Große Bühne für Lokalredaktionen - Konrad-Adenauer-Stiftung
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Große Bühne für Lokalredaktionen 40 Jahre Deutscher Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung Lokaljournalistenpreis www.kas.de
Impressum Herausgeberin: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. 2020, Berlin Herausgeber und Redaktion: Jochen Blind, Robert Domes Das Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. oder der Rechteinhaber des jeweiligen Beitrags unzulässig. Dies gilt insbesondere, aber nicht ausschließlich, für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Umschlagfoto: © Giuseppe Moro/KAS Bildrechte: S. 2 © Marco Urban/KAS, S. 5 © Sarah Rinka, S. 11 © Mathias Wild, S. 13 © Jürgen Schwarzer, S. 22 Hannah Suppa © Alexander Körner, S. 22 Benjamin Piel © Norbert Erler, S. 23 Jana Klameth © Steffen Klameth, S. 23 Dirk Lübke © Bernhard Zinke, S. 26 Andreas Tyrock © Jakob Studnar/fotopool, S. 26 Magnus Schlecht © Bernhard Zinke, S. 26 Matthias Oberth © Horst Linke, S. 29 © Ronald Bonss, S. 30 © Daniel Drescher, S. 54 © Marc Schulz/HHLab, S. 61 © Matthias Eckert Illustrationen: Astrid Nippoldt/Studio Nippoldt Gestaltung: yellow too Pasiek Horntrich GbR Druck: Copy Print, Berlin Printed in Germany. Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland. ISBN 978-3-95721-775-2
Große Bühne für Lokalredaktionen 40 Jahre Deutscher Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung Herausgeber: Jochen Blind, Robert Domes
20 Demokratie vor Ort Der Deutsche Lokaljournalistenpreis fördert seit 40 Jahren Qualität Prof. Dr. Norbert Lammert Politisches Handeln muss vermittelt, diskutiert und Gerade jetzt in der Corona-Krise moderiert werden. Gerade in den Städten und Gemein- sehen wir – das bestätigt auch das den wird Demokratie gelernt, geübt und gelebt. Dabei Krisenbarometer der Konrad-Ade- erfüllen Lokalredaktionen eine wichtige Scharnierfunk- nauer-Stiftung – ein großes Vertrauen tion: Sie bringen den Menschen Politik nahe, machen der Menschen in die Handlungsfähig- sich zum Anwalt der Bürger, erklären und hinterfra- keit unserer demokratischen und gen demokratische Entscheidungen und setzen sich rechtsstaatlichen Institutionen. Dazu kritisch damit auseinander. Sie ermöglichen es den trägt eine unabhängige und fundiert Menschen mitzureden und teilzuhaben. berichtende Lokalpresse entschei- dend bei. Seit 40 Jahren prämiert der Deutsche Lokaljournalistenpreis daher jene Redaktionen, die mit ihrer Arbeit diese Aufgabe mit besonderer Bravour erfüllen. Längst spricht man von ihm als »Oscar« für Lokalredaktionen. Ein gut konzeptionierter Lokalteil stärkt die kritische Öffentlichkeit, wirkt identitätsstiftend für die Leserinnen und Leser und eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich an der Gestaltung ihres Gemeinwesens zu beteiligen. Der Deutsche Lokaljournalistenpreis leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Vitalität unserer Demokratie. Wir, die Konrad-Adenauer-Stiftung, sind stolz auf den Preis und das Jubiläum. Seit 40 Jahren sind wir bestrebt, dem Lokaljournalismus jene Aufwertung zuteilwerden zu lassen, die er verdient und die er benötigt. Wir möchten die Preisträgerinnen und Preisträger, vor allem aber diejenigen Redaktionen, die dies noch werden wollen, dazu anspor- nen, in ihrer lokaljournalistischen Arbeit Herausragendes zu leisten.
Der Vorsitzende 03 Was das meint, davon zeugt auch der Jubiläumspreisjahr- Ein Jubiläum wie dieses bietet aber immer auch einen gang 2019: die drei Hauptpreise, der Volontärspreis und willkommenen Anlass zurückzublicken, auf die Anfänge des die 14 Nominierten auf der Auswahlliste, die sich unter den Preises und die Menschen dahinter. Seine Entstehung ver- insgesamt 362 Einsendungen durchgesetzt haben. dankt sich glücklichen Umständen ebenso wie guten Ideen von kreativen und tatkräftigen Menschen. Ihnen gebührt Mit dem ersten Preis zeichnet die Jury den Schleswig-Hol- ausdrücklich Dank dafür, dass der Deutsche Lokaljournalis- steinischen Zeitungsverlag für sein multimediales Langzeit- tenpreis ein hohes Ansehen genießt und außergewöhnlich projekt über Gewalt an der Grundschule aus. Es besticht begehrt ist. durch fundierte Recherche, großes Einfühlungsvermögen und klugen Einsatz multimedialer Darstellungsformen, lobt Zuvorderst und namentlich sind Giso Deussen und Dieter die Jury. Der zweite Preis geht an den Zeitungsverlag Waib- Golombek zu nennen. Der 2019 verstorbene Giso Deussen lingen für die Serie zum zehnten Jahrestag des Amoklaufs in hat als Pressereferent der Konrad-Adenauer-Stiftung den Winnenden. Die Zeitung, so die Jury, liefert „ein Lehrbeispiel Preis maßgeblich angestoßen. Dieter Golombek hat das für verantwortungsvollen, professionellen Lokaljournalis- Konzept entwickelt, den Preis 34 Jahre lang betreut und sich mus“. Die Badischen Neuesten Nachrichten – geehrt mit wie kein anderer um ihn verdient gemacht. dem dritten Preis – haben einen Giftskandal aufgedeckt. Die Journalisten recherchierten akribisch und bereiteten das Dank gebührt ebenso den Jurymitgliedern, die über vier komplexe Thema allgemeinverständlich auf. Jahrzehnte hinweg einen hohen Qualitätsstandard durch- gehalten haben, sowie den vielen Mitarbeiterinnen und Eine besondere Auszeichnung verdienen die Volontäre Mitarbeitern der Konrad-Adenauer-Stiftung, die von der der Südwest Presse, der Märkischen Oderzeitung und der Ausschreibung bis hin zur Preisverleihung immer wieder für Lausitzer Rundschau. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls sind einen reibungslosen Ablauf sorgen. Vor allem aber ist den sie der Frage nachgegangen, wie es um das Zusammen- Lokaljournalistinnen und -journalisten zu danken, die mit wachsen von Ost und West heute bestellt ist. Das Ergebnis ihren Einsendungen Jahr für Jahr bewiesen haben, dass sie des Gemeinschaftsprojekts ist ein differenziertes und frisch zu herausragenden Leistungen fähig sind. präsentiertes „Wende-Magazin“. Dafür erhalten sie den Volontärspreis. Der Deutsche Lokaljournalistenpreis hat Qualitätsmaßstäbe gesetzt. Das wird er weiterhin tun. Die preisgekrönten und für den Preis nominierten Arbeiten des Jahres 2019 dokumentieren nicht nur die Qualität und Vielfalt, zu der guter Lokaljournalismus fähig ist; sie zeigen auch, welche wesentliche Aufgabe er in unserer Gesell- schaft hat. Unser Anspruch ist es, dass dies so bleibt – des- halb richten wir mit dieser Publikation zum einen den Blick nach vorn und auf künftige Entwicklungen: Was bewegt die Redaktionen? Welche Innovationen leisten die Medien- häuser? Wie kann unabhängiger Journalismus weiterhin finanziert werden? Und wie steht es um den journalisti- Prof. Dr. Norbert Lammert schen Nachwuchs? Zu diesen und anderen wichtigen Fra- Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. gen haben wir viele gute Gedanken und interessante Ideen Präsident des Deutschen Bundestages a. D. gesammelt.
