Für einen flächenwirksamen Insektenschutz - STELLUNGNAHME | Oktober 2018 - SRU
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Impressum Geschäftsstelle des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) Luisenstraße 46, 10117 Berlin Tel.: +49 30 263696-0 info@umweltrat.de www.umweltrat.de (Redaktionsschluss: September 2018) Geschäftsstelle des Beirats für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim BMEL Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Ref. 321 – Informations- und Koordinationszentrum für Biologische Vielfalt (IBV) Deichmanns Aue 29, 53179 Bonn www.ble.de www.genres.de 978-3-947370-13-9 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Lektorat und Herstellung: Sabine Wuttke, Susanne Junker, Susanne Winkler Gestaltung: WERNERWERKE GbR, Berlin Satz: TYPEWORK LAYOUTSATZ & GRAFIK GmbH, Augsburg
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) Prof. Dr. Claudia Hornberg (Vorsitzende) Professorin für Umwelt und Gesundheit an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld Prof. Dr. Manfred Niekisch (stellvertretender Vorsitzender) Professor für Internationalen Naturschutz Prof. Dr. Christian Calliess Professor für öffentliches Recht, insbesondere Umweltrecht, und Europarecht an der Freien Universität Berlin Prof. Dr. Claudia Kemfert Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance und Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin Prof. Dr. Wolfgang Lucht Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und Ko-Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Fakultät II Bildung · Architektur · Künste der Universität Siegen Prof. Dr.-Ing. Vera Susanne Rotter Professorin im Fachgebiet Kreislaufwirtschaft und Recyclingtechnologie an der Technischen Universität Berlin 1
Wissenschaftlicher Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBBGR) Prof. Dr. Peter H. Feindt (Vorsitzender) Professor für Agrar- und Ernährungspolitik am Albrecht Daniel Thaer-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Volkmar Wolters (stellvertretender Vorsitzender) Professor für Tierökologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen Prof. Dr. Gunter Backes Professor für Ökologische Pflanzenzüchtung und Agrarbiodiversität an der Universität Kassel Prof. Dr. Enno Bahrs Professor für Landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim Prof. Dr. Horst Brandt Professor i. R. für Tierzüchtung und Haustiergenetik an der Justus-Liebig-Universität Gießen Prof. Dr. Eve-Marie Engels Professorin i. R. für Ethik in den Biowissenschaften im Fachbereich Biologie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen Dr. Johannes Engels Experte für pflanzengenetische Ressourcen, Bioversity International, Rom/Italien Prof. Dr. Andreas Graner Professor für Pflanzengenetische Ressourcen und Genomforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Geschäftsführender Direktor des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Prof. Dr. Ulrich Hamm Professor für Agrar- und Lebensmittelmarketing Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel Prof. Dr. DDr. h.c. Matthias Herdegen Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Prof. Dr. Johannes Isselstein Professor für Graslandwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen Dr. Stefan Schröder Leiter des Informations- und Koordinationszentrums für Biologische Vielfalt, Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, Bonn Dr. Ernst Tholen Leiter der Gruppe Haustiergenetik des Institutes für Tierwissenschaften der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 2
Prof. Dr. habil. Sven Wagner Professor für Waldbau an der Technischen Universität Dresden Prof. Dr. Frank Wätzold Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Umweltökonomie, an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg Dr. Helmut Wedekind Leiter des Instituts für Fischerei der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Starnberg Dr. Heino Wolf Leiter des Referats Forstgenetik/Forstpflanzenzüchtung im Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft des Staatsbetriebes Sachsenforst, Pirna Prof. Dr. Jens Dauber Professor für Biodiversität von Agrarlandschaften der Technischen Universität Braunschweig und Leiter des Thünen-Instituts für Biodiversität (ständiger Gast im WBBGR) Die Mitglieder des SRU und des WBBGR bedanken sich für die sehr kompetente und engagierte Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SRU. Zum wissenschaftlichen Stab des Umweltrates gehörten während der Erstellung dieses Gutachtens: Dr. Carsten Neßhöver (Generalsekretär), Dr. Julia Hertin (Geschäftsführerin), Dr. Mechthild Baron, Barbara Bernard, Björn Brodner, Dr. Andrea Bues, Dr. Henriette Dahms, Miriam Dross LL.M., Dr. Carl-Friedrich Elmer, Alexander Franke, Patricia Horst, Casimir Lorenz, Dr. Markus Salomon, Sophie Schmalz, Dr. Elisabeth Schmid, Kristine Sperlich, Dr. Lara Steup, Annette Volkens, Mareike Well, Sophie Wiegand. Zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle gehörten außerdem: Petra Busch, Ute Fritsch, Susanne Junker, Rainer Kintzel, Pascale Lischka, Dipl.-Bibl. (FH) Susanne Winkler und Sabine Wuttke. Paul Schmidt und Alexander Dalheimer haben die Arbeit im Rahmen eines Praktikums unterstützt. Besonderer Dank gilt Dr. Katharina Fechler und Dr. Johanna Wider von der Geschäftsstelle des WBBGR im Informations- und Koordinationszentrum für Biologische Vielfalt der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung für die Unterstützung bei der Erstellung der Stellungnahme. 3
Danksagung Danksagung Der SRU und der WBBGR danken den Vertreterinnen und Vertretern der Ministerien und Ämter des Bundes sowie den Vertreterinnen und Vertretern von Wissenschaft und Gesellschaft, die mit ihren Fachkenntnissen die Erstellung der Stellungnahme unterstützt haben. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- schaft, das Bundesamt für Naturschutz, das Umweltbundesamt sowie ausgewählte Expertinnen und Experten haben einen Entwurf der Stellungnahme kommentiert. Der SRU und der WBBGR danken insbesondere folgenden Sachverständigen für hilfreiche fachliche Hinweise: Bundesamt für Naturschutz (BfN): Dr. Sandra Balzer, Marita Böttcher, Dr. Alfred Herberg, Matthias Herbert, Prof. Dr. Beate Jessel, Dr. Manfred Klein, Dr. Andreas Krüß, Dr. Ursula Nigmann, Dr. Axel Ssymank, Dr. Wiebke Züghart Umweltbundesamt (UBA): Detlef Grimski, Steffen Matezki, Ingrid Nöh, Dana Shilton Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ): Prof. Dr. Klaus Henle Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK): Prof. Dr. Johann Wolfgang Wägele 4
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................................................................. 7 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................................................................. 8 2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch. . ......................................... 10 3 Ursachen des Insektenrückgangs.. . . . . ................................................................ 18 3.1 Strukturwandel der Landschaft. ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.2 Stoffeinträge................................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.2.1 Pflanzenschutzmittel........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.2.2 Stickstoff und Phosphor. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.3 Lichtverschmutzung, K limawandel und erneuerbare Energien.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4 Handlungsempfehlungen für einen flächenwirksamen Insektenschutz................ 25 4.1 Landnutzung insektenfreundlicher gestalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4.1.1 Agrarförderung an ökologischen Belangen ausrichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4.1.2 Vielfältige Landschaftsstrukturen fördern.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4.1.3 Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren und fokussieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.1.4 Nährstoffeinträge verringern.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4.2 Bestehende Schutzgebiete stärken. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.3 Flächenverbrauch für S iedlung und Verkehr w eiter reduzieren.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.4 Negative Auswirkungen von künstlicher Beleuchtung verringern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.5 Insekten- und Biodiversitätsmonitoring substanziell weiterentwickeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.6 Wissenslücken schließen. ............... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4.7 Aus-, Fort- und W eiterbildung stärken.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4.8 Kommunikation verbessern, Bevölkerung sensibilisieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................................................ 38 6 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................................................ 40 5
Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Artenreichtum verschiedener bislang beschriebener Organismengruppen weltweit. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abbildung 2 Taxonomische Ordnungen der Insekten weltweit.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Abbildung 3 Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea nausithous). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Abbildung 4 Plattbauch-Libelle (Libellua depressa).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Abbildung 5 Trend des Grünland-Schmetterlingsindex in der EU.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Abbildung 6 Langfristiger Bestandstrend der Insektenarten in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Abbildung 7 Bedeutung von Insekten im Ökosystem und für den Menschen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Abbildung 8 Wesentliche Ursachen des Insektenrückgangs.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Abbildung 9 Übersicht über die Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 6
Zusammenfassung Zusammenfassung Insekten sind essenzielle Bestandteile von Ökosystemen. Sie zersetzen unter anderem organische Materie, bestäuben einen Großteil der Pflanzen und dienen vielen anderen Tieren als Nahrungsgrundlage. So generieren sie viele Leistun- gen, wie die Bestäubung von Nutzpflanzen oder die biologische Schädlings kontrolle, die wir täglich verwenden und auf die wir angewiesen sind. Die derzeit verfügbaren Daten weisen auf einen gravierenden Verlust dieser artenreichsten Tierklasse hin, sowohl im Hinblick auf die Artenzahlen als auch auf die Popula tionsgrößen. Durch die engen ökosystemaren Zusammenhänge wirkt sich dieser Verlust auch direkt auf die Bestandsentwicklungen anderer Tier- und Pflanzen- arten sowie den Zustand von Ökosystemen allgemein aus. Der Rückgang ist das Ergebnis komplexer, häufig kumulativ wirkender Einflussfaktoren, wobei die flächendeckende und zunehmende Verarmung der Landschaftsstruktur sowie die Einträge von Nährstoffen und Pflanzenschutzmitteln wesentlich sind. Der Insektenschwund ist in seiner Qualität und Quanti- von Pflanzenschutzmitteln muss auch hier drastisch zu- tät ein Ausdruck einer verarmenden Landschaft und als rückgehen – sowohl auf öffentlichen Grün- als auch auf Warnsignal eines weiteren substanziellen Biodiversitäts- Privatflächen. Vorläufige Erkenntnisse weisen darauf verlustes zu werten. Ein unverzügliches Handeln ist hin, dass die Reduzierung der Lichtverschmutzung daher erforderlich. Folgerichtig hat die Bundesregierung ebenfalls einen wesentlichen Beitrag leisten könnte. Das vereinbart, ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ zu Bewusstsein der Bevölkerung für die große Vielfalt der erarbeiten und bereits Eckpunkte dafür vorgelegt. Um Insekten und ihre über die Bestäubungsleistung hinaus- den Insektenverlust zu bremsen und mittelfristig zu gehenden Funktionen sollte verbessert sowie der Bei- stoppen, sind weitreichende, systemische und flächen- trag, den Bürgerinnen und Bürger zu ihrer Erhaltung wirksame Ansätze notwendig, die verschiedene, sich er- leisten können, stärker kommuniziert werden. Um die gänzende Maßnahmen erfordern. Die Landwirtschaft Bestandsentwicklungen von Insekten zu erfassen, sollte spielt aufgrund ihrer Stoffeinträge in die verschiedenen die Bundesregierung bis zum Ende der gegenwärtigen Umweltmedien Boden, Wasser und Luft sowie aufgrund Legislaturperiode gemeinsam mit den Bundesländern ihrer Flächenwirksamkeit eine erhebliche Rolle. Wich- ein deutschlandweites Monitoringsystem konzipieren tigste Maßnahmen sind hier die Reduzierung der Einträ- und mit der Etablierung beginnen. Dieses sollte zusam- ge von Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffen sowie die men mit anderen Aktivitäten zum Monitoring in einem substanzielle Anreicherung monotoner Landschaften nationalen Zentrum für Biodiversitätsmonitoring integ- mit Kleinstrukturen wie Hecken, Bäumen und Acker- riert werden, das gemeinsam von Behörden, Wissen- randstreifen sowie der Schutz und die nachhaltige Nut- schaft und Zivilgesellschaft getragen wird. zung extensiven Grünlands. Ein weiterer Verlust von Insekten und damit fundamen- Die gegenwärtige Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik talen Ökosystemleistungen hätte weitreichende negative der EU ist ein wichtiges Zeitfenster, das dringend ge- Folgen, nicht nur für diese evolutiv äußerst alte und den nutzt werden sollte, um die Förderung von Biodiversi- Großteil ihrer langen Existenz sehr erfolgreiche Tier- tätsbelangen in der Landwirtschaft zu stärken und ent- klasse selbst, sondern auch für das menschliche Wohl sprechende Maßnahmen adäquat zu honorieren. Hinzu ergehen und die Umwelt. kommen Maßnahmen im Siedlungsbereich. Der Einsatz 7
1 Einleitung 1 Einleitung 1. Insekten stellen die größte und artenreichste Klasse Services – IPBES) fasst in seinem Bericht zu Bestäubern des Tierreichs dar. Sie haben im Laufe ihrer evolutiven und Lebensmittelproduktion diese Entwicklungen auf Entwicklung eine unvergleichliche Vielfalt an Lebens- globaler Ebene zusammen und hebt die große Abhängig- weisen und Überlebensstrategien ausgebildet und sich keit der Menschheit von den Leistungen der Insekten an verschiedenste Lebensräume angepasst. So wurden hervor (IPBES 2016). sie zu essenziellen Bestandteilen von Ökosystemen und bilden einen wichtigen Teil ihres Fundaments: Sie be- 3. Der Rückgang von Insekten und der Biodiversität ins- stäuben einen Großteil der Pflanzen und tragen zu deren gesamt sind dabei eng miteinander verschränkt: Zum Verbreitung und Vermehrung bei. Insekten sind selbst einen machen die bisher beschriebenen Insektenarten Nahrungsgrundlage für viele andere Tiere und fungieren weltweit den größten Anteil der Organismengruppen aus als Prädatoren (Räuber) und Parasiten in Regulations- (Abb. 1) und der globale Biodiversitätsverlust ist damit prozessen. Indem sie organisches Material zersetzen, mengenmäßig vor allem ein Insektenverlust. Auch in fördern sie die Fruchtbarkeit der Böden und den Nähr- Deutschland sind etwa drei Viertel aller Tierarten Insek- stoffkreislauf. Diese Leistungen geschehen vom Men- ten (Bundesregierung 2018). Zum anderen haben Insek- schen weitgehend unbemerkt und werden als selbstver- ten durch ihre ökosystemaren Funktionen eine Schlüs- ständlich wahrgenommen. Dabei sind Ökosysteme und selrolle für die Stabilität von Nahrungsnetzen. Ihr Verlust mit ihnen der Mensch durch deren vielfältige Leistungen wirkt sich deswegen auch direkt auf die Bestandsent- direkt und indirekt auf Insekten angewiesen. Zugleich wicklungen anderer Tier- und Pflanzenarten sowie den können manche Insekten jedoch auch Krankheiten auf Zustand von Ökosystemen allgemein aus und ist damit Menschen und Tiere übertragen oder Nutzpflanzen, Ausgangspunkt weiterer ökologischer Gefährdungen. Nahrungsvorräte oder Gegenstände beeinträchtigen. Schließlich sind wesentliche Ursachen für den Rückgang Sie werden daher oft als Schädlinge gesehen und viele von Insekten gleichzeitig auch für den Verlust anderer Menschen begegnen ihnen mit Ablehnung. Doch trotz Arten relevant. Das zunehmende Verschwinden von ihrer Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichste Lebens- Insekten, wie auch das anderer Arten, vor allem in räume und obwohl die Zahl der Insekten nahezu unend- der Agrarlandschaft, ist demnach als dringendes Warn lich scheint (die Artenzahl ihrer Klasse übertrifft die signal zu werten: Es ist die Begleiterscheinung einer all- anderer Tiergruppen bei Weitem), hat sich ihr Bestand gemeinen Landschaftsverarmung, die aus einer großräu- bereits deutlich verringert und verringert sich weiter mig intensiven Landnutzung resultiert (Kap. 3). Dies (Tz. 10 ff.). schlägt sich insbesondere in der Abnahme der Quantität und der Qualität verbleibender terrestrischer und aqua- 2. Fachkreise beobachten schon seit Längerem eine Ab- tischer Lebensräume durch Stoffeinträge, die Monotoni- nahme der Häufigkeit und der Artenvielfalt von Insekten. sierung der Landschaft sowie ihrer Fragmentierung Das gesamte Ausmaß dieses schleichenden und kontinu- nieder. Hinzu kommen weitere Faktoren, wie der Klima- ierlichen, sich dabei aber beschleunigenden Rückgangs wandel und die Zunahme künstlicher Lichtquellen. Zu- bei vielen Artengruppen wird jedoch erst jetzt deutlich. sammengenommen handelt es sich beim Insektenverlust In seinem Ausmaß selbst für viele Expertinnen und Ex- um ein systemisches und flächendeckendes Problem, das perten überraschend, wurde der artübergreifende Ver- durch ein umfassendes Maßnahmenpaket adressiert wer- lust zuletzt durch eine Langzeitstudie des Entomologi- den muss. schen Vereins Krefeld e. V. offensichtlich (HALLMANN et al. 2017). Die Studie offenbarte eine eklatante Abnah- 4. Seit einigen Jahren ist das Thema „Insektensterben“ me der Biomasse (Gesamtgewicht) von Fluginsekten um zunehmend auch in der Öffentlichkeit präsent. Zunächst bis zu 80 % im Hochsommer in mehreren deutschen bezog sich die Auseinandersetzung mit der Thematik Schutzgebieten innerhalb der letzten 27 Jahre (s. Tz. 13). überwiegend auf den Sympathieträger Honigbiene (Apis Bundesweite Rote Listen und Studien auf europäischer mellifera). Hierbei handelt es sich jedoch gewissermaßen und internationaler Ebene unterstreichen diesen rück- um einen Sonderfall, da ihr Bestand durch Nachzuchten läufigen langfristigen Trend (Kap. 2). Die Dimensionen trotz hoher Mortalität in Deutschland nicht abnimmt des Verlustes sind dabei aus ökologischer und auch aus und sie als Nutztier vollständig abhängig vom Menschen ökonomischer Sicht in höchstem Maße besorgnis ist. Sie ist allerdings bei weitem nicht das einzige bestäu- erregend. Der Weltbiodiversitätsrat (Intergovernmental bende Insekt, auch wenn Bestäubung in der breiteren Öf- Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem fentlichkeit häufig zuerst mit der Honigbiene in Verbin- 8
1 Einleitung � Abbildung 1 Artenreichtum verschiedener bislang beschriebener Organismengruppen weltweit Begriffserläuterungen: Athropods – Athropoden (Gliederfüßer, Stamm des Tierreichs bestehend aus Insekten, Spinnentieren, Krebs- tieren, Tausendfüßer u. a.); vascular plants – Gefäßpflanzen; algae – Algen; fungi – Pilze; viruses – Viren; monerans – Prokaryoten (Bak- terien, Cyanobakterien, Archaebakterien); protista – Protisten (ein- bis wenigzellige Eukaryoten, d. h. Algen, einige Pilze, Protozoen); chordates – Chordatiere (Manteltiere, Schädellose, Wirbeltiere, d. h. inkl. Säugetiere und dem Menschen) Quelle: GRIMALDI und ENGEL 2005, S. 3 dung gebracht wird (s. Tz. 19). Sukzessive hat sich – auch Das Thema hat mittlerweile eine hohe politische Auf- in der gesellschaftlichen Diskussion – die Debatte um merksamkeit erlangt, was auch durch das im Koalitions- den Rückgang der Insekten insgesamt erweitert. Mög vertrag der Bundesregierung vereinbarte und am 20. Juni liche Gründe hierfür sind die allgemeine Aufmerksam- 2018 vom Bundeskabinett durch ein Eckpunktepapier keit, die aus der Veröffentlichung der Studie der Krefel- lancierte „Aktionsprogramm Insektenschutz“ zum Aus- der Entomologen resultierte, sowie eine zunehmende druck kommt (Bundesregierung 2018). Auch in anderen subjektive Wahrnehmung, dass früher häufig gesehene Ländern und auf EU-Ebene werden zunehmend Maßnah- Insekten weniger werden. men zum Insektenschutz auf den Weg gebracht. So stell- 9
2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch te im Juni 2018 die Europäische Kommission die erste die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diver- EU-weite Initiative zum Schutz der bestäubenden Insek- sity – CBD) von 1992, verpflichten zudem den Bund, den ten vor, mit kurzfristig greifenden Maßnahmen bis 2020 Verlust der Biodiversität (und damit auch der Insekten) und einer langfristigen Perspektive bis 2030 („Pollina- aufzuhalten. In beiden Dokumenten wird auch der Eigen- ting insects: Commission proposes actions to stop their wert der biologischen Vielfalt an erster Stelle genannt. decline“, Pressemitteilung der Europäischen Kommis Durch die EU-Naturschutzrichtlinien – die Fauna-Flora- sion vom 1. Juni 2018). Auf internationaler Ebene hat Habitat-Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) und die sich im Jahr 2016 in Anlehnung an den IPBES-Bestäuber- Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG – ergibt sich für bericht die „Coalition of the Willing on Pollinators“ Deutschland überdies die Verpflichtung zum Schutz („Koalition der Willigen für Bestäuber“) gegründet. wertgebender (Insekten-)Arten der FFH-Lebensraumty- Deutschland ist dort einer von derzeit 21 Unterzeichner- pen bzw. zur Erhaltung der Nahrungsgrundlage insekten- staaten (Promote Pollinators 2018). fressender Vögel. Auch für die Erreichung eines guten ökologischen Zustands der Gewässer muss gemäß Was- 5. Durch die bislang vorliegenden wissenschaftlichen Er- serrahmenrichtlinie 2000/60/EG der Zustand des Makro- kenntnisse über das Ausmaß und die anthropogenen Ur- zoobenthos als eines der biologischen Qualitätskompo- sachen des Insektenrückgangs (s. Kap. 2 und 3) wird ein nenten mindestens mit „gut“ bewertet werden. Das dringender Handlungsbedarf deutlich. Auch wenn der Makrozoobenthos sind in der Gewässersohle von Fließ- Wissensstand über die Ökologie und die Bedürfnisse der gewässern lebende, mit dem bloßen Auge erkennbare, einzelnen Insektenarten weiter ausgebaut werden muss, wirbellose Tiere, zu denen auch Insekten zählen. ist vor dem Hintergrund der rapiden Bestandsverluste ein Abwarten weiterer Erkenntnisse als Voraussetzung Substanzielle Gegenmaßnahmen eines Aktionsprogramms für zusätzliche Maßnahmen weder notwendig noch ver- Insektenschutz müssen an den bereits benannten Ur tretbar. Nicht zuletzt aufgrund der zentralen Funktionen sachen des Insektenverlustes ansetzen und flächenhaft für ganze Ökosysteme und damit auch den Menschen wirksam sein. Dies bedeutet, dass die Maßnahmen deut- muss der Insektenrückgang unverzüglich gebremst und lich über räumliche und zeitliche Einzelmaßnahmen hin- mittelfristig gestoppt werden. Auch wo noch nicht alle ausgehen und damit einen positiven Effekt auf Insekten Faktoren mit letzter Gewissheit als Ursache belegt wer- in der Fläche erzielen. Generell sollte das derzeit steigen- den können, gebietet das Vorsorgeprinzip als Leitlinie de Problembewusstsein auch als Möglichkeit genutzt der deutschen Umweltpolitik ein Handeln, vor allem, werden, den Biodiversitätsschutz stärker als bisher zu wenn wie hier der Fall, die Auswirkungen schwer und po- adressieren und mit seinen positiven Effekten für die Ge- tenziell irreversibel sind. Das Bundesnaturschutzgesetz sellschaft zu verbinden (vgl. Naturkapital Deutschland – (§ 1 BNatSchG), ebenso wie das Übereinkommen über TEEB DE 2016). 2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch Die Vielfalt der Insekten lungsstadium nicht auf. Zu den Insekten zählen unter 6. Die Klasse der Insekten ist die vielfältigste und arten- anderem die vier äußerst diversen Ordnungen der Käfer reichste in der Geschichte des Lebens auf der Erde. Ge- (Coleoptera), Schmetterlinge (Lepidoptera), Hautflüg- meinsam ist allen Insekten eine Einteilung des Körpers in ler (Hymenoptera, z. B. Wespen, Bienen, Ameisen) und drei Sektionen (Kopf, Rumpf, Hinterleib). Sie haben Zweiflügler (Diptera, z. B. Fliegen). Diese vier Ordnun- sechs Beine, ein Außenskelett und durchlaufen während gen allein umfassen insgesamt 80 % aller I nsektenarten ihrer Entwicklung vom Ei zur Imago (erwachsenes Insekt) weltweit (GRIMALDI und ENGEL 2005). Dazu kommen meist mehrere Larvenstadien. Je nach Art kann dieses Libellen, Geradflügler, Wanzen, Flöhe und Schaben Entwicklungsstadium in gänzlich anderen Lebensräumen sowie zahlreiche weitere Ordnungen (s. Abb. 2). stattfinden als die adulte Phase und einen Großteil der Lebensdauer ausmachen. Die meisten Insekten verfügen 7. Insekten heben sich in vielerlei Hinsicht von allen an- während ihrer Metamorphose zusätzlich über ein Pup- deren Gruppen der Tierwelt ab. Im Laufe der Evolution penstadium und werden daher als holometabol bezeich- haben sie sich durch die Herausbildung verschiedenster net. Hemimetabole Insekten weisen d ieses Entwick- Formen und Überlebensstrategien an nahezu sämtliche, 10
2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch � Abbildung 2 Taxonomische Ordnungen der Insekten weltweit Begriffserläuterungen: Holometabola – Insekten mit Verwandlung durch ein Puppenstadium; Lepidoptera – Schmetterlinge; Diptera – Zweiflügler; Hymenoptera – Hautflügler; Coleoptera – Käfer; Paraneoptera – z. B. Staubläuse, Tierläuse, Fransenflügler; Hemiptera – Schnabelkerfe; Polyneoptera – z. B. Schrecken; Orthoptera – Heuschrecken; Paleopterous insects – z. B. Libellen oder Eintagsfliegen, die ihre Flügel nicht über das Abdomen legen können; wingless hexapods – flügellose Sechsfüßer Quelle: GRIMALDI und ENGEL 2005, S. 13 auch extreme Lebensräume angepasst. Lediglich in den rtenzahl spiegelt sich auch in einer Vielfalt an Lebens- A Meeren kommen wenige Insektenarten vor. Ihre Vielfalt weisen und Habitatansprüchen wider. So werden bei- kann indes nur erahnt werden: Bislang sind etwa 1 Million spielsweise bodengebundene Käferarten aus den Fami Insektenarten weltweit beschrieben worden, Schätzun- lien der Laufkäfer oder Rüsselkäfer von ganz anderen gen gehen aber von insgesamt 2,5 bis 10 Millionen Arten Faktoren beeinflusst als blütenbesuchende Schmetter- aus. Die Zahl der fast vollständig erfassten Säugetier linge oder Libellen mit aquatischen Larvalstadien. Viele arten liegt dagegen bei weltweit 5.488 (IUCN 2017). Die Arten haben multiple Habitatansprüche zum Beispiel extrem diverse Gruppe der Insekten mit ihrer großen hinsichtlich der Nahrungsaufnahme, Eiablage oder Über- 11
2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch winterung und benötigen daher vielfältige Maßnahmen des Ameisennestes und sondern ein zuckerhaltiges Se- für ihren Schutz. Wie unterschiedlich die Lebensweisen kret ab, das die Ameisen aufnehmen. So wird die Raupe von Insekten sein können, wird nachstehend anhand von von den Ameisen gepflegt und überwintert im Schutz des zwei Beispielen veranschaulicht. Nests. Schlüpft der adulte Falter aus der Puppe, verliert er seine chemische Tarnung und verlässt das Nest schnell. Beispiele für die Vielfalt der Lebensweisen und Habitatansprüche von Insekten: � Abbildung 4 � Abbildung 3 Plattbauch-Libelle (Libellula depressa) Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling ( Maculinea nausithous) Foto: Tim Bekaert Foto: André Künzelmann, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) 9. Der Plattbauch (Abb. 4) ist eine in Deutschland weit verbreitete und häufige Großlibellenart. Die adulten 8. Der dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Abb. 3) Tiere sind sehr gute und schnelle Flieger, die auch größe- ist ein stark spezialisierter Schmetterling, der eng an das re Entfernungen zurücklegen können und sich von an Vorkommen sowohl einer Pflanzenart (Großer Wiesen- deren Insekten ernähren, die sie im Flug fangen. Ihre knopf – Sanguisorba officinalis) als auch einer Ameisenart Lebensdauer beträgt meist ein bis zwei Monate. Die (Rote Knotenameise – Myrmica rubra bzw. wenige, nahe Männchen sind blau gefärbt und die Weibchen gelb. Die verwandte Arten) gebunden ist. Diese Bedingungen fin- Weibchen legen ihre Eier im Flug in kleinen, stehenden det er vor allem in feuchten, extensiv genutzten Wiesen Gewässern wie Tümpeln, Weihern und Teichen ab. Dort und Weiden, jungen Brachen oder entlang von Gewäs- entwickeln sich die Larven meist innerhalb von ein bis sern vor. Gefährdet ist die Art vor allem durch die Inten- zwei Jahren und häuten sich dabei bis zu 14 Mal. Einge- sivierung der Bewirtschaftung oder ein Verzicht auf die graben im Schlamm können sie auch Trockenphasen Nutzung. Die Intensivierung der Nutzung führt dazu, oder das Durchfrieren des Gewässers überstehen. Sie dass Flächen häufiger gemäht werden und der Nährstoff leben ebenfalls räuberisch und ernähren sich vor allem eintrag zunimmt, jedoch benötigen die meisten Blüh- von wasserlebenden Insekten. Sie sind häufig Erstbesied- pflanzen und Insekten ein nährstoffarmes Niveau. Im ler neuer Habitate, was mit dem ursprünglichen Lebens- Gegensatz dazu resultiert ein Brachfallen der Fläche in raum dieser Art – Tümpel, die während Hochwasser in ungehindertem Wachstum von Bäumen und Büschen natürlichen Flussauen entstehen – zusammenhängt. (Verbuschung). Hierdurch kommt es zu einer zuneh- menden Beschattung und damit sinkenden Oberflächen- Bestandsentwicklungen temperaturen sowie zu einer generellen Verringerung 10. Mit ihrem Aufkommen vor mindestens 400 Millio- des Blühpflanzenangebots. Die adulten Falter leben nur nen Jahren existieren Insekten im Vergleich zu anderen wenige Tage. Ihre Eier legen sie an den Blüten des Wie- Tierklassen faunengeschichtlich schon äußerst lange. senknopfes ab, und die Raupen ernähren sich zunächst Doch obwohl sie insgesamt als evolutiv erfolgreichste von Blüten und Früchten der Pflanze. Nach wenigen Wo- Tiergruppe gelten, sind viele Arten mittlerweile in ihrem chen lassen sich die Raupen dann von der Blüte fallen Bestand bedroht. Der dramatische Verlust von Popula und von der Roten Knotenameise in deren Nest tragen. tionsgrößen und Artenzahl von Insekten könnte im Ver- Zu diesem Zeitpunkt stellt die Raupe ihre Ernährung von gleich zu anderen taxonomischen Gruppen sogar über- pflanzlich auf tierisch um und ernährt sich fortan von proportional hoch sein (BROOKS et al. 2012; RÉGNIER Ameisenlarven. Um nicht von den Ameisen gefressen zu et al. 2015; THOMAS et al. 2004). Nicht zuletzt aufgrund werden, imitieren die Schmetterlingsraupen den Geruch ihrer großen Vielfalt sind bislang jedoch nur wenige In- 12
2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch sektenarten im Detail erforscht (SCHOWALTER 2016). Bestände in Europa um 30 % verzeichnet (van SWAAY et Daher ist denkbar, dass die Verluste von Arten weltweit al. 2016), bei einzelnen Arten sind die Verluste noch we- noch unterschätzt werden (RÉGNIER et al. 2015; THO- sentlich höher. MAS et al. 2004). 11. Diese Erkenntnisse sind insofern von übergeordne- Der Kenntnisstand über die einzelnen Insektenarten un- ter Relevanz, da Schmetterlinge als Zeigerarten für den terscheidet sich demnach deutlich. Während einige Ar- Zustand der Biodiversität und der Ökosysteme gelten. tengruppen weitgehend unerforscht sind, bestehen bei- Auch wenn ihre Bestandsentwicklungen nicht spiegel- spielsweise für Schmetterlinge vergleichsweise gute bildlich der höchst diversen Klasse der Insekten insge- Datengrundlagen (MERCKX et al. 2013). Diese stellen samt entsprechen können, so weisen Schmetterlinge eine der am intensivsten untersuchten Insektenordnun- Muster in Bezug auf Artenvielfalt und Endemismus auf gen dar (THOMAS 2016), was vermutlich aus ihrer allge- (d. h. das auf ein bestimmtes, räumlich abgegrenztes Ge- meinen (historischen) Beliebtheit resultiert sowie aus biet beschränkte Vorkommen einer Art), die repräsenta- ihrer Eigenschaft als vergleichsweise einfaches Unter tiv für andere Insektengruppen sind. Sie werden daher in suchungsobjekt, da sie optisch auffällig und damit leicht Europa und andernorts zunehmend als Indikatoren für identifizierbar sind. Basierend auf umfangreichen, lang- Bestandsveränderungen anderer Insektengruppen he jährigen Datensätzen können fundierte Aussagen zu Ver- rangezogen (MERCKX et al. 2013; EEA 2013; WENZEL änderungen der Verbreitung und Populationsgröße von et al. 2006; THOMAS et al. 2004). Für andere Gruppen, Schmetterlingen getroffen werden (THOMAS 2016; wie beispielsweise Hummeln, Libellen und Marienkäfer, MERCKX et al. 2013; THOMAS et al. 2004). Die Verlus- sind vergleichbare Trends mit Populationsverlusten be- te auf Ebene der Arten als auch der Individuen sind dabei kannt. Teilweise übersteigt die Abnahme bei anderen gravierend (THOMAS et al. 2004; MERCKX et al. 2013; Gruppen die der Schmetterlinge noch (THOMAS 2016; WENZEL et al. 2006). Beispielsweise nahm die Zahl der THOMAS et al. 2004; DIRZO et al. 2014). So wurden bei- Schmetterlingsarten in Süddeutschland von 117 Arten spielsweise in einer britischen Studie zwischen 1994 und im Jahr 1840 auf 71 Arten im Jahr 2013 ab (HABEL et al. 2008 deutliche Populationsabnahmen bei drei Vierteln 2016). Der „European Grassland Butterfly Indicator“ der untersuchten Laufkäferarten festgestellt, die Hälfte untersucht als ein Statusindikator der EU-Biodiversitäts- hiervon war von einer Reduktion um mehr als 30 % be- strategie stellvertretend für alle hiesigen Schmetterlings- troffen (BROOKS et al. 2012). Die negative Bestandsent- arten die Entwicklung von 17 Grünland-Schmetterlings- wicklung vieler Insektenarten wird auch durch die vom arten in 19 europäischen Ländern (Abb. 5). Zwischen Bundesamt für Naturschutz (BfN) veröffentlichten 1990 und 2015 wurde eine generelle Verringerung ihrer Roten Listen der Wirbellosen mit repräsentativen Daten � Abbildung 5 Trend des Grünland-Schmetterlingsindex in der EU 140 120 100 80 60 40 20 0 Grassland butterflies (17 species) Trend line Quelle: EEA 2018b 13
2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch für das gesamte Bundesgebiet dokumentiert. Von den unter anderem mit der Erschließung neuer Lebensräume 557 in Deutschland bewerteten Bienenarten werden zusammenhängen, allerdings auch mit einer verbesser- knapp 50 % als ausgestorben oder bestandsgefährdet ein- ten Datenlage und somit nicht auf Verbesserungen des gestuft, dasselbe trifft auf 52,8 % der Ameisenarten zu. Erhaltungszustands beruhen (BfN 2011). Die bundesweiten Roten Listen zeichnen sich dadurch 12. Die beschriebenen Verluste sind keine neue Erschei- aus, dass sie sowohl den aktuellen (möglichst neu bis nung, sondern werden bereits seit vielen Jahrzehnten max. 25 Jahre), den kurzfristigen (10 bis max. 25 Jahre) festgestellt und gehen damit über natürliche Populations als auch den langfristigen (50 bis 150 Jahre) Bestands schwankungen hinaus. Ergebnisse von Langzeitstudien trend betrachten und anhand dessen eine Einstufung der bei Schmetterlingen in Deutschland und der b elgischen Arten in die Kategorien „Rückgang“, „gleichbleibend“ Region Flandern zeigen zudem, dass der Artenverlust und „Zunahme“ vornehmen. Knapp 92 % der Ameisenar- seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bzw. den ten weisen kurzfristige Bestandsrückgänge auf. Bei den 1970er-Jahren deutlich zugenommen hat (HABEL et al. Köcherfliegen sind im langfristigen Trend sogar 96 % der 2016; WENZEL et al. 2006; MAES und VAN DYCK 2001). Arten rückläufig (Abb. 6). Insgesamt wird für 45 % der Eine starke Beschleunigung des Rückgangs wurde auch für die Rote Liste untersuchten Insektenarten eine rück- für Ameisenarten festgestellt (BfN 2011). Im Gegensatz läufige Bestandsentwicklung festgestellt, lediglich 2 % hierzu zeigte die Analyse historischer Datensätze (1851 – der Arten zeigen Bestandszunahmen. Letzteres kann 1994) zum Aussterben von Bienen und blütenbesuchen- � Abbildung 6 Langfristiger Bestandstrend der in der Roten Liste erfassten Insektenarten in Deutschland* Schwebfliegen 458 Tanzfliegen 964 Raubfliegen 78 Gnitzen 180 Schmetterlingsmücken 133 Büschelmücken 6 Dunkelmücken 16 Tastermücken 16 Tagfalter 179 Eulenfalter 507 Spinnerartige Falter 235 Spanner 430 Zünslerfalter 248 Köcherfliegen 307 Bienen 518 Ameisen 107 Pflanzenwespen 721 Laufkäfer 555 Wasserkäfer 336 Zikaden 618 Fransenflügler 219 Heuschrecken 77 Schaben 6 Ohrwürmer 7 0% 20% 40% 60% 80% 100% Anteil der Taxa an den Klassen des langfristigen Trends Rückgang gleich bleibend Zunahme Daten ungenügend * Rechte Spalte: Anzahl der Taxa (Arten, Unterarten, Lokalformen oder Artkomplexe) pro Artengruppe. Ohne Neobiota, nicht bewer- tete und ausgestorbene Taxa. Die Rote Liste der Wespen wurde nicht in die Bewertung einbezogen. Die Kategorie Rückgang umfasst die Klassen sehr starke, starke und mäßige Rückgänge sowie Ausmaß der Rückgänge unbekannt. Quelle: BfN 2018a 14
2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch den Wespenarten in Großbritannien, dass sich das Aus- Schmetterlingsarten in geschützten Gebieten in unter- sterben von Arten seit Mitte des 20. Jahrhunderts schiedlichen Regionen Deutschlands. Diese Beobachtun- verlangsamt hat (OLLERTON et al. 2014). Die Autorin- gen sind insbesondere dahingehend überraschend und nen und Autoren der Studie nennen als mögliche Ur besonders bedenklich, da es sich um Flächen handelt, die sachen effektivere Schutzmaßnahmen und/oder den be- als Refugien für wildlebende Tier- und Pflanzenarten und reits erfolgten Verlust der sensibleren Arten. als Schutz für bedrohte Arten dienen. Dass ihr Schutz- zweck nicht erreicht wird, äußert sich sowohl anhand der 13. Besonderes Aufsehen in Politik und Gesellschaft er- hier festgestellten besonders negativen Bestandsent- langte die im Oktober 2017 veröffentlichte sogenannte wicklungen von Rote-Liste-Arten (WENZEL et al. 2006) Krefeld-Studie auf Basis der Daten des Entomologischen wie auch an der gravierenden quantitativen Abnahme der Vereins Krefeld e. V. (HALLMANN et al. 2017). Mittels Insektenbiomasse (HALLMANN et al. 2017). spezieller Fallen für Fluginsekten (Malaise-Fallen) wurde die Insektenbiomasse (Gesamtgewicht) in 63 Schutz 14. Abgesehen von Schmetterlingen und Bienen sind lang gebieten einzelner Bundesländer über einen Zeitraum jährige Studien und Monitoringdaten zu Insekten welt- von 27 Jahren untersucht. Die Studie dokumentiert eine weit selten und reichen meist nur wenige Jahrzehnte zu- Abnahme des Gesamtgewichts der gefangenen Insekten rück (IPBES 2016; MIHOUB et al. 2017). Sie können damit um mehr als 75 %, in den Monaten Juli und August bis zu bei Weitem nicht den gesamten Zeitraum des anthropo- 82 %, zwischen den Jahren 1989 und 2016. Zwar muss be- genen Einflusses abbilden. Untersuchungen werden ten- rücksichtigt werden, dass sich die Ergebnisse nicht pau- denziell auf regionaler Maßstabsebene durchgeführt. Es schal auf andere Gebiete mit anderen Landnutzungs gibt nur wenige großräumig angelegte Studien sowie sol- formen übertragen lassen und das Studiendesign nur che, die sich mit den Zusammensetzungen und Struktu- generelle Aussagen über die Entwicklung und keine Ana- ren von Insektengemeinschaften befassen. Ausgenommen lyse möglicher Ursachen bietet. Zudem ist zu beachten, hiervon sind die umfangreichen Monitoringprogramme dass Insektenarten unterschiedlich von Malaise-Fallen zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, die das angezogen werden, die Standorte der Fallen variierten Makrozoobenthos betreffen (Tz. 5). Aus den bislang be- und dass ein unterschiedlicher zeitlicher Anfangspunkt stehenden Studien lässt sich jedoch ein eindeutiger der Studie aufgrund von natürlichen, von Jahr zu Jahr Trend erheblicher Populationsverluste bei den meisten schwankenden Populationen eine andere prozentuale der untersuchten Insektenarten ablesen. Hierbei deuten Abnahme ergeben hätte. Dies ist aber kein negatives Studien in terrestrischen Lebensräumen auf eine Abnahme Alleinstellungsmerkmal einzig dieser Studie. Der nicht insbesondere von spezialisierten Insektenarten hin, wo- nach Arten differenzierte Bezug auf die gesamte Insek- hingegen Generalisten weniger von einem Rückgang be- tenbiomasse ermöglicht dennoch eine Einschätzung der troffen sind (HABEL et al. 2016; BIESMEIJER et al. 2006). dramatischen Entwicklung des Gesamtvorkommens flie- gender Insekten innerhalb weniger Jahrzehnte: Je nach 15. Da Insektenarten schneller auf chemische Verände- Standort wurden durchschnittliche jährliche Biomasse- rungen ihrer Umgebung reagieren als langlebigere Tier- abnahmen von 5,2 bis 7,5 % registriert. Untersuchungen bzw. Pflanzenarten, können Bestandsveränderungen ein zweier Naturschutzgebiete in den Niederlanden zeigten frühes Warnzeichen für Umweltveränderungen sein, bei- ähnliche Entwicklungen bei nachtaktiven Insektenarten. spielsweise der Wasserqualität von Flüssen oder Seen Zwar sind die Ergebnisse nicht mit denen des Krefelder (SCHOWALTER 2016). Ihr Rückgang kann damit auch Entomologischen Vereins vergleichbar, da andere Fallen ähnliche Entwicklungen bei anderen Taxa ankündigen zum Einsatz kamen (Licht- und Bodenfallen) und nacht- (THOMAS et al. 2004). Außerdem kann er sich durch ein aktive Insekten untersucht wurden. Es zeigte sich jedoch nachlassendes Nahrungsangebot auf insektenfressende auch hier eine jährliche Abnahme von 9,2 % bei Köcher- Tierarten direkt auswirken. Durch ihre funktionalen Be- fliegen (2009 – 2017), 3,8 % bei Nachtfaltern (1997 – ziehungen mit diversen Bereichen der Umwelt (Tz. 16 ff.) 2017) und 5 % bei Käfern (1997 – 2017). Insgesamt wur- ist durch den Verlust von Insekten ein Dominoeffekt den bei fast 40 % der untersuchten Arten Rückgänge der möglich, der sich beispielsweise in Bestandsveränderun- Individuenzahlen festgestellt (HALLMANN et al. 2018). gen anderer Tierarten und der nachlassenden biotischen Die Ergebnisse entsprechen den Trends, die auch für Ein- Bestäubung von Pflanzen fortsetzt und damit auch den zelarten ermittelt wurden. Menschen direkt betrifft (BIESMEIJER et al. 2006). Hervorzuheben ist, dass es sich bei beiden oben genann- Relevanz für Naturhaushalt und Mensch ten Studien um Untersuchungen in Schutzgebieten han- 16. Neben dem Menschen haben Insekten den am wei- delt. Auch SCHUCH et al. (2012) und WENZEL et al. testen reichenden Einfluss auf die Ökosysteme außer- (2006) verzeichnen eine drastische Populationsverrin- halb der Meere (SCHOWALTER 2016). Dies erklärt sich gerung von Zikaden und einen deutlichen Rückgang von einerseits durch die enorme Diversität und Abundanz 15
2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch dieser Tiergruppe, andererseits durch ihre zentrale Rolle e inigen Strauchbeeren (Heidelbeeren, Himbeeren und für das Funktionieren fast aller Ökosysteme. Neben bei- Brombeeren) sowie bei Gurken zu erwarten wäre. Bei spielsweise Bakterien, Asseln, Diplopoden und Würmern einigen Gemüsekulturen, wie bei Zucchini und Speise- sind auch einige Insektenarten (z. B. Larven vieler Dipte- kürbis, wäre ein Rückgang um bis zu 95 % möglich, wäh- renarten und Termiten) wichtige Zersetzer, die unter an- rend er bei anderem Gemüse, wie grünen Bohnen, Toma- derem abgestorbenes Pflanzenmaterial, Pilze und tote ten oder Paprika, mit 5 % deutlich geringer ausfallen Tiere in ihre Bestandteile zerlegen. Durch die Zerkleine- würde (ORÉ BARRIOS et al. 2017). Einige wenige Nutz- rung, Verdauung und Ausscheidung bauen sie permanent pflanzen erfordern entweder gar keine Bestäubung oder anfallende organische Materie ab, führen diese wieder keine durch Insekten, sondern werden stattdessen bei- dem Nährstoffkreislauf zu und fördern damit die Boden- spielsweise durch Wind bestäubt. Dabei handelt es sich fruchtbarkeit. Durch diese Aufbereitung können sie auch durchaus auch um Pflanzen mit einem hohen Produk die Freisetzung von klima- und gesundheitsschädlichen tionsvolumen, wie zum Beispiel Weizen, Mais, Kartoffeln Gasen (u. a. Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan (CH4)) oder Zuckerrüben (WILLIAMS 1994; KLEIN et al. 2007; aus abgestorbenen Pflanzenresten verringern (GRIMAL- LEONHARDT et al. 2013). In Europa wird der Großteil DI und ENGEL 2005). So haben beispielsweise die am der übrigen Nutzpflanzen durch Insekten bestäubt. Zwar häufigsten vorkommenden Dungkäferarten aus der Fa- gibt es regionale Unterschiede, generell steigt jedoch das milie der Blatthornkäfer großen Einfluss auf die Frei Produktionsvolumen dieser Kulturpflanzen (LEONHARDT setzung von klimawirksamen Gasen aus Kuhfladen und et al. 2013). Die landwirtschaftliche Produktion und die können die Treibhausgasemissionen, ausgedrückt in Lebensmittelversorgung hängen damit zunehmend von CO2-Äquivalenten, um bis zu ein Drittel reduzieren (im der Bestäubung durch Insekten ab (IPBES 2016). Vergleich zur Zersetzung ohne Käfer). Demgegenüber zersetzt der Mondhornkäfer Copris lunaris Dung zwar 18. Biotisch bestäubte Pflanzen sind morphologisch auf schnell und baut viel CO2 ab, trägt aber gleichzeitig zu unterschiedliche Bestäuber ausgerichtet. Damit ist deren einer relativen Zunahme von Methanemissionen bei. Das Vielfalt auch untrennbar mit der Vielfalt von Pflanzenar- verdeutlicht, wie komplex die Zusammenhänge sind und ten verknüpft (s. Tz. 19). Ein Verlust von Insekten führt wie groß der Einfluss der Artenzusammensetzung ist folglich auch zu einem Verlust von Pflanzen, die auf die (PICCINI et al. 2017). Übertragung von Pollen durch Insekten angewiesen sind (DIRZO et al. 2014). Dies betrifft neben den zuvor 17. Zudem bestäuben Insekten eine Vielzahl von Bäu- erwähnten landwirtschaftlich genutzten Pflanzen auch men und weiteren Blütenpflanzen. Generell wird bei der solche, die den Artenreichtum der Vegetation von natur- Bestäubung von Pflanzen zwischen der abiotischen Be- nahen Lebensräumen bestimmen und wichtige Nah- stäubung durch Wind oder Wasser und der biotischen rungsquellen und Habitate für Tiere sind. Die Vielfalt der Bestäubung durch Tiere (90 % der Bestäubung) unter- Insekten steht dementsprechend in engem Zusammen- schieden. Die biotische Bestäubung erfolgt hauptsächlich hang mit der Vielfalt weiterer Tierarten. durch Insekten, wobei insbesondere in den Tropen auch Vögel und Fledermäuse eine wichtige Rolle spielen. In- Die Vielfalt der Bestäuber sekten tragen durch Bestäubung zu der Vermehrung und 19. Vielfach wird in der öffentlichen Debatte im Wesent- Ausbildung von Früchten bei (MERCKX et al. 2013), lichen die Honigbiene mit der Bestäubung von Pflanzen womit sie auch das Landschaftsbild entscheidend beein- in Verbindung gebracht. Der Bestand der Honigbiene flussen. 85 % der 250.000 Blütenpflanzenarten weltweit steht eng mit ihrer Bewirtschaftung (Imkerei) im Zusam werden durch Insekten bestäubt, hierunter der Großteil menhang. Durch die Zunahme der Bienenhaltung (auch der Wildpflanzen (90 %) sowie viele Nutzpflanzen (GRI- in Städten) entwickelt sich dieser in Deutschland nach zu MALDI und ENGEL 2005). Weltweit profitieren die Er- vor starken Verlusten seit einigen Jahren wieder positiv. träge von drei Vierteln der wesentlichen pflanzlichen Anders als die übrigen Insekten weist die Honigbiene einen Nahrungsmittel des Menschen in unterschiedlichem hohen Grad der Domestikation auf und gilt aufgrund Maß von Insektenbestäubung (KLEIN et al. 2007). Für ihrer Bestäubungsleistung volkswirtschaftlich betrachtet die Ernährung sehr hochwertige Nutzpflanzen, wie Kern- als das drittwichtigste Nutztier nach Rind und Schwein obst und viele Beeren- und Gemüsesorten, sowie Gewür- (BLE 2017). Allerdings sind bei weitem nicht nur Honig- ze sind für höhere Erträge besonders auf Bestäubung an- bienen Bestäuber. Von den weltweit mehr als 20.000 Bienen gewiesen. Eine ökonomische Analyse der Universität arten sind zwar die westliche Honigbiene (Apis mellifera) Hohenheim berechnete für ausgewählte Kulturpflanzen und die östliche Honigbiene (Apis cerana) die bekanntesten in Deutschland, dass bei einem gänzlichen Ausfall der In- Vertreter. Jedoch zählen die nicht domestizierten Wild- sektenbestäubung beispielsweise bis zu 65 % Ertrags- bienenarten (in Deutschland 561 etablierte Arten, s. BfN rückgang bei manchem Baumobst (Äpfel, Süßkirschen, 2011) nahezu gänzlich ebenfalls zu den Bestäubern, eben Pflaumen, Birnen und Sauerkirschen), ebenso wie bei so wie eine Vielzahl anderer Insekten. Insbesondere sind 16
2 Insekten und ihre Bedeutung für Natur und Mensch dies die weltweit mehr als 120.000 Fliegenarten, die die 21. Allerdings erbringen Insekten nicht nur vom Men- zweithäufigsten blütenbesuchenden Insekten sind. Da schen erwünschte Ökosystemleistungen, sie können rüber hinaus übertragen Schmetterlinge, Wespen, Käfer, auch die Gesundheit von Mensch und Tier beein Fransenflügler, Vögel, Fledermäuse und weitere Wirbel- trächtigen, was insbesondere in tropischen Regionen, tiere Blütenpollen (IPBES 2016). Für Großbritannien wur durch den K limawandel zunehmend aber auch polwärts, de gezeigt, dass dort Wildbienen den Großteil der Be- Gefahren mit sich bringt. So übertragen beispielsweise stäubungsleistung erbringen (BREEZE et al. 2011). Auf- Stechmücken der Gattung Anopheles Malaria und Stech- grund von Unterschieden sowohl in der Morphologie von mücken der Gattung Aedes Gelbfieber und Chikungunya- Pflanzen als auch ihrer Blühzeitpunkte ist es eine wesent fieber. Ein weiteres Beispiel ist der Eichenprozessions- liche Voraussetzung, dass Bestäuber und Pflanze „zuein- spinner, dessen Raupen Brennhaare absondern, die bei ander passen“. Das bedeutet, dass eine größere Arten- Kontakt Haut irritationen, Augenreizungen, Atembe- vielfalt von Bestäubern eine effektivere Bestäubung der schwerden und pseu doallergische Reaktionen hervor Pflanzenarten ermöglicht und gleichzeitig auch eine grö- rufen können (Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche ßere Vielfalt an Blütenpflanzen die Ansprüche unterschied Dienste 2017). licher Insektenarten abdeckt (BLÜTHGEN und KLEIN 2011; KLEIN et al. 2007). Durch maßgebliche Einfluss- Manche Insektenarten verursachen zudem ökonomische faktoren wie die Blühzeitpunkte im Jahresverlauf, das Schäden in der Landnutzung. So führt beispielsweise ein Vorhandensein verschiedener Bestäuber- und Pflanzen- starker Befall mit Apfelwickler, Kartoffelkäfer, Reblaus, arten oder das Bestäuberverhalten sind solche aufeinan- Getreideblattlaus oder Maiszünsler durch Pflanzenfraß der abgestimmte Pflanzen-Bestäuber-Netzwerke anfällig zu hohen Ernteeinbußen. Um die daraus entstehenden für Veränderungen. Ein Verlust der Artenvielfalt von Be- landwirtschaftlichen Schäden zu minimieren, ergreift stäubern und Pflanzen oder Veränderungen der Blühzeit- der Mensch in der Landnutzung, und dort vor allem in punkte und des Nahrungsangebotes können dazu führen, der Landwirtschaft, Maßnahmen der Schädlingsbekämp- dass das Zusammenspiel von Bestäubern und Pflanzen fung. Dies wiederum kann Auswirkungen auf den Be- und damit die Bestäubungsleistung beeinträchtigt wird stand aller Insekten im Wirkungsumkreis der Anwen- (BURKLE et al. 2013). Die Vielfalt bestäubender Insek- dung haben (vgl. u. a. Abschn. 3.2.1). Gleichzeitig ist ten leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Ernährungs- auch die Wirkung sogenannter Schadinsekten häufig sicherheit der Menschheit (LEONHARDT et al. 2013). komplexer Natur. So erfüllt selbst der in der Forstwirt- schaft aufgrund ökonomischer Schäden gefürchtete Bor- 20. Darüber hinaus sind Insekten ein wichtiger Bestand- kenkäfer (in Deutschland insb. die Borkenkäferarten teil von Nahrungsnetzen und damit eine wichtige Nah- Buchdrucker Ips typographus und Kupferstecher Pityo rungsquelle für viele andere Tiere wie Vögel, Amphibien, genes chalcographos) prinzipiell wichtige Funktionen im Reptilien, Fische, Fledermäuse und Säugetiere wie Spitz- Ökosystem Wald. Kommt er in normalen Dichten vor, be- mäuse. Fehlen Insekten, wird diesen ein wichtiger Teil fällt er vorwiegend kranke oder abgestorbene Fichten ihrer Nahrungsgrundlage entzogen. Die Zahl (Abun- und trägt durch deren Zersetzung zu einer natürlichen danz) der Vögel der Agrarlandschaft nahm in der EU zwi- Walderneuerung bei (WINTER et al. 2015). schen 1990 und 2014 um 31,4 % ab (EEA 2018a). Insbe- sondere bei den insektenfressenden Vogelarten wird in 22. Generell ist die Zahl der Insektenarten, die Ernte- den letzten Jahrzehnten ein deutlicher Rückgang beob- schäden verursachen, vergleichsweise gering. Insekten achtet. Dies liegt maßgeblich an der generellen Intensi- sind als Räuber und Parasiten bzw. Parasitoide in ele- vierung der Landnutzung einschließlich dem Einsatz von mentare Regulationsprozesse von Ökosystemen einge- Insektiziden, was sich in einer Abnahme von Insekten als bunden. Für den Menschen erbringen sie in vielen Agrar- Nahrungsquelle niederschlägt (HALLMANN et al. 2014). systemen eine unverzichtbare Ökosystemleistung, indem Durch den engen Zusammenhang zwischen ausreichen- sie Massenvermehrungen von Organismen, die Schäden dem Nahrungsangebot und erfolgreicher Fortpflanzung an Kulturpflanzen hervorrufen, verhindern (Naturkapi- ist der Insektenschwund ein wichtiger Faktor bei dem tal Deutschland – TEEB DE 2016). Eine größere Hetero- Rückgang der Vögel (WAHL et al. 2015). 80 % der aus genität der Agrarlandschaft, beispielsweise durch Kultur- gewachsenen Individuen von in Deutschland vorkom- pflanzenvielfalt, Blühstreifen, Mischkulturen, blühende menden Brutvogelarten ernähren sich von tierischer Untersaaten oder selbstbegrünte Brachen, erhöht das Nahrung, fast die Hälfte hiervon von Insekten und Spin- Vorkommen dieser Antagonisten. Dies wirkt sich positiv nentieren (ebd.). In den letzten 25 Jahren wiesen 30 % auf die natürliche Schädlingskontrolle aus und kann da- der untersuchten Brutvogelarten Bestandsrückgänge auf. durch den Bedarf an Pflanzenschutzmitteln reduzieren In den vergangenen zwölf Jahren beschleunigte sich der (TSCHUMI et al. 2015). TSCHUMI et al. (ebd.) unter- Bestandsrückgang und betraf fast 50 % der insekten- und suchten den Effekt natürlicher Schädlingskontrolle spinnenfressenden Brutvogelarten (ebd.). durch einfache Maßnahmen auf Winterweizenfeldern in 17
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