Maldekstra #17 Globale Perspektiven von links: das Auslandsjournal - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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maldekstra #17 Globale Perspektiven von links: das Auslandsjournal dezember 2022 Konzerne und Kämpfe Transnational, mächtig, Treiber und Nutznießer der Globalisierung. Widerstand gegen ihr Tun ist trotzdem nicht zwecklos. Rund 80.000 Konzerne gibt es, die weltweit operieren. Sie ver- antworten und kontrollieren mehr als 80 Prozent der globalen Handelsströme. Das Treiben Transnationaler Konzerne (TNCs) hat weitreichende Auswirkungen auf Ökonomie, Ökologie und die großen Ungleichheiten, die in der Welt herrschen. Sie entziehen sich weitgehend wirksamer Kontrolle, wenn es um die Ein- haltung von Menschenrechten und Arbeitsstandards geht. Ihr Mantra ist die freiwillige Selbst- verpflichtung, sie haben umfang- reiche Investitionsschutzregeln durchgesetzt und wehren sich ge- gen jede Ausweitung der Kon- trolle und alle Versuche, ihr ge- winnorientiertes Handeln einzuhegen. Die Folgen und die Verheerungen aufgrund ihres Tuns sind entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu be- obachten. Betrachtet man allein ihren Anteil an den Steuerauf- kommen der Länder, ist klar, dass ihr Beitrag zum Gemeinwohl sich gegen die ungeheuren Ge- winne, die sie einfahren, sehr bescheiden ausnimmt. Wer den Kampf gegen die destruktiven Auswirkungen ihres Handelns aufnehmen will, braucht starke Verbündete. Und Mut.
2 maldekstra #17Dezember 2022 Inhalt 4 Über die Grenzen der Regulie- Globale Kleptomanie rung Ökonomische Globalisie- rungsprozesse sind die prägends- Man könnte das Agieren Transnationaler Konzerne schen Regierungen groteske Bedingungen auf und ten Phänomene der Gegenwart als systematische Plünderung umschreiben. nutzen dann Steuerlöcher, um die mittellosen 7 Lieferkettengesetz Gut ge- Der Journalist und Autor Tom Burgis nannte es in Länder um ihre Einnahmen zu betrügen. An die meint heißt noch lang nicht gut gemacht seinem Buch „Der Fluch des Reichtums“, in Stelle der alten Imperien sind verborgene Netze dem er über den „Ressourcenfluch“ schreibt, dem von multinationalen Unternehmen, Zwischen- 9 Eine Geschichte der globalen Ausbeutung Die Deutsche Bank die Länder des afrikanischen Kontinents unter- händlern und afrikanischen Potentaten getreten. wurde in der Kolonialzeit groß liegen, eine „Plünderungsmaschine“. Die Ergebnis- […] Sie fühlen sich keiner Nation verpflichtet, son- und hat ihre „Erschließungs- se lebendiger Arbeit, natürliche Ressourcen und dern gehören zu den transnationalen Eliten, mentalität“ nie aufgegeben digitale Daten, nationale Reichtümer und politische die mit der Ära der Globalisierung aufgeblüht sind“, 10 Digitaler Kapitalismus Auch mit Handlungsmacht – entlang der globalen Wert- schreibt Burgis. den Ärmsten der Armen lassen schöpfungsketten okkupieren Konzerne alles, was In den Gewinnmeldungen der kaum zu durch- sich Gewinne machen. FinTech- Unternehmen zeigen, wie ihrem Gewinnstreben dienlich ist, und überlas- schauenden und gesetzlich bislang nicht zu sen die Beseitigung der Schäden, die sie anrichten, bändigenden Herren der Lieferketten verbergen 11 Vollmundige Versprechen Das vorhersehbare Versagen einer den Gesellschaften, vor allem aber den Ärmsten sich Rohstoffe aus allen Teilen der Welt. Wenn Allianz und die wahren Alterna- und Armen dieser Gesellschaften. Was sie Fortschritt sie in den Einkaufsmeilen der Länder des globalen tiven für Afrikas Agrarsektor nennen, ist meist nur in Kombination mit Zer- Nordens als verarbeitete Produkte auftauchen, 12 Subversion für Vielfalt Die störung vollständig benannt. Korruption und eth- glitzern sie wie ein Heilsversprechen, und auf den „grüne Revolution“ in Nordafri- nische Gewalt sind ihnen dienlich, solange die Produktangaben ist nicht zu finden, wie viel Blut ka hat eine große Abhängigkeit von Konzernen zur Folge Staaten nach ihrer Pfeife tanzen und sie die Lizen- anderswo dafür geflossen ist, wie viel Elend dafür zen zum Raubbau an wertvollen Rohstoffen in Kauf genommen wurde, wie groß die Ausbeu- 14 Selbstermächtigung Wie eine indigene Massai-Community ihr bekommen. Wenn sie einfallen wie die Heuschre- tung jener Menschen ist, die den Reichtum in den Land zurückgewann cken, verkaufen sie ihr Tun als segensreiches Schaufenstern der Malls geschürft haben. Wirken für einen Aufschwung, der nie jene erreicht, Europa ist ein Zaubertrick gelungen. Während 15 Kriminelle Flucht Shell betreibt in Nigeria keine Desinvestition, die den Reichtum erwirtschaften. En vogue ist die Grenzen für jene, die vor den Folgen dieser sondern flieht vor ökologischer heute, das Ganze mit grünem Anstrich zu versehen Ausbeutung und Verelendung fliehen, immer un- Gerechtigkeit und als Fortschritt aufzublasen. Am Ende eines überwindbarer gemacht wurden, sind sie weit 16 Der wahre Preis des Öls solchen Prozesses ist Subsistenzwirtschaft zuguns- geöffnet für alles, was aus den Produktionsstätten Europäische Energieinteressen ten monokulturellen Raubbaus vernichtet, ein der Konzerne zum Zwecke der Gewinnerwirt- in Ostafrika mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur weiteres unerschlossenes Gebiet okkupiert und schaftung die Läden überschwemmt. dem Raubbau preisgegeben, sind Menschen Gegen dieses weltumspannende und planeten- 20 Im Fokus globaler Großmächte Über die Folgen des Uranabbaus vertrieben und Eliten korrumpiert worden. zerstörende Handeln helfen nur solidarische im Niger und weltweit Afrika verfügt über 15 Prozent der globalen Roh- und weltpolitische Lösungen. Letztere sind nicht 21 Zu groß zum Scheitern Trotz ölvorräte. Gold, Zinn, Wolfram, Coltan, Eisenerz, in Sicht. Versuche wie die Einhegung der Ausbeu- Überschuldung dominiert der Uran, Kalkstein, Diamanten – der Kontinent ist für tung von Mensch und Natur entlang der Warenket- Adani-Konzern in Indien den Konzerne ein Schlaraffenland. Länder wie Angola, ten mittels eines Lieferkettengesetzes sind ein Ausbau von Infrastruktur, Trans- die Demokratische Republik Kongo, Nigeria, Niger, zaghafter Anfang, aber sie werden nicht beenden, port und Energieversorgung Guinea, Sudan, Mosambik, Ghana, Südafrika, was das Tun der Konzerne auszeichnet: extreme 23 Schäumt so schön Jedes zweite Simbawe – nachdem die europäischen Kolonialisten Ausbeutung und extreme Arbeitszeiten, schlechte Supermarktprodukt enthält Palmöl. Die damit einhergehen- abgezogen waren, schickten sie eine weitaus Bezahlung, Einschüchterung von Gewerkschaften de Verheerung ist groß effizientere Ausbeutungsmaschine: die Konzerne. mittels Gewalt, Plünderung ganzer Regionen, Die „Plünderungsmaschine wurde modernisiert. Vernichtung von Natur, ökologischer Raubbau. Wo einst gewaltsam aufgezwungene Verträge Afri- Transnationale Konzerne sind nicht allmächtig. Impressum kaner um ihr Land, ihr Gold und ihre Diamanten Ihnen ist Allmacht verliehen worden, und die maldekstra wird herausgegeben von der common Verlagsgenossen- brachten, zwingen heute Heerscharen von Anwäl- kann auch wieder entzogen werden. Dafür aber schaft eG, Franz-Mehring-Platz 1, ten der Öl- und Bergbaugesellschaften mit Hunder- braucht es kämpfende Solidarität. Weltweit. 