40 Ein Preis, der die Besten belohnt und alle anderen ermutigt Heike Groll Journalistenpreise gibt es wie Sand Dingen – Vereinsleben, Gemeinde- recht gut anzumerken, unter welchen am Meer. Eine einschlägige Website rat, Dorffest – befassen durften. Ein Bedingungen sie entstanden sein listet weit über 500 für den deutsch- in seiner Verallgemeinerung irriges mögen: ob Zeit für gründliche Recher- sprachigen Raum auf, etliche weitere Vorurteil. Wer Bürgermeister mit che und differenziertes Formulieren von Unternehmen, die keinen höhe- scharfen Kommentaren verärgert, war – oder schnell Platz gefüllt werden ren Anspruch haben als PR für die aufgeblasenen Honoratioren mit musste. Ob hinter einem Projekt eigenen Produkte. Also: Braucht man kritischen Fragen zu Leibe rückt, sich Konzept und Struktur stehen – oder das überhaupt, einen besonderen verständnisvoll der Alltagssorgen von planlos drauflosgearbeitet wurde; ob Preis für Lokaljournalisten? Frau und Herrn Müller annimmt; wer Journalisten sich als Anwälte des Pub- vormittags in Gummistiefeln über likums verstehen – oder sich offizielle Den Deutschen Lokaljournalistenpreis die Baustelle stapft, nachmittags den Verlautbarungen in den Block diktie- gibt es seit 40 Jahren, seit 2013 auch kommunalen Haushaltsplan wälzt und ren lassen. mit einem Extrapreis für Volontäre. sich zwischendurch fürs Interview mit Längst gilt er als einer der wichtigsten einer Koryphäe in ein Fachthema ein- Die Jury sieht beides, bewertet beides und begehrtesten Auszeichnungen liest, weiß: Die wahre Königsklasse ist und legt ihr fachliches Urteil für jeden überhaupt; jährlich bewerben sich um der Lokaljournalismus. nachvollziehbar offen. Seit Beginn die 400 Einsender. Das ist wunderbar agiert sie den Statuten gemäß un- für den Preis und seine Stifterin, die Der Deutsche Lokaljournalisten- abhängig von der Konrad-Adenauer- Konrad-Adenauer-Stiftung – vor allem preis wurde gegründet, um diesem Stiftung, allein die Fachkompetenz jedoch ist es ein eindrucksvoller Spie- viel zu lange unterschätzten Zweig ihrer Mitglieder bildet die Basis der gel für die gewachsene Wertschätzung des Journalismus – in dem aber die Entscheidungen. Wenn der Lokaljour- des Lokaljournalismus generell. meisten Journalistinnen und Journa- nalistenpreis heute „Oscar der Lokal- listen arbeiten – die Anerkennung zu zeitungen“ genannt wird, dann gelingt Die war 1980, vorsichtig gesagt, aus- zollen, die ihm gebührt (und die viele es Jury und Stiftung offensichtlich, baufähig. Dass Lokaljournalismus Gewinner erheblich wichtiger finden diese Rahmenbedingungen glaubwür- preiswürdig sein könnte, war eine als das Preisgeld). dig zu bewahren. ziemlich exotische bis abwegige Idee. Wäre es der Konrad-Adenauer-Stiftung Das bedeutet ausdrücklich nicht, Den größten Beitrag zum Erfolg ausschließlich um ihr eigenes Renom- alles gut zu finden, was in Lokalme- haben aber die Preisträgerinnen und mee gegangen: Sie hätte sich die Sache dien zwischen Flensburg und Passau, Preisträger mit ihren herausragenden damals leichter machen und einfach Aachen und Görlitz stattfindet. Im Arbeiten geleistet. Sie decken die einen weiteren Preis für Edelfedern Gegenteil: Jedes Lob verliert an Wert, Vielfalt dessen ab, was gelungenen aus den großen Zeitungshäusern aus- wenn es aus der Gießkanne regnet. Lokaljournalismus ausmacht: relevan- loben können. Nach wie vor liegt einiges im Argen: te Themen, investigative Recherche, Termin- statt Themenjournalismus, Einbeziehung des Publikums, klare Lokalzeitungen galten als „Käseblät- zu wenig Wächteramt und zu große Orientierung, innovative Umset- ter“, Lokaljournalisten als diejenigen, Nähe zu Entscheidern, zu wenig Ein- zungsformen in Print-, digitalen und die sich mangels höherer Kompetenz ordnung und Kritik. Auch den Einsen- sozialen Medien. mit den vermeintlich unwichtigen dungen für den Wettbewerb ist meist
Die Sprecherin der Jury 05 Die Signale der Bestärkung und Ermutigung, die der Preis aussendet, werden weiterhin notwendig sein. Die ver- gangenen 40 Jahre waren von rasantem technologischem und gesellschaftlichem Wandel geprägt, Ende offen. Für die Medienbranche heißt das: Rückgang der Druckauf- lagen, fortschreitende Digitalisierung, veränderte Me- diennutzung. Wo das Publikum die Wahl zwischen vielen konkurrierenden Angeboten hat, reicht der Aufguss des Altbekannten nicht aus, um ökonomisch und publizistisch erfolgreich zu sein. Dabei ist der Bedarf an professionellem Lokaljournalis- mus ungebrochen. Eine der zentralen Herausforderungen für Journalisten ist die Partikularisierung in der Gesell- schaft. Es ist schwieriger, Themen zu finden, über die alle oder jedenfalls die meisten sprechen können. Zugleich ist die Lokalzeitung vielfach das einzige Medium, das noch aus einem Ort berichtet und wichtige gesellschaftliche Debatten zu initiieren und zu moderieren vermag. Wer gut ist, setzt Maßstäbe und spornt andere an, im Ver- Die Lokalredaktion, die unabhängig und fair recherchiert, gleich lässt sich die eigene Arbeit einordnen und weiter- stellt die Öffentlichkeit her, die unsere Demokratie braucht, entwickeln. Wettbewerbe helfen also auch den (Noch-) um zu funktionieren. Wenn ein Journalistenpreis diejenigen Nicht-Gewinnern, besser zu werden. Für Journalisten ist würdigt, die sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe das per se nichts Neues. Sie setzen sich jeden Tag der Be- tagtäglich stellen, dann würdigt er zugleich das Grundrecht urteilung durch andere aus, Chefredaktionen, Kollegen, der Presse- und Meinungsfreiheit, ohne das eine lebendige Leser. Es liegt in der Natur des Lokaljournalismus, dass Demokratie nicht denkbar wäre. auch die besten Arbeiten oft nur im Verbreitungsgebiet des jeweiligen Mediums bekannt werden. Mit der Auszeichnung Braucht man also einen besonderen Preis für Lokaljourna- durch den Deutschen Lokaljournalistenpreis erhalten die lismus? Unbedingt. Arbeiten eine größere Bühne – branchenintern und darü- ber hinaus. Für die Leserinnen und Leser ist die Ehrung ein wichtiges Signal: „Ihre Lokalzeitung“ leistet offensichtlich Heraus- Heike Groll (Jahrgang 1965) ist Leitende Redakteurin ragendes. Mehr Öffentlichkeit = mehr Aufmerksamkeit = in der Chefredaktion der Volksstimme aus Magdeburg mehr Qualität: Wenn Lokaljournalismus heute spürbar und zuständig für Personalentwicklung in der Redak- positiver wahrgenommen wird als vor 40 Jahren und als tion sowie für redaktionelles Projektmanagement. Feld mit Zukunftspotenzial gilt, dann hat der Lokaljourna- Zuvor war sie nach dem Journalistikstudium in Dort- listenwettbewerb dies wesentlich befördert. mund bei der Leipziger Volkszeitung, bei der Initiative Tageszeitung/„drehscheibe” in Bonn und dem Fränki- schen Tag in Bamberg tätig. Seit 2015 ist sie Sprecherin der Jury.
