Kons 16 FORUM - Zeitung des Tiroler Landeskonservatoriums
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kons Zeitung des Tiroler Landeskonservatoriums 4 12 16 ENTRADA PORTRÄT FORUM KONStroverse ANNE-SUSE ENßLE ... DANN WERDE ROLAND HEINZ ICH HELLHÖRIG Heft Nr. 25 Sommer 2021
Impressum Herausgeber: Tiroler Landeskonservatorium Paul-Hofhaimer-Gasse 6 6020 Innsbruck Tel.: +43(0)512 / 508-6852 Fax: +43(0)512 / 508-746855 www.konstirol.at Email: kons.redaktion@tsn.at Redaktion: Mag. Sebastian Themessl Mag. Dr. Gabriele Enser Sebastian Euler Isolde Jordan Christine Knoll-Kaserer MA Harald Pröckl Marinus Kreidt Michael Leitner Miriam Reinstadler Dir. Dr. Nikolaus Duregger Grafikkonzept: Theresa Neuner Grafik: Manfred Gruber Titelfoto: Lößl (instagram: otto.mops) Für den Inhalt verantwortlich: Dir. Dr. Nikolaus Duregger Druck: studia 2 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Editorial / Inhalt Corona stürzt, es än- Entrada: dert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus KONStroverse 4 den Ruinen! Musik besonders, allgemein die Kunst, durchlie- fen Schmerzenstäler, saure Zeiten. Zu nahe noch sind Leid und Pein und Schrecken, Curriculum: die Wellen der Corona-Pandemie, die tü- ckisch-böse immer wieder neu Verhäng- Neu: Hauptfach nis, Tod an unsre Ufer schwemmten, dass Skepsis sich nicht in uns rühren möchte. Jazz/Pop 10 „Die Worte hör‘ ich wohl“, raunt sie uns zu, „allein mir fehlt der Glaube!“ Der Op- timismus sieht die Sache anders, betont die Leistungen der Wissenschaft, die zäh Porträt: und fleißig und ideenreich der Pandemie sich mutig-trotzend stellt, betont den Se- Anne-Suse Enßle 12 gen, den die Impfung bringt, betont Ver- nunft und Disziplin des Menschen. (Die Roland Heinz 14 Skepsis lacht; ganz unrecht hat sie nicht!) Mit Worten können wir Corona nicht be- siegen, dazu taugt einzig und allein die Tat. Sie ist des echten Menschen wahre Forum: Feier, wie sinngemäß Geheimrat Goethe meint. Und diesen Wahnsinn wollen wir Studierendenvertretung 18 beenden, vorzüglich weil wir müssen, weil Musik nur dann zu neuem Leben Musik.Moment 28 kann erblühn. Der Pläne sind gar viele, die wir hegen, gesät der Samen, der Mu- sik und Mensch mit neuer Lust und Freu- de soll beseelen. Mein herzensfrommer Fermate: 33 Wunsch am Ende lautet – und laut sei er in Gottes Ohr gelegt – dass keine Rolle soll fortan mehr spielen Corona. Nicht im Vorwort, nirgendwo! Nikolaus Duregger Heft Nr. 25 | Sommer 2021 3
Entrada KONStroverse Anstoß zu einer umfassenden Diskussion Über ein Jahr liegt hinter uns, in dem wäre. Dennoch können wir hier nur von durch die Corona-Pandemie die Welt auf einer halbwegs geglückten Notlösung den Kopf gestellt wurde und in dem vor sprechen und eine Erlösung davon erwar- allem das kulturelle Leben auf allen Ebe- ten wir alle sehnlichst. nen eingeschränkt war. Menschenleere Konzertsäle, der „Distance-Unterricht“, Was hat dich diese Zeit der Pandemie ge- die „Rettungsfonds“, die Perspektivenlo- lehrt, was nimmt man daraus mit? sigkeit sowie die menschliche und somit Man könnte es als durchaus produktiven künstlerische Distanz sind nur als weni- Austausch bezeichnen: Die Pandemie hat ge Schlagwörter zu nennen. mich ziemlich mitgenommen und ich Dieses Thema „Zeit der Pandemie“ muss ziemlich viel aus ihr. Und damit bin ich unserer Meinung nach umfassend und sicherlich keine Ausnahme. Spontan in zukunftsorientiert diskutiert werden und den Sinn kommt mir meine unbändige soll aus diesem Grund hier einen ganz Vorfreude auf die kulturellen Öffnungen, besonderen Platz bekommen. Deshalb der Tag, ab dem ich Abend für Abend in haben wir Fragen an Kulturschaffende die Kinos, Konzerte, Theater und Opern rund ums TLK – von Studierenden bis zu dieser Welt untertauchen werde, denn, Veranstaltern – gestellt. Eine Auswahl: auch wenn wir die bittere Erfahrung ma- chen mussten, dass das Schönste, was wir • Arianna Werth (Studentin am TLK): Menschen schaffen, anscheinend nicht „systemrelevant“ ist, ist es für mein per- Können wir positive Schlüsse aus dem sönliches System umso relevanter. Distance-Unterricht ziehen? Was sind deine Erfahrungen damit? Bananenbrot oder Sauerteig? Es gibt genau einen positiven Schluss. Fertigpizza aus‘m Spar. Hoffentlich bald. In der Zwischenzeit ha- ben sich ProfessorInnen und Studierende • Anonym: im Rahmen der digitalen Möglichkeiten, Arianna Werth so gut wie es nur geht, mit dieser Situation Wie geht es den Kulturschaffenden? Foto: privat Können Sie diese Frage nach einem Jahr arrangiert. Als positiver Nebeneffekt könnte hervorgehoben werden, dass das Pandemie überhaupt noch hören? selbstständige Erarbeiten zuhause ein teil- Ehrlich gesagt bin ich seit einigen Mona- weise individuelleres Lernen ermöglicht, ten auf der Suche nach einer neuen Beru- das man voll und ganz auf die eigenen fung. Die Pandemie hat mir persönlich Interessen und Bedürfnisse abstimmen den Spaß am Musizieren genommen – vor kann. Ich persönlich habe zum Beispiel allem, weil für mich die Interaktion zwi- sehr viel Musik kennengelernt, wofür im schen Publikum und Musiker fehlt und Präsenzunterricht nicht die Zeit gewesen es zeitweise sogar gesetzlich verboten 4 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Entrada wurde, Konzerte zu organisieren. Norma- Bananenbrot oder Sauerteig? Collage: lerweise kann ich mir mit Gagen in Höhe Fastenzeit. Miriam Reinstadler von ca. € 4.000,- pro Jahr mein Studium super finanzieren. Ab März 2020 betrugen • Mag.a Christina Alexandridis, Schau- die Einnahmen aus musikalischen Tätig- spieldirektorin & Chefdramaturgin des keiten nur € 580,-. Was soll man dazu noch Tiroler Landestheaters sagen ...? Wie geht es den Kulturschaffenden? Können wir positive Schlüsse aus dem Können Sie diese Frage nach einem Jahr Distance-Unterricht ziehen? Was sind Pandemie überhaupt noch hören? Ihre Erfahrungen damit? Ja, die Frage kann ich gut hören und ich Distance-Unterricht funktioniert nur zu beantworte sie gerne. Uns fehlt – wie allen einem gewissen Grad. Es geht viel wert- – der unmittelbare Austausch mit unse- Mag.a Christina volle Unterrichtszeit verloren. Wenn das rem Gegenüber. Schließlich hat die Pande- Alexandridis Foto: tirol.ORF.at Internet einmal spinnt, dauert es oft lange mie mehr als deutlich gezeigt, wie wahr bis die Kommunikation wieder funktio- das Bibelwort „Der Mensch lebt nicht vom niert. Brot allein“ ist. Das Wichtigste kann aber nicht unterrich- tet werden – der Klang. Vielerlei Stunden Wie wird das Kulturleben in Zukunft beschäftigen wir uns damit, einen schö- aussehen? nen natürlichen Klang zu produzieren, Ich hoffe mit dem nötigen Selbstbewusst- aber nur nüchtern ist das Feedback der ei- sein, dass das Kulturleben in allen seinen genen Lehrperson. Facetten für eine funktionierende