10243 Berlin, in Kooperation mit der ten von Milliarden Dollar Jahresumsatz afrikani- Kathrin Gerlof Beirat Hana Pfennig, Boris Kanzleiter Ernährungssouveränität – ein Dossier Redaktion Julia Funcke (Korrektorat), Kathrin Gerlof (V.i.S.d.P.), Anne Schindler, „In kaum einem Bereich treten die Widersprüche des Kapitalismus so offen zutage wie in der Landwirt- Mitarbeit: Andreas Bohne schaft und bei der Ernährung. Unser Essen ist eine Ware, deren Inhaltsstoffe wir oftmals genauso wenig Gestaltung Michael Pickardt überblicken, wie die sozialen und ökologischen Bedingungen der Herstellung. Biologische Vielfalt, pro- Illustrationen Lena Westphal duktive Böden und Wasserressourcen werden knapper. Konzernmacht setzt bäuerliche Erzeuger*innen Kontakt Tel. 030.2978.4678 unter Druck. Im globalen Süden werden sie ihres Landes und der Kontrolle über Saatgut beraubt. Land- kontakt@common.berlin arbeiter*innen werden in globalen Lieferketten ausgebeutet und sind in ihrer täglichen Arbeit giftigen Druck BVZ Berliner Zeitungs- Pestiziden ausgesetzt.“ So klingt die Einführung zu einem umfangreichen Dossier der Rosa-Luxemburg- druck GmbH, Am Wasserwerk 11, Stiftung zum Thema Ernährungssouveränität. Berichtet wird über die Arbeits- und Lebensrealitäten von 10365 Berlin Landarbeiter*innen und kleinbäuerlichen Erzeuger*innen, die durch mächtige Konzerne unter Druck ge- Druckauflage 54.000 raten und ihre Lebensgrundlagen verlieren. Rund 40 Texte und Videos sind seit Juli 2020 bis heute zu- „maldekstra“ steht für „links“ in der Weltsprache Esperanto. sammengekommen. Ein lesenswerter und hilfreicher Wissensspeicher für Interessierte und Engagierte. kg „maldekstra“ kann kostenfrei bezogen werden über bestellung.rosalux.de. https://www.rosalux.de/dossiers/ernaehrungssouveraenitaet Anfragen und Leser*innenbriefe bitte an maldekstra@rosalux.org
Dezember 2022 maldekstra #17 3 Plastikmüll: problematischer Wachstumsmarkt Dass die Welt im Plastikmüll versinkt, ist schon lange be- genen Jahren Milliardenbeträge investiert, um ihre Kapazi- kannt. Kunststoffverpackungen sowie Kleinteile aus Mik- täten in der Plastikproduktion zu erhöhen. In den vergange- ro- und Nanoplastik finden sich in Meeren, auf Bergen, dem nen Jahrzehnten propagierten sie erfolgreich die Nutzung arktischen Eis, in Trinkwasser, Lebensmitteln oder mensch- von Plastik in immer mehr Bereichen. Wurden 1950 jährlich lichem Blut. Die australische Minderoo Foundation hat in nur zwei Millionen Tonnen Kunststoff produziert, waren es einer Studie ermittelt, dass gerade einmal 20 Unternehmen 2015 bereits 380 Millionen. Heute stellt Einwegplastik etwa für mehr als die Hälfte des globalen Einwegplastikmülls die Hälfte des weltweit insgesamt produzierten Kunststoffs verantwortlich sind. Da Plastik aus Erdöl hergestellt wird, dar. Mehr als 80 Prozent des jemals entstandenen Plastik- befinden sich auf der Liste vor allem Mineralöl-, Gas- und mülls lagern auf Müllhalden – oder in der Natur. Chemiefirmen wie ExxonMobil und Dow Chemical aus den Dass die Industrie trotz der umfassenden Probleme in USA, die chinesischen Unternehmen Sinopec und Petro- eine weitere Ausweitung der Plastikproduktion investiert China oder die französische Total. Laut der Internationalen und diese für einen sicheren Wachstumsmarkt hält, lässt Energieagentur (IEA) wird Plastik bis 2050 für die Hälfte des Schlimmes befürchten. Da in den industrialisierten Ländern Wachstums des Ölmarktes verantwortlich sein und somit kaum mehr Wachstumszahlen zu erreichen sind, müsste der aufgrund der anstehenden Energiewenden zunehmend Ben- Absatz im globalen Süden steigen. Dort, wo meist weniger zin, Diesel oder Kerosin als Geschäftsfeld der Erdölkonzerne Regulierungen bestehen und Unternehmen häufig Mittel ablösen. Mineralölunternehmen haben daher in den vergan- und Wege finden, schärfere Gesetze zu verhindern. tl
4 maldekstra #17Dezember 2022 Über die Grenzen der Regulierung Ökonomische Globalisierungsprozesse sind die prägendsten Phänomene der Gegenwart, sagt Janine Walter Karl Marx hat seine Aufforderung an die Proletarier World Trade Organization) neuen Schwung. aller Länder, sich zu vereinigen, aus der Analyse des Innerhalb der Staatengemeinschaft kam jedoch Kapitals abgeleitet. Das, so befand er, habe keine Mühe, keine Mehrheit für die Verankerung von Arbeits- sich transnational aufzustellen, zu verbünden und standards im Handelsregime der WTO zustande. die Welt mit seiner ausbeuterischen Produktionsweise Gleichwohl existiert eine internationale Ver- Fo t o : R o zu erobern. Auch wenn die Unterschiede zwischen ständigung auf verbindliche Arbeitsstandards in den Bedingungen, unter denen im globalen Norden Form von positiv gesetztem internationalen sa- Lohnarbeit geleistet wird, und denen, die in Ländern Lu m Recht, etwa im Rahmen der Allgemeinen Erklä- xe bu rg- St if des globalen Südens herrschen, gewaltig sind: Es gibt rung der Menschenrechte oder der Etablierung tu ng viele Gemeinsamkeiten. Wie lassen die sich umreißen? von umfangreichen Arbeitsrechten durch die Inter- Janine Walter studierte Politik- Zunächst gilt es festzuhalten, dass die ökonomi- nationale Arbeitsorganisation (ILO – International wissenschaften und promovier- sche Globalisierung für einen großen Teil der Labour Organization). te auf dem Gebiet transnationa- Gesellschaft in den Ländern des globalen Nordens ler Arbeitsregulierung und beträchtlichen Wohlstand mit sich brachte. In Wie bewertest du Verhaltenskodizes, die sich die transnationaler Arbeitsbezie- Staaten des globalen Südens gingen diese Entwick- TNCs selbst auferlegen? Können sie ein Lösungsansatz hungen mit Fokus auf soge- lungen jedoch kaum mit verbesserten Lebensbe- zur Durchsetzung von Arbeitsstandards sein? nannten Schwellenländern und dingungen und Wohlstandszuwächsen einher, son- Ich sehe zwei Hauptprobleme: Erstens zeichnen dem Instrument der Global dern im Gegenteil mit verschlechterten Arbeits- sie sich durch einen unilateralen Ansatz aus, bei Framework Agreements an der Graduiertenschule des Inter- und Umweltbedingungen. Aber natürlich ziehen dem weder bei der Formulierung noch in der Um- national Center for Development Globalisierungsprozesse auch negative Auswirkun- setzungsphase der sogenannten Corporate-Social- and