AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Gaming - Bundeszentrale für politische Bildung

 
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AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Gaming - Bundeszentrale für politische Bildung
69. Jahrgang, 31–32/2019, 29. Juli 2019

    AUS POLITIK
UND ZEITGESCHICHTE
      Gaming
     Daniel Martin Feige                             Daniel Heinz
   KLEINE PHILOSOPHIE                       JUGENDMEDIENSCHUTZ
   DES COMPUTERSPIELS                         UND DIGITALE SPIELE
     Felix Zimmermann                            Yasmina Banaszczuk
 (NOT) MADE IN GERMANY?                        TOXIC GAMING –
     ANNÄHERUNGEN                            RASSISMUS, SEXISMUS
     AN DIE DEUTSCHE                           UND HATE SPEECH
   DIGITALSPIELBRANCHE                        IN DER SPIELESZENE
      Robin Streppelhoff               Andreas Hedrich · Christiane Schwinge
  WETTKAMPF-GAMING:                       CREATIVE GAMING –
  SPORT ODER SPIELEREI?                ZUM SUBVERSIVEN POTENZIAL
                                            DIGITALER SPIELE

                  ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE
                       FÜR POLITISCHE BILDUNG
              Beilage zur Wochenzeitung
AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Gaming - Bundeszentrale für politische Bildung
Gaming
                                    APuZ 31–32/2019
DANIEL MARTIN FEIGE                                 DANIEL HEINZ
KLEINE PHILOSOPHIE DES COMPUTERSPIELS               JUGENDMEDIENSCHUTZ UND DIGITALE SPIELE
Computerspiele folgen in vielerlei Hinsicht einer   Zeitgemäßer Jugendmedienschutz kann nicht
Marktlogik. Dennoch schließt das ihre prinzi-       ausschließlich durch gesetzliche Regelungen
pielle Kunstfähigkeit nicht aus. Eine ästhetische   gewährleistet werden, er funktioniert nur
Perspektive auf sie einzunehmen heißt, sie als      im Zusammenspiel von Regulierung und
je besondere Gegenstände zu würdigen. Denn          Befähigung und ist eine gesamtgesellschaftliche
tatsächlich sind längst nicht alle Kunst.           Aufgabe – erst recht bei Computerspielen.
Seite 04–08                                         Seite 25–33

FELIX ZIMMERMANN                                    YASMINA BANASZCZUK
(NOT) MADE IN GERMANY?                              TOXIC GAMING –
ANNÄHERUNGEN AN DIE DEUTSCHE                        RASSISMUS, SEXISMUS UND HATE SPEECH
DIGITALSPIELBRANCHE                                 IN DER SPIELESZENE
Deutschland ist der wichtigste europäische          Stereotype in Games befeuern Sexismus und
Absatzmarkt für digitale Spiele. Die deutsche       Rassismus – und Hate Speech ist unter manchen
Branche profitiert jedoch nur zu einem kleinen      Spielefans gang und gäbe. Zwar hat sich seit
Teil davon. In den vergangenen Jahren hat sie       den ersten öffentlichen Debatten einiges getan,
aber an Stellenwert gewonnen und erfreut sich       um für diese Themen zu sensibilisieren, doch es
wachsender politischer Unterstützung.               bleibt noch viel zu tun.
Seite 09–16                                         Seite 34–39

ROBIN STREPPELHOFF                                  ANDREAS HEDRICH · CHRISTIANE SCHWINGE
WETTKAMPF-GAMING: SPORT ODER SPIELEREI?             CREATIVE GAMING –
Im aktuellen Koalitionsvertrag von 2018             ZUM SUBVERSIVEN POTENZIAL DIGITALER SPIELE
wurde vereinbart, E-Sport als eigene Sportart       Games sind hervorragende Türöffner, um
anzuerkennen und zu unterstützen. Doch die          pädagogische, gesellschaftliche und kreative
ausbleibende Umsetzung zeigt, dass das Thema        Prozesse zu initiieren. Das funktioniert nicht
gesellschaftlich und politisch noch immer stark     zuletzt deshalb so gut, weil Spielen konstitutiv
umstritten ist.                                     für das Menschsein ist und der Regelbruch dabei
Seite 17–23                                         eine essenzielle Rolle einnimmt.
                                                    Seite 40–46
EDITORIAL
Jeden Tag vernetzen sich weltweit mehrere Tausend Menschen, um gemeinsam
oder gegeneinander abenteuerliche Aufgaben zu meistern, Fantasiewesen zu
bekämpfen, die Fußballweltmeisterschaft zu gewinnen oder virtuelle Landschaf-
ten zu erschaffen. Auch immer mehr Deutsche verbringen Teile ihrer Freizeit
spielend vor einem Bildschirm, sei es zu Hause an einer Konsole oder unterwegs
mit einem mobilen Gerät. Und es sind keineswegs ausschließlich Kinder und
Jugendliche, die „zocken“: Laut Branchenverband Game ist der durchschnittli-
che deutsche Gamer etwa 36 Jahre alt – und in 47 von 100 Fällen eine Gamerin.
Mit der Verbreitung gehen nicht nur größere gesellschaftliche Akzeptanz und
Rezensionen in Feuilletons einher, sondern vor allem auch steigende Umsätze:
Der deutsche Markt für digitale Spiele ist der fünftgrößte der Welt.
   Von der Spiellust profitieren zwar in erster Linie ausländische Entwickler,
aber als Wirtschaftsfaktor und Treibhaus technischer Innovationen ist die
Gaming-Branche auch für die deutsche Politik zunehmend interessant gewor-
den. So haben CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag 2018 eine Bundesför-
derung „zur Entwicklung hochwertiger digitaler Spiele“ vereinbart, „um den
Entwicklerstandort Deutschland zu stärken“. Zudem wurde die Anerkennung
des E-Sports „als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht“ in Aussicht
gestellt. Die Realisierung ist jedoch ungewiss: Nachdem 2019 erstmals 50 Millio-
nen Euro für die Förderung der Branche bereitgestellt wurden, ist dieser Posten
im Haushaltsentwurf für 2020 nicht mehr enthalten. Und die Anerkennung des
wettkampfmäßigen Computerspielens als Sport bleibt stark umstritten.
   Ein Thema, das im Zusammenhang mit digitalen Spielen zu den Dauerbren-
nern gehört, ist der Jugendmedienschutz. Während in den 1990er und 2000er
Jahren vorwiegend noch über kriegsverherrlichende Inhalte und „Killerspiele“
diskutiert wurde, geht es heute zuvorderst um die Anpassung bestehender
Regelungen an die mobile und international vernetzte Medienrealität. Auch
über problematische Bindungsfaktoren und das Suchtpotenzial von Spielen wird
zuletzt vermehrt gesprochen. Ob es dabei hilfreich ist, dass die Weltgesundheits-
organisation „Gaming Disorder“ jüngst als eigenständige Diagnose eingestuft
hat, bleibt abzuwarten.

                                                  Johannes Piepenbrink

                                                                               03
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                                                ESSAY

                        KLEINE PHILOSOPHIE
                        DES COMPUTERSPIELS
                        Zur Ästhetik digitaler Spiele
                  im Spannungsfeld von Ideologie und Kunst
                                      Daniel Martin Feige

