AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Gaming - Bundeszentrale für politische Bildung
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69. Jahrgang, 31–32/2019, 29. Juli 2019 AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE Gaming Daniel Martin Feige Daniel Heinz KLEINE PHILOSOPHIE JUGENDMEDIENSCHUTZ DES COMPUTERSPIELS UND DIGITALE SPIELE Felix Zimmermann Yasmina Banaszczuk (NOT) MADE IN GERMANY? TOXIC GAMING – ANNÄHERUNGEN RASSISMUS, SEXISMUS AN DIE DEUTSCHE UND HATE SPEECH DIGITALSPIELBRANCHE IN DER SPIELESZENE Robin Streppelhoff Andreas Hedrich · Christiane Schwinge WETTKAMPF-GAMING: CREATIVE GAMING – SPORT ODER SPIELEREI? ZUM SUBVERSIVEN POTENZIAL DIGITALER SPIELE ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG Beilage zur Wochenzeitung
Gaming APuZ 31–32/2019 DANIEL MARTIN FEIGE DANIEL HEINZ KLEINE PHILOSOPHIE DES COMPUTERSPIELS JUGENDMEDIENSCHUTZ UND DIGITALE SPIELE Computerspiele folgen in vielerlei Hinsicht einer Zeitgemäßer Jugendmedienschutz kann nicht Marktlogik. Dennoch schließt das ihre prinzi- ausschließlich durch gesetzliche Regelungen pielle Kunstfähigkeit nicht aus. Eine ästhetische gewährleistet werden, er funktioniert nur Perspektive auf sie einzunehmen heißt, sie als im Zusammenspiel von Regulierung und je besondere Gegenstände zu würdigen. Denn Befähigung und ist eine gesamtgesellschaftliche tatsächlich sind längst nicht alle Kunst. Aufgabe – erst recht bei Computerspielen. Seite 04–08 Seite 25–33 FELIX ZIMMERMANN YASMINA BANASZCZUK (NOT) MADE IN GERMANY? TOXIC GAMING – ANNÄHERUNGEN AN DIE DEUTSCHE RASSISMUS, SEXISMUS UND HATE SPEECH DIGITALSPIELBRANCHE IN DER SPIELESZENE Deutschland ist der wichtigste europäische Stereotype in Games befeuern Sexismus und Absatzmarkt für digitale Spiele. Die deutsche Rassismus – und Hate Speech ist unter manchen Branche profitiert jedoch nur zu einem kleinen Spielefans gang und gäbe. Zwar hat sich seit Teil davon. In den vergangenen Jahren hat sie den ersten öffentlichen Debatten einiges getan, aber an Stellenwert gewonnen und erfreut sich um für diese Themen zu sensibilisieren, doch es wachsender politischer Unterstützung. bleibt noch viel zu tun. Seite 09–16 Seite 34–39 ROBIN STREPPELHOFF ANDREAS HEDRICH · CHRISTIANE SCHWINGE WETTKAMPF-GAMING: SPORT ODER SPIELEREI? CREATIVE GAMING – Im aktuellen Koalitionsvertrag von 2018 ZUM SUBVERSIVEN POTENZIAL DIGITALER SPIELE wurde vereinbart, E-Sport als eigene Sportart Games sind hervorragende Türöffner, um anzuerkennen und zu unterstützen. Doch die pädagogische, gesellschaftliche und kreative ausbleibende Umsetzung zeigt, dass das Thema Prozesse zu initiieren. Das funktioniert nicht gesellschaftlich und politisch noch immer stark zuletzt deshalb so gut, weil Spielen konstitutiv umstritten ist. für das Menschsein ist und der Regelbruch dabei Seite 17–23 eine essenzielle Rolle einnimmt. Seite 40–46
EDITORIAL Jeden Tag vernetzen sich weltweit mehrere Tausend Menschen, um gemeinsam oder gegeneinander abenteuerliche Aufgaben zu meistern, Fantasiewesen zu bekämpfen, die Fußballweltmeisterschaft zu gewinnen oder virtuelle Landschaf- ten zu erschaffen. Auch immer mehr Deutsche verbringen Teile ihrer Freizeit spielend vor einem Bildschirm, sei es zu Hause an einer Konsole oder unterwegs mit einem mobilen Gerät. Und es sind keineswegs ausschließlich Kinder und Jugendliche, die „zocken“: Laut Branchenverband Game ist der durchschnittli- che deutsche Gamer etwa 36 Jahre alt – und in 47 von 100 Fällen eine Gamerin. Mit der Verbreitung gehen nicht nur größere gesellschaftliche Akzeptanz und Rezensionen in Feuilletons einher, sondern vor allem auch steigende Umsätze: Der deutsche Markt für digitale Spiele ist der fünftgrößte der Welt. Von der Spiellust profitieren zwar in erster Linie ausländische Entwickler, aber als Wirtschaftsfaktor und Treibhaus technischer Innovationen ist die Gaming-Branche auch für die deutsche Politik zunehmend interessant gewor- den. So haben CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag 2018 eine Bundesför- derung „zur Entwicklung hochwertiger digitaler Spiele“ vereinbart, „um den Entwicklerstandort Deutschland zu stärken“. Zudem wurde die Anerkennung des E-Sports „als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht“ in Aussicht gestellt. Die Realisierung ist jedoch ungewiss: Nachdem 2019 erstmals 50 Millio- nen Euro für die Förderung der Branche bereitgestellt wurden, ist dieser Posten im Haushaltsentwurf für 2020 nicht mehr enthalten. Und die Anerkennung des wettkampfmäßigen Computerspielens als Sport bleibt stark umstritten. Ein Thema, das im Zusammenhang mit digitalen Spielen zu den Dauerbren- nern gehört, ist der Jugendmedienschutz. Während in den 1990er und 2000er Jahren vorwiegend noch über kriegsverherrlichende Inhalte und „Killerspiele“ diskutiert wurde, geht es heute zuvorderst um die Anpassung bestehender Regelungen an die mobile und international vernetzte Medienrealität. Auch über problematische Bindungsfaktoren und das Suchtpotenzial von Spielen wird zuletzt vermehrt gesprochen. Ob es dabei hilfreich ist, dass die Weltgesundheits- organisation „Gaming Disorder“ jüngst als eigenständige Diagnose eingestuft hat, bleibt abzuwarten. Johannes Piepenbrink 03
APuZ 31–32/2019 ESSAY KLEINE PHILOSOPHIE DES COMPUTERSPIELS Zur Ästhetik digitaler Spiele im Spannungsfeld von Ideologie und Kunst Daniel Martin Feige Wurde das Computerspiel in den 1980er Jahren gefährlich wie die ehemals verbreitete pauschale noch als exotisches Hobby technikaffiner Ju- Verurteilung des Mediums. Ich möchte also kei- gendlicher gehandelt, ist das Spielen auf Tablets, neswegs in Zweifel ziehen, dass viele Computer- Handys, PCs und Konsolen mittlerweile un- spiele ein durchaus problematischer Teil der Un- problematischer Teil der Alltagskultur und die terhaltungsindustrie sind, ebenso wie ich nicht Games-Branche eine der umsatzstärksten Unter- in Zweifel ziehen möchte, dass es viele Compu- haltungsindustrien geworden.01 Im Zuge seiner terspiele gibt, über die sinnvoll im Kunstkontext gestiegenen gesamtgesellschaftlichen Relevanz diskutiert werden kann. Aber wie alle ästheti- haben sich die bis in die 2000er Jahre hinein mit- schen Medien – vom Film über die Fotografie bis unter hitzig geführten medialen Debatten um das zur Literatur und Musik – ist das Computerspiel Computerspiel deutlich abgekühlt: Hatte bereits kein homogenes Medium. Viele Computerspiele 2003 die Bundesprüfstelle für jugendgefährden- sind nur eine Verlängerung der Arbeitswelt, die de Medien nach dem Amoklauf am Gutenberg- in Form von gamification mittlerweile selbst be- Gymnasium in Erfurt im April 2002 den First- gonnen hat, computerspieltypische Verfahrens- Person-Shooter „Counter-Strike“ (2000) wider weisen zu integrieren, etwa durch Punktesysteme Erwarten nicht auf den Index gesetzt, erklärte oder zu erreichende Level. Andere Computer- Olaf Zimmermann, der Vorsitzende