„Die Inhaberin eines Lottoladens in Zerbst setzte große Summen bei Sportwetten ein. Ein Kollege recherchierte hartnäckig und stieß auf illegale Geschäfte der landeseigenen Lottogesellschaft. An Ungereimtheiten dranbleiben, sie aufdecken und die Leser aufklären – das ist nur eine der vielen Aufgaben und Stärken des Lokaljournalismus.“ Jessica Quick, Ressortleiterin Entwicklung/ Neue Medien/Sonderprojekte bei der Mitteldeutschen Zeitung „Der Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer- Stiftung vereint gute Rezepte, die wir in den Lokal- redaktionen ausprobieren. Gedruckt und digital können wir heute informieren, aufdecken und auch unterhalten – auf Augenhöhe mit der Leserschaft. Mit der richtigen Mischung ist mir um die Zukunft des Lokaljournalismus nicht bange.“ Marc Rath, Chefredakteur der Landeszeitung für die Lüneburger Heide „Im Lokalen steckt die ganze Welt des Journalismus: von der Polizei- meldung bis zur Enthüllungsgeschichte, von der Veranstaltungsnotiz bis zur Reportage. Nirgendwo sind wir näher dran am Geschehen. Und nirgendwo sind wir der seriösen Recherche, der Sorgfalt und dem Leserinteresse mehr verpflichtet. Das ist nichts für Drüberflieger. Guter Lokaljournalismus braucht Bodenhaftung und eine Antenne für das, was die Region bewegt.“ Cordula von Wysocki, Chefredakteurin der Kölnischen Rundschau
07 Inhaltsverzeichnis Demokratie vor Ort Preisträger und Auswahlliste 2019 35 Der Deutsche Lokaljournalistenpreis Wie eine Grundschule gegen Gewalt kämpft fördert seit 40 Jahren Qualität Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag 36 Prof. Dr. Norbert Lammert 2 Amoklauf in Winnenden. Zehn Jahre danach Ein Preis, der die Besten belohnt Zeitungsverlag Waiblingen 38 und alle anderen ermutigt PFC – ein Umweltskandal und seine Hintergründe Heike Groll 4 Badische Neueste Nachrichten 40 Wer sich in der Welt zurechtfinden will, Eine Annäherung an Deutschland muss wissen, was zu Hause geschieht mit Ostblick und Westblick Prof. Dr. Bernhard Vogel 8 Südwest Presse, Märkische Oderzeitung, Lausitzer Rundschau 42 Auswahlliste 44 Geschichte und Hintergrund 9 Wie aus einer PR-Idee eine Erfolgsgeschichte wurde Robert Domes 10 Ausblick 53 Der Mann, der den Preis zu Fehler sind kein Versagen, sie sind Teil des Konzepts seiner Herzenssache machte Joachim Dreykluft 54 Robert Domes 12 Personalentwicklung heißt Perspektiven aufzeigen Zahlen, Daten und Themenkarrieren zum Preis 14 Anke Vehmeier 56 Landkarte der Gewinner 15 Guter Journalismus gehört zur Infrastruktur der Demokratie Blick hinter die Kulissen: So arbeitet die Jury Interview mit Dr. Klaus Meier 58 Heike Groll 16 Es geht darum, die Redaktion neu zu denken Handwerk 19 Robert Domes 60 Die Entdeckung der Langsamkeit Dr. Jost Lübben 20 Service 62 Damit Lokaljournalismus eine Zukunft hat Gedanken über Digitales, Nähe, Preisträger von 1980 bis 2019 63 Relevanz und Recherche 22 Mitglieder der Jury des Deutschen Kreativ für die Kundschaft Lokaljournalistenpreises seit 1980 70 Fünf innovative Beispiele aus den Redaktionen 24 Wir alle haben blinde Flecken Robert Domes 27 Eine tägliche Mischung aus Muss-, Kann- und Soll-Geschichten Interview mit Uwe Vetterick 28 Damit es bei Lesern klick macht: Lokales auf allen Kanälen Jasmin Off 30 Lokaljournalismus in Afrika: Die Welt in die Provinz holen Christoph Plate 32
„Von der Qualität unserer Journalisten lebt unser demokrati- sches Gemeinwesen. Dem deutschen Journalismus verdanken wir ganz wesentlich, dass wir seit 75 Jahren in Frieden und Frei- heit leben. Nicht nur den überregionalen Medien kommt dabei große Bedeutung zu, vor allem von der Qualität des Lokal- journalismus hängt es entscheidend ab, ob wir gut informiert werden, ob wir kontinuierlich erfahren, was vor Ort geschieht und wie die Ereignisse kommentiert werden. Was in unserem Dorf, in unserem Kreis, in unserer Stadt, in den Vereinen, den örtlichen Parteigliederungen, in den Räten geschieht, welche Probleme anstehen und wie sie gelöst werden sollen. Wer sich in der Welt zurechtfinden will, muss wissen, was zu Hause geschieht. Um dem Lokaljournalismus mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu sichern, hat die Konrad-Adenauer-Stiftung vor vierzig Jahren einen Lokaljournalistenpreis ins Leben gerufen. Wegen seiner Einmaligkeit hat er sich bald hohe öffentliche Aufmerksam- keit erworben. Die hohe Zahl der Bewerbungen und die auf- merksame Begleitung der jährlichen Auszeichnung belegt das eindrucksvoll. Ich wünsche dem Deutschen Lokaljournalistenpreis auch im fünften Jahrzehnt seines Bestehens eine gute Auswahl der Preisträger, breite öffentliche Aufmerksamkeit und dass er wei- ter dazu beiträgt, dem Lokaljournalismus seinen gleichberech- tigten Platz innerhalb des deutschen Journalismus zu sichern.“ Prof. Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident a. D., war von 1989 bis 1995 und 2001 bis 2009 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, seit 2010 ist er ihr Ehrenvorsitzender. Geschichte und Hintergrund
100 Wie aus einer PR-Idee eine Erfolgsgeschichte wurde Robert Domes Der Deutsche Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung ist einer der renommiertesten Preise, den Journalisten gewinnen können. Er gilt seit Jahren als „Oscar“ der Branche. Dabei hatten die Erfinder ursprünglich etwas anderes im Sinn. Der Einfall kam Giso Deussen 1978. Dabei gab es auch damals Kolleginnen auszeichnen darf, die als Hauptmerk- Er war Pressechef der Stiftung und und Kollegen mit Engagement und mal das richtige Parteibuch hatten“. sollte sie bekannter machen. Also hohen Ansprüchen. Aber sie waren schlug er dem damaligen Vorsitzen- in der Minderheit und wurden in der Doch auch die Branche musste über- den Bruno Heck die Auslobung eines Branche kaum wahrgenommen. „Die zeugt werden. Einem Preis, der von Lokaljournalistenpreises vor. Am Qualitätsunterschiede zwischen den einer CDU-nahen Stiftung ausgelobt Anfang stand „ein schnödes Motiv. Lokalredaktionen waren dramatisch“, wurde, begegneten viele Redaktionen Es war eine reine PR-Idee“, erinnerte sagt Golombek. Vielerorts waren mit Misstrauen. Deshalb forderte sich Deussen. Und beinahe wäre da- die Redaktionen verflochten mit den Golombek: „Wir müssen Signale in die raus nichts geworden. Denn zur glei- lokalen Eliten, die Blätter bieder und Szene aussenden.