Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft Freudenleicht - Diakonische Gemeinschaft ...

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Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft Freudenleicht - Diakonische Gemeinschaft ...
Nr. 2/2021
                                                          www.nazareth.de

              Nazareth
              Brief            Diakonische Gemeinschaft
                               Nazareth                   Freudenleicht

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INHALT

      4       Vorab                              30   Meine freudenleichte Geschichte
              Wolfgang Roos-Pfeiffer                  von einem Schlemihl

                                                 31   Wir sind ein Wunder Gottes
      FREUDENLEICHT                                   Chiara Faber

      7       Freudenleicht
              Bibelarbeit zum Gemeinschaftstag
              Andrea Wagner-Pinggéra
                                                 AUS DER
      18      Freudenleicht – Der Tanz
                                                 GEMEINSCHAFT
              Eckhard Vossiek                    35   Beginn der Frauenarbeit
                                                      in Nazareth
      20      Wer lacht,
                                                      Ursel Behr
              kann keine Angst haben
              Kirsten Moritz                     38   Predigt zum Festgottesdienst
                                                      Jutta Beldermann, Uta Braune-Krah,
      22      Das Geschenk des Singens
                                                      Werner Arlabosse
              Matthias Knippenberg

      24      Freude an der Bewegung
              Ulrich Debener
                                                 INFOS
                                                 43   Termine/Impressum
      26      Wie nennen wir das,
              was so viele in Zeiten
              der Pandemie fühlen?
              Wolfgang Roos-Pfeiffer

      29      Freudenleicht?
              Uwe Keilpflug

      2

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INHALT

          AUF, AUF MEIN HERZ MIT FREUDEN
                                     EG 112, Lied zur Bibelarbeit am 08.05.2021
         1) Auf, auf, mein Herz,
            mit Freuden nimm wahr,
            was heut geschieht;
            wie kommt nach großem Leiden
            nun ein so großes Licht!
            Mein Heiland war gelegt
            da, wo man uns hinträgt,
            wenn von uns unser Geist
            gen Himmel ist gereist.

         2) Er war ins Grab gesenket,        4) Die Höll und ihre Rotten,
            der Feind trieb groß Geschrei;      die krümmen mit kein Haar;
            eh er‘s vermeint und denket,        der Sünden kann ich spotten,
            ist Christus wieder frei            bleib allzeit ohn´ Gefahr.
            und ruft Viktoria,                  Der Tod mit seiner Macht
            schwingt fröhlich hier und da       Wird nichts bei mir geacht´:
            sein Fähnlein als ein Held,         er bleibt ein totes Bild,
            der Feld und Mut behält.            und wär`er noch so wild.

         3) Das ist mir anzuschauen          5) Die Welt ist mir ein Lachen
            ein rechtes Freudenspiel;           mit ihrem großen Zorn;
            nun soll mir nicht mehr grauen      sie zürnt und kann nichts
            vor allem, was mir will             machen, all Arbeit ist verlorn.
            entnehmen meinen Mut                Die Trübsal trübt mir nicht
            zusamt dem edlen Gut,               mein Herz und Angesicht;
            so mir durch Jesus Christ           das Unglück ist mein Glück,
            aus Lieb erworben ist.              die Nacht mein Sonnenblick.

                                                Paul Gerhardt 1647

                                                                                           3

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VORAB

      Liebe Schwestern und Brüder,
      liebe Leserinnen und Leser des Nazareth Briefes,
      Was würdet Ihr/würden Sie sagen,               Die Bedrohlichkeiten des Lebens werden
      wo beginnt der Himmel?                         eher unterirdisch angesiedelt, dort wo Dun-
                                                     kelheit, Intransparenz, Dreck, kriechendes
      Es könnte sein, dass eine Giraffe auf diese    Getier und letztendlich Hölle und Teufel lau-
      Frage eine andere Antwort hätte als eine       ern. Alte, uralte Bilder der Angst und der
      Maus, der Vogel eine andere als der Maul-      Hoffnung.
      wurf, die Mücke eine andere als die Laus.
                                                     Allerdings ist mir die menschlich-weltliche
      „Herr im Himmel“, so beginnt manch ge-         Nähe zu allem irdisch Unvollkommnen oder
      nervter Ruf und ist zugleich die Bitte, dass   gar „Unterirdischen“ und die Ferne zum
      Gott die Dinge anders regeln möge, was         Himmel dann doch theologisch fragwürdig.
      wir selbst nicht vermögen. Wenn es ganz        Jesu Himmelfahrt ist doch weniger die Ent-
      schlimm wurde, rief meine Großmutter           rückung Jesu in ferne Himmelsphären als
      nach dem „Herrscher!“ und alle im Raum         vielmehr Zeichen dafür, dass der Himmel
      wussten, dass mit der herbeigerufenen          mit und durch Jesus Christus über uns allen
      Nähe des Herrschers nun wahrhaft gutes         aufgeht, offen ist für uns alle, nicht fern –
      Benehmen ratsam war.                           weder räumlich noch zeitlich – sondern nah
                                                     und gegenwärtig.
      „Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen,
      lass dir die matten Gesänge gefallen, wenn
      dich dein Zion mit Psalmen erhöht!“ So
      beginnt der dritte Teil des Weihnachtsora-
      toriums von Johann Sebastian Bach, quasi
      als Jubelchor all derjenigen, die sich über
      die Geburt Jesu mitfreuen. „Vater unser im
      Himmel“ beten wir und geben unserem Bit-
      ten eine Richtung – alles Gute kommt von
      oben.

      4

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VORAB

      Wann also beginnt der Himmel?                   Wir können´s ja nicht lassen, rufen wir de-
                                                      nen zu, die alles und jeden herabziehen
      Er hat begonnen – wir alle sind immer           wollen in den Sog von Vorwürfen und Nie-
      schon vom Himmel umgeben. Quasi als             dergeschlagenheiten. Wir können´s ja nicht
      Botschafter zwischen allem Gegenwärtigen        lassen, von dem zu träumen und zu spre-
      und Zukünftigen fungiert der Heilige Geist,     chen, der uns und unseren Geist aufrichtet
      die Geistkraft Gottes, die symbolisch im        und stärkt. Die Nase, mindestens die Nase
      Pfingstgeschehen über die Menschen kam.         atmet immer schon ein Stück Himmel!
      Wie hätten die Jüngerinnen, Jünger und
      die frühen Christen den Verlust des Bruders     Darum können wir auch in diesen doch sehr
      und Gottessohns Jesus Christus je in den        speziellen Zeiten Freudenleicht sein und
      Glauben integrieren können – es gibt            bleiben – trotzig und glaubensgewiss gegen
      gegenwärtige Nähe und zukünftige Wie-           alle Unbill des Lebens. Freudenleicht kommt
      derkehr. So glauben auch wir auch heute.        also dieser Nazareth Brief daher und setzt
      Freudenleicht inmitten all dem irdischen        ein paar frühsommerliche Akzente. Danke
      Wirrwarr auch und besonders in Krisen-          an alle, die dazu so viel und im wahrsten
      zeiten ist also die trotzig hoffnungssture      Sinne Bewegendes beigetragen haben.
      Erwiderung, dass Gottes Zukunft schon
      begonnen hat und nicht in ach so ferne          Reichlich himmlische Luft wünsche ich uns
      Zeiten verschoben ist.                          allen für die Sommerzeit, ob nun mit oder
                                                      ohne Urlaub, ob nun mit oder ohne Reisen.
      Wo also beginnt der Himmel?                     Und ich wünsche uns immer eine Handbreit
                                                      Himmel unter den Füßen. Freudenleicht und
      Schauen wir mit den Augen des Hamsters          himmelweit!
      oder der Ameise gen Himmel, stehen wir
      bereits mit beiden Beinen mittendrin im         Ihr/Euer
      Himmel. Das kann und soll beflügeln, das
      Sein mit Leichtigkeit füllen, Freude stärken
      und freudenleicht machen mitten in dieser
      Welt voller Unfertigkeiten und Zerrissenheit.