Wurde das Computerspiel in den 1980er Jahren         gefährlich wie die ehemals verbreitete pauschale
noch als exotisches Hobby technikaffiner Ju-         Verurteilung des Mediums. Ich möchte also kei-
gendlicher gehandelt, ist das Spielen auf Tablets,   neswegs in Zweifel ziehen, dass viele Computer-
Handys, PCs und Konsolen mittlerweile un-            spiele ein durchaus problematischer Teil der Un-
problematischer Teil der Alltagskultur und die       terhaltungsindustrie sind, ebenso wie ich nicht
Games-Branche eine der umsatzstärksten Unter-        in Zweifel ziehen möchte, dass es viele Compu-
haltungsindustrien geworden.01 Im Zuge seiner        terspiele gibt, über die sinnvoll im Kunstkontext
gestiegenen gesamtgesellschaftlichen Relevanz        diskutiert werden kann. Aber wie alle ästheti-
haben sich die bis in die 2000er Jahre hinein mit-   schen Medien – vom Film über die Fotografie bis
unter hitzig geführten medialen Debatten um das      zur Literatur und Musik – ist das Computerspiel
Computerspiel deutlich abgekühlt: Hatte bereits      kein homogenes Medium. Viele Computerspiele
2003 die Bundesprüfstelle für jugendgefährden-       sind nur eine Verlängerung der Arbeitswelt, die
de Medien nach dem Amoklauf am Gutenberg-            in Form von gamification mittlerweile selbst be-
Gymnasium in Erfurt im April 2002 den First-         gonnen hat, computerspieltypische Verfahrens-
Person-Shooter „Counter-Strike“ (2000) wider         weisen zu integrieren, etwa durch Punktesysteme
Erwarten nicht auf den Index gesetzt, erklärte       oder zu erreichende Level. Andere Computer-
Olaf Zimmermann, der Vorsitzende des Deut-           spiele hingegen handeln das, was ein Computer-
schen Kulturrats, Computerspiele 2008 zu Kul-        spiel überhaupt ist, in Form einer Selbstthemati-
turprodukten. In jüngster Zeit werden sie nicht      sierung ihrer eigenen Medialität derart neu aus,
nur vermehrt in Feuilletons besprochen, sondern      dass sie zu spielen heißt, ein neues Verständnis
sie wandern auch zunehmend in Museen, und die        unserer selbst als Spielende zu gewinnen – was
Frage nach ihrem Kunststatus wird oft sehr rasch     es lohnenswert macht, sich mit ihnen als Kunst
zu ihren Gunsten beantwortet. Wurde ehedem           auseinander­zusetzen.
das Computerspiel wie vormals der Film oder
der Comic als schmuddeliges, potenziell gefähr-                          MARKT
liches Produkt der Unterhaltungskultur gesehen,                        UND ARBEIT
wird es heute oftmals gleichberechtigt neben dem
Film, der Malerei und der Literatur eingegliedert.   Mit den Debatten um Computerspielsucht, die
    Mit den folgenden Überlegungen geht es mir       freilich nur in Bezug auf bestimmte Spiele nach-
darum, diese beiden Alternativen – Computer-         vollziehbar sind (nämlich in Bezug auf solche, die
spiele allesamt als potenziell schädliches Produkt   die Spielenden durch Design und Belohnungs-
der Unterhaltungsindustrie zu verstehen oder sie     systeme abhängig machen können),02 also keines-
allesamt der Kunst zuzuschlagen – zurückzu-          wegs das Medium als Ganzes betreffen, werden
weisen. Ich halte eine vorschnelle Adelung des       jüngst differenziertere und ernster zu nehmen-
Computerspiels, wie sie heute nicht allein von       de Kritikpunkte an Computerspielen artikuliert
der Computerspieleindustrie, sondern auch von        als zu Beginn des Jahrtausends, als noch viel von
Teilen des Feuilletons befördert wird, für ebenso    „Killerspielen“ die Rede war. Die Diskussionen

04
Gaming APuZ

um diesen polemischen Kampfbegriff – beför-                         geflügelten Wort geworden ist. Auch „Grand
dert durch eher exotische Spiele wie „America’s                     Theft Auto III“ (2001) war so erfolgreich, dass
Army“ (2002), die weniger dem Training des                          seine grundlegenden Spielmechaniken in vielen
Waffengangs als einer beispielhaften Darstellung                    anderen Spielen aufgegriffen wurden.
soldatischen Zusammenhaltes dienen sollten –                            Nicht das Experimentieren mit selbstgenügsa-
waren schon deshalb wenig zielführend, weil                         men Formen ist also der Motor der Entwicklung
in ihnen vielfach die Medialität des Computer-                      des Computerspiels, sondern – in seinen Distri-
spiels übergangen wurde:03 Sowohl der Gedanke,                      butions- und Produktionsmechanismen mit dem
dass wir beim Computerspielen unbemerkt to-                         Blockbuster-Film vergleichbar – der Markt: Die
xische soziale Verhaltensweisen lernen, als auch                    Standardisierung folgt dem Gesetz von Angebot
der Gedanke, dass mit fortschreitenden techni-                      und Nachfrage. Das heißt: Was sich gut verkauft,
schen Möglichkeiten eine Verwechslungsgefahr                        wird als Standard übernommen; oder es wird ver-
von Realität und Spiel drohe, ist irrig. Der erste                  sucht, einen neuen Standard zu etablieren. Bereits
Gedanke verwechselt menschliches Handeln mit                        die frühen Spielhallenspiele, deren grundsätzliche
dem Verhalten dressierter Hunde; der zweite Ge-                     Struktur darauf ausgerichtet war, dass die Spie-
danke übersieht, dass ein Spiel zu spielen immer                    lenden möglichst viele Münzen in den Automa-
heißt, zu wissen, dass man ein Spiel spielt. Ganz                   ten stecken, haben ans Plagiat grenzende Kopien
gleich, wie sehr man vom Spielgeschehen absor-                      anderer Hersteller nach sich gezogen.
biert sein mag: Nichts von dem, was die Lust am                         So wie es neben dem Blockbuster- auch das In-
Spiel ausmacht, wäre erklärbar, wenn tatsächlich                    dependent-Kino gibt, haben sich Computerspie-
die Gefahr drohte, hier kognitiv den Faden zu                       le vor allem durch den Aufschwung der digitalen
verlieren.                                                          Vertriebswege weiter ausdifferenziert (besonders
    Eine Kritik des Computerspiels muss an ei-                      markant befördert durch die Online-Plattform
ner anderen Stelle ansetzen und kann sich dabei                     Steam): Während um die Jahrtausendwende vor
auf Theodor W. Adornos und Max Horkheimers                          allem Großproduktionen dominierten, hat sich
klassische Analyse der Kulturindustrie beru-                        inzwischen eine Szene kleinerer Entwicklerstu-
fen, in der sie geltend machten, dass vermeintlich                  dios gebildet, die – ähnlich wie zu den Anfangs-
selbstgenügsame Produkte der Unterhaltungsin-                       zeiten des Computerspiels – in kleinen Teams
dustrie Ausdruck problematischer gesamtgesell-                      versuchen, neue Spielkonzepte aus der Taufe zu
schaftlicher Verhältnisse sind.04 Nicht erst die                    heben. Man sollte sich aber nicht täuschen: Ent-
Kontroversen um sogenannte lootboxes in Spie-                       sprechende Independent-Games erfüllen im Rah-
len wie „Star Wars: Battlefront 2“ (2017), die für                  men des derzeitigen Computerspielemarktes ein
kleinere Echtgeldbeträge zufällige Spielgegen-                      präzises Kalkül. Sind sie das Gegenmodell zu
stände enthalten und zu Recht im Zusammen-                          den Großproduktionen, sind sie gleichwohl dia-
hang mit Glücksspielen diskutiert worden sind,                      lektisch auf diese angewiesen, um sich ihnen ge-
zeigen, dass Computerspiele vor allem eines sind:                   genüber als Alternative zu profilieren. Und genau
etwas, womit sich viel Geld verdienen lässt. Aus                    wie für den Bereich des Independent-Films gilt:
diesen kommerziellen Interessen heraus wird                         Mag es hier mitunter besonders zündende ästhe-
auch die starke Standardisierung im Bereich des                     tische Gegenstände geben, so ist die Produktions-
Computerspiels erklärlich: Das unter anderem                        weise doch noch keineswegs ein Garant für die
mit „Assassin’s Creed“ (2007) geprägte Game-                        Qualität der Gegenstände.
Design hat so massiv in fast alle Produktionen                          Die Prinzipien des Marktes bestimmen nicht
des Spieleentwicklers Ubisoft Eingang gefunden,                     allein die Produktion und Distribution von
dass die Redeweise von der Ubisoft-Formel zum                       Computerspielen, sondern auch ihre Nutzung.
                                                                    Zugespitzt könnte man sagen, dass viele Com-
01 Siehe hierzu auch den Beitrag von Felix Zimmermann in dieser     puterspiele ein „training for the job“ in der Frei-
Ausgabe (Anm. d. Red.).                                             zeit sind: In Strategiespielen geht es immer auch
02 Vgl. in diesem Sinne Daniel M. Feige, Computerspiele. Eine       um die effiziente Nutzung von Ressourcen, in
Ästhetik, Berlin 2015, S. 90 ff.
                                                                    Actionspielen um die Optimierung der eigenen
03 Vgl. Stephan Günzel, Egoshooter. Das Raumbild des Compu-
terspiels, Frank­furt/M. 2012, S. 48 ff.
                                                                    Spielweise, und in jüngeren Open-World-Spie-
04 Vgl. Theodor W. Adorno/Max Horkheimer, Dialektik der Auf-        len und Online-Rollenspielen wird der Spiel-
klärung. Philosophische Fragmente, Frank­furt/M. 1988, S. 128 ff.   fortschritt vielfach durch monotone Tätigkei-

