Kosten und Nutzen der Regulierung - Volkswirtschaftliche Analyse mit Fallbeispielen aus der Versicherungswirtschaft - GDV
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Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Volkswirtschaftliche Themen und Analysen Nr. 9 Kosten und Nutzen der Regulierung Volkswirtschaftliche Analyse mit Fallbeispielen aus der Versicherungswirtschaft
02 Kosten und Nutzen der Regulierung Impressum Herausgeber: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin Tel. +49 30 2020-5000, berlin@gdv.de www.gdv.de Verantwortlich Dr. Klaus Wiener Mitglied der Geschäftsführung Chefvolkswirt Tel. +49 30 2020-5800 E-Mail: k.wiener@gdv.de Autoren Dr. Martin Altemeyer-Bartscher Tel. +49 30 2020-5135 E-Mail: m.altemeyer-bartscher@gdv.de Jakob Hohenstein Tel. +49 30 2020-5134 E-Mail: j.hohenstein@gdv.de Dr. Rolf Ketzler Tel. +49 30 2020-5132 E-Mail: r.ketzler@gdv.de Dr. Anja Theis Tel. +49 30 2020-5133 E-Mail: a.theis@gdv.de Dr. Klaus Wiener Tel. +49 30 2020-5800 E-Mail: k.wiener@gdv.de Redaktionsschluss: 01.10.2019 Bestellungen: volkswirtschaft@gdv.de Bildnachweis: Titel: Adobe Stock / © Pauli N. ISSN-Nr. 2191-302 Disclaimer Dieser Service ist für Sie kostenlos. Die Analyse stellt eine allgemeine, unverbindliche Information dar. Die Inhalte wurden mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt. Gleichwohl besteht keine Gewährleistung auf Vollständigkeit, Richtigkeit, Aktualität oder Angemessenheit der darin enthaltenen Angaben oder Einschätzungen. Eine Verwen- dung liegt in der eigenen Verantwortung des Lesers. Kosten und Nutzen der Regulierung
Inhalt 03 Inhalt Executive Summary 04 1 Motivation 06 1.1 Smarte Regulierung – Grundlage für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung 06 1.2 Das Kosten-Nutzen-Modell: Wie viel Regulierung ist effizient? 08 2.1 Eine Formel für effiziente Regulierungspolitik 11 2 Auswirkungen der Regulierung auf die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit 11 2.2 Die unterschiedlichen Wirkungskanäle einer Regulierungspolitik 13 2.3 Das regulatorische Umfeld in der gesamtwirtschaftlichen Perspektive 15 2.4 Wachstumseffekte der Regulierung: eine empirische Betrachtung 18 2.5 Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur 21 2.6 Vertrauen schaffen durch Regulierung? 22 2.7 Wie viel Sicherheit kann bzw. sollte Regulierung gewährleisten? 23 2.8 Regulatorische Risiken begrenzen! 23 3.1 Warum ist Versicherungsregulierung wichtig? 25 3 Der Blick in die Versicherungswirtschaft 25 3.2 Wichtige Bereiche der Versicherungsaufsicht 28 3.3 Auswirkungen der Versicherungsregulierung auf Wirtschaft und Gesellschaft 30 3.4 Herausforderungen der Versicherungsaufsicht 31 3.5 Verbesserungspotenziale im Regulierungsrahmen 32 3.6 Fallbeispiel Solvency II 34 3.7 Fallbeispiel Kapitalanlage der Versicherer 36 3.8 Fallbeispiel neue Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD 42 3.9 Fallbeispiel Produktinformationsblätter 43 3.10 Fallbeispiel Regulierung der Versicherungs-IT 46 3.11 Fallbeispiel Geldwäscheprävention 49 3.12 Fallbeispiel Riester-Rente 50 4 Anhang 55 Kosten und Nutzen der Regulierung
04 Summary Executive Summary Stehen Kosten und Nutzen der Regulierung noch in einem angemessenen Verhältnis zueinander? E ine wesentliche Voraussetzung für könnten. Ein ökonomisches Modell erklärt Wirtschaftswachstum und Wohlfahrts- zudem, warum die Grenzkosten der Regulie- steigerungen in einer Volkswirtschaft rung in der Regel zunehmen, währenddessen bildet ein gut ausgestalteter ordnungspoliti- der Grenznutzen der Regulierung abnimmt. scher Rahmen. Dazu gehören der Schutz von Im Rahmen einer Meta-Analyse stellt sich he- Eigentumsrechten, Regeln für einen fairen raus, dass zu hohe Regulierungsintensität mit Wettbewerb und grundlegende Verbraucher- Innovationsbarrieren, Investitionshürden und schutzstandards. Gleichzeitig schränkt eine einer Verringerung von Wirtschaftswachstum zu intensive Regulierung die wichtigen Steu- verbunden ist. erungsfunktionen eines wettbewerblichen Im zweiten Teil wendet sich die Studie Marktes ein. Kommt es zu einem Nebenein- den Herausforderungen zu, die sich im ge- ander vieler unterschiedlicher regulatorischer genwärtigen regulatorischen Umfeld für die Auflagen, erhöht sich ferner die Gefahr von Versicherungswirtschaft ergeben. Es wird her- Doppelungen, Überschneidungen oder gar vorgehoben, dass ein stabiler regulatorischer Inkonsistenzen im regulatorischen System. Ordnungsrahmen und eine funktionierende Kurz gesagt – Regulierungspolitik steht in Rechts- und Finanzaufsicht eine Basis bieten, einem permanenten Spannungsverhält- auf der Versicherer zuverlässigen und attrak- nis zwischen Kosten und Nutzen, wenn es tiven Versicherungsschutz leisten können. um die konkrete Ausgestaltung des Regel- Der Schlüssel zu einer wohlfahrtsfördernden werks geht. Regulierung liegt in der Erfüllung von fünf Seit der Finanzkrise war weltweit, aber Grundsätzen: Planbarkeit, Prinzipienba- besonders auch in Europa und Deutschland sierung, Proportionalität, Innovations- eine regelrechte Regulierungswelle in vielen freundlichkeit und Evidenzbasierung. Bereichen der Wirtschaft zu beobachten. Von Fallbeispiele aus der Versicherungsregu- den Regulierungsreformen ist besonders die lierung zu Solvency II, der Versicherungs- Versicherungswirtschaft betroffen – und dies, vertriebsrichtlinie IDD, zu den Produktin- obwohl sie aufgrund ihrer hohen volkswirt- formationsblättern, der Riester-Rente und schaftlichen Bedeutung und des besonderen einigen mehr zeigen1, dass die fünf Grund- Charakters von Versicherungsprodukten seit sätze in vielen Bereichen nicht umfänglich jeher zu den am stärksten regulierten Bran- befolgt werden und daher schwerwiegende chen gehört. Immer häufiger stellt sich in Reibungsverluste im regulatorischen System den Unternehmen und bei den Verbrauchern entstehen. Diese verursachen nicht nur Kos- allerdings die Frage, ob das regulatorische ten in den Unternehmen, sondern wirken sich Pendel mittlerweile zu weit ausschlägt und über unterschiedliche Wirkungskanäle auch die Kosten der Regulierung damit nicht mehr auf zahlreiche Bereiche von Wirtschaft und in angemessenem Verhältnis zum Nutzen Gesellschaft wohlfahrtsmindernd aus. Für stehen. die Versicherungswirtschaft, der eine zent- Diese Fragestellung greift die vorliegende rale Enabler-Funktion in der Volkswirtschaft Studie auf. Im ersten Teil der Studie richtet sich der Blick zunächst auf die gesamtwirtschaftli- 1 Die hier aufgestellten Fallbeispiele stammen aus chen Effekte der Regulierung. Eine empirische verschiedenen Fachabteilungen des GDV. Sie wurden in Untersuchung verdeutlicht, dass mit einer einer eigens für die Zwecke dieser Studie aufgestellten Projektgruppe erarbeitet und diskutiert. Den Teilnehmern Verbesserung des regulatorischen Um- der Projektgruppe sei an dieser Stelle für die engagierte felds in Deutschland signifikante zusätz- Arbeit und die jeweiligen Textbeiträge ausdrücklich liche Wachstumskräfte freigesetzt werden gedankt. Kosten und Nutzen der Regulierung