des Deut- spiele hingegen handeln das, was ein Computer- schen Kulturrats, Computerspiele 2008 zu Kul- spiel überhaupt ist, in Form einer Selbstthemati- turprodukten. In jüngster Zeit werden sie nicht sierung ihrer eigenen Medialität derart neu aus, nur vermehrt in Feuilletons besprochen, sondern dass sie zu spielen heißt, ein neues Verständnis sie wandern auch zunehmend in Museen, und die unserer selbst als Spielende zu gewinnen – was Frage nach ihrem Kunststatus wird oft sehr rasch es lohnenswert macht, sich mit ihnen als Kunst zu ihren Gunsten beantwortet. Wurde ehedem auseinanderzusetzen. das Computerspiel wie vormals der Film oder der Comic als schmuddeliges, potenziell gefähr- MARKT liches Produkt der Unterhaltungskultur gesehen, UND ARBEIT wird es heute oftmals gleichberechtigt neben dem Film, der Malerei und der Literatur eingegliedert. Mit den Debatten um Computerspielsucht, die Mit den folgenden Überlegungen geht es mir freilich nur in Bezug auf bestimmte Spiele nach- darum, diese beiden Alternativen – Computer- vollziehbar sind (nämlich in Bezug auf solche, die spiele allesamt als potenziell schädliches Produkt die Spielenden durch Design und Belohnungs- der Unterhaltungsindustrie zu verstehen oder sie systeme abhängig machen können),02 also keines- allesamt der Kunst zuzuschlagen – zurückzu- wegs das Medium als Ganzes betreffen, werden weisen. Ich halte eine vorschnelle Adelung des jüngst differenziertere und ernster zu nehmen- Computerspiels, wie sie heute nicht allein von de Kritikpunkte an Computerspielen artikuliert der Computerspieleindustrie, sondern auch von als zu Beginn des Jahrtausends, als noch viel von Teilen des Feuilletons befördert wird, für ebenso „Killerspielen“ die Rede war. Die Diskussionen 04
Gaming APuZ um diesen polemischen Kampfbegriff – beför- geflügelten Wort geworden ist. Auch „Grand dert durch eher exotische Spiele wie „America’s Theft Auto III“ (2001) war so erfolgreich, dass Army“ (2002), die weniger dem Training des seine grundlegenden Spielmechaniken in vielen Waffengangs als einer beispielhaften Darstellung anderen Spielen aufgegriffen wurden. soldatischen Zusammenhaltes dienen sollten – Nicht das Experimentieren mit selbstgenügsa- waren schon deshalb wenig zielführend, weil men Formen ist also der Motor der Entwicklung in ihnen vielfach die Medialität des Computer- des Computerspiels, sondern – in seinen Distri- spiels übergangen wurde:03 Sowohl der Gedanke, butions- und Produktionsmechanismen mit dem dass wir beim Computerspielen unbemerkt to- Blockbuster-Film vergleichbar – der Markt: Die xische soziale Verhaltensweisen lernen, als auch Standardisierung folgt dem Gesetz von Angebot der Gedanke, dass mit fortschreitenden techni- und Nachfrage. Das heißt: Was sich gut verkauft, schen Möglichkeiten eine Verwechslungsgefahr wird als Standard übernommen; oder es wird ver- von Realität und Spiel drohe, ist irrig. Der erste sucht, einen neuen Standard zu etablieren. Bereits Gedanke verwechselt menschliches Handeln mit die frühen Spielhallenspiele, deren grundsätzliche dem Verhalten dressierter Hunde; der zweite Ge- Struktur darauf ausgerichtet war, dass die Spie- danke übersieht, dass ein Spiel zu spielen immer lenden möglichst viele Münzen in den Automa- heißt, zu wissen, dass man ein Spiel spielt. Ganz ten stecken, haben ans Plagiat grenzende Kopien gleich, wie sehr man vom Spielgeschehen absor- anderer Hersteller nach sich gezogen. biert sein mag: Nichts von dem, was die Lust am So wie es neben dem Blockbuster- auch das In- Spiel ausmacht, wäre erklärbar, wenn tatsächlich dependent-Kino gibt, haben sich Computerspie- die Gefahr drohte, hier kognitiv den Faden zu le vor allem durch den Aufschwung der digitalen verlieren. Vertriebswege weiter ausdifferenziert (besonders Eine Kritik des Computerspiels muss an ei- markant befördert durch die Online-Plattform ner anderen Stelle ansetzen und kann sich dabei Steam): Während um die Jahrtausendwende vor auf Theodor W. Adornos und Max Horkheimers allem Großproduktionen dominierten, hat sich klassische Analyse der Kulturindustrie beru- inzwischen eine Szene kleinerer Entwicklerstu- fen, in der sie geltend machten, dass vermeintlich dios gebildet, die – ähnlich wie zu den Anfangs- selbstgenügsame Produkte der Unterhaltungsin- zeiten des Computerspiels – in kleinen Teams dustrie Ausdruck problematischer gesamtgesell- versuchen, neue Spielkonzepte aus der Taufe zu schaftlicher Verhältnisse sind.04 Nicht erst die heben. Man sollte sich aber nicht täuschen: Ent- Kontroversen um sogenannte lootboxes in Spie- sprechende Independent-Games erfüllen im Rah- len wie „Star Wars: Battlefront 2“ (2017), die für men des derzeitigen Computerspielemarktes ein kleinere Echtgeldbeträge zufällige Spielgegen- präzises Kalkül. Sind sie das Gegenmodell zu stände enthalten und zu Recht im Zusammen- den Großproduktionen, sind sie gleichwohl dia- hang mit Glücksspielen diskutiert worden sind, lektisch auf diese angewiesen, um sich ihnen ge- zeigen, dass Computerspiele vor allem eines sind: genüber als Alternative zu profilieren. Und genau etwas, womit sich viel Geld verdienen lässt. Aus wie für den Bereich des Independent-Films gilt: diesen kommerziellen Interessen heraus wird Mag es hier mitunter besonders zündende ästhe- auch die starke Standardisierung im Bereich des tische Gegenstände geben, so ist die Produktions- Computerspiels erklärlich: Das unter anderem weise doch noch keineswegs ein Garant für die mit „Assassin’s Creed“ (2007) geprägte Game- Qualität der Gegenstände. Design hat so massiv in fast alle Produktionen Die Prinzipien des Marktes bestimmen nicht des Spieleentwicklers Ubisoft Eingang gefunden, allein die Produktion und Distribution von dass die Redeweise von der Ubisoft-Formel zum Computerspielen, sondern auch ihre Nutzung. Zugespitzt könnte man sagen, dass viele Com- 01 Siehe hierzu auch den Beitrag von Felix Zimmermann in dieser puterspiele ein „training for the job“ in der Frei- Ausgabe (Anm. d. Red.). zeit sind: In Strategiespielen geht es immer auch 02 Vgl. in diesem Sinne Daniel M. Feige, Computerspiele. Eine um die effiziente Nutzung von Ressourcen, in Ästhetik, Berlin 2015, S. 90 ff. Actionspielen um die Optimierung der eigenen 03 Vgl. Stephan Günzel, Egoshooter. Das Raumbild des Compu- terspiels, Frankfurt/M. 2012, S. 48 ff. Spielweise, und in jüngeren Open-World-Spie- 04 Vgl. Theodor W. Adorno/Max Horkheimer, Dialektik der Auf- len und Online-Rollenspielen wird der Spiel- klärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt/M. 1988, S. 128 ff. fortschritt vielfach durch monotone Tätigkei- 05