                                                                                                                    05
APuZ 31–32/2019

ten erreicht. So muss man etwa beim Spielen von                  Gewalt vieler Computerspiele liegt nicht darin,
„Far Cry 5“ (2018) die Spielwelt immer wieder                    dass sie gewalttätige Handlungen zeigen oder als
akribisch nach sammelbaren Gegenständen ab-                      Mittel von Spielhandlungen anbieten oder for-
suchen, um bestimmte Aufgaben zu erledigen,                      dern. Die eigentliche Gewalt liegt vielmehr in der
so wie man schon bei frühen Rollenspielen wie                    binären Logik von Gut und Böse, Freund und
„Wizardry“ (1981) mit zufällig auftauchenden                     Feind, sodass Computerspiele, die nicht mit Ge-
Monstern konfrontiert wurde, die man wieder-                     waltdarstellungen operieren, manchmal gewalttä-
holt bekämpfen musste, um später auch nur den                    tiger sein können als diejenigen, die das nicht tun.
Hauch einer Chance gegen stärkere Monster zu                     Neben dem „Was“ ist deshalb auch immer das
haben. Es ist dann kein Wunder, dass Spielen-                    „Wie“ der Darstellung zu ­thematisieren.
de andere Spielende für das stundenlange Sam-
meln spielinterner Ressourcen oder seltener Ge-                                  DAS BESONDERE
genstände mit echtem Geld bezahlen – etwa im                                     WERTSCHÄTZEN
Fall des Online-Rollenspiels „World of War-
craft“ (2004) – oder auch komplette Accounts                     Habe ich durch meine bisherigen Überlegungen
verkauft werden, wenn ein bestimmtes Level                       die ideologischen Dimensionen vieler Compu-
erreicht ist – beispielsweise im Fall von „Poke-                 terspiele offengelegt und dadurch die Einseitig-
mon Go“ (2016). Es handelt sich hier um For-                     keit dieser Spiele betont – und damit auch ge-
men sublimierter Arbeit, und die Aufwendung                      zeigt, dass die meisten von ihnen dem eigenen
von echtem Geld ist die Entlohnung dieser virtu-                 Anspruch, das Computerspiel als kulturell re-
ellen Arbeit. Insofern könnte man in diesem Zu-                  levantes Medium zu bestimmen, nicht gerecht
sammenhang – als Gegenstück zur gamification                     werden – so sind diese Überlegungen natür-
der realen Welt – gar von einer laborification der               lich selbst einseitig. Wie ich bereits festgehal-
Spielewelten sprechen.                                           ten habe, gibt es nicht die eine Art und Weise,
     Angesichts dieser Diagnose sollte man Ab-                   auf die etwas ein Computerspiel ist. Vielmehr ist
schied nehmen von dem Gedanken, dass das Spie-                   das Computerspiel wie alle ästhetischen Medi-
len von Computerspielen aus der Tradition des                    en nicht homogen, sondern in sich differenziert:
ästhetischen Spielbegriffs heraus erläutert werden               Neben seichten Unterhaltungsprodukten hat
kann,05 ohne seine immanente Dialektik in den                    das Hollywood-Kino auch Kunstwerke hervor-
Blick zu nehmen: Was aus der Perspektive der                     gebracht; sind einige Independent-Filme schale
Spielenden ein selbstgenügsames Geschehen sein                   Experimente, so sind andere kraftvoller ästheti-
mag und als von jeder weiteren sozialen und po-                  scher Ausdruck. Das Gelingen solcher Filme als
litischen Dimension entkoppelt erscheint, kann                   Kunstwerke ist dabei nichts, was sich als Formel
durchaus soziale Funktionen erfüllen und poli-                   abbilden ließe – die Filme des Regisseurs Wong
tische Aspekte aufweisen. Die unter dem Hash-                    Kar-Wai gelingen anders als die des Regisseurs
tag #Gamergate geführte Kontroverse um Frau-                     Michael Haneke.
enbilder in Videospielen06 und die Diskussionen                      Wegen ihrer Ausdifferenziertheit und ihres
um den gewalttätigen Umgang mit einer fiktiven                   prozessualen Charakters lassen sich ästhetische
Frauenrechtlerin in „Red Dead Redemption 2“                      Medien nicht in einem herkömmlichen Sinne de-
(2018) zeigen an, dass Computerspiele keines-                    finieren. Dass das Computerspiel anders als der
wegs von gesamtgesellschaftlichen Debatten ge-                   Film ein interaktives Medium sei, ist aufgrund der
trennt werden können.                                            abstrakten Allgemeinheit dieser These letztlich
     Ebenso wenig ist es bereits Ausdruck einer                  falsch. Denn das, was uns Spiele jeweils zu tun
progressiven Haltung, wenn in Spielen nur auf                    erlauben, ist in unterschiedlichen Genres und so-
„die Bösen“ geschossen wird.07 Die eigentliche                   gar einzelnen Spielen so verschieden, dass der Be-
                                                                 griff „Interaktion“ als Kennzeichnung einer Me-
05 Vgl. Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des   diendifferenz nicht viel taugt. Und warum sollten
Menschen, Stuttgart 2000; Johan Huizinga, Homo Ludens, Reinbek   wir überhaupt von interagieren sprechen, wenn
2015.
                                                                 wir üblicherweise sagen, wir spielen ein Compu-
06 Siehe hierzu den Beitrag von Yasmina Banaszczuk in dieser
Ausgabe (Anm. d. Red.).
                                                                 terspiel? Es ist schlicht eine verschrobene Rede-
07 Vgl. am Beispiel von „Call of Duty“ (2010) auch Ian Bogost,   weise, zu behaupten, man interagiere mit einem
How to Talk about Videogames, Minneapolis 2015, Kapitel 10.      Computer oder einem Spiel; Interaktionen finden

06
Gaming APuZ

in allen Dingen, die wir tun, unter bestimmten                     ren ästhetischen Medien trennscharf unterschei-
Beschreibungen statt.                                              det, sondern vielmehr durch einen Blick darauf,
    Es geht mir hierbei um folgenden Punkt:                        wie sich das Medium entwickelt hat und mit ei-
Was es heißt, ein Computerspiel zu spielen, ge-                    ner Sensibilität dafür, dass diese Entwicklung of-
winnt je nach Genre und Spiel einen anderen                        fen ist.
Sinn. So kann man im First-Person-Shooter
„Doom“ (1993) nicht nur mehr machen als in ei-                                         ÄSTHETISCHES
nem interaktiven Movie-Spiel wie „Phantasma-                                            SCHEITERN
goria“ (1995), sondern man macht schlichtweg
ganz andere Dinge. Eine ästhetische Perspekti-                     Diese Bemerkungen zu einer Medienästhetik
ve auf Computerspiele einzunehmen, heißt auch,                     des Computerspiels widersprechen nicht meiner
dass man ein Computerspiel nur dann verstehen                      knappen Analyse der ideologischen Dimension
kann, wenn man es tatsächlich spielt oder jeman-                   vieler Computerspiele – dass nämlich das, was
dem beim Spielen zuschaut und schon weiß, was                      vermeintlich Freizeitvergnügen ist, in Wahrheit
es heißt, solche Spiele zu spielen – so wie man                    nur eine Verlängerung der Arbeitswelt ist. Die
ein Gemälde nur dann verstehen und beurteilen                      ideologische Dimension ließe sich vielmehr als
kann, wenn man es betrachtet und nicht nur da-                     eine besondere Weise des Scheiterns der ästheti-
von erzählt bekommt. Romane muss man Le-                           schen Dimension erläutern. Das impliziert auch
sen, Filme schauen, Computerspiele spielen – es                    folgende These: Dass Computerspiele in einer
ist eine grundsätzliche ästhetische Lektion, dass                  Beschreibung als lohnendes Geschäft verstanden
es nichts gibt, was diese Art von Gegenstands-                     werden können, schließt nicht prinzipiell aus,
bezug ersetzen kann, weil es in solchen Gegen-                     dass sie in einer anderen Beschreibung durchaus
ständen immer auch darum geht, wie sie etwas                       als gelungene ästhetische Gegenstände gewür-
zeigen und gestalten, und nicht nur darum, was                     digt werden können. Ganz wie im Hollywood-
sie zeigen. In ästhetischen Gegenständen ist die                   Blockbuster kann es sein, dass die Produktion
Art und Weise der Darstellung der Schlüssel zum                    solcher Gegenstände durchaus von kommerziel-
Verständnis des Dargestellten.08                                   len Interessen geprägt ist, dass dabei aber etwas
    Eine ästhetische Perspektive auf Computer-                     hervorgebracht wird, was nicht in diesen Inte-
spiele einzunehmen heißt also, sie als je beson-                   ressen aufgeht, und mehr noch: was manchmal
dere Gegenstände zu würdigen.09 So darf eine                       sogar eine andere Logik entwickelt als diese In-
medienästhetische Perspektive eben nicht so aus-                   teressen. Um einer zu stark ideologischen Les-
buchstabiert werden, dass sie nach Wesenseigen-                    art des Computerspiels den Wind aus den Segeln
schaften vom Computerspiel im Kontrast zum                         zu nehmen, kann man zudem auf die vielfältigen
Film und zur Literatur sucht. Das Computer-                        partizipativen Eingriffe in Code oder Oberflä-
spiel ist keine Untergattung des Films oder der                    che des Spiels durch die Spielenden selbst ver-
Literatur – aber worin der Unterschied genau be-                   weisen: Durch Modifikationen oder komplette
steht, das wird von jedem ästhetisch relevanten                    Umarbeitungen, die Produzenten als lebensver-
Computerspiel neu ausgehandelt. Dieser Gedan-                      längernde Maßnahmen unter kommerziellen Ge-
ke macht erst verständlich, dass Computerspiele                    sichtspunkten oft ermöglichen, bringen sich die
in vielfältiger Weise ästhetische Verfahrenswei-                   Spielenden selbst in grundlegende Strukturen
sen des Films, der Literatur und auch der Musik                    bestimmter Spiele ein. Zudem gibt es viele Spie-
aufnehmen, ohne dadurch als eigenständiges Me-                     le, die gerade nicht in der Weise gespielt werden,
dium verwässert zu werden.10 Kurz gesagt: Das,                     wie sie gedacht waren; am bekanntesten sind hier
was das Computerspiel ist, lässt sich nicht durch                  sicher sogenannte speedruns, bei denen versucht
eine abstrakte Definition klären, die wesentliche                  wird, ein Spiel so schnell wie möglich durchzu-
Eigenschaften benennt und es dadurch von ande-                     spielen.11
                                                                       Was bedeutet es nun, dass das Computerspiel
                                                                   ein kunstfähiges Medium ist? Dass Elemen-
08 Vgl. auch Arthur C. Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen.
Eine Philosophie der Kunst, Frank­furt/M. 1991, insb. Kapitel 7.
09 Vgl. weitergehend dazu Daniel M. Feige, Design. Eine philoso-   11 Zu weiteren Formen des potenziell subversiven Gebrauchs
phische Analyse, Berlin 2018, Kapitel 4.                           von Computerspielen siehe den Beitrag von Andreas Hedrich und
10 Vgl. Feige (Anm. 2), Kapitel 3.2.                               Christiane Schwinge in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

