Leading Edge Technologies - Rudolf Meyer 2021-03-24

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Leading Edge Technologies - Rudolf Meyer 2021-03-24
Liquidtool Systems AG

Leading Edge
Technologies
Vom Rechenschieber in die Cloud

Rudolf Meyer
2021-03-24
Leading Edge Technologies - Rudolf Meyer 2021-03-24
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung .................................................................................................................................... 1
2 Ein Rückblick – Industriellen Revolutionen .................................................................. 2
   2.1 Industry 0.0 – Industrielle Voraussetzungen ......................................................... 2
   2.2 Industry 1.0 – Industrielle Produktion ...................................................................... 3
   2.3 Industry 2.0 – Industrielle Massen-Produktion..................................................... 3
   2.4 Industry 3.0 – Industrielle Automation ................................................................... 4
   2.5 Industry 3.5 – Industrielle Globalisierung ............................................................... 4
3 Ein Hinblick – Wo stehen wir heute? .............................................................................. 6
   3.1 Industry 4.0 – Industrielle Digitalisierung............................................................... 6
   3.2 Leading Edge Technologies für Industry 4.0 ...................................................... 10
4 Ein Ausblick – Industry 4.0, 5.0, 6.0, 7.0… ..................................................................... 15
   Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt............................................................................ 15
   Anstehende Entwicklungen .............................................................................................16
   4.1 Industry 5.0 – Industrielle Kollaboration ...............................................................20
   4.2 Industry 6.0 – Industrielle Emotionen ................................................................... 23
   4.3 Beyond Industry 7.0 .....................................................................................................34
5 Fazit ........................................................................................................................................... 36

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Leading Edge Technologies - Rudolf Meyer 2021-03-24
1 Einleitung
Ich wurde vor einiger Zeit gefragt, einen Vortrag über Leading Edge Technologien,
«Industry 4.0 und danach», und die Bedeutung von Cloud Technologien zu halten.
Es stellte sich also die Frage, welchen Einfluss heutige und künftige Leading Edge
Technologien auf die Entwicklung von Industry 4.0 haben werden.
Wenn Bauteile eigenständig mit der Produktionsanlage kommunizieren und bei
Bedarf selbst eine Reparatur veranlassen oder Material nachbestellen - wenn sich
Menschen, Maschinen und industrielle Prozesse intelligent vernetzen, dann
sprechen wir von Industry 4.0. Nach Dampfmaschine, Fliessband und Computer
befinden wir uns nun mit intelligenten Fabriken und der umfassenden digitalen
Transformation von Prozessen vor oder in der vierten industriellen Revolution («vor»
oder «in» zu beurteilen sei jedem einzelnen überlassen) und entwickeln bereits
Gedanken über die Zeit danach, also der fünften industriellen Revolution.
Was sind denn heutige «Leading Edge Technologien», welche uns in die nächste
«Geländekammer» führen werden? Viele Technologien werden als Kandidaten
aufgeführt, eine Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung der Industrie auf dem
Weg zu Industry 5.0 zu spielen.
Lassen Sie uns einen Blick in die Vergangenheit werfen und herausfinden, welche
Schlüsseltechnologien damals eine bedeutende Rolle für die Entwicklung spielten,
um danach die Leading Edge Technologien von heute und morgen zu identifizieren.

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2 Ein Rückblick – Industriellen Revolutionen
Um die Folge von industriellen Revolutionen zu ermöglichen, bedurfte es vorgängig
einige wissenschaftliche Errungenschaften.

2.1 Industry 0.0 – Industrielle Voraussetzungen
Um Konstruktionspläne für Maschinen in der Industriellen Revolution zu berechnen
war es notwendig mathematische Operationen wie Multiplikationen, Divisionen,
Exponentialfunktionen und Trigonometrie exakt ausführen zu können. Der
Schlüssel dazu waren die Logarithmen.

Logarithmen und Rechenschieber
Indische Mathematiker im 2. Jahrhundert v. Chr. haben als Erste Logarithmen
erwähnt. Schon in der Antike nutzten sie Logarithmen zur Basis 2 für ihre
Berechnungen («digitale Logarithmen»). Ab dem 13. Jahrhundert wurden von
arabischen     Mathematikern       logarithmische      Tabellenwerke    erstellt.
Einige von uns mögen sich noch an Logarithmen-Tafeln im Gymnasium erinnern,
es waren dieselben Tabellen, welche 700 Jahre früher entwickelt wurden.

Im Jahr 1614 veröffentlichte der schottische Denker John Napier ein Buch über
Logarithmen, und schon 1624, zehn Jahre nach der Erkenntnis der Existenz der
Logarithmen, gab der englische Theologe und Mathematiker Edmund Gunter
erstmals seine Grundgedanken über die logarithmischen Zahlen bekannt. Er
entwickelte die „Gunterskala“, ein Stab mit logarithmisch angeordneter Skala. Damit
war die Basis für den Rechenschieber, ein Gerät womit man logarithmische
Berechnungen durchführen konnte, geschaffen.

In den ersten zweihundert Jahren nach seiner Erfindung wurde der Rechenschieber
sehr wenig genutzt. Erst Ende des 18. Jahrhunderts wurde seine Bedeutung von
James Watt neu erkannt.
Aufgrund des technischen Fortschritts in der Zeit der industriellen Revolution wurde
der Rechenschieber ein viel benutztes Instrument für technische und
wissenschaftliche Berechnungen. Seitdem galt er als das Symbol der Ingenieure,
Mathematiker und Physiker.

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2.2 Industry 1.0 – Industrielle Produktion
Die erste industrielle Revolution, die auf die Zeit um 1760 zurückgeht, war der
Übergang zu neuen Herstellungsverfahren mit Wasser und Dampf. Insbesondere
die Textilindustrie wurde durch die Industrialisierung verändert, ebenso wie das
Transportwesen. Der erste Webstuhl wurde 1784 eingeführt. Mit der Steigerung der
Produktionseffizienz wuchsen die kleinen Unternehmen zu grossen Organisationen
mit neuen Strukturen, Eigentümern, Managern und Angestellten und ermöglichte
die Schaffung eines besseren Lebensstandards für einige von ihnen.

Dampfmaschinen
Brennstoffquellen wie Dampf und Kohle machten den Einsatz von Maschinen
besser möglich, und die Idee, mit Maschinen zu produzieren, verbreitete sich
schnell. Maschinen ermöglichten eine schnellere und einfachere Produktion, und
sie ermöglichten auch alle möglichen neuen Innovationen und Technologien.

Der Rechenschieber, eine weitere «verborgene» Technologie, spielte eine wichtige
Rolle in der Nutzbarmachung der neuen Möglichkeiten, welche durch
Dampfmaschinen gegeben waren.

Die Leading Edge Technologien der ersten industriellen Revolution Industry waren
also die
• Dampfmaschinen, und der
• Rechenschieber

2.3 Industry 2.0 – Industrielle Massen-Produktion
Die erste industrielle Revolution umfasste den Zeitraum zwischen den 1760er
Jahren und etwa 1840. Hier setzte die zweite industrielle Revolution ein. Historiker
bezeichnen sie manchmal als "Technologische Revolution", die vor allem in
Grossbritannien, Deutschland und in Amerika stattfand.

Elektrizität
In dieser Zeit wurden neue technologische Systeme eingeführt, vor allem die
überlegene Elektrotechnik, die eine noch grössere Produktion und den Bau
weiterentwickelter Maschinen ermöglichte.
In dieser Ära wurde auch das erste Montageband gebaut, wodurch der Prozess der
Massenproduktion weiter rationalisiert wurde. Die Massenproduktion von Gütern
am Fliessband wurde zur Standardpraxis.