APuZ 31–32/2019 ten erreicht. So muss man etwa beim Spielen von Gewalt vieler Computerspiele liegt nicht darin, „Far Cry 5“ (2018) die Spielwelt immer wieder dass sie gewalttätige Handlungen zeigen oder als akribisch nach sammelbaren Gegenständen ab- Mittel von Spielhandlungen anbieten oder for- suchen, um bestimmte Aufgaben zu erledigen, dern. Die eigentliche Gewalt liegt vielmehr in der so wie man schon bei frühen Rollenspielen wie binären Logik von Gut und Böse, Freund und „Wizardry“ (1981) mit zufällig auftauchenden Feind, sodass Computerspiele, die nicht mit Ge- Monstern konfrontiert wurde, die man wieder- waltdarstellungen operieren, manchmal gewalttä- holt bekämpfen musste, um später auch nur den tiger sein können als diejenigen, die das nicht tun. Hauch einer Chance gegen stärkere Monster zu Neben dem „Was“ ist deshalb auch immer das haben. Es ist dann kein Wunder, dass Spielen- „Wie“ der Darstellung zu thematisieren. de andere Spielende für das stundenlange Sam- meln spielinterner Ressourcen oder seltener Ge- DAS BESONDERE genstände mit echtem Geld bezahlen – etwa im WERTSCHÄTZEN Fall des Online-Rollenspiels „World of War- craft“ (2004) – oder auch komplette Accounts Habe ich durch meine bisherigen Überlegungen verkauft werden, wenn ein bestimmtes Level die ideologischen Dimensionen vieler Compu- erreicht ist – beispielsweise im Fall von „Poke- terspiele offengelegt und dadurch die Einseitig- mon Go“ (2016). Es handelt sich hier um For- keit dieser Spiele betont – und damit auch ge- men sublimierter Arbeit, und die Aufwendung zeigt, dass die meisten von ihnen dem eigenen von echtem Geld ist die Entlohnung dieser virtu- Anspruch, das Computerspiel als kulturell re- ellen Arbeit. Insofern könnte man in diesem Zu- levantes Medium zu bestimmen, nicht gerecht sammenhang – als Gegenstück zur gamification werden – so sind diese Überlegungen natür- der realen Welt – gar von einer laborification der lich selbst einseitig. Wie ich bereits festgehal- Spielewelten sprechen. ten habe, gibt es nicht die eine Art und Weise, Angesichts dieser Diagnose sollte man Ab- auf die etwas ein Computerspiel ist. Vielmehr ist schied nehmen von dem Gedanken, dass das Spie- das Computerspiel wie alle ästhetischen Medi- len von Computerspielen aus der Tradition des en nicht homogen, sondern in sich differenziert: ästhetischen Spielbegriffs heraus erläutert werden Neben seichten Unterhaltungsprodukten hat kann,05 ohne seine immanente Dialektik in den das Hollywood-Kino auch Kunstwerke hervor- Blick zu nehmen: Was aus der Perspektive der gebracht; sind einige Independent-Filme schale Spielenden ein selbstgenügsames Geschehen sein Experimente, so sind andere kraftvoller ästheti- mag und als von jeder weiteren sozialen und po- scher Ausdruck. Das Gelingen solcher Filme als litischen Dimension entkoppelt erscheint, kann Kunstwerke ist dabei nichts, was sich als Formel durchaus soziale Funktionen erfüllen und poli- abbilden ließe – die Filme des Regisseurs Wong tische Aspekte aufweisen. Die unter dem Hash- Kar-Wai gelingen anders als die des Regisseurs tag #Gamergate geführte Kontroverse um Frau- Michael Haneke. enbilder in Videospielen06 und die Diskussionen Wegen ihrer Ausdifferenziertheit und ihres um den gewalttätigen Umgang mit einer fiktiven prozessualen Charakters lassen sich ästhetische Frauenrechtlerin in „Red Dead Redemption 2“ Medien nicht in einem herkömmlichen Sinne de- (2018) zeigen an, dass Computerspiele keines- finieren. Dass das Computerspiel anders als der wegs von gesamtgesellschaftlichen Debatten ge- Film ein interaktives Medium sei, ist aufgrund der trennt werden können. abstrakten Allgemeinheit dieser These letztlich Ebenso wenig ist es bereits Ausdruck einer falsch. Denn das, was uns Spiele jeweils zu tun progressiven Haltung, wenn in Spielen nur auf erlauben, ist in unterschiedlichen Genres und so- „die Bösen“ geschossen wird.07 Die eigentliche gar einzelnen Spielen so verschieden, dass der Be- griff „Interaktion“ als Kennzeichnung einer Me- 05 Vgl. Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des diendifferenz nicht viel taugt. Und warum sollten Menschen, Stuttgart 2000; Johan Huizinga, Homo Ludens, Reinbek wir überhaupt von interagieren sprechen, wenn 2015. wir üblicherweise sagen, wir spielen ein Compu- 06 Siehe hierzu den Beitrag von Yasmina Banaszczuk in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). terspiel? Es ist schlicht eine verschrobene Rede- 07 Vgl. am Beispiel von „Call of Duty“ (2010) auch Ian Bogost, weise, zu behaupten, man interagiere mit einem How to Talk about Videogames, Minneapolis 2015, Kapitel 10. Computer oder einem Spiel; Interaktionen finden 06
Gaming APuZ in allen Dingen, die wir tun, unter bestimmten ren ästhetischen Medien trennscharf unterschei- Beschreibungen statt. det, sondern vielmehr durch einen Blick darauf, Es geht mir hierbei um folgenden Punkt: wie sich das Medium entwickelt hat und mit ei- Was es heißt, ein Computerspiel zu spielen, ge- ner Sensibilität dafür, dass diese Entwicklung of- winnt je nach Genre und Spiel einen anderen fen ist. Sinn. So kann man im First-Person-Shooter „Doom“ (1993) nicht nur mehr machen als in ei- ÄSTHETISCHES nem interaktiven Movie-Spiel wie „Phantasma- SCHEITERN goria“ (1995), sondern man macht schlichtweg ganz andere Dinge. Eine ästhetische Perspekti- Diese Bemerkungen zu einer Medienästhetik ve auf Computerspiele einzunehmen, heißt auch, des Computerspiels widersprechen nicht meiner dass man ein Computerspiel nur dann verstehen knappen Analyse der ideologischen Dimension kann, wenn man es tatsächlich spielt oder jeman- vieler Computerspiele – dass nämlich das, was dem beim Spielen zuschaut und schon weiß, was vermeintlich Freizeitvergnügen ist, in Wahrheit es heißt, solche Spiele zu spielen – so wie man nur eine Verlängerung der Arbeitswelt ist. Die ein Gemälde nur dann verstehen und beurteilen ideologische Dimension ließe sich vielmehr als kann, wenn man es betrachtet und nicht nur da- eine besondere Weise des Scheiterns der ästheti- von erzählt bekommt. Romane muss man Le- schen Dimension erläutern. Das impliziert auch sen, Filme schauen, Computerspiele spielen – es folgende These: Dass Computerspiele in einer ist eine grundsätzliche ästhetische Lektion, dass Beschreibung als lohnendes Geschäft verstanden es nichts gibt, was diese Art von Gegenstands- werden können, schließt nicht prinzipiell aus, bezug ersetzen kann, weil es in solchen Gegen- dass sie in einer anderen Beschreibung durchaus ständen immer auch darum geht, wie sie etwas als gelungene ästhetische Gegenstände gewür- zeigen und gestalten, und nicht nur darum, was digt werden können. Ganz wie im Hollywood- sie zeigen. In ästhetischen Gegenständen ist die Blockbuster kann es sein, dass die Produktion Art und Weise der Darstellung der Schlüssel zum solcher Gegenstände durchaus von kommerziel- Verständnis des Dargestellten.08 len Interessen geprägt ist, dass dabei aber etwas Eine ästhetische Perspektive auf Computer- hervorgebracht wird, was nicht in diesen Inte- spiele einzunehmen heißt also, sie als je beson- ressen aufgeht, und mehr noch: was manchmal dere Gegenstände zu würdigen.09 So darf eine sogar eine andere