Summary 05 zukommt, trifft das insbesondere zu. Die Evidenzbasierung in der Regulierungspolitik Verringerung von Reibungsverlusten in kann dazu beitragen, dass relevante Sachver- der Finanzmarktregulierung sollte einen halte zu regulatorischen Anpassungen führen hohen wirtschaftspolitischen Stellenwert und ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhält- einnehmen. nis verhindert wird. Zudem sollten gleiche Re- Um mehr Effektivität und Effizienz im re- geln für gleiches Geschäft bzw. gleiche Risiken gulatorischen System zu erreichen, so stellt die gelten. Denn Regulierung sollte faire Wettbe- Studie klar, geht es nicht um die Streichung werbsbedingungen sicherstellen – innerhalb von regulatorischen Auflagen nach der Rasen- der Versicherungsmärkte aber auch in Bezug mäher-Methode, sondern vielmehr darum, die zu anderen Branchen. richtigen Prioritäten in der Regulierungs- Insgesamt kommt die Studie zu dem Er- politik zu setzen. Eine Anleitung zur Hebung gebnis, dass gute Regulierung ein unverzicht- von Effizienzsteigerungspotenzialen im Re- barer Bestandteil einer gut funktionierenden gulierungsrahmen bieten die goldenen drei R Marktwirtschaft ist. Sind Eigentumsrechte „retain, repeal, replace“ bzw. bewahren, auf- oder Wettbewerbsregeln unzureichend defi- heben, ersetzen. niert, werden die Potenziale einer Volkswirt- →→ Bewahren: Umsetzungsspielräume für schaft nicht gehoben. Ebenso behindert aber Unternehmen ein Zuviel an Regulierung das Wachstum, und Abgestimmt auf die individuelle Situation der zwar sowohl auf gesamtwirtschaftlicher Ebene Unternehmen sollten im Regulierungsrahmen als auch auf Ebene der Unternehmen. Die hier- möglichst große Umsetzungsspielräume be- mit verbundenen Wohlfahrtsverluste addieren stehen. Die Regulierung der Marktteilnehmer sich über die Zeit und werden damit beträcht- sollte sich daher an Prinzipien orientieren und lich. Sie werden aber weitaus weniger deutlich auf detaillierte Vorgaben möglichst verzichten. wahrgenommen als tiefe Rezessionen. Um innovativ sein zu können, benötigen Un- Im Umfeld eines seit fast einer De- ternehmen einen flexiblen Handlungsspiel- kade andauernden wirtschaftlichen Auf- raum – dazu gehört auch die Möglichkeit Ri- schwungs mag die Debatte um Wachs- siken einzugehen und ohne große Einschrän- tumseinbußen vielen Beobachtern nachran- kungen die beste Technologie, bzw. Methode gig erschienen sein. Dies dürfte sich aber – zu wählen. wie sich bereits am aktuellen Rand andeutet →→ Aufheben: Redundanzen, Komplexität – ändern, wenn das von extremen Niedrig- und Planungsunsicherheit zinsen und Aufholprozessen geprägte Nach- Die Nebenwirkungen einer immer intensi- krisenwachstum wieder zu geringeren Wachs- veren Regulierung sind Doppelungen von tumsraten führt und dabei die strukturellen Auflagen und erhöhte Komplexität. Eine kom- Defizite der Wirtschaft des Euroraums wieder plexe Regulierung kann selbst Quelle von sys- deutlich zutage treten . temischen Risiken sein, wie der Wissenschaft- Den „Optimalpunkt“ der Regulierung zu liche Beirat des European Systemic Risk Board2 bestimmen ist in der Praxis ein nahezu un- erst kürzlich feststellte. Versicherer benötigen mögliches Unterfangen. Zu komplex und zu darüber hinaus Planungssicherheit damit Ver- umfangreich wären die hierfür erforderlichen sicherungsangebote optimal auf Kundenbe- empirischen Analysen, insbesondere auf der dürfnisse ausgerichtet werden können – Re- Ebene der einzelnen Unternehmen. Gleich- gulierungspolitik sollte dies unterstützen. wohl muss es im Interesse von Wohlstand →→ Ersetzen: Maßnahmen bei denen Kosten und Wachstum für eine Gesellschaft immer nicht im Verhältnis zum Nutzen stehen darum gehen, diesem Optimalpunkt so nahe Kosten und Zielerfüllungsgrad neuer Regulie- wie möglich zu kommen. Mit der hier vorlie- rung ist ex ante nur schwer abschätzbar. Mehr genden Studie möchten wir nach zehn Jahren Regulierung genau hierfür werben. 2 Vgl. Gaiet et al. (2019). Kosten und Nutzen der Regulierung
06 Motivation 1 Motivation So viel wie nötig, so wenig wie möglich – damit staatliche Regulierung die Steuerungskraft der Marktwirtschaft nicht abwürgt. 1.1 Smarte Regulierung – Die vorliegende Studie analysiert Kosten Grundlage für eine nach- und Nutzen der Regulierung aus ökonomi- scher Sicht. Dabei steht die Frage im Raum, haltige wirtschaftliche wieviel Markt bzw. wie viel staatliche Markt- Entwicklung eingriffe in einer Volkswirtschaft sinnvoll sind. Die Untersuchung erfolgt dabei im We- Steht der volkswirtschaftliche Nutzen der Re- sentlichen in zwei Teilen. gulierung in einem angemessenen Verhältnis Im ersten Teil der Studie richtet sich der zu den Regulierungskosten, die aufseiten der Blick zunächst auf die gesamtwirtschaftlichen Unternehmen, privaten Haushalte und Behör- Effekte der Regulierung. In einem ökonomi- den anfallen? Nachdem in den letzten Jahren schen Modell wird das grundlegende Span- in Deutschland und anderen europäischen nungsverhältnis zwischen Kosten und Nutzen Staaten eine regelrechte Regulierungswelle der Regulierung analysiert. Das Modell zeigt, im Bereich der Finanzwirtschaft zu beobach- dass ein gut ausgestalteter ordnungspoliti- ten war, in der mit hohem Tempo viele grund- scher Rahmen in einer Marktwirtschaft die legende Regulierungsreformen auf den Weg Basis für Wirtschaftswachstum und Wohl- gebracht worden sind, stellt sich diese Frage fahrtsteigerungen ist. Gleichwohl wird deut- in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft im- lich, dass eine allzu intensive Feinsteuerung mer häufiger. in der Regulierung die Wirtschaft an emp- Regulierung steht Besonders betroffen von der jüngsten Re- findlichen Stellen einschränkt. So entstehen im Spannungs- gulierungswelle ist auch die Versicherungs- Hürden für betriebliche Investitionen und verhältnis zwi- wirtschaft. Sie gehört aufgrund ihrer hohen Innovationen, die sich letztendlich auch auf schen Steuerung volkswirtschaftlichen Bedeutung und des be- die soziale Wohlfahrt dämpfend auswirken. durch die Me- sonderen Charakters von Versicherungspro- Bei einer hohen Regulierungsdichte kommt chanismen einer dukten bereits seit jeher zu den am stärksten es außerdem zu einem Nebeneinander von Marktwirtschaft regulierten Branchen. Nach der Reform der vielen unterschiedlichen Auflagen – die Ge- und staatlicher europäischen Versicherungsaufsicht durch fahr von Doppelungen, Überschneidungen Kontrolle. Solvency II, dessen Einführung für die Unter- oder gar Inkonsistenzen im regulatorischen nehmen eine