Produktionsmanagement
In diese Ära fällt auch die Entwicklung der Industriekultur, verschiedene
Produktionsmanagement-Techniken wie Just-in-Time-Fertigung und schlanken
Produktionsprinzipien. Der amerikanische Maschinenbauingenieur Fredrick Taylor
untersuchte Ansätze zur Optimierung der Mitarbeiter, der Arbeitsplatztechniken
und der optimalen Ressourcenallokation. Daraus ging der «Taylorismus», eine sehr
weitgehende Arbeitsteilung hervor, welche die Anforderungen an die Arbeiter im
Produktions-prozess auf das Minimum reduzierte und in der Folge Menschen und
Maschinen nach gleicher Art zu organisieren suchte.

Die Leading Edge Technologien der zweiten industriellen Revolution waren also die
• Elektrizität
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•   Produktionsmanagement

2.4 Industry 3.0 – Industrielle Automation
Elektronik - Halbleiter
Die nächste industrielle Revolution, die zu Industry 3.0 führte, wurde durch die
Fortschritte in der Elektronikindustrie in den letzten Jahrzehnten des 20.
Jahrhunderts ausgelöst.

Industrie 3.0 führte mehr automatisierte Systeme am Fliessband ein, um
menschliche Aufgaben zu erledigen, dies vor allem unter Verwendung von
«Programmable Logic Controllers (PLC)», speicherprogrammierbaren Steuerungen.
Obwohl automatisierte Systeme vorhanden waren, blieben sie immer noch auf
menschliche Eingaben und Interventionen angewiesen.

Informationstechnologien
Ab 1970 führte der Einsatz von Elektronik und IT (Informationstechnologie, damals
noch «EDV: Elektronische Datenverarbeitung») zur weiteren Automatisierung der
Produktion. Dank Vernetzung und dem späteren Internetzugang machten
Fertigung und Automatisierung erhebliche Fortschritte.

Die Automatisierung der Produktionsprozesse und die Unterstützung durch
Softwaresysteme wie Customer Relationship Management (CRM), Enterprise
Resource Planning (ERP), Production Planning Systems (PPS), verteilter
Lagerbewirtschaftung u.v.m. haben sich seitdem kontinuierlich weiterentwickelt,
was in der Folge auch den Markt für die Software-Entwicklung beflügelt hat.

Die Leading Edge Technologien der dritten industriellen Revolution sind also
• Elektronik – Halbleiter
• Informationstechnologien

Club of Rome
1968 wurde der Club of Rome als Zusammenschluss von Experten verschiedener
Disziplinen aus mehr als 30 Ländern gegründet, um sich als gemeinnützige
Organisation für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einzusetzen. Dies
beinhaltete   insbesondere  die   Untersuchung   der  Auswirkungen     von

Industry 3.0. Mit dem 1972 veröffentlichten Bericht «Die Grenzen des Wachstums»
erlangte weltweite Beachtung. Seitdem kämpft der Club of Rome für eine
nachhaltige Entwicklung und setzt sich für den Schutz von Ökosystemen ein. Seit
2008 hat die Organisation ihren Sitz in Winterthur in der Schweiz.

2.5 Industry 3.5 – Industrielle Globalisierung
Noch vor der Industry 4.0 fand eine wichtige Veränderung in der Industrie-
Landschaft statt. Durch die fortschreitende internationale Vernetzung und die
gegenseitige Öffnung der grossen geopolitischen Blöcke wurden technische und
auch handelspolitische Barrieren der Vergangenheit abgebaut.

Computer Netzwerke
Der Druck, die Kosten weiter zu senken, ermunterte viele Hersteller, mit ihrer
Produktion in Niedriglohnländer umzuziehen, was durch eine zunehmende

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Vernetzung der Firmenstandorte (enterprise networks) ermöglicht wurde. Die
geografische Verteilung der Produktionsstandorte führte zur Entstehung des
Konzepts des Supply Chain Management.

Internet
In dieser Zeit entstand ebenfalls das DARPA Net (Defense Advanced Research
Projects Agency Network), ein «durchgebrannter Laborversuch» von drei
amerikanischen Universitäten mit dem Auftrag des US Departments of Defense
(DoD), die Technologie für ein Netzwerk zu entwickeln, welches bei einem atomaren
Schlag nicht komplett ausfällt. Die Arbeit war so erfolgreich, dass sich das Netzwerk
nach dem geplanten Projektende drei Jahren später nicht abschalten liess und von
einer wachsenden Anzahl Universitäten und Firmen weiter betrieben und genutzt
wurde. Das DARPA Net wurde später in ARPA Net und schliesslich in das heutige
Internet umbenannt.

TCP/IP
Die wichtigsten Elemente der Internet-Technologie bildeten (und tun dies bis
heute) zwei Netzwerk-Protokolle, das

-       Internet Protocol (IP), welches eine globale eindeutige Adressierung von
        Rechnern im Internet sicherstellt und das
-       Transmission Control Protocol (TCP), welches eine fehlerfreie Übertragung von
        Daten sicherstellt und die Adressierung von unterschiedlichen Diensten (z.B.
        Web, Mail, File Transfer, Telefonie) innerhalb eines Rechners ermöglicht.

Demokratischer Standardisierungs-Prozess
In dem schnell wachsenden Internet war es wichtig, rasch eine breit akzeptierte
Standardisierung zu erlangen. Diese wurde über Jahrzehnte in einem globalen
demokratischen Prozess organisiert.

Ein neuer Standard wurde vom Autor als Request For Comments (RFC) in einer
Mailing List publiziert. Nach einer bestimmten Zeit, in welcher der Vorschlag von der
Internet-Gemeinde kommentiert und kritisiert werden konnte, wurde zur
Abstimmung aufgerufen (Call For Voting, CFV), und wenn der Vorschlag
mindestens 100 und über 50% Zustimmungen erhielt, galt er als angenommen,
erhielt eine Nummer, und wurde zum Draft Standard erklärt. Bei einer genug
breiten Implementierung in den vernetzten Systemen nach einer bestimmten Zeit
wurde der Draft Standard zum regulären Standard erklärt, ansonsten wurde er von
der Standards-Liste wieder gestrichen.

Die wohl bekanntesten Standards sind der RFC 8211, welcher das SMTP Mail-
Protokoll (Simple Mail Transfer Protocol) beschreibt, und der RFC 8222, welcher die
Struktur und Semantik einer Mail-Nachricht definiert. Die beiden Protokolle vom
August 1982 finden nach wie vor globale Anwendung beim Austausch von Mails.

Die Leading Edge Technologien der «3½»-ten» industriellen Revolution sind also

1   RFC 821, https://tools.ietf.org/html/rfc821
2   RFC 822, https://tools.ietf.org/html/rfc822

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•   Computer Netzwerke
    •   das Internet
    •   TCP/IP Protocol Stack und Standard

3 Ein Hinblick – Wo stehen wir heute?
Der Boom in der Internet- und Telekommunikationsindustrie in den 1990er Jahren
revolutionierte die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren und
Informationen austauschen.

Die fortschreitende Miniaturisierung früher dazu, dass wir Rechenleistungen in
Form eines Smartphones in unserer Hand halten, welche früher ganze
Rechenzentren gefüllt hat.

Die Entwicklung der Telekommunikations-Netze und deren geografischer
Abdeckungsgrad ermöglichen es uns, von überall und zu jedem Zeitpunkt beliebige
Informationen und Dienstleistungen zu beziehen.
Im Zuge dieser Entwicklung ist ein neuer Produktionsfaktor auf die Bühne der
Betriebswirtschaftslehre getreten. Neben

-   Arbeit,
-   Rohstoffen, und
-   Betriebsmitteln, kommen zusätzlich
-   Daten hinzu.