Logik entwickelt als diese In- medienästhetische Perspektive eben nicht so aus- teressen. Um einer zu stark ideologischen Les- buchstabiert werden, dass sie nach Wesenseigen- art des Computerspiels den Wind aus den Segeln schaften vom Computerspiel im Kontrast zum zu nehmen, kann man zudem auf die vielfältigen Film und zur Literatur sucht. Das Computer- partizipativen Eingriffe in Code oder Oberflä- spiel ist keine Untergattung des Films oder der che des Spiels durch die Spielenden selbst ver- Literatur – aber worin der Unterschied genau be- weisen: Durch Modifikationen oder komplette steht, das wird von jedem ästhetisch relevanten Umarbeitungen, die Produzenten als lebensver- Computerspiel neu ausgehandelt. Dieser Gedan- längernde Maßnahmen unter kommerziellen Ge- ke macht erst verständlich, dass Computerspiele sichtspunkten oft ermöglichen, bringen sich die in vielfältiger Weise ästhetische Verfahrenswei- Spielenden selbst in grundlegende Strukturen sen des Films, der Literatur und auch der Musik bestimmter Spiele ein. Zudem gibt es viele Spie- aufnehmen, ohne dadurch als eigenständiges Me- le, die gerade nicht in der Weise gespielt werden, dium verwässert zu werden.10 Kurz gesagt: Das, wie sie gedacht waren; am bekanntesten sind hier was das Computerspiel ist, lässt sich nicht durch sicher sogenannte speedruns, bei denen versucht eine abstrakte Definition klären, die wesentliche wird, ein Spiel so schnell wie möglich durchzu- Eigenschaften benennt und es dadurch von ande- spielen.11 Was bedeutet es nun, dass das Computerspiel ein kunstfähiges Medium ist? Dass Elemen- 08 Vgl. auch Arthur C. Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen. Eine Philosophie der Kunst, Frankfurt/M. 1991, insb. Kapitel 7. 09 Vgl. weitergehend dazu Daniel M. Feige, Design. Eine philoso- 11 Zu weiteren Formen des potenziell subversiven Gebrauchs phische Analyse, Berlin 2018, Kapitel 4. von Computerspielen siehe den Beitrag von Andreas Hedrich und 10 Vgl. Feige (Anm. 2), Kapitel 3.2. Christiane Schwinge in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). 07
APuZ 31–32/2019 te von Computerspielen oder Computerspiele nicht durchweg so, dass es eine Einheit von Spiel- insgesamt in Kunstpraktiken integriert werden geschehen und Themen geben muss – im Gegen- können, ist unstrittig. So dringt etwa die von teil: Das Verfahren synchroner Parallelisierun- Joan Heemskerk und Dirk Paesmans als Netz- gen verschiedener und unverbundener Elemente kunstduo „Jodi“ veröffentlichte Arbeit „SoD“ ist aus anderen Künsten bekannt – aber die meis- (2000) – eine Code-Modifikation des First-Per- ten Computerspiele dringen gar nicht bis zu der son-Shooters „Spear of Destiny“ (1992) aus der Ebene vor, dass sie durch künstlerische Verfah- „Wolfenstein“-Reihe – gewissermaßen hinter ren zum Nachdenken anregen, weil sie in klassi- die ästhetische Oberfläche des Shooter-Bildes schen Erzählweisen und Spielmechanismen ver- und lässt ebenso reflexive wie aus der Perspek- haftet bleiben. tive habitualisierter Spielhandlungen tendenziell unverständliche Computerspielbilder entstehen. KUNSTFÄHIGKEIT Obwohl hier nicht länger räumliche Verhältnis- se zu sehen sind, kommt man nicht umhin, ent- Computerspiele als Kunstwerke zu betrachten, sprechende Verhältnisse hineinzulesen.12 „SoD“ heißt, sie als eigenlogische Aushandlungen ih- ist insofern ein Kunstwerk, als es uns in eine rer Elemente zu begreifen, die die Spielenden Selbstthematisierung unserer Spielhandlungen durch den Nachvollzug einer solchen Aushand- nicht zuletzt hinsichtlich der Frage verwickelt, lung in ihren Überzeugungen und Orientierun- wie es um die codeförmige Unterseite von Spie- gen zugleich neu aushandeln. Darin unterschei- len und ihr Verhältnis zum Sicht- und Hörba- det sich das Computerspiel nicht grundsätzlich ren steht. von anderen Künsten, von denen es zehrt und die Damit ist bereits ein wesentliches Moment seit seiner Entstehung zugleich von ihm zehren. der Kunstfähigkeit des Computerspiels wie auch Denn ein solches Reflexionsgeschehen leistet je- anderer ästhetischer Medien benannt: Computer- des gelungene Spiel als Kunstwerk in je eigener spiele als Kunstwerke verwickeln uns in eine The- Weise. matisierung unserer selbst als Spielende, indem Nach den hier vorgestellten Überlegungen sie ihre eigenen Elemente und Strukturen thema- spricht nichts dagegen, dass das Computerspiel tisieren. Plakativer ausgedrückt: Das Spielen von ein kunstfähiges Medium ist. Welche Compu- Computerspielen wird hier ein Durchspielen un- terspiele Kunstwerke sind und welche in die- serer selbst; im Medium der Spielerfahrung re- ser Hinsicht gelingen oder scheitern, ist eine of- flektieren wir unsere wesentlichen Orientierun- fene Frage, die immer nur im kollektiven Streit gen und Verständnisse. der Spielenden und unter Einbezug ihrer Erfah- Für die Tiefe und Wichtigkeit von Kunst ist rungen mit diesen Spielen beantwortet werden deshalb auch nicht entscheidend, dass sie „tie- kann. Dass aber etwas an dem Gedanken proble- fe“ Themen aufgreift. Wer an einen First-Per- matisch ist, dass alle Computerspiele der Kunst son-Shooter eine Rahmenhandlung anklebt, in zuzuschlagen sind und sie grundsätzlich vom der irgendwelche moralischen Dilemmata thema- Verdacht jeglicher Ideologie zu befreien wären – tisiert werden, die aber nichts mit dem eigentli- das hoffe ich zugleich mit der Verteidigung der chen Spielgeschehen zu tun haben, oder wer ein Kunstfähigkeit des Computerspiels gezeigt zu Geschicklichkeitsspiel mit Streichern unterlegt haben. und in Pastellfarben inszeniert, produziert nicht mehr als ein missglücktes Kunstwerk. So ist etwa fraglich, ob das viel diskutierte „Detroit: Be- come Human“ (2018) nicht gerade deshalb trotz DANIEL MARTIN FEIGE der relevanten Themen, die es anschneidet (etwa ist Professor für Philosophie und Ästhetik unter die Frage nach dem ethischen Unterschied zwi- besonderer Berücksichtigung des Designs an schen Mensch und Maschine), kolossal scheitert, der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste weil es diese Themen letztlich nicht hinreichend Stuttgart. Er ist Autor der Bücher „Computerspiele. auf das Spielgeschehen selbst bezieht. Es ist zwar Eine Ästhetik“ und „Design. Eine philosophische Analyse“, die 2015 und 2018 bei Suhrkamp 12 Siehe das Video „Jodi SOD“, www.youtube.com/ erschienen sind. watch?v=24KQiy0U_Uk. daniel.feige@abk-stuttgart.de 08