erhebliche personelle und finanzi- System erhöht sich entsprechend. Zudem elle Anstrengung bedeutet hat (und immer noch benötigen die Unternehmen bei hoher Regu- bedeutet), wurden kürzlich das neue Vertriebs- lierungsintensität mehr Ressourcen, um die regulierungsregime IDD und die europäische regulatorischen Vorgaben zu erfüllen. Damit Datenschutzgrundverordnung eingeführt. Mit sind Geschäftsmöglichkeiten und Geschäfts- der Evaluierung von Solvency II zeichnet sich modelle zunehmend regulierungsgeprägt. in einigen Bereichen weitere Verschärfungen Eine quantitative Untersuchung liefert ent- der Versicherungsaufsicht ab. Eine stärkere sprechende Evidenz für einen dämpfenden Beachtung des Proportionalitätsprinzips oder Einfluss einer hohen Regulierungsdichte auf auch ein dringend gebotener Bürokratieabbau das Wirtschaftswachstum. scheinen dagegen nur sehr eingeschränkt Ge- Deutschland ist im internationalen Ver- genstand der Überlegungen zu sein. Zahlrei- gleich relativ intensiv reguliert, verfügt aber che weitere Maßnahmen werden diskutiert, gleichzeitig über einen relativ stabilen markt- so z. B. eine Algorithmus-Regulierung oder wirtschaftlichen Ordnungsrahmen. Um die neue makroprudenzielle Instrumente für den negativen Wachstumseffekte der Regulierung Versicherungsbereich. zu begrenzen, wäre eine Streichung von Auf- Kosten und Nutzen der Regulierung
Motivation 07 lagen nach der Rasenmäher-Methode daher verluste in den Versicherungsunternehmen, nicht zielführend. Es geht vielmehr darum, sie strahlen auch über unterschiedliche Wir- die richtigen Prioritäten in der Regulierungs- kungskanäle auf zahlreiche andere Bereiche politik zu setzen und mehr Effektivität und der Wirtschaft aus. Grund hierfür ist die Effizienz anzustreben. Die goldenen drei R „re- zentrale Rolle, die die Versicherer in der ge- tain, repeal, replace“ oder anders ausgedrückt die samtwirtschaftlichen Wertschöpfungskette drei Fragen „Was brauchen wir? Was brauchen wir einnehmen. Denn Versicherer, die Risiken be- weniger? Was brauchen wir anders?“ können hier werten/quantifizieren und übernehmen, wir- als Grundlage dienen. Im Wesentlichen liegt ken als Enabler im Wirtschaftskreislauf. Durch der Schlüssel zu einer wohlfahrtsfördernden den Versicherungsschutz werden viele wirt- Regulierung in der Erfüllung einer Reihe von schaftliche Aktivitäten erst möglich. Auch mit Grundsätzen: Planbarkeit, Prinzipienbasie- ihren langfristigen Kapitalanlagen trägt die rung, Proportionalität, Innovationsfreund- Versicherungswirtschaft zum nachhaltigen lichkeit und Evidenzbasierung. Wirtschaftswachstum bei. In einer Welt, in Im zweiten Teil wendet sich die Studie den der die Risikolandschaft immer vielschichtiger Herausforderungen zu, die sich im gegenwär- wird – man denke hier an die Ungewissheit tigen regulatorischen Umfeld speziell für die über die wirtschaftliche Zukunft, die sich aus Versicherungswirtschaft ergeben. Ein stabiler Handelskonflikten sowie dem Brexit ergibt regulatorischer Ordnungsrahmen, eine ange- oder die Risiken durch den Klimawandel und messene Regulierung der Versicherungswirt- eine fortschreitende Digitalisierung – wird schaft bzw. eine funktionierende Rechts- und die Bedeutung dieser Enabler-Funktion eher Finanzaufsicht bieten einen Rahmen, in dem größer als kleiner. Ein breiter Versi- Versicherer zuverlässigen und attraktiven Ver- Durch ein hinreichendes Angebot an Versi- cherungsschutz sicherungsschutz anbieten können. Die Schaf- cherungsdienstleistungen können volkswirt- ist eine wichtige fung eines solchen Ordnungsrahmens ist aber schaftliche Ressourcen effizienter eingesetzt Determinante für mit großen Herausforderungen verbunden. werden. Sowohl im Zeitverlauf als auch im Län- Wirtschaftswachs- Für den Regulierungsrahmen der Versiche- derdurchschnitt ist tendenziell bei Zunahme tum. rungswirtschaft gilt dies in ganz besonderem von Versicherungsschutz für Unternehmen Maße. Hier sei nur kurz auf die sozialpoliti- und Privatpersonen mit einem stärkeren sche Bedeutung eines zuverlässigen Versiche- Wirtschaftswachstum zu rechnen.3 Voraus- rungsschutzes für die privaten Haushalte, die setzung dafür ist, dass die Regulierung nicht wichtige Rolle der Versicherer in der Bereit- zu restriktiv oder innovationsfeindlich wirkt stellung von Kapital oder ganz allgemein die und sich das Angebot in Versicherungsmärk- hohe Komplexität der zu regulierenden Sach- ten hinreichend entfalten kann. Eine smarte verhalte verwiesen. Regulierung in der Versicherungswirtschaft Ausgewählte Fallbeispiele aus unter- hat somit eine hohe wirtschaftspolitische Re- schiedlichen Bereichen der Versicherungs- levanz. In Bezug auf die eingangs erwähnten praxis, die in der Studie vorgestellt werden, drei goldenen R „retain, repeal, replace“ lässt zeigen Verbesserungsnotwendigkeiten im sich daraus Folgendes ableiten: Regulierungsrahmen der Versicherungswirt- schaft auf. Diese werden unter anderem bei →→ Retain: Die deutschen Versicherer haben Solvency II, in der Kapitalanlage der Versi- umfangreiche Anpassungen (z. B. Investitio- cherer, beim neuen Vertriebsaufsichtsregime nen in IT-Systeme, Implementierung neuer IDD und bei der Regulierung der IT-Systeme Management-Prozesse) vorgenommen, um herausgearbeitet. Dabei zeigen sich wieder- eine effektive und effiziente Compliance des kehrende Problemfelder, wie etwa die man- komplexen Regulierungsrahmens sicherzu- gelnde Proportionalität, Ineffizienzen durch stellen. Das regulatorische Umfeld sollte sich Doppelstrukturen oder Kostenschätzungen, möglichst nicht in einem ständigen Wandel die die Belastungen für die Unternehmen un- befinden. Denn Unsicherheiten über die zu- vollständig abbilden. künftige Ausgestaltung des Aufsichtsrahmens Fehlstellungen in der Versicherungsre- gulierung verursachen nicht nur Reibungs- 3 Vgl. Outreville (2012). Kosten und Nutzen der Regulierung