                                                                                                                              07
APuZ 31–32/2019

te von Computerspielen oder Computerspiele           nicht durchweg so, dass es eine Einheit von Spiel-
insgesamt in Kunstpraktiken integriert werden        geschehen und Themen geben muss – im Gegen-
können, ist unstrittig. So dringt etwa die von       teil: Das Verfahren synchroner Parallelisierun-
Joan Heemskerk und Dirk Paesmans als Netz-           gen verschiedener und unverbundener Elemente
kunstduo „Jodi“ veröffentlichte Arbeit „SoD“         ist aus anderen Künsten bekannt – aber die meis-
(2000) – eine Code-Modifikation des First-Per-       ten Computerspiele dringen gar nicht bis zu der
son-Shooters „Spear of Destiny“ (1992) aus der       Ebene vor, dass sie durch künstlerische Verfah-
„Wolfenstein“-Reihe – gewissermaßen hinter           ren zum Nachdenken anregen, weil sie in klassi-
die ästhetische Oberfläche des Shooter-Bildes        schen Erzählweisen und Spielmechanismen ver-
und lässt ebenso reflexive wie aus der Perspek-      haftet bleiben.
tive habitualisierter Spielhandlungen tendenziell
unverständliche Computerspielbilder entstehen.                       KUNSTFÄHIGKEIT
Obwohl hier nicht länger räumliche Verhältnis-
se zu sehen sind, kommt man nicht umhin, ent-        Computerspiele als Kunstwerke zu betrachten,
sprechende Verhältnisse hineinzulesen.12 „SoD“       heißt, sie als eigenlogische Aushandlungen ih-
ist insofern ein Kunstwerk, als es uns in eine       rer Elemente zu begreifen, die die Spielenden
Selbstthematisierung unserer Spielhandlungen         durch den Nachvollzug einer solchen Aushand-
nicht zuletzt hinsichtlich der Frage verwickelt,     lung in ihren Überzeugungen und Orientierun-
wie es um die codeförmige Unterseite von Spie-       gen zugleich neu aushandeln. Darin unterschei-
len und ihr Verhältnis zum Sicht- und Hörba-         det sich das Computerspiel nicht grundsätzlich
ren steht.                                           von anderen Künsten, von denen es zehrt und die
    Damit ist bereits ein wesentliches Moment        seit seiner Entstehung zugleich von ihm zehren.
der Kunstfähigkeit des Computerspiels wie auch       Denn ein solches Reflexionsgeschehen leistet je-
anderer ästhetischer Medien benannt: Computer-       des gelungene Spiel als Kunstwerk in je eigener
spiele als Kunstwerke verwickeln uns in eine The-    Weise.
matisierung unserer selbst als Spielende, indem          Nach den hier vorgestellten Überlegungen
sie ihre eigenen Elemente und Strukturen thema-      spricht nichts dagegen, dass das Computerspiel
tisieren. Plakativer ausgedrückt: Das Spielen von    ein kunstfähiges Medium ist. Welche Compu-
Computerspielen wird hier ein Durchspielen un-       terspiele Kunstwerke sind und welche in die-
serer selbst; im Medium der Spielerfahrung re-       ser Hinsicht gelingen oder scheitern, ist eine of-
flektieren wir unsere wesentlichen Orientierun-      fene Frage, die immer nur im kollektiven Streit
gen und Verständnisse.                               der Spielenden und unter Einbezug ihrer Erfah-
    Für die Tiefe und Wichtigkeit von Kunst ist      rungen mit diesen Spielen beantwortet werden
deshalb auch nicht entscheidend, dass sie „tie-      kann. Dass aber etwas an dem Gedanken proble-
fe“ Themen aufgreift. Wer an einen First-Per-        matisch ist, dass alle Computerspiele der Kunst
son-Shooter eine Rahmenhandlung anklebt, in          zuzuschlagen sind und sie grundsätzlich vom
der irgendwelche moralischen Dilemmata thema-        Verdacht jeglicher Ideologie zu befreien wären –
tisiert werden, die aber nichts mit dem eigentli-    das hoffe ich zugleich mit der Verteidigung der
chen Spielgeschehen zu tun haben, oder wer ein       Kunstfähigkeit des Computerspiels gezeigt zu
Geschicklichkeitsspiel mit Streichern unterlegt      haben.
und in Pastellfarben inszeniert, produziert nicht
mehr als ein missglücktes Kunstwerk. So ist etwa
fraglich, ob das viel diskutierte „Detroit: Be-
come Human“ (2018) nicht gerade deshalb trotz        DANIEL MARTIN FEIGE
der relevanten Themen, die es anschneidet (etwa      ist Professor für Philosophie und Ästhetik unter
die Frage nach dem ethischen Unterschied zwi-        besonderer Berücksichtigung des Designs an
schen Mensch und Maschine), kolossal scheitert,      der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste
weil es diese Themen letztlich nicht hinreichend     Stuttgart. Er ist Autor der Bücher „Computerspiele.
auf das Spielgeschehen selbst bezieht. Es ist zwar   Eine Ästhetik“ und „Design. Eine philosophische
                                                     Analyse“, die 2015 und 2018 bei Suhrkamp
12 Siehe das Video „Jodi SOD“, www.youtube.com/      erschienen sind.
watch?v=24KQiy0U_Uk.                                 daniel.feige@abk-stuttgart.de

08
Gaming APuZ

                 (NOT) MADE IN GERMANY?
        Annäherungen an die deutsche Digitalspielbranche
                                       Felix Zimmermann