Gesell- schaft unabdingbar ist. Was hat Sie diese Zeit der Pandemie ge- lehrt, was nimmt man daraus mit? Was hat uns diese Zeit der Pandemie ge- Rücklagen zu bilden, mehrere Standbeine lehrt, was nimmt man daraus mit? bzw. Einkommensquellen zu besitzen. Zum einen eine gewisse Demut und Dankbarkeit, dass wir letztlich doch so Reichen die finanziellen Hilfen, die an gut durch diese Krise gekommen sind die KünstlerInnen geflossen sind, aus? mit allen Absicherungen, die es bei uns Die finanziellen Mittel reichen für mich gibt – dass das nicht überall auf der Welt nicht aus – ich musste meine Wohnung so ist, ist wieder einmal mehr als deutlich kündigen und nun über eine weite Dis- geworden. Zum anderen die Erkenntnis, tanz pendeln. Auch die Förderungen de- dass wir uns mit größerem Selbstbewusst- cken gerade mal einen Bruchteil meiner sein und noch größerem Einsatz in die Ge- fixen Wohnungskosten; geschweige denn sellschaft einbringen müssen, um auch in das täglich Brot ... solchen Krisenzeiten unseren Beitrag zu Heft Nr. 25 | Sommer 2021 5
Entrada einem guten Zusammenleben leisten zu chen des letzten Jahres hat aber für jeden können. von uns die Motivation eine große Rolle gespielt. Ich als Lehrende habe den Kon- • Mag.a Ivana Pristašová, Geigerin, Pro- takt zu den Studenten sehr gebraucht und fessorin für Violine am TLK: der Online-Unterricht war unsere einzige Möglichkeit. Wie hätten wir es vor 50 Jah- Wie geht es den Kulturschaffenden? ren gemacht? Kann man diese Frage nach einem Jahr Pandemie überhaupt noch hören? Was hat Sie diese Zeit der Pandemie ge- Ich persönlich werde mir immer Gedan- lehrt, was nimmt man daraus mit? ken darüber machen, wie es den Kultur- Das Wichtigste für mich war zu begreifen, schaffenden geht. Die letzten Monate wa- wie gut es uns eigentlich vorher gegan- Mag.a Ivana ren so absurd für alle Bereiche unserer gen ist. Was wir alles hatten und genießen Pristašová Gesellschaft, unserer Existenz, unseres durften. So viel Freiheit und Selbstbestim- Foto: privat Daseins. Diese Zeit war so außergewöhn- mung! Bringt uns die „Coronazeit” dazu, lich, ist immer noch so außergewöhnlich, das auch in Zukunft mehr zu schätzen? dass ich mich immer damit beschäftigen Jetzt ist schon alles anders und wird auch werde. Was passiert, betrifft uns alle und sicher länger noch anders bleiben. Ich wir werden es noch sehr lange spüren. wurde in der kommunistischen Tschecho- Ich hoffe aber auch, dass jede Herausfor- slowakei geboren, da hat man in vielerlei derung wieder eine Inspiration bringen Hinsicht nicht selbst entscheiden können, kann – ohne die ist Kunst gar nicht mög- nicht reisen dürfen, nicht freie Kunst ma- lich. Ich glaube ganz fest daran, dass wir chen können, nicht einmal eine andere KünstlerInnen jetzt viel mehr gebraucht Meinung haben dürfen, ohne verfolgt zu werden als je zuvor. werden. Trotzdem ist auch viel Wertvolles und Gutes im Kunstbereich entstanden. Claudia Können wir positive Schlüsse aus dem Mein Lieblingsmotto hat Arnold Schön- Delago-Norz, MA Distance-Unterricht ziehen? Was sind berg formuliert: „Kunst kommt nicht von Foto: privat die Erfahrungen damit? Können, sondern von Müssen.“ Der Ausdruck Distance-Unterricht ist für mich schon negativ und inakzeptabel. Ich • Claudia Norz, MA, Geigerin, Professo- wollte und will keine Distance. Ich musste rin für Barockgeige: sie haben, das ist Tatsache. Wie schon ge- sagt, sehr absurd, außergewöhnlich. Viel- Wie geht es den Kulturschaffenden? leicht geht es in anderen Fächern etwas Können Sie diese Frage nach einem Jahr besser, aber das Fach Musik – Violine – per Pandemie überhaupt noch hören? Computer zu unterrichten, kann nie gut Ich vermisse mein berufliches Leben von funktionieren. In den schwierigsten Wo- Vor-Corona sehr. Da ich hauptsächlich in 6 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Entrada England spiele aber in Österreich unter- Können wir positive Schlüsse aus dem richte, bin ich auf offene Grenzen ange- Distance-Unterricht ziehen? Was sind wiesen. Es gibt aber Lichtblicke und vor Ihre Erfahrungen damit? allem wieder Konzerte mit Publikum! Es Distance-Learning hat die Vorteile, dass wird … in schwierigen Zeiten überhaupt ein Un- terricht sein kann und dass vielleicht ei- Können wir positive Schlüsse aus dem nige Flexibilitäten bei der Mitwirkung am Distance-Unterricht ziehen? Was sind Unterricht möglich sind. Aber insgesamt Ihre Erfahrungen damit? hat diese Unterrichtsform etwas stark Ich finde es super, die Möglichkeit des Nachteiliges, etwas, das schon im Begriff Distance-Learnings entdeckt zu haben. deutlich wird: die Ferne. Es fehlen beim Es ersetzt natürlich keinen Unterricht im Distance Learning die persönlichen In- gleichen Raum, aber es funktioniert als teraktionen zwischen Studierenden und Betreuung für eine bestimmte Zeit. Lehrenden. Und auch die Sozialität leidet stark darunter. In der Musik, im Musikun- Bananenbrot oder Sauerteig? terricht, in der Schule oder Universität ist Peinlich, ich habe wirklich beides perfek- der persönliche Austausch unverzichtbar. tioniert. Was hat Sie diese Zeit der Pandemie ge- • Franz Baur, Komponist, Professor am lehrt, was nimmt man daraus mit? TLK: Aus fast allem kann etwas gelernt wer- den. Für mich sind bestimmte Werte noch Wie geht es den Kulturschaffenden? stärker bewusst geworden: dass natürlich Können Sie diese Frage nach einem Jahr die Gesundheit ein immens hohes Gut Pandemie überhaupt noch hören? ist; dass es aber auch ungemein wertvoll Die Musik war in Zeiten der Pandemie nie ist, mit Menschen zusammen zu sein, die weg. Es gibt unglaublich viele Aufnah- einem jetzt noch mehr bedeuten im Für- men, Dokumentationen und anderes, das und Miteinandersein. Am meisten hoffe jederzeit verfügbar war und ist. Für das ich, dass so eine Zeit nicht wieder kommt. Franz Baur Foto: Die Fotografen aktive Musizieren, für die heute lebenden Musikerinnen und Musiker aber auch für Reichen die Hilfen, die an die Künstler- die KomponstInnen ist das erschütternd: Innen geflossen sind aus? nämlich entbehrlich zu sein, sich von Ab- Bei den Hilfen für KünstlerInnen glaube sage zu Absage zu hanteln und sich so ich, dass Geld allein nicht alles ist. Es ist richtig allein zu fühlen. Musik hat eine wichtig, aber noch wichtiger wäre die ehr- große kathartische Wirkung – aber nur liche Wertschätzung, die einem entgegen- mit ihr allein verliert sich das. gebracht wird. Heft Nr. 25 | Sommer 2021 7