“ Das erste war – chen Zeit stand die Idee im Raum, ideenlos. Vor allem aber waren Lokal- und ist es bis heute – eine unabhängi- die Konrad-Adenauer-Stiftung solle redakteure journalistisch gesehen auf ge Jury. Bei ihrer Besetzung hatten die lieber unionstreue Journalisten aus- sich allein gestellt. Ihr beruflicher Ho- Initiatoren ein gutes Händchen. Sie zeichnen. rizont reichte selten über das eigene holten unter anderem den Fernseh- Verbreitungsgebiet hinaus. journalisten Franz Alt, den damaligen Deussen machte sich auf die Suche Stuttgarter Oberbürgermeister Man- nach einem Experten und fand ihn Golombeks Arbeit bei der bpb hatte fred Rommel und den Schriftsteller in Dieter Golombek. Der war Refe- deshalb mehrere Stoßrichtungen. Ver- Walter Kempowski ins Boot. ratsleiter bei der Bundeszentrale für bessert werden sollten: die journa- politische Bildung (bpb) und baute listische Qualität in den Lokalteilen, Die zweite Forderung war eine Doku- gerade ein Fortbildungsprogramm das Ansehen der Kollegen und der mentation. Sie sollte für Transparenz für Lokaljournalisten auf. Auf Bitten Austausch untereinander. Dafür ent- sorgen und Öffentlichkeit herstellen. von Deussen schrieb Golombek ein wickelte er Seminare, gründete die So wurden von Anfang an nicht nur Konzept. Als Bruno Heck diesen journalistische Ideenbörse „dreh- die ausgezeichneten Arbeiten vorge- Entwurf las, soll er irritiert reagiert scheibe“, gab Bücher zum Handwerk stellt, sondern auch jene, die das Sie- haben: Ausgerechnet Lokaljourna- und zu Themen im Lokaljournalismus gertreppchen knapp verfehlt hatten. listen? Muss das denn sein? heraus. Schon die erste Dokumentation aus Die Zweifel von Bruno Heck werden Der Vorschlag eines Preises für die dem Jahr 1980 illustrierte, dass die verständlich, wenn man einen Blick Zunft passte genau in dieses Pro- Jury Arbeiten mit hoher Qualität aus- auf die Branche in dieser Zeit wirft. gramm – und Golombek griff ihn zeichnete. Davon war nicht nur der Ende der 1970er Jahre standen gern auf, allerdings nur unter klaren Vorsitzende Bruno Heck überrascht, Lokaljournalisten auf der untersten Bedingungen. Seine oberste Leit- es hat auch Skeptiker in den Zeitungs- Hierarchiestufe in den Verlagen. Sie linie: „Es wird Qualität ausgezeichnet häusern überzeugt. Seit 2005 heißen waren in der eigenen Zunft nicht gut und nicht Gesinnung.“ Es sei nicht die Dokumentationen „Rezepte für die angesehen und auch nicht in der einfach gewesen, Bruno Heck davon Redaktion“. Der Titel ist Programm. Außenwelt. Dass die Worte Quali- zu überzeugen, so Golombek. Aber Die vorgestellten Arbeiten sollen an- tät und Lokaljournalismus in einem schließlich habe dem Vorsitzenden dere Lokalredaktionen anregen, sich Atemzug genannt wurden, kam eingeleuchtet, „dass man nicht Leute an ihnen zu messen. praktisch nicht vor.
Geschichte und Hintergrund 011 Die Ausschreibung für den Preis aus dem Jahr 1979 war Damit sandte die Jury auch eine Botschaft: Wir zeichnen nicht ohne Pathos, aber sie hat bis heute Gültigkeit. Man nicht einzelne Geschichten aus, sondern Ideen und Kon- wolle durch den Lokaljournalistenpreis „auf die herausra- zepte. Ebenso wurde klar, dass auch kleine Redaktionen gende Bedeutung und die Leistungen dieses Berufsstandes und Einzelkämpfer eine Chance haben. hinweisen“, heißt es da. Und weiter: „In einer von Infor- mationen überfluteten Welt orientiert der Lokalredakteur Die ersten Preisverleihungen fanden in Bonn statt, jeweils den Bürger auf seine eigentliche, sein Leben bestimmende in kleinem Rahmen ohne Publikum. Erst Anfang der 1990er Umwelt, macht sich darin zum Anwalt des Bürgers. Er trägt Jahre kam die Idee auf, am Ort des ersten Preisträgers zu wesentlich dazu bei, demokratische Kultur in unserem feiern. Das erwies sich als Erfolgsrezept. Die Lokalzeitun- Lande zu pflegen und weiterzuentwickeln.“ gen nutzten die Gelegenheit, sich in Szene zu setzen. Und auch die Stiftung konnte sich gut präsentieren. Insgesamt 143 Kolleginnen und Kollegen fühlten sich an- gesprochen und schickten Artikel, Serien und Projekte ein. Allerdings herrschte nicht immer helle Freude über die „Wenigstens 20 davon waren in hohem Maße preiswürdig“, Auszeichnung. Golombek erzählt, dass sich besonders schreibt Heck im ersten Vorwort. in den ersten Jahren immer wieder Lokalpolitiker und Abgeordnete aus der CDU beklagten, weil ausgerechnet Bezeichnend ist, dass die Jury im ersten Preisjahrgang aus- „ihre“ Stiftung eine unbequeme Lokalredaktion würdigte. schließlich bürgernahe Redaktionskonzepte auszeichnete. Golombek hielt dagegen, ein lammfrommer Lokaljourna- So bekamen die Lübecker Nachrichten für ihre Stadtteil- lismus verfehle seine Aufgaben. Bruno Heck ist dieser Auf- aktionen den ersten Preis. Die Redaktion fuhr in die Vor- fassung gefolgt und hat solche Proteste stets energisch orte, um sich mit den Bürgern über ihre Nöte, Sorgen und abgewehrt. Wünsche zu unterhalten. Auch der zweite (Rheinische Post Geldern) und dritte Preis (Stuttgarter Nachrichten) wurde Noch heute ist Golombek glücklich darüber, dass die Stif- für eine lesernahe Lokalberichterstattung vergeben. tung ihm und der Jury diese Unabhängigkeit und Freiheit eingeräumt hat. So ist aus der ursprünglichen PR-Idee eine Erfolgsgeschichte geworden – für den Lokaljournalis- mus, aber auch für die Stiftung selbst. Robert Domes (Jahrgang 1961) ist freier Journalist und Autor. Er war 17 Jahre lang Lokalredakteur der Allgäuer Zeitung, zuletzt als Redaktionsleiter. Seit 2002 arbeitet er selbständig als Referent und Dozent in der journalistischen Aus- und Fortbildung, als Autor für verschiedene Medien und als Schriftsteller.