08 Motivation steigern die Kosten der Regulierung in den Un- 1.2 Das Kosten-Nutzen- ternehmen erheblich. Modell: Wie viel Regulierung →→ Repeal: Durch die wachsende Dichte an ist effizient? Auflagen und Berichtspflichten sind an eini- gen Stellen in der Versicherungsregulierung Wie kann Wirtschaftswachstum gefördert Redundanzen und Doppelungen entstanden. werden – durch mehr staatliche Intervention Eine Aufhebung von Auflagen ist aus Kos- in Märkte oder durch den Abbau von staatli- ten-Nutzen-Gesichtspunkten in diesen Fäl- chen Restriktionen und „mehr Markt“? Diese Drei Fragen len geboten. Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. sollten in der Denn ob sich zusätzliche regulatorische Auf- Regulierungspoli- →→ Replace: In der komplexen Versicherungs- lagen positiv oder dämpfend auf die Wert- tik immer wieder regulierung sind die Auswirkungen einer re- schöpfung in einer Volkswirtschaft auswirken, gestellt werden: gulatorischen Auflage im Vorfeld meist nicht hängt davon ab, in welchem Umfang regula- Was brauchen genau abschätzbar. Die tatsächlichen Belas- torische Maßnahmen bereits bestehen und wir? Was brau- tungen der Regulierung für Marktteilnehmer wie effektiv und effizient diese Regulierung chen wir weniger? und der Zielerfüllungsgrad stehen nämlich erfolgt. Es stellen sich also stets zwei Fragen: Was brauchen wir im Vorfeld nicht fest. Nur ein strukturierter Werden die Regulierungsziele durch die re- anders? Evaluierungsprozess kann eine fortwährende gulatorischen Maßnahmen tatsächlich er- Verbesserung der Regelwerke sicherstellen. reicht? Erfolgt die Regulierung mit möglichst Das bedeutet, dass Regulierungsvorhaben in geringen Belastungen für die Unternehmen gewissen Zeitabständen einer konsequenten und im Interersse der Verbraucher mit mög- Überprüfung unterliegen sollten und dabei lichst geringen Marktverzerrungen? Um den Maßnahmen mit ungünstigem Kosten-Nut- grundlegenden Zusammenhang zwischen Re- zen-Verhältnis rasch geändert werden. gulierungspolitik und Wirtschaftswachstum zu verdeutlichen, wird ein kleines ökonomi- sches Modell betrachtet. Viel hilft nicht immer viel Abbildung 1: Schematische Darstellung des Kosten-Nutzen-Modells 1 a) A nachhaltiges B C Wirtschafts- wachstum Regulierungsdichte Kosten der 1 b) Regulierung C' Nutzen der Kosten/Nutzen A' Regulierung B' C'' A'' B'' Regulierungsdichte Quelle: GDV Kosten und Nutzen der Regulierung
Motivation 09 Abbildung 1 zeigt die grundlegende Be- rung staatlicher Markteingriffe eher dämp- ziehung zwischen Wirtschaftswachstum fend als förderlich auf das Wachstumspoten- einer Volkswirtschaft und der Dichte an re- zial einer Volkswirtschaft auswirkt. Punkt A gulatorischen Auflagen. Hier wird deutlich, in Abbildung 1 a) veranschaulicht die optimale dass sich eine Politik der Extreme, mit sehr Regulierungspolitik, bei der sich Grenznutzen hoher oder sehr niedriger Regulierungsin- und Grenzkosten entsprechen. Rechts vom tensität, tendenziell dämpfend auf das Wirt- Gipfel in Abbildung 1 a) ist die Regulierungs- schaftswachstum auswirkt. Unterregulierung intensität jedoch ineffizient hoch. Bewegt man entsteht z. B., wenn Eigentumsrechte, Wett- sich in der Grafik von links nach rechts, gewin- bewerbsregeln und grundlegende Verbrau- nen die Kosten der Regulierung im Verhältnis cherschutzstandards unzureichend definiert zum Nutzen immer mehr an Gewicht. Ist die sind. Denn ihre Existenz ist eine wichtige Regulierungsintensität ineffizient hoch, ent- Voraussetzung für wachsenden Wohlstand falten zusätzliche staatliche Eingriffe nicht in einer Marktwirtschaft. Werden hingegen mehr die nötigen Wachstumseffekte, um die wichtige Steuerungsfunktionen in Märkten steigenden Belastungen für Unternehmen und übermäßig begrenzt, kann der Wettbewerb Verbraucher zu rechtfertigen. nicht mehr als Entdeckungsverfahren für die Dazu ein Beispiel, welches den europä- Lösungen im Sinne der Bürgerinnen und Bür- ischen Telekommunikationsmarkt in den ger wirken – verzerrte Investitions- und Inno- 1990er Jahren betrifft: Im Januar 1998 wurde vationsanreize und schließlich ein geringeres der Telefonmarkt in Deutschland liberalisiert, Wirtschaftswachstum sind die Folge. In einem was einen drastischen Verfall der Preise für solchen Fall spricht man von einer überregu- Telefonate zur Folge hatte. Vor der Liberalisie- lierten Wirtschaft. rung kostete z. B. ein Ortsgespräch im Fest- Ist in einem bereits intensiv regulierten netz 8 Pfennige pro Minute. Für innerdeut- Markt ein Ordnungsrahmen definiert, haben sche Ferngespräche fielen bis zu 62,6 Pfen- zusätzliche Auflagen in vielen Fällen eine nige an. Ein Gespräch auf einem Handy kos- feinsteuernde Funktion. In diesem Fall ist tete 1,30 DM und eine Verbindungsminute in die inkrementelle Verbesserung der sozialen die USA gar 3,40 DM. Schon zwei Jahre nach Lehren aus der Wohlfahrt durch die Einführung zusätzlicher der Liberalisierung lagen die Preise um 90 % Vergangenheit: Regulierungsmaßnahmen eher gering. Wie niedriger. Da die Menschen in Reaktion auf Marktliberalisierun- in fast allen ökonomischen Zusammenhän- die deutlich gefallenen Preise wesentlich mehr gen in den 1990er gen gilt also auch in der Regulierungspolitik telefoniert haben, sind die Umsätze für die Te- Jahren haben das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. lefonanbieter unter dem Strich gestiegen. Ins- zum Teil große Auch die Grenzkosten der Regulierung hängen gesamt lässt sich also festhalten, dass die Libe- Wachstumskräfte von der Regulierungsintensität ab. In intensiv ralisierung des Telefonmarktes eine Win-win freigesetzt. regulierten Märkten wird die Gefahr größer, Situation war, indem sowohl die Kunden als dass sich Doppelstrukturen und Widersprüche auch die Anbieter von Telefondienstleistungen im System entwickeln. Darüber hinaus steigt deutlich besser gestellt worden sind. die Komplexität eines Regulierungsrahmens, Auch die Versicherungswirtschaft hat ein wenn die Marktteilnehmer mit einem wach- sehr einschlägiges Beispiel einer produkti- senden Dickicht an regulatorischen Maßnah- ven Marktliberalisierung aufzuweisen: Mit men konfrontiert werden. Im Verhältnis zur der Einführung des Europäischen Versiche- Regulierungsintensität steigen die Kosten der rungsbinnenmarkts im Jahr 1995 war für zuvor Regulierung daher in der Regel überproporti- hochregulierte Länder wie Deutschland eine onal, wie in Abbildung 1 b) verdeutlicht wird. Deregulierung verbunden, insbesondere im Da die Grenzkosten der Regulierung stetig Bereich der Produkt- und Preisregulierung. zunehmen und der entsprechende Grenznut- Die vorher geltende aufsichtsbehördliche zen stetig abnimmt, ist bei der Einführung zu- Vorabgenehmigungspflicht für neue Versi- sätzlicher Regulierungsmaßnahmen Vorsicht cherungsprodukte und Tarife wurde abge- geboten. Denn in bereits intensiv regulierten schafft. Die Folge war eine starke Belebung Volkswirtschaften ist schnell der Punkt er- des Wettbewerbs, verbunden mit einer sub- reicht, bei dem sich eine weitere Intensivie- stanziellen Ausweitung der Produktauswahl Kosten und Nutzen der Regulierung