Entrada • Dr. Nikolaus Duregger, sein, in einer volatilen Welt zu leben. Und Direktor des TLK: wir sollten uns von den wunderbaren Ga- ben der Musik wieder bewusster beschen- Wie geht es den Kulturschaffenden? ken lassen, die Macht der Musik wirken Kann man diese Frage nach einem Jahr lassen. Pandemie überhaupt noch hören? Für Kulturschaffende waren die letzten Reichen die Hilfen, die an die Künstler- eineinhalb Jahre einfach nur schrecklich. Innen geflossen sind, aus? Was ihnen bei der Bewältigung der Lage Ich knüpfe hier an die Antwort zur ersten Direktor des TLK hilft, ist ihre Hartnäckigkeit, ihr Über- Frage an. Die öffentliche Hand hat sich Dr. Nikolaus Duregger sehr bemüht, die durch die Vielzahl der Foto: privat lebenswille, ihre Zähigkeit, ihre Leiden- schaft für die Kunst, die mächtige Kont- Projektabsagen bewirkte finanzielle Mi- rapunkte gegen die Unbillen des Daseins sere der KünstlerInnen auszugleichen, die darstellen. Die Frage, wie es ihnen geht, Totalkompensation der Ausfälle kann nie ist unangenehm, man MUSS sie aber stel- gelingen. Und wie schon festgestellt, ist len und überzeugend beantworten. Der es jetzt wichtig, dass die ausgehungerten Kunstkonsument kann die Lage der Kul- Kunstkonsumenten die Veranstaltungen turschaffenden am besten mit großzügi- stürmen, KünstlerInnen brauchen neben gem Kunstkonsum verbessern. ordentlicher Bezahlung auch die unmittel- bare Kommunikation mit dem Publikum. Können wir positive Schlüsse aus dem Distance-Unterricht ziehen? Was sind • Dr.in Beate Palfrader, Ihre Erfahrungen damit? Landesrätin (unter anderem für Kultur): Wenn Corona etwas Positives ans Licht gebracht haben sollte, dann ist es die Er- Wie geht es den Kulturschaffenden? kenntnis, dass es zwischen Unterricht und Können Sie diese Frage nach einem Jahr keinem Unterricht eine beachtliche Zwi- Pandemie überhaupt noch hören? schenstufe gibt: das Distance-Learning. Diese Frage kann ich immer hören, weil Zwar kann es den Präsenzunterricht nie mir das Wohl der Kulturschaffenden sehr vollständig ersetzen, es kann aber eine am Herzen liegt. Durch die Pandemie ist äußerst nützliche Brücke über von höhe- der direkte Austausch mit den KünstlerIn- Landesrätin rer Gewalt verursachte schwierige Zeiten nen und Kulturschaffenden noch intensi- Dr.in Beate Palfrader, ver geworden, es ist für mich zentral zu Foto: Land Tirol/Berger schlagen. wissen, wie es ihnen geht und was sie jetzt Was hat Sie diese Zeit der Pandemie ge- in der Krise brauchen, damit wir seitens lehrt, was nimmt man daraus mit? des Landes entsprechend unterstützen Die Lehre ist, dass nichts selbstverständ- können. lich ist. Wir müssen uns stets bewusst 8 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Entrada Reichen die Hilfen, die an die Künstler- des gehört untrennbar zusammen – bleibt Foto: Lößl Innen geflossen sind, aus? eine Gesellschaft stehen, entwickelt sich (instagram: otto.mops) Sowohl der Bund als auch das Land haben nicht weiter. zahlreiche Pakete zur Unterstützung der Kunst- und Kulturschaffenden geschnürt. Wie wird das Kulturleben in Zukunft Es gibt auf Bundesebene auch einen Not- aussehen? falltopf für jene, die tatsächlich bei allen Im Fokus steht jetzt einmal, alle in der anderen Hilfen durchfallen. Das allseitige Kunst und Kultur Tätigen, ob professi- Bemühen, ausreichend zu helfen, ist groß. onell oder ehrenamtlich, ob haupt- oder Dennoch kommt es jetzt entscheidend da- nebenberuflich, zu motivieren und dabei rauf an, die Unterstützungsmaßnahmen zu unterstützen weiterzumachen! Wie gut zu verlängern, die Krise ist nicht mit den das gelingt, wird die Zukunft unseres ersten Öffnungsschritten überstanden! Kulturlebens prägen. Allgemein gehe ich davon aus, dass in jeder Beziehung mehr Was hat uns diese Zeit der Pandemie ge- Umsicht und gegenseitige Wertschätzung lehrt, was nimmt man daraus mit? im täglichen kulturellen und künstleri- Ich glaube, diese Zeit hat vielen – auch mir schen Schaffen walten wird. Eine Krise ist – noch einmal deutlicher gemacht, wie immer auch eine Chance, das Wesen der lebenswichtig sozialer und auch intellek- Dinge besser zu erkennen und zu verste- tueller Austausch ist, sei es in der Schule hen. oder im Rahmen einer Kulturveranstal- tung. Ohne Kultur und Bildung – und bei- Miriam Reinstadler und Marinus Kreidt Heft Nr. 25 | Sommer 2021 9
Curriculum Neu: Hauptfach Jazz/Pop im IGP-Baccalaureatsstudium Mitte Juni endet erstmals die Anmelde- Mit dem jetzigen vierjährigen vollwer- frist zum neuen IGP Studium Jazz/Pop. tigen IGP Hauptfachstudium wird der Damit präsentiert sich die Jazzabteilung Jazz/Pop-Bereich in der musikalischen nun in Kooperation mit der Innsbrucker Ausbildung gleichberechtigt. Ab dem musikpädagogischen Abteilung des Mo- Schuljahr 2021/22 können somit im zarteums räumlich und personell ge- IGP-Studium Jazz/Pop die Hauptfächer stärkt. 13 (!) Lehrkräfte betreuen ab jetzt Klavier, Gesang, Gitarre, E-Bass, Kont- alle Jazz/Pop-interessierten Studieren- rabass, Flöte, Klarinette, Saxofon, Trom- den in dem neuen Hauptfachstudium, pete, Posaune und Schlagzeug inskri- im neuen (verkürzten) Lehrgang Jazz/ biert werden. Pop, in der ME/IME (Musikerziehung/ Die vielen Konzerte und Auftritte der Instrumental-Musikerziehung) und als zahlreichen Ensembles haben dieser Neben- oder Wahlfach in klassischen Entwicklung den Weg geebnet. Wichtige Studien. Projekte und Kontakte zu international Es war nicht leicht, diese Kooperation berühmten MusikerInnen hinterließen zustande zu bringen. Jahrelange Auf- bleibende Eindrücke und zeigten die se- bauarbeit des Lehrganges und die Zu- riöse Arbeit in diesem Bereich. Wichtige sammenarbeit aller Verantwortlichen in Projekte der Jazzabteilung seit 1995 wa- Lehrkörper und Verwaltung brachten ren: Big Band Konzerte mit Bob Mintzer, nun den langersehnten Durchbruch. Randy Becker, Maria Schneider, Bobby Besonderer Dank gilt Landesmusikdi- Shew, Rob McConnell, Ray Anderson, rektor Helmut Schmid, M.A., Frau Lan- Mathias Schriefl, Rigmor Gustafson, desrätin Dr. Beate Palfrader und Frau Niels Landgren, Sabine Vogel, Wolfgang Rektorin Prof. Elisabeth Gutjahr, durch Mitterer, Ernie Watts. Zahlreiche Work- deren persönlichen Einsatz die letzten shops ergänzten in all den Jahren den politischen und organisatorischen Hür- Unterricht. 