120 Der Mann, der den Preis zu seiner Herzenssache machte Robert Domes Golombek schrieb nicht nur das Kon- zept für den Wettbewerb und formu- lierte den Text für die Ausschreibung. Er legte auch die Regeln fest, suchte geeignete Kolleginnen und Kollegen für die Jury und warb in den Redak- tionen für den Preis. Von Anbeginn an fungierte er als Sprecher der Jury, er las jede Einsendung und gab sein dezidiertes Urteil dazu ab. Und dieses Urteil hatte hohes Gewicht in den Jurysitzungen. Nach der Entscheidung formulierte er die Begründungen, und er schrieb vom ersten Jahr an die Dokumentationen zur Preisverleihung. Dass Dieter Golombek den Lokal- journalistenpreis über 34 Jahre lang begleitete, ist eine glatte Untertrei- bung. Er formte und gestaltete ihn. Zu seinem Abschied 2014 nannten ihn die Zeitungen „Mister Lokaljournalismus“. Zu Recht. Denn kaum einer hat mehr für Qualität und Professionalität im Lokaljournalismus geworben als er. Auch wenn die Idee für den Deutschen Lokaljourna- Wie kommt jemand dazu, als Mentor listenpreis nicht von Dieter Golombek stammt, so ist nicht nur einzelne Kollegen zu fördern, er doch der Vater dieses Kindes. Er hat es gepflegt und sondern gleich eine ganze Branche gehütet, hat es vor schlechten Einflüssen beschützt und unter seine Fittiche zu nehmen? Eine großgezogen. Ein Blick auf den Mann hinter dem Preis. Antwort darauf lässt sich in der Bio- grafie und in der Haltung Golombeks Dieter Golombek war 38, als er 1979 die Anfrage der finden. Konrad-Adenauer-Stiftung bekam, sich Gedanken über einen Lokaljournalistenpreis zu machen. Damals ahnte er Er wird 1941 im Osten Oberschlesiens nicht, dass dieser Preis eine Lebensaufgabe werden würde. (heute Polen) geboren. Als Kind wird Im Nachhinein ist das allerdings nicht verwunderlich. Denn er mit der Familie vertrieben, landet der Mann neigt dazu, Angelegenheiten, an denen sein Herz in einem Dorf nahe Augsburg. Dort hängt, mit großer Intensität und Nachdruck zu betreiben. erlebt er eine Kindheit, die er als „arm, aber glücklich“ beschreibt. Nach dem Abitur studiert er Geschichte und Romanistik und verlässt die Uni als promovierter Historiker. 1969 tritt er eine Stelle als Referatsleiter bei der Bundeszentrale für politische Bildung
Geschichte und Hintergrund 013 Und sie dürften ihre Aufgabe nicht vergessen, durch Aufklärung, Orientie- rung, Einordnung „die Welt verstehbar“ zu machen. Redaktionen, die diese Rolle einnehmen, sind in den 40 Jahren seit Bestehen des Preises immer wieder ausgezeichnet worden. Der Preis ist stets auch eine Botschaft an Die erste Preisverleihung 1980 fand im kleinen Kreis statt. Das Gruppenbild zeigt andere Redaktionen: Konzeptionelles Preisträger und Jurymitglieder mit dem Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Denken lohnt sich. Golombek: „Gerade Rommel (hinten Mitte), der als Laudator fungierte. für schwierige Themen braucht die Redaktion Engagement und Fachwis- sen und Zeit. Das gilt für die meisten an und bleibt diesem Arbeitgeber bis Journalisten sollen Anwälte der Bürger preisgekrönten Geschichten.“ zum Ruhestand treu. Schon hier zeigt sein. Das schreibt Golombek schon sich seine Beharrlichkeit. Dieselbe 1980 in die Dokumentation des ersten Verantwortungsbewusstsein, Respekt Ausdauer beweist er beim Aufbau des Preisjahrgangs. Er wiederholt diesen und vor allem Mut sind für Golombek Lokaljournalistenprogramms. Er lässt Anspruch in den Folgejahren unermüd- Eigenschaften, ohne die ein Journalist sich von Widerständen und Fehlschlä- lich. Und er setzt sich dafür ein, dass nicht auskommt. Denn: „Demokratie gen nicht beirren. Die von ihm entwi- immer wieder Redaktionen ausgezeich- braucht den informierten Bürger, der, ckelten Seminare gibt es noch heute. net werden, die sich zum Anwalt der weil er weiß, um was es geht, zum Leserinnen und Leser machen. Aber, Mitdenken und Mitmachen bereit ist.“ Bei all dem ist Golombek ein Huma- betont er zugleich, „auf keinen Fall zum Das mag pathetisch klingen. Doch nist durch und durch. Er hat einmal Anwalt von Stammtischparolen“. Golombek weiß nicht nur als Histori- erklärt, dass einer der Leitsätze in ker, was eine Diktatur anrichten kann. seinem Leben heißt: „Sei ein Fragen Golombek richtet das Augenmerk Er hat es als Kind am eigenen Leib steller und kein Antwortgeber.“ Das der Zunft gern auf die sogenannten erfahren. ist nicht nur ein persönliches Motto, kleinen Leute. Ihnen sollen die Jour- sondern zugleich eine Maxime, an der nalisten zuhören, ihren Alltag in den Deshalb hat er den Lokaljournalisten- sich Journalistinnen und Journalisten Blick nehmen. Denn bei ihnen kom- preis mit einem höheren Ziel ver- orientieren sollten. Wenn sie das tun, men politische Beschlüsse letztlich an. knüpft. Weil es um mehr geht als um und wenn sie es gut tun, ist ihre Arbeit Diese Entscheidungen müssen erklärt gute, schöne, wichtige Geschichten. für Golombek „das Lebenselixier einer und diskutiert werden. Golombek Weil der Preis mehr ist als eine Ver- freiheitlichen Demokratie“. betont: „Ohne die Orientierungskraft beugung vor der Arbeit der Kollegin- von Lokalzeitungen hängt die soge- nen und Kollegen. Weil er hineinreicht Diese Demokratie muss bewahrt, ver- nannte große Politik in der Luft.“ bis ins Wurzelwerk unserer demokrati- teidigt und immer wieder neu gelernt schen Kultur. und geübt werden. Daran lässt Golom- Er erinnert die Kolleginnen und bek nie einen Zweifel. Ein hohes Gut ist Kollegen immer wieder daran, dass Er selbst hat es so beschrieben: „Gute für ihn die Unabhängigkeit der Presse. sie einen wichtigen Auftrag haben: Journalisten helfen den Lesern, sich Allerdings hat er nichts übrig für Schul- „Lokalredaktionen managen eines der zurechtzufinden in dieser komplizier- meister und Besserwisser. Vielmehr kostbarsten Güter der Demokratie: ten Welt. Sie machen den mündigen schätzt er, wenn sich Journalistinnen Öffentlichkeit.“ Indem sie Öffentlich- Bürger möglich, weil sie ihn teilhaben und Journalisten als Dienstleister ver- keit herstellen, erfüllen sie eine Schlüs- lassen an den Debatten in unserer stehen. Er mahnt eine Tugend an, die selrolle in der Gesellschaft. Zugleich Demokratie.“ gerade in der Medienwelt nicht sehr warnt er vor Hochmut. Journalisten häufig gepflegt wird: Demut. dürften sich nicht als vierte Gewalt Vielleicht hat er den Preis deshalb zu betrachten, „sie sind nicht Richter, seiner Herzenssache gemacht. sondern Wächter“.
