Ökonomien des Sterbens - Tagungsdokumentation - Mit dem Sterben leben eV
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
OMEGA – Mit dem Sterben leben e.V. Bundesgeschäftsstelle Dickampstr. 12 · 45879 Gelsenkirchen Tel.: 0209 – 91 328 22/21 info@omega-ev.de · www.omega-ev.de Mitglied im: BioSkop e.V. Bochumer Landstr. 144a · 45276 Essen Tel.: 0201 – 53 66 706 info@bioskop-forum.de www.bioskop-forum.de
Seite 3 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation Inhalt Ökonomien des Sterbens – Tagung 15.11.2014.................................................................................... 4 Programm................................................................................................................................................... 5 Begrüßung und Einleitung Erika Feyerabend.................................................................................... 6 „Autonomie am Lebensende?“ Spurensuche zum kulturprägenden Ideal.............................. 10 Diskussion zum Vortrag von Stefanie Gräfe mit Erika Feyerabend............................................ 19 „Die Bedeutung von Selbsttötungen in der deutschen Altenhilfe“............................................. 24 Diskussion zum Vortrag mit Bodo de Vries...................................................................................... 37 „Was brauchen Menschen in ihrer letzten Lebensphase?“............................................................ 41 Diskussion über den Vortrag mit Andreas Heller........................................................................... 53 Neoliberalismus und die Reorganisation der Care-Ökonomie, Mascha Madörin.................. 56
Seite 4 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation Ökonomien des Sterbens – Tagung 15.11.2014 Sterben ist heutzutage ein öffentliches und beängstigend. Diese materiellen Lebens ein politisches Thema. Allerdings nicht nur und Sterbebedingungen gelten nicht selten in der Weise, wie es sich die Hospizbewe- als „unabänderlich“, obwohl sie politisch gung seit Jahrzehnten wünscht: Wie können und gesellschaftlich zu verändern wären. schwerstkranke und sterbende Menschen, All das sind wenig beachtete Motive, die ihre Angehörigen und ihr Freundeskreis gut verschiedene Dienstleistungsangebote, die begleitet werden? Welcher gesellschaftlichen das „schnelle Sterben“ unter Vermeidung Anstrengungen bedarf es, um Sterben unab- von langer Pflegebedürftigkeit als eine Art hängig von Herkunft, sozialer Stellung und privater Lösung plausibel machen. Die ge- Geldbeutel erträglich zu gestalten? sundheits- und sozialpolitischen Unverant- wortlichkeiten bleiben unberücksichtigt. Ähnlich wie in anderen Lebensbereichen auch, sollen Vorsorge, Planung, Dienstleis- Das wollen wir im Rahmen dieser Veran- tung die allzu menschlichen Befürchtungen staltung ändern und die „Ökonomien des zähmen. Der Wunsch, den eigenen Körper Sterbens“ zum Thema machen. Wie wird kontrollieren, den Alltag mit schwerer öffentlich über die verschiedenen Varianten Pflegebedürftigkeit vermeiden oder im Griff der Sterbehilfe gesprochen? Und was wird behalten zu können, wird zumindest in den verschwiegen? Wie denken Ökonomen über durch Medien vermittelten Expertengesprä- die Pflege nach? Und wie kann die Versor- chen und politischen Debatten auf gefähr- gung Schwerstkranker und Sterbender unter liche Bahnen gelenkt. Ärztliche Beihilfe zur passablen Arbeits- und Lebensbedingungen Selbsttötung und der tödliche Behandlungs- organisiert und bezahlt werden? Was brau- abbruch via Patientenverfügung oder die chen Menschen an Zuspruch und sozialer „aktive Sterbehilfe“ als nachfragbare Dienst- Absicherung am Lebensende? leistung stehen auf der Agenda. Ort: „Selbstbestimmung bis zuletzt“ lautet das UNESCO Welterbe Zollverein, Gelsen Versprechen. Viel wird auch über eine „Ap- kirchener Str. 181, 45309 Essen Zollverein paratemedizin“ gesprochen, die das Sterben nicht mehr zulassen könne. Sehr wenig über Eine gemeinsame Veranstaltung von: soziale Sicherungssysteme, die immer mehr OMEGA – Mit dem Sterben leben e.V., Menschen im Alter und Krankheit unzurei- Gelsenkirchen chend absichert. Kranksein macht arm, es gefährdet das kleine Erbe für die Angehöri- BioSkop – Forum zur Beobachtung der gen, überfordert Familien – vor allem Frauen Biowissenschaften, Essen –, die sich gute Pflegebedingungen nicht leisten können und ist mit Bildungswerk der Humanistischen der Perspektive auf spärliche Renten sehr Union NRW e.V., Essen
Seite 5 Programm 9.30 Uhr Begrüßung und Vorstellung Fakultät der Universität Klagenfurt in des Programms Wien und mit Reimer Gronemeyer Autor des Buches „In Ruhe sterben. Was wir uns 10.00 Uhr „Autonomie am Lebensende?“ wünschen und was die moderne Medizin Spurensuche zum kulturprägenden nicht leisten kann“ Sterbeideal Die Soziologin Stefanie Graefe (Universität 16.30 Uhr „Finanzierung der Pflege – Jena) beschäftigt sich mit der Diskurs- Herausforderungen für das ökonomie des Sterbens, also der Art und ökonomische Denken“ Weise, wie über das Lebensende verhan- Mascha Madörin, feministische Wirtschafts- delt wird wissenschaftlerin aus Basel, erklärt, wie Ökonomen Pflege denken, wie Tarife und 11.45 Uhr „Die Bedeutung von Selbsttö Versicherungssysteme heute die Pflege- tungen in der deutschen Altenhilfe“ prozesse strukturieren und welche Debat- Daten, Fakten und Schlussfolgerungen ten zur Finanzierung von Pflege dringend aus der Versorgungspraxis in Altenhei- neu geführt werden müssten men. Bodo de Vries, Sozialwissenschaftler und Vorstand im Ev. Johanneswerk Moderation: Erika Feyerabend (Sozialwissen-schaftlerin, BioSkop e.V.) 14.30 Uhr „Was brauchen Menschen in ihrer letzten Lebensphase?“ 18.30 Uhr Führung durch das Weltkultur Andreas Heller, Professor für Palliative erbe Zeche Zollverein Care und Organisationsethik an der IFF