1997 konnte mit dem Schloß den genommen werden konnten. Mentlberg ein Ort gefunden werden, der Jazz am Tiroler Landeskonservatorium zwar für Innsbrucker Verhältnisse de- blickt auf eine 30-jährige Geschichte zu- zentral war, aber freies und relativ unge- rück, in deren Verlauf über 100 Studie- störtes Arbeiten ermöglichte. Ursprüng- rende die Kurse, Einzelunterricht und lich als Übergangslösung geplant, hielt Ensembles besuchen konnten. diese über 20 Jahre. Zahlreiche Bands Nachdem Mitte der 90er Jahre das fanden dort zueinander, Hi 5 tourte die Schwerpunktfach der erste große Schritt Welt und gewann Preis um Preis. Hun- in Richtung Hauptfach war, konnte 1997 derte Auftritte wurden dort professio- ein Lehrgang für Jazz und improvisierte nell vorbereitet. Musik als dreijährige Ausbildungsstruk- Die Jazzabteilung bot und bietet Raum tur gegründet werden. für Studien, Proben und Projekte, die 10 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Curriculum sich auch Themen der Zeit stellen: xxx Das Flüchtlingsthema wurde in den Projekten jImigration und Open Arms thematisiert. Dabei wurde der Fokus nicht nur auf die professionelle musikalische Vorbereitung und Umsetzung gelegt, sondern vor allem auf die sensible künstlerische Konzeption zu einem aktuellen, kontroversiellen und schwierigen Thema. Leider verhinderte das Coronajahr weitere Auftritte. Der Lockdown erwischte die Jazzabteilung in voller Blüte, nachdem die Übersiedlung vor zwei Jahren in das Haus der Musik glücklich vonstatten gegangen war und gerade erfolgreiche Konzertreihen wie Jazz&Apéro auf den Weg gebracht werden konnten. Da der Innsbrucker Gitarrist Roland Heinz mit Ende dieses Schuljahres in Pension geht, wurde die E-Gitarrenstelle neu ausgeschrieben und es konnten mit Andreas Tausch und John Arman zwei Meister ihres Faches verpflichtet werden, die das starke Jazz/ Pop-Team im Haus der Musik weiter verstärken werden. Der bestehende Lehrgang Jazz und improvisierte Musik startet im Schuljahr 2022/2023 neu und wird in verkürzter Form (zwei- statt dreijährig, bei 60 ECTS) ein kompaktes Ausbildungsangebot für alle Instrumente bieten. Für das Schuljahr 2021/2022 wird bereits vorgeplant, und es ist ein großes Orchesterkonzert Anfang Juni 2022 im Haus der Musik unter dem Motto Gil&Miles geplant. Stephan Costa Heft Nr. 25 | Sommer 2021 11
Porträt Blockflöte vom Mittelalter bis heute Anne-Suse Enßle im Porträt Anne-Suse Enßle wurde in eine schwäbi- der Klang und die Literatur. sche Musikerfamilie hineingeboren und Bei Professor Carsten Eckert an der Mu- begann mit fünf Jahren Violine zu spielen, sikuniversität Wien setzt sie ihre Studien später wechselte sie auf die Bratsche. Mit fort, die Bratsche hat sie mittlerweile gegen den Streichinstrumenten spielte sie in Ju- historische Fagott-Instrumente getauscht, gendorchestern das klassisch-romantische und so bleibt ihr das Orchesterspiel mit Repertoire. Aber da gab es auch noch die seinem spezifischen Repertoire und die Großmutter, eine begeisterte Blockflötistin andere Rolle beim Musizieren im Vergleich mit einer Sammlung verschiedener Inst- zum Blockflötenspiel. Das Unterrichten an rumente, und bis zum achten Lebensjahr einer Musikschule war schon in Salzburg spielte Anne-Suse als Autodidaktin. Die ein selbstverständlicher Teil ihres musika- Handhabung empfand sie als leicht, und lischen Lebens. Die eigenen Erfahrungen so plädiert sie auch noch heute für die in der Kindheit mit der leichten Handha- Blockflöte als Einstiegsinstrument. Die bung des Instrumentes möchte sie gerne Großmutter gab ebenfalls den Anstoß, mit weitergeben, auch das manchmal verpön- einer guten Lehrerin das Ganze auf eine te Lernen in der Großgruppe sieht sie als solide Basis zu stellen. Der Besuch eines Möglichkeit, vorausgesetzt es geschieht Vorspiels mit klassischer und zeitgenös- unter professioneller Anleitung. In Wien sischer Blockflötenmusik begeisterte An- bekam sie in Form einer Ausbildungsassis- ne-Suse Enßle vollkommen für das Inst- tenz die Chance, auf der Ebene einer Mu- rument und offenbarte schon damals die sikuniversität Erfahrungen zu sammeln. zukünftigen Möglichkeiten. Nach einer Karenzvertretung am Kärnt- Der Gedanke, die Musik zum Beruf zu ner Landeskonservatorium übernahm sie machen, kam aber relativ spät, die schuli- im Jänner 2020 die Leitung der Blockflö- schen Interessen und die beruflichen Pläne tenklasse am Tiroler Landeskonservatori- waren bis dahin noch breit gestreut. Nach um. Heute lebt sie mit ihrem Mann, einem dem Abitur startete sie einen Versuchs- Musik- und Mathematiklehrer, und ihren ballon und bewarb sich an verschiedenen beiden Kindern im Alter von eins und drei Hochschulen. Bei Dorothee Oberlinger am Jahren in Salzburg, und so war und bleibt Mozarteum Salzburg war dann nach we- das Reisen Alltag. nigen Monaten klar, dass sie auf dem rich- Die notierte Literatur für die Blockflöte be- tigen Weg ist: Ich habe ganz lange Blockflöte ginnt im Mittelalter und reicht bis in un- gespielt, weil ich mich da musikalisch ausdrü- sere Zeit. Selbstverständlich verortet man cken konnte, nicht weil ich das Instrument so sie im Barock, aber zu der Zeit war sie toll fand oder weil ich mich in die Literatur so auch nur eines von vielen Instrumenten, verliebt hätte, sondern weil es ein super Aus- die man als Stadtpfeifer verwendete, und drucksmittel war. Erst im Studium kam, dass daher gibt es gar nicht so viele Werke, die mir das Instrument selbst auch gefällt – und ausdrücklich für Blockflöte komponiert 12 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Porträt Claudia Delago-Norz Foto privat wurden. Überraschenderweise finden sich Nicht zuletzt erlaubt das äußerst reichhal- in der Klassik einige Raritäten, geschrie- tige Instrumentarium, die Musik in immer ben für Instrumente, die heute kaum mehr wieder neuen Farben erklingen zu lassen. gespielt werden: Csakan, eine Stockflöte, In der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts oder das Flageolett. Die Bearbeitung ist sind es vor allem die neuen Blockflöten- somit ein wichtiges Thema – auch für die Instrumente wie Paetzold oder Helder Tenor, Studierenden. die ganz neue Klangmöglichkeiten bieten. Den Bogen vom Mittelalter zur Moderne Forschung, Bearbeitung und Kreativi- umspannt das Repertoire des Duos Enßle- tät sind wichtige Schwerpunkte, die An- Lamprecht in der besonderen Besetzung ne-Suse Enßle ihren Studierenden über Blockflöte und Schlagzeug. Es wurde Spieltechnik und Interpretation hinaus zwar eher zufällig gegründet, widmet sich vermitteln möchte. Der professionelle, aber nun schon über ein Jahrzehnt lang konsequente Zugang – auch im Unterrich- Anne-Suse Enßle der mittelalterlichen und zeitgenössischen ten auf allen Stufen – sichert dem intuiti- Foto: privat Musik, den Eckpunkten unserer notierten ven Einstiegsinstrument seinen Platz im Musikgeschichte. Die Vorlagen sind oft universitären Umfeld. sehr sparsam, und so sind Arrangement, Kreativität und Improvisation gefragt. Harald Pröckl Heft Nr. 25 | Sommer 2021 13