                                                                      Wolfgang Roos-Pfeiffer
                                                                      Ältester der Gemeinschaft

                                                                                                5

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FREUDEN-
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FREUDENLEICHT

      FREUDENLEICHT
      BIBELARBEIT ZUM FRÜHJAHRS-GEMEINSCHAFTSTAG AM 08.05.2021

      Seit über einem Jahr leben wir nun in einem     Die bleierne Schwere, die ihren Ursprung
      außerordentlichen Modus, oder, wie soll ich     darin hat, dass die Tage so im Gleichklang
      sagen? Dem großen Ausnahmezustand? Es           vergehen. Einer nach dem anderen. Einer
      war und ist ein Wechselbad der Gefühle.         wie der andere. Aufstehen, anziehen, es-
      Wenn ich mich erinnere, war da zuerst die       sen, arbeiten. Häufig stundenlang allein
      Angst und eine ungeheure Anspannung.            vor dem Bildschirm. Abends wieder essen.
      Die Hoffnung des Sommers, alles könnte          Dann noch ein bisschen fernsehen, ins Bett.
      ein kurzer Spuk gewesen sein. Bald darauf,      Am nächsten Tag das Gleiche. Am über-
      die Enttäuschung im Herbst, die vielen Ein-     nächsten auch. Da wird schon der Ausflug
      schläge im November, Dezember und Janu-         in den Biomarkt zum Erlebnis. Eintönig ist
      ar. Schließlich hat sich Resignation breitge-   das, langweilig. Selbst die geduldigsten Ge-
      macht. Wütende Müdigkeit. Gefühlt ewig          müter sind inzwischen gereizt.
      dauert der Zustand schon. Stillstand. Nichts
      scheint zur rechten Zeit am rechten Ort zu      Es sind die Lichter, die fehlen. Die festlichen
      sein.                                           Höhepunkte des Jahres. Die Feiern. Runde
                                                      Geburtstage, Abiturfeiern, Kommunion
      Dabei ist vieles schnell gegangen. Schnell      und Konfirmation. Von Hochzeiten ganz zu
      und ganz gut hat sich das Gesundheitssys-       schweigen. „Das holen wir im nächsten Jahr
      tem auf die Situation eingestellt. Schnell      nach.“ Wie oft habe ich das gesagt. Aber
      sind wenig gefragte Artikel zur Massenware      ganz ehrlich: Vieles lässt sich nicht nachho-
      geworden. Schnell sind Impfstoffe entwi-        len. Über manches ist die Zeit hinwegge-
      ckelt, getestet und auf den Markt gebracht      gangen. Es fehlen die Feste. Nicht weil alle
      worden. Aber gefühlt hat alles ewig gedau-      Welt partyverrückt ist. Sie fehlen, „denn wir
      ert.                                            essen Brot, aber wir leben von Glanz“. So
                                                      schreibt es Hilde Domin. Und sie hat Recht
      Der lange Winter, ein Frühling, der zumin-      damit. Über ein Jahr ohne Glanz, das wirkt
      dest hier in Lobetal nicht so recht einer       in vielem wie ein verlorenes Jahr. Ein Jahr,
      werden will. Wie Mehltau liegt das alles auf    das, wenn man im biblischen Bild sprechen
      dem Land. Die Zeit ist bleiern geworden.        will, die Heuschrecken gefressen haben.
      Grau, schwer, zähflüssig. Die Lähmung legt
      sich auch auf die, die wenig existenzielle      So fühlt es sich an.
      Folgen fürchten müssen.

                                                                                                   7

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FREUDENLEICHT

      Höchste Zeit also, die Blickrichtung zu ver-   Schließlich lässt sie sich schlecht verordnen.
      ändern. Sich auf einen Gemütszustand zu        Auch gibt es Zeiten im Leben, in denen sich
      konzentrieren, der mit freudenleicht zu be-    die Freude einfach nicht einstellen will, weil
      schreiben ist. Auch wenn mit dem heutigen      einfach zu viel gegen sie spricht. Trauer, ver-
      Gemeinschaftstag nicht alles plötzlich schön   schenkte Gelegenheiten, Verlust. Und doch.
      und fröhlich ist, ist doch dieser Tag heute    Begeben wir uns auf eine Reise, um der
      ein Meilenstein auf dem Weg, der aus zu        Freude auf die Spur zu kommen.
      viel Erdenschwere herausführen soll.

                                                     II
      I                                              Ich habe nachgedacht, was meine Freu-
      Freudenleicht. Was für ein Wort. Eine Wort-    den-Highlights sind. Einige sind mir einge-
      schöpfung. Wie schon „hoffnungs-stur“ im       fallen. Auf wunderliche Weise finden sie
      vergangenen Jahr. „Freudenleicht“. Da kann     zusammen. Aber dazu später.
      man sich auf den ersten Teil des Wortes
      konzentrieren. Oder auf den zweiten. Oder        „Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und
      aber hoffen, dass mit der Konzentration auf      im Frieden geleitet werden. Berge und
      den ersten sich das zweite – vielleicht wie      Hügel sollen vor euch her frohlocken mit
      von selbst – einstellt. Das soll mein Weg        Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde
      sein, auf den ich Sie nun mitnehmen will.        in die Hände klatschen.“ Jesaja 55,12

      Die Freude also. In der Vorbereitung auf         „Denn sein Zorn währet einen Augen-
      den heutigen Vormittag habe ich in einem         blick und lebenslang seine Gnade. Den
      Kommentar zum Johannes-Evangelium –              Abend lang währet das Weinen, aber des
      die Stelle werde ich Ihnen später verraten       Morgens ist Freude.“ Psalm 30,6
      – folgendes gelesen: „Die Freude sollte ein
      Kennzeichen der Christen sein wie die Lie-
      be.“ Nun ist es ja schon mit der Liebe nicht
      immer ganz einfach, wie soll das erst mit
      der Freude werden?

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FREUDENLEICHT

         „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr          Gott ist es, der die Freude wirkt: sie ent-
         werdet weinen und klagen, aber die               steht im Herzen. Sie bleibt aber oft genug
         Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig        nicht auf das Innere eines Menschen be-
         sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude      schränkt, im Sinne der ganz stillen Freude,
         werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so          sondern kann sich ganz lautstark äußern.
         hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde              Für diese mitreißende Freude nenne ich
         ist gekommen. Wenn sie aber das Kind             stellvertretend Jesaja 9,1.2 „Das Volk,
         geboren hat, denkt sie nicht mehr an             das im Finstern wandelt, sieht ein großes
         die Angst um der Freude willen, dass ein         Licht, und über denen, die da wohnen im
         Mensch zur Welt gekommen ist. Auch ihr           finstern Lande, scheint es hell. Du weckst
         habt nun Traurigkeit; aber ich will euch         lauten Jubel, du machst groß die Freude.
         wiedersehen, und euer Herz soll sich             Vor dir freut man sich, wie man sich freut
         freuen, und eure Freude soll niemand             in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn
         von euch nehmen.“ Johannes 16,20-22              man Beute austeilt.“ Für mich ist diese
                                                          Stelle ein Freudenzeugnis par excellence.
      Das ist natürlich eine sehr subjektive Aus-         Etliche der hier vorkommenden Motive
      wahl an Bibelstellen, die sich mir in den           werden uns auch an anderer Stelle be-
      Kopf gedrängt hat; die für mich wesentliche         gegnen. Sie haben damit zu tun, dass
      Stelle habe ich mir noch aufgespart – um sie        die Freude nicht ein abstraktes Gefühl ist,
      Ihnen gleich ausführlicher vorzuführen.             sondern sehr konkret und sich mit sehr
                                                          konkreten Situationen im Leben eines
      Was allerdings schon einmal in einem ers-           Menschen oder im Leben des ganzen Vol-
      ten, kleinen Fazit festzustellen ist, ist folgen-   kes verbinden.
      des:                                                Besonders interessant und aufschluss-
        Von der Freude wird in aller Regel nicht          reich, wenn man sich mit dem biblischen
        ohne Anlass gesprochen. Von ihr ist die           Befund, was die Freude angeht, beschäf-
        Rede im Kontext der Nacht, der Angst,             tigen möchte, scheint mir Psalm 126 zu
        der Einsamkeit, der Verwirrung.                   sein. Er ist wie ein Brennglas all dessen,
        Die Freude ist Teil der der Verheißung – sie      was von Seiten der Bibel her über die
        liegt in der Zukunft, aber nicht im Reich         Freude zu sagen ist.
        der Fantasie.

