Lernen von Hirnkontrolle - Klinische Anwendung von Brain-Computer Interfaces - De ...
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Übersichtsartikel Neuroforum 2015 · 21:130–143 Niels Birbaumer1,2 · Ujwal Chaudhary1 DOI 10.1007/s12269-015-0023-3 1 Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland 2 IRCCS, Ospedale San Camillo, Venedig, Italy Lernen von Hirnkontrolle – Klinische Anwendung von Brain-Computer Interfaces Einleitung Jahrhundert stark von arabischen Wis- te durch die Entwicklung der Psychophy- senschaftlern geprägt war, wurde aber siologie in der Humanforschung des 20. Vermutlich ist die Idee, Gedanken direkt, bereits früh erkannt, dass Verhalten und Jahrhunderts, auf der anderen Seite durch ohne Umweg über die Motorik in Bewe- Denken hirnabhängig ist, um schließ- die neurophysiologische Tierforschung, gung umzusetzen, so alt wie die Mensch- lich in der Frührenaissance zur Gewiss- besonders die Ableitung von einzelnen heit. Magisches und religiöses Denken heit zu werden. Damit rückte allerdings Neuronen, die man hörbar und sichtbar geht häufig davon aus, dass mit Denken eine mechanistische Vorstellung in den machen konnte und damit Messappara- und Fühlen die Vorgänge um uns beein- Vordergrund, welche das Hirn als inne- te und externe Geräte ansteuern konnte. flussbar oder sogar steuerbar sind. Inte- res Organ mit mehr oder weniger auto- Der Begriff des „Gehirn-Compu- ressanterweise wurde diese Vorstellung nomen Funktionskreisen – vergleichbar ter-Interfaces“ (Brain Computer Inter- seit der Renaissance und später im 18. dem gastrointestinalen System – ansah face, BCI) wurde von dem französischen und 19. Jahrhundert, als klar wurde, dass und somit die Beeinflussbarkeit der Hirn- Neurophysiologen Jaques Vidal erstmals das Gehirn als Träger unserer seelischen funktionen durch willentliche Vorgänge gebraucht, der bereits 1973 die potenziel- Vorgänge fungiert, als irrational einge- und Lernen als nicht relevant angesehen len Anwendungen der direkten Compu- stuft und in den Hintergrund der philo- wurde. Wiederbelebt wurde dieser vor- tersteuerung durch Hirnvorgänge vor- sophischen und wissenschaftlichen Über- mittelalterliche Traum von der direkten aussah. Etwa zur selben Zeit entwickelte legungen gedrängt: Im Rahmen der west- Manipulation der Umgebung durch Den- sich Psychophysiologie im Rahmen der lichen Philosophie, welche im 11. und 12. ken und Vorstellungen auf der einen Sei- Untersuchungen zum Erlernen der Kon- Abb. 1 8 Fokusierung der Hirnaktivität (BOLD) auf die Zielregion (anteriore Insel) im Laufe des Erlernens von Selbstregulation mit real-time funktioneller Resonanztomografie (rt-fMRI) Neurofeedback. a Neurofeedback-Training der vorderern Inselre- gion von Sitzung 1 bis Sitzung 5 (von oben nach unten, Sitzungen 3–4 sind nicht gezeigt). Man erkennt, dass sich der gelern- te BOLD-Anstieg (rot-gelb) zunehmend auf die Inselregion beschränkt. b Quantitativ lässt sich dieser Effekt als Abfall der Zahl der Aktivierungscluster (rot) und simultanen Anstieg der durchschnittlichen Distanz zwischen den Clustern (blau) abbilden. Aus: Birbaumer et al (2013). Learned regulation of Brain Metabolism. Trends in Cogn. Sc., 17, 295–302 130 | Neuroforum 4 · 2015
trolle physiologischer Vorgänge als „Bio- Einzelzellableitung an nicht-humanen im Rahmen chronischer neurologischer feedback“, was später, sofern Hirnprozes- Primaten und andererseits durch die kli- Erkrankungen wurden Mikroelektroden se erlernt wurden, als „Neurofeedback“ nischen Erfolge der Neurofeedback-For- in den motorischen Kortex implantiert, bezeichnet wurde. Die ersten Arbeiten schung am Menschen. welche mit Hand-Robotern oder Hand- zur Selbstkontrolle des Alpha-Rhythmus Über implantierte Mikroelektroden im Arm-Orthosen verbunden wurden. Die erschienen 1962, verfasst von Joe Kamiya motorischen Kortex von Affen konnte ge- Patienten konnten relativ rasch lernen, und zeigten, dass gesunde Versuchsper- zeigt werden, dass die Tiere innerhalb