10 Motivation Steigende Grenzkosten der Regulierung: Eins plus Eins ist manchmal größer als Zwei Wenn neue Regulierungen in Kraft treten, für das Wirtschaftswachstum. Das Ergeb- dann beziehen sich die Folgeabschätzun- nis der Studie untermauert eine zentrale gen der Ministerien, Regulierungsbehörden Annahme des in Abbildung 1 dargestellten und des Normenkontrollrates häufig nur ökonomischen Modells. Die Grenzkosten auf die Vorteile und Compliance-Kosten der Regulierung steigen mit zunehmender der zusätzlich eingeführten Auflagen. Aber Regulierungsintensität. insbesondere auf der Kostenseite lassen Aus dem Ergebnis der Studie folgt eine sich die Auswirkungen einzelner Auflagen Politikimplikation: Politische Entscheidungs- nicht einfach aufaddieren, wie eine neuere träger sollten im Rahmen einer Politikfolge- Studie von Coffey, McLaughlin und Peretto abschätzung nicht nur den isolierten Effekt (2016) zeigt. In ihrem Artikel analysieren die neu implementierter Vorschriften berück- Wissenschaftler anhand eines endogenen sichtigen. Vielmehr muss der Effekt einer Wachstumsmodells die Auswirkungen von verschärfenden Regulierung im Gesamtsys- kumulierten Regulierungsbelastungen. Eine tem beleuchtet werden. Nur so kann man wichtige Erkenntnis der Studie besteht da- ergründen, an welcher Stelle auf der Kosten- rin, dass der Einfluss staatlicher Interventio- kurve man eine bestimmte Regulierungspo- nen auf das Wirtschaftswachstum höher ist litik verorten kann. Wie kann die Politik die als die Summe der Kosten, die sich bei einer Herausforderung meistern, die kumulierten statischen und isolierten Folgeabschätzung Kosten der Regulierung stets auf einem ergeben würde. Denn durch Regulierung maßvollen Niveau zu halten? Zwei Konzepte werden Anreize für private Investitions- und können diesbezüglich in der Regulierungs- Innovationstätigkeiten verzerrt. Aufgrund praxis effektive Unterstützung leisten – die der wichtigen Rolle, die Innovation und Aufstellung eines regulatorischen Haushalts Produktivitätswachstum in einer Volks- (regulatory budget) und die Einführung einer wirtschaft spielen, haben die Verzerrungen, One-in-(at least)-one-out Regel. Beide Kon- die von den kumulierten Belastungen der zepte werden in Abschnitt 2 diskutiert. Regulierung ausgehen, spürbare Folgen für die Kunden und attraktiveren Prämien nem wahren Regulierungstsunami konfron- bzw. einem besseren Zugang zu Versiche- tiert worden. Im Hinblick auf das Ergebnis des rungsprodukten. Besonders deutlich zeigten oben gezeigten Modells stellt sich die Frage, sich die Wohlfahrtsgewinne für die Kunden ob in den betroffenen Bereichen der Wirt- im Kfz-Versicherungsmarkt. Dort führte der schaft die Grenzkosten der Regulierung den intensive Preiswettbewerb dazu, dass die Grenznutzen übersteigen. Im Kapitel 3 wer- Prämieneinnahmen der deutschen Kfz-Versi- den zahlreiche Fallbeispiele aus der Versiche- cherer in den Jahren 1996 bis 1999 rückläufig rungswirtschaft aufgezeigt, die diese Vermu- waren – selbst in nominaler Betrachtung.4 Da- tung stützen. rüber hinaus ist in den vergangenen zwanzig Jahren die Produktauswahl in der Kfz-Versi- cherung merklich gestiegen. Seit der Finanzkrise ist der Finanzsektor, darunter die Versicherungswirtschaft, mit ei- 4 Die positiven Auswirkungen der Liberalisierung des deutschen Kfz-Versicherungsmarkts wurden in einer Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen festgestellt, s. z. B. Wein (2001). Kosten und Nutzen der Regulierung
Regulierung und volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit 11 2 Auswirkungen der Regulierung auf die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit Der wirtschaftliche Erfolg eines Landes hängt maßgeblich davon ab, wie reguliert wird. 2.1 Eine Formel für effiziente thematisch anspruchsvollen Funktionsweise Regulierungspolitik von Lebensversicherungen verstehen, denn sie können sich auf staatlich garantierte Qua- litäts- und Sicherheitsstandards verlassen. Generell sind kompetitive Märkte der beste Wie kann sichergestellt werden, dass Re- Weg, um eine wohlfahrtsmaximierende Al- gulierung einerseits einen funktionierenden lokation von Produktionsfaktoren in einer Ordnungsrahmen für die Volkswirtschaft zu erreichen. Damit sich die Volkswirtschaft schafft, Abbildung 2: unsichtbare Hand im Marktmechanismus je- aber gleichzeitig möglichst doch entfalten kann, bedarf es eines stabilen wenige Verzerrungen ver- Die zentralen ordnungs Ordnungsrahmens. So müssen insbesondere ursacht? Im Folgenden politischen Aufgaben des Staates die Eigentumsrechte der Marktteilnehmer und werden Leitlinien formu- die Regeln für einen fairen Wettbewerb defi- liert, deren Einhaltung niert werden. Wenn dieser Ordnungsrahmen eine smarte Regulierungs- Vertragsfreiheit und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Regu- politik sicherstellen sollte: Haftung gewährleisten lierung und Entscheidungsfreiheit sicherstellt, besteht kein Widerspruch zwischen der indi- Eigentumsrechte viduellen Nutzen- und Gewinnmaximierung Proportionalität garantieren der einzelnen Marktteilnehmer und der Ma- „Gleiches Geschäft und glei- ximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt. che Risiken erfordern glei- Durch die Festlegung von Produktstan- che Regeln.“ So sollte der fairen Wettbewerb dards und Normen wird technologische Grundsatz einer aktivi- ermöglichen Kompatibilität erhöht und damit der Handel täts- und risikobasierten von Gütern und Dienstleistungen erleichtert. Regulierung lauten, um soziale Sicherheit Man denke beispielswiese an die ökonomi- faire Ausgangsbedingun- stiften schen Vorteile, die ein einheitlicher Standard gen im Wettbewerb für für Ladekabel von Mobiltelefonen mit sich alle Anbieter sicherzu- makroökonomische bringt. Ist die Qualität eines Gutes für den stellen (Level Playing Field). Stabilität bewahren Verbraucher nicht direkt ersichtlich, dann Im Umkehrschluss sollte kann eine Regulierung außerdem eine wich- einem unterschiedlichen Quelle: GDV tige Zertifizierungsfunktion übernehmen. In Geschäfts- und Risikopro- Deutschland und den meisten anderen Indus- fil durch eine Proportiona- triestaaten kann man beispielsweise mit ei- lität in der Regulierung und Aufsicht Rech- nem guten Gewissen in ein Linienflugzeug nung getragen werden. Insbesondere bei klei- steigen oder eine Lebensversicherung ab- neren und mittelgroßen Marktteilnehmern schließen. Die Konsumenten müssen nicht besteht die Gefahr, dass die Kosten der Regu- alle Details der Luftfahrttechnik oder der ma- lierung im Verhältnis zum Geschäftsvolumen Kosten und Nutzen der Regulierung