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Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft Freudenleicht - Diakonische Gemeinschaft ...
FREUDENLEICHT

      III                                             IV
      Deshalb habe ich den Psalm 126 ausgewählt       Psalm 126
      und werde zusammen mit Ihnen an ihm             1a Ein Wallfahrtslied
      entlanggehen. Ich werde mit einer allgemei-     1b Wenn JHWH den Zion wiederherstellt
      nen Einführung in den Psalm beginnen und        1c - wir sind wie Träumende -,
      mich dann an den Einzelversen entlanghan-       2a dann füllt sich unser Mund mit Lachen
      geln. Gelegentlich werde ich Querverweise       2b und unsere Zunge mit Jubel,
      auf uns heute, in unserer Welt, in unserer      2c dann sagt man unter den Völkern:
      Situation machen. Ansonsten bitte ich Sie:      2d „Groß erweist sich JHWH,
      Hören Sie einfach mit dem Gegenwartsohr.            so an ihnen zu tun!“
      Ich bin der Auffassung, Psalm 126 macht         3a Groß erweist sich JHWH,
      dies leicht. Er ist konkret, dem Alltagsleben       so an uns zu tun:
      des Psalmdichters und des ganzen Volkes         3b Wir sind voll der Freude!
      entnommen.
                                                      4a   Stelle du, JHWH, uns wieder her,
      Wenn ich nun die Welt von Psalm 126             4b   so wie die Wadis im Negev!
      nachzeichne, wird hoffentlich die Freude,       5a   Die (jetzt) säen in Tränen,
      von der er handelt, deutlich. Darüber hin-      5b   in Jubel werden sie ernten.
      aus aber vielleicht noch anderes sichtbar,      6a   Der da hingeht und weint
      was für Reden und Beten wichtig ist. Ob         6b   (und) dabei die Keimlinge trägt,
      die Auslegung der Wortschöpfung „freu-          6c   der kommt wieder in Jubel
      den-leicht“ so ganz und gar gerecht wird,       6d   (und) trägt dabei seine Garben.
      vermag ich nicht zu sagen. Aber vielleicht
      nimmt ja die Beschäftigung mit dem Psalm
      etwas von der gegenwärtigen Erdenschwe-
      re – und auch das ist schon viel.

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FREUDENLEICHT

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      A. Einführung                                 der bäuerlichen Welt entstammen. Sie han-
                                                    deln vom harten Alltag der Leute, die in
      Der Psalm 126 steht in der Mitte der Wall-    Abhängigkeit einer unberechenbaren Ver-
      fahrtspsalmen. Das sind die Psalmen 120-      waltung oder von Großgrundbesitzern le-
      134 (am bekanntesten wohl der Psalm 121:      ben müssen. Dieser Alltag wiederum findet
      „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,      seinen scharfen Kontrast in der Sehnsucht
      von wo kommt mir Hilfe?“). Sie sind wahr-     nach Geborgenheit und Schutz durch Gott
      scheinlich entstanden für Zionspilgergrup-    – er ist in der Tat der Gott der „kleinen Leu-
      pen.                                          te“. Die Hoffnung auf Glück wird gemalt
                                                    im Bild einer reichen Ernte. Die Befreiung
      1. In der Urfassung spiegeln diese Lieder     aus tödlicher Gefahr nimmt zum Bild das
      eindrucksvoll die Lebenswelt der kleinen      Netz des Vogelfängers: „Unsere Seele ist
      Leute: Es ist die Welt der Kleinbauern und    entronnen wie ein Vogel / dem Netze des
      der Handwerker. Die Bilder sind prägnant      Vogelfängers; das Netz ist zerrissen, und wir
      und erfahrungsintensiv, vor allem jene, die   sind frei“ (Psalm 124,7). Die Angst vor der

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FREUDENLEICHT

      Nacht als der Zeit der Räuber und Mörder       3. Gerade in Psalm 126 wird deutlich, dass
      findet Eingang im Psalm 130, wo es heißt:      der Zion noch nicht bzw. nicht mehr der Ort
      „Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als     ist, den er für Gott, für Israel, für die Völker
      die Wächter auf den Morgen; mehr als die       sein soll. Darauf deutet die Formulierung
      Wächter auf den Morgen, hoffe Israel auf       „Wenn der Herr den Zion wiederherstellt“.
      den Herrn“. Auch der Psalm 126 lebt von        Dies ist die Bitte, die notvolle Gegenwart
      der Erfahrung des bäuerlichen Lebens und       zu beenden. Gleichzeitig zeigt sich in den
      das macht ihn verständlich. Auch wenn un-      ersten drei Versen des Psalms die feste Zu-
      sere Welt heute eine ganz andere ist und es    versicht, dass Gott genau das tun wird: Ge-
      eines gewissen Studiums bedarf, fangen die     wiss den Zion vollenden. Wenn der Psalm
      Bilder an zu sprechen, wenn der historische    126 also mit einem Zukunftstraum beginnt,
      Graben erst einmal übersprungen ist.           dann in der Absicht, diesen hoffend und
                                                     glaubend der Gegenwart, der Realität ent-
      2. Die Zionstheologie ist für die Wall-        gegenzustellen. Der Traum wird kein Traum
      fahrtspsalmen prägend. Es würde nun zu         bleiben, eben weil Gott Gott ist. Er hat sich
      weit führen, tiefer in die Zionstheologie      in der Geschichte seines Volkes als der Gott
      einzusteigen. Hier nur so viel: Von Zion       der Freiheit, des Segens und der Güte er-
      geht Segen aus. Das zeigt sich besonders       wiesen. Diese Segensgeschichte wird wei-
      schön in Psalm 134, jenem Psalm, der die       tergehen, weil Gott sich selbst treu bleibt.
      Pilger wieder nach Hause sendet, aussen-       Darum geht es in diesem Psalm.
      det gewissermaßen. Da heißt es: „Der Herr
      segne dich aus Zion, der Himmel und Erde       Wie und wo Psalm 126 zunächst verwen-
      gemacht hat!“ Der am Zion erlangte Segen       det wurde, lässt sich nicht mehr feststellen,
      soll die Wallfahrer begleiten, wenn sie nach   auch weil man nicht weiß, in welcher Weise
      Hause zurückkehren.                            die Wallfahrtspsalmen in Gebrauch waren
                                                     – ob als Liedbüchlein, dass sich am liturgi-
                                                     schen Ablauf der Wallfahrt orientierte oder
                                                     einfach als eine Zusammenstellung von Pil-
                                                     gerliedern, die eben aus Anlass der Pilger-
                                                     fahrt gesungen wurden.

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      B. Auslegung                                     1. Mit Jubel feiert man den Antritt eines
                                                       neuen Königs. Dieser Jubel ist Huldigung
      Psalm 126 besteht – das kann man auf ei-         und Anerkennung der Autorität des neuen
      nen Blick sehen – aus zwei Strophen. Die         Königs zugleich. Bis heute begegnet einem
      erste Strophe sind die Verse 1-3, die 2. Stro-   dieser Jubel in der Welt des Nahen Ostens,
      phe umfasst die Verse 4-6.                       wenn der neu geweihte Bischof sich den
                                                       Gläubigen präsentiert oder anlässlich der
      Die 1. Strophe ist die Vision einer Heilswen-    Hochzeit eines Paares. Sie kennen den Laut
      de für den Zion und gekennzeichnet von           vielleicht: Es ist ein sehr hohes Trillerge-
      überschäumender Festfreude. Ausdrücklich         räusch vor allem der Frauen, das unglaub-
      werden genannt: Lachen, Jubel, Freude.           lich eindrucksvoll ist. Dort, wo von Gott als
      Das Motiv der Freude ist so stark, dass es       dem König der Welt die Rede ist, der Kö-
      auch in die 2. Strophe überschwappt. Von         nigsherrschaft Gottes, ist oft genug auch
      ihr ergriffen ist das Volk Israel wie auch die   die Rede vom Jubel, mit dem Gott gehuldigt
      anderen Völker, die in der Folge Jahwe als       und in seiner Autorität als wahrer König von
      Gott bekennen, der Großes für sein Volk          den Gläubigen anerkannt wird.
      tut.
                                                       2. Die Zeit der Ernte ist eine Zeit des Jubels:
      Weil die Freude und der mit ihr verbundene       Die Vorräte, die neuen Früchte, das durch
      Jubel sich hier so in den Vordergrund drän-      Rösten haltbar gemachte Getreide, der jun-
      gen, möchte ich dem Wort „Jubel“ und sei-        ge Wein werden mit besonderen Festen
      nem Wortumfeld ein bisschen nachgehen.           eingebracht und genossen. Gerade in einer
                                                       Kultur, die den Mangel wirklich kennt, weil
                                                       der Ertrag des Ackers gefährdet ist durch
                                                       Dürre und durch Ungeziefer, Wachsen und
                                                       Gedeihen auch zum guten Teil menschli-
                                                       chen Tuns entzogen sind, ist die Erleichte-
                                                       rung über eine gute Ernte genuin und echt.
                                                       Davon sind auch in unserer Kultur kleine
                                                       Reste übriggeblieben: die Weinfeste entlang
                                                       von Main und Rhein, in Italien die Sagrada,
                                                       von der es in jedem Ort mindestens eine
                                                       gibt und natürlich das Erntedankfest, das in
                                                       ländlichen Gegenden bis zum heutigen Tag