Porträt Improvisation ohne Netz Ein Gespräch mit Roland Heinz Ein Gespräch mit Roland ist stets eine Blues gehört und gespielt. sehr angenehme Erfahrung, besonders Und vom Blues zum Jazz ist es ja nur ein kur- wenn deine Muttersprache Italienisch zer Schritt … ist. Roland Heinz kann perfekt Italie- Gegen Ende der 1970er Jahre hatte sich in nisch, weil seine Mutter ursprünglich Innsbruck eine sehr interessante Konzert- aus La Tisana im Nordosten Italiens szene entwickelt. Ich erinnere mich, dass stammt. Er selbst wurde in Sydney gebo- alle Größen des Jazz dieser Zeit früher ren, da seine Eltern dorthin ausgewan- oder später hier vorbeigekommen sind, dert waren, kam dann als Kind bereits zum Beispiel Archie Shepp oder Elvin nach Innsbruck. Seit 1998 unterrichtet Jones. Insbesondere zwei Orte spielten für Roland Heinz am Tiroler Landeskonser- mich eine Schlüsselrolle: der Jazzclub in vatorium, mit September geht er in Pen- der Altstadt in Innsbruck, in dem regelmä- sion. ßig Jazzkonzerte stattfanden und in dem ich lokale Musiker wie Werner Pirchner Ich wollte dich etwas sehr Wichtiges über dei- und Harry Pepl kennen gelernt habe, und nen Hintergrund fragen. Was ist dein Lieb- die Konzerte in Hall in Tirol (jetzt musik+). lingsessen? Es muss natürlich italienisch sein. Dort konnte ich mich mit der musikali- Risotto! Meine Mutter ist eine außerge- schen Avantgarde von John Cage, György wöhnlich gute Köchin. Ligeti, Luigi Nono auseinandersetzen und Das kann ich mir vorstellen! Und wie kamst andererseits Barockmusik hören. du zur Gitarre? Es scheint mir, dass du in deiner musikalischen Ich habe ziemlich spät angefangen, so Erforschung versucht hast, diese beiden Welten etwa mit 17 Jahren. Wie Wes Montgomery! zu verbinden, Jazz einerseits und Avantgarde- Früher habe ich viel Fußball gespielt; ich Musik andererseits? habe trainiert, um ein Profi zu werden. Ich Ja, diese beiden Aspekte haben sich im habe angefangen Gitarre zu spielen, weil Free Jazz getroffen. Es ist eine Musik, de- einige meiner Freunde spielten. Außerdem ren energetischer Aspekt mich immer an- hatte ich einen französischen Cousin, der gezogen hat. ein totaler Hippie war. Er war auf einem Und dann bist du in New York gelandet. großen Rockfestival auf der Isle of Wight Kannst du mir etwas über deine amerikani- gewesen, und dank ihm entdeckte ich Jimi schen Jahre erzählen? Hendrix und die Welt der Rockmusik. 1994 ging ich zum ersten Mal nach New Also hast du als Rockmusiker angefangen? York. Dort hatte ich die Gelegenheit, mit Eigentlich hatte ich am Anfang eine Lei- zwei meiner Heroes zu studieren: dem in denschaft für Folkmusik im Bob Dylan- Ungarn geborenen Gitarristen Attila Zol- Stil. Ich habe bei meinen ersten Konzerten ler und dem großen John Abercrombie. mit Westerngitarre und Mundharmonika Attila war der Leiter des Vermont Jazz Cen- gespielt. Im Allgemeinen habe ich viel ter, somit konnte ich dort auch einen Stu- 14 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Porträt dienplatz belegen und hatte dadurch eine interagieren zu können. Roland Heinz Foto: privat Aufenthaltsgenehmigung. Die Schule hat- Können alle eine persönliche Stimme im Jazz te eine Niederlassung in New York, und entwickeln? Kann man lernen, sich mit Origi- so konnte ich in der Stadt bleiben und die nalität auszudrücken? lokale Szene besser kennenlernen. Attila Ich denke, jeder hat einen persönlichen führte mich durch die Jazzclubs der Stadt Impuls, aber ich weiß nicht, ob dies wirk- und stellte mich allen großen Musikern lich gelernt werden kann. Sicher, man lernt vor, die er kannte. Ich erinnere mich an viel auf dem Weg, eine eigene Stimme zu die Abende mit Joe Zawinul und anderen finden, aber diese Entwicklung kann viel ehemaligen Mitgliedern der Miles-Band! Zeit in Anspruch nehmen. Ein Musiker, Die Musikszene, die mich am meisten in- dem dies sicherlich gelungen ist, ist bei- teressierte, blieb jedoch die des Avantgar- spielsweise der Bassist Barré Philips, mit de-Jazz, der mehr auf freie Improvisation dem ich mehrfach gespielt habe. Es war ausgerichtet war. manchmal nicht leicht, als Youngster ein Was bedeutet es für dich zu improvisieren? konkretes Feedback von ihm zu bekom- Gibt es eine echte Improvisation? men, seine Antworten fielen meist sehr Ich habe viele Konzerte gespielt, bei denen kurz aus, keine langen Erklärungen. zu Beginn nichts entschieden wurde, bei Zum Beispiel? denen du irgendwo angefangen und geen- Auf meine Frage, was ich seiner Meinung det hast, niemand wusste, wo. Dort, wo es nach in meinem Spiel verbessern sollte kein Netz gibt, ist das vielleicht echte Im- sagte er nur: „Just play what you hear”. Ein provisation. Ich glaube, dass in jeder Art andermal, schon während des Konzertes, von Improvisation natürlich auch eine ge- flüsterte er mir zu: „Don`t try to recom- wisse Routine entstehen kann, so auch im pose, go ahead“, als ich wohl zu sehr ver- Free Jazz. Meiner Meinung nach zeichnet suchte, einen Moment festzuhalten. sich aber Authentizität vor allem durch die Fähigkeit aus, mit anderen Musikern Matteo Scalchi Heft Nr. 25 | Sommer 2021 15
Forum „... dann werde ich hellhörig“ Zukunft.Musik – Ein gemeinsames Konzert-Projekt von TLK, musik+ und Haus der Musik Innsbruck Selina Sorg Irgendwann muss der geschützte Raum, sik, historisch informiert etc.), denn dieser Foto: Wolfgang Alberty den eine musikalische Bildungsinstitution erste Kontakt mit der professionellen Mu- Simona Strohmenger bietet, verlassen werden, je früher umso sikwelt wird bereits sehr aufmerksam von Foto: privat besser. Wie erobert man sich die Kon- Konzert-Agenturen und Veranstaltenden zerträume „da draußen“? Wie plant man wahrgenommen. KaThema: erste Schritte in eine Bühnen-Karriere? Aber wie macht man sich am besten be- Katharina Kollreider und Emma Lorenz Nach welchen Kriterien wählen Konzert- merkbar in der Flut von Angeboten, die Foto: Siegfried veranstalterinnen und -veranstalter aus täglich in die Mailboxen der Konzertorga- Portugaller einem stetig wachsenden Angebot junger nisatorinnen und -organisatoren flattern? Musizierender? Es gelten (auch hier) die Interessante Konzepte sind gefragt, „dann Bedingungen des freien Marktes; das be- werde ich hellhörig“, meint Wolfgang Lau- deutet, Karriereplanung und Ausbildung bichler, Direktor am Haus der Musik Inns- müssen von den Studierenden aktiv selbst bruck. Und natürlich gute Aufnahmen, in die Hand genommen werden. Dazu Videos, CDs etc. gehören zunächst neben der Wahl der Um unseren Studierenden des Precollege richtigen Lehrperson bzw. Institution Be- möglichst früh Gelegenheiten zu geben, werbungen und Probespiele bei möglichst sich mit künstlerischer Programmatik, renommierten Jugendorchestern mit den Herausforderungen und organi- und das gezielte Ansteuern von satorischen Abläufen vor und während Wettbewerben und (Orchester-) verschiedener Auftritts-Situationen ver- Akademien, auch schon mit spe- traut zu machen, wurde das Projekt Zu- zialisiertem Repertoire (Neue Mu- kunft.Musik ins Leben gerufen. Der Initia- torin Gabriele Enser gelang es gemeinsam mit Michael Schöch (Professor für Orgel am TLK und weit über Tirol hinaus er- folgreicher Pianist und Organist), Hannah Crepaz (musik+) und Wolfgang Laubichler (Haus der Musik Innsbruck), zwei renommierte Ti- roler Veranstal- ter, für ihr Projekt zu begeistern. Ein