140 Zahlen, Daten und Themenkarrieren zum Preis Der Deutsche Lokaljournalistenpreis hat eine Menge Quali- Doppel-Gewinner tät gefördert. Das zeigen nicht nur die Arbeiten, die in den Die Zahlen machen auch deutlich, dass die Trauben für 40 Jahren ausgezeichnet wurden, sondern schon allein die diesen Preis sehr hoch hängen. Nur wenige Zeitungshäuser Zahlen. Hier eine Übersicht. haben in den 40 Jahren den ersten Preis zwei Mal gewonnen: > Flensburger Tageblatt/sh:z, 1999 und 2019 Die Landkarte der Gewinner zeigt, dass kleine Landredak- > Freie Presse, Chemnitz, 2015 und 2018 tionen ebenso eine Chance haben wie gut ausgestattete > Hamburger Abendblatt, 2007 und 2012 Großstadtmedien. Bis zum Erscheinungsjahr 1988 wurden > Leipziger Volkszeitung, 2002 und 2015 nur Redaktionen in Westdeutschland ausgezeichnet. Nach > Mainzer Rhein-Zeitung, 1987 und 1989 dem Fall der Mauer ging der Preis sofort auch in die neuen > Oberhessische Presse, 1986 und 1993 Bundesländer. Gleich für die Veröffentlichungen im Jahr > Sächsische Zeitung, 2013 und 2015 1989 gab es einen Hauptpreis für die Mitteldeutschen Neu- > Zeitungsverlag Waiblingen, 1985 und 2006 esten Nachrichten in Leipzig. Themenkarrieren 14.000 Einsendungen erreichten die Jury in den vergange- Vor allem in den Anfangsjahren wurden Redaktionskon- nen 40 Jahren. zepte ausgezeichnet, die die Leser miteinbeziehen. Mobile Redaktionen, die auf die Dörfer, in die Stadtteile fuhren, 120 davon haben es auf das Siegertreppchen geschafft und Foren und andere Leserveranstaltungen. Ebenso waren einen der drei Hauptpreise gewonnen. immer wieder Erklär- und Servicekonzepte preiswürdig. Hintergrundberichte zu Kommunalpolitik, zu Wahlen, Ver- 350 Redaktionen wurden mit einem Sonderpreis bzw. seit braucherserien. Damit haben die Redaktionen Standards vergangenem Jahr einem Platz auf der Auswahlliste aus- gesetzt, die heute in nahezu allen Häusern üblich sind. gezeichnet. In den 1980-er Jahren haben Redaktionen ihren Horizont 300 Bewerbungen gab es für den Sonderpreis für Volon- erweitert und nationale Themen heruntergebrochen. Kar- täre, der seit 2013 vergeben wird. riere machten die Themenbereiche Arbeitslosigkeit (Armut, soziale Notlagen), Ausländer (Gastarbeiter, Minderheiten) 14 Volontärsarbeiten wurden bisher mit einem Sonderpreis und Umwelt (Waldsterben, Naturschutz, Müllprobleme). für den Nachwuchs ausgezeichnet. In den 1990-er Jahren entdeckten Redaktionen historische Themen. Geschichte wird lokal aufbereitet, vor allem an Top Ten: Jahrestagen: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, Diese Redaktionen haben in den 40 Jahren die meisten mehr und mehr die Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Preise gewonnen (Haupt- und Sonderpreise; Preise für einzelne Lokalredaktionen werden den Stammhäusern Seit den 2000ern halten vermehrt gesellschaftliche The- zugerechnet): men Einzug in die Lokalteile. Vor allem der demografische > Zeitungsverlag Waiblingen (12) Wandel beschäftigt die Redaktionen, ebenso Gesundheit > Augsburger Allgemeine (11) und Heimat. > Berliner Morgenpost (11) > Braunschweiger Zeitung (10) In den letzten zehn Jahren greifen die Redaktionen ver- > Der Tagesspiegel (9) stärkt den großen Bereich der Lebenshilfe auf: Alter und > General-Anzeiger, Bonn (9) Pflege, Patientenverfügungen und Pflegestufen, Demenz > Stuttgarter Zeitung und und Betreuung, Schule und Kindergarten. Stuttgarter Nachrichten (9) > Badische Zeitung (8) Mehr und mehr machen sich Redaktionen zum Anwalt der > Heilbronner Stimme (8) Leser, nehmen ihr Wächteramt wahr, bieten Service, Tests > Rhein-Zeitung (8) und Beratung in Alltagsfragen. Vor allem aber gibt es einen Trend zum investigativen Journalismus. Redaktionen brin- gen unangenehme Dinge ans Licht der Öffentlichkeit. In den letzten Jahren werden mehr Skandalthemen ausgezeichnet.
Geschichte und Hintergrund 015 Landkarte der Gewinner Die Karte zeigt die Zeitungen, die von 1980 bis 2019 mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurden. 1999 und 2019 Flensburger Tageblatt/sh:z Flensburg 1990 Greifswald Greifswälder Tageblatt 1980 Lübeck 2005 Lübecker Nachrichten Elmshorn Elmshorner Nachrichten 2007 und 2012 Hamburger Abendblatt Hamburg 2016 2009 Lüneburg Landeszeitung für die Lüneburger Heide Weser-Kurier Bremen 1994 Berliner Morgenpost 1996 2008 Berlin Neue Presse Hannover Braunschweiger Zeitung 1998 Braunschweig Deister- und Weserzeitung 1999 Hameln Magdeburg Volksstimme Magdeburg 1997 Göttinger Tageblatt 1982 Menden Göttingen 2002 und 2015 Mendener Zeitung Leipzig Leipziger Volkszeitung 2013 und 2015 Dresden Sächsische Erfurt Zeitung 2012 Chemnitz 1986 und 1993 Thüringer Allgemeine 2011 Bonn Oberhessische Presse 2015 und 2018 General-Anzeiger Bonn Marburg Freie Presse 1983 Gelnhausen Gelnhäuser Tageblatt 1987 und 1989 Mainzer Rhein Zeitung 1984 2003 Bayreuth Nordbayerischer Kurier Trierischer Bad Kreuznach 1995 Volksfreund Trier Oeffentlicher Anzeiger Saarbrücken 2001 1992 Heilbronn Saarbrücker Zeitung Heilbronner Stimme 1985 und 2006 Stuttgart Zeitungsverlag Waiblingen 2017 Waiblingen Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten Göppingen 2004 Neue Württembergische Zeitung 1991 Gäubote Herrenberg 2014 Sindelfinger 1981 Südwest Presse Sindelfingen Zeitung/ Böblinger 2000 Zeitung Ulm München Süddeutsche Zeitung Konstanz 1988 2010 Allgäuer Zeitung Südkurier Marktoberdorf
160 Blick hinter die Kulissen: So arbeitet die Jury Heike Groll Jurysitzungen sind streng vertrauliche Veranstaltungen. Aber die Arbeits- weise der Jury ist keineswegs geheim. Im Gegenteil: Transparenz gehört bei der Vergabe des Lokaljournalistenpreises von Anfang an zum Prinzip. Hier einige Einblicke in das Prozedere – vom Eingang der Bewerbungen bis zur Bekanntgabe der Gewinner. Ist blau besser als gelb? Absurde notieren Namen und Kontaktdaten Beim Lokaljournalistenpreis geht es Frage. Aber im Grunde genau die, vor der Bewerber, helfen den Einsendern, daher nicht um Masse, sondern um der die Jury des Deutschen Lokaljour- die Fragen oder technische Proble- Qualität. Bis zur Jurysitzung, die meist nalistenpreises steht: Wie vergleicht me haben. Sie kopieren die Beiträge, im Mai stattfindet, gilt es nun, alle man Dinge, die nicht vergleichbar die nicht online verfügbar sind, und Einsendungen zu sichten, zu beurtei- erscheinen? Wie fischt man aus sorgen dafür, dass die Jurymitglieder len, zu sortieren. Wieder zu sichten, Hunderten Bewerbungen die heraus, am Ende ein wohlgeordnetes und zu beurteilen, feiner zu sortieren. die einen der drei Hauptpreise, den übersichtliches Paket bekommen. Erneut – je nach Medienträger – zu Volontärspreis oder einen Platz auf lesen/schauen/hören, zu bewerten, der Auswahlliste (bisher: Kategorien- Neben dieser großzügigen Unter- auszusieben. preise) erhalten sollen? stützung mischt sich die Stiftung in die Arbeit der Jury nicht ein. Diese Am Ende steht eine Auswahl von Im Schnitt 400 Einsendungen trudeln Zurückhaltung gehört seit 40 Jahren 40 bis 50 Arbeiten, die in der Sitzung jedes Jahr gegen Ende Januar für den zu den Prinzipien der Preisvergabe der Jury intensiver diskutiert werden. Wettbewerb ein, früher als Papier- und ist auch in den sogenannten Ver- Diese Sitzungen sind streng vertrau- post in etlichen gelben Postkisten, fahrensgrundsätzen festgelegt. In der lich, verraten sei: Es ist faszinierend, heute fast alle digital auf dem Online- Jury sitzt neben vier Journalisten auch wie sich die unterschiedlichen und Bewerbungsportal. Manche Bewer- je ein Vertreter aus Verlag, Kommu- zuweilen höchst kontroversen Pers- ber kommen bescheiden mit zwei, nalpolitik und Stiftung. Alle in der pektiven der sieben Juroren nach und drei Seiten und kurzem Anschreiben Gruppe orientieren sich ausschließ- nach auf eine gemeinsame Entschei- daher, andere schicken ausgefeilte lich an der journalistischen Qualität dung hinbewegen. Es funktioniert so Dossiers mit ausführlicher Konzept- der Bewerbungen. gut, weil alle engagiert für ihre Favori- beschreibung nebst einer beängsti- ten kämpfen und zugleich bereit sind, gend umfangreichen „kleinen Aus- Erste Aufgabe der Jury: die aufwen- sich von guten Argumenten überzeu- wahl aus unserer Berichterstattung“. dige Verpackung honorieren – die gen zu lassen. Einsender haben sich viel Mühe gege- Bevor die Jury sich an die Arbeit ben –, sich davon aber nicht blenden Hin und wieder sieht oder liest man machen kann, muss die Fülle an lassen. Die Jury muss der Tatsache ge- eine Arbeit und hat sofort das be- Material erst einmal sortiert und recht werden, dass Lokalredaktionen rühmte Wow-Gefühl: ungewöhnlich, geordnet werden. Dafür gebührt sehr unterschiedlich ausgestattet sind. überzeugend, toll gemacht! Doch hält ein großer Dank den hilfreichen Eine gut besetzte Großstadtredaktion der spontane Eindruck der genauen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat andere Möglichkeiten als die kleine Prüfung stand? Worauf achtet die der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie Landredaktion oder der Einzelkämp- Jury, was sind ihre Beurteilungskrite- erstellen umfangreiche Excel-Listen, fer. Das Potenzial für hervorragenden rien? Die lassen sich, ohne Anspruch Journalismus haben sie alle. auf Vollständigkeit, in folgende Blöcke einteilen.