Decent Work. Sie leitet das gen auf Arbeiter*innen im globalen Norden nach Responsibility-Programme eine Beteiligung von Büro Südafrika der Rosa-Luxem- sich, wie etwa die Aufweichung von Schutzrechten Arbeiter*innen oder Gewerkschaften erfolgt. burg-Stiftung. Mit ihr sprach oder den sukzessiven Abbau des Sozialstaates. Zweitens ist hier eine generelle Unwirksamkeit Kathrin Gerlof. Eine Gemeinsamkeit ist, dass die vordergründig dieser Verhaltenskodizes zu beobachten. Sie auf den Nationalstaat ausgerichteten Systeme der stellen eine Risikominimierung angesichts gestei- Arbeitsregulierung mit der fragmentierten Produk- gerter Erwartungen von Konsumierenden dar tion der TNCs (Transnational Cooperations), also und sind damit vor allem als Marketingstrategien der Konzerne, an die Grenzen ihrer Regulierungs- der Unternehmen zu bewerten. kompetenzen kommen. Das hat weitreichende Folgen für die globalen, regionalen und lokalen In deiner Forschung geht es um Strategien von Strukturen von Arbeit sowie für die Arbeitsbe- Gewerkschaften. Vielleicht erst mal Begriffsklärung: dingungen und Arbeitsrechte. Du schreibst von Globalen Gewerkschaftsföderationen (Global Union Federations – GUFs) und deren Strate- TNCs sind, schreibst du, die treibende Kraft der Glo- gie, sogenannte Global Framework Agreements (GFAs) balisierung. Und dass der Zusammenschluss der abzuschließen. Was ist das eine, was meint das andere? Arbeiter*innen gegen das Kapital damit nicht Schritt GUFs sind weltweite Vereinigungen nationaler gehalten hat und hält. Aber reden wir vielleicht erst Gewerkschaftsorganisationen, deren Mitglieder einmal über das, was trotzdem erreicht wurde … in Berufs-, Branchen-, Industrie- oder sonstigen Bis Ende der 1990er Jahre wurde die Debatte um Beschäftigungsbereichen tätig sind. Nach einer Arbeitsstandards auf internationaler Ebene Vielzahl von Zusammenschlüssen gibt es im vordergründig im Kontext von Handelsverhand- Moment neun GUFs. Zwar existierten mit den lungen als Bestandteilen von unilateralen oder Internationalen Berufssekretariaten (IBS) seit bilateralen Regulierungen geführt. Dies bezog sich rund 100 Jahren internationale Organisationen in der Regel auf Importverbote für Produkte, die der Arbeitnehmer*innen, doch genügten Or- unter Bedingungen von Zwangs- oder Kinderarbeit ganisations- und Arbeitsweise nicht (mehr) den produziert wurden, oder auf ein allgemeines Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Nach Präferenzsystem, in dem für bestimmte Produkte einem Transformationsprozess und einer Neuauf- oder Länder Zollzugeständnisse gemacht wurden. stellung erfolgte im Januar 2002 die offizielle Vor allem auf Druck der Gewerkschaftsbewegung Umbenennung der IBS zu Globalen Gewerkschafts- hin bekam die Debatte um Sozialklauseln und föderationen. Handel Anfang der 1990er Jahre bei den Verhand- Die Herausforderung bestand in der Entwicklung lungen um die Welthandelsorganisation (WTO – einer politischen und organisatorischen Strategie,
Dezember 2022 maldekstra #17 5 die es ermöglicht, die Macht der lokal und national GFAs wirklich ein globales Mittel zur Durchsetzung verwurzelten Gewerkschaften dafür zu nutzen, von Arbeitsrechten darstellen können. die transnationale Regulierungslücke in den Arbeits- Als eine wirklich die Lieferketten umfassende beziehungen zu schließen. Hierfür haben die Durchsetzung sehe ich das nicht. In sogenannten GUFs das Instrument der Global Framework Agree- Schwellenländern etwa, in denen eine gewerk- ments (GFAs) entwickelt. GFAs sind zwischen schaftlich organisierte und von Arbeitsrechten gut GUFs und TNCs verhandelte und unterzeichnete geschützte Kernbelegschaft in Industriesektoren Abkommen. Darin verpflichten sich Unterneh- vorherrscht, der Großteil der Arbeiter*innen aber men zur Einhaltung bestimmter Standards, die im informellen oder prekären Sektor arbeitet, sich auf grundlegende Arbeits- und Sozialrechte können wir sehen, dass sich die Regelungsreich- beziehen. Die häufigsten Referenzpunkte sind die weite der GFAs häufig auch nur auf die Kernbe- ILO-Kernarbeitsnormen, aber auch andere inter- legschaften konzentriert. nationale Prinzipien und Instrumente wie die All- Zudem stellt sich auch die Frage nach der Ange- gemeine Erklärung der Menschenrechte der messenheit in anderen Kontexten: Wenn in einem Vereinten Nationen oder die OECD-Leitsätze für Land eher konfliktorientierte Arbeitsbeziehungen multinationale Unternehmen. vorherrschen, also Arbeiter*innen ihre Interessen Dieses Instrument ist das erste, das Gewerk- vor allem mit Arbeitskämpfen durchzusetzen ver- schaften auf globaler Ebene als legitimen Verhand- suchen, wie viel Sinn macht dann ein Instrument, lungspartner und damit einen globalen sozialen das auf Dialog ausgerichtet ist? Ich sage nicht, dass Dialog anerkennt. Ein entscheidender Schwach- das nicht zusammenkommen kann, aber es kann punkt ist aber, dass die GFAs rechtlich nicht problematisch sein. bindend sind. Verletzt ein Unternehmen ein GFA, kann dieses aufgekündigt werden, aber recht- Organisierten Arbeitsbeziehungen – wenn wir damit liche Konsequenzen folgen daraus nicht. Das ist meinen, dass es auf beiden Seiten Organisation etwa im Fall des GFA zwischen der GUF Indus- gibt, die Interessen vertritt, die der Arbeitenden, die des triALL und Volkswagen erfolgt. Als das Unterneh- Kapitals – wohnen Machtverhältnisse inne. Wann men den Arbeiter*innen im Chattanooga-VW- ergeben sich Handlungsmöglichkeiten für die Arbeiten- Werk im Bundesstaat Tennessee in den USA das den? Recht auf Vereinigungsfreiheit verwehrte, Das hängt unter anderem maßgeblich von kündigte die Gewerkschaftsseite das GFA 2019 auf. dem Sektor ab, in dem die Arbeiter*innen beschäftigt sind. Die fragmentierten Verhaltens- 1988 das erste GFA, signifikante Verbreitung bis Lieferketten bieten zugleich auch das 2019, die meisten Abkommen wurden mit europäischen Potenzial, Produktion zu stören. Wir kodizes sind Konzernen abgeschlossen, die meisten davon mit haben während der Covid-Pandemie vor allem deutschen Unternehmen. Dürfen wir uns auf die Schul- gesehen, was passiert, wenn die Pro- Marketingstrategien ter klopfen? duktion an einem Punkt der Lieferket- der Die geografische Konzentriertheit – rund 90 te unterbrochen ist. Ganze Industrien Prozent – von GFAs auf Unternehmen aus Konti- geraten ins Wanken, weil sie nicht ge- Unternehmen nentaleuropa oder Skandinavien zeigt eine nügend Material für ihre Produktion haben. nationale Pfadabhängigkeit von Transnationalisie- Arbeiter*innen an sogenannten Choke Points, rungsprozessen der Arbeitsbeziehungen an. das bezeichnet logistische Engpässe wie etwa GFAs wurden also vorrangig mit Unternehmen Häfen, wird hier eine große Macht zugesprochen. abgeschlossen, die ihren Sitz in einem Land Allerdings bedeutet die theoretische Handlungs- haben, in dem Arbeitsbeziehungen vorherrschen, möglichkeit noch nicht, dass sie auch zur Interes- die sich durch industrieweite Kollektivverhand- sendurchsetzung eingesetzt wird. Hierfür bedarf es lungen, Gewerkschaftsrepräsentation in Vorstän- einer Organisation der Arbeiter*innen, die bei- den und Konsultation durch Betriebs- und Ge- spielsweise durch die GUFs und ihre Mitgliedsge- werkschaftsräte auszeichnen und damit dem Modell werkschaften erfolgen kann. der koordinierten Ökonomien zuzuordnen sind. In vielen Branchen des Dienstleistungssektors kann diese Handlungsmöglichkeit jedoch nicht in Dass sich Transnationale Konzerne auch in Schwellen- dem Umfang beobachtet werden. Zudem ist hier ländern expansiv ausbreiten, wirft die Frage auf, ob auch die Frage zentral, ob es andere Arbeiter*innen