Wettbewerb wurde ausge- schrieben. Als besondere Her- ausforderung bat 16 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Forum man die Bewerberinnen und Bewerber sik Innsbruck widmet sich südlichen Ge- Wood & Soul Quartet: zusätzlich zu einem Vorspiel um die Aus- filden. Unter dem Motto „Spanien“ musi- Clara Gapp, Theresa Weiß, Katharina Fuchs arbeitung einer Programmidee zu drei zieren das Duo KaThema, bestehend aus und Teresa Schuster vorgegebenen Themen: „Synkope“, „Spa- den Gitarristinnen Katharina Kollreider Foto: Anne-Suse Enßle nien“ und „Alt und neu“. Mitte März prä- und Emma Lorenz, das Duo Katily mit den Pianistinnen Katarina Bilbija und Emily Katily: sentierten sich schließlich zwölf Solistin- Katarina Bilbija und nen, Solisten bzw. Ensembles einer Jury, Maria Volgger und die Sängerin Magda- Emily Maria Volgger der neben den oben genannten vier Per- lena Gapp. Michael Schöch wird auch hier sönlichkeiten Oswald Sallaberger, inter- als kammermusikalischer Partner mitwir- Magdalena Gapp ken. beide Fotos: privat national erfolgreicher Dirigent und Geiger mit Tiroler Wurzeln, angehörte. Künstleri- Im Februar 2022 schließlich betreten der Xaver Schutti sche Ideen junger Musizierender mischen junge Trompeter Xaver Schutti und das Foto: Paul Krismer sich nun mit programmatischen Vorstel- Wood & Soul Quartet, bestehend aus den lungen und Konzepten von Veranstaltern Blockflötistinnen Katharina Fuchs, Teresa im Konzert-Projekt Zukunft.Musik. Schuster, Clara Gapp und Theresa Weiß Das Initiationskonzert der neuen Reihe gemeinsam die Bühne von musik+. Im findet am 13. November 2021 im Tiroler Zentrum: „Alt und neu“. Landeskonservatorium statt. Für die Ge- musik+ stellt für dieses Projekt den staltung verantwortlich: Gabriele Enser schon lange eingeführten Titel Zu- und Michael Schöch, der an diesem Abend kunft.Musik zur Verfügung. Dafür auch als Pianist zu hören sein wird. Selina herzlichen Dank. Sorg (Klavier) und Simona Strohmenger Gabriele Enser (Oboe) sind die Protagonistinnen eines Abends, der als Thema die „Synkope“ in den Mittelpunkt stellt. Sie werden unter- stützt von Oswald Sallaberger (Violine), Markus Huber (Viola) und Peter Polzer (Violoncello). Auf dem Programm stehen Werke von Benjamin Britten, Ludwig van Beethoven, Sergei Prokofjew u.a.m. Der Abend des 31. Januar 2022 im Haus der Mu- Heft Nr. 25 | Sommer 2021 17
Forum Liebe Mitstudierende, ProfessorInnen, liebe Verwaltung des TLK Wir verkündigen euch große Freude! dem Tiroler Landeskonservatorium, der Seit Mai gibt es am Tiroler Landeskon- Abteilung Landesmusikdirektion und servatorium offiziell eine Studierenden- sonstigen Behörden. vertretung für die Studentinnen und Zum Aufgabenbereich der Studierenden- Studenten in den Diplomstudien, Lehr- vertretung gehört vor allem die Kommuni- gängen und Kursen. kation mit und der Informationsaustausch unter den Studierenden. Neben Gesprä- • Was? chen und Zusammenkünften zählen dazu Die Studierendenvertretung ist Ansprech- auch Befragungen, Beratungen und Rund- partnerin in Anliegen der Studierenden schreiben. Auch der Informationsaus- und vertritt deren Interessen gegenüber tausch zwischen Lehrkörper, Verwaltung Miriam Reinstadler und Studierenden sowie das Mitwirken Foto: privat bei Planungen am TLK zählen zu den Auf- gaben der Studierendenvertretung. Sie ist das Sprachrohr der Studierenden in allen das studentische Leben betreffenden An- gelegenheiten. • Wer? Die Studierendenvertretung besteht aus vier beschließenden Mitgliedern, die alle zwei Jahre Anfang Oktober (erstmals heuer) gewählt werden. Kandidieren und wählen können alle Studierenden der Di- plomstudien sowie außerordentliche Stu- dierende ab dem vollendeten 16. Lebens- jahr. • Wo? Nach Fertigstellung des zweiten Stock- werks des kürzlich vom Tiroler Landeskon- servatorium bezogenen „Werner-Pirchner- Hauses“, Ing.-Etzel-Straße 71a, wird die Studierendenvertretung dort zu fixierten Zeiten in ihrem Raum zu finden sein (und sich auf Gespräche und Kaffee freuen ). Außerdem gibt es bereits jetzt eine E-Mail- Adresse (s.vertretung@kons.tsn.at), einen 18 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Forum Wir sind gespannt auf interessante Ge- Martina Nisandzic, spräche, auf unsere hoffentlich konstruk- David Kerber Fotos: privat tive Arbeit und freuen uns natürlich aufs nächste Konsfestl. Wir melden uns bald per Mail mit genauen Informationen zur Wahl im Oktober und laden schon jetzt zur Mitarbeit in der Stu- dierendenvertretung ein. David Kerber, Marinus Kreidt, Martina Nisandzic, Miriam Reinstadler Feedbackkasten (Eingang Hauptgebäude) und eine Instagramseite (folgen verboten: @tlk_sv), über die man die Studierenden- vertretung jederzeit kontaktieren kann. Auch über die Kontaktdaten der Mitglieder ist die Studierendenvertretung erreichbar. • Worauf? Wir freuen uns auf gute Kommunikation und darauf, dass die Studierendenschaft am TLK eine starke Stimme haben wird. Heft Nr. 25 | Sommer 2021 19
Forum Die Gesellschaft und die Kunst Kunst ist Luxus. Kunst ist das Sahnehäubchen einer Gesellschaft. Kunst ist keine Arbeit. Kunst ist nicht systemrelevant. Kunst ist unnötig. In einer Welt der Wissenschaften ist die Wertschöpfung bezeichnen. Dieser Wert Kunst ein Mysterium, denn sie lässt sich muss immer wieder gesucht und gefun- nicht definieren. Kein Text über die Kunst den werden, er ist eben nicht definierbar, wird ihr gerecht. Jede Erläuterung über weil schon die Kunst nicht definierbar ist. die Wirkung, die Aufgabe, die Macht Im Hinblick auf die Musik im Speziel- künstlerischen Schaffens, jede Definition len soll nicht unerwähnt sein, dass diese und jede Beschreibung von Kunst wirken durch die Möglichkeit der scheinbaren plump und unbeholfen, ja sie können nie Konservierung durch moderne Medien allumfassend sein und werden nie das „entwertet“ wird. Aufnahmen, Videos ausdrücken, was die Kunst ist. Schon die und Streams sind immer wieder abruf- Worte „Wirkung, Aufgabe und Macht“ bar und nehmen der Musik scheinbar die beschreiben das unzulänglich, was die Kostbarkeit des Moments der Auffüh- Kunst ist und schränken uns in unserem rung. Dass hier aber von Musik nicht die Denken über die Kunst ein. Das Einzige, Rede sein kann, merkt man erst, wenn was uns die Möglichkeit bietet, der Kunst man beim Zusammenspielen gemein- nahezukommen und sie zu erfassen, ist sam atmet, wenn man vom Sturm einer die Kunst selbst. Opernaufführung mitgerissen wird oder Die Kunst dann aber zu rechtfertigen, die im Konzertsaal kurz die Zeit vergisst. Gedanken über sie und alles, was sie sonst In einer Welt der Werbung, in der sich „bewirkt“, erweist sich in unserem wis- das perfekt beworbene und bestverkaufte senschaftlichen Denken eben als wider- Produkt als Unsinn herausstellen