Die „industriellen Systeme“ erstrecken sich nicht mehr nur über einen Produktions-
Standort oder eine Firma und beschränken sich nicht mehr auf die produzierende
Industrie, sondern haben nahezu alle Bereiche unseres täglichen Lebens erfasst,
was wiederum die Politik auf den Plan gerufen hat.

Diese Entwicklung hat zur „Ausrufung“ der vierten industriellen Revolution geführt.

Auf der Hannover Messe 2011 wurde der Begriff „Industrie 4.0“ erstmals öffentlich
verwendet. Mit ihm wurde die Hoffnung auf beachtliche Wertschöpfungspotentiale
und Innovationsschübe verbunden. In der Hightech-Strategie „Innovationen für
Deutschland“ der deutschen Bundesregierung vom September 2014 wurden sechs
prioritäre Zukunftsaufgaben für Wohlstand und Lebensqualität formuliert, wobei
bereits an erster Stelle eine „Digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ mit den zentralen
Aktionsfeldern Industry 4.0, Smart Services, Smart Data, Cloud Computing, Digital
Communication and Networking, Digital Science, Digital Education, und Digital
Living Environment standen.

3.1 Industry 4.0 – Industrielle Digitalisierung
Die vierte industrielle Revolution ist das Zeitalter intelligenter Maschinen,
Speichersysteme und Produktionsanlagen, die ohne menschliches Zutun autonom
Informationen austauschen, Aktionen auslösen und sich gegenseitig steuern und
kontrollieren können.
Dieser Informationsaustausch wird durch das industrielle Internet der Dinge
(Industrial Internet of Things, IIoT), wie wir es heute kennen, ermöglicht.

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Zu den Schlüsselelementen von Industry 4.0 gehören:

•       Maschinen und Geräte, welche von computergestützten Algorithmen
        gesteuert werden (Cyber Physical Systems, CPS).
•       Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) - miteinander verbundene
        Netzwerke von
        Maschinen und Transportmitteln, die mit computergestützten Abtast-, Scan-
        und Überwachungsfunktionen ausgestattet sind.
•       Cloud Computing – Bereitstellung von Computer-Ressourcen (z.B. Server,
        Speicher, Datenbanken, Netzwerkkomponenten, Software, Analyse- und
        intelligente Funktionen) über das Internet, also die Cloud, um den Zugang zu
        Ressourcen möglichst flexibel auszugestalten und Skaleneffekte optimal zu
        nutzen.
•       Cognitive Computing – Technologe-Plattformen, die künstliche Intelligenz
        einsetzen.

Intelligente Maschinen können Fehlerquellen kontinuierlich überwachen und
Fehler erkennen und vorhersagen, um vorbeugende Massnahmen und Korrekturen
vorzuschlagen oder direkt durchzuführen.
Dies ermöglicht eine bessere Vorbereitung und geringere Ausfallzeiten für die
Industrie. Der gleiche dynamische Ansatz lässt sich auch auf andere Aspekte in der
Industrie übertragen, wie Logistik, Produktionsplanung, Optimierung der
Durchlaufzeiten, Qualitätskontrolle, Kapazitätsauslastung und Effizienzsteigerung.
Mit sinkenden Vorlaufzeiten für die Fertigung einer neuen Serie ermöglichen es
Produktionsbetrieben, Einzelstück-Fertigungen zu einem ähnlich tiefen Preis wie
dem für eine Massen-Fertigung anzubieten.
Die Cyber Physical Production (CPP) ermöglicht es auch, eine geografisch weit
verteilte Produktions- und Liefer-Kette vollständig virtuell von einem Standort aus
zu visualisieren, zu überwachen und zu steuern, um so dem Produktions-
Management eine globale und umfassende Steuerungsperspektive zu
ermöglichen. Dabei werden Maschinen, Menschen, Prozesse und Infrastruktur in
einen einzigen vernetzten Kreislauf gebracht.

Wir können drei Treiber der Digitalisierung beobachten3:
• Skalierung und Rechenleistung
• Netzwerk-Erreichbarkeit
• Übertragungs-Geschwindigkeit

3   The Digital Matrix, Professor N. Venkat Venkatraman, 28. Juni 2018 in Bern

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Zunahme der Rechenleistung
Seit über 50 Jahren folgt die Entwicklung der Rechenleistung dem Mooreschen
Gesetz, welches besagt, dass sich die Anzahl der Transistoren in einem integrierten
Schaltkreis (IC) regelmässig verdoppelt, je nach Quelle alle 12, 18 oder 24 Monate. Das
Mooresche Gesetz ist eine Beobachtung und Projektion eines historischen Trends.
Die Beobachtung ist nach Gordon Moore benannt, dem Mitbegründer von Fairchild
Semiconductor und CEO und Mitbegründer von Intel, der 1965 eine jährliche
Verdoppelung der Anzahl der Komponenten pro integrierter Schaltung postulierte
und prognostizierte, dass diese Wachstumsrate noch mindestens ein weiteres
Jahrzehnt anhalten würde. Mit Blick auf das nächste Jahrzehnt revidierte er 1975 die
Prognose auf eine Verdoppelung alle zwei Jahre mit einer durchschnittlichen
jährlichen Wachstumsrate von 40%. Obwohl sich Moore bei der Vorhersage, dass
sich der historische Trend fortsetzen würde, nicht auf empirische Beweise stützte,
galt seine Vorhersage seit 1975 und ist seither als "Gesetz" bekannt geworden4.

Zunahme der Netzwerk-Erschliessung und wachsende Kommunikationssysteme
Das Metcalfe’sche Gesetz ist eine Faustregel über die Wirksamkeit von
Kommunikationssystemen. Sie geht davon aus, dass der Nutzen eines
Kommunikationssystems proportional zur Anzahl der möglichen Verbindungen
zwischen den Teilnehmern, also etwa dem Quadrat der Teilnehmerzahl wächst,
während die Kosten nur proportional zur Teilnehmerzahl selbst wachsen. Das führt
dazu, dass bei jedem Netz ab einer gewissen Grösse der Nutzen die Kosten
übersteigt. Diese mathematisch simple Überlegung wurde erstmals 1980 von
Robert Metcalfe gemacht. Seine Überlegung, die er selbst nie als Gesetz bezeichnet
und auch nicht publiziert hat, blieb unveröffentlicht bis zur Publikation als Metcalfe’s
Law and Legacy durch George Gilder im Jahr 19935.

Das seither so genannte Metcalfe’sche Gesetz erklärt die rasant steigende
Erreichbarkeit und viele der Vernetzungseffekte von Kommunikationstechniken
wie dem Internet oder dem Usenet, jedoch eher grundsätzlich als quantitativ.

Zunahme der Übertragungs-Geschwindigkeit
«Die Übertragungs-Geschwindigkeit für einen High-End-Benutzer wächst pro Jahr
um 50%.» Dies besagt das Niels’sche Gesetz über die Internet Bandbreite. Dieses
"Gesetz" wurde 1998 von Jakob Nielsen von der Nielsen Norman Group postuliert
und anschliessend in den Jahren 2008 und 2019 aktualisiert. Nielsen begann damit,
die Nutzung für sich selbst und andere intensive Datennutzer zu untersuchen und
ging dabei auf ein Modem mit 300 bps (Bits pro Sekunde) aus dem Jahr 1984 zurück.
Im Jahr 1998 hatte Nielsen ein jährliches Wachstum von 53% gemessen und auf 50%
gerundet. In den zehn Jahren von 1998 bis 2008 hatte er ein jährliches Wachstum
von 49% gemessen.