12 Regulierung und volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit ausufern, wenn der Gedanke der Proportiona- and solvency assessment). Gleichzeitig zeigt sich lität nicht konsequent in die Praxis umgesetzt derzeit aber auch wieder eine Tendenz, sehr wird. Doch in der Regulierungspraxis besteht detaillierte Regeln vorzugeben, etwa bei den diesbezüglich noch Verbesserungsbedarf. So Anforderungen an ein Outsourcing von Teilen zeigt beispielsweise eine kürzlich erschienene der Wertschöpfungskette oder bei der Regulie- Studie der Universität St. Gallen5, dass die rung der IT-Sicherheit (vgl. Kapitel 3). Lasten der Regulierung bei Versicherungsun- ternehmen im deutschsprachigen Raum nicht immer in Proportion zum Geschäfts- und Ri- Planbarkeit Ein gesamtheit- sikoprofil stehen – mehr dazu im Kapitel 3. Unternehmen benötigen den nötigen Spiel- licher Ansatz raum und Planbarkeit, um sich auf ihre Kern ist wichtig: Um aufgaben konzentrieren zu können. Das gilt Regulierung Prinzipienbasierung vor allem in einem schwieriger werdenden erfolgreich Die Regulierung der Marktteilnehmer sollte gesamtwirtschaftlichen Umfeld und vor dem ausgestalten zu sich an Prinzipien orientieren und auf de- Hintergrund eines harten internationalen können, müssen taillierte Vorgaben möglichst verzichten. Wettbewerbs. In einem Regulierungsrahmen, viele unterschied- Innerhalb des vorgegebenen Regu- der sich in einem starken Wandel befindet, liche Faktoren lierungsrahmens sollten für sind mittelfristige Geschäftspla- beachtet werden. die Unternehmen Um- nungen und Investitions- setzungsspielräume Propor- entscheidungen für Un- entsprechend ih- tionalität ternehmen nur unter rer jeweiligen erschwerten Bedin- individuellen gungen möglich. Situation be- Abbildung 3: Komplexe Regu- stehen. Dies Prinzipien- lierungsreformen basierung Gute Planbarkeit vermeidet Regulierung: werden in vielen die Effizienz- Auf jedes Glied Fällen als großer verluste einer in der Kette Risikofaktor für zu starren Re- kommt es an! die Geschäfts- gulierung und entwicklung ge- senkt den An- Evidenz- Innovations- sehen – mehr dazu passungsbedarf basierung freundlichkeit im Kapitel 3. Regulie- bei veränderten rungsreformen sollten Gegebenheiten (wie daher transparent und be- Quelle: GDV etwa einer fortschrei- rechenbar sein. Notwendige tenden Digitalisierung). Im zeitliche Vorläufe in der Imple- bestehenden Regelwerk wird zuneh- mentierung sollten beachtet werden. Eine mend ein prinzipienbasierter Ansatz verfolgt. sparsame Einführung neuer Auflagen und die So ist z. B. in der Versicherungsaufsicht mit Vermeidung zu häufiger Veränderungen sind der Einführung von Solvency II (vgl. Kapitel in jedem Fall geboten. 3.6) der Wechsel von einem regelbasierten auf ein prinzipienbasiertes Aufsichtssystem erfolgt. Statt starrer Vorgaben gelten nun An- Innovationsfreundlichkeit lagegrundsätze. So wird in Säule 1 Anlage- Um innovativ sein zu können, benötigen freiheit in dem Maße gewährt, wie das Un- Unternehmen einen flexiblen Handlungs- ternehmen über Eigenmittel verfügt. Und in spielraum und die Möglichkeit, Risiken ein- Säule 2 wird dem Unternehmen überlassen, zugehen. Wichtig ist es daher, dass bei der wie es im Einklang mit dem Prinzip des vor- Beurteilung von Regulierungsmaßnahmen sichtigen Kaufmannes (Prudent Person Princi- mögliche negative Auswirkungen auf die In- ple) seine Solvenz-Position beurteilt (Own risk novationskraft der Unternehmen immer mit- bedacht werden. Gefordert ist z. B. die Techno- 5 Vgl. Eling und Kilgus (2014). logieneutralität der regulatorischen Vorgaben, Kosten und Nutzen der Regulierung
Regulierung und volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit 13 Unterschiedliche Arten von Kosten und Nutzen Abbildung 4: Klassifizierung der Kosten und Nutzen der Regulierung Nutzen der Regulierung Kosten der Regulierung Wettbewerb garantieren Befolgungskosten Eigentumsrechte Hassle costs makroökonomische Stabilität Verwaltungs- u. Aufsichtskosten Verbraucherschutz Zusatzlasten Quelle: GDV die heute noch nicht überall gegeben ist. So sicherungswirtschaft wird dies anhand einer stehen derzeit in vielen Bereichen etwa noch Reihe von Fallbeispielen in Kapitel 3 veran- bestehende Papieranforderungen voll digita- schaulicht. Um in einem hoch komplexen Um- len Geschäftsmodellen entgegen. Ein Beispiel feld möglichst gute Regulierungsentscheidun- sind hier entsprechende Vorgaben in der Eu- gen zu gewährleisten, sind hohe Standards der ropäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie Rechtsetzung und der „regulatorischen Go- (vgl. Abschnitt 3.8). vernance“ unverzichtbar. Die derzeitigen Be- strebungen in Politik und Verwaltung um Ver- besserungen in der Rechtsetzung sind daher Evidenzbasierung zu begrüßen. Zentral ist beispielsweise, dass In einer komplexen Wirtschaft sind die Aus- umfassende und transparente Folgeabschät- wirkungen einer regulatorischen Auflage im zungen zur Regel werden und alle betroffenen Vorfeld meist nicht genau abschätzbar. Die tat- Stakeholder frühzeitig in den Reformprozess sächlichen Belastungen der Regulierung für einbezogen werden. Regelmäßige Ex-Post-Eva- Evidenzbasierte Re- Marktteilnehmer und der Zielerfüllungsgrad luierungen sind ein wichtiges Mittel, um Fehl- gulierung erfordert stellen sich meist erst im Nachhinein heraus. entwicklungen schnell erkennen und korrigie- den politischen Mut, Daher ist es wichtig, dass Regulierungsvor- ren zu können. solche Maßnahmen haben in gewissen Zeitabständen einer kon- wieder abzuschaf- sequenten Überprüfung unterliegen und fen, die keinen an- Maßnahmen mit ungünstigem Kosten-Nut- gemessenen Beitrag zen-Verhältnis rasch wieder aufgehoben bzw. 2.2 Die unterschiedlichen zu Wohlfahrt leisten. geändert werden. Nur ein strukturierter Eva- Wirkungskanäle einer luierungsprozess kann eine fortwährende Ver- besserung in den Regelwerken sicherstellen. Regulierungspolitik Claudia Buch, Vizepräsidentin der Bundes- bank: „Das Ergebnis einer strukturierten Bewertung Eine Regulierungspolitik wirkt in der Regel der Reformen kann sein, dass Bedarf für Änderungen über unterschiedliche Kanäle. In Abbildung angezeigt wird.“6 4 werden die entsprechenden Wirkungska- Schon die Schwäche eines einzelnen Ele- näle einer Regulierung nach Kosten- und Nut- ments in der Kette der oben genannten Leit- zen-Positionen dargestellt. linien kann die Leistungsfähigkeit eines Re- Der Nutzen einer Regulierungsmaß- gulierungsrahmens spürbar verringern bzw. nahme ergibt sich aus dem Grad der Erfül- hohe Kosten für die Volkswirtschaft verursa- lung der regulierungspolitischen Ziele. Hierbei chen. Bei der Ausgestaltung einer optimalen kann es sich beispielsweise um die Korrektur Regulierung kommt es daher auf jedes Glied von Externalitäten handeln, die Verbesserung in der Kette an (siehe Abbildung 3). Für die Ver- des Informationsstands für Endverbraucher oder die Sicherstellung eines fairen Wettbe- 6 Handelsblatt 14. März 2018. werbs in den Märkten. Darüber hinaus sind Kosten und Nutzen der Regulierung