kann, sprüchlich. Weil die Kunst in sich schon scheint die Kunst unterzugehen. Dieser nicht definierbar ist. Tage verkauft sich gut, wer sich gut defi- In einer materialistischen Welt ist die niert, wer sich gut bewirbt, wer sich ver- Kunst scheinbar wertlos. Denn etwas Im- kauft. Die Kunst verkauft sich schlecht, materielles, das keinen definierten Preis, weil sie sich nicht verkauft. keinen materiellen Wert hat, wird wohl Das hat uns der „Ohne-Kunst-und-Kultur- eher als wertlos abgetan, denn als unbe- wird´s-still“-Aufschrei gezeigt. In der De- zahlbar angesehen. Es besteht sehr wohl batte ist das Mittel zu sehr zum Zweck die Option zu denken, dass die Kunst eben geworden und die Kunstszene und ihr über das Bezahlbare hinausgeht, dass ihr Aufschrei haben mehr Aufmerksamkeit Wert eben über den objektiv definierbaren bekommen als die Kunst selbst. Diese Auf- hinausreicht. Diese Gedanken finden sich merksamkeit war nicht unbedingt eine in unserem konsumistischen Denken aber positive, denn für etwas nicht Definiertes, nur schwer ein, denn der Wert einer Kunst etwas scheinbar Unnötiges zu kämpfen, kann ein immaterieller sein, kann ein sub- wirkt lächerlich und in Krisenzeiten sogar jektiver sein und reicht vor allem weit arrogant. über das hinaus, was wir als unmittelbare In einer schnelllebigen Welt ist die Kunst 20 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Forum zu langsam. Wir wollen Erfolg haben, Re- ne. Und doch fallen hier die Missstände sultate sehen – mit möglichst geringem besonders ins Auge, denn die Kunst ist Zeitaufwand und ohne viel nachden- einem solchen System gänzlich wesens- ken zu müssen. Denn Zeit ist Geld. Doch fremd. Sie braucht Zeit, Energie, Arbeit, Kunst ist Zeit. Leidenschaft, Leistung, Liebe … – alles. Das Paradigma der „direkten Wertschöp- Kunst ist verschwenderisch. fung“ lässt sich auf die Kunst nicht über- Ja, die Kunst nimmt alles, aber wir müs- tragen. Das Erleben, Verarbeiten und An- sen verstehen, dass sie auch alles gibt. An- wenden der Kunst benötigt Zeit, die viele statt uns die Frage nach den Kosten pro nicht sinnvoll angewendet finden, weil Ton zu stellen, müssen wir nicht eigentlich eben die „Wertschöpfung“, der „Reich- dankbar sein für die Wirkung einer Musik tum“ nicht immer direkt und in Sichtwei- auf einen Zuhörer, ein Publikum, auf die te ist. Gesellschaft? Ein ungewohnter Gedan- In einer turbokapitalistischen Welt ist kengang in einem Wirtschaftssystem, in die Kunst wohl nicht effizient genug. dem die Frage des Geldes scheinbar alle Denn Ertragssteigerung in unserem Wirt- anderen Fragen beantwortet. schaftssystem funktioniert über Sparsam- Die Gesellschaft muss wieder lernen, zu keit. Über Ausbeutung. Mit möglichst ge- hinterfragen. Sieht sie überhaupt den Lu- ringem Aufwand soll maximales Kapital xus, in dem sie lebt und wie er zustande geschöpft werden, mit möglichst kleinem kommt? Sind nicht viele Dinge, die für Input möglichst großer Output. Ein Or- sie schon ganz selbstverständlich sind, chester soll möglichst günstig sein, aber eigentlich überflüssige Sahnehäubchen? bestmöglich musizieren, die Musiker Weiß sie überhaupt noch, was es heißt, zu möglichst wenig Verpflegung brauchen, arbeiten? Kann sie überhaupt Relevanzen aber mit maximaler Energie spielen, der für ein System abschätzen, wenn sich das unterbezahlte Geiger möglichst wenig System eigentlich selbst nicht mehr trägt? üben, aber möglichst brillant funktionie- Es ist nötig nachzudenken. Und womit ren. könnten wir dazu besser anregen als mit Die Unzufriedenheit wächst, die Qualität Kunst? schwindet. Nicht nur in der Kunstsze- Miriam Reinstadler Heft Nr. 25 | Sommer 2021 21
Forum kunstvolk - Einblicke in das interdisziplinäre Kollektiv freier Kunstschaffender Das Kollektiv kunstvolk ist ein freier sik im widerstreit, in welcher die Musik in Zusammenschluss von KünstlerInnen ausgewählten Konzertabenden abseits des unterschiedlicher Metiers. Aus Musik, institutionalisierten Kulturbetriebs mit Theater und Film stammen ihre indi- Malerei, Film, Literatur, Schauspiel, Licht viduellen Kernkompetenzen, seien es und Tanz konfrontiert wird. In außerge- Komposition, Regie, oder die darstellen- wöhnlichen Umgebungen sollen diese de Kunst; Ton-, Kamera- und Lichttech- durchinszenierten Abende eine intensive nik. Diese zu verbinden, um aus inter- Ausdruckswelt erschaffen, in der sich all disziplinärer Zusammenarbeit neue und diese Kunstformen gegenseitig durchwir- bereichernde Ausdrucksmöglichkeiten ken, inspirieren und vermitteln. Hinter zu erschließen, ist ihre gemeinsame der Idee stehen mit Gabriel Bramböck und Leitidee. Michael A. Leitner zwei Studenten des Ti- roler Landeskonservatoriums sowie der Am Filmset von „Die Küchenuhr“ Bereits im Sommer 2015 entsteht in Inns- Kulturschaffende Florian Tschörner. Foto: kunstvolk bruck die Konzertreihe antagōnisma – mu- Die Konzerte der Reihe kreisen jeweils 22 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Forum um ein thematisches Zentrum: Der erste prozesses, und so kulminierte das Kon- Konzertabend beleuchtete die Dichotomie zert in einer Aufführung des Stückes, von Genie und Wahnsinn am Beispiele W. während der man auf der Leinwand die A. Mozarts. Zwei seiner Streichquartet- Entstehung des Gemäldes beobachten te wurden mit einer weniger bekannten konnte. In der Kunstausstellung, welche Seite des Menschen Mozart konfrontiert, die gesamte Veranstaltung rahmte, war die sich ganz ungehemmt in seinen Brief- das fertige Bild dann, mit vielen anderen, wechseln offenbart und im Konzert musi- in natura zu sehen. kalisch und schauspielerisch zum Leben Der Erfolg der Konzertreihe und die auf- erweckt wurde. regenden Perspektiven, die sich durch die Mit Werner Pirchner – Birthday Serenade interdisziplinäre Arbeitsweise ergaben, feierte der zweite Konzertabend den Ge- führten dazu, dass diese Ideen wenig spä- burtstag des großen, 2001 verstorbenen ter in ein größeres Ganzes mündeten: die Tiroler Künstlers, indem nicht nur ein Gründung von kunstvolk gemeinsam mit musikalischer Bogen über Pirchners Ge- dem freischaffenden Filmemacher Fabian samtwerk gespannt, sondern auch Texte Widmann. In dem Bestreben, Künstler- dargeboten wurden, nebst verschiedenen Innen unabhängigeres Produzieren und Zeichnungen, Zitaten und Originalpla- Publizieren zu ermöglichen, wird seitdem katen, die Programmheft wie Konzertort unablässig am Auf- und Ausbau eigener schmückten. Infrastruktur, Ausstattung und Vertriebs- Der dritte Abend der Reihe mit dem Titel kanäle gearbeitet. Panoptikompositum – Bilder einer Ausstellung Die künstlerischen Überzeugungen – das 2.0 beschäftigte sich mit der Verschrän- Streben nach einem holistischen, interdis- kung von bildnerischer Kunst und Musik. ziplinären Schaffensprozess, die Kunst- Acht junge Tiroler KomponistInnen nah- vermittlung, Förderung des künstleri- men je ein Bild des Berliner Malers Sascha schen Austausches –, die zur Formierung Less zum Ausgangspunkt für eine Kom- des Kollektivs führten, konnten sich nun position. Auf eine vor die gesamte Bühne schon in verschiedenen Projekten bewäh- – und das dadurch unsichtbar spielende ren: Kammerensemble – gespannte Leinwand „Ich bin der Anachronist – wurden während des Konzertes die aus- ich werde gestern schon sehen, gewählten Bilder projiziert. Das „Streich- was morgen war quintett Nr. 1“ von Michael A. Leitner und – und ich bringe euch Kunde von Maximilian, unserem geliebten Kaiser, Gabriel Bramböck in einer bearbeiteten den ich sehr gut kenne.