Computer- und Videospiele beziehungsweise            innen, Kompo­nist*­innen und Tester*­innen erstellt
„digitale Spiele“ – so der wissenschaftliche Be-     werden (im Folgenden schlicht zusammengefasst
griff – sind ein globales Phänomen. Wenn in die-     als Entwickler*­innen) – und auch hierzulande hat
sem Beitrag also nach dem Stellenwert digitaler      die Branche in den vergangenen Jahren sowohl
Spiele und der Digitalspielbranche in Deutsch-       kulturell als auch wirtschaftlich und politisch
land gefragt wird, dann ist die deutsche stets als   deutlich an Bedeutung gewonnen.
Teil einer internationalen Branche zu betrach-           Zur Annäherung an die Digitalspielbranche
ten.01 Spielehersteller wie Activision Blizzard,     werde ich zunächst einen Überblick über die zen-
Electronic Arts oder Ubisoft produzieren mitt-       tralen Akteur*­innen geben und beschreiben, wie
lerweile weltweit und zunehmend aufwändig. Di-       bestimmte Diskurse die deutsche Digitalspielland-
gitale Spiele werden häufig parallel in mehreren     schaft geprägt haben. Anschließend werde ich auf
Studios auf verschiedenen Kontinenten entwi-         die wirtschaftliche (und damit politische) Bedeu-
ckelt, und die Produktionskosten einzelner Spiel-    tung der Games-Branche eingehen und Deutsch-
titel können durchaus mehrere hundert Millionen      land als Produktionsstandort und Umsatzmarkt
US-Dollar betragen. Mit genauen Zahlen zu Pro-       für digitale Spiele näher beleuchten, um abschlie-
duktions- und Marketingbudgets halten sich die       ßend einen kurzen Ausblick zu geben.
maßgeblichen Akteur*innen der Branche in der
Regel zwar zurück; einen Eindruck vom Ausmaß                     MA ẞ GEBLICHE PLAYER
der prominenten Großproduktionen vermitteln                          UND ARENEN
aber die Meldungen immer neuer Umsatzerfol-
ge, die den Einspielergebnissen von Hollywood-       Das Gravitationszentrum der deutschen wie der
Filmproduktionen in nichts nachstehen: So spiel-     globalen Digitalspielbranche sind die Spieler*­
te beispielsweise das Wildwest-Adventure-Game        innen selbst, die durch ihre kontinuierlich stei-
„Red Dead Redemption 2“ im Oktober 2018 in           gende Zahl für eine zunehmende gesellschaftliche
nur drei Tagen über 725 Millionen US-Dollar          Durchdringung und wachsende Bedeutung des
ein – das bis dahin zweiterfolgreichste Release      Mediums sorgen. Dem Jahresreport 2018 der deut-
eines Unterhaltungsproduktes überhaupt und           schen Games-Branche zufolge spielen 42 Prozent
überboten nur von einem weiteren Spiel, „Grand       der Deutschen mindestens „gelegentlich“ digitale
Theft Auto V“, das 2013 in den ersten drei Tagen     Spiele, 35 Prozent „regelmäßig“.03 Das entspricht
nach seiner Veröffentlichung sogar über eine Mil-    rund 34 Millionen Spieler*­innen, von denen – ent-
liarde US-Dollar eingebracht hatte.02                gegen dem gängigen Klischee von fast ausschließ-
    Wie lässt sich die deutsche Digitalspielbran-    lich männlichen Gamern – 47 Prozent weiblich
che in diesen internationalen Kontext einordnen?     sind. Auch die Angaben zum Alter der Spieler*­
Zwischen Leuchtturmprojekten wie „Grand Theft        innen entsprechen nicht dem verbreiteten Vor-
Auto“ und ersten Programmierversuchen am hei-        urteil, dass digitale Spiele vor allem von Kindern
mischen Rechner gibt es zahllose Ausprägungen        und Jugendlichen genutzt werden: Im Schnitt sind
digitaler Spiele, die auch ohne Millionenbudgets     Spieler*­innen in Deutschland 36,1 Jahre alt, und
Impulse setzen und zu einer großen Spieler*­         die Über-50-Jährigen, die sogenannten silver ga-
innen­schaft gelangen können. Auch aus Deutsch-      mer, stellen mit einem Anteil von 28 Prozent be-
land kommen solche Spiele, die von multinationa-     ziehungsweise 9,5 Millionen Menschen sogar die
len Teams aus Designer*­innen, Pro­du­zent*­innen,   größte Altersgruppe. Zum Vergleich: Der Anteil
Grafiker*­innen, Program­mierer*­innen, Autor*­      der 10- bis 19-Jährigen, der 20- bis 29-Jährigen,

                                                                                                     09
APuZ 31–32/2019

der 30- bis 39-Jährigen und der 40- bis 49-Jährigen                    Abbildung 1: Nutzer*innen von Computer- und
liegt jeweils bei 15 bis 17 Prozent (Abbildung 1).                     Videospielen, die mindestens „gelegentlich“ spielen,
Was die beliebtesten Spiele-Plattformen angeht,                        2018
sind mobile Geräte weiter auf dem Vormarsch: In-
zwischen wird häufiger auf Smartphones gespielt                                                        bis 9 Jahre
als auf PCs.04                                                                                        2,7 Millionen
    Weitere wichtige Akteur*­    innen sind die
Produzent*­  innen von Spielen. In Deutschland                                50+ Jahre
sind über 11 700 Beschäftigte bei Entwickler*­                               9,5 Millionen                            10–19 Jahre
                                                                                                                      5,8 Millionen
innen und Publishern tätig, verteilt auf 524 Un-
ternehmen. Zählt man Beschäftigte bei Dienst-
leistern, im Handel, bei Bildungseinrichtungen,
                                                                                               Gesamtzahl:
Medien und im öffentlichen Sektor mit Bezug                                                    34,3 Millionen
zur Games-Branche hinzu, kommt man auf über
28 700 Menschen, die ihren Lebensunterhalt in                                                                          20–29 Jahre
diesem Sektor verdienen. Am stetig wachsenden                                                                          5,3 Millionen
                                                                              40–49 Jahre
Umsatz auf dem deutschen Games-Markt, der in-                                 5,5 Millionen
zwischen über drei Milliarden Euro schwer ist,
partizipieren deutsche Publisher und Entwickler*­
innen indes nur zu einem geringen Anteil.05 Lan-                                                 30–39 Jahre
                                                                                                 5,5 Millionen
ge Zeit wurde die Digitalspielbranche in Deutsch-
land von zwei Lobbyverbänden vertreten, dem
                                                                       Quelle: Jahresreport der deutschen Games-Branche 2018,
Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoft-                           S. 8, Berechnungen auf Grundlage des GfK Consumer Panels
ware (BIU) und dem (in der Eigenbezeichnung                            (2016/2017; n = 25 000); eigene Darstellung.
großgeschriebenen) GAME – Bundesverband der
deutschen Games-Branche. Anfang 2018 wur-
de schließlich eine Fusion dieser beiden Verbän-                       aus Vertreter*­innen einiger Global Player sowie
de vollzogen, die vier Jahre zuvor noch geschei-                       von kleinen und mittelgroßen deutschen Studios
tert war. Die Interessen großer Teile der deutschen                    zeigt sich eine neue Stoßrichtung der Branche in
Digitalspielbranche werden nun durch den (in der                       Deutschland, die unabhängig von Größe und fi-
Eigenbezeichnung kleingeschriebenen) game –                            nanzieller Ausstattung der jeweiligen Studios als
Verband der deutschen Games-Branche vertreten.                         Einheit auftreten möchte, um ihren Forderungen
Eigenen Angaben zufolge zählt der Verband über                         in den politischen Zentren des Landes mehr Ge-
230 Mitglieder, „darunter Entwickler, Publisher,                       hör zu verschaffen.
eSports-Veranstalter, Bildungseinrichtungen und                            Game ist Gesellschafter der für die Altersfrei-
Dienstleister“.06 In der Besetzung des Vorstands                       gaben zuständigen Unterhaltungssoftware Selbst-
                                                                       kontrolle (USK)07 und der Stiftung Digitale
                                                                       Spielekultur sowie Träger der jährlichen Messe
01 Vgl. Josef Köstlbauer/Eugen Pfister/Tobias Winnerling/Felix
                                                                       „Gamescom“ und des Deutschen Computerspiel-
Zimmermann (Hrsg.), Weltmaschinen. Digitale Spiele als globalge-
schichtliches Phänomen, Wien 2018.
                                                                       preises (DCP). Letzterer wurde erstmals 2009 zur
02 Vgl. Take-Two Interactive, Red Dead Redemption 2 Achie-             Förderung der deutschen Games-Branche aus-
ves Entertainment’s Biggest Opening Weekend of All Time,               gelobt und zunächst gemeinsam mit dem bezie-
30. 10. 2018, https://ir.take2games.com/news-releases/news-            hungsweise der Beauftragten der Bundesregie-
release-details/red-dead-redemption-2-achieves-entertainments-
                                                                       rung für Kultur und Medien verliehen, seit 2014
biggest-opening?field_nir_news_date_value[min]=2019.
03 Als „regelmäßig“ spielend gilt bereits, wer mindestens mehr-
                                                                       mit dem Bundesministerium für Verkehr und di-
mals pro Monat digitale Spiele spielt. Vgl. Durchschnittsalter deut-   gitale Infrastruktur (BMVI). Im kommenden Jahr
scher „Gamer“ steigt weiter, 3. 4. 2019, www.gameswirtschaft.de/       wird der DCP erstmals mit dem Bundespresseamt
wirtschaft/durchschnittsalter-gamer-2019.                              veranstaltet, womit er noch näher ans Kanzleramt
04 Vgl. Game – Verband der deutschen Games-Branche e. V.,
                                                                       heranrückt. Dennoch vertritt Game letztlich nicht
Jahresreport der deutschen Games-Branche 2018, Berlin 2018,
S. 6–11, www.game.de/medien/jahresreport.
05 Vgl. ebd., S. 25 ff.                                                07 Zur USK und Jugendschutz in Computerspielen siehe auch den
06 Ebd., S. 49.                                                        Beitrag von Daniel Heinz in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