Gaming APuZ (NOT) MADE IN GERMANY? Annäherungen an die deutsche Digitalspielbranche Felix Zimmermann Computer- und Videospiele beziehungsweise innen, Komponist*innen und Tester*innen erstellt „digitale Spiele“ – so der wissenschaftliche Be- werden (im Folgenden schlicht zusammengefasst griff – sind ein globales Phänomen. Wenn in die- als Entwickler*innen) – und auch hierzulande hat sem Beitrag also nach dem Stellenwert digitaler die Branche in den vergangenen Jahren sowohl Spiele und der Digitalspielbranche in Deutsch- kulturell als auch wirtschaftlich und politisch land gefragt wird, dann ist die deutsche stets als deutlich an Bedeutung gewonnen. Teil einer internationalen Branche zu betrach- Zur Annäherung an die Digitalspielbranche ten.01 Spielehersteller wie Activision Blizzard, werde ich zunächst einen Überblick über die zen- Electronic Arts oder Ubisoft produzieren mitt- tralen Akteur*innen geben und beschreiben, wie lerweile weltweit und zunehmend aufwändig. Di- bestimmte Diskurse die deutsche Digitalspielland- gitale Spiele werden häufig parallel in mehreren schaft geprägt haben. Anschließend werde ich auf Studios auf verschiedenen Kontinenten entwi- die wirtschaftliche (und damit politische) Bedeu- ckelt, und die Produktionskosten einzelner Spiel- tung der Games-Branche eingehen und Deutsch- titel können durchaus mehrere hundert Millionen land als Produktionsstandort und Umsatzmarkt US-Dollar betragen. Mit genauen Zahlen zu Pro- für digitale Spiele näher beleuchten, um abschlie- duktions- und Marketingbudgets halten sich die ßend einen kurzen Ausblick zu geben. maßgeblichen Akteur*innen der Branche in der Regel zwar zurück; einen Eindruck vom Ausmaß MA ẞ GEBLICHE PLAYER der prominenten Großproduktionen vermitteln UND ARENEN aber die Meldungen immer neuer Umsatzerfol- ge, die den Einspielergebnissen von Hollywood- Das Gravitationszentrum der deutschen wie der Filmproduktionen in nichts nachstehen: So spiel- globalen Digitalspielbranche sind die Spieler* te beispielsweise das Wildwest-Adventure-Game innen selbst, die durch ihre kontinuierlich stei- „Red Dead Redemption 2“ im Oktober 2018 in gende Zahl für eine zunehmende gesellschaftliche nur drei Tagen über 725 Millionen US-Dollar Durchdringung und wachsende Bedeutung des ein – das bis dahin zweiterfolgreichste Release Mediums sorgen. Dem Jahresreport 2018 der deut- eines Unterhaltungsproduktes überhaupt und schen Games-Branche zufolge spielen 42 Prozent überboten nur von einem weiteren Spiel, „Grand der Deutschen mindestens „gelegentlich“ digitale Theft Auto V“, das 2013 in den ersten drei Tagen Spiele, 35 Prozent „regelmäßig“.03 Das entspricht nach seiner Veröffentlichung sogar über eine Mil- rund 34 Millionen Spieler*innen, von denen – ent- liarde US-Dollar eingebracht hatte.02 gegen dem gängigen Klischee von fast ausschließ- Wie lässt sich die deutsche Digitalspielbran- lich männlichen Gamern – 47 Prozent weiblich che in diesen internationalen Kontext einordnen? sind. Auch die Angaben zum Alter der Spieler* Zwischen Leuchtturmprojekten wie „Grand Theft innen entsprechen nicht dem verbreiteten Vor- Auto“ und ersten Programmierversuchen am hei- urteil, dass digitale Spiele vor allem von Kindern mischen Rechner gibt es zahllose Ausprägungen und Jugendlichen genutzt werden: Im Schnitt sind digitaler Spiele, die auch ohne Millionenbudgets Spieler*innen in Deutschland 36,1 Jahre alt, und Impulse setzen und zu einer großen Spieler* die Über-50-Jährigen, die sogenannten silver ga- innenschaft gelangen können. Auch aus Deutsch- mer, stellen mit einem Anteil von 28 Prozent be- land kommen solche Spiele, die von multinationa- ziehungsweise 9,5 Millionen Menschen sogar die len Teams aus Designer*innen, Produzent*innen, größte Altersgruppe. Zum Vergleich: Der Anteil Grafiker*innen, Programmierer*innen, Autor* der 10- bis 19-Jährigen, der 20- bis 29-Jährigen, 09
APuZ 31–32/2019 der 30- bis 39-Jährigen und der 40- bis 49-Jährigen Abbildung 1: Nutzer*innen von Computer- und liegt jeweils bei 15 bis 17 Prozent (Abbildung 1). Videospielen, die mindestens „gelegentlich“ spielen, Was die beliebtesten Spiele-Plattformen angeht, 2018 sind mobile Geräte weiter auf dem Vormarsch: In- zwischen wird häufiger auf Smartphones gespielt bis 9 Jahre als auf PCs.04 2,7 Millionen Weitere wichtige Akteur* innen sind die Produzent* innen von Spielen. In Deutschland 50+ Jahre sind über 11 700 Beschäftigte bei Entwickler* 9,5 Millionen 10–19 Jahre 5,8 Millionen innen und Publishern tätig, verteilt auf 524 Un- ternehmen. Zählt man Beschäftigte bei Dienst- leistern, im Handel, bei Bildungseinrichtungen, Gesamtzahl: Medien und im öffentlichen Sektor mit Bezug 34,3 Millionen zur Games-Branche hinzu, kommt man auf über 28 700 Menschen, die ihren Lebensunterhalt in 20–29 Jahre diesem Sektor verdienen. Am stetig wachsenden 5,3 Millionen 40–49 Jahre Umsatz auf dem deutschen Games-Markt, der in- 5,5 Millionen zwischen über drei Milliarden Euro schwer ist, partizipieren deutsche Publisher und Entwickler* innen indes nur zu einem geringen Anteil.05 Lan- 30–39 Jahre 5,5 Millionen ge Zeit wurde die Digitalspielbranche in Deutsch- land von zwei Lobbyverbänden vertreten, dem Quelle: Jahresreport der deutschen Games-Branche 2018, Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoft- S. 8, Berechnungen auf Grundlage des GfK Consumer Panels ware (BIU) und dem (in der Eigenbezeichnung (2016/2017; n = 25 000); eigene Darstellung. großgeschriebenen) GAME – Bundesverband der deutschen Games-Branche. Anfang 2018 wur- de schließlich eine Fusion dieser beiden Verbän- aus Vertreter*innen einiger Global Player sowie de vollzogen, die vier Jahre zuvor noch geschei- von kleinen und mittelgroßen deutschen Studios tert war. Die Interessen großer Teile der deutschen zeigt sich eine neue Stoßrichtung der Branche in Digitalspielbranche werden nun durch den (in der Deutschland, die unabhängig von Größe und fi- Eigenbezeichnung kleingeschriebenen) game – nanzieller Ausstattung der jeweiligen Studios als Verband der deutschen Games-Branche vertreten. Einheit auftreten möchte, um ihren Forderungen Eigenen Angaben zufolge zählt der Verband über in den politischen Zentren des Landes mehr Ge- 230 Mitglieder, „darunter Entwickler, Publisher, hör zu verschaffen. eSports-Veranstalter, Bildungseinrichtungen und Game ist Gesellschafter der für die Altersfrei- Dienstleister“.06 In der Besetzung des Vorstands gaben zuständigen Unterhaltungssoftware Selbst- kontrolle (USK)07 und der Stiftung Digitale Spielekultur sowie Träger der jährlichen Messe 01 Vgl. Josef Köstlbauer/Eugen Pfister/Tobias Winnerling/Felix „Gamescom“ und des Deutschen Computerspiel- Zimmermann (Hrsg.), Weltmaschinen. Digitale Spiele als globalge- schichtliches Phänomen, Wien 2018. preises (DCP). Letzterer wurde erstmals 2009 zur 02 Vgl. Take-Two Interactive, Red Dead Redemption 2 Achie- Förderung der deutschen Games-Branche aus- ves Entertainment’s Biggest Opening Weekend of All Time, gelobt und zunächst gemeinsam mit dem bezie- 30. 10. 2018, https://ir.take2games.com/news-releases/news- hungsweise der Beauftragten der Bundesregie- release-details/red-dead-redemption-2-achieves-entertainments- rung für Kultur und Medien verliehen, seit 2014 biggest-opening?field_nir_news_date_value[min]=2019. 03 Als „regelmäßig“ spielend gilt bereits, wer mindestens mehr- mit dem Bundesministerium für Verkehr und di- mals pro Monat digitale Spiele spielt. Vgl. Durchschnittsalter deut- gitale Infrastruktur (BMVI). Im kommenden Jahr scher „Gamer“ steigt weiter, 3. 4. 2019, www.gameswirtschaft.de/ wird der DCP erstmals mit dem Bundespresseamt wirtschaft/durchschnittsalter-gamer-2019. veranstaltet, womit er noch näher ans Kanzleramt 04 Vgl. Game – Verband der deutschen Games-Branche e. V., heranrückt. Dennoch vertritt Game letztlich nicht Jahresreport der deutschen Games-Branche 2018, Berlin 2018, S. 6–11, www.game.de/medien/jahresreport. 05 Vgl. ebd., S. 25 ff. 07 Zur USK und Jugendschutz in Computerspielen siehe auch den 06 Ebd., S. 49. Beitrag von Daniel Heinz in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). 10