6 maldekstra #17Dezember 2022 gibt, die den Job schnell machen können. Wenn das wissen Grad der „Angelsächsisierung“ der Unter- so ist, sinkt die Macht der Arbeiter*innen erheblich. nehmensführungen identifizieren, doch blieb das unternehmerische Handeln insgesamt an deut- Erklärst du bitte deinen Machtressourcenansatz und schen Institutionen ausgerichtet. Dies bezog sich die Parameter, auf die sich aus deiner Sicht die insbesondere auf die Gestaltung der transnatio- Machtressourcen der Gewerkschaften stützen? nalen Arbeitsbeziehungen, bei der eine Rhetorik Im Zentrum des Ansatzes steht die Annahme, dass der kooperativen und partnerschaftlich ausge- grundsätzlich verschiedene Formen von Macht- richteten Beziehung vorherrschte. ressourcen existieren, die Arbeiter*innen zur Durch- setzung ihrer Interessen mobilisieren und nutzen Letztlich sind es die Staaten beziehungsweise die können. Dabei wird zwischen struktureller Macht, Staatengemeinschaften, die politisch regeln müssten, Organisationsmacht, institutioneller um Konzerne in ihre Schranken zu weisen. Da Macht und gesellschaftlicher Macht von dürfen wir allerdings nicht allzu hoffnungsvoll sein. Welche Entwicklungen würdest du trotzdem Arbeiter*innen Lohnabhängigen unterschieden. Die unterschiedlichen Machtressourcen nennen wollen, um zu sagen: „Da kann sich was verfügen über stehen miteinander in Beziehung bewegen“? verschiedene und sind zum Teil abhängig vonein- Es hat sich einiges bewegt, aber es gibt noch viel ander. zu tun. Im Juni 2021 wurde in Deutschland infolge Machtressourcen Strukturelle Macht resultiert zivilgesellschaftlichen Drucks das Lieferketten- zur unmittelbar aus der Stellung der Ar- sorgfaltspflichtengesetz verabschiedet, das sich auf Mobilisierung. beiter*innen im ökonomischen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Men- System und den darin enthaltenen Ab- schenrechte bezieht und 2023 in Kraft treten wird. hängigkeiten zwischen den Akteuren. Das ist schon mal ein Anfang, weil es eine Abkehr Sie beruht auf der potenziellen Macht von Ar- von rein freiwilligen Corporate-Social-Responsi- beiter*innen, Produktionsprozesse zu stören. bility-Programmen hin zu verbindlichen men- Organisationsmacht entsteht aus der Bündelung schenrechtlichen Vorgaben für Unternehmen dieser Macht durch einen Zusammenschluss zu darstellt. Allerdings gilt es zunächst nur für Kollektivakteuren wie etwa Gewerkschaften. Zu- Unternehmen mit Sitz oder Zweigniederlassung dem kann die Arbeitsseite gesellschaftliche in Deutschland, in denen mindestens 3.000 Mit- Machtressourcen mobilisieren, wenn sie auch arbeiter*innen beschäftigt sind, ab 2024 für Unter- andere Akteure breiter in die Kämpfe zur nehmen ab 1.000 Beschäftigten. Wenn Unter- Durchsetzung ihrer Interessen einbindet. Das nehmen gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen, ist etwa bei der Auseinandersetzung um die können sie vom Bundesamt für Wirtschaft- und Arbeitsbedingungen in der globalen Lieferkette Ausfuhrkontrolle mit einem am Gesamtumsatz der Textilbranche passiert, bei der NGOs und orientierten Bußgeld belegt oder von öffent- Gewerkschaften aktiv waren. lichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Aller- dings gilt das alles nur für den eigenen Geschäfts- Die Prägung der Arbeitsbeziehungen geschieht bereich und direkte Zulieferer und nicht für mittel- sozusagen aus dem Herkunftsland des jeweiligen bare Zulieferbetriebe. Es ist aber bekannt, dass Konzerns heraus. Das erklärt doch aber eigentlich Menschenrechtsverletzungen häufig genau dort nicht, warum zum Beispiel Apple oder Microsoft die vorkommen, nämlich am Anfang der Lieferkette. für ihre Produkte wichtigen Rohstoffe unter der- Zudem fehlt eine zivilrechtliche Haftungsregel, das maßen erbärmlichen Bedingungen schürfen lassen. heißt, Unternehmen haften nur für Schäden, Oder warum Nestlés Produkte weiterhin mittels die durch die Missachtung ihrer Sorgfaltspflicht Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen Westafrikas entstanden sind. Insgesamt haben Geschädigte billig in unsere Regale kommen. nur wenig Chancen auf Schadensersatz. In der Wissenschaft wird von einem „eingeschränk- Auf UN-Ebene finden seit 2014 Verhandlungen ten Stammlandeffekt“ gesprochen. Demnach um ein rechtlich bindendes internationales lösen sich die TNCs zwar zunehmend von nationa- Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten len Zwängen, jedoch bleiben die nationalen statt. Natürlich stemmen sich wirtschaftlich Ökonomien als ein signifikanter Bezugspunkt mächtige Staaten wie Deutschland gegen eine weit- erhalten. In den Gastländern besteht zwar reichende und aus ihrer Sicht zu detaillierte ein Druck zur Übernahme der dort bestehenden Regelung und verweisen auf das nationale Liefer- Standards, doch entwickeln die Unternehmen kettensorgfaltspflichtengesetz. Dabei ist es ge- in der Regel eine gewisse Flexibilität, um die Ele- nau das, was wir brauchen, damit die Unternehmen mente der eigenen Management-Kultur zu nicht durch Regulierungslücken die Verantwor- erhalten. Bei einer Analyse des unternehmerischen tungsübernahme verhindern können. Hier muss die Verhaltens deutscher TNCs in Gastländern Zivilgesellschaft den Druck auf die Regierungen konnten Wissenschaftler*innen zwar einen ge- aufrechterhalten und erhöhen.