Edholms Gesetz, von Phil Edholm vorgeschlagen und nach ihm benannt, bezieht
sich auf die Beobachtung, dass die drei Kategorien der Telekommunikation,
nämlich Mobilfunknetze, nomadische Netze (WLAN und PAN) und Festnetze, sich
im um Bezug auf Übertragungsgeschwindigkeit im Gleichschritt befinden und

4 https://en.wikipedia.org/wiki/Transistor_count,
  https://ourworldindata.org/uploads/2019/05/Transistor-Count-over-time-to-2018.png
5 https://web.archive.org/web/20160402225847/http://www.seas.upenn.edu/~gaj1/metgg.html

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allmählich konvergieren. Edholms Gesetz besagt auch, dass die Datenraten für
diese Telekommunikationskategorien auf ähnlichen exponentiellen Kurven
ansteigen und sagt voraus, dass sich die Bandbreiten und die Datenraten alle 18
Monate verdoppeln, was sich seit den 1970er Jahren als wahr erwiesen hat.

Ein neues Organisationskonzept
Industry 4.0 beinhaltet aber auch ein Organisationskonzept, welches aus vier
grundlegenden Prinzipien besteht.

1.      Durchgängigkeit der Vernetzung: Produkte, Maschinen, Werkzeuge, Sensoren
        und Menschen vernetzen sich miteinander und über das Internet der Dinge
        (Industrial Internet of Things, IIoT) oder das „Internet der Menschen“ und
        kommunizieren direkt miteinander. Dabei können sie gemeinsames Wissen
        erlangen und eine gemeinsame künstliche Intelligenz entwickeln
        (swarm intelligence).
2.      Durchgängigkeit und Transparenz von Informationen: Sensordaten erweitern
        Informationssysteme digitaler Fabrikations-Modelle, um so ein virtuelles
        digitales Abbild der realen Welt zu erstellen (digital twin). Basierend auf diesen
        Modellen kann über Aktuatoren automatisch in den Fabrikations-Prozess
        eingegriffen werden, so dass dieser als kybernetisches System gesteuert und
        geregelt werden kann, und jederzeit aktuelle Informationen aus der
        Fabrikationskette abgerufen werden können (digital cybernetics).
3.      Automatisierte Assistenz: Assistenzsysteme unterstützen den Menschen mit
        Hilfe von aggregierten, visualisierten und einfach verständlichen Informationen
        (digital assistant). So können Entscheidungen sicher getroffen und auftretende
        Probleme schnell gelöst werden. Ausserdem werden Menschen bei
        anstrengenden, unangenehmen oder gefährlichen Arbeiten physisch
        unterstützt oder ganz durch Roboter ersetzt (digital proxy).
4.      Dezentrale Autonomie: Teile der Produktions-Infrastruktur - Cyber Physical
        Systems - sind in der Lage, eigenständige Entscheidungen zu treffen und
        Aufgaben möglichst autonom zu erledigen (autonomous systems) . Nur in
        Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Störungen oder Zielkonflikten, übertragen
        sie die Aufgaben an eine höhere Instanz, ein übergeordnetes System und als
        letzten Ausweg an einen Menschen. Der optimale Grad der anzustrebenden
        Autonomie ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig6.

Was sind nun die Leading Edge Technologien in der Industry 4.0?

6   Norbert Gronau, Marcus Grum, Benedict Bender: Determining the optimal level of autonomy in cyber-physical production systems. In:
    2016 IEEE 14th International Conference on Industrial Informatics (INDIN). IEEE, Poitiers, France 2016, ISBN 978-1-5090-2870-2, S. 1293–
    1299, https://doi.org/10.1109/INDIN.2016.7819367

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3.2 Leading Edge Technologies für Industry 4.0
Durchgängigkeit der Vernetzung von Produkten, Maschinen, Werkzeugen, die
Durchgängigkeit und Transparenz von Informationen, eine automatisierte
Assistenz, und dezentrale autonome Systeme lassen auf die Technologien
schliessen, welche zur Umsetzung dieser Prinzipien benötigt werden.
Daraus können wir die Leading Edge Technologien der vierten industriellen
Revolution herleiten:

•      Halbleitertechnik, Mikroelektronik und Quantum Computing
       Die Weiterentwicklung der Halbleiterindustrie und der Mikroelektronik mit einer
       kontinuierlichen Erhöhung der Integrationsdichte ist zur Fortschreibung des
       Mooreschen und auch des Niels’schen Gesetzes notwendig.
       Als Alternativen erscheinen neue Ansätze für gesteigerte Rechenleistungen am
       Horizont, wie z.B. Quantum Computing.

•      Industrial Internet of Things (IIoT)
       Das Industrielle Internet der Dinge vernetzt Maschinen, Werkzeuge, Produkte
       und    Menschen       durchgängig    und   ermöglicht   den   transparenten
       Informationsaustausch sowie die durchgängige Auslösung von Aktionen im
       gesamten Netz.

       Maschinen und gefertigte Produkte kommunizieren                während     des
       Produktionsprozesses untereinander und mit Leitsystemen.
       Gartner Reference Model for IoT7 (adapted):

       Später kommunizieren die Produkte während dem Betrieb kontinuierlich mit
       Betriebs-Leitstandsystemen, und ggf. automatisch mit den Maschinen bzw.
       Fertigungssystemen, welche sie produziert und gewartet haben.

•      Cloud
       Da die Anzahl der kommunizierenden Devices stark zunimmt, braucht es eine
       Plattform, welche dem „Ansturm von Informationen“ gewachsen ist und diese
       auch sicher aufnehmen kann. Dies ist besonders wichtig, wenn die Devices
       Nutzungsdaten für eine variable Abrechnung von Dienstleistungen an die
       Plattform senden. Verliert diese die Informationen oder kann sie nicht

7   Gartner Research 2017-2019

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aufnehmen, so können dem Dienstleistungs-Anbieter erhebliche kommerzielle
        Schäden entstehen.
        Cloud Systeme verfügen über eine Netzwerk-Anbindung mit sehr hohen
        Bandbreiten, sind elastisch bezüglich Workload und können massiv skalieren.

•       Artificial Intelligence
        Die Artificial Intelligence (AI, künstliche Intelligenz, KI) beschreibt, wie der Name
        schon sagt, die Fähigkeit von Maschinen, menschliche geistige Fähigkeiten zu
        imitieren. Diese Intelligenz ist jedoch nicht auf Maschinen beschränkt - sie gilt
        auch für Softwaresysteme. Daher gibt es die Unterscheidung zwischen Robotik
        und maschinellem Lernen (oder AI). Die drei Hauptkomponenten sind daher
        - die Maschine oder das System,
        - Software, und die
        - Internet-Konnektivität (Cloud and Big Data).

        Artificial Intelligence ist ein bedeutender Teil von Industry 4.0
        AI ist eine der neuen Technologien, die von den Produktions-Firmen bereits zur
        Verbesserung der Produktqualität, der Effizienz und zur Senkung der
        Betriebskosten       eingesetzt     wird.  Wir     können     den Aufbau    von
        Arbeitsbeziehungen zwischen Menschen und Robotern beobachten, ein
        Bereich, der stark von der Nutzung von AI in den Produktionsstätten profitiert.
        Die Smart Factory (intelligente Fabrik) mit vollständig verbundenen
        Produktionsprozessen(hyper          connected),    besteht    aus verschiedenen
        Maschinen, die alle miteinander kommunizieren und sich auf AI-
        Automatisierungsplattformen stützen, um alle Arten von Daten einschliesslich
        Messwerten von Sensoren, Bildern, Audio, Video, Text und Code zu analysieren
        und dann selbständig geeignete Planungs-, Optimierungs- und Korrektur-
        Massnahmen einzuleiten.