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FREUDENLEICHT

      mit großem Ernst und echter Dankbarkeit          3. Vor allem bei dem Propheten Jesaja in
      gefeiert wird. Ansonsten ist seine Sinnhaf-      den Kapiteln 40-55, die mit Trostbuch in der
      tigkeit doch in weiten Teilen zur Folklore ge-   Lutherbibel überschrieben sind, und bei Je-
      worden! Die Erntezeit ist das Sinnbild für die   remia in den Kapiteln 30 und 31 taucht die
      schönsten Wochen im Jahr; sie ist Fest-Zeit      jubelnde Freude im engen Zusammenhang
      im eigentlichen Sinn des Wortes und wird         mit der Ankündigung der großen Heilswen-
      damit auch zur Metapher überschäumender          de auf: jenem Ende des Exils, der Erlösung
      Freude. Einer Freude, die untrennbar mit der     aus der Gefangenschaft, der Sammlung
      Gemeinschaft verbunden ist. Denn die Ern-        der Verstreuten, der Wiederherstellung des
      te bewerkstelligt man nur gemeinsam. Einer       Zion, der Rückkehr Gottes zum Zion und
      allein kann das nicht.                           schließlich auch der staunenden Anerken-
      Das alles zeigt sich sehr schön in einer Weis-   nung der Völker. Das wäre eine eigene Bi-
      sagung des Propheten Jesaja, die wir unter       belarbeit wert. So aber lege ich Ihnen die
      einem ganz anderen Gesichtspunkt kennen          Abschnitte der Propheten Jesaja und Jere-
      und die ich deswegen gerne unter diesem          mia ans Herz mit dem Vorschlag, sie einmal
      Aspekt zu Gehör bringen möchte. Wir lesen        unter dem Aspekt der Freude zu lesen.
      Jesaja 9,1f.: „Das Volk, das im Finstern wan-
      delt, sieht ein großes Licht, und über denen,    Die Königsherrschaft Gottes, die Ernte und
      die da wohnen im finstern Lande, scheint         die große Heilswende – all das schwingt in
      es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst       der 1. Strophe von Psalm 126 mit. Wenn
      groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie     hier nun von Wiederherstellung gesprochen
      man sich freut in der Ernte, wie man fröh-       wird, heißt das: Der Zion soll zum Ort wer-
      lich ist, wenn man Beute austeilt.“              den, von dem aus sich die Fülle Gottes auf
                                                       Israel und die Völker verströmt. Den Zion
                                                       hat Gott sich zum Ort seiner Gottesherr-
                                                       schaft erwählt.

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FREUDENLEICHT

      Zum Zion als Berg wäre viel zu sagen. Die        Dass der Zion zum Ort des Segens wird, ist
      Vorstellung des Götterberges ist mit Händen      vorerst nur ein Traum. „Wir sind wie Träu-
      zu greifen. Vom höchsten aller Berge wird in     mende“ – heißt es in Psalm 126. Die Reali-
      diesem Zusammenhang gesprochen. Wenn             tät sieht anders aus. Und doch leben die Zi-
      man dann vor dem tatsächlichen Zionsberg         onspilger genau von diesem Traum her. Sie
      steht, reibt man sich verwundert die Augen.      wissen sehr genau, dass die Wallfahrt der
      Es würde sich lohnen, über den Berg und          Völker zum Zion, ihre Bekehrung zu dem
      die Berge überhaupt als Ort der Gottesbe-        einen Gott und folgerichtig, dann auch Hul-
      gegnung und Gottesoffenbarung zu spre-           digung vorerst nur geschaut werden kann.
      chen. Aber das muss ein andermal sein. Für       Also geträumt wird.
      uns ist wichtig: Der Zion ist der Berg, auf
      dem Jahwe thront. Aus dieser Rede vom            Ich komme zur 2. Strophe. Sie setzt ein
      Berg Gottes entwickelt sich eine ganze Tra-      mit der Bitte um Veränderung: „Stelle uns
      dition, die schließlich in der Einzigartigkeit   wieder her.“ Diese Bitte ist der Widerstand
      Jahwes gegenüber anderen Göttern und             gegen die Versuchung, die Gegenwart, das
      seiner Weltherrschaft gipfelt. Von hier aus      gegenwärtig Erlebte als „ewig“ hinzuneh-
      kommt den Menschen der göttliche Segen           men. Die Gegenwart überhaupt als etwas
      zu. Psalm 132,13-16 sagt dies ganz deutlich      hinzunehmen, das unhinterfragt bleiben
      und lässt Gott selbst zu Wort kommen:            muss. Wer „Träume“ hat im vorgenannten
                                                       Sinn, schaut über den Tellerrand der Gegen-
      „Denn der HERR hat Zion erwählt, und es          wart hinaus und bittet: „Stelle uns wieder
      gefällt ihm, dort zu wohnen.                     her.“ Wer „Träume“ hat, wer die Zukunft
                                                       sehen kann, bittet von daher um Wohl-
      »Dies ist die Stätte meiner Ruhe ewiglich;       stand, um Freiheit, Frieden und Erneuerung.
      hier will ich wohnen, denn es gefällt mir        Ganz im Sinn des „neuen Bundes“, den der
      wohl. Ich will ihre Speise segnen und ihren      Prophet Jeremia schaut (Jeremia 31,31-33):
      Armen Brot genug geben. Ihre Priester will       „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR,
      ich mit Heil kleiden, und ihre Heiligen sollen   da will ich mit dem Hause Israel und mit
      fröhlich sein.“                                  dem Hause Juda einen neuen Bund schlie-
                                                       ßen, nicht wie der Bund gewesen ist, den
                                                       ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei
                                                       der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu
                                                       führen, mein Bund, den sie gebrochen ha-
                                                       ben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der

                                                                                                 15

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FREUDENLEICHT

      HERR; sondern das soll der Bund sein, den      Wenn man das weiß, kann man verstehen,
      ich mit dem Hause Israel schließen will nach   was das heißt: „Stelle uns wieder her, wie
      dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein   die Wadis im Negev.“ Wer so bittet, möch-
      Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn     te zum Ort des Lebens werden. Wer so
      schreiben, und sie sollen mein Volk sein,      bittet, muss deswegen bereit sein, sich ver-
      und ich will ihr Gott sein.“                   ändern zu lassen. Plötzlich und mit Macht.
                                                     Grundstürzend und tiefgehend, radikal und
      Wer bittet: „Stelle uns wieder her“, der       schnell. Diese Bitte verträgt sich wenig mit
      muss bereit sein, sich verändern zu lassen.    einem Glauben, der es sich in der Bürger-
      Der muss bereit sein, sich eine Veränderung    lichkeit gemütlich eingerichtet hat. Das gilt
      gefallen zu lassen, die plötzlich kommt und    für den Beter damals. Das gilt auch heute.
      mit Macht. So wie die Sturzfluten in den
      Wadis im Negev. Ich erinnere mich, als ich     Und damit komme ich zu den letzten bei-
      das erste Mal durch den Negev gefahren         den Versen, die mich dazu bewogen haben,
      bin und mich besonders über ein Verkehrs-      meine Gedanken an der Losung „Freuden-
      zeichen amüsiert habe: Die Warnung vor         leicht“ mit einem Gang durch den 126.
      plötzlichen Überschwemmungen. Mitten           Psalm zu illustrieren. „Die jetzt säen in
      im Sommer scheint nichts ferner zu liegen      Tränen, in Jubel werden sie ernten. Der da
      als auch nur ein Tropfen Wasser in diesen      hingeht und weint, dabei Keimlinge trägt,
      Wadis. Aber im Winter oder Frühjahr, wenn      der kommt wieder in Jubel und trägt dabei
      es auch in der Wüste sehr regnet, sind die-    seine Garben.“
      se Überschwemmungen gar nicht so selten.
      Es ist sogar so, dass im Negev mehr Men-       Deutlicher als hier beschrieben, könnte der
      schen ertrinken als verdursten. Wenn nun       Kontrast zwischen der Gegenwart und der
      allerdings die Sturzfluten verschwunden,       Zukunft kaum sein. Jetzt ist die Zeit der
      das Wasser abgetrocknet und vielleicht klug    „Saat unter Tränen“, in der die kleinen
      umgeleitet wurde, geschieht etwas Wun-         Keimlinge gesetzt werden. Manche Ausle-
      dersames: Die Wüste beginnt zu blühen.         ger haben darüber spekuliert, ob dieses Wei-
      Dieses Phänomen erlebt man überall im Na-      nen womöglich rituell gemeint sein könnte.
      hen Osten.                                     Dafür gäbe es manchen Anhaltspunkt, hat
                                                     doch die Zeit der Aussaat im Herbst in den
                                                     altorientalischen Religionen häufig mit dem
                                                     Sterben der Fruchtbarkeitsgötter zu tun.
                                                     Hier aber ist das nicht der Fall. Vielmehr ist