Geschichte und Hintergrund 017 Block 1: Art der Einsendung. Ist es zum Beispiel ein Ein- zelbeitrag oder ein Dossier? Handelt es sich um eine konti- nuierliche Berichterstattung? Geht es um eine Aktion oder Initiative? Eine investigative Recherche? Welche Kanäle werden genutzt? Print, Online, Soziale Medien, sonstiges? Block 2: Rahmenbedingungen. Ist es eine individuelle Einzel- oder eine Teamleistung? Wie groß und gut/weniger gut ausgestattet ist die Redaktion? Welcher personelle, or- ganisatorische, zeitliche, finanzielle Aufwand steckt hinter dem vorgelegten Beitrag? Block 3: Themenwahl und -führung. Ist das gewählte Thema für die jeweilige Region relevant? Ist es neu, oder wird ein bekanntes Thema auf ungewöhnliche Art ange- gangen? Werden Aspekte aufgegriffen, die man so noch nicht gelesen hat? Wenn die Jury ihre Arbeit getan hat, kommt für die Sprecherin der schönste Teil: Die Vergabe der Preise. Hier freut sich Heike Block 4: Publikumsperspektive. Wie konsequent hat die Groll mit den Preisträgerinnen Katja Grundmann und Anna Redaktion die Fragen und Interessen des Publikums im Sprockhoff (von links). Die Autorinnen der Lüneburger Landes- Blick? Wie werden Leserinnen und Leser, Zuschauerinnen zeitung erhielten 2017 den ersten Preis. und Zuschauer, Hörerinnen und Hörer angesprochen, ein- gebunden bzw. zum Mitmachen angeregt? Block 5: Journalistisch-handwerkliche Umsetzung. Egal, wie hitzig die Diskussion war, am Ende der Jurysitzun- Stimmt der Aufbau, ist ein roter Faden erkennbar? Werden gen stehen die Sieger fest. Anschließend werden die Be- alle wichtigen Perspektiven berücksichtigt? Wie sorg- gründungen für die Entscheidungen formuliert, und auf die fältig wurde recherchiert? Welche Quellen genutzt? Gibt Juryvorsitzende wartet eine besonders schöne Pflicht: die es exklusive Rechercheergebnisse? Schließlich, je nach Anrufe bei den Preisträgerinnen und Preisträgern kurz vor den spezifischen Möglichkeiten des gewählten „Ausspiel- der offiziellen Bekanntgabe. Die reagieren, je nach Natu- kanals“, die Präsentation: Welche – auch innovativen – rell, mit spontanem Jubel, sprachloser Überraschung oder Darstellungsformen und Genres wurden genutzt? Sind bescheiden-zurückhaltender Freude. Und dürfen zu Recht Print, Digital, Online, Soziale Medien verzahnt – oder aus stolz darauf sein, in einem der härtesten Wettbewerbe für nachvollziehbaren Gründen auf bestimmte Formen be- Journalisten mit Spitzenleistungen überzeugt zu haben. schränkt? Ist das Layout bzw. Design ansprechend? Passen Sprache und Stil zum jeweiligen Sujet? Block 6: Redaktionelles Marketing, insbesondere bei Serien und größeren Projekten. Wie wird das Pro- jekt publik gemacht bzw. ist es als solches erkennbar? Wie ist die Serienführung (zum Beispiel mit Logo und Inhaltsübersicht)? Block 7: Resonanz. Gab es nachweisbare Reaktionen aus Heike Groll ist Sprecherin der Jury. dem Publikum (zum Beispiel Abos, Reichweite und Ver- weildauer, Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen?)
„Mit Geschehnissen aus meiner Umgebung verbinde ich ein starkes Identitätsgefühl, da ich oft selbst davon betroffen bin. Deshalb ist es wichtig, lokale Themen zu stärken und ihnen ausreichend Platz in der Berichterstattung zu geben.“ Eva-Maria Schauer, Reporterin beim Lokalfernsehsender KraichgauTV und Stipendiatin der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung „Politik und Demokratie fangen im Lokalen an. Lokalzeitungen zeigen auf, dass man mitgestalten und selbst aktiv teilhaben kann. Deshalb ist für mich die größte Aufgabe im Lokaljournalismus, die Menschen vor Ort zu erreichen, damit sie ihr Potenzial als Bürger eines demokratischen Staates voll nutzen können.“ Kristoffer Fillies, Freier Journalist (Neue Westfälische, Westfalen-Blatt, Welt) und Stipendiat der JONA der Konrad-Adenauer-Stiftung „Lokaljournalismus bedeutet für mich, ganz nah bei den Menschen zu sein. Die Themen auf das Lokale herunterzubrechen und den Menschen zu erklären, was es genau für ihren Lebensalltag bedeutet, das schafft nur Lokaljournalismus!“ Simon Lanzerath, Reporter bei Radio Erft und Stipendiat der JONA der Konrad-Adenauer-Stiftung
„Der Lokaljournalismus ist sehr wichtig, weil dort die Geschichten erzählt werden, die die Tagesschau nicht bringt – Geschichten aus der Nachbarschaft, der eigenen Region und aus der Heimat. Ohne gute Lokaljournalisten und -journalistinnen würde niemand diese Geschichten lesen, hören oder sehen, obwohl sie das verdienen.“ Joschua Greiten, Moderator beim NRW-Lokalradio Siegen und Stipendiat der JONA der Konrad-Adenauer-Stiftung „Lokaljournalismus ist unverzichtbar, weil er die Menschen unmittelbar erreicht und betrifft. Ob die Würdigung der 100-jährigen Oma, die Wahl der Vorsitzenden eines Musik- vereins oder der neueste Aufreger aus der Gemeinderatssitzung. Das sind die Neuigkeiten, die viele Menschen am Frühstückstisch bewegen.“ Silas Schwab, Freier Journalist (Badische Zeitung, Stuttgarter Zeitung/Nachrichten) und Stipendiat der JONA der Konrad-Adenauer-Stiftung Handwerk
200 Die Entdeckung der Langsamkeit Dr. Jost Lübben Das Tempo, in dem Veränderungen stattfinden, wird immer höher. Doch Redaktionen sind dem nicht hilflos ausgesetzt. In der Dynamik steckt auch eine große Chance. Ein Plädoyer für mehr Teamgeist, Kreativität, Diversität und Mut. Wie soll es nur weitergehen mit der So viel ist sicher. Eine vollständige In der Krise spüren wir eine vollkom- Entwicklung des Lokaljournalismus? Rückkehr in das Vergangene wird es men neue Anerkennung für hoch- Mit mehr Tempo. Das ist mal sicher. nicht geben. Die zukünftige Redaktion wertigen Lokaljournalismus. Auf der Beginnen wir deshalb mit einer wird ein Hybrid sein, eine Mischung Suche nach seriösen Informationen provokanten Arbeitshypothese: So aus Präsenz und Mobilität. Wenn stoßen die Menschen wieder auf die langsam wie bisher wird die Trans- Geschäftsführungen daraus den Quellen, die man Qualitätsmedien formation unserer journalistischen Schluss ziehen, dass Büros schrump- nennt. Die Reichweite vervielfacht Arbeitswelt nie mehr verlaufen. fen können, greift das zu kurz. Denn sich teilweise, es werden signifikant der Anspruch an eine zeitgemäße mehr E-Paper-Abos abgeschlossen. Das hat Corona gezeigt. Von heute Ausstattung wächst. Wenn wir künftig Und – wann gab es das zuletzt? – bei auf morgen räumen zahllose kleine weniger Zeit gemeinsam im Büro ver- nicht wenigen Titeln übersteigen die und große Redaktionen ihre Stand- bringen, muss das gesamte Setting Zugänge in der gedruckten Auflage orte und ziehen ins Homeoffice. Von den intensiven Austausch im Team die Abgänge. heute auf morgen geschieht etwas, unterstützen. was über Jahrzehnte monolithisch Lokalzeitungen sind auch ein Aus- unveränderbar schien: Die tägliche Eine moderne Lokalredaktion, auch in druck des Vertrauens in unsere Ge- Telefonschalte verliert ihre Daseins- der Fläche, darf nicht mehr den Geist sellschaft. Das ist der fundamentale berechtigung. Zoom, Cisco und ande- der 90er Jahre atmen. Sie braucht Unterschied zu den sogenannten re Videokonferenz-Systeme werden Raum für das neue Miteinander, soll Alternativmedien, die für ein tiefes Alltag. Das mobile Arbeiten von zu Kreativität fördern und auf junge Misstrauen gegenüber dem demo- Hause und anderswo hält unter Kolleginnen und Kollegen zeitgemäß kratischen Staat stehen – und allen, schwierigsten Bedingungen Einzug. und nicht abschreckend wirken. Das die ihn repräsentieren. Dieses Ver- Arbeitsumfeld gehört zum Recruiting. trauen der Menschen dürfen wir nicht leichtfertig verspielen, müssen es uns täglich immer wieder neu verdienen, uns Kritik stellen, Recherche transpa- rent machen, Fehler eingestehen und korrigieren. Vor allem gilt: unaufgeregt reagieren, wenn wir uns angegriffen fühlen. Denn diejenigen, die unabhängigen Journalismus ablehnen, sind in den vergangenen Jahren nicht mehr ge- worden, aber wesentlich lauter. Darin liegt eine Ansteckungsgefahr. Redaktionen stehen Hilfsmittel zur Verfügung, die es noch vor Kurzem nicht gab. Dashboards liefern Infor- mationen darüber, welche unserer Geschichten gelesen werden, wie lange die Nutzer dabei bleiben, ob
Handwerk 021 sie über Facebook oder Google kommen und ein Abo abschließen oder nicht. Die kluge Nutzung und Interpreta- tion von Daten hilft, journalistische Arbeit besser zu ma- „Eine moderne Lokalredaktion, chen und Interessenten leichter zu erreichen. Daten und auch in der Fläche, darf nicht mehr Dashboards sind Mittel zum Zweck. Mehr jedoch nicht. Eine schwache Geschichte erhält nicht dadurch mehr Ge- den Geist der 90er Jahre atmen. Sie wicht, dass wir sie durch Echobox pushen. Die Form darf braucht Raum für das neue Mitein- niemals den Inhalt dominieren. ander, soll Kreativität fördern und Die Auseinandersetzung mit neuer Technologie und Daten- auf junge Kolleginnen und Kollegen analyse verlangt den Redaktionen viel ab. Die Transforma- zeitgemäß und nicht abschreckend tionsdynamik birgt die Gefahr, dass sie sich in den kom- menden Jahren in zwei Gruppen aufteilen – die Wissenden wirken.“ und jene, die hervorragende Journalisten sind, aber den permanenten technologischen Neuerungen im Verlag nicht mehr folgen können oder wollen. Das darf nicht passieren. Wir stehen noch immer vor der Aufgabe, den Anteil der Kolleginnen zu erhöhen. Das gilt besonders für Führungs- Das Tempo der Entwicklung in einer Gesellschaft oder positionen. „Diversität im Newsroom“ aber geht viel einer Organisation wird stets von den Langsamen be- weiter. Unterschiedliche Orientierungen und Identitäten stimmt. Ihnen muss nun das besondere Augenmerk gel- gehören zum Alltag. Es geht darum, gesellschaftliche Nor- ten. Neue Formen von Weiterbildungen sind nötig, Webi- malität in all ihrer Vielfalt abzubilden, um unsere Arbeit nare helfen, Schulungen klassischer Prägung sind wirklich seriös zu machen. von gestern. Es hilft sehr, Redaktionen so zu organisieren, dass erfahrene Kolleginnen und Kollegen mit jungen in Das sollte schließlich eine breitere politische Debatte in Teams arbeiten. den Newsrooms und damit in den Produkten einschließen. Die Kritik mancher Leserinnen und Leser, der postulierte Das Thema Diversität ist nicht nur in den urbanen Zentren Wunsch nach mehr „neutraler Information“ ihrer Zeitung, bedeutend und wird existenziell. Auch in den Städten und hat eine Ursache darin, dass sie bestimmte – oft konser- Gemeinden in der Fläche erleben wir längst eine enorme vative – Positionen vermissen. Hier lohnt es sich, über die Vielfalt an Kulturen. In manchen Städten – nicht nur im eigene Echokammer der Redaktion nachzudenken. Ruhrgebiet – liegt der Anteil der Menschen mit Migrations- hintergrund bei weit über 30 Prozent. In den Redaktionen Redaktionen, die das wertvolle Format des Pro-und-Kon- bilden wir das nur selten ab. tra-Kommentars durchgängig und problemlos besetzen können, gehören eher zur Ausnahme als zur Regel. Das können wir ändern. All das verbessert unsere journalistischen Möglichkeiten Dr. Jost Lübben ist seit Anfang 2015 Chefredakteur und die Chancen, neue Zielgruppen anzusprechen. Am der Westfalenpost und der Westfälischen Rundschau. Ende lebt eine Demokratie davon, dass wir jeden Tag auf Er studierte an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Menschen treffen, die eine andere Meinung haben. Das Oldenburg Geschichte und Wirtschaftswissenschaften tut allen gut. und promovierte in Geschichte. Von 2005 bis 2014 war er Chefredakteur der Nordsee-Zeitung, der Zevener Zeitung und der Kreiszeitung Wesermarsch; zuvor unter anderem Leitender Projektredakteur. Lübben arbeitet mit beim Journalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung und hat einen Lehrauftrag an der Hochschule Bremerhaven. Seit 2018 ist er Mitglied der Jury des Deutschen Lokaljournalisten- preises. Kontakt: T +49 2331 917-4261 j.luebben@westfalenpost.de
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