Gaming APuZ die gesamte Digitalspielbranche: Als Zusammen- Zwar nicht im Sinne einer journalistisch vermit- schluss von Unternehmen vertritt der Verband vor telten, kritischen Öffentlichkeit, dafür aber umso allem Arbeitgeber- und nicht Arbeitnehmerinte- einflussreicher sind vor allem Youtuber*innen und ressen. Als Wirtschaftsverband ist er damit etwa Streamer*innen, die sich mit digitalen Spielen aus- vergleichbar mit dem Börsenverein des Deutschen einandersetzen. Ein beliebtes Format sind die soge- Buchhandels. Um in diesem Bild zu bleiben: Einen nannten Let’s-play-Videos, in denen Spieler*innen gleichwertigen Verband deutscher Schriftsteller* ihre Spieldurchläufe aufzeichnen und dabei direkt innen für die deutsche Digitalspielbranche, der kommentieren. Über Plattformen wie Youtube oder sich stärker für künstlerische, arbeits- oder verwer- Twitch finden solche Videos Tausende Zuschauer* tungsrechtliche Interessen von Berufsgruppen in innen. Einer der ersten deutschen Youtuber, der er- der Branche einsetzen könnte, gibt es bislang nicht. heblichen Anteil am Erfolg solcher Videos hatte Auch der deutsche Digitalspieljournalismus und hat, ist Erik Range, bekannt unter dem Pseu- hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwi- donym Gronkh, der mit 4,8 Millionen Abonnent* ckelt. Mittlerweile können Spieler*innen aus di- innen auf Youtube der reichweitenstärkste Let’s- versen, unterschiedlich ausgerichteten journalisti- Player Deutschlands ist. Ihre Reichweite macht die schen Formaten wählen, die sich im Spannungsfeld erfolgreichsten Streamer*innen auch für die Bran- zwischen sogenanntem new und old games jour- che interessant: Mittlerweile werden sie häufig di- nalism bewegen, das heißt zwischen stärker sub- rekt von Publishern angefragt, um als Influencer* jektivierenden Erlebnisberichten und objektivie- innen Spiele auf ihren Kanälen zu präsentieren. renden Produktrezensionen.08 Zu den wichtigsten Darüber hinaus finden Spieler* innen in Lesemedien gehören das Magazin „Gamestar“, Deutschland eine breite Event- und Festival- das Bookazine „WASD“, das Online-Magazin kultur zum Thema digitale Spiele vor. Weltweit „Games Wirtschaft“ und das „Gain Magazin“. bekannt ist die jährliche Messe „Gamescom“ Außerdem gibt es eine wachsende Zahl an Pod- in Köln, deren Besucher* innenzahlen seit ih- casts verschiedener Stoßrichtungen, darunter rer Gründung 2009 von 245 000 auf 370 000 langjährige Vertreter wie „Insert Moin“ oder das im Jahr 2018 gestiegen sind.10 Gemessen an ih- kulturwissenschaftliche Format „Pixeldiskurs“.09 rer Ausstellungsfläche und Besucher*innenzahl Die bis Ende 2014 auf dem Musiksender MTV ist die „Gamescom“ die weltweit größte Mes- ausgestrahlte Fernsehsendung „Game One“ ist se für digitale Spiele, auf der es auch eine „Indie im Livestream-Kanal Rocket Beans TV aufgegan- Arena Booth“ gibt, in der kleine Entwickler* gen, der rund um die Uhr auf verschiedenen On- innenstudios ihre Spiele ausstellen können. line-Plattformen sendet. Auch in den klassischen Daneben gibt es einige, auch international re- Print- und Online-Medien von der „Frankfurter nommierte Digitalspielfestivals in Deutsch- Allgemeinen Zeitung“ über „Spiegel Online“ bis land, die sich auch und besonders den künstle- zu „Die Zeit“ werden digitale Spiele inzwischen rischen Ausprägungen des Mediums widmen. besprochen, obgleich noch immer weitaus selte- Zu nennen wäre hier beispielsweise das Festi- ner als etwa Literatur oder Kinofilme. Im Bereich val „Play“ in Hamburg,11 die „A Maze“ im Rah- des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es seit men der „Games Week Berlin“ oder das „Next 2016 das Magazin „Game Two“, das im Auftrag Level Festival“ an wechselnden Standorten, zu- von ARD und ZDF produziert und auf Rocket letzt in Düsseldorf. Diese Festivals stehen stell- Beans TV und Youtube ausgestrahlt wird, zudem vertretend für eine in Deutschland wachsende die Sendung „Art of Gaming“ auf dem deutsch- und international sehr gut vernetzte Szene an französischen Kultursender Arte. Entwickler* innen, die sich abseits kommerzi- eller Interessen mit digitalen Spielen als Form 08 Vgl. Robert Glashüttner, Computerspiele-Journalismus. künstlerischen Ausdrucks auseinandersetzen. Formale, strukturelle und ideologische Entwicklungen, in: Stephan Günzel/Michael Liebe/Dieter Mersch (Hrsg.), DIGAREC Lectures 2008/09 – Vorträge am Zentrum für Computerspielforschung mit 10 Vgl. Gamescom 2018: Spektakuläre Neuheiten zum 10-jäh- Wissenschaftsforum der Deutschen Gamestage, Quo Vadis 2008 rigen Jubiläum, Pressemitteilung, August 2018, www.press1.de/ und 2009, Potsdam 2009, S. 128–147. wrapper.cgi/www.press1.de/files/kmeigen_kmpresse_0480_ 09 Vgl. Martin Lorber, Deutschsprachige Spiele-Podcasts 2018pm23_de.pdf; Game (Anm. 4), S. 40 f. boomen: Ein Überblick, 3. 3. 2018, https://spielkultur.ea.de/allge- 11 Siehe den Beitrag von Andreas Hedrich und Christiane mein/8182. Schwinge in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). 11
APuZ 31–32/2019 In den vergangenen Jahren lässt sich zudem Spiele von einigen Vertreter*innen von Zivilge- eine vermehrte museale und archivalische Pra- sellschaft, Wissenschaft und Politik als Gefahr für xis in Verbindung mit digitalen Spielen beob- die Jugend und die Gesellschaft dargestellt. achten. Den Anfang machte bereits 1997 das Unter dem Begriff „Killerspiel“ wurden wirk- Computerspielemuseum Berlin, das sich mit mächtig all jene Spiele zusammengefasst, in denen zahlreichen Wechselausstellungen, einer Dau- das Töten von Menschen oder menschenähnli- erausstellung, Veranstaltungen und pädagogi- chen Figuren Kern der Spielerfahrung ist, wo- schen Angeboten dafür einsetzt, einem breiten bei der Begriff in seiner Auslegung und Nutzung Publikum „die Kultur und Geschichte von digi- immer unscharf blieb.16 Besonders nach dem talen Spielen (…) zu vermitteln“ und auf diesem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium Wege „das Verständnis von digitalen interakti- 2002 und dem Amoklauf an der Albertville-Re- ven Unterhaltungsmedien zu vertiefen und so alschule in Winnenden sieben Jahre darauf wurde die Medienkompetenz zu erhöhen“.12 Das Mu- intensiv über ein Verbot sogenannter