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FREUDENLEICHT

      dieses Bild der Aussaat unter Tränen eine       ich ihnen gegeben habe, spricht der HERR,
      Metapher für die echte, gegenwärtige Not,       dein Gott.“
      in der der Zion noch nicht ist, was er sein
      wird. In solchen Zeiten zu säen ist mit ban-    Auch hier ist die Rede von der Wende des
      ger Sorge verbunden und der – zu diesem         Schicksals, von einem Leben ohne Mangel
      Zeitpunkt erst kleinen – Hoffnung, dass die     und Sorge. Von einem Leben, das sich voller
      Tränensaat zur reichen Ernte wird. Das al-      Hoffnung gegen das Dunkel stemmt und in
      les zu einem guten Ende kommt. Zu einer         dem am Ende die Freude steht.
      Wende. Einer Wende zum Guten, zum Heil.
      Von der Entbehrung zur Freude.                  Liebe Schwestern und Brüder, das war nun
                                                      eine lange Reise auf dem Weg zur Freude.
      Die Kraft dieser Vision stärkt die Hoffnung.    Ein längerer Gang an einem Fluss, der mun-
      Die zweite Strophe von Psalm 126 ist            ter vor sich hin mäandert. Aber so ist das
      genau der Beweis. Sie ist so etwas wie die      mit der Freude: Es gibt keine breite Straße,
      antwortende Bitte der Menschen auf das,         die direkt auf sie zugeht. Es ist ein Weg, der
      was die Propheten verheißen haben. Es ist,      sich nach rechts und nach links wendet, der
      als habe der Beter ein Bild des Propheten       eingebettet ist in die Stationen und Situatio-
      Amos im Auge oder seine Worte im Ohr,           nen des Lebens. Die Freude kommt von der
      das ich Ihnen nun als letztes noch zu Gehör     Hoffnung her, die das Schwere leicht macht.
      bringen möchte. Es sind die letzten Worte       So macht die Freude leicht. Freudenleicht.
      des Amosbuches (Amos 9,13 ff.):

      „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR,                    Andrea Wagner-Pinggéra
      dass man zugleich ackern und ernten, zu-                        Pfarrerin,
      gleich keltern und säen wird. Und die Berge                     Geschäftsführung
      werden von Most triefen, und alle Hügel                         Hoffnungstaler Stiftung
      werden fruchtbar sein. Ich will die Gefan-                      Lobetal
      genschaft meines Volkes Israel wenden, dass
      sie die verwüsteten Städte wieder aufbauen      * Das farbenfrohe Bild schmückt das Büro
      und bewohnen sollen, dass sie Weinberge         von Frau Wagner-Pinggéra. Der Maler Vla-
      pflanzen und Wein davon trinken, Gärten         dis Buss, der unter der Stalin Diktatur nach
      anlegen und Früchte daraus essen. Ich will      Sibirien verbannt wurde, malte mit Vorliebe
      sie in ihr Land pflanzen, dass sie nicht mehr   Landschaften Sibiriens.
      aus ihrem Lande ausgerottet werden, das

                                                                                                 17

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FREUDENLEICHT

      FREUDENLEICHT
      DER TANZ

      „Ach, daran erinnere ich mich so gerne …          Beim Thema Freudenleicht ist doch auch
      wir haben so schön zusammen getanzt.“             schwärmen erlaubt. Oder? Auf der Hochzeit
                                                        einer Freundin: Sie ist in den späten 50-ern
      War es bei „Der Gemeinschaftstag tanzt“?          und fand nun den Menschen fürs Herz. Sie
      Auf einem Betriebsfest? Beim 140. Naza-           heiratete nach vielen alleinerziehenden Jah-
      reth-Jahresfest? Wer weiß das schon so            ren. Die meisten ihrer Freundinnen waren
      genau. Aber wie schön es war, das weiß            auch aus dieser Zeit, die Kinder waren schon
      sie noch genau. Ich auch. Es ging einfach         groß. Viele waren ohne Partnerin/Partner
      los: Die Musik war so mitreißend, was soll        auf der Feier. Es gab auf der Hochzeit eine
      man da tun? Die Füße wollten einfach nicht        große Lust zu tanzen. Fast alle sagten: „Das
      mehr stillhalten. Ein Blick, eine kurze Über-     tue ich echt viel zu wenig.“ Und los ging‘s.
      windung, ein Nicken, eine Hand … und              Unglaublich – die halbe Nacht lang. Fast
      dann ging‘s los: Mitten auf die Tanzfläche.       ohne Pause. Fast alle hatten am Ende Blasen
      Bis der Schweiß die Stirn hinunterlief. Auch      an den Füßen. Der ergreifendste Augenblick
      der leichte Schwindel gehört dazu. Wunder-        jedoch: Eine Frau in den 70-ern. Sie war
      bar.                                              mit ihrem Mann dort: Er im Rollstuhl nach
                                                        Schlaganfall. „Wir haben früher immer so
      Wie herrlich ist es, einfach drauflos zu tan-     schön und so viel miteinander getanzt.“
      zen. Die Hand des anderen zu ergreifen, eine      Ein kurzer Blick zwischen ihr und ihm. Ein
      Einheit zu werden. Eine Einheit auf Zeit. Ein     Nicken. Und ich durfte sie zur Tanzfläche
      paar einfache Grundschritte reichen. Mehr         begleiten. Sie schwebte. Der erste Tanz seit
      braucht es nicht. Das ist die Grundlage für       fast 10 Jahren. Die meiste Zeit die Augen
      leichte, gemeinsame Bewegungen. Wenn              geschlossen. Sie war bei mir. Aber vielmehr
      Tanzen Freude macht, dann wird es leicht.         war sie bei sich. Und in ihren Gedanken, in
      Leicht in der Bewegung. Leicht ums Herz.          ihren Erinnerungen – und auch ganz in der
      Und dabei ist es gleich, ob man die Hand          Gegenwart. Es war außergewöhnlich: Vor-
      einer Frau oder eines Mannes ergreift. Er-        sichtig, entschieden, hingebungsvoll. Voller
      griffen ist zumeist jede/r. Unterschiedlich in-   Energie, voller Körperlichkeit und Hingabe,
      tensiv. Unterschiedlich sichtbar. Aber immer      voller Tiefe. Und voller Leichtigkeit. Nach
      deutlich spürbar.                                 zwei Tänzen dankte sie: „Nun ist es genug.
                                                        Vielen Dank. Ich habe es sehr genossen.“
                                                        Ich begleitete sie zurück und blieb überaus
                                                        gerührt stehen.

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FREUDENLEICHT

                                                    Sagen wir einfach so: Tanze, damit die Engel
                                                    im Himmel etwas mit dir anzufangen wis-
                                                    sen! Nur mit Gesang jubilieren und frohlo-
                                                    cken? Nicht nur: Es geht auch mit dem Kör-
                                                    per! Aber warum auf den Himmel warten?
                                                    Warum nicht heute schon?

                                                    Hand aufs Herz: Wann war eigentlich der
                                                    letzte Tanz? Warum nicht gleich die Musik
      Wir waren eine kleine Gemeinschaft auf        anwerfen und mal ausprobieren? Vielleicht
      Zeit. Einen kleinen, heiligen Augenblick      zaghaft, dann immer mutiger. Und welche
      lang. Kamen hier zwei in seinem Namen zu-     Hand soll ich ergreifen? Mutig eine Hand
      sammen? War er unter uns? Mit Sicherheit.     nehmen und freudenleicht geht’s los.
      Anders kann es nicht gewesen sein.
                                                    Und wenn gerade nur meine eigenen Hän-
      Und wo wir gerade dabei sind: Soll ich noch   de in der Nähe sind? Mach’s wie bei der
      ein kleines Geheimnis verraten?               Nächstenliebe: …manchmal kümmerst du
                                                    dich um dich selbst.
      Es ist fast das wunderbarste, einen Wiener
      Walzer rund um die Tanzfläche herum zu        Im Hohen Norden sagt man: „Nu‘ hau man
      tanzen. Ganz am Rand entlang. Ganz au-        die Hacken in’nen Teer…“ Also: Los geht’s.
      ßen herum. Eine lebendige Gemeinsamkeit.      Was sollen die Engel denn sonst mit mir an-
      Schwebend. Leicht. Günstigstenfalls voller    fangen? Hier auf der Erde – und vielleicht
      Freude.                                       auch irgendwann im Himmel.