10
Gaming APuZ

die gesamte Digitalspielbranche: Als Zusammen-                            Zwar nicht im Sinne einer journalistisch vermit-
schluss von Unternehmen vertritt der Verband vor                      telten, kritischen Öffentlichkeit, dafür aber umso
allem Arbeitgeber- und nicht Arbeitnehmerinte-                        einflussreicher sind vor allem Youtuber*­innen und
ressen. Als Wirtschaftsverband ist er damit etwa                      Streamer*­innen, die sich mit digitalen Spielen aus-
vergleichbar mit dem Börsenverein des Deutschen                       einandersetzen. Ein beliebtes Format sind die soge-
Buchhandels. Um in diesem Bild zu bleiben: Einen                      nannten Let’s-play-Videos, in denen Spieler*­innen
gleichwertigen Verband deutscher Schriftsteller*­                     ihre Spieldurchläufe aufzeichnen und dabei direkt
innen für die deutsche Digitalspielbranche, der                       kommentieren. Über Plattformen wie Youtube oder
sich stärker für künstlerische, arbeits- oder verwer-                 Twitch finden solche Videos Tausende Zuschauer*­
tungsrechtliche Interessen von Berufsgruppen in                       innen. Einer der ersten deutschen Youtuber, der er-
der Branche einsetzen könnte, gibt es bislang nicht.                  heblichen Anteil am Erfolg solcher Videos hatte
    Auch der deutsche Digitalspieljournalismus                        und hat, ist Erik Range, bekannt unter dem Pseu-
hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwi-                       donym Gronkh, der mit 4,8 Millionen Abonnent*­
ckelt. Mittlerweile können Spieler*­innen aus di-                     innen auf Youtube der reichweitenstärkste Let’s-
versen, unterschiedlich ausgerichteten journalisti-                   Player Deutschlands ist. Ihre Reichweite macht die
schen Formaten wählen, die sich im Spannungsfeld                      erfolgreichsten Streamer*­innen auch für die Bran-
zwischen sogenanntem new und old games jour-                          che interessant: Mittlerweile werden sie häufig di-
nalism bewegen, das heißt zwischen stärker sub-                       rekt von Publishern angefragt, um als Influencer*­
jektivierenden Erlebnisberichten und objektivie-                      innen Spiele auf ihren Kanälen zu präsentieren.
renden Produktrezensionen.08 Zu den wichtigsten                           Darüber hinaus finden Spieler*­       innen in
Lesemedien gehören das Magazin „Gamestar“,                            Deutschland eine breite Event- und Festival-
das Bookazine „WASD“, das Online-Magazin                              kultur zum Thema digitale Spiele vor. Weltweit
„Games Wirtschaft“ und das „Gain Magazin“.                            bekannt ist die jährliche Messe „Gamescom“
Außerdem gibt es eine wachsende Zahl an Pod-                          in Köln, deren Besucher*­     innenzahlen seit ih-
casts verschiedener Stoßrichtungen, darunter                          rer Gründung 2009 von 245 000 auf 370 000
langjährige Vertreter wie „Insert Moin“ oder das                      im Jahr 2018 gestiegen sind.10 Gemessen an ih-
kulturwissenschaftliche Format „Pixeldiskurs“.09                      rer Ausstellungsfläche und Besucher*­innenzahl
Die bis Ende 2014 auf dem Musiksender MTV                             ist die „Gamescom“ die weltweit größte Mes-
ausgestrahlte Fernsehsendung „Game One“ ist                           se für digitale Spiele, auf der es auch eine „Indie
im Livestream-Kanal Rocket Beans TV aufgegan-                         Arena Booth“ gibt, in der kleine Entwickler*­
gen, der rund um die Uhr auf verschiedenen On-                        innenstudios ihre Spiele ausstellen können.
line-Plattformen sendet. Auch in den klassischen                      Daneben gibt es einige, auch international re-
Print- und Online-Medien von der „Frankfurter                         nommierte Digitalspielfestivals in Deutsch-
Allgemeinen Zeitung“ über „Spiegel Online“ bis                        land, die sich auch und besonders den künstle-
zu „Die Zeit“ werden digitale Spiele inzwischen                       rischen Ausprägungen des Mediums widmen.
besprochen, obgleich noch immer weitaus selte-                        Zu nennen wäre hier beispielsweise das Festi-
ner als etwa Literatur oder Kinofilme. Im Bereich                     val „Play“ in Hamburg,11 die „A Maze“ im Rah-
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es seit                     men der „Games Week Berlin“ oder das „Next
2016 das Magazin „Game Two“, das im Auftrag                           Level Festival“ an wechselnden Standorten, zu-
von ARD und ZDF produziert und auf Rocket                             letzt in Düsseldorf. Diese Festivals stehen stell-
Beans TV und Youtube ausgestrahlt wird, zudem                         vertretend für eine in Deutschland wachsende
die Sendung „Art of Gaming“ auf dem deutsch-                          und international sehr gut vernetzte Szene an
französischen Kultursender Arte.                                      Entwickler*­   innen, die sich abseits kommerzi-
                                                                      eller Interessen mit digitalen Spielen als Form
08 Vgl. Robert Glashüttner, Computerspiele-Journalismus.
                                                                      künstlerischen Ausdrucks auseinandersetzen.
Formale, strukturelle und ideologische Entwicklungen, in: Stephan
Günzel/Michael Liebe/Dieter Mersch (Hrsg.), DIGAREC Lectures
2008/09 – Vorträge am Zentrum für Computerspielforschung mit          10 Vgl. Gamescom 2018: Spektakuläre Neuheiten zum 10-jäh-
Wissenschaftsforum der Deutschen Gamestage, Quo Vadis 2008            rigen Jubiläum, Pressemitteilung, August 2018, www.press1.de/​
und 2009, Potsdam 2009, S. 128–147.                                   wrapper.cgi/​www.press1.de/​files/​kmeigen_kmpresse_​0480_​
09 Vgl. Martin Lorber, Deutschsprachige Spiele-Podcasts               2018pm23_de.pdf; Game (Anm. 4), S. 40 f.
boomen: Ein Überblick, 3. 3. 2018, https://spielkultur.ea.de/allge-   11 Siehe den Beitrag von Andreas Hedrich und Christiane
mein/8182.                                                            Schwinge in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