First-Per- seum ist zudem Partner der ebenfalls in Berlin son-Shooter beziehungsweise Ego-Shooter dis- beheimateten Internationalen Computerspiele- kutiert, die vermeintlich zur Verrohung der Ju- sammlung, deren Datenbank im April 2019 on- gend beitrügen und das Töten trainieren würden. line gegangen ist und die zur weltweit größten In dieser oft polemisch geführten Debatte wur- Sammlung digitaler Spiele ausgebaut werden de zudem ein normativer Kulturbegriff angelegt, soll.13 Anfang 2019 kündigte die Direktorin des der eine idealisierte Hochkultur von den als we- Deutschen Literaturarchivs Marbach schließlich niger wertvoll empfundenen digitalen Spielen ab- an, künftig ebenfalls digitale Spiele sammeln zu zugrenzen suchte.17 All dies trug unter anderem wollen – zumindest solche, „die in hohem Maße dazu bei, dass die deutsche Digitalspielbranche Erzählstrukturen enthalten“ –, da es sich bei in jener Zeit in der Politik einen eher schweren Games „um die nächste mediale Stufe von Lite- Stand hatte. ratur“ handele.14 Rückblickend ist jedoch festzustellen, dass sich die 2007 noch stark polarisierende Positi- VOM „KILLERSPIEL“ on des Kulturratsgeschäftsführers Olaf Zimmer- ZUM „KULTURGUT“ mann, „dass Gewalt nicht automatisch kulturlos“ sei und dass es „ein Recht auf Schund“ nicht nur Die Diskussion um den Status des digitalen Spiels in Literatur, Film und Musik, sondern eben auch als Kulturgut, die durch die Ankündigung des im Kontext digitaler Spiele gebe,18 letztendlich in Literaturarchivs neu angefacht wurde, schwelt der Breite der Gesellschaft und vor allem auch bereits seit Langem. Dabei schien sie vor über politisch weitgehend durchgesetzt hat. So wur- einem Jahrzehnt – zumindest in einigen Schlag- de die Aufnahme des Branchenverbandes in den zeilen – bereits beendet. So titelte „Spiegel On- Deutschen Kulturrat von Verfechtern des Me- line“ im August 2008: „Jetzt offiziell. Compu- diums dankbar aufgenommen und als Beleg ge- terspiele sind Kultur“15 und bezog sich dabei auf wertet, dass digitale Spiele nun den Schritt zur die Aufnahme des damaligen Branchenverbandes Hochkultur gemacht hätten und deswegen politi- GAME in den Deutschen Kulturrat. Freilich lief scher Aufmerksamkeit sowie finanzieller Förde- die Diskussion auch anschließend weiter – aber rung bedürfen. Die durch den „Killerspiel“-Dis- schon die Entwicklung bis hierhin konnte von der Branche als entscheidender Fortschritt ge- wertet werden, denn lange Zeit und noch bis An- 16 Einen kurzweiligen Überblick über die Debatte bietet die dreiteilige und für den Grimme-Preis nominierte Dokumentation fang der 2010er Jahre wurden bestimmte digitale „Killerspiele!“, die der Journalist Christian Schiffer 2016 für das ZDF produzierte. 12 Computerspielemuseum, Über uns, o. D., www.computerspiele- 17 Vgl. Oliver Castendyk/Jörg Müller-Lietzkow, Die Computer- museum.de/1219_Ueber_uns.htm. und Videospielindustrie in Deutschland. Daten – Fakten – Analy- 13 Siehe www.internationale-computerspielesammlung.de. sen, Hamburg 2017, S. 22–34. 14 Auch Computerspiele gehören ins Literaturarchiv, Inter- 18 Es gibt ein Recht auf Schund – zur Computerspieldebatte, view von Stefan Dosch mit Sandra Richter, 27. 2. 2019, www. Interview von Jürgen Kleindienst mit Olaf Zimmermann, in: Olaf augsburger-allgemeine.de/id53615446.html. Zimmermann/Theo Geißler (Hrsg.), Streitfall Computerspiele: 15 Jetzt offiziell. Computerspiele sind Kultur, 14. 8. 2008, www. Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und spiegel.de/netzwelt/spielzeug/a-572152.html. Jugendschutz, Berlin 2008, S. 50 f., hier S. 51. 12
Gaming APuZ kurs angeregte breite Wirkungsforschung trug den Erfolgs des 2017 erschienenen sogenannten letztlich auch dazu bei, dass Forscher*innen ver- Battle-Royale-Spiels „Fortnite“, einem Shoo- schiedenster Disziplinen zu einem differenzierten ter in Comic-Optik, wird wieder vermehrt über Blick auf Gefahren und Potenziale digitaler Spiele das verführerische Potenzial von digitalen Spie- gelangten.19 len gesprochen – im Falle von „Fortnite“ auch Während mit der Eröffnung der „Gamescom“ im Zusammenhang mit der Darstellung von Ge- durch Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 die walt. Seit 2018 führt die Weltgesundheitsorgani- Diskussion über den Kulturgutstatus des digita- sation in ihrer Klassifikation von Krankheiten len Spiels ein vorläufiges Ende gefunden zu ha- und Gesundheitsproblemen „Gaming Disor- ben scheint, wird weiterhin darüber diskutiert, der“ als eigenständige Diagnose. Zwar kritisie- ob digitale Spiele auch Kunst sein können. Die- ren Forscher*innen, dass es an qualitativ hoch- se Frage schwang bereits in der „Killerspiel“-De- wertigen Studien und trennscharfen Kriterien zur batte mit, wurden Verbotsforderungen doch mit Feststellung einer solchen „Digitalspielstörung“ Verweisen auf die Kunstfreiheit erwidert.20 Die fehle,22 doch gibt es auch in dieser Diskussion – USK hat diese Frage für sich bereits entschie- der „Killerspieldebatte“ ähnlich – viel Raum für den: Im August 2018 kündigte sie an, im Verfah- Vereinfachungen und Pauschalisierungen. ren zur Altersfreigabe von Spielen künftig die Allerdings ist die öffentliche Debatte darüber Sozialadäquanzklausel des § 86a Abs. 3 Strafge- von größter Wichtigkeit, denn sie erhöht den ge- setzbuch einzubeziehen. „Damit können solche sellschaftlichen Druck auf große Publisher, die Computer- und Videospiele eine Altersfreiga- durchaus problematische Spielmechaniken mit be der USK erhalten, in denen die Verwendung Suchtpotenzial einsetzen. Zu diesen zählen bei- von Kennzeichen verfassungswidriger Organisa- spielsweise die sogenannten lootboxes, bei denen tionen von den USK-Gremien als sozialadäquat Spieler*innen – zumeist im Tausch gegen spielin- beurteilt wird. Sozialadäquat bedeutet in diesem terne Währungen oder echtes Geld – auf Zufalls- Zusammenhang, dass Symbole verfassungsfeind- basis Gegenstände erwerben, die im Spielkontext licher Organisationen in einem Titel verwendet nutzbar sind. Kritiker*innen vergleichen diese werden können, sofern dies der Kunst oder der Mechaniken mit Spielautomaten oder Roulette. Wissenschaft, der Darstellung von Vorgängen 2018 erklärten sowohl die Niederlande wie auch des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient.“21 Belgien einige dieser lootboxes zu Glücksspiel Wie in Filmen, die als Kunstform etabliert sind, und zwangen Publisher dazu, sie anzupassen oder können künftig also auch in digitalen Spielen aus Spielen wie „Fifa 18“ zu entfernen. Publisher zum Beispiel Hakenkreuze gezeigt werden, so- wie Electronic Arts sehen diese Mechaniken lie- fern die genannten Kriterien erfüllt sind und ein ber in Verwandtschaft mit „Überraschungsei- digitales Spiel als künstlerischer Ausdruck ge- ern“ statt mit Glücksspiel und beschreiben sie als wertet wird. ethisch vertretbar und unterhaltsam, um Regu- Zu einer Herausforderung für die Branche lierungen und Verboten in weiteren Ländern zu könnte in den nächsten Jahren indes die Dis- entgehen.23 Eine öffentliche Debatte ist also auch kussion um das Thema Digitalspielsucht be- deshalb notwendig, damit die die zurecht kri- ziehungsweise problematische Mediennutzung tisierten Mechaniken nicht zu Pauschalurteilen werden. Nicht zuletzt wegen des durchschlagen- über das Medium an sich führen und die Ursa- chen und Ausprägungen problematischer Medi- ennutzung differenziert betrachtet werden. 