        Bots und Fraktal-Technologie
        Fertigungsunternehmen           versuchen,       möglichst         voll-integrierte
        Automatisierungsplattformen einzusetzen unter Verwendung von Bots, die mit
        Fraktal-Technologie gebaut wurden, um verwaltungsbasierte Rollen und
        Aufgaben zu übernehmen8. Die Fraktal-Theorie, eine Disziplin aus der Chaos
        Theorie, basiert auf der Prämisse der Selbstähnlichkeit in verteilten Neuronalen
        Netzwerken (Distributed Neural Networks) und dass Netzwerke von Neuronen
        ähnliche, aber nicht identische Signale über untersuchte Muster senden. Da die
        Fraktal Theorie eher deterministisch ist, benötigt man mit der Fraktal-
        Technologie weniger Infrastruktur, weniger Rechenleistung, und sie ist einfach
        und schnell zu implementieren.

        Diese Arten der AI, die als Multi-Mandanten-Plattformen (multi-tenancy
        platforms) bekannt sind, ermöglichen es, mehreren Bots auf einem einzigen
        Rechner zu betreiben und mehrere verschiedene Prozesse gleichzeitig
        auszuführen.
        Diese Bots, als Teil oder unter Einbezug von Cognitive Services (AI Services aus
        der Cloud) werden nicht nur den Herstellungsprozess beschleunigen, sondern

8   Dataquest India, Februar 2020, https://www.dqindia.com/empowering-industry-4-0-artificial-intelligence/

2021-03-24                                                           11                                       Rudolf Meyer
auch menschliche Arbeitskräfte bei der Entscheidungsfindung unterstützen.
    Bots können strukturierte und unstrukturierte Daten in Form von Messdaten,
    Algorithmen und Systemmeldungen in Echtzeit sammeln, verarbeiten,
    analysieren und daraus bestimmte Ereignisse beschreiben (descriptive
    analytics), erklären (diagnostic analytics), voraussagen (predictive analytics),
    Handlungs-Vorschläge machen (prescriptive analytics), und schliesslich die
    Handlungs-Vorschläge unter Einsatz statistischer und linguistischer
    Technologien für den Menschen besser verständlich machen (augmented
    analytics). Wo erwünscht, werden sie Entscheidungen über ihre Handlungs-
    Vorschläge gleich selbst fällen und diese autonom umsetzen (autonomous
    systems).

    Machine Learning, ein Subset of AI
    Beim maschinellen Lernen (machine learning) entdecken Maschinen (Rechner),
    wie sie Aufgaben ausführen können, ohne explizit dafür programmiert zu sein.
    Dabei «lernen» Computer aus bereitgestellten Daten, so dass sie bestimmte
    Aufgaben ausführen können. Für einfache Aufgaben, die Computern
    zugewiesen werden, ist es möglich, Algorithmen zu programmieren, die der
    Maschine sagen, wie sie alle zur Lösung des jeweiligen Problems erforderlichen
    Schritte ausführen soll - auf Seiten des Computers ist kein Lernen erforderlich.
    Bei fortgeschritteneren Aufgaben kann es für einen Menschen eine schwierig
    oder zu aufwändig sein, alle benötigten Algorithmen manuell zu erstellen. Es
    kann sich als wirksamer erweisen, der Maschine bei der Entwicklung eines
    eigenen Algorithmus zu helfen, als dass der Programmierer jeden erforderlichen
    Schritt spezifizieren muss.

    Maschinen können die menschlichen Fähigkeiten des Denkens und des
    Wissenserwerbs nur imitieren. Menschen lernen durch verschiedene Methoden,
    für welche es keine "Einheitslösung" gibt. Das Lernen erfolgt durch Beispiel
    (Imitation), Versuch und Irrtum (Heuristik) und Wiederholung (Empirik) oder
    Auswendiglernen (Drill, Memorisieren).
    Zum Tragen kommt Machine Learning dank den grossen verfügbaren Rechner-
    Kapazitäten, welche das Durchspielen von Lern-Algorithmen in grosser Anzahl
    und kurzer Zeit erlauben.

•   Chiffrier- Und Blockchain-Technologie
    Aufgrund der durchgängigen Vernetzung von Systemen im Internet in einem
    Mass, welches von Menschen oder auch Firmen kaum überschaubar ist,
    gewinnen Technologien für den Schutz von Daten (Vertraulichkeit,
    Unverfälschbarkeit) zunehmende Bedeutung.
    Die dafür notwendigen Chiffrier-Technologien (encryption technologies) sind
    seit langer Zeit verfügbar und könne in zwei Kategorien aufgeteilt werden.
    - Beim Secret Key Verfahren chiffriert man mit einem geheimen Schlüssel die
        zu schützenden Daten und braucht denselben Schlüssel, um die Daten
        wieder zu dechiffrieren. Sender und Empfänger von Daten müssen also
        denselben Schlüssel besitzen und benutzen.
    - Beim Public Key Verfahren werden zwei Schlüssel generiert für jeden
        Teilnehmer am Datenaustausch. Alles was mit dem ersten Schlüssel
        chiffriert worden ist, kann mit dem zweiten Schlüssel dechiffriert werden,
        und umgekehrt. Jeder Teilnehmer verwahrt den einen Schlüssel als Private
        Key an einem sicheren Ort und publiziert den zweiten Schlüssel als Public
        Key an alle Teilnehmer eines Datenaustauschs.

2021-03-24                               12                          Rudolf Meyer
Public Key Infrastructure (PKI)
  Die Public Key Infrastructure (PKI) beschreibt Methoden und Tools, um Daten
  vor unberechtigtem Zugriff zu schützen, den Sender von Daten sicher zu
  identifizieren, und Verfälschungen von Daten während der Übertragung zu
  verhindern. Um die Echtheit bzw. das rechtmässige Eigentum eines
  Schlüsselpaares zu bestätigen, braucht es digitale Zertifikate, welche von
  akkreditierten Zertifizierungsstellen (certificate authority) vergeben werden.
  Mit PKI könnten die am meist verbreiteten Missbräuche im Internet eliminiert
  werden:
  - SPAM – Anonyme Mails → Absender mit PKI sicher identifiziert. Mail-
    Programme würden nur korrekt signierte Mails akzeptieren, und damit
    wären diese nicht mehr anonym.
  - Spoofing, Hijacking – Falscher Datenverkehrs-Absender vortäuschen um den
    vertraulichen Datenverkehr zu einem Server abzufangen → Absender mit
    PKI sicher identifizierbar. Systeme und Netzwerke würden nur korrekt
    signierte Daten-Pakete akzeptieren.
  - Phishing Attacks – Falschen Absender vortäuschen, um den Empfänger zu
    falschen und schädlichen Handlungen anzuleiten → Absender mit PKI
    sicher identifizierbar.
  - Man in the Middle Attack – Abhören von Informationsaustausch →
    Datentransfer ist durch Chiffrierung vor Fremdzugriff geschützt, ohne dass
    der zur Dechiffrierung benötigte Schlüssel übertragen werden muss.
  - Virus Attacks – Erlangung von unberechtigtem Zugriff auf Daten und
    Systeme durch Schadsoftware → Durch PKI ist die Signatur des Erstellers von
    Software identifizierbar. Betriebssysteme würden nur korrekt signierte
    Programme ausführen.
  - Ransom Attacks – Verschlüsselung von Firmendaten durch Schadsoftware
    und Erpressung
    eines Lösegelds als Gegenleistung zur Herausgabe des Decryption Keys →
    Durch PKI ist die Signatur des Erstellers von Software identifizierbar.
    Betriebssysteme würden nur korrekt
    signierte Programme ausführen.
  - Non-Repudiation, Proof of Evidence – Abstreiten eines Mail-Versands oder
    eines Programm-Aufrufs → Absender bzw. Benutzer des Programm-Aufrufs
    mit PKI sicher identifizierbar.