                                                                                                                                   11
APuZ 31–32/2019

    In den vergangenen Jahren lässt sich zudem                      Spiele von einigen Vertreter*­innen von Zivilge-
eine vermehrte museale und archivalische Pra-                       sellschaft, Wissenschaft und Politik als Gefahr für
xis in Verbindung mit digitalen Spielen beob-                       die Jugend und die Gesellschaft dargestellt.
achten. Den Anfang machte bereits 1997 das                              Unter dem Begriff „Killerspiel“ wurden wirk-
Computerspielemuseum Berlin, das sich mit                           mächtig all jene Spiele zusammengefasst, in denen
zahlreichen Wechselausstellungen, einer Dau-                        das Töten von Menschen oder menschenähnli-
erausstellung, Veranstaltungen und pädagogi-                        chen Figuren Kern der Spielerfahrung ist, wo-
schen Angeboten dafür einsetzt, einem breiten                       bei der Begriff in seiner Auslegung und Nutzung
Publikum „die Kultur und Geschichte von digi-                       immer unscharf blieb.16 Besonders nach dem
talen Spielen (…) zu vermitteln“ und auf diesem                     Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium
Wege „das Verständnis von digitalen interakti-                      2002 und dem Amoklauf an der Albertville-Re-
ven Unterhaltungsmedien zu vertiefen und so                         alschule in Winnenden sieben Jahre darauf wurde
die Medienkompetenz zu erhöhen“.12 Das Mu-                          intensiv über ein Verbot sogenannter First-Per-
seum ist zudem Partner der ebenfalls in Berlin                      son-Shooter beziehungsweise Ego-Shooter dis-
beheimateten Internationalen Computerspiele-                        kutiert, die vermeintlich zur Verrohung der Ju-
sammlung, deren Datenbank im April 2019 on-                         gend beitrügen und das Töten trainieren würden.
line gegangen ist und die zur weltweit größten                      In dieser oft polemisch geführten Debatte wur-
Sammlung digitaler Spiele ausgebaut werden                          de zudem ein normativer Kulturbegriff angelegt,
soll.13 Anfang 2019 kündigte die Direktorin des                     der eine idealisierte Hochkultur von den als we-
Deutschen Literaturarchivs Marbach schließlich                      niger wertvoll empfundenen digitalen Spielen ab-
an, künftig ebenfalls digitale Spiele sammeln zu                    zugrenzen suchte.17 All dies trug unter anderem
wollen – zumindest solche, „die in hohem Maße                       dazu bei, dass die deutsche Digitalspielbranche
Erzählstrukturen enthalten“ –, da es sich bei                       in jener Zeit in der Politik einen eher schweren
Games „um die nächste mediale Stufe von Lite-                       Stand hatte.
ratur“ handele.14                                                       Rückblickend ist jedoch festzustellen, dass
                                                                    sich die 2007 noch stark polarisierende Positi-
                   VOM „KILLERSPIEL“                                on des Kulturratsgeschäftsführers Olaf Zimmer-
                   ZUM „KULTURGUT“                                  mann, „dass Gewalt nicht automatisch kulturlos“
                                                                    sei und dass es „ein Recht auf Schund“ nicht nur
Die Diskussion um den Status des digitalen Spiels                   in Literatur, Film und Musik, sondern eben auch
als Kulturgut, die durch die Ankündigung des                        im Kontext digitaler Spiele gebe,18 letztendlich in
Literaturarchivs neu angefacht wurde, schwelt                       der Breite der Gesellschaft und vor allem auch
bereits seit Langem. Dabei schien sie vor über                      politisch weitgehend durchgesetzt hat. So wur-
einem Jahrzehnt – zumindest in einigen Schlag-                      de die Aufnahme des Branchenverbandes in den
zeilen – bereits beendet. So titelte „Spiegel On-                   Deutschen Kulturrat von Verfechtern des Me-
line“ im August 2008: „Jetzt offiziell. Compu-                      diums dankbar aufgenommen und als Beleg ge-
terspiele sind Kultur“15 und bezog sich dabei auf                   wertet, dass digitale Spiele nun den Schritt zur
die Aufnahme des damaligen Branchenverbandes                        Hochkultur gemacht hätten und deswegen politi-
GAME in den Deutschen Kulturrat. Freilich lief                      scher Aufmerksamkeit sowie finanzieller Förde-
die Diskussion auch anschließend weiter – aber                      rung bedürfen. Die durch den „Killerspiel“-Dis-
schon die Entwicklung bis hierhin konnte von
der Branche als entscheidender Fortschritt ge-
wertet werden, denn lange Zeit und noch bis An-                     16 Einen kurzweiligen Überblick über die Debatte bietet die
                                                                    dreiteilige und für den Grimme-Preis nominierte Dokumentation
fang der 2010er Jahre wurden bestimmte digitale
                                                                    „Killerspiele!“, die der Journalist Christian Schiffer 2016 für das
                                                                    ZDF produzierte.
12 Computerspielemuseum, Über uns, o. D., www.computerspiele-       17 Vgl. Oliver Castendyk/Jörg Müller-Lietzkow, Die Computer-
museum.de/1219_Ueber_uns.htm.                                       und Videospielindustrie in Deutschland. Daten – Fakten – Analy-
13 Siehe www.internationale-computerspielesammlung.de.              sen, Hamburg 2017, S. 22–34.
14 Auch Computerspiele gehören ins Literaturarchiv, Inter-          18 Es gibt ein Recht auf Schund – zur Computerspieldebatte,
view von Stefan Dosch mit Sandra Richter, 27. 2. 2019, www.         Interview von Jürgen Kleindienst mit Olaf Zimmermann, in: Olaf
augsburger-allgemeine.de/id53615446.html.                           Zimmermann/Theo Geißler (Hrsg.), Streitfall Computerspiele:
15 Jetzt offiziell. Computerspiele sind Kultur, 14. 8. 2008, www.   Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und
spiegel.de/netzwelt/spielzeug/​a-572152.html.                       Jugendschutz, Berlin 2008, S. 50 f., hier S. 51.

12
Gaming APuZ

kurs angeregte breite Wirkungsforschung trug                           den Erfolgs des 2017 erschienenen sogenannten
letztlich auch dazu bei, dass Forscher*­innen ver-                     Battle-Royale-Spiels „Fortnite“, einem Shoo-
schiedenster Disziplinen zu einem differenzierten                      ter in Comic-Optik, wird wieder vermehrt über
Blick auf Gefahren und Potenziale digitaler Spiele                     das verführerische Potenzial von digitalen Spie-
gelangten.19                                                           len gesprochen – im Falle von „Fortnite“ auch
    Während mit der Eröffnung der „Gamescom“                           im Zusammenhang mit der Darstellung von Ge-
durch Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 die                           walt. Seit 2018 führt die Weltgesundheitsorgani-
Diskussion über den Kulturgutstatus des digita-                        sation in ihrer Klassifikation von Krankheiten
len Spiels ein vorläufiges Ende gefunden zu ha-                        und Gesundheitsproblemen „Gaming Disor-
ben scheint, wird weiterhin darüber diskutiert,                        der“ als eigenständige Diagnose. Zwar kritisie-
ob digitale Spiele auch Kunst sein können. Die-                        ren Forscher*­innen, dass es an qualitativ hoch-
se Frage schwang bereits in der „Killerspiel“-De-                      wertigen Studien und trennscharfen Kriterien zur
batte mit, wurden Verbotsforderungen doch mit                          Feststellung einer solchen „Digitalspielstörung“
Verweisen auf die Kunstfreiheit erwidert.20 Die                        fehle,22 doch gibt es auch in dieser Diskussion –
USK hat diese Frage für sich bereits entschie-                         der „Killerspieldebatte“ ähnlich – viel Raum für
den: Im August 2018 kündigte sie an, im Verfah-                        Vereinfachungen und Pauschalisierungen.
ren zur Altersfreigabe von Spielen künftig die                             Allerdings ist die öffentliche Debatte darüber
So­zial­adäquanz­klausel des § 86a Abs. 3 Strafge-                     von größter Wichtigkeit, denn sie erhöht den ge-
setzbuch einzubeziehen. „Damit können solche                           sellschaftlichen Druck auf große Publisher, die
Computer- und Videospiele eine Altersfreiga-                           durchaus problematische Spielmechaniken mit
be der USK erhalten, in denen die Verwendung                           Suchtpotenzial einsetzen. Zu diesen zählen bei-
von Kennzeichen verfassungswidriger Organisa-                          spielsweise die sogenannten lootboxes, bei denen
tionen von den USK-Gremien als sozialadäquat                           Spieler*innen – zumeist im Tausch gegen spielin-
beurteilt wird. Sozialadäquat bedeutet in diesem                       terne Währungen oder echtes Geld – auf Zufalls-
Zusammenhang, dass Symbole verfassungsfeind-                           basis Gegenstände erwerben, die im Spielkontext
licher Organisationen in einem Titel verwendet                         nutzbar sind. Kritiker*innen vergleichen diese
werden können, sofern dies der Kunst oder der                          Mechaniken mit Spielautomaten oder Roulette.
Wissenschaft, der Darstellung von Vorgängen                            2018 erklärten sowohl die Niederlande wie auch
des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient.“21                       Belgien einige dieser lootboxes zu Glücksspiel
Wie in Filmen, die als Kunstform etabliert sind,                       und zwangen Publisher dazu, sie anzupassen oder
können künftig also auch in digitalen Spielen                          aus Spielen wie „Fifa 18“ zu entfernen. Publisher
zum Beispiel Hakenkreuze gezeigt werden, so-                           wie Electronic Arts sehen diese Mechaniken lie-
fern die genannten Kriterien erfüllt sind und ein                      ber in Verwandtschaft mit „Überraschungsei-
digitales Spiel als künstlerischer Ausdruck ge-                        ern“ statt mit Glücksspiel und beschreiben sie als
wertet wird.                                                           ethisch vertretbar und unterhaltsam, um Regu-
    Zu einer Herausforderung für die Branche                           lierungen und Verboten in weiteren Ländern zu
könnte in den nächsten Jahren indes die Dis-                           entgehen.23 Eine öffentliche Debatte ist also auch
kussion um das Thema Digitalspielsucht be-                             deshalb notwendig, damit die die zurecht kri-
ziehungsweise problematische Mediennutzung                             tisierten Mechaniken nicht zu Pauschalurteilen
werden. Nicht zuletzt wegen des durchschlagen-                         über das Medium an sich führen und die Ursa-
                                                                       chen und Ausprägungen problematischer Medi-
                                                                       ennutzung differenziert betrachtet werden.
19 Vgl. Thorsten Quandt et al., Digital Games Research: A
Survey Study on an Emerging Field and Its Prevalent Debates, in:
Journal of Communication 6/2015, S. 975–996.                           22 Vgl. Espen Aarseth et al., Scholars’ Open Debate Paper on
20 Vgl. in diesem Kontext Daniel Martin Feige, Computerspiele.         the World Health Organization ICD-11 Gaming Disorder Propo-
Eine Ästhetik, Frank­furt/M. 2015. Siehe auch den Beitrag von          sal, in: Journal of Behavioral Addiction 3/2017, S. 267–270.
Feige in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).                                23 Vgl. Wesley Yin-Poole, Now Belgium Declares Loot Boxes
21 Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), USK berücksich-        Gambling and Therefore Illegal, 25. 4. 2018, www.eurogamer.net/
tigt bei Altersfreigabe von Spielen künftig Sozialadäquanz, Pres-      articles/2018-04-25-now-belgium-declares-loot-boxes-gamb-
semitteilung, 9. 8. 2018. Vgl. auch Felix Zimmermann, Wider die        ling-and-therefore-illegal; Matt Cox, EA: „We don’t call them loot
Selbstzensur – Das Dritte Reich, nationalsozialistische Verbrechen     boxes“, they’re „surprise mechanics“, 20. 6. 2019, www.rockpa-
und der Holocaust im Digitalen Spiel, 27. 8. 2017, https://gespielt.   pershotgun.com/2019/06/20/ea-we-dont-call-them-loot-boxes-
hypotheses.org/1449.                                                   theyre-surprise-mechanics.

