannte Flücht- Wahrnehmung von Ausländerbehörden als „Visitenkarte“ linge künftig nicht mehr nach drei Jahren, sondern erst nach einer Kommune gegenüber neu zuwandernden Fachkräften frühestens fünf Jahren und bei Vorliegen von Integrations- (SVR 2011). Dieser gewandelte Blick auf die eigenen Aufga- leistungen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhal- ben führte in einigen Kommunen zu Prozessen der Organi- ten. Für die Ausländerbehörden bedeutet dies erstens, dass sationsentwicklung, so beispielsweise in München, Freiberg sie länger mit Menschen zu tun haben, die bei jedem Be- (Sachsen) oder auch im Landkreis Düren (NRW). Die Ent- such in der Ausländerbehörde hoch emotionalisiert sind wicklung von Ausländerbehörden zu einem „Service-Center“ und eine Ausweisung befürchten. Zweitens müssen sie auf- oder gar einer „Willkommensbehörde“ wurde zudem in wändig prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Niederlas- den letzten Jahren durch bundesweite Modellvorhaben sungserlaubnis vorliegen. Dies geht erneut mit Ermessens- (BAMF 2015; Ramm 2012), aber auch auf Initiative von Bun- spielräumen einher. desländern (z. B. gemeinsames Projekt von Rheinland-Pfalz Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass der kom- und Niedersachsen) verstärkt. Die beteiligten Ausländer- munalen Ausländerbehörde auch weiterhin große Bedeutung behörden suchen meist intensiv den Kontakt zu anderen zukommt. Trotz vereinzelter Harmonisierungsbemühungen Kooperationspartner_innen vor Ort. Der Fokus lag dabei in wird dies vermutlich mit einer ungebrochen breiten Varianz den vergangenen Jahren auf der Zuwanderung von Fach- ausländerrechtlicher Praxis einhergehen. kräften, eine verstärkte Kooperationsbereitschaft ist aber auch in der aktuellen Situation bezogen auf Geflüchtete feststellbar. 3.2 UNTERBRINGUNG Im Gegensatz zu solchen überregionalen und eher strate- gischen Vorhaben tauschen sich Ausländerbehörden nur Mit der Weiterverteilung der Geflüchteten aus den Erstauf- punktuell über Auslegungsfragen zu bestimmten ausländer- nahmeeinrichtungen wechselt die Zuständigkeit für die Un-
KOMMUNALE FLÜCHTLINGSPOLITIK IN DEUTSCHLAND 11 terbringung auf die kommunale Ebene. 3 Durch Bundes- und rade in Ballungsräumen häufig der Fall ist, werden sie nach Landesgesetz sind die Kommunen verpflichtet, die ihnen zu- einem landkreisinternen Schlüssel auf die Städte und Ge- gewiesenen Flüchtlinge aufzunehmen, unterzubringen und meinden verteilt, die eine „Anschlussunterbringung“ zur Ver- zu versorgen, wofür sie auf unterschiedliche Weise vom Land fügung stellen. Dieser Zuständigkeitswechsel kann einen finanzielle Erstattungen erhalten (siehe Kapitel 3.10). Ausnah- Ortswechsel gegen den Willen der Geflüchteten (und oft men bilden die Stadtstaaten Berlin und Hamburg, wo auch auch der örtlichen Unterstützerkreise) bedeuten und erste für die weitere Unterbringung und Versorgung die Landesre- Integrationsschritte gefährden. Die meisten Kreise bemühen gierung verantwortlich bleibt, sowie Bayern, wo die Verant- sich, dies in Zusammenarbeit mit ihren Gemeinden zu ver- wortlichkeit (zunächst) bei den Regierungsbezirken liegt (Au- meiden – was jedoch nicht immer gelingt (Gemeindetag müller et al. 2015: 22; zu Bayern siehe STMAS 2016). Baden-Württemberg 2015: 5–6). Welche Kommune wie viele Flüchtlinge erhält, regeln die Länder in eigenen Gesetzen oder Verordnungen, zumeist Sammelunterkünfte vs. dezentrale Unterbringung orientiert sich der Verteilungsschlüssel ausschließlich an der Einwohnerzahl (eine tabellarische Übersicht der Landesrege- Eine dezentrale Unterbringungspraxis – hier verstanden als lungen findet sich bei Geis/Orth 2016: 7). Bei der Zuweisung (private) Wohneinheiten, die sich möglichst breit im Kreis- von Flüchtlingen haben weder diese selbst noch die Kommu- und Stadtgebiet verteilen – wird im wissenschaftlichen Dis- nen ein Mitspracherecht. Die Unterbringung und Versorgung kurs, von Flüchtlingsräten und Integrationsfachleuten nahezu wird ihnen als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung einhellig als erstrebenswerte Option gesehen (Wendel 2014; (siehe Kapitel 2) übertragen. Teilweise erfragen die Landes- Köhnke 2014; Flüchtlingsrat Brandenburg 2016; Diakonie behörden jedoch vorab die Kapazitäten und Wünsche der Deutschland 2014). Humanitäre und integrationspolitische Kommunen und richten die Zuweisungen (z. B. in Bezug auf Überlegungen gehen mit finanziellen Argumenten Hand in Familiengröße und Umzugszeitpunkte) daran aus. Dies be- Hand, denn tendenziell ist eine dezentrale Unterbringung richtet beispielsweise die zuständige Sachgebietsleiterin von auch die kostengünstigere Variante (Aumüller et al. 2015: Brandenburg an der Havel. Die Zuweisungen durch das Land 41–43). 