14 Regulierung und volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit Befolgungskosten betreffen viele Unternehmensbereiche Abbildung 5: Klassifizierung der Befolgungskosten € Projektmanagementkosten Personalschulungskosten € € Kosten für Data Processing Rechtskosten € € IT-Entwicklungskosten Beratungskosten € € Kosten für Personal Recruitment Auditkosten € € Kosten für IT-Support Quelle: ICF Consulting, Centre for European Policy Studies, Ausschnitt aus dem Fragebogen zur Studie der Befolgungskosten von regulatorischen Meldepflichten im Finanzsektor, November 2018, Darstellung des GDV viele Regulierungsmaßnahmen auch mit ei- und Verzögerungen ergeben und eine zeitrau- nem indirekten Nutzen verbunden, wie z. B. bende Erfüllung von Pflichtaufgaben im Un- Spillover-Effekten im Zusammenhang mit ternehmen thematisch weit entfernt ist vom der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften Kerngeschäft. Eine in 2013 im Auftrag der Eu- durch Dritte (sogenannte „indirekte Compli- ropäischen Kommission durchgeführte Um- ance-Vorteile“) oder kaum quantifizierbaren frage zu den Kosten und Nutzen der Regulie- Vorteilen, wie dem Schutz des sozialen Zusam- rung macht deutlich, dass hassle costs in vielen menhalts in einer Volkswirtschaft oder der Er- Bereichen der Wirtschaft einen merklichen reichung von makroökonomischer Stabilität. Anteil an den Gesamtkosten der Regulierung Betrachtet man die Kostenseite der Regu- haben können.7 lierung, so sind zunächst einmal die Befol- Eine zweite wichtige Kostengruppe sind gungskosten zu nennen, also jene Investiti- die Durchsetzungskosten, die von der staatli- Das Ausmaß von onen und Ausgaben, mit denen die Unterneh- chen Hand getragen werden. Sie beziehen sich Zusatzlasten men und Bürger konfrontiert sind, um den in insbesondere auf die regulierungspolitische der Regulierung einer Rechtsvorschrift enthaltenen Verpflich- Gesetzgebung, Überwachung und Vollstre- wird nicht selten tungen oder Anforderungen nachzukommen. ckung. Durch die steigende Anzahl regulato- unterschätzt. Dabei kann es sich beispielsweise um einen rischer Auflagen, die in den vergangenen zehn erhöhten Personalaufwand oder Investitionen Jahren in Kraft getreten sind, wuchsen auch in bestimmte Betriebsausstattungen handeln, die Durchsetzungskosten in diesem Zeitraum die sich im Zuge der Erfüllung von Compli- in vielen Bereichen spürbar. Dabei handelt es ance-Anforderungen ergeben. In Abbildung 5 sich um Belastungen, die letztendlich von den werden einige Bereiche aufgeführt, in denen Unternehmen, Verbrauchern und Steuerzah- Befolgungskosten in Unternehmen in der Re- lern getragen werden müssen. gel anfallen. Last but not least verursachen regulatori- Die Befolgung von regulatorischen Aufla- sche Auflagen in fast allen Fällen Zusatzlas- gen in den Unternehmen ist zudem mit einer ten (excess burden). Zusatzlasten entstehen Kostenart verbunden, die kaum quantifizier- immer dann, wenn sich durch Regulierung bar ist. Es handelt sich um die sogenannten die relativen Preise zwischen Gütern ändern hassle costs (Kosten einer mühevollen Aus- oder die Verfügbarkeit bzw. Qualität einge- einandersetzung mit regulatorischen Aufla- schränkt wird. Derartige Marktverzerrungen gen).7 Diese entstehen beispielsweise, wenn können einen spürbaren Einfluss auf die ge- sich im behördlichen Austausch Wartezeiten samtwirtschaftliche Wohlfahrt haben, da sie die Funktionsweise des Markts insgesamt 7 Vgl. Renda et al. (2013). einschränken und sich damit auch dynami- Kosten und Nutzen der Regulierung
Regulierung und volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit 15 sche Anreize für Innovation oder Investitio- neuen wirtschaftspolitischen Ausrichtung der nen verringern. Die hohe Bedeutung dieser amerikanischen Regierung, Wachstumskräfte Zusatzlasten gerade für die Leistungsfähigkeit stärken zu wollen, gewinnt das Politikfeld „Re- der Versicherungsmärkte wird in Abschnitt gulierung“ vor allem auf internationaler Ebene 3.3 erläutert. wieder an Bedeutung (vgl. The Council of Eco- nomic Advisers 2017). Ein fester Bestandteil ist die Analyse des regulatorischen Umfelds seit Längerem im 2.3 Das regulatorische Zusammenhang mit der Messung der inter- Umfeld in der gesamtwirt- nationalen Wettbewerbsfähigkeit. Hier gibt es eine Vielzahl von Indikatoren, die neben Ein- schaftlichen Perspektive flussfaktoren wie Steuern oder der Offenheit der Märkte auch den Regulierungsgrad ein- Die Auswirkungen regulatorischer Maßnah- beziehen. Zu den bekanntesten Standortver- men werden überwiegend im Branchenkon- gleichen zählen der „Ease of Doing Business text betrachtet, etwa in Bezug auf die Versi- Report“, der „Global Competitiveness Report“, cherungswirtschaft (siehe Abschnitt 3). Seit der „Economic Freedom Index“ oder auch das mehr als 10 Jahren hat aber auch das Interesse „IMD World Competitiveness Ranking“. Die an der Rolle der Regulierung für die gesamt- Veröffentlichung der Rankings findet in der wirtschaftliche Entwicklung deutlich zuge- Regel breite Aufmerksamkeit. Die Ergebnisse nommen, nicht zuletzt, weil eine regulatori- weisen dabei mitunter eine größere Bandbreite sche Beschränkung der Produktionsfaktoren auf, abhängig von der Zusammensetzung der Arbeit, Kapital oder Technologie nachteilige Indikatoren und deren Gewichtung (siehe Ta- Wachstumseffekte nach sich ziehen kann. belle 1). In Deutschland hat das Thema insbeson- Für die Analyse der gesamtwirtschaft- dere in den 1990er Jahren große Aufmerksam- lichen Effekte der Regulierung greifen wir keit erlangt, als die Wirtschaftspolitik mit dem direkt auf jene Teilindizes zurück, die sich Abbau zahlreicher regulatorischer Hindernisse ausschließlich mit regulatorischen Aspekten z. B. in den Sektoren Post und Telekommuni- beschäftigen. Eine deutliche Abgrenzung des kation einen erfolgreichen Beitrag zur He- Bereichs Regulierung von anderen Einfluss- bung des Wachstumspotenzials geleistet hat. faktoren weist dabei der „Economic Freedom Verbraucher konnten in der Folge von erheb- Index“ (EF-Index) auf. Für unsere weiteren lichen Preissenkungen profitieren. Vor dem Analysen verwenden wir daher im Folgenden Hintergrund der globalen Finanzkrise im Jahr dessen Teilindex „Regulation“. Regulierung 2008 sind diese Bemühungen allerdings na- bezieht sich hier auf die Teilbereiche „Labour hezu vollständig zum Erliegen gekommen. In Market Regulations“, „Credit Market Regu- jüngster Zeit wird jedoch wieder ein stärkeres lations“ und „Business Regulations“. Analog Interesse an den wirtschaftlichen Folgen der zum Vorgehen der IW-Consult könnte aus ver- Regulierung erkennbar. Ein Beispiel ist die schiedenen Teilindikatoren auch ein eigener Diskussion um die Nutzung der mit der Digita- Indikator konstruiert werden (vgl. Vbw-Studie lisierung verbundenen Chancen. Auch mit der (2017)). Die Ergebnisse dieser Studie legen aber Bei Weitem nicht in der Spitzenklasse Tabelle 1: Position Deutschlands in verschiedenen internationalen Wettbewerbsrankings Ease of Doing Global Compe- Economic IMD World Compe- Index Business titiveness Ranking Freedom Index titiveness Ranking Jahr 2018 2018 2016 2018 Ranking 20 (von 190) 3 (von 140) 20 (von 162) 15 (von 63) Quelle: Fraser Institute, IMD World Competitiveness Center, World Bank, World Economic Forum Kosten und Nutzen der Regulierung