  Die Technologie wird in der Client-Server Kommunikation im Internet
  flächendeckend eingesetzt und zunehmend von Regierungs-Institutionen und
  Organisationen      zur    Implementierung     von   digitalen    Unterschriften
  übernommen.
  Allerdings bleibt die flächendeckende Verbreitung auf alle Benutzer im Internet
  aus, da leider für das Zertifizierungs-Geschäft, also die akkreditierten
  Zertifizierungs-Stellen ein Oligopol besteht. Deshalb sind Zertifikate zur
  Signierung von Mails, Programm- und Web-Aufrufen, sowie zur
  Signierung von Software nur überteuert erwerbbar, so dass sich viele Benutzer
  den «Luxus eines Zertifikats» nicht leisten können oder wollen –– und die Politik
  unternimmt nichts dagegen.

  Blockchains
  Eine Blockchain (Block Chain, Kette von Blocks) ist eine wachsende Liste von
  Datensätzen,
  genannt Blöcke, die durch Kryptographie verknüpft sind. Jeder Block enthält

2021-03-24                             13                           Rudolf Meyer
einen kryptographischen Hash9 (message digest) des vorherigen Blocks, einen
        Zeitstempel und Transaktionsdaten in Form einer wachsenden Baum-Struktur
        (Merkle Tree, Merkle-Damgård Construction).

        Eine Blockchain ist vom Design her gegen nachträgliche Änderungen ihrer
        Daten resistent. Sie ist ein offenes, verteiltes Hauptbuch, das Transaktionen
        zwischen zwei Parteien effizient, sicher und auf überprüfbare und dauerhafte
        Weise aufzeichnen kann (digital ledger). Für die Verwendung als verteiltes
        Hauptbuch wird eine Blockchain typischerweise von einem Peer-to-Peer-
        Netzwerk verwaltet, das sich kollektiv an ein gemeinsames Protokoll für die
        Kommunikation zwischen den akkreditierten teilnehmenden Knoten hält und
        neue Blöcke validiert. Einmal aufgezeichnet, können die Daten in einem
        bestimmten Block nicht rückwirkend geändert werden, ohne dass alle
        nachfolgenden Blöcke geändert werden, was den Konsens der
        Netzwerkmehrheit erfordert (consensus). Obwohl Blockchain-Aufzeichnungen
        nicht unveränderlich sind, können Blockchains vom Design her als sicher
        angesehen werden und sind ein Beispiel für ein verteiltes Computersystem mit
        hoher byzantinischer Fehlertoleranz. Ein byzantinischer Fehler (byzantine fault,
        auch als interaktive Konsistenz, Quellkongruenz oder Fehlerlawine bekannt) ist
        der Zustand eines verteilten Computersystems – hier also der in einer Blockchain
        teilnehmenden Rechner, bei dem Komponenten ausfallen oder Fehlfunktionen
        auftreten können und es unvollständige Informationen darüber gibt, ob eine
        Komponente ausgefallen ist. Der Begriff kommt von einer beispielhaften
        Problem-Beschreibung, dem "Problem der byzantinischen Generäle", das
        entwickelt wurde, um eine Situation zu beschreiben, in der sich die Akteure des
        Verbands (die Blockchain) auf eine konzertierte Strategie einigen müssen, um
        ein katastrophales Versagen des Systems zu vermeiden (Verlust oder
        unzulässige Änderung von daten in der Blockchain), aber einige dieser Akteure
        unzuverlässig oder Verräter sind.
        Aus diesem Grund bleibt eine Blockchain sicher, solange die Mehrheit der
        teilnehmenden Rechner sich korrekt verhält.

        Smart Contracts
        Basierend auf der Blockchain Technologie sind Smart Contracts
        Computerprotokolle,                                                    welche
        Verträge abbilden oder überprüfen, oder aber die Verhandlung oder Abwicklung
        eines Vertrags technisch unterstützen können. Eine schriftliche Fixierung des
        Vertrags (auf Papier oder in einer Datei) wird damit unter Umständen
        überflüssig. Smart Contracts haben Benutzerschnittstellen und bilden die Logik
        vertraglicher Regelungen technisch ab. Damit wird versucht, eine höhere
        Vertragssicherheit gegenüber traditionellem Vertragsrecht bei gleichzeitiger
        Reduktion der Transaktionskosten zu erreichen. Der Einsatz von Smart Contracts
        ermöglicht neue Geschäftsmodelle und verbesserte Vertragsprozesse. So
        können manuelle Vertragsprozesse mit Dokumentationslücken vermieden und
        damit die Geschwindigkeit und Qualität der grundlegenden Geschäftsprozesse
        erhöht werden.

9   Cryptographic Hash Functions https://en.wikipedia.org/wiki/Cryptographic_hash_function,
    https://en.wikipedia.org/wiki/Comparison_of_cryptographic_hash_functions

2021-03-24                                                         14                         Rudolf Meyer
Zusammengefasst: Die Leading Edge Technologien der vierten industriellen
Revolution sind also
  • Halbleitertechnik, Mikroelektronik und Quantum Computing
  • Industrial Internet of Things
  • Cloud
  • Artificial Intelligence
  • Chiffrier- und Blockchain-Technologie

4 Ein Ausblick – Industry 4.0, 5.0, 6.0, 7.0…
Wenden wir uns nun dem Ausblick auf die Zukunft zu, oder genauer, dem Ausblick
auf «eine mögliche» Zukunft. Dabei ist es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle
Aspekte der weiteren Entwicklung der vierten industriellen Revolution gleich genau
antizipiert werden können, und dies gilt in verstärktem Mass für den Ausblick auf
die Zeit nach Industry 4.0. Die folgenden Ausführungen enthalten also zum Teil
spekulative Überlegungen zu einer möglichen Zukunft.

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Gemäss einer Studie10 der Forscher Carl Frey and Michael Osborne der Oxford
University, die seit ihrem Erscheinen im Jahr 2013 grosse Aufmerksamkeit auf sich
gezogen hat. Die Studie hat über 700 Berufsgruppen – allerdings nur auf den US-
Arbeitsmarkt bezogen – und deren Zukunftsaussichten hinsichtlich ihrer
„Rationalisierung durch Automatisierung“ berechnet.

Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte der Arbeitsplätze in den
kommenden 20 Jahren bedroht sein wird. Sicher – die Berufsgruppen des US-
Arbeitsmarktes lassen sich nicht 1:1 auf den europäischen oder deutschen
Arbeitsmarkt übertragen. Das Nettoergebnis ist, dass 47% der Arbeitsplätze einem
hohen Rationalisierungs-Risiko ausgesetzt sind, 19% einem mittleren Risiko und 33%
einem geringen Risiko.

10   Future of Work, Frey and Osborne, University of Oxford 2013, https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/future-of-work/,
     https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/publications/the-future-of-employment/

2021-03-24                                                          15                                            Rudolf Meyer
Anstehende Entwicklungen
In der ersten Welle der digitalen Transformation wurden analoge Informationen
digitalisiert und so für die Informationssysteme verwendbar gemacht.

In der zweiten Welle der digitalen Transformation11 werden für die physischen
Devices digitale Twins erstellt (Zwillings-Abbilder), welche eine durchgängige
Bearbeitung durch Informationssysteme erlauben. Basierend auf den
Informationen des digitalen Twins kann ein Informationssystem über Aktuatoren
automatisch in das Verhalten des Devices eingreifen, so dass dieser ebenfalls als
kybernetisches System gesteuert und geregelt werden kann, und seine aktuelle
Zustands-Informationen jederzeit abgerufen werden können.
Die zweite Welle der digitalen Transformation wird zu neuen Geschäftsmodelten
führen und neue Anbieter auf den Markt rufen.