      „Mensch, lerne tanzen. Sonst wissen die       Im ¾-Takt grüßt herzlich
      Engel nichts mit dir anzufangen.“ Das sagte
      kein geringerer als der Bischof von Hippo,
      Philosoph, Kirchenvater und Heilige Augus-
      tinus Aurelius (354 – 430). Und der müsste
      es ja wissen.
                                                                   Eckhard Vossiek
                                                                   Diakon

                                                                                             19

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FREUDENLEICHT

      WER LACHT,
      KANN KEINE ANGST HABEN
      Kirsten Moritz, Schwester unserer Gemein-         Neigung zu Albernheiten erlauben, laut und
      schaft, engagiert sich als Klinik-Clownin.        schräg sein dürfen. Die besondere Kunst
      Das ist in Zeiten von Corona keine ganz ein-      von Klinik-Clowns aber liegt in der Sensi-
      fache Sache (siehe Nazareth Brief 1/2021).        bilität für die Situation und Befinden des
      Freudenleicht und Lachen haben eine Men-          Gegenübers. Ein Clown muss nicht immer
      ge miteinander zu tun. Deshalb hat uns Kirs-      doof und laut sein, sondern kann ein ganz
      ten Moritz für ein Interview zur Verfügung        leiser Begleiter in einer belasteten Situation
      gestanden, um uns die bewusstseinserwei-          sein. Klinik-Clowns agieren an Grenzen,
      ternden Erfahrungen als Clownin näher zu          aber nicht plump und dumm, sondern sen-
      bringen.                                          sibel, feinfühlig und auf die Situation und
                                                        das Befinden des Gegenübers bezogen.
      Nazareth Brief                                    Wir müssen improvisieren, kein Mensch
      Liebe Kirsten. Wie bist du darauf gekom-          und keine Situation ist wie die andere. Das
      men, dich als Clownin zu engagieren?              will gelernt sein, aber da macht Übung die
                                                        Meisterin. Lernen musste ich auch, dass es
      Kirsten                                           passieren kann, dass wir bei unserem Ge-
      Eigentlich bin ich da zufällig reingeraten. Ich   genüber nicht ankommen. Das müssen wir
      hatte eine Ausbildung zur Theaterpädago-          akzeptieren und aushalten.
      gin und wurde gefragt, mal mitzukommen
      zu einem Clownsworkshop. Ich muss sagen,          Nazareth Brief
      es war witzig, es war ansteckend – das ist        Gibt es Situationen, die dir besonders erin-
      eben diese wunderbare und unmittelbare            nerlich sind?
      Wirksamkeit von Humor.
                                                        Kisten
      Nazareth Brief                                    Ja, da denke ich an eine Situation im Hospiz.
      Was musstest Du lernen, um Clownin sein           Da lag ein Mann im Sterben, seine Tochter
      zu können? Gab es Grenzen, die du über-           war bei ihm, als wir kamen, und es war eine
      winden musstest?                                  ganz belastete und verhärtete Stimmung
                                                        im Raum. Wir haben ganz leise Lieder ge-
      Kirsten                                           sungen, und dann haben wir miteinander
      Vor allem musste ich meine lang gelernte          geweint. Aber es konnte sich etwas lösen,
      Kontrolle wegschieben, gutes Benehmen             die Traurigkeit brach sich Bahn, die vorher
      und Anstand, Verbote des Frechseins pas-          versteckt war hinter schützenden Mauern.
      sen nicht zum Clown. Ich musste mir meine         Das war jetzt keine witzige Erfahrung, aber

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FREUDENLEICHT

      am Ende für alle Beteiligten eine wirklich
      beglückende.

      Nazareth Brief
      Es wird ja immer gesagt, Lachen sei die bes-
      te Medizin. Was sagt eine Klinik-Clownin
      dazu?

      Kirsten
      Ja, das stimmt, natürlich! Neurowissen-
      schaftler haben herausgefunden, dass La-
      chen und Angst haben gleichzeitig nicht        trugen früher die Frauen bei der Landarbeit.
      gehen. Da macht das Gehirn nicht mit.          Damit für den schnellen Toilettengang hin-
      Beide Emotionen finden in der gleichen         term Busch nicht die komplette Bekleidung
      Hirnregion statt und so können wir beides,     abgelegt werden musste, hat sie an den
      aber nur nacheinander, nicht gleichzeitig.     entscheidenden Stellen Löcher ... Man sieht
      Und übrigens: Humor endet auch nicht am        ja von ihr nur den Spitzenabschluss, aber die
      Ende des Lebens. Bei unseren Besuchen auf      meisten alten Menschen wissen genau, wo-
      Palliativstationen und in Hospizen, egal ob    für das Modell gut war, und thematisieren
      bei Kindern oder Erwachsenen, gibt es viel     das von sich aus ...
      zu lachen. Menschen an der Grenze des Le-
      bens wollen nicht immer nur mit Ernsthaf-      Nazareth Brief
      tigkeit und Betroffenheit konfrontiert sein.   Herzlichen Dank für das Gespräch!
      Sie sehnen sich nach Freude und Lachen.
                                                     Kirsten
      Nazareth Brief                                 Bitte, gerne!
      Du siehst ja in Deinem Kostüm wirklich sehr
      besonders aus. Was findet den meisten An-
      klang?                                                         Kirsten Moritz
                                                                     Schwester der Gemein-
      Kirsten                                                        schaft, Theaterpädagogin,
      Die meiste Aufmerksamkeit findet meine ur-                     Mediatorin (zert.),
      alte lange Damenunterhose, nicht nur we-                       Klinikclownin von Clowns-
      gen der schicken Spitze. Solche Unterhosen                     kontakt Herford e. V.

                                                                                               21

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FREUDENLEICHT

      DAS GESCHENK DES SINGENS
      2009 machte ich in einer Bielefelder Studen-   Wenn man vor Menschen singt, dann steht
      tenkneipe Musik mit einem Freund: Kontra-      oft das Thema der Selbstdarstellung im
      bass, Gitarre und Gesang. Die Stimme war       Raum. Das war und ist für mich immer un-
      und ist mein Instrument. Zunächst und lan-     angenehm gewesen, weil ich einfach nur
      ge Zeit diente sie mir, um eigene Emotionen    das Bedürfnis habe zu singen. Menschen,
      auszudrücken bzw. als Ventil. Später erlebte   die so schwer krank sind, dass ihr Leben nur
      ich, wie schön es ist, anderen Menschen da-    von dieser Krankheit geprägt ist, zeigen sich
      mit Freude zu bereiten.                        oft als unglaublich offen für das, was ich ih-
                                                     nen schenken möchte.
      Wir spielten also dort und in der Pause
      sprach ich viele Leute an, da ich einen Job    Ich glaube, Gott hat uns die Musik ge-
      brauchte. Es saßen im Publikum drei Pfle-      schenkt, um über die Freude hinaus ohne
      gedienstleiter aus Bethel und so kam ich       Worte Brücken zu schaffen, Gefühle freizu-
      zu meiner Stelle als Betreuungsassistent in    setzen bzw. zu befreien, zu streicheln und
      Haus Elim. Ich wollte nur kurze Zeit bleiben   zu trösten, ohne etwas intellektuell erklä-
      und nun sind es zwölf Jahre geworden.          ren zu müssen. Ich kann gar nicht sagen,
      Der wichtigste Grund ist, dass ich dort mei-   wie viele zauberhafte (ich gebrauche dieses
      ne Gabe einsetzen kann. Für Menschen,          Wort hier gern) Augenblicke ich in meinem
      die von vielerlei schweren und schwersten      Erinnerungsschatzkästchen       ge­speichert
      Krankheiten heimgesucht sind, etwas zu         habe a­ us diesen Jahren.
      tun, dass ihnen nicht nur Freude bereitet,
      sondern Augenblicke der Entspannung, des
      Friedens ermöglicht, aber auch Tränen zu
      weinen, die nur schwer fließen wollen.

      22

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FREUDENLEICHT

                                                     Aber das Singen als mein Medium vermisse
                                                     ich als Brücke zu den Menschen. Ich habe
                                                     bisher nichts gefunden, was das Singen
                                                     wirklich ersetzen könnte. Aber jedes mit
                                                     dem Herzen gespielte Instrument ist in der
                                                     Lage zu berühren. Wir haben in Haus Elim
                                                     einige Konzerte mit zwei Gitarren gegeben.
                                                     Es waren einfache Lieder, denn ich bin kein
                                                     Meister der Gitarre. Aber die Atmosphäre
                                                     wurde getragen von unserer Freude und
                                                     Zugewandtheit und es war schön.