Seite 6 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation Begrüßung und Einleitung Erika Feyerabend Wir sind sehr erfreut, dass Sie in einen Sterbehilfetourismus in die Schweiz so großer Zahl gekommen sind gibt, organisiert über die Schweizer Ver- und begrüßen Sie herzlich. einigung Dignitas. Eine deutsche Depen- dance gibt es in Hannover. Dieser spezielle So aktuell wie heute waren wir mit unseren Grenzverkehr hat sich laut einer britischen bisher gemeinsam veranstalteten Tagungen Studie zwischen 2008-2012 verdoppelt. noch nie. Am 13.11.2014 wurden im Deut- 268 deutsche Bürgerinnen sollen in die- schen Bundestag so genannte Orientierungs- sem Zeitraum die Dienste von Dignitas gespräche zum Thema „Sterbehilfe“ geführt. in Anspruch genommen haben. Ob eine Im Herbst nächsten Jahres ist ein Gesetz so „organisierte Sterbehilfe“ in Deutsch- geplant, dass die ärztliche, organisierte, land ausdrücklich erlaubt oder verboten gewerbliche Beihilfe zum Suizid regeln werden soll, ist umstritten. Renate Künast soll. Wir haben also Zeit, uns Gedanken zu von der Partei Bündnis 90/Die Grünen machen, Positionen zu beziehen und die öf- favorisiert ein solches Angebot. Gesund- fentliche Diskussion mitzugestalten. Leider heitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat gibt es auch eine unerwartete, persönliche sich für ein Verbot der gewerblichen wie Aktualität. Der Bruder von Stefanie Gräfe ist auch einer organisierten Sterbehilfe nach heute Nacht gestorben. Ich werde deshalb dem Schweizer Modell ausgesprochen. Der den Vortrag von Stefanie Gräfe stellvertre- SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach hält – tend vortragen. Für heute haben wir uns wie sein CDU-Kollege Peter Hintze – ein vorgenommen, die sozialpolitischen Freistel- striktes Verbot der Sterbehilfe für nicht len in dieser Diskussion zum Thema zu ma- mehr zeitgemäß. Sie und weitere Abge- chen. In den meisten Debatten spielt genau ordnete sprechen sich ausschließlich für das nur eine sehr untergeordnete Rolle. die ärztliche Beihilfe zum Suizid aus – und gegen Sterbehilfeverbände. Angekündigt Anlass – nicht Ursache – der beginnenden sind vier Gesetzesentwürfe, die noch nicht parlamentarischen Debatte dürften zum vorliegen, aber in diesem Spektrum zu einen die Aktivitäten von Roger Kusch verorten sein dürften. (Ex-Justizsenator in Hamburg) sein. Er bot eine Art gewerblicher Beihilfe zum Suizid Einen außerparlamentarischen Vorschlag mit seinem Verein SterbeHilfeDeutschland gibt es schon von dem Palliativmediziner e.V an und hält sich derzeit in der Schweiz Gian Domenico Borasio, den Medizinethi- auf. Kusch nahm in einigen Fällen persön- kern Ralf Jox und Urban Wiesing sowie dem lich Honorare von bis zu 6.500 Euro für Medizinrechtler Jochen Taupitz. Danach soll seine Dienste entgegen. die Beihilfe verboten werden, um organisier- te und gewerbliche Initiativen zu vermeiden. Es gibt einen breiten Konsens, dass die- In Ausnahmefällen – ein recht interpretati- se gewerbliche Suizidbeihilfe verboten onsoffener Begriff – soll Beihilfe nach not- werden soll. Tatsache ist aber auch, dass es gedrungen vagen medizinischen Kriterien
Seite 7 und vernünftig begründeter Nachfrage nur in einem einzigen Fall eine Geldbuße von Sterbewilligen aber exklusiv für Ärzte verhängt. Die Frage ist berechtigt, warum so eindeutig straffrei sein. Das würde bedeuten: viel Aufregung um die wenige Ausnahme- Ärztliche Beihilfe wird zu einer Dienstleis- handlungen am Lebensende erzeugt wird. tung, die auch in der Gebührenordnung be- Ich befürchte, dass es eben keine Ausnah- rücksichtigt werden müsste. Sozialpolitische me sondern eine Regel, eine nachfragbare Bedenken, schlechte Pflegebedingungen, Dienstleistung von Ärzten werden soll. Ob Ökonomisierung des Gesundheitswesens sich das juristisch umsetzt ist fraglich. Aber und die Rede von Ressourcenknappheit das wird sich auch in den Debatten der finden hier keine Erwähnung. Ob es dafür nächsten Monate entscheiden. parlamentarische Mehrheiten gibt ist unklar. Was derzeit parlamentarisch niemand will Diese Auseinandersetzungen werden nicht und auch unter der geltenden Gesetzgebung unerheblich in den Medien geführt und sie nicht möglich ist, das ist die strafrechtliche werden von einer relativ kleinen Gruppe Verfolgung Beihilfe leistender Ärzte. Denn: in nicht unerheblichem Maße geprägt. Es Diese Beihilfe ist auch heute strafrechtlich gibt Umfragen, deren konkrete Umstände nicht verboten. Aber: Sie ist nicht die Regel in der Regel keine Erwähnung finden, in sondern die Ausnahme. Es gibt Unsicherhei- denen sich aber Mehrheiten innerhalb der ten, ob ein Arzt bei diesen Handlungen mit Bevölkerung für eine solche Dienstleistung dem Arzneimittelrecht in Konflikt gerät und abbilden würden – dargeboten als eine seine „Garantenpflicht“ verletzt. Ich meine, Möglichkeit bei schwerer und aussichts- diese verbliebenen Unsicherheiten sind eine loser Krankheit „selbstbestimmt“ und Art „Garant“ dafür, dass es wirklich Ausnah- „würdig“ sterben zu können. Sicher denken men bleiben. Denn der oder die Handelnde viele Bürger/innen so. Sie werden in den muss sich u.U. persönlich verantworten und gerade laufenden öffentlichen Unterhaltun- überlegt genau, was vertretbar ist. Berufs- gen bestärkt und medizinethisch unter- ethisch ist die „Mitwirkung des Arztes bei füttert von einigen Medizinethiker/innen der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe“. (wie die Professorin Bettina Schöne-Seifert Berufsrechtlich ist das in einigen Bundes- beispielsweise), den erwähnten Autoren des ländern ebenso bewertet – in anderen nicht. außerparlamentarischen Gesetzentwurfes Auch der drohende Entzug der Approbati- sowie weiteren Medizinjuristen, Sterbehilfe- on ist unwahrscheinlich. Prinzipiell ist ein verbänden wie der Deutschen Gesellschaft solcher Entzug als härteste Sanktion wegen für Humanes Sterben oder dem Humanisti- Verstößen gegen ärztliche Berufspflich- schen Verband Deutschlands. Auch Medizi- ten möglich. Aber nicht die Ärztekammer ner wie Michael de Ridder oder Uwe Chris- sondern nur die zuständige Gesundheitsbe- tian Arnold bestärken diese Haltung mit hörde kann das machen und dafür bedarf es der Autorität ihres Berufsstandes. Letzterer eines Verstoßes gegen strafrechtliche Vor- hat öffentlich erklärt, 200 Menschen Beihilfe schriften. Da aber auch der ärztliche assis- geleistet zu haben und sucht per Anzeige tierte Suizid nicht strafbar ist, ist auch diese in der Ärztezeitung gerade Kollegen, die es Sanktion nicht möglich. Und berufsrechtlich ihm gleich tun. Juristische Konsequenzen wurde bislang wegen einer solchen Beihilfe sind nicht zu beobachten. Arnold ist
Seite 8 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation 2. Vorsitzender von Dignitate, einer Toch- unterstützen, die weder unerträglich leiden terorganisation der Schweizer Dignitas, die noch aussichtslos krank sind. Das wäre der „Freitodbeihilfe“ anbietet. vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, in der Begriffe wie „Würde“ und „Selbstbe- Mittlerweile gibt es in den Medien auch stimmung“ nur noch in Bezug auf sich selbst Stimmen, die sich offensiv für die „aktive und eine vermeintlich unabhängige Selbst- Sterbehilfe“ durch Gift und die Hand des be- bzw. entwertung verstanden wird. Diese Arztes aussprechen. Das wird sich gesetzlich Entwertungsbereitschaft folgt aber ganz und aller Voraussicht nach nicht niederschlagen, gar den gesellschaftlichen Normen, die nicht- aber sich ins öffentliche Bewusstsein ein- produktive und hilfebedürftige Lebensver- schreiben. So werden die Sagbarkeitsgrenzen läufe auf vielerlei Weise diskreditieren. peu à peu verschoben. Genau das ist auf lange Sicht gefährlich – für Menschen mit Be- Es ist weder leicht zu sterben, noch sich hinderung und Pflegebedarf. Wir beobachten mit der konkreten (und nicht allgemein in der Debatte um Patientenverfügungen seit an irgendeinem Sankt Nimmerleinstag Jahren, wie der Begriff des „würdigen und eintretenden) Sterblichkeit zu arrangieren. selbstbestimmten Sterbens“ verengt wird Kontrollverluste über den eigenen Körper auf die Entscheidung gegen medizinische sind schmerzlich und schwer auszuhalten. Behandlungen. Ein sozial gestaltetes Lebens- Besonders in einer Gesellschaft, die unter ende mit ausreichender und guter pflege- ständigem Selbstoptimierungsdruck, Pro- rischer Versorgung auch für Menschen mit duktivitäts- und Leistungswahn steht, schmalem Geldbeutel und wenig Möglich- in der weder Unverfügbares zulassen wer- keiten, sich erleichternde therapeutische Hil- den kann, noch die Erfahrung des Nicht- fen und Begleitungen privat hinzu kaufen zu Verstehens oder Nicht-Wissens, gibt es können, kommt in den Formularen und der keine positive Vorstellung oder Landkarte begleitenden Ratgeberliteratur nicht vor. Das für so etwas wie Langeweile, Stille, Loslas- schnelle Sterben unter Vermeidung langer sen, Sein-Lassen, zögern, warten, schlafen, Pflegezeiten gilt als „würdig“ – wenn man faul sein und auch sterben – der ewige die erwähnten Texte studiert auch als „mu- Schlaf eben. Insofern sind Angebote, auch tig“. Wir beobachten in den Niederlanden das Sterben oder schwer kranksein zu opti- oder Belgien, wie sich nach der Legalisierung mieren, mit anerkannten Sinnkategorien zu der so genannten „Tötung auf Verlangen“ belegen, äußerst attraktiv. Das kann ich sehr – also vernunftbegabter, äußerungsfähiger gut verstehen – mir geht es oft ebenso. Kranker – die schiefe Ebene in Richtung „Tötung ohne Verlangen“ geneigt hat. Aber ist das auch wünschenswert? Uns geht Patienten im Koma, dementiell veränderte es heute nicht um moralische Bewertungen, Menschen, schwer behinderte Neugebore- einfache, machbare Lösungen. Wir möchten ne, Psychiatriepatienten, auch sie werden uns lieber mal gemeinsam mit anderen in zunehmend straffrei getötet. In den Nieder- einen Denk-Raum begeben oder wie der landen fordert die Niederländische Vereini- wunderbare Philosoph Roland Barthes mal gung für freiwilliges Leben, alte, lebensmüde schrieb, uns „marinieren“ im Nicht-Verste- Menschen auf Wunsch bei einem Suizid zu hen, um mal andere, ungewohnte Blicke zu
Seite 9 zulassen und zu ermöglichen. soll, als Professor für Palliative Care und Organisationsethik an der Universität · Zum Beispiel auf die Art und Weise wie Klagenfurt. Kritische Seitenblicke auch über Sterben, vor allem über „Autonomie auf die Hospizbewegung und die Pallia- am Lebensende“ gesprochen wird. Dabei tivversorgung sind dabei unvermeidlich. werden uns die Überlegungen der Sozio- login Stefanie Graefe von der Universität Es wird gerade enorm viel über ambulan- Jena hilfreich sein. te Hospizversorgung, Palliativpflege und Palliativmedizin gesprochen. Viele meinen, Das schöne Bild vom marinierenden Nicht- wenn diese Strukturen weiter gefördert und Verstehen bedeutet nicht, sich von jeder ausgebaut werden, würde sich das Verlan- Realität fern zu halten. Es lädt nur mal ein, gen nach Sterbehilfe von alleine legen. Ich sich dessen „Wert“ zu überlegen. Was das halte das für einen Trugschluss, weil wir es eigene Sterben anbelangt, kann das ja auch bei diesem Verlangen auch mit den Wirkun- sehr entlastend sein. Es lädt dazu ein, sich gen der vorhin erwähnten Gesellschaft des von den gewohnten, stereotypen Trampel- Optimierens, des Selbstbestimmungs- und pfaden der Beschreibung gesellschaftlicher Produktivitätswahns zu tun haben, der Wirklichkeit zu entfernen. In unserem Fall Kaufbarkeit und Verdienstleistung von aus einer anderen Perspektive die Zeit vor allem und jedem, auch von Lösungen für dem Sterben im Alter und Pflegebedürftig- Lebenskrisen. Und, weil dieses Verlangen keit genauer unter die Lupe zu nehmen. sich nicht nur aus der Angst vorm Sterben speist, sondern berechtigterweise vor Alters- · Zum Beispiel die Verhältnisse und das armut, vor schlechten Pflegebedingungen, Verhalten von alten Menschen in Ein vor übergriffigen Institutionen, vor einer richtungen der Altenhilfe anzusehen. Der Pflegeökonomie, die nach dem Modell der Sozialwissenschaftler Bodo de Vries ist in Güterproduktion entworfen ist. seiner Funktion als Vorstand im Ev. Johan- niswerk und mit seinen wissenschaftlichen · Mascha Madörin aus Basel ist Ökonomin Arbeiten zum Suizid dafür prädestiniert. und schaut ganz anders auf die Organi- Ich habe neulich während eines Vortrages sation von Pflege und die ökonomischen einen Satz aufgeschnappt, der mir zu den- Denkmodelle der dominierenden Wirt- ken gibt. „Ich fordere nicht, die Müdigkeit schaftswissenschaftler. Sie hat eine sehr abzuschaffen. Ich möchte dorthin, wo Mü- lesenswerte Studie zur „Ökonomisierung digkeit möglich ist“ (von Maurice Blanchot, des Gesundheitswesens -Erkundungen aus einem gescheiten Journalisten und Philo- Sicht der Pflege“ geschrieben, die kostenlos sophen, der vielleicht das Glück hatte 95 im Internet nachzulesen ist. Auch in diesem Jahre alt zu werden und 2003 gestorben ist). Fall müssen wir uns vom üblichen Denken Dieses „dorthin“ gibt es nicht. Wir müssen und von den vorherrschenden ökono- es erfinden und politisch durchsetzen. mischen Erklärungsmodellen entfernen. Einfache Lösungen sind hier nicht in Sicht. · Andreas Heller beschäftigt sich mit Orten, an denen Sterben möglich ist bzw. werden Aber wir können uns auf den Weg machen.
Seite 10 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation „Autonomie am Lebensende?“ Spurensuche zum kulturprägenden Ideal – Stefanie Graefe Meine Überlegungen nehmen ihren Nach langer Auseinandersetzung und Ausgangspunkt in einer mehrfa- persönlichem Ringen entschließt sich chen und wiederholten Irritation. der jeweils andere Partner, dem oder der Geliebten den letzten Wunsch zu erfüllen Laut Wikipedia handelt es sich bei ei- und hilft ihm/ihr beim Sterben. In Han- ner Irritation um „einen Reiz oder eine ekes Film wird uns schon im Titel erklärt, Erregung, die meist von negativer Bedeu- wie wir Zuschauer diesen Tötungsakt in- tung sind“. In offenkundiger klanglicher terpretieren sollten: eben als Liebe. Gerade Nähe zu den Wörtern „irr“ und „irren“ dass es sich bei diesen Filmen nicht um versteht man unter „Irritation“ seit dem billige Schnulzen handelt, provoziert mei- 19. Jahrhundert die subjektive Erfahrung ne Fragen: Was wird als Problem präsen- der Ablenkung, Verunsicherung, Störung tiert, wer ist dafür verantwortlich, es zu oder Verwirrung. Darin ist auch enthalten, lösen – und wie wird es schließlich gelöst? dass, wer irritiert ist, nicht gewiss ist über Nicht, dass diese Fragen mit filmischen das, was sich ihm oder ihr als Realität prä- Mitteln gestellt werden, irritiert mich, son- sentiert. Irritation im Sinne einer vorüber- dern die Einhelligkeit der Antwort. Der gehenden oder dauerhaften Ungewissheit Topos vom Tötungs- als Liebesakt gerinnt tritt deshalb nicht zufällig gerade dort auf, durch seine immer ähnliche Präsentation wo Gewissheiten präsentiert werden, wo zu einer selbstverständlichen und letztlich Dinge scheinbar klar liegen und der so ge- eben auch konstruktiven Weise (das Pro- nannte gesunde Menschenverstand genau blem wird jeweils gelöst), über Krankheit, weiß, was zu tun ist. Alter und Tod zu erzählen. Es sind eben jene scheinbar einfachen Ge- Irritation erlebe ich jedoch nicht nur im wissheiten, die mich im Zusammenhang Fiktionalen. Auch die Realität hat davon mit der „Autonomie am Lebensende“ einiges zu bieten. Wenn etwa das „Bünd- irritieren. Es irritiert mich, wenn in schö- nis für Selbstbestimmung bis zum Lebens- ner Regelmäßigkeit hochklassige Filmpro- ende“ mit einer Kampagne „Mein Ende duktionen Geschichten präsentieren, die gehört mir“ (http://www.mein-ende- alle einem ähnlichen Muster folgen – etwa gehoert-mir.de/) für die Freigabe der in Michael Hanekes „Liebe“, Amenábars ärztlichen Beihilfe zum Suizid mobilisiert, „Das Meer in mir“ oder Taddickens „Em- so irritiert mich dies in zweifacher Weise. mas Glück“. Einmal ein jüngeres, einmal Zum einen frage ich mich, wem das eige- ein älteres oder bereits hochbetagtes Paar ne „Ende“ denn sonst gehören soll, wenn sieht sich vor die Situation gestellt, dass nicht mir selbst. Zum anderen (und nicht einen der beiden Partner ein unheilbares in Widerspruch dazu) frage ich mich, Leiden ereilt, meist Krebs oder Demenz. wie mir mein Ende denn wohl „gehören“
Seite 11 kann. Festzustellen, dass meinen eigenen Regelung so genannter „Patientenver- Tod nur ich selbst erleben kann, ist banal. fügungen“ erarbeiten sollte. Der Ge- Zugleich scheint es mir absurd, einen setzgebungsprozess zog sich dann noch Anspruch auf Eigentum am eigenen Tod eine ganze Weile hin, aber in 2009 wurde zu formulieren. Vor allem aber frage ich schließlich das Betreuungsrecht geändert mich, was eigentlich Selbstbestimmung und die so genannte Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Sterben umfassend legalisiert. Demnach sind ge- bedeuten kann. setzliche Betreuer/innen dazu verpflich- tet, dafür zu sorgen, dass der in der Pa- Und schließlich irritiert mich bereits tientenverfügung artikulierte Wille einer seit einiger Zeit die auf vielfache Weise Patientin befolgt wird, sofern diese ihren kolportierte Rede von der „Autonomie Willen nicht selbst artikulieren und durch- am Lebensende“. Mich interessiert, wo sie setzen kann. Dies gilt auch ausdrücklich herkommt, wie sie begründet wird und dann, wenn sich Patienten (noch) nicht auf welches Problem sie sich als Antwort im Sterbeprozess befinden. Und es gilt versteht. Ich verstehe sie – wie bereits im auch dann, wenn gar keine Patientenver- Titel des Vortrags angezeigt – als eine Art fügung vorliegt. In diesem Fall muss die Spur, als kulturelles Artefakt. Dass „Auto- Betreuerin gemäß des „mutmaßlichen“ nomie am Lebensende“ gerade jetzt und Willens des Betreuten entscheiden. Auf gerade hier, in den nach wie vor im Welt- diese Weise soll die Patientenverfügung vergleich unermesslich reichen, zugleich die Selbstbestimmung bzw. Autonomie in vielfacher Weise krisengeschüttelten des Patienten „am Lebensende“ sichern. Gesellschaften des globalen Nordens zum Vor allem soll sie Patienten schützen – vor Gegenstand wissenschaftlicher, medialer einer „nicht mehr loslassenden Medizin“, und nicht zuletzt persönlicher Besorgnis wie es im Bericht der Sachverständigen- wird, ist m.E. zunächst mal interessant kommission hieß. Eine Patientenverfü- und bemerkenswert. Und es ist, wie gung ermöglicht jedoch vor allem die ich nun entlang von vier Thesen zeigen Abwahl medizinischer Behandlung. Sie möchte, kein Zufall: dokumentiert die Einwilligung in den Therapieabbruch auch für den Fall, dass 1. Die Rede von der „Autonomie ich diese Einwilligung in der gegebenen (oder Selbstbestimmung) am Lebens Situation selbst nicht mehr teilen kann. ende“ verhüllt mehr als sie erklärt. Jeder kann, so das mit der Patientenver- fügung verbundene Versprechen, seine Das möchte ich an einem prominenten je eigenen Vorstellungen vom Sterben Beispiel zeigen: der Patientenverfügung. verwirklichen, indem er noch in gesunden Tagen festlegt, welche Behandlungen er Unter der Überschrift „Patientenautono- im Falle einer späteren „Nichteinwilli- mie am Lebensende“ hatte die damalige gungsfähigkeit“ ablehnt: Reanimation Justizministerin Brigitte Zypries im Jahr oder lieber nicht? Künstliche Beatmung 2003 eine Sachverständigenkommission oder lieber nicht? Ernährungssonde eingesetzt, die Vorschläge zur gesetzlichen oder lieber nicht? Flüssigkeitszufuhr
Seite 12 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation oder lieber nicht? Patientenverfügungen Pflegenden) faktisch stark einschränken. versprechen die Machbarkeit des selbstbe- Wie autonom wir als chronisch Kranke, stimmten Sterbens durch die Möglichkeit Pflegebedürftige oder Sterbende sind, der vorausschauenden Abwahl lebenser- erscheint als Frage der individuellen Wahl haltender Versorgung und Behandlung. – und nicht als gesellschaftlicher Prozess der Aushandlung über die Gestaltung von Wie autonom ich sterbe, scheint im Gesundheit und Pflege. Umkehrschluss also vor allem davon abzuhängen, wie gut ich bei der Abfas- Die Frage nach Autonomie berührt darü- sung meiner Patientenverfügung juris- ber hinaus eine Grundangst des moder- tisch beraten worden bin. Autonomie nen Menschen: beherrscht und unterwor- wird hier konzipiert als vertragliche fen zu werden, unfreiwillig von anderen Beziehung zwischen Individuum und abhängig zu sein. Staat. Grundlage der Patientenverfügung ist das Idealbild vom Menschen als rati- Das ist natürlich gerade im Zusammen- onaler Entscheidungsakteur, der aus ver- hang mit Alter, Pflegebedürftigkeit und schiedenen Optionen die für sich passen- Sterben relevant: Kaum eine Situation im den auswählt. Es ist letztlich der Mensch menschlichen Lebensverlauf scheint so als Kunde, der hier beschworen wird. prädestiniert dafür wie das hohe, pflege- bedürftige Alter, Autonomieverluste zu Auf gesellschaftlicher Ebene lenkt die produzieren. Weil nun aber Autonomie in Debatte um „Autonomie am Lebensen- unserer Gegenwartsgesellschaft gleichbe- de“ die öffentliche Aufmerksamkeit für deutend ist mit Glück, erscheint ihr Ver- das Themenfeld Sterben auf das Problem lust als Inbegriff menschlichen Unglücks. juristisch-formaler Regelungen und ihrer Umsetzung. Ausgeblendet bleibt dabei, Eben weil Autonomie ein derart hoch be- dass Rationalisierungs- und Ökonomi- setzter Wert ist, ist ihre (Be-)Deutung ge- sierungsprozesse im Gesundheitswesen sellschaftlich umkämpft. Die Frage lautet längst regelmäßig zu Phänomenen der also nicht nur: Wer ist unter welchen Um- Unterversorgung bzw. Rationierung me- ständen wie autonom, sondern zugleich: dizinischer Dienstleistungen – nicht nur, Wer definiert, was als Autonomie gilt und aber vor allem eben auch bei alten Men- was nicht? Und weiter: Welche Bedin- schen – führen. gungen brauchen wir, um uns autonom zu fühlen, wie sehr sind wir dabei von Die – auf den ersten Blick so eingängige Kontexten, Beziehungen, Stimmungslagen – Gegenüberstellung „Apparatemedizin“ abhängig? Wer sagt uns, dass wir das, was versus „Patientenautonomie“ blendet aus, wir heute als unerträgliche Beschneidung dass betriebswirtschaftliche Handlungs- unserer Autonomie verstehen, im Pro- zwänge seitens der Professionellen in zess des Sterbens auch genauso erleben? Krankenhäusern und Pflegeheimen den Möglicherweise liegen unsere Bedürfnisse Spielraum für individuelle Autonomie- dann ganz anders. Möglicherweise geht wünsche von Patienten (aber auch von es uns dann auch gar nicht mehr an erster
Seite 13 Stelle um Autonomie. Sondern darum, ratemedizin aufzubieten hat, am Leben. gehalten, begleitet, berührt zu werden. Und darum, Zeit zu haben. Dieses letztgenannte Argument ist, ebenso wie die Tabuisierungsthese nicht Genau diese Fragen aber werden in der grundsätzlich falsch. Wenn man im ganz Behauptung, Autonomie am Lebensende großen historischen Maßstab guckt, wird ließe sich durch das Instrument der Pati- man feststellen, dass es im Übergang zur entenverfügung erreichen und garantie- Moderne zu einer Privatisierung von Ster- ren, verschleiert. beriten kommt, die nicht zufällig parallel zum Aufstieg der modernen Biomedizin Noch eine Nebenbemerkung: Durch die geschieht. Es wird nicht mehr öffentlich unbeschränkte Reichweite der Patien- hingerichtet, gestorben wird vor allem tenverfügung geht keineswegs nur ums im Krankenhaus, und die Erfolge in der „Lebensende“. Auch für Lebenssituatio- Herauszögerung des Todes sind ziemlich nen wie etwa Demenz oder Wachkoma beeindruckend (Verlängerung der durch- werden Patientenverfügungen als Prob- schnittlichen Lebenserwartungen in einem lemlösung verstanden. Weil aber nichts- Jahrhundert um mehr als dreißig Jahre). destotrotz der öffentliche Diskurs um die Stellt man die historische Linse jedoch Figur der „Autonomie am Lebensende“ etwas schärfer, wird man schnell feststel- kreist, werden Wachkoma oder Demenz len, dass die Sache mit dem verdrängten indirekt als vorgezogene Formen des Ster- Tod trotzdem so eindeutig nicht ist. Der bens definiert. Soziologe Alois Hahn etwa verweist auf die alltägliche exzessive mediale Insze- 2. Der Tod ist in modernen Gesellschaf nierung des Todes. Wenn auch richtig sei, ten kein Tabu. Er wird kommerzialisiert, dass es keine verbindlichen Sinngebun- fiktionalisiert und individualisiert. gen bezogen auf den Tod mehr gebe, so sei damit doch keine Verdrängung oder Die Rede vom tabuisierten Tod hat derzeit Tabuisierung bewiesen: Sinngebungen – auch im Zusammenhang mit der Debat- religiöser und therapeutischer Art gebe te um ärztlich assistierten Suizid – wieder es in modernen Gesellschaften vielmehr Konjunktur. Ein gängiges Argumentati- in großer Fülle. Man denke etwa an die onsmuster der Befürworter geht in etwa so genannten alternativen Bestattungsun- folgendermaßen: Weil der Tod in unserer ternehmen, die zumindest in Städten wie Gesellschaft tabuisiert und verdrängt Hamburg und Berlin inzwischen einen wird, deshalb darf über humane Formen beachtlichen Marktanteil am Bestat- des Sterbens nicht gesprochen werden. In tungswesen haben und damit werben, einer etwas anderen Variation geht das- ein ganz und gar individuelles Begräbnis selbe Argument so: Weil der Tod so sehr anbieten zu können. Der Tod wird da- verdrängt wird, deshalb kennt die Me- bei zum letzten Akt in der Inszenierung dizin keine Grenzen und hält Leute, die der eigenen Biographie – und damit zu praktisch schon tot sind, unendlich lange einem Element dessen, was Soziologen als und gnadenlos mit allem, was die Appa- Individualisierung bezeichnen. Er findet
Seite 14 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation also keineswegs außerhalb der gängigen neben der medizinischen längst die be- gesellschaftlichen Verkehrsformen statt, triebswirtschaftliche Vernunft. Und dabei sondern mittendrin. Ebenso zeigen gerade handelt es sich nicht um ein harmonisches Debatten wie die um Patientenverfügung Nebeneinander. Oft gerät die eine zur und Sterbehilfe deutlich an, dass das anderen Logik in Widerspruch. Was medi- Sterben längst ein neuralgischer Punkt zinisch oder pflegerisch geboten ist, kann sozialer und politischer Auseinanderset- buchhalterisch zum Problem werden. Das zung geworden ist. Hahn resümiert: „... kann durchaus auch zu Problemen der was ein Thementabu zu sein scheint, (ist) Überversorgung oder Übertherapierung lediglich eine eigentümliche Diskurs- führen. Genauso aber – und die Frage form“. Und mit dieser Diskursform wird wäre, ob das nicht inzwischen das größere eben auch Geld verdient. Zumindest was Problem ist – führt es zum Phänomen der die Kulturindustrie angeht, lässt sich wohl Unterversorgung und unzureichenden eindeutig feststellen: Death sells – mindes- Versorgung von Pflegebedürftigen und tens genauso wie Sex. Und nicht zuletzt Kranken. Und dann kann wiederum eine Sterbehilfevereine wie Dignitas oder Exit Patientenverfügung, in der erklärt wird, in der Schweiz verdienen natürlich auch man wolle keine „lebensverlängernden an den von ihnen angebotenen Dienstleis- Maßnahmen“, dazu beitragen, diesen – tungen. In einer Gesellschaft, die darüber gesellschaftlich produzierten Widerspruch debattiert, ob „selbstbestimmtes Sterben“ zu entschärfen und die Entscheidung für (was auch immer jeweils darunter ver- das kostengünstigere Sterbenlassen zu er- standen wird) nicht nur einklagbar, son- leichtern. Erst recht gilt dies wenn – wie in dern auch käuflich zu erwerben sein soll, den Niederlanden und wie es hierzulande kann das Tabu (es darf nicht benannt und eben auch immer öfter gefordert wird – nicht berührt werden), kurz gesagt, nicht die so genannte Tötung auf Verlangen besonders groß sein. zur kassenfinanzierten medizinischen Behandlung wird. Die These von der Tabuisierung des Todes, die dann in die endlose Lebensver- 3. Sterben und Tod werden, wie andere längerung seitens der Apparatemedizin Lebensbereiche auch, dem doppelten münde, scheint mir aber auch noch aus Diktat von Effizienz und Eigenver einem anderen Grund nicht mehr ganz antwortung unterworfen. Verheißung zeitgemäß. Die Behauptung einer gefähr- (auf Selbstbestimmung) und Drohung lichen, paternalistischen Überversorgung (mit Ausschluss) greifen dabei inein im und durchs Gesundheitssystem blen- ander. Den Hintergrund dafür bilden det aus, dass sich eben dieses Gesund- der „demographische Wandel“, neue heitssystem in den letzten zwei Jahrzehn- Altersdiskurse und verschärfte soziale ten systematisch gewandelt hat. Das wäre Problemlagen. jetzt ein Thema für einen eigenen Vortrag, aber kurz gefasst regiert – vermittelt Die Sorge um die Patientenautonomie am durch Budgetierung und Privatisierung Lebensende vollzieht sich historisch nicht – in Krankenhäusern und Pflegeheimen im luftleeren Raum. Sie ist zu sehen, wie
Seite 15 bereits erwähnt, vor dem Hintergrund gesunden Lebenserwartungen schon seit der neoliberalen Umstrukturierung von längerem in doppelter Weise diskutiert: Gesundheitsversorgung und Pflege, der als Bedrohung und als Chance. Bedro- Entsicherung von Alter und Krankheit – hungsszenarien finden in Schlagwörtern und begleitet von der beständigen Auffor- wie „Vergreisung“ oder „Altenrepublik“ derung, für sich selbst zu sorgen, Kosten ihren Niederschlag. Von Chancen spricht einzusparen und der Gesellschaft nicht andererseits die Bundesregierung unter zur Last zu werden. Auch die Verantwor- dem Schlagwort „Wirtschaftsfaktor Al- tung für den Umgang mit Alter, Demenz, ter“. Hier bemüht man sich zugleich um Gebrechlichkeit, Sterben und Tod wird die Verbesserung von gesellschaftlichen der „vorausschauenden Vernunft“ der Altersbildern: Vorstellungen vom Leben Einzelnen aufgebürdet. Die Debatte um im Alter sollen erneuert und „ältere Men- die Situation in der Pflege wird davon schen ermutigt werden, ihre Fähigkeiten weitgehend losgelöst geführt. Dabei hängt selbstbestimmt in die Gesellschaft einzu- das doch eng zusammen. bringen“ (BMFSJ 2010) – etwa in Form ehrenamtlichen Engagements, beispiels- Denn: Die strukturelle Unterversorgung in weise im Pflegebereich, aber auch in der Pflege samt der, durch die Einführung Form aktiver lebenslanger Gesund von Wettbewerbsprinzipien im Pflegesek- heitsprävention etc. tor verursachten entgrenzten und prekären Arbeitsbedingungen von Pflegekräften (der Demgegenüber scheinen die pflegebe- Krankenstand in der Altenpflege liegt um dürftigen, institutionalisiert wohnenden 20 % höher als im Durchschnitt der Bevöl- und/oder demenzkranken Hochaltrigen kerung), verändert auch die individuellen einer gänzlich anderen Gruppe von Alten Vorstellungen davon, was uns am Lebens- anzugehören. Unter der Hand wird so die ende blüht – oder droht. Wer sich – aus gu- Gruppe der Älteren zweigeteilt: in die, die tem Grund – ausrechnet, im Pflegefall auf (noch) aktiviert werden können, und die, keine hochwertige, d.h. auch: gut bezahlte die (nur noch) versorgt werden müssen. und abgesicherte Pflegeleistung zählen zu Eben diese schematische Zweiteilung können, dem erscheint die Möglichkeit, finden wir in qualitativen Studien auch für den Fall schwerer Pflegebedürftigkeit in subjektiven Ängsten und Altersbildern und/oder Demenz das eigene Ableben qua wieder. präventiver Verfügung oder ärztlicher bzw. kommerzieller Sterbehilfedienstleistung zu Die Bedrohung durch den demographi- beschleunigen, womöglich recht attraktiv. schen Wandel – so die Botschaft – kann Umgekehrt erscheint das „selbstbestimmte durch das Engagement der jetzigen und Sterben“ als letzter Akt des autonomen zukünftigen Alten wenn schon nicht Subjekts, das sich gegen Gesellschaft, Staat beseitigt, dann doch zumindest abgemil- und Biomedizin behauptet. dert werden. Dabei wird, je nachdem, wer gerade spricht, stärker die Freiwilligkeit Parallel wird die eigentlich erfreuliche oder stärker die Verpflichtung der Älteren Tatsache der gestiegenen absoluten und beschworen, aktiv zu werden. Idealerwei-
Seite 16 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation se wollen die Alten selbst, was sie wollen befasst. Der Bericht reflektiert den Dis- sollen: Sie bringen sich eigenverantwort- kurswandel hin zu einem positiveren Bild lich dafür ein, die Folgekosten des demo- insbesondere der so genannten „jungen graphischen Wandels abzumildern. Alten“. Von der Altenberichtskommission selbst vorangetrieben, wird deren gesell- Unter den Tisch fällt dabei meist die Frage schaftliche Produktivität und Nützlichkeit nach unterschiedlichen Lebensbedingun- betont. Das aber könne dazu beitragen, die gen älterer Menschen. Dies betrifft zum gesellschaftliche Sicht auf die nicht mehr einen finanzielle, räumliche, gesundheit- jungen und ggf. auch nicht mehr produk- liche, soziale Ressourcen. Es betrifft aber tiven Alten noch weiter zu verschlechtern. auch zum anderen ganz schlicht die Frage, Aber auch Hochbetagte und Pflegebe- wer eigentlich überhaupt wie alt wird. dürftige sollen positiv gesehen werden. Dass sozialer Status und Lebenserwartung Wer sollte etwas dagegen haben? Wörtlich miteinander korrelieren, ist längst bekannt. heißt es im Bericht, es komme darauf an, Auch in Deutschland liegen zwischen den „das aktive und produktive Alter auf eine höchsten und niedrigsten Einkommens- Weise zu interpretieren, die den gesell- gruppen eine Differenz von immerhin fast schaftlichen Wert von Hochaltrigkeit zehn Jahren durchschnittlicher Lebenser- zentral berücksichtigt“ (BMFSFJ 2010: wartung – was nichts anderes bedeutet, als 128). So allgemein der Satz formuliert ist, dass die Bezieher niedriger Einkommen so sehr sollte man ihn zweimal lesen: Es den Reicheren die Rente finanzieren. Kurz geht darum, den gesellschaftlichen Wert gesagt: Die Bedingungen für „Autonomie“, von Hochaltrigkeit zu erkennen. Hochalt- „Eigenverantwortung“, „Engagement“ etc. rige, Pflegebedürftige und auch Sterbende, sind sehr ungleich verteilt. Damit bin ich heißt es weiter, müssten als Menschen bei meiner letzten These angelangt. wahrgenommen werden, „die uns etwas zu bieten haben“ (125.). Bemerkenswert 4. Der Verweis auf „Wert“ oder „Würde“ ist, dass hier nicht etwa vom Umgang mit des Lebens/der Alten/Verwirrten/Ster Pflegebedürftigkeit als gesellschaftliche benden hilft nicht wirklich weiter. Es Aufgabe die Rede ist, sondern vom gesell- geht darum, wie wir leben wollen – schaftlichen (ideellen? wirtschaftlichen?) in allen Lebensphasen. „Wert“ der letzten Lebensphase. Offen bleibt, wie ein solcher „Wert“ zu bestim- Zum Schluss möchte ich kurz noch auf men, was eigentlich sein Maßstab wäre einen Aspekt eingehen, der mir besonders – und wer darüber bestimmt, wie „wert- wichtig ist: Politik wird nicht nur mit Ne- voll“ ein Leben z.B. mit Demenz ist. gativbildern betrieben. Auch ausdrücklich positive Bezugnahmen, etwa auf alte und Übrigens geht es den Autoren des Berich- sterbende Menschen, sollte man kritisch tes ausdrücklich nicht darum, Sterbehilfe hinterfragen. Der von der Bundesregie- zu propagieren. Im Gegenteil, es wird rung 2010 veröffentlichte sechste Altenbe- sogar in recht drastischen Worten vor der richt etwa hat sich ganz ausdrücklich mit Gefahr einer – qua Patientenverfügung dem Thema gesellschaftliche Altersbilder und Sterbehilfedebatte vermittelten –
Seite 17 wachsenden „Bereitschaft zum Lebens- gen zu sprechen, unter denen alte, pfle- verzicht und zum ‚sozialverträglichen gebedürftige und demenziell veränderte Frühableben‘“ gewarnt (129). Daraus lässt Menschen in dieser Gesellschaft leben. sich schlussfolgern: Mit „Wert“ soll hier Und über die Bedingungen, unter denen gerade nicht „Lebenswert“ im biopoli- diejenigen, die diese Menschen pflegen, tischen Sinn (vgl. Graefe 2007) gemeint arbeiten. Und wenn wir dafür einen nor- sein. Dennoch bleibt in dem Bericht mativen Zielbegriff brauchen, dann denke unklar, wie das Leitbild des aktiven Alters ich, sollte es eher aufgrund der zahllosen zu interpretieren wäre, damit es den problematischen Implikationen (ich habe „Wert“ von Situationen wie Pflegebedürf- nur einen Bruchteil hier genannt) eher tigkeit, Demenz oder Sterben tatsächlich nicht „Autonomie“ sein. Aber auch nicht umfasst. Begriffe wie „würdig“, „neue „Wert“ oder „Würde“. Wenn wir einen Wertschätzung des Alters“ oder die Begriff brauchen, würde ich den der Teil- Pflege als „öffentlich bedeutsame Ange- habe vorschlagen (Graefe 2012). legenheit“ fungieren hier als Platzhalter für fehlenden Inhalt. Die Leserin erfährt Der konzeptionell entscheidende Vorteil lediglich, wem die Verantwortung dafür der Teilhabe gegenüber der Autonomie obliegt, diese vagen Begriffe mit Leben im Zusammenhang mit dem Lebensende zu füllen, etwa der „Zivilgesellschaft“, in liegt auf der Hand: Denn während Auto- der konkreten Gestalt ehrenamtlich, d.h. nomie – ob nun als Eigenverantwortung, unbezahlt Engagierter in der Pflege. Selbstbestimmung oder Unabhängigkeit gefasst – immer einen rationalen, ent- Wie so oft im bürgerschaftlich-aktivierten scheidungsfähigen Akteur voraussetzt Argumentationsuniversum verwandeln (und damit all jene, deren Entscheidungs- sich auch hier relativ schwierige Situatio- fähigkeit fraglich geworden ist, logisch nen kurzerhand in wunderbare Gelegen- ausschließt), lässt der Begriff der Teilhabe heiten. Die strukturelle Unterversorgung offen, wie jemand beschaffen sein muss, in der Pflege, die durch die Einführung damit er oder sie teilhaben kann. Bezogen von Wettbewerbsprinzipien im Pflegesek- zum Beispiel auf verwirrte Alte eröffnet tor verursachte Personalknappheit, ent- er somit die Möglichkeit, ihre alltäglichen grenzte und prekäre Arbeitsbedingungen Teilhabeformen (Kommunikation, Be- von Pflegekräften, daraus resultierende be- dürfnisse, Aktivitäten) im Rahmen ihrer lastende ethische Konflikte, oder auch die jeweiligen Lebensbedingungen zu unter- chronische faktische und moralische Über- suchen und zu erweitern – ganz unab- forderung des zentralen Pflegesystems hängig davon, ob die Betroffenen noch in Familie erscheinen in weich gezeichnetem der Lage sind, über sich und ihren Alltag Licht als Quelle von „Würde“, „Wertschät- zu „bestimmen“. Ausgehend vom Kon- zung“ und „neuer Alterskultur“. zept der Teilhabe lässt sich zu guter Letzt auch die Frage nach der „Autonomie am Statt solche gut gemeinten Leerformeln Lebensende“ umformulieren. Nicht mehr zu ventilieren, wäre es aus meiner Sicht um die Frage: Was will ich (ab-)wählen, sinnvoller, über die konkreten Bedingun- um „autonom“ sterben zu können und
Seite 18 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation wie wird mein „Wille“ auch im Fall mei- ner Nichtentscheidungsfähigkeit durchge- setzt? geht es dann, sondern um folgende Frage: Welche Infrastruktur, Mittel und Versorgungssysteme brauchen wir, damit auch in einer älter werdenden Gesellschaft möglichst alle Menschen möglichst lange und möglichst umfassend am gesellschaft- lichen Leben teilnehmen können? Zurück zum Anfang: Ich glaube, die Irritation, die die aktuelle Debatte um Au- tonomie am Lebensende, Sterbehilfe und ärztlich assistierten Suizid nicht nur bei mir auslöst, ist die Ablenkung von genau diesen Fragen und ihre Überführung in eine Frage individueller Entscheidungsop- tionen und ärztlicher oder kommerzieller Dienstleistungen, oder kurz: von Angebot und Nachfrage. Literatur: Graefe, Stefanie (2007): Autonomie am Lebensende? Biopolitik, Ökonomisierung und die Debatte um Sterbehilfe, Frankfurt/M. (Campus). Graefe, Stefanie (2012): Autonomie und Teilhabe. Eckpunkte emanzipatorischer Altersforschung, in: Susanne Kümpers, Josefine Heusinger (Hrsg.), Autonomie trotz Armut und Pflegebedarf? Altern unter Bedingungen von Marginalisierung Bern 2012 (Huber), S. 249-260. Hahn, Alois (1991): Rede- und Schweigeverbote, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43. Jahrgang 1991, S. 86–105.
Seite 19 Diskussion zum Vortrag von Stefanie Gräfe mit Erika Feyerabend Ich finde die „Würde“ im Sterben Erika Feyerabend: So ist das von ist ein großes Problem. Stefanie Gräfe auch angedacht. Das ist vielleicht eine Möglichkeit, sich dieser Mein Mann hatte Krebs und lag auf der Aufteilung in Menschen, die noch aktiv Urologie. Ich habe es geschafft einen Platz und entscheidungsfähig sind und jenen, im Hospiz zu bekommen. Dort hat mein die das nicht mehr sind, anders zu nähern. Mann noch 10 Tage gelebt. Ich muss sagen „Teilhabe“ kann auch ermöglicht werden, in Würde gelebt und dann in Würde im wenn die Anforderungen aktiv und „au- Kreise der Familie gestorben. tonom“ zu sein, nicht mehr erfüllt werden können. Zumindest gedanklich. Die prak- Erika Feyerabend: In einem sozialen tische Umsetzung, auch deren Bedürfnisse, Nahverhältnis und einer so konkreten, Kapazitäten, Mitteilungsversuche wahrzu- existentiellen Situation, will ich dieses nehmen, dürfte noch einige Schwierigkei- Gefühl der „Würde“ auch niemanden ten machen. Aber als Vehikel, sich von der streitig machen. Es geht im Vortrag eher stetig wiederholten Rede der „Autonomie um den sehr inflationären Gebrauch die- am Lebensende“ zu entfernen, ist der ses Begriffs, der gar keinen Bezug zu einer Begriff vielleicht anregend. Es geht auch konkreten Situation mehr hat. „Würde“ anders. Bislang wird nur in den Katego- ist ein Emblem, eine Art Container, nutz- rien „geäußerter Wille“ oder „schriftlich bar sowohl für jene, die Sterben begleiten fixierter Wille“ gedacht und gesprochen. möchten als auch für jene, die der akti- Andere Gefühls- und Lebenslagen – situa ven Tötung das Wort reden. Die Frage, tive, wechselnde, nicht willensbezogene – die sich Stefanie Gräfe gestellt hat: Wie kommen schlicht nicht vor. wird der Begriff „Würde“ im öffentlichen Raum, in welchem Zusammenhang und Publikum: Sicher gibt es eine Inflation, mit welcher Interessenlage genutzt und sowohl beim Begriff der „Würde“, aber auch ausgenutzt? auch der „Sterbehilfe“, der mal gemeint ist als „Hilfe zum Sterben“ und mal eher Publikum: Mich hat der Begriff „Teil- als „Sterbenachhilfe“. Aber sollten wir habe“ in diesem Kontext sehr erfreut. Da nicht versuchen, die positiven Bedeutun- öffnet sich eine Tür für mich, für den ein- gen zurück zu erobern? Oder die Begriffe zelnen Menschen und seine Umgebung. deutlicher zu erklären? Oder nicht einfach Der Autonomie-Begriff ist sehr abgegrenzt hinnehmen, dass sie entwertet werden? und orientiert stark in die Richtung: Ich Das betrifft auch Hospize, an sich eine setze meinen Willen durch, egal in wel- wunderbare Sache. Mittlerweile bieten cher Situation und welcher Umgebung. aber auch Sterbehilfe-Verbände Hospize an. Nicht überall, wo Hospiz draufsteht,
Seite 20 · Ökonomien des Sterbens – Tagungsdokumentation ist auch Hospiz drin. Oder auch den sehr schaftlichen Veränderungen nötig sind, positiv belegten Begriff „palliativ“, der in um schwer kranken und pflegebedürftige der Praxis sehr „pluralistisch“ gehandhabt Menschen ein erträgliches Leben und wird und nicht immer abgrenzbar ist, bei- Sterben zu ermöglichen. Dazu bedarf es spielsweise von einer Sterbehilfe-Praxis. mehr als der Option oder Wahl zwischen den Angeboten x oder y. Erika Feyerabend: Der Gedanke, den Inhalt eines Begriffs zurück zu er- Publikum: Mich hat der Schluss des obern ist attraktiv – aber schwer. Die Referates, das Resümee beeindruckt: In damit verbundenen Machtbeziehungen der ganzen Debatte wird viel verschleiert, sind für Kritiker/innen im Sterbehil- insbesondere was die Grundlage dessen fe- und Autonomie-Diskurs ungünstig. angeht, worüber wir miteinander reden Wir sehen es schon beim Begriff „Ster- sollen. Drei Dinge sind mir dabei wichtig. behilfe“, der bei mir immer mit großen Das eine: Es wird immer mehr im Muster Anführungszeichen gedacht werden von Angebot, Nachfrage, also Dienstleis- sollte, weil er hoch problematisch ist. tung gesprochen, egal ob es um hospiz- Oft kann man sich aber gar nicht mehr liche Begleitung, palliative Versorgung anders verständlich machen, wenn man oder eben auch Sterbehilfe geht. Ich kann nicht gleich viele Erklärungen abgeben auswählen. Ich sehe mit Sorge wie auch kann, denn der Begriff ist mit bestimm- schon die Palliativmedizin in der hospiz- ten Inhalten schon sehr durchgesetzt. lichen Begleitung in dieser Hinsicht Raum Alle meinen zu wissen, was er bedeutet gegriffen hat. Die hospizliche Begleitung und welche gesellschaftlichen Folgen zu ist früher mal angetreten, den Menschen erwarten sind. Es scheint mehr oder we- „ganzheitlich“ zu sehen, in den vielen As- niger selbstverständlich, dass der Huma- pekten seiner Lebens- und auch Sterbebe- nistische Verband oder andere Sterbehilfe dingungen. Die Palliativmedizin ist ohne organisationen alles Mögliche im Angebot Zweifel ein Segen, aber sie hat eben einen haben: Von der Beihilfe zum Suizid, bzw. medizinischen Fokus. Es ist nur ein kleiner der Forderung danach oder nach aktiver Schritt – bei dem Palliativmediziner Gian Sterbehilfe, bis hin zur palliaitven und Domenico Borasio, der ja gleichzeitig die hospizlichen Begleitung. Der Humanis- ärztliche Suizidbeihilfe gesetzlich einfor- tische Verband unterhält eigene Hospiz- dert ist das schon zu erkennen – wenn der dienste. „Sterbehilfe“ oder „Hospiz“, alles hilfreiche Palliativmediziner in Konflikt passt sich schmiegsam in das Modell der situationen dann entscheidet, wann es Zeit „Dienstleistungen“ am Lebensende, der ist, verantwortlich abzutreten. Vielleicht Optionen, der Brauchbarkeiten. Suchen auch sozialverträglich. Zum anderen: Der Sie sich etwas aus! Es ist alles eine Frage FAZ-Journalist Frank Schirrmacher schrieb von Angebot und Nachfrage. Es geht mir vor Jahren das Buch über den Methusa- nicht darum, professionelle Pflegedienste lem-Komplott. Dort sagte er den „Krieg“ in Frage zu stellen. Wir sollten aber jen- zwischen den Jungen und den Alten seits der Verdienstleistungen in den Blick voraus, als eine neue gesellschaftliche Her- nehmen, welche sozialen und gesell- ausforderung. Später nahm er diese These
Sie können auch lesen