Autonomous Systems

•       Autonomous Cars, Autonomous Aircrafts
        Wenn Experten das Sicherheitspotenzial von selbstfahrenden Autos
        veranschaulichen wollen, weisen sie zu Recht auf die bemerkenswerte
        Sicherheitsbilanz moderner Flugzeuge hin. Weltweit ereignet sich nur ein
        tödlicher Unfall pro 3 Millionen grosser kommerzieller Passagierflüge (ein
        Rückgang um den Faktor 16 seit den 1970er Jahren). Im vergangenen Jahr kam
        es bei US-Fluggesellschaften erstmals seit 2009 wieder zu einem Todesfall.

        Aber die Piloten sollten dafür nicht die ganze Anerkennung erhalten.
        Verkehrsflugzeuge befinden sich bei jedem Flug nur etwa drei bis sechs Minuten
        lang in den Händen eines Menschen - meist während dem Start und der
        Landung. Den Rest der Zeit sind automatisierte Systeme zuständig. Seit
        mindestens einem Jahrzehnt gibt es eine Technologie, mit der
        Verkehrsflugzeuge mit wenig, bis gar keiner menschlichen Unterstützung
        fliegen können. Der Grund dafür, dass sie das nicht tun, ist eher eine Frage der
        Regulierung - und der menschlichen Psychologie - als der Technologie selbst.

        Zwei Abstürze von Boeings Flugzeugen des Typs 737 Max 8 haben jüngst 346
        Menschenleben gefordert. Es ist nicht die Technologie, die versagt hat (obwohl
        die                Flugsensoren                   auf                   beiden
        Flügen offenbar nicht funktionierten und der Software Systeme fehlten, die
        fehlerhafte Messwerte verhindern hätten können). In ihrem Bestreben, ihre
        Flugzeugkonstruktion aus den 1960er Jahren zu modernisieren, um mehr
        Passagiere befördern zu können und eine bessere Treibstoffeffizienz auf billige

11   The Digital Matrix, Professor N. Venkat Venkatraman, 28. Juni 2018 in Bern

2021-03-24                                                            16          Rudolf Meyer
Weise zu erreichen, übersahen das Luft- und Raumfahrtunternehmen und seine
    Regulierungsbehörden eine Kaskade von Fehlern, die sich bei jedem Schritt
    verschlimmerten. Dies führte dazu, dass zwei Flugbesatzungen darum
    kämpften - und dabei scheiterten - die Kontrolle über ihr Flugzeug einem
    autonomen        Lenksystem     zu    entreissen,  das     ihre  Maschine
    wiederholt in einen Sturzflug zwang.

    Sicherheitseinrichtungen      wurden      als   teure     Extras   anstatt   als
    Standardausrüstung verkauft. Die Nachschulung der Piloten wurde praktisch
    ignoriert ("eine einzige iPad-Unterrichtslektion für eine Stunde" gemäss einem
    Piloten). Trotz der Neugestaltung des Rahmens und der Triebwerke des
    Flugzeugs stellte Boeing die Änderungen als minimal dar, obwohl die
    Änderungen die Handhabung des Flugzeugs völlig veränderten.

    Nach den Boeing-Ereignissen stellt sich für selbstfahrende Autos nicht mehr nur
    die Frage, ob wir der Technologie auf unseren Strassen vertrauen können - die
    Frage ist, ob wir den Unternehmen und Regulierungsbehörden, die solche
    Technologien entwickeln, überhaupt vertrauen können. Die kaltblütigen
    Berechnungen von Boeing, wenn es darum ging, das Leben anderer Menschen
    zu riskieren, deuten auf die Probleme bei der Zertifizierung von automatisierten
    Fahrzeugen hin. Die Software für selbstfahrende Autos wird viel komplizierter
    und weniger getestet sein als diejenige in Flugzeugen.

•   Smart and Autonomous Highways
    Im Jahr 2014 wurde in den Niederlanden ein Streifen "intelligenter" Autobahn
    mit im Dunkeln leuchtenden Strassenmarkierungen eröffnet, um die
    Verkehrssicherheit zu verbessern.
    Als der niederländische Designer Daan Roosegaarde Ende 2012 seine Pläne für
    eine "intelligente" Autobahn enthüllte, schien es ein ehrgeiziges Projekt zu sein.
    Entworfen, um sowohl die Verkehrssicherheit als auch die Umweltfreundlichkeit
    zu verbessern, schlug er mehrere
    Merkmale vor, darunter:
    - dynamische,
      temperaturempfindliche
      Markierungen, die sich je nach
      Wetterbedingungen ändern können
    - leuchtende Fahrbahnmarkierungen
    - Windanzeigeleuchten, und
    - eine mit Induktionsspulen versehene
      Fahrspur, um Elektroautos beim
      Überfahren aufladen zu können.
    Die    Markierungen       selbst  sind    dank    eines   speziell  entwickelten
    langnachleuchtenden Pulvers, das der Strassenfarbe beigemischt wird, sehr hell,
    und sie bleibt bis zu 10 Stunden lang hell, nachdem sie tagsüber mit Sonnenlicht
    aufgeladen wurde. Dies ist in den Niederlanden besonders willkommen, wo die
    Strassenbeleuchtung spät in der Nacht ausgeschaltet wird, um Geld zu sparen,
    was zu gefährlichen Fahrbedingungen führt.
    Als Erweiterung könnten Autonome Highways den Verkehr künftig basierend
    auf ihren Sensordaten autonom regeln.

•   Autonomous Weapons, Autonomous Warfare

2021-03-24                                17                           Rudolf Meyer
Autonome Waffen (Lethal Autonomous Weapons, LAWs) sind autonome
        militärische     Systeme,     welche    auf     der  Grundlage programmierter
        Beschränkungen (constraints) und Beschreibungen (descriptions) selbständig
        nach Zielen suchen und diese bekämpfen können. Autonome Waffen werden
        auch als Roboterwaffen (robot weapons), Killerroboter (killer robots) oder
        Schlachtroboter (slaughterbots) bezeichnet. Autonome Waffen können in der
        Luft, zu Lande, zu Wasser, unter Wasser oder im Weltraum operieren. Die
        Autonomie der derzeitigen Systeme wurde ab 2018 durch internationale
        Abkommen in dem Sinne eingeschränkt, dass ein Mensch den letzten Befehl
        zum Angriff geben muss, wobei es bei bestimmten "defensiven" Systemen
        Ausnahmen geben kann.
        Bei der autonomen Kriegsführung (autonomous warfare) wird einem
        Kampfleitsystem innerhalb von definierten Grenzen die freie Wahl gelassen,
        dieses Gebiet mit autonomen Waffen zu verteidigen oder zu erobern.
        Die Zivilgesellschaften werden sich dieser Entwicklung stellen müssen, wollen
        sie via Politik die Kontrolle über das Militär beibehalten.

 Artificial Excellence

•       Project Debater

        Der Project Debater ist ein AI-System, welches von IBM seit 2012 entwickelt wird12,
        und das mit Menschen über komplexe Themen eine Diskussion führen kann. Der
        Project Debater verarbeitet umfangreiche Texte, erstellt einen gut strukturierten
        Text (Rede) zu einem bestimmten Thema, und diskutiert (bestätigt und
        widerlegt) Argumente mit seinen «Diskurs-Gegnern». Schließlich hilft der Project
        Debater den Menschen beim kausalen Denken, indem er überzeugende,
        evidenzbasierte Argumente liefert und den Einfluss von Emotionen,
        Voreingenommenheit oder Mehrdeutigkeiten reduziert.