      Ich habe das Gefühl, verstanden zu haben,      Ich freue mich auf die Zeit, wenn ich wie-
      was in Petrus 4,10-11, gemeint ist: „Die-      der singen darf, und bin gleichzeitig dank-
      net einander, ein jeder mit der Gabe, die      bar für die Erfahrung von neu gefundenen
      er empfangen hat, als die guten Haushal-       Möglichkeiten und hartnäckiger Kreativität.
      ter der mancherlei Gnade Gottes: 11 Wenn
      jemand redet, rede er‘s als Gottes Wort;
      wenn jemand dient, tue er‘s aus der Kraft,
      die Gott gewährt, damit in allen Dingen
      Gott gepriesen werde durch Jesus Christus.“
                                                                    Matthias Knippenberg
      In der Corona-Zeit durfte und darf ich noch                   Diakon
      immer nicht singen. In Ermangelung des-
      sen sind, wie an so vielen Orten, viele neue
      Ideen entstanden. Ich bin so begeistert, wie
      kreativ wir Menschen sind: Da geht immer
      was!

                                                                                             23

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FREUDENLEICHT

      FREUDE AN DER BEWEGUNG
      Bewegung und freudenleicht – da muss            Die Radtouren legen keinen Fokus auf Leis-
      ich gleich zu Beginn sagen, das Gefühl der      tung, auf Kilometersammeln oder auf den
      Freude, die Leichtigkeit, das Glücksgefühl,     Anspruch, mit einer gewissen Geschwindig-
      das sich meistens in und nach der Bewe-         keit die Strecke zu fahren. Diese Aspekte
      gung einstellt, kann ich letztlich nur unzu-    außen vor zu lassen, ist sehr förderlich, soll
      reichend beschreiben. Das kann nur erlebt       sich doch das Freudenleicht-Gefühl einstel-
      werden ...                                      len. Leistungsorientiert Sport betrieben, ha-
                                                      ben wir früher getan, zum Teil sehr intensiv.
      In den letzten Monaten mache ich recht re-      Auch dabei konnte ich Freude an der Bewe-
      gelmäßig samstags mit einem Freund (ich         gung, aber noch eher an meiner Leistung
      nenne ihn hier Andreas, weil ich nicht weiß,    erleben. Jetzt geht’s regelmäßig um einen
      ob er namentlich genannt werden will) eine      Tag wie Urlaub, den wir erleben wollen.
      größere mehrstündige Radtour. Wir sind
      dann mit dem Mountainbike oder dem              Für unsere Tour an einem Samstag kündig-
      Rennrad oft vier bis sechs Stunden unter-       te mein Radfreund an, dass er einen alten
      wegs. Andreas kennt sich hervorragend aus       Freund mitbrächte. So fuhren wir zu dritt.
      und so ist das Motto vieler Touren: „Uli, ich   Mit Klaus, dem dritten Mitfahrer, kam ich
      zeige dir deine Heimat“.                        sehr schnell ins Gespräch.

      Ich habe von 1987 an in Bielefeld gelebt,
      also bis zum letzten Februar. Jetzt bin ich
      Spenger, genauer gesagt, Bardüttingdorfer.
      Dadurch kenne ich viele Wege. Trotzdem
      erfreue ich mich immer wieder über neue
      Wege im Lipperland, in und rund um das
      Wiehengebirge. Sie sind für mich auf unse-
      ren Ausflügen oft Neuland, auch nach 20
      Jahren Rennradfahren.

      24

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FREUDENLEICHT

      Er ist ein fröhlicher Mensch, der erzählte,     Auch wenn es in dem Artikel nicht um Leis-
      dass er als Spätberufener mit 60 Jahren zum     tung, sondern um Freude an der Bewegung
      Radsport kam. Er erzählte mir auch von Tou-     geht, wird an Andreas deutlich, dass das
      ren, die er mit Andreas früher gemacht hat-     eine das andere nicht ausschließt. Über die
      te. Lächelnd fuhren wir durch das Wiehen-       BeWEGung, zu der man sich, wie es der Be-
      gebirge nach Bad Essen, auf der Suche nach      griff impliziert, auf den Weg machen muss,
      einer Bäckerei mit einem guten Kaffee.          kann diese Freude erfahren werden. Be-
                                                      stimmte Leistungen absolvieren zu wollen
      Klaus war mit dem Rad von Gütersloh aus         oder gar erreichen zu müssen, steht dem
      losgefahren, hatte Andreas in Bielefeld ab-     eher im Wege. Etwas durch Bewegung (egal
      geholt, bevor ich dann in Bardüttingdorf        ob Spazierengehen, Laufen, Radfahren etc.)
      eingesammelt worden war. In moderatem           zu leisten und dadurch Freude zu erleben,
      Tempo mit – wieder einmal neuen Wegen           passiert ganz nebenbei ... Als Andreas wie-
      im Wiehengebirge – war ich nach knapp           der in Gütersloh war, wird er wohl 140 Kilo-
      fünf Stunden, nach dem gefundenen le-           meter mit deutlich über 1000 Höhenmetern
      ckeren Kaffee in der Bäckerei in Bad Essen      gefahren sein. Ein strahlender, durch die Be-
      und gut 80 Kilometern glücklich wieder zu       wegung, glücklicher Mensch. Ach, und üb-
      Hause. Wir hatten schöne Höfe passiert,         rigens: Andreas wird im nächsten Jahr 80!
      Wälder gesehen und durchfahren und nicht
      mehr ganz so intensiv blühende Rapsfelder       Ich wandle hier gerne einen irischen Segens-
      bewundert und und und ... Diese „Bilder“        wunsch ab, der hervorragend passt: „Möge
      während des Ausflugs wahr- und aufzuneh-        uns die Bewegung zusammenführen und
      men, gehören für mich auch zum Glücksge-        uns (den Rücken) stärken!“
      fühl „freudenleicht“.

      Zurück zu Klaus, der mit seiner Fröhlichkeit,
      Leichtigkeit mich sehr beeindruckt hat. Er
      hatte die Tour gestern mit uns als Vorberei-
      tung, für eine in Kürze anstehende Tour in                     Ulrich Debener
      den Alpen gemacht. Dort will er mehrtägig                      Diakon
      mit Rucksack von Hütte zu Hütte fahren. 60
      bis 80 Kilometer pro Tag ist er dann wohl
      unterwegs.

                                                                                                25

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FREUDENLEICHT

      WIE NENNEN WIR DAS, WAS SO VIELE
      IN ZEITEN DER PANDEMIE FÜHLEN?
      Kennt Ihr das auch? Je länger die Pandemie     ebenso zugenommen wie die Krisenanfäl-
      dauert, desto mehr zehrt sie an den Kräf-      ligkeit von Kindern. Kinder- und Jugendpsy-
      ten. Je mehr und länger Durchhalten und        chiatrien sind überfüllt, weil diese Zeit des
      Ausdauer gefragt sind, desto weniger ha-       Durchhaltens und Abstandnehmens, der
      ben wir das Gefühl, wirklich genug Kraft       weitgehenden Bewegungs- und Tatenlosig-
      zu haben. Und in der Tat schwinden Kräfte,     keit Sinn, Begegnung, Bestätigung, Freude
      schwinden auch die Tankstellen, die helfen,    und Freunde nimmt. Was die Erwachsenen
      den Akku wieder aufzuladen.                    sich noch halbwegs als notwendig einbläu-
                                                     en können, raubt Kindern im wahrsten Sinn
      Die halbe Welt hat das Wandern entdeckt        den letzten Nerv. Die Gewalt hat zugenom-
      und zuweilen stehen Mann und Frau sich im      men, unsichtbar, aber doch unüberhörbar.
      Teutoburger Wald im Wege, wo sich früher       Sie richtet sich vor allem gegen Frauen und
      nur Fuchs und Has´ „Gute Nacht!“ gesagt        Kinder.
      haben. Kaum haben wir in den letzten Jah-
      ren so viele Kilometer zu Fuß gemacht –        Wirklich freudenleicht, im Sinne von Juch-
      kaum wurden sie auch so umfänglich doku-       Hu und Juch-He kommt eigentlich kaum
      mentiert auf schrittzählenden Handys oder      etwas daher. Darf ich das sagen als von der
      Fotoreportagen in sozialen Netzwerken.         frohen und freimachenden Botschaft infi-
      Neben dem Wandern ist auch das Fahrrad-        zierter Christ? Wie sprechen wir über die
      fahren sehr in Mode gekommen – die Fahr-       Belastungen, die diese Krise uns allen ab-
      radindustrie, vor allem die mit elektrischen   verlangt?
      Angeboten, gehört eindeutig zu den Ge-
      winnern der Krise. Wir haben zugelegt, ich     „Stöhnen verboten“, so las ich kürzlich in
      selbst und viele andere und irgendwie müs-     der Zeit. Wir verbieten uns das Stöhnen,
      sen wir darauf achten, dass das Gewicht        weil es immer noch jemanden gibt, der oder
      halbwegs im Zaum gehalten wird. Der boo-       dem es noch schlechter geht. Ich will nicht
      mende Onlinehandel bringt uns alles, was       klagen, mir geht´s ja noch gut. Ich lebe in
      wir brauchen, bis vor die Haustür, von der     einer vergleichsweise sicheren Welt. Ande-
      Tüte Chips bis zur digitalen Waage, die uns    re sind viel mehr herausgefordert in dieser
      nahelegt, auf den BMI (Body-Maß-Index)         Zeit. Ja, das stimmt wirklich und stimmt
      zu achten und lieber eine Runde zu wan-        ohnehin immer, aber die Banalisierung der
      dern, als die zweite Tüte Chips zu öffnen.     eigenen Gefühle trägt auch nicht weiter. Sie
      Der Alkoholkonsum hat gesellschaftlich         ist womöglich sogar schädlich. Ja, Maulen,

      26

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FREUDENLEICHT

      das geht noch, über die, die alles falsch pla-
      nen, die nicht genug Impfstoff produzieren
      oder den vorhandenen falsch verteilen, oder
      über die, die im Supermarkt Hamsterkäufe
      tätigen. Also bleiben wir diszipliniert und
      appellieren mit Unterstützung der Bundes-
      kanzlerin an unser Durchhaltevermögen.
      Bald ist alles vorbei, alles wird sein wie vor-
      her. Wer´s glaubt, wird selig. Das Leben
      nach der Pandemie – und wir wissen gegen-
      wärtig ja noch nicht, wann das eigentlich
      sein wird – wird anders sein als vorher. So
      sehr wir uns auch in vorpandemische Zei-
      ten zurücksehnen, es wird anders sein, das
      Nachher. Wir werden anders sein. Viele Ein-
      drücke und Verhaltensweisen, die sich wäh-
      rend der Krise als ratsam erwiesen haben,
      werden uns weiter begleiten. Wir werden
      vermutlich nicht mit offenen Armen durch          Mattheit wurde bereits als Gefühl des Jah-
      die Welt laufen und alles herzen und umar-        res 2021 ausgemacht, obwohl noch reich-
      men, was nicht rechtzeitig auf den Bäumen         lich Zeit vor uns liegt. Der amerikanische
      ist. Womöglich werden uns Gesichtsmasken          Psychologe Corey Keyes hat den vielbeach-
      noch länger begleiten, und wenn es nur            teten Begriff des „Languishing“ geprägt1,
      dem Schutz der anderen dient.                     der mit „Mattheit“ oder „Dahindümpeln“
                                                        anschaulich übersetzt werden kann. Die
                                                        geistige Ermattung in der fortdauernden
                                                        pandemiebedingten Krisenzeit unterschei-
        1
                                                        det sich von der Depression und bekann-
            Vgl. Online-Wörterbuch
                                                        ten Burnout-Phänomenen. „Languishing“
            für Psychologie und Pädagogik https://
                                                        ist irgendwo zwischen Berg (Euphorie) und
            lexikon.stangl.eu/2972/languishing
                                                        Tal (Depression) hängen geblieben, ohne
        2
            Vgl. ebenda https://lexikon.stangl.eu/      wirkliche Aussicht auf Veränderung. Die
            2970/flourishing/                           fortgesetzte Abwesenheit des Wohlfühlens,

                                                                                               27

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FREUDENLEICHT

      das Nicht-Weiterkommen, das Stagnieren           Ich gebe zu, ich kann mit diesem Begriff
      und die (soziale, kulturelle) Leere sind kenn-   des „Languishing“, der Mattheit durchaus
      zeichnend für das Phänomen. Nachdem uns          etwas anfangen. Ja, so geht es mir zuwei-
      2020 noch eher Gefühle wie Angst und Sor-        len in diesen Zeiten. Was also tun? Reden!
      ge beschäftigten, ist mit der Fortdauer der      Reden über die Mattheit, sich mitteilen und
      Pandemie die Abwesenheit des Wohlfüh-            erleben, dass die Mattheit von anderen ge-
      lens bestimmend geworden. Sie ist erklär-        teilt wird. Die fortdauernden Appelle an das
      bar, wir können uns und anderen das alles        Durchhaltevermögen dürfen kein Tabu be-
      auch abverlangen, aber sie beeinträchtigt        deuten, die Ermattung zu benennen – auch
      eben doch mehr denn je unser Lebensge-           und gerade nicht in Kirche und Diakonie.
      fühl.                                            Das Reden dient auch der Vergewisserung,
                                                       dass das Problem nicht wir selbst sind, son-
      „Flourishig“2, meint das gegenteilige Le-        dern die Pandemie. Die Durchbrechung der
      bensgefühl als selbstbestimmtes, schöpferi-      Mattheit ist ebenso wichtig, wie ihre Be-
      sches, gestalterisches Potential, das gelebt     nennung. Alles, was uns dazu dient, kleine
      werden kann. Wir wachsen mit und an den          Höhepunkte im alltäglichen Leben erleben,
      Herausforderungen, sind optimistisch, was        hilft.
      die Bewältigung angeht. Resilienz, die psy-
      chische Widerstandskraft, schwierige An-         Und eben doch auch die Bewegung – in-
      forderungen ohne Beeinträchtigung von            nerlich wie äußerlich. Also sehen wir uns
      seelischer und körperlicher Gesundheit zu        beim Wandern? Oder beim nächsten Got-
      bestehen, ist so ein Leitbegriff, der uns auch   tesdienst? Oder einem spannenden Film?
      im Bereich sozialer und pflegerischer Arbeit     Oder demnächst in der Außengastronomie?
      sehr beschäftigt. Gesundbleiben, trotz ho-
      her Anforderungen.

                                                                      Wolfgang Roos-Pfeiffer
                                                                      Diakon

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FREUDENLEICHT

      FREUDENLEICHT?
      Ich möchte mir gestatten, mit Rilke zu be-       Doch darüber nachsinnend, fällt mir ein,
      kennen: Ich liebe meines Wesens Dunkel-          mit welcher Not sich die Luft gegen unse-
      stunden.                                         re Abgasemissionen erwehren muss. Unter
                                                       heutigen Bedingungen ist die ständige Ver-
      Der allzeit moderne Hedonismus ist doch          fügbarkeit reinsten Wassers ein nahezu un-
      suspekt. Nur manchmal, freilich gar nicht zu     anständiges Privileg. Und meine Liebe lädt
      selten, lockt mich der azurne Tag mit Son-       sich ihre nächtliche Schwester, die Sorge, zu
      nenschein und Vogelmelodie. Dann gehe            Gast. Mein Vermögen, solche Zusammen-
      ich in die Landschaft, genieße die reine Luft,   hänge erkennen zu können, erfüllt mich
      die ich atme, das klare Wasser, an dem ich       gelegentlich auch mit Freude. Aber diese
      mich labe, und das Herz ist mir von Liebe        Freude ist mit Gewichten behangen. Das
      und Dank voll. Dann weiß ich intuitiv, dass      schwerste Gewicht davon heißt Verantwor-
      die wahrhaft guten Dinge mit Geld nicht zu       tung. Ach, dass wir diese mit Freude allzeit
      bezahlen sind. Momentweise fühle ich mich        leicht tragen könnten, wer wünschte sich
      dann himmlisch leicht.                           das nicht?

                                                                      Bruder Uwe Keilpflug
                                                                      Mitglied der Gemeinschaft

                                                                                                 29

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FREUDENLEICHT

      FREUDENLEICHTE GESCHICHTE
      VON EINEM SCHLEMIHL
      (JIDDISCH: EIN MENSCH, DEM IMMER ALLES MISSLINGT)

      Einem Schlemihl fiel eine mit Butter bestri-   Der Rabbi dachte lange nach und fand kei-
      chene Brotscheibe auf den Boden und nicht      ne Lösung. Er wandte sich an den Kreisrab-
      – wie es zu erwarten gewesen wäre – auf        biner, aber auch der wusste keine Antwort
      die Butterseite, sondern auf die „richtige“.   und stellte das Problem dem Landesrabbiner
      Der Schlemihl konnte es nicht glauben:         vor: „Einem Schlemihl ist eine Brotscheibe
      „Aber ich bin doch ein Schlemihl. Wie kann     heruntergefallen und nicht auf die Butter-
      das sein?“ Der Schlemihl ging zum Rabbi:       seite. Wie kann das sein, Rabbi?“ Auch der
      „Rabbi, mir ist mein Butterbrot herunter-      Landesrabbiner überlegte lange. Schließlich
      gefallen und nicht auf die Butterseite. Wie    fand er die Antwort: „Der Schlemihl muss
      kann das sein?“                                das Brot auf der falschen Seite bestrichen
                                                     haben.“

                                                     Quelle: traditionell

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