16 Regulierung und volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit Regulierung: Deutschland (nur) durchschnittlich Tabelle 2: Ranking Teil-Index Regulation Indexwert Credit market Labor market Business Länder von 0 bis 10 Rang regulations regulations regulations Hongkong 9,44 1 10 9,37 8,95 Neuseeland 9,16 2 10 8,83 8,65 Singapur 8,98 3 10 7,67 9,27 USA 8,83 5 9,33 9,14 8,01 Kanada 8,51 7 9,71 8,18 7,65 Schweiz 8,48 9 9,31 7,85 8,27 Dänemark 8,32 14 9,77 7,32 7,88 Niederlande 8,27 15 9,12 7,45 8,26 UK 8,23 17 8,17 8,4 8,11 Deutschland 7,99 29 8,33 7,44 8,19 OECD Durchschnitt 7,81 34 9,19 6,75 7,47 Frankreich 7,46 54 9,44 5,62 7,31 Quelle: Fraser Institute, IMD World Competitiveness Center, World Bank, World Economic Forum nahe, dass in diesem Fall keine größeren Ab- oder auch der hohen makroökonomischen weichungen zu erwarten sind. Stabilität, aber nicht mit dem regulatorischen Nach den Analysen des Fraser Instituts Umfeld. nimmt Deutschland im Bereich Regulierung Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass keinen Spitzenplatz ein (siehe Tabelle 2). Mit Deutschland als fünftgrößte Volkswirtschaft einem Indexwert von knapp 8 im Fraser-Ran- der Welt mit seiner hohen internationalen Ori- king liegt Deutschland hinter wichtigen Wett- entierung mit einer „durchschnittlichen Plat- bewerbern. Dabei stehen höhere Werte für ein zierung“ nicht zufrieden sein kann. Vielmehr weniger intensives regulatorisches Umfeld. gilt es zu analysieren, welche wirtschaftspoliti- So erhalten die USA, aber auch einige europä- schen Maßnahmen ergriffen werden können, ische Nachbarländer wie die Schweiz und die um das regulatorische Umfeld auch hierzu- Niederlande deutlich bessere Beurteilungen. lande weiter zu verbessern. Zwar hat sich auch Deutschland im Bereich Die Themen Bürokratieabbau und bessere der Regulierung zuletzt etwas verbessert und Rechtsetzung stehen seit längerem auch auf liegt oberhalb der Durchschnittswerte für die der Agenda der Bundesregierung. Kernanlie- OECD-Länder. Im Vergleich zum Gesamter- gen ist dabei vor allem ein Abbau bürokrati- gebnis des Economic Freedom Indizes fällt die scher Belastungen für Unternehmen, aber Platzierung für Deutschland im Bereich Regu- auch der privaten Haushalte sowie der Ver- lierung allerdings nur unterdurchschnittlich waltung. Zu diesem Zweck wurden zunächst aus. Zu betonen ist, dass dieses Ergebnis der die Erfassung von Informationspflichten Fraser-Analyse nicht im Widerspruch zu den und – ex ante – die systematische Messung anderen Wettbewerbs-Rankings steht. Die von Kosten eingeführt, die aus der Befolgung guten Platzierungen Deutschlands sind typi- von gesetzlichen Vorgaben entstehen. Diese scherweise begründet in Faktoren wie dem gut Kostenschätzungen gehören seit 2011 zum funktionierenden Innovationsprozess. Laut festen Bestandteil der Gesetzesvorlagen. Da- dem letzten Global Competitivness Ranking bei werden sowohl der laufende Aufwand 2018 des Weltwirtschaftsforums ist Deutsch- als auch der einmalige Aufwand gemessen, land im Bereich Innovationen sogar führend. der aus der Umstellung auf die neue recht- Deutschland kann zudem punkten mit seinem liche Regelung entsteht. In der Gesetzesfol- hohen Ausbildungsniveau der Beschäftigten genabschätzung wird bisher allerdings nur Kosten und Nutzen der Regulierung
Regulierung und volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit 17 der laufende Erfüllungsaufwand explizit auf bestimmte Teilbereiche, z. B. FinTechs. Die berücksichtigt. Bundesregierung hat ein Drittes Bürokratie Die jährliche Entwicklung des Erfüllungs- entlastungsgesetz angekündigt. aufwands zeigt zudem, dass in den letzten Jah- ren kaum Fortschritte beim Abbau von Büro- kratiekosten erzielt werden konnten. Vielmehr Regulierungsinitiativen: Erfahrungen war der gesamte Erfüllungsaufwand aus lau- aus dem internationalen Umfeld fenden und einmaligen Kosten in den letzten Der Blick über die Grenzen zeigt, dass in ande- Jahren stets größer null (siehe Abbildung 6), ren Ländern wie den USA, aber auch Großbri- sodass der kumulierte Aufwand, der durch Re- tannien oder Kanada dem Thema Abbau von gulierungsvorhaben zwischen 2012 und 2017 Bürokratiekosten bzw. regulatorischer Vorga- entstand, mittlerweile beträchtlich ist (rund ben eine deutlich höhere Priorität zugemessen 0,7 % des BIP). Bezeichnenderweise entfiel die wird. Neue Regulierung größte Belastung für Unternehmen im Jahr In den USA hat Präsident Trump bereits sollte stets mit 2017 auf die Umsetzung der EU-Richtlinie frühzeitig angekündigt, dass regulatorische einer regulatori- zum Versicherungsvertrieb (IDD). Wie sich Reformen in seiner Präsidentschaft zu den schen Entlastung bei der konkreten Betrachtung der Versiche- Kernbereichen seiner Wirtschaftspolitik zäh- an anderer Stelle rungswirtschaft – zum Beispiel gerade bei der len. Im Januar 2017 folgte dann ein erster Er- einhergehen, damit IDD – zeigt, dürfte es sich beim ermittelten lass, nach dem die amerikanischen Behörden die kumulierten Erfüllungsaufwand zudem in aller Regel um verpflichtet werden, regulatorische Kosten Kosten nicht stetig eine deutliche Unterschätzung handeln. weiter zu senken. Der Erlass knüpft insofern steigen: One-in, (at Zusätzlich hat sich die Bundesregierung an frühere Initiativen an. Als konkrete Maß- least) One-out. im Jahr 2015 auch zu einer „One-in, One-out nahmen wurden zu diesem Zweck die „One-in, Regel“ verpflichtet. Danach ist für jede be- Two-out Regel“ sowie ein „regulatorisches lastende neue Regelung eine Entlastung in Budget“ eingeführt. Zusätzliche regulatori- gleicher Höhe zu schaffen. Allerdings gibt sche Kosten dürfen nach dieser Regel (für das es keinen Automatismus, nach dem die von Fiskaljahr 2017) nicht entstehen. Damit ver- neuen Regeln Betroffenen auch im Gegenzug bunden ist auch eine Abkehr von dem bisher zu entlasten sind. Insofern können einzelne praktizierten Ansatz einer Abwägung von Kos- Wirtschaftsbereiche unterschiedlich betrof- ten und Nutzen regulatorischer Maßnahmen. fen sein. Zudem bezieht sich die „One-in, One- In der Literatur wird hierzu häufig angeführt, out Regel“ nur auf laufende Kosten. Auch die dass mit einem Fokus auf regulatorische Kos- Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht ten ein effizienteres Regulierungsergebnis ver- wird nicht erfasst. Regulatorische Reformen bunden ist, da damit politökonomische Anreiz- beziehen sich in Deutschland aktuell vor allem probleme im Kosten-Nutzen-Ansatz entfallen. Erfüllungsaufwand der Wirtschaft weiter angestiegen Abbildung 6: Erfüllungsaufwand deutscher Unternehmen durch neue Regulierungsvorgaben laufend einmalig Mrd. € 20 15 10 5 0 -5 2012 2013 2014 2015 2016 2017 insges. Quelle: Destatis Kosten und Nutzen der Regulierung
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