•       Artificial Decision Makers

        Betrachten wir beispielhaft die mögliche                                         Entwicklung        des   CFO   als
        Schlüsselposition in einer Unternehmung:

        Augmented CFO
        1. Verbesserte Entscheidungsfindung

             CFOs müssen bei komplexen Entscheidungen mit grosser Tragweite, wie z.B.
             bei grossen Investitionsprogrammen, Turnaround-Projekten, Übernahmen,
             ihre Entscheidungsfindung für Finanzanalysten und Investoren transparent
             begründen können. Entscheidungen dieser Art basieren auf zahlreichen
             Metriken, welche die komplexen Zusammenhänge zwischen den
             verschiedenen Performance-Indikatoren nicht transparent widerspiegeln.

12   IBM Research, Project Debater, https://www.research.ibm.com/artificial-intelligence/project-debater/

2021-03-24                                                           18                                     Rudolf Meyer
AI verringert diese Komplexität, indem die Faktoren, welche die Leistung
     beeinflussen, vernetzt werden und die Korrelationen zwischen allen
     potenziellen Faktoren aufgedeckt wird. Dies ermöglicht es den CFOs, die
     Auswirkungen einer Entscheidung genau zu modellieren.

  2. Frühwarnsysteme

     Für Unternehmen in hochzyklischen Branchen und Unternehmen, die von
     schwankenden Rohstoffpreisen beeinflusst werden, kann eine genaue
     Prognose von Wirtschaftsindikatoren wie z.B. BIP, Verbraucherindices,
     Konjunktur-Trends und Rohstoff-Marktzahlen den Unterschied zwischen
     Erfolg und Misserfolg ausmachen. Viele dieser Frühindikatoren werden nur
     monatlich oder vierteljährlich veröffentlicht, sodass Unternehmen nur sehr
     wenig Zeit haben, auf Veränderungen zu reagieren und ihre Strategien
     anzupassen.

     Daher suchen die CFOs nach Möglichkeiten, diese Indikatoren so früh wie
     möglich zu erhalten, um Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds zu
     antizipieren und proaktive Entscheidungen über Risikoexposition,
     Kapitalinvestitionen, Kauf/Verkauf von Lagerbeständen und eine genauere
     Prognosen des Geschäftsgangs zu ermöglichen. Durch die Kombination
     externer Daten mit internen Daten eines Unternehmens kann AI monatliche
     oder sogar wöchentliche Vorhersagen erstellen und Warnungen über
     mögliche Veränderungen in der Wirtschaft generieren, bevor diese
     Frühindikatoren veröffentlicht werden.

     Mit diesem Ansatz können Unternehmen beispielsweise ein Frühwarnsystem
     aufbauen. Sie können aus den Änderungen in verschiedenen
     Geschäftszyklen und ihren Auswirkungen auf Vertrieb, Produktion und
     andere Bereiche lernen, indem sie interne Daten aus verschiedenen
     Geschäftsbereichen wie Bestellungen, Verkauf, Lagerbestand, Produktion
     und Betriebsdaten verwenden. Sie können dann mithilfe von Algorithmen für
     Machine Learning sogenannte Nowcasting Modelle erstellen (die sehr
     kurzfristige Vorhersagen ermöglichen), um den Kausalzusammenhang
     zwischen den internen Faktoren und makroökonomischen Indikatoren zu
     verstehen.

     Letztendlich kann dies ermöglichen, eine Reihe von Frühwarnsignalen zu
     identifizieren, die regelmässig vorhergesagt und schneller als die Standard-
     KPI verfügbar gemacht werden können. Diese Signale können den CFO auf
     potenzielle zukünftige Chancen und Gefahren aufmerksam machen
     (predictive analytics), und basierend darauf können auch Handlungs-
     Empfehlungen (prescriptive analytics) generiert werden.

  Artificial CFO

  Wenn man den Gedanken weiterspinnt, könnte die Umsetzung der Handlungs-
  Empfehlungen (Entscheide) teilweise oder vollständig an ein AI-basiertes
  kybernetisches System übertragen werden (autonomous system), und der
  «reale» CFO kann sich auf die Kontrolle des Systems und auf die Strategie
  konzentrieren.

2021-03-24                            19                          Rudolf Meyer
Artificial Executive Board

     Ähnlich wir beim CFO ist es möglich, weitere Teile einer Geschäftsleitung, oder
     sämtliche Funktionen an ein autonomes System übertragen werden, und die
     Mitglieder der Geschäftsleitung können sich auf die kreativen Aktivitäten der
     Geschäftsführung fokussieren.

4.1 Industry 5.0 – Industrielle Kollaboration
Weniger als ein Jahrzehnt ist vergangen, seit erstmals von Industry 4.0 die Rede war,
und doch prognostizieren Visionäre bereits die nächste Revolution - Industry 5.0.
Wenn die aktuelle Revolution die Umwandlung von Fabriken in IoT-fähige
intelligente Einrichtungen betont, die Cognitive Computing nutzen und über
Cloud-Server miteinander verbunden sind, wird sich Industry 5.0 auf die Rückkehr
der menschlichen Hände und des menschlichen Geistes in das industrielle
Framework konzentrieren.

Als ein Resultat der Industry 4.0 werden viele Jobs durch Maschinen übernommen
worden sein, was zu einer Umschichtung des Arbeitsmarktes bezüglich benötigter
Ausbildungen und Fähigkeiten führen, und während dessen Umbau wohl zu
grösseren Herausforderungen für die Zivilgesellschaft führen wird.

Industry 5.0 ist die Revolution, in der sich «Mensch und Maschine versöhnen» und
Wege zur Zusammenarbeit finden, um die Produktion zu verbessern. Die fünfte
Revolution könnte bei den Unternehmen, die gerade erst die Prinzipien von Industry
4.0 übernehmen und welche Maschinen neu bislang dem Menschen vorbehaltene
Aufgaben zuweisen, bereits im Gange sein. Selbst wenn die Produktions-Firmen
beginnen, fortschrittliche Technologien einzusetzen, entlassen sie nicht sofort weite
Teile ihrer Belegschaft und werden augenblicklich vollständig digitalisiert.
Ausserdem kämpfen in Teilen der Industrie Abteilungen, welche die digitale
Transformation vorantreiben mit Akzeptanz-Problemen gegenüber der
Automatisierung und dem damit verbundenen Arbeitsplatz-Abbau.

Industry 5.0 wird eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Menschen und
intelligenten Systemen bringen. Die Kombination der beiden Kompetenzen wird
die Hochgeschwindigkeitsgenauigkeit der industriellen Automatisierung um die
kognitiven, kritischen Denkfähigkeiten des Menschen ergänzen. Laut Esben H.
Østergaard, Chief Technology Officer von Universal Robots, ist die Entwicklung hin
zu Industry 5.0 notwendig, da die Kunden einen hohen Bedarf an Individualisierung
der gekauften Produkte haben13.

Individualisierung und Personalisierung
Die Kunden bevorzugen ein gewisses Mass an "praktischer" Personalisierung und
Anpassung ihrer Produkte. Ähnliches beschreibt ein von Esben H. Østergaard
zitierter Artikel von Bloomberg14, in dem die Entscheidung des Autoherstellers

13Blog von Esben H. Østergaard, https://blog.universal-robots.com/author/esben-h-%C3%B8stergaard
14“Mercedes Boots Robots From the Production Line” by Elisabeth Behrmann and Christoph Rauwald, Bloomberg 2016
 https://www.bloomberg.com/news/articles/2016-02-25/why-mercedes-is-halting-robots-reign-on-the-production-line

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