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APuZ 31–32/2019

               IM KOOPMODUS:                                       dem Gebiet der Virtual Reality), die sich auf an-
            WIRTSCHAFT UND POLITIK                                 dere Bereiche übertragen lassen.
                                                                       Erste Maßnahmen wurden bereits eingeleitet:
Dass die deutsche Digitalspielbranche sich mitt-                   2019 ist im Bundeshaushalt erstmals ein Budget
lerweile stärkerer politischer Unterstützung er-                   für die Förderung digitaler Spiele enthalten, insge-
freut, zeigt sich unter anderem am Deutschen                       samt stehen 50 Millionen Euro zur Verfügung. Bis
Computerspielpreis, der als ein Inszenierungsin-                   Ende August 2019 können sich Digitalspielun-
strument der guten Beziehungen zwischen Bran-                      ternehmen beim BMVI für eine sogenannte De-
che und politischen Entscheidungsträger*­innen                     minimis-Beihilfe um bis zu 200 000 Euro Bun-
gedeutet werden kann. Derart öffentlichkeits-                      desförderung bewerben.27 Nach einer Pilotphase
wirksam treffen Vertreter*­innen der Branche, des                  soll auch mit größeren Summen gefördert werden
Bundes und der Länder sonst selten aufeinander.                    können, was jedoch die Zustimmung der Europä-
Dennoch konnte der Preis bislang kaum die er-                      ischen Kommission erfordert. Die Klassifizierung
hoffte gesamtgesellschaftliche Strahlkraft entfal-                 digitaler Spiele als Kulturgut ist hier von unmit-
ten, weshalb verschiedene Anpassungen im Ge-                       telbarer Relevanz: Das Notifizierungsverfahren
spräch sind.24 Zu klären ist beispielsweise, ob                    auf europäischer Ebene sieht für Kulturförde-
der Preis langfristig als Wirtschafts- und Förder-                 rung einen sogenannten Kulturtest vor. „Dieser
preis bestehen kann oder ob eine Neuaufstellung                    Kulturtest soll wettbewerbsverzerrende Beihilfen
als Kulturpreis vonnöten ist, um der deutschen                     verhindern und ist eine EU-Vorgabe, wie es sie
Computerspielbranche national wie international                    auch in anderen Branchen und Ländern gibt. An-
zu mehr Anerkennung zu verhelfen.25                                hand einer Art Checkliste muss eine vorgegebene
    Wesentlich handfester manifestiert sich der                    Punktzahl mit Blick auf Spielinhalte, Entwickler-
gewachsene Stellenwert der Digitalspielbranche                     Team und kulturellem Hintergrund erreicht wer-
durch Vereinbarungen im aktuellen Koalitions-                      den.“28 Das heißt, nur Spiele, die diesen Test be-
vertrag zwischen CDU, CSU und SPD, die ex-                         stehen, können auch gefördert werden.
plizit auf die Förderung der Branche zielen: So                        Die Bundesförderung ist insofern ein No-
wolle man zum einen den E-Sport, also das wett-                    vum, als der Bund bisher nur indirekt in die Pro-
bewerbsmäßige Spielen digitaler Spiele, „künftig                   duktion digitaler Spiele investierte, etwa über die
vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und                   Preisgelder des Computerspielpreises, die zur
Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung                     Hälfte von der Branche selbst getragen werden.
einer olympischen Perspektive unterstützen“.                       So konnten Entwickler*­innen bisher nur auf die
Zum anderen wolle man „seitens des Bundes eine                     Fördermechanismen der Länder zurückgreifen,
Förderung von Games zur Entwicklung hoch-                          beispielsweise den Film-Fernseh-Fonds Bayern
wertiger digitaler Spiele einführen, um den Ent-                   oder die Film- und Medienstiftung NRW. Ent-
wicklerstandort Deutschland zu stärken“. Auch                      scheidend ist, dass jene Mittel aus der Länder-
die Stärkung und Weiterentwicklung des Deut-                       förderung in der Regel als „bedingt rückzahlbare
schen Computerspielpreises ist im Koalitions-                      Darlehen“ vergeben werden, also zurückgezahlt
vertrag verankert.26 Dahinter steht nicht nur die                  werden müssen, sobald Gewinne erwirtschaftet
Hoffnung auf wachsende Steuereinnahmen aus                         werden. Die Digitalspielförderung des Bundes
den Umsätzen einer lukrativen Branche, sondern                     ist wiederum als „nicht rückzahlbarer Zuschuss“
auch auf technologische Innovationen (etwa auf                     konzipiert, ist also ein Subventionsinstrument.29

24 Vgl. Petra Fröhlich, Deutscher Computerspielpreis 2019: Sechs   27 Vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur,
Lehren für 2020, 15. 4. 2019, www.gameswirtschaft.de/events/       De-​minimis-​Beihilfe zur Computerspieleförderung, o. D., www.bmvi.de/​
computerspielpreis-dcp-2020-analyse.                               SharedDocs/​DE/​Artikel/​DG/​de-minimis-beihilfe-zur-computerspiele­
25 Vgl. Felix Zimmermann, Katalysator. Der Deutsche Computer-      foerderung.​html; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfra-
spielpreis 2019, in: Politik & Kultur 5/2019, S. 10.               ge der FDP-Fraktion, Förderung der Computer­spiele­entwicklung auf
26 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legis-         Bundesebene, Vorabfassung, Bundestagsdrucksache 19/10738, 6. 6. ​
laturperiode, 12. 3. 2018, www.bundesregierung.de/resource/        2019, https://​dipbt.​bundestag.​de/​doc/​btd/​19/​107/​1910738.​pdf.
blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad67                   28 Computerspiele-Förderung: Für Scheuer geht es „in die Vol-
2b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf, Zeilen 2167–2171,       len“, 11. 4. 2019, www.gameswirtschaft.de/politik/computerspiele-
8141–8144. Zum E-Sport siehe auch den Beitrag von Robin            foerderung-antrag.
Streppelhoff in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).                     29 Vgl. ebd.

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