19 Vgl. Thorsten Quandt et al., Digital Games Research: A Survey Study on an Emerging Field and Its Prevalent Debates, in: Journal of Communication 6/2015, S. 975–996. 22 Vgl. Espen Aarseth et al., Scholars’ Open Debate Paper on 20 Vgl. in diesem Kontext Daniel Martin Feige, Computerspiele. the World Health Organization ICD-11 Gaming Disorder Propo- Eine Ästhetik, Frankfurt/M. 2015. Siehe auch den Beitrag von sal, in: Journal of Behavioral Addiction 3/2017, S. 267–270. Feige in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). 23 Vgl. Wesley Yin-Poole, Now Belgium Declares Loot Boxes 21 Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), USK berücksich- Gambling and Therefore Illegal, 25. 4. 2018, www.eurogamer.net/ tigt bei Altersfreigabe von Spielen künftig Sozialadäquanz, Pres- articles/2018-04-25-now-belgium-declares-loot-boxes-gamb- semitteilung, 9. 8. 2018. Vgl. auch Felix Zimmermann, Wider die ling-and-therefore-illegal; Matt Cox, EA: „We don’t call them loot Selbstzensur – Das Dritte Reich, nationalsozialistische Verbrechen boxes“, they’re „surprise mechanics“, 20. 6. 2019, www.rockpa- und der Holocaust im Digitalen Spiel, 27. 8. 2017, https://gespielt. pershotgun.com/2019/06/20/ea-we-dont-call-them-loot-boxes- hypotheses.org/1449. theyre-surprise-mechanics. 13
APuZ 31–32/2019 IM KOOPMODUS: dem Gebiet der Virtual Reality), die sich auf an- WIRTSCHAFT UND POLITIK dere Bereiche übertragen lassen. Erste Maßnahmen wurden bereits eingeleitet: Dass die deutsche Digitalspielbranche sich mitt- 2019 ist im Bundeshaushalt erstmals ein Budget lerweile stärkerer politischer Unterstützung er- für die Förderung digitaler Spiele enthalten, insge- freut, zeigt sich unter anderem am Deutschen samt stehen 50 Millionen Euro zur Verfügung. Bis Computerspielpreis, der als ein Inszenierungsin- Ende August 2019 können sich Digitalspielun- strument der guten Beziehungen zwischen Bran- ternehmen beim BMVI für eine sogenannte De- che und politischen Entscheidungsträger*innen minimis-Beihilfe um bis zu 200 000 Euro Bun- gedeutet werden kann. Derart öffentlichkeits- desförderung bewerben.27 Nach einer Pilotphase wirksam treffen Vertreter*innen der Branche, des soll auch mit größeren Summen gefördert werden Bundes und der Länder sonst selten aufeinander. können, was jedoch die Zustimmung der Europä- Dennoch konnte der Preis bislang kaum die er- ischen Kommission erfordert. Die Klassifizierung hoffte gesamtgesellschaftliche Strahlkraft entfal- digitaler Spiele als Kulturgut ist hier von unmit- ten, weshalb verschiedene Anpassungen im Ge- telbarer Relevanz: Das Notifizierungsverfahren spräch sind.24 Zu klären ist beispielsweise, ob auf europäischer Ebene sieht für Kulturförde- der Preis langfristig als Wirtschafts- und Förder- rung einen sogenannten Kulturtest vor. „Dieser preis bestehen kann oder ob eine Neuaufstellung Kulturtest soll wettbewerbsverzerrende Beihilfen als Kulturpreis vonnöten ist, um der deutschen verhindern und ist eine EU-Vorgabe, wie es sie Computerspielbranche national wie international auch in anderen Branchen und Ländern gibt. An- zu mehr Anerkennung zu verhelfen.25 hand einer Art Checkliste muss eine vorgegebene Wesentlich handfester manifestiert sich der Punktzahl mit Blick auf Spielinhalte, Entwickler- gewachsene Stellenwert der Digitalspielbranche Team und kulturellem Hintergrund erreicht wer- durch Vereinbarungen im aktuellen Koalitions- den.“28 Das heißt, nur Spiele, die diesen Test be- vertrag zwischen CDU, CSU und SPD, die ex- stehen, können auch gefördert werden. plizit auf die Förderung der Branche zielen: So Die Bundesförderung ist insofern ein No- wolle man zum einen den E-Sport, also das wett- vum, als der Bund bisher nur indirekt in die Pro- bewerbsmäßige Spielen digitaler Spiele, „künftig duktion digitaler Spiele investierte, etwa über die vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Preisgelder des Computerspielpreises, die zur Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung Hälfte von der Branche selbst getragen werden. einer olympischen Perspektive unterstützen“. So konnten Entwickler*innen bisher nur auf die Zum anderen wolle man „seitens des Bundes eine Fördermechanismen der Länder zurückgreifen, Förderung von Games zur Entwicklung hoch- beispielsweise den Film-Fernseh-Fonds Bayern wertiger digitaler Spiele einführen, um den Ent- oder die Film- und Medienstiftung NRW. Ent- wicklerstandort Deutschland zu stärken“. Auch scheidend ist, dass jene Mittel aus der Länder- die Stärkung und Weiterentwicklung des Deut- förderung in der Regel als „bedingt rückzahlbare schen Computerspielpreises ist im Koalitions- Darlehen“ vergeben werden, also zurückgezahlt vertrag verankert.26 Dahinter steht nicht nur die werden müssen, sobald Gewinne erwirtschaftet Hoffnung auf wachsende Steuereinnahmen aus werden. Die Digitalspielförderung des Bundes den Umsätzen einer lukrativen Branche, sondern ist wiederum als „nicht rückzahlbarer Zuschuss“ auch auf technologische Innovationen (etwa auf konzipiert, ist also ein Subventionsinstrument.29 24 Vgl. Petra Fröhlich, Deutscher Computerspielpreis 2019: Sechs 27 Vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Lehren für 2020, 15. 4. 2019, www.gameswirtschaft.de/events/ De-minimis-Beihilfe zur Computerspieleförderung, o. D., www.bmvi.de/ computerspielpreis-dcp-2020-analyse. SharedDocs/DE/Artikel/DG/de-minimis-beihilfe-zur-computerspiele 25 Vgl. Felix Zimmermann, Katalysator. Der Deutsche Computer- foerderung.html; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfra- spielpreis 2019, in: Politik & Kultur 5/2019, S. 10. ge der FDP-Fraktion, Förderung der Computerspieleentwicklung auf 26 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legis- Bundesebene, Vorabfassung, Bundestagsdrucksache 19/10738, 6. 6. laturperiode, 12. 3. 2018, www.bundesregierung.de/resource/ 2019, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/107/1910738.pdf. blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad67 28 Computerspiele-Förderung: Für Scheuer geht es „in die Vol- 2b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf, Zeilen 2167–2171, len“, 11. 4. 2019, www.gameswirtschaft.de/politik/computerspiele- 8141–8144. Zum E-Sport siehe auch den Beitrag von Robin foerderung-antrag. Streppelhoff in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). 29 Vgl. ebd. 14
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