4 Dennoch gibt es unter landes- und kommunalpoliti- Brandenburg erfolgen dort in der Regel nach „Freimeldung“ schen Entscheidungsträger_innen nach wie vor unterschiedli- durch die Kommune. Auch, ob Einzelpersonen oder Familien che Überzeugungen und Ansätze. Als Argumente für größere, kommen, wird zwischen Stadt und Land abgestimmt. zentrale Gemeinschaftsunterkünfte (GU) werden die bessere In der Mehrzahl der Bundesländer ist nur eine kommuna- Erreichbarkeit für die Sozialbetreuung, eine leichtere Orientie- le Verwaltungsebene für die weitere Unterbringung zustän- rung im „geschützten Raum“ (Schöbe 2016) und eine (ange- dig: In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen werden die nommene) Überforderung mancher Flüchtlinge mit dem Flüchtlinge direkt den Gemeinden zugewiesen, in neun wei- selbstständigen Wohnen gesehen (Aumüller et al. 2015: 35– teren Ländern geht die Zuständigkeit auf die Landkreise und 38). Bisweilen besteht das Hauptargument für Sammelunter- kreisfreien Städte über und verbleibt dort. In Ermangelung künfte aber schlicht darin, dass die Gebäude – infolge der einer eigenen Gemarkung bringen natürlich auch die Land- Unterbringungspraxis der 1980er und 1990er Jahre – „nun kreise die Menschen in Städten und Gemeinden unter. Diese einmal da sind und dafür auch gebaut wurden“. 5 haben aber keine formelle Zuständigkeit für die Unterbrin- gung, Versorgung oder Sozialbetreuung der Geflüchteten. Was sagt das Asylgesetz? Gemeinschaftsunterkünfte Hier entsteht bisweilen eine Diskrepanz zwischen faktischer als Soll-Vorschrift Betroffenheit der Gemeinde, deren Mitarbeitende Schwierig- keiten vor Ort zum Teil direkt rückgemeldet bekommen, und Im Asylgesetz heißt es in § 53 Abs. 1: „Ausländer, die einen formeller Zuständigkeit der Landratsämter. Asylantrag gestellt haben und nicht oder nicht mehr verpflich- In Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein werden tet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, sollen in Asylbewerber_innen zunächst auf die Landkreise verteilt, der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht wer- später geht die Verantwortlichkeit für die Unterbringung auf den. Hierbei sind sowohl das öffentliche Interesse als auch die kreisangehörigen Gemeinden über. In Baden-Württem- Belange des Ausländers zu berücksichtigen.“ Weitere Rahmen- berg endet die sogenannte vorläufige Unterbringung durch bedingungen, z. B. Mindeststandards, wie eine Unterkunft die Kreise mit der Anerkennung oder nach spätestens zwei beschaffen sein soll, werden vom Gesetz nicht definiert. Die Jahren. Danach dürfen und sollen sich die Flüchtlinge eine ei- meisten Bundesländer haben daher Aufnahmegesetze erlas- gene Wohnung (bei Bedarf finanziert durch die Jobcenter sen, in denen die Verteilung, Unterbringung und Versorgung nach den Regeln des SGB) suchen. Gelingt das nicht, was ge- von Geflüchteten näher geregelt wird. 6 Dabei schreiben eini- ge Länder die (zumindest vorläufige) Unterbringung in GU vor, andere machen dahingehend keine Vorgaben. 3 Im Laufe des Jahres 2015 wurden zahlreiche neue, landesbetriebene Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) eingerichtet. Das heißt in einer gewach- senen Zahl von Kommunen befindet sich eine große Anzahl von Flüchtlin- 4 Dies gilt allerdings nicht pauschal, sondern hängt von verschiedenen gen, die voraussichtlich nur zwischen einigen Tagen und einigen Monaten Faktoren ab. Insbesondere in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt vor Ort bleiben. Auch wenn die Kommunen für die Erstunterbringung in dürfte die Kalkulation anders ausfallen. Näheres bei Aumüller et al. (2015: den landeseigenen EAE nicht zuständig sind, leben ihre Bewohner_innen 41–43). vorübergehend in der jeweiligen Stadt oder Gemeinde, werden zur Ziel- gruppe von ehrenamtlichem Engagement und nutzen ggf. kommunale In- 5 So eine baden-württembergische Entscheidungsträgerin im Interview. frastruktur. Dies kann eine faktische Herausforderung sein, der Fokus liegt 6 Mit Ausnahme von Berlin und Hamburg. Dort existieren Verordnun- hier jedoch auf der kommunalen Unterbringung. gen und Durchführungsvorschriften.
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