Dezember 2022 maldekstra #177 Lieferkettengesetz Gut gemeint heißt noch lang nicht gut gemacht. Von Marie-Sophie Keller Der Countdown bis zum Inkrafttreten des Lie- 2024 2.900 Berichte. BAFA-Präsident Torsten Ein solches internationales Abkommen ferkettengesetzes läuft. Noch auf den letzten Safarik (CDU) stellte bereits klar, die Belas- im Bereich Wirtschaft und Menschenrech- Metern versuchten wirtschaftsliberale Kräf- tung für Unternehmen werde durch die Be- te wird bereits bei den Vereinten Nationen te, das Gesetz aufzuhalten. Jetzt sei nicht die richtspflicht so gering wie möglich gehalten. ausgearbeitet. Der von Südafrika und Ecua- Zeit für „zusätzliche bürokratische Fesseln für Es werde ein schlankes Verfahren geben, die dor angestoßene Prozess wurde im Oktober Unternehmen“, so FDP-Vize Johannes Vogel. bloße „Bemühungspflicht“ der Unternehmen in mittlerweile achter Runde verhandelt. Da Doch daran ist wohl nichts mehr zu rütteln: wird unterstrichen. sich jedoch weiterhin kein mehrheitsfähiger Zum 1. Januar 2023 werden Unternehmen Der große Freiraum, der Unternehmen bei Völkerrechtsvertrag abbildet, richtet sich der mit Sitz in Deutschland gesetzlich dazu ver- der Ausgestaltung der Sorgfaltspflichten zu- Blick zurück zu nationaler oder regionaler pflichtet, menschenrechtliche und ökologi- gestanden wird, sowie die Zugewandtheit der Gesetzgebung. Denn neben den möglichen sche Mindeststandards in ihren globalen Lie- Bundesregierung gegenüber den Bedürfnissen Gefahren können verpflichtende Menschen- ferketten sicherzustellen. Doch wie es meist der Unternehmen illustrieren auf anschauli- rechtsstandards für Unternehmen auch er- so ist mit Dingen, die zu gut klingen, um wahr che Weise, wie deutlich das Lieferkettenge- mächtigend wirken. zu sein, ist auch das Lieferkettengesetz nicht setz im dominanten kapitalistischen Diskurs Emanzipatorische Punkte für ein Lieferket- ohne Vorbehalte. verortet ist. Eine Hoffnung auf die Entflech- tengesetz wären beispielsweise umfangrei- Dabei ist die Idee des Gesetzesvorhabens tung der dem Welthandel immanenten post- che Klagerechte, die dem Unternehmen die richtig und dessen Initiierung ein Erfolg zivil- kolonialen und patriarchalen Macht- und Aus- Beweislast auftragen und Kläger*innen eine gesellschaftlicher Bündnisarbeit und progres- beutungsstrukturen gibt es demnach kaum. Erstattung der Prozesskosten ermöglichen. siver Oppositionspolitik. Denn durch interna- Dank der schwachen Umsetzungsmecha- Dadurch würde die bestehende Machtasym- tionale Gesetzeslücken, fehlende Transparenz nismen des Gesetzes besteht vielmehr die metrie zwischen den Gerichtsparteien ver- und fragmentierte Unternehmensstrukturen Gefahr, dass Unternehmen sich durch ober- kleinert. Ebenfalls müsste das Gesetz den Ein- hat sich ein Welthandelssystem entwickelt, flächliche und strategische Berichterstattung bezug relevanter Akteur*innen vor Ort, wie das auf Ausbeutung und Straflosigkeit fußt. ungerechtfertigt als sozialökologische Akteu- Arbeiter*innen, Gewerkschaften und zivilge- Dem soll das Lieferkettengesetz etwas ent- re profilieren können. Die Bundesregierung sellschaftliche Organisationen, für Unterneh- gegensetzen, so das Ziel. Doch bald nach würde ihnen damit „Greenwashing“ ermög- men verbindlich festschreiben. Das betrifft Verkündung des Gesetzgebungsprozesses lichen. Mit einem gewissen Zynismus liest sowohl die Konzipierung relevanter (Be- wurde dieser von der Konzernlobby verein- sich vor diesem Hintergrund der Tweet von schwerde-)Mechanismen als auch die Durch- nahmt. Unternehmensverbände mobilisier- Olaf Scholz (SPD), der zur Zeit der Verabschie- führung der Sorgfaltsprüfung. Der Wirkungs- ten gegen das Gesetz. „Dieser Unfug ist so dung des Lieferkettengesetzes noch im bereich müsste ausgeweitet werden, groß, dass er so nicht kommen wird“, wetter- Wahlkampf um das Kanzleramt um beispielsweise das Pariser Ab- te beispielsweise Arbeitgeberpräsident Ingo war: „,Made in Germany‘ steht Tatsächlich kommen und die Frauenrechts- Kramer im Rahmen einer inszenierten Me- ab sofort nicht mehr nur für schaffte es die konvention zu berücksichti- dienkampagne. Tatsächlich schaffte es die Qualität. Sondern auch für gen. Wirtschaftslobby, essenzielle Elemente aus die Achtung von Menschen- Wirtschaftslobby, Einige, wenn auch nicht dem Gesetzesentwurf zu streichen: Raus mit rechten, weltweit.“ essenzielle Elemente alle dieser Ansätze sind im zivilrechtlichen Klagemöglichkeiten für Be- Eine weitere Schwäche aus dem Gesetz- aktuellen Vorschlag für eine troffene von Menschenrechtsverletzungen; des Gesetzes zeigt sich dar- EU-Lieferkettenrichtlinie zu raus mit der Vorgabe, die gesamte Lieferkette an, dass es ohne Konsultati- entwurf zu finden. Auch hier wären pro- auf Menschenrechtsrisiken zu überprüfen. on mit den Ländern, in denen streichen. zedurale und inhaltliche Nach- Was bleibt, ist die Pflicht für Unterneh- es Anwendung finden wird, und besserungen notwendig. Dennoch men, die eigene Geschäftstätigkeit und die ohne die Menschen, die es schützen könnte die Bundesregierung nach ak- der unmittelbaren Zulieferer auf Menschen- soll, ausgearbeitet wurde. Durch diese unila- tuellem Stand dazu gezwungen werden, das rechtsrisiken zu prüfen, Präventionsmaßnah- terale und extraterritoriale Regulierung, mit deutsche Gesetz in einigen Bereichen, wie men zu treffen und Abhilfe zu schaffen. Be- der deutsche beziehungsweise internationale beispielsweise der Haftungsfrage, anzupas- schwerdemechanismen müssen eingerichtet, Rechtskonzepte, Kategorien und Normen in sen. Um das zu verhindern, übt Deutschland ein jährlicher Bericht muss an die Behörden einem anderen Land umgesetzt werden sol- massiv Druck aus und versucht die EU-Rege- übermittelt werden. Deutsche NGOs und Ge- len, bekommt das Gesetz ein leicht imperia- lung abzuschwächen. Doch das letzte Wort werkschaften bekommen das Recht, im Rah- les Geschmäckle. Darauf verweisen auch Ver- ist noch nicht gesprochen. Es lohnt sich, für men des bestehenden, weiterhin unzugängli- treter*innen der „Third World Approaches to jede noch so kleine Verbesserung zu kämpfen. chen internationalen Privatrechts im Namen International Law“ (TWAIL), einer Strömung Denn kein Mensch hat es verdient, für die der Betroffenen zu klagen. der postkolonialen Völkerrechtstheorie. Sie Profite einiger weniger ausgebeutet zu wer- In Anbetracht fehlender zivilrechtlicher warnen vor der Reproduktion von bestehen- den. Klagerechte hängt die Umsetzung des Ge- den Ungleichheiten und Machtungleichge- setzes überwiegend an der Kontrollbehörde, wichten zum Nachteil der betroffenen Länder Marie-Sophie Keller ist Menschenrechtsjuris- dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr- und ihrer Bevölkerungen durch nationale Lie- tin mit einem Schwerpunkt auf Unterneh- kontrolle (BAFA). Die dem Wirtschaftsminis- ferkettengesetze. Dem TWAIL-Ansatz folgend mensverantwortung und globalen Lieferket- terium unterstellte BAFA-Abteilung soll mit wäre eine völkerrechtliche Regulierung vor- ten. Sie forscht aktuell zu feministischen und den zunächst 57 Angestellten im ersten Jahr zuziehen, da sich im internationalen Forum dekolonialen Perspektiven auf das deutsche circa 700 Unternehmensberichte prüfen, ab alle Staaten einbringen können. Lieferkettengesetz.
8 maldekstra #17Dezember 2022 Soja: Monokultur und Gentechnik im Futtertrog In Lateinamerika gibt es eine inoffizielle „Vereinigte Soja-Re- Dieses ist gegen das gleichnamige Glyphosat-basierte Herbi- publik“. Vor allem in Brasilien, Argentinien und Paraguay sowie zid resistent, das Monsanto im Gesamtpaket gleich mitliefert. in geringerem Ausmaß auch in Uruguay und Bolivien wird die Es vernichtet Unkraut und Insekten, verschont jedoch die Hülsenfrucht auf insgesamt über 50 Millionen Hektar ange- Sojapflanze selbst. Als häufigste Folgen des flächendecken- baut. Dies entspricht etwa der Fläche Spaniens. Verarbeitet den Pestizideinsatzes sind bei Menschen unter anderem Er- zu Tierfutter, landet Soja schließlich vor allem in den Futter- brechen, Durchfall, Allergien, Krebsleiden, Fehlgeburten und trögen Europas und Chinas. An der Stelle einst artenreicher Missbildungen sowie gravierende Schäden für die Umwelt do- Ökosysteme befinden sich in Südamerika nun immer häufiger kumentiert. Seit der Einführung von Gen-Soja in Südamerika gentechnisch veränderte Monokulturen. In Argentinien, wo hat der Einsatz von Chemie auf den Äckern drastisch zuge- 1996 ohne nennenswerte öffentliche Debatte der Siegeszug nommen. Wurden in Argentinien Anfang der 1990er Jahre bei- der Genpflanzen begann, ist heute fast das komplette an- spielsweise insgesamt 19,7 Millionen Liter Pestizide versprüht, gebaute Soja Monsantos Pflanzensaatgut „Roundup Ready“. waren es 2018 bereits 525 Millionen Liter. tl
Dezember 2022 maldekstra #179 Eine Geschichte der globalen Ausbeutung Die Deutsche Bank wurde in der Kolonialzeit groß und mächtig und hat ihre „Erschließungsmentalität“ nie aufgegeben. Von Andreas Bohne Nach Ansicht vieler Freihandelsverfechter politischen Amtes der NSDAP und forderte ve- Nach zivilgesellschaftlichen Protesten bestä- klaffte in der sogenannten „Gründerzeit“ eine hement erneuten Kolonialerwerb. Im August tigte die Bank im Sommer 2022, keine direk- Lücke in der Finanzierung des deutschen Au- 1937 übernahm – mit 36 Jahren sehr jung – te Finanzierung für den umstrittenen Neubau ßenhandels. Adelbert Delbrück, einer der Für- Hermann J. Abs die Verantwortlichkeit für das der ostafrikanischen Pipeline EACOP bereit- sprecher, wünschte sich, „eine große Bank zu Auslandsressort der Bank, ein Mann, der ihre zustellen, die Öl von Uganda nach Tansania schaffen, hauptsächlich für den überseeischen Geschicke viele Jahre leiten sollte. transportieren soll. Gleichzeitig vergab sie an Handel“. Nur ein Jahr nach dieser Aussage – Nachdem die Bank nach dem Zweiten Welt- den Konzern TotalEnergies, der für den Bau 1870 – wurde der „Deutschen Bank“ ihr Grün- krieg erst dezentralisiert und 1957 wiederge- verantwortlich ist, mit anderen Instituten ei- dungsstatut genehmigt. Durch Tochtergesell- gründet wurde, nahm die „Internationalisie- nen revolvierenden Kredit über acht Milliar- schaften sollten die Geschäfte vorangetrieben rung der Geschäftsbeziehungen“ wieder Fahrt den Euro. werden. Mit der „Deutschen Übersee-Bank“ auf. Unter Abs wurde Südafrika ein neuer Nicht überraschend also sind bei die- (1886) wurde der südamerikanische Markt lukrativer Anlageplatz. Nur zwei Jah- sem Gebaren Proteste, Engagement und mit der „Deutsch-Asiatischen Bank“ re nach dem Massaker im südaf- und Widerstand gegen die Deut- Seit (1889) der asiatische Markt erschlossen. Dann rikanischen Sharpeville 1960, sche Bank. Zu Zeiten der Apart- erschien jedoch ein weiteres lukratives Anla- bei dem 69 Menschen getötet Beginn ist ihr heid waren es vor allem Grup- ge- und Finanzziel – die Investitionen im os- wurden, vergab die Deutsche Geschäftsgebaren pen aus der Zivilgesellschaft, manischen Bahnwesen. Dank großzügiger Bank ein erstes Darlehen in eng verknüpft mit denGewerkschaften und den Konzessionen der osmanischen Regierung Höhe von 40 Millionen Mark Kirchen, die unter anderem übernahm die Deutsche Bank mit der „Orient- an die südafrikanische Regie- Ausbeutung, Rassis- dazu aufriefen, keine Konten bahn“ das Schienennetzwerk in der europäi- rung. Weitere Darlehen folg- mus und Umwelt- bei der Bank zu halten. Im No- schen Türkei. Weitere Bahnstrecken wurden ten, und aus Dankbarkeit ver- zerstörung. vember 2002 verklagten Apart- in der Finanzholding „Bank für Orientalische lieh die Regierung in Pretoria 1979 heidopfer 22 internationale Un- Eisenbahnen“ mit Sitz in Zürich zusammen- dem Nazi-Banker Abs mit dem „Or- ternehmen, darunter die Deutsche gefasst. Doch damit war die „Erschließungs- der of Good Hope“ den höchsten Verdienstor- Bank, in den USA. Argumentiert wurde mit mentalität“ – wie der Historiker Malte Fuhr- den des Apartheidstaates. Schließlich beteilig- dem Rechtsprinzip der „sekundären Mitver- mann konstatiert – noch nicht erloschen. Im te sich die Deutsche Bank zwischen 1958 und antwortung“, nach der auch Helfer und Un- Gegenteil, die Verlängerung der Bahntrasse 1980 an wenigstens 69 Anleihen im Gesamt- terstützer Verantwortung für die begangenen bis nach Bagdad beflügelte Anleger, euphori- wert von 6,1 Milliarden Mark. Damit sorgte Taten der Verbrecher tragen. Denn sie hatten sierte Kolonialpolitiker und begeisterte die sie, neben einer Vielzahl weiterer deutscher Kenntnis vom strukturellen und alltäglichen Öffentlichkeit. Finanzinstitute, für die Liquidität des Apart- Rassismus. Nur ein Jahr später reichten auch Auch die deutschen Kolonien in Afrika heidstaates. Auf Nachfrage von Aktivist*innen Vertreter*innen der OvaHerero Klage gegen wurden ein Betätigungsziel. Um die kolonia- ließ die Bank 2001 verlauten: „Ein vollständi- die Deutsche Bank ein. Sie argumentierten, len Bestrebungen im sogenannten deutschen ger Abbruch aller Geschäftsbeziehungen zu dass diese direkt und indirekt – zum Beispiel „Schutzgebiet“ Deutsch-Südwestafrika finan- Südafrika war weder durch deutsches Gesetz durch die 1929 mit ihr fusionierte Discon- ziell abzusichern und voranzutreiben, wurde noch durch Bestimmungen der Europäischen to-Gesellschaft – mit Hilfe von Geschäftsbe- die „Deutsche Kolonialgesellschaft für Süd- Gemeinschaft geboten. […] Diesen [Boykott- ziehungen an der kolonialen Unterdrückung westafrika“ gegründet. Hieran beteiligten aufrufen, AB] sind wir nicht gefolgt, da dies und an Gräueltaten beteiligt gewesen sei und sich die finanzstarken Akteure des Wilhelmi- nach unserer Überzeugung dem Ziel, den diese (mit)finanziert habe. Das Gericht in den nischen Kaiserreiches, darunter die Deutsche Menschen in Südafrika zu helfen und zu einer USA lehnte die Klage mangels Zuständigkeit Bank. Doch die ersten Ambitionen schlugen friedlichen Veränderung beizutragen, gescha- ab. Und auch das Verfahren wegen der Unter- fehl, die Gesellschaft machte Pleite. Aber die- det hätte.“ Eine Begründung, auf die sich viele stützung der Apartheid verlief erfolglos. ser Rückschlag entmutigte die Bank nicht. Sie Unternehmen zurückzogen. Mit dem Schlagwort einer „bankenge- wurde unter anderem Großaktionär der „Ota- In den Zeiten des Finanzkapitalismus des schichtlichen Kolonialität“ lässt sich die Un- vi Minen- und Eisenbahn-Gesellschaft“, die 21. Jahrhunderts suchte die Deutsche Bank ternehmensgeschichte der Deutschen Bank mit der Otavibahn Kupfervorkommen aus- nach weiteren Anlagemöglichkeiten. Die fassen. Mit ihrer Ausrichtung auf internatio- beutete und damit die koloniale Landnahme Menschenrechtsorganisation FIAN zeigte auf, nale Märkte verkörpert sie ein Strukturmerk- weiter unterstützte. Und in Deutsch-Ostafri- wie sie über ihre Fondsgesellschaft DWS in mal der globalisierten Finanzwirtschaft seit ka beteiligte sich das Institut an der „Deutsch- Unternehmen investierte, die insbesondere dem 19. Jahrhundert. Jedoch greift es zu kurz, Ostafrikanischen Bank“ sowie der „Handels- in Asien an großflächiger Landnahme (Land- die Deutsche Bank als einen bloßen Finanz- bank für Ostafrika“. grabbing) beteiligt waren. Aber auch bei Nah- akteur zu sehen, der Rendite für seine Aktio- Der Erste Weltkrieg beendete das deutsche rungsmittelspekulation sorgte die Deutsche när*innen erwirtschaften will. Seit Beginn ist koloniale Abenteuer. Kolonialrevanchismus Bank für Schlagzeilen. Nach Informationen ihr Geschäftsgebaren eng verknüpft mit Aus- und -apologie nahmen seinen Platz ein, wäh- der NGO urgewald hat sie in den Jahren 2019– beutung, Rassismus und Umweltzerstörung rend ökonomische Interessen von Akteuren 2021 über Kredite und die Ausgabe von An- – und damit mit sozialen und ökonomischen bestehen blieben. Kurt Weigelt, in der Bank leihen und Aktien 9,9 Milliarden Euro in die Machtverhältnissen. seit 1922 als stellvertretender Direktor und globale Kohleindustrie gesteckt. Das gleiche später im Vorstand überwiegend für interna- gilt für die Finanzierung von klimaschädli- Andreas Bohne ist Leiter Referat Afrika, tionale Kontakte zuständig, beschäftigte sich chen Öl- und Gasunternehmen. Gegen dieses Referent für Nordafrika und Wissenschafts- seit den 1920er Jahren intensiv mit Kolonial- Geschäftsgebaren regt sich zunehmend Kri- kooperationen bei der Rosa-Luxemburg- fragen. Er wurde 1933 Mitglied des Kolonial- tik, auf die das Bankhaus scheinbar reagierte. Stiftung.
10 maldekstra #17Dezember 2022 Digitaler Kapitalismus Auch mit den Ärmsten der Armen lassen sich Gewinne machen. FinTech-Unternehmen zeigen, wie das geht. Von Fabio De Masi Die Studie „When Finance meets Big Data: Geld beziehungsweise Kredit ist der Schlüssel nehmenslobbygruppen und öffentlich-priva- Financial technology and the scramble zur Finanzierung von Investitionen und da- te Partnerschaften wie zum Beispiel die G20, for Africa“ beleuchtet den Vormarsch mit zur wirtschaftlichen Entwicklung. Große der Internationale Währungsfonds (IWF), die von Finanz- und Datentechnologie auf Teile der Weltbevölkerung – insbesondere im Weltbank, das Weltwirtschaftsforum, der UN- dem afrikanischen Kontinent und wes- informellen Sektor – sind vom traditionellen Kapitalentwicklungsfonds (UNCDF), die Bill halb Menschen aus dem informellen Sek- Bankensystem ausgeschlossen, weil sie nicht & Melinda Gates Foundatio n, Financial Sector tor, die häufig nicht über ein Bankkonto über ein regelmäßiges Einkommen verfügen Deepening (FSD) Kenia, die Groupe Speciale verfügen, in den Fokus dieser „FinTech“- und kaum Ersparnisse bilden können. Mobile Association (GSMA), die die Mobil- Unternehmen rücken. Sie wird 2023 bei Etwa zwei Drittel der weltweit 1,7 Milliar- funkbetreiber vertritt, die Alliance for Finan- der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschei- den Menschen, die kein Bankkonto haben, cial Inclusion (AFI) der Regulierungsbehörden nen und Fallbeispiele aus Kenia, Nigeria leben in Afrika. Datentechnologie kann da- im globalen Süden und die „Better Than Cash und Südafrika behandeln. Verfasser der bei helfen, wichtige Informationen zur Risi- Alliance“. Da der private Sektor stark invol- Studie ist Fabio De Masi. Er war drei Jah- kobewertung von Kreditnehmer*innen zu viert ist und westliche Regierungen den Groß- re Mitglied des Europäischen Parlaments sammeln. Dies umfasst etwa die Messung teil dieser Organisationen dominieren, kann und saß von 2017 bis 2021 für DIE LINKE von Einkommensströmen durch die Nutzung das Ungleichgewicht der Machtverteilung die im Deutschen Bundestag. De Masi ist ein von Mobiltelefonen. Datentechnologie er- Technologie- und Datensouveränität der afri- international anerkannter Experte in den möglicht hierbei die Erhebung solcher Daten kanischen Länder untergraben. Bereichen Finanz- und Steuerpolitik und zu geringeren Kosten als bei traditionellen Die „Better Than Cash Alliance“ ist ein in- nach seinem Ausscheiden aus dem Bun- Banken. So versprechen Technologieunter- teressantes Beispiel für eine Organisation, die destag, wie er selbst schreibt, als „Fi- nehmen die finanzielle Eingliederung der so- sich zwar für finanzielle Inklusion einsetzt, nanzdetektiv“ tätig. genannten „underbanked people“. In den afri- aber deren Grenzen zwischen öffentlichem Die „maldekstra“ veröffentlicht im Fol- kanischen Ländern südlich der Sahara nutzen Interesse und privatem Nutzen zunehmend genden einen zusammenfassenden Aus- Finanztechnologieunternehmen (FinTech) verwischt. Sie besteht laut Selbstdarstellung zug, zusammengestellt vom Autor der wie M-Pesa die Daten von Millionen von Men- aus „80 Mitgliedern, die sich für die Digita- Studie. schen im informellen Sektor, die keine Bank- lisierung des Zahlungsverkehrs einsetzen. verbindung haben, jedoch Mobiltelefone nut- Dazu gehören nationale Regierungen aus Af- zen. rika, dem asiatisch-pazifischen Raum und FinTech spielt eine wichtige Rolle in der Lateinamerika, globale Marken aus den Be- Agenda internationaler Hilfs- und Geber reichen Landwirtschaft, Bekleidung und [...] organisationen. Dabei kam es ideologisch zu Konsumgüter, UN-Organisationen und hu- einer Verlagerung von der staatlichen Armuts- manitäre Nichtregierungsorganisationen bekämpfung über die „Armutsfinanzierung“ (NGOs).“ (zum Beispiel Mikrokredite zur Förderung Zu den beteiligten Unternehmen gehören des Unternehmertums) hin zur „finanziellen unter anderem Coca-Cola, H&M, Unilever Inklusion“ durch FinTech. Einige Entwick- und Marks & Spencer, und unter den Finanzie- lungsökonom*innen kritisieren jedoch, dass rungspartnern der Allianz finden sich unter FinTech-Firmen durch „Data Mining“, also anderem die Bill & Melinda Gates Foundation, das Sammeln von Daten, und dauerhafte Ver- USAID, Visa, das Schweizer Eidgenössische schuldung der Kreditnehmer*innen hohe Departement für Wirtschaft, Bildung und For- wirtschaftliche Gewinne erzielen. Da Fin- schung, das deutsche Bundesministerium für Techs diese Gewinne an Aktionäre und inter- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- nationale Investoren weiterleiten, würden sie wicklung (BMZ) sowie der UN Capital De- eher die lokale Kaufkraft und Investitionen velopment Fund. Letzterer ist ein Nebenorgan untergraben. Zudem können Algorithmen so- der UN und arbeitet mit dem UN-Entwick- ziale und ökonomische Diskriminierung ver- lungsprogramm zusammen, um öffentliches stärken, wenn zum Beispiel soziale Verhal- und privates Kapital für die Finanzierung von tensdaten wie Ernährungsgewohnheiten an Entwicklungsprojekten freizusetzen. Versicherungsunternehmen verkauft oder Die „Better Than Cash Alliance“ vermark- Kreditausfallrisiken anhand des Wohnortes tet sich selbst (ziemlich irreführend) als Qua- abgeleitet werden. FinTech-Unternehmen si-Organisation der Vereinten Nationen, da sie wie M-Pesa bieten zunehmend auch Zugang ein Büro am UN-Hauptsitz in New York hat. zu öffentlichen Gütern wie sauberem Trink- Die Allianz versucht, digitale Zahlungen un- wasser gegen Bezahlung an. FinTech in Afrika ter anderem in Bereichen wie der humanitä- kann daher zur „Finanzialisierung“ öffentli- ren Hilfe zu fördern. cher Güter und zur Verschärfung der sozialen Es mag notwendig sein, dass Regierungen in Ausgrenzung ärmerer Bevölkerungsschichten afrikanischen Ländern sowie supranationale beitragen. Institutionen mit begrenzten Budgets versu- Die Hauptakteure in der FinTech-Politik chen, von den technologischen Kapazitäten sind internationale Organisationen, Unter- privater Unternehmen zu profitieren, doch
Dezember 2022 maldekstra #1711 Vollmundige Versprechen Das vorhersehbare Versagen einer Allianz und die wahren Alternativen für Afrikas Agrarsektor. Von Abdallah Mkindi und Mussa Billegeya birgt dies auch große Risiken wie Interessen- Die „Allianz für eine Grüne Revolution in neue Initiative darauf, „eine umfassende konflikte. Sichere Sparmöglichkeiten einkom- Afrika“ (AGRA) wurde 2006 gemeinsam Agrarwende zu initiieren und aufrechtzu- mensschwacher Haushalte können Anreize von der Rockefeller-Stiftung und der Bill erhalten, um die Einkommens- und Ernäh- für eine bessere Planung der Ausgaben und für & Melinda Gates Foundation ins Leben ge- rungssicherheit von 1,5 Millionen klein- kleinere Investitionen zur Verbesserung der rufen. Die Gründungsversprechen waren bäuerlichen Haushalten zu erhöhen“. Dies Lebensbedingungen schaffen. Die Hauptursa- ebenso vollmundig wie verheißungsvoll: solle laut AGRA durch Produktivitätssteige- che für geringes Sparen ist jedoch das niedrige Eine Transformation der landwirtschaft- rung sowie eine engere Verknüpfung von Einkommen und nicht die Technologie. Zu- lichen Strukturen und ein nachhaltiger Produktions- und Vermarktungssystemen mindest ist das Kräfteverhältnis fragwürdig, Umbau des Ernährungssystems sollten die erreicht werden. Außerdem wolle man die wenn etwa Visa oder Coca-Cola die Republik landwirtschaftlichen Erträge und das Ein- Regierung Tansanias darin unterstützen, die Malawi beraten. kommen von rund 30 Millionen kleinen richtigen Rahmenbedingungen für die Ent- Die Alliance zeigt, dass die Grenzen zwi- Produzent*innen verdoppeln. Damit, so wicklung des Agro-Business zu schaffen. Die schen Entwicklungszusammenarbeit und die damalige Vision, würden sich in 13 be- plante zwischen 2017 und 2019 über 20 Mil- Privatwirtschaft fließend sind und dass die sonders betroffenen Staaten sowohl die lionen US-Dollar an Haushaltsmitteln für politischen Entscheidungsträger und die Zi- Zahl der Hungernden als auch die Einkom- verschiedenste landwirtschaftliche Pro- vilgesellschaft die technologische Finanzpoli- mensarmut bis 2020 halbieren. jekte im Rahmen der PIATA-Initiative ein. tik kritisch begleiten müssen. Da die meisten Für arme Länder und solche mit nied- Umgesetzt wurden sie hauptsächlich durch afrikanischen Länder mit sozialen Notlagen rigem Einkommen, auf die AGRA abzielt, ein Konsortium verschiedener an der Wert- konfrontiert sind und große Teile der Bevöl- klingen derartige Versprechen traumhaft. schöpfung beteiligter Partner. kerungen keinen Zugang zu grundlegenden Damit nicht genug, war das von seinen Fi- Doch das Ergebnis dieser AGRA-Inter- öffentlichen Gütern und Infrastrukturen wie nanziers mit über einer Milliarde US-Dollar ventionen lässt sich umstandslos als Flop Wohnraum, Wasser, Gesundheit, Abwasser- ausgestattete Programm außerdem in der zusammenfassen – trotz großer Worte und entsorgung oder Sicherheit haben, spielen Lage, frisches Geld in seine Partnerländer Milliarden-Investitionen nicht nur der ur- Fragen der Datensouveränität und der Tech- zu pumpen. So erhielt beispielsweise allein sprünglichen Geldgeber, sondern auch nologiepolitik in den öffentlichen Debatten Tansania zwischen 2006 und 2015 über 50 von westlichen Regierungen wie der deut- eine untergeordnete Rolle. Dies macht es für Milliarden US-Dollar, was es den staatli- schen. Die Steigerungsraten der Ernten, Unternehmen einfacher, afrikanische Länder chen, zivilgesellschaftlichen und privaten die während der Initiative erzielt wurden, zu dominieren. Da die Unternehmen bestrebt Partnerorganisationen in diesem Zeitraum entsprachen vielerorts denen der Vorjah- sind, jeden Winkel der Welt und damit auch ermöglichte, die drei Hauptprogramme der re. Selbst die AGRA-eigene Evaluation für die informelle Wirtschaft mit ihren bargeld- AGRA-Initiative umzusetzen. Tansanias die Umsetzungsphase 2017–2021 bestätigt, basierten Systemen in das Daten- und Finanz- Agrarsektor macht beinahe 30 Prozent des dass die Erträge von Kleinbäuer*innen, die netz zu integrieren, werden Menschen, die Bruttoinlandsprodukts aus und beschäftigt sich an dem kostenintensiven Projekt mit außerhalb des elektronischen Zahlungssys- laut Berechnungen des Policy Forum von Hybridsaatgut und Kunstdünger beteiligt tems leben, arbeiten und handeln, als Hinder- 2021 rund 65 Prozent der Gesamtbevölke- hatten, vergleichsweise gering ausfielen. nis für die Ausbreitung des Daten- und Über- rung. Doch wie in anderen Ländern auch Eine kürzlich veröffentlichte RLS-Studie wachungskapitalismus betrachtet. fehlen der Regierung die Mittel für eine an- belegt darüber hinaus, dass sich die Zahl Das klassische Argument für finanzielle In- gemessen Finanzierung des Agrarsektors, der Hungernden in den AGRA-Zielländern klusion lautet, dass der Zugang zu Finanz- so dass sie Versprechungen von Akteuren nicht etwa halbiert hat, sondern im frag- dienstleistungen größere Ersparnisse der wie AGRA nur allzu bereitwillig glaubt. lichen Zeitraum um 30 Prozent gewach- Haushalte ermögliche, Kapital für Investitio- Die Programme selbst waren sehr strate- sen ist. Statt Kleinbäuer*innen aus Armut nen mobilisiere, die Schicht der Unternehmer gisch konzipiert, und zwar so, dass sie die ge- und Hunger zu befreien, hat das Programm erweitere und mehr Menschen in die Lage samte Nahrungsmittel-Wertschöpfungsket- schlimmstenfalls dazu geführt, dass sich versetze, in sich selbst und ihre Familien zu te abdeckten. Das erste, PASS, bezog sich auf die ökonomischen Bedingungen und Le- investieren. Darüber hinaus kann die finan- Afrikas Saatgut und zielte auf eine verstärk- bensumstände für einige weiter ver- zielle Ausgrenzung zu einer Anfälligkeit für te Entwicklung und Nutzung kommerziell schlechterten. Im Süden Tansanias und in Haustürgeschäfte, Pfandleiher und Wucher entwickelter Hochertragssorten. Das zwei- Sambia, wo Bäuer*innen durch Kredite der durch Kredithaie führen, die hohe wirtschaft- te bewarb und förderte unter dem Titel „Soil „Zugang“ zu Investitionen in Hybridsaat- liche Gewinne aus den von Armut betroffenen Health Program“ (SHP) die Nutzung von gut und Kunstdünger ermöglicht wurde, Haushalten ziehen. Kunstdünger sowie andere Maßnahmen, waren diese auch nach der kärglichen Ernte Es sollte jedoch sorgfältig zwischen den die unter dem Schlagwort „Integriertes Bo- nicht in der Lage, sie zurückzuzahlen. Ursachen und den Auswirkungen von Armut denfruchtbarkeits-Management“ zusam- Überraschend ist das Versagen dieser „grü- unterschieden werden. So sind beispielsweise mengefasst wurden. Das dritte Programm nen Revolution“ allerdings nicht: Mit sei- die finanzielle Ausgrenzung und der Mangel schließlich zielte auf die Vermarktungsas- ner kommerziellen Top-down-Agenda war an Geld zur Finanzierung von Investitionen pekte, bezogen sowohl auf die Einkäufe wie das Programm so konzipiert, dass vor allem für Kleinbäuer*innen oder die finanzielle Ab- auf die Verkäufe der Landwirt*innen. die Hersteller und Verkäufer der geförder- hängigkeit von Frauen mit der Armut selbst 2016 legte AGRA dann das Programm „In- ten landwirtschaftlichen Produktionsmittel verbunden. Der Großteil der digitalen Kredit- tegrierte Partnerschaft für Inklusive Land- profitierten – auf Kosten der Landwirt*in- vergabe ist jedoch für den privaten Konsum wirtschaftliche Transformationen in Af- nen. Schulungsprogramme, die angeblich und nicht für Investitionen bestimmt. rika“ (PIATA) auf. In Tansania zielte diese der Erweiterung ihrer Vermarktungskom-
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