“ Fassung diente wiederum Sascha Less als Inspiration, seinerseits eine künstlerische So erschallten am 30. Juni 2019 vom Balkon Impression zu schaffen. Er dokumentierte des Tiroler Landesmuseums die „Dekrete die einzelnen Schritte des Entstehungs- eines Anachronisten“. kunstvolk führte im Heft Nr. 25 | Sommer 2021 23
Forum Rahmen des Festivals für aktuelles Musik- 9. April im Haus der Musik Innsbruck bei theater Die sieben Leben des Maximilian ein einem coronabedingt eine Woche später halb-szenisches Stück für Sprecher und online übertragenen Konzert ihr Können Blechbläserquintett in der Innsbrucker unter Beweis zu stellen. Die Unterneh- Innenstadt auf: Ein heroldischer Redner mung war eine große Kraftquelle für die samt Lakaien wirft seinen anachronisti- MusikerInnen, gleichzeitig aber auch ein schen Blick auf Kaiser Maximilian I. und überaus wichtiges Zeichen für die Kultur- dessen außen- wie innenpolitisches Wir- szene in ganz Österreich. Aktuell arbeitet ken. Die deklamatorischen Texte von Mo- kunstvolk an der Fertigstellung eines doku- ritz Hackl wurden von fünf fanfarenhaf- mentarischen Orchesterporträts, welches ten Hymnen eingefasst, die, changierend in den Mikrokosmos der Entstehung solch zwischen Ernst und Zynismus, zwischen eines Konzertes, gerade in Zeiten einer Nüchternheit und Pathos, die Reden des Pandemie, eintauchen wird. Anachronisten auf musikalische Weise widerspiegelten. Ein weiteres durch Corona geprägtes Die Produktion wurde in der Folge in ei- Vorhaben, zunächst gehemmt durch die ner Hörspiel-Fassung veröffentlicht, wei- Pandemie, nun auf dem Weg zur Fertig- ters entstand ein Videodokument, das die stellung, ist ein Kurzfilm nach Wolfgang Aura der Live-Aufführung impressionis- Borcherts Erzählung „Die Küchenuhr“. tisch abzubilden versucht – beides ist auf Zusätzlich zu dem Spiel mit Wahrneh- der Internetseite des Kollektivs abrufbar. mungsverschiebungen, die sich im Span- nungsfeld zwischen artifizieller Theater- Der künstlerische Austausch als eines der und hypernaturalistischer Filmästhetik Kernanliegen von kunstvolk schlägt sich ergeben, durchwirken sich Musik, Bild auch in Projekten mit anderen Gruppie- und Sounddesign, die schon in der Kon- rungen und Institutionen nieder, und so zeption miteinander verwoben und ver- Alle Neuig- entstehen durch die wechselseitige Un- schränkt wurden. keiten und terstützung immer wieder wichtige Syner- Informationen gien, welche die Umsetzung neuer Ideen Die wechselseitige Bereicherung ver- zu den laufen- vorantreiben und beflügeln können. schiedener Kunstformen ist ein zentra- den und neuen Bei einem Projekt der jüngsten Vergangen- ler Gedanke des Kollektivs. Ein aktuelles Projekten des heit unterstützte kunstvolk das Tiroler Lan- Projekt setzt Musik in Dialog mit Sprache Kollektivs sind desjugendorchester, welches im März und und Literatur: In der weltweit ersten Hör- unter www. April 2021 unter dem Titel Rhythm & Dance buch-Einspielung des deutschen Klassi- kunstvolk.com ein sehr ambitioniertes Konzertvorhaben kers „Tynset“ von Wolfgang Hildesheimer sowie auf den realisieren konnte: über 65 junge Musiker- werden die raffinierten formalen Gestal- sozialen Medien Innen kamen zu einer viertägigen Pro- tungsmittel des Romans in einer eigens zu finden. benphase zusammen, um daraufhin am komponierten Musik aufgegriffen und 24 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
Forum Szene aus der Urauf- führung „Dekrete eines Anachronisten“ (30.06.2019) Foto: kunstvolk rezipiert. Die sprachliche Interpretation aussetzungen für das künstlerische Arbei- des Textes (gelesen von Schauspieler und ten mit sich gebracht haben mag, arbeitet Sprecher Thomas Lackner) wird dagegen die ganze Kulturwelt und auch kunstvolk maßgeblich von musikalischen Parame- rastlos daran, unter Einsatz aller verfügba- tern bestimmt – ein besonders aufregen- ren Mittel neue Konzepte und Vorhaben in des Projekt, das schon bald seine Fertig- die Tat umzusetzen. stellung erfährt. Wenn die Pandemie auch erschwerte Vor- Michael A. Leitner Heft Nr. 25 | Sommer 2021 25
Forum Eröffnung des Gedenk- und Informationsorts in Hall in Tirol Vom Sichtbarmachen und dem Erinnern an den Krankenmord in der NS-Zeit Am 24. September 2020 fand am Areal des hierbei wurde auf Barrierefreiheit geach- Landeskrankenhaus Hall eine Gedenk- tet. So sind einige Biographien in leichter feier für die 360 in der NS-Zeit getöteten Sprache bzw. für sehbehinderte Menschen Patientinnen und Patienten der damali- aufbereitet. Detaillierte Informationen fin- gen „Heil- und Pflegeanstalt“ statt. Diese det man auf der Begleitseite: www.geden- Menschen wurden in den Jahren 1940 bis kort-hall.at. 1942 nach Hartheim oder in die „Heil- und Den Abschluss dieser Gedenkfeier bil- Pflegeanstalt“ Niedernhart/Linz (Oberös- dete eine berührende Performance mit terreich) deportiert und dort brutal ermor- Teilnehmer*innen der „Musik und Tanz det. für Alle“-Gruppe des Tiroler Landes- Die 360 Metall-Stelen erinnern mit dem konservatoriums, die gemeinsam mit Namen, dem Geburtsdatum und dem Tänzer*innen von Dance Ability Tirol un- Heimatort an die Kinder, Jugendlichen, ter der Leitung von Frau Mag.a Christine Frauen und Männer und stehen somit für Riegler und dem Cellisten Nikolaus Meß- die Einzigartigkeit der Opfer. Dieser Ge- ner aufgeführt wurde. Die Tänzer*innen denk- und Informationsort ist Teil eines begannen die Performance mit Bewegun- vielschichtigen Aufarbeitungsprozesses gen aus dem Publikum heraus und kamen mit dem Ziel, „den Opfern ihre Namen somit, wie die Opfer auch, aus der Mitte und ihre Menschenwürde wiederzuge- unserer Gesellschaft. Die Stelen als star- ben“ und diese Lebensgeschichten für re Erinnerungszeichen der Vergangen- Besucher*innen sichtbar und erfahrbar heit wurden mittels tänzerischer Impulse zu machen. Die Lebensläufe können an „belebt“, mit dem Ziel, Menschen in ihrer einem Infoterminal nachgelesen werden, individuellen Vielfalt sichtbar zu machen. 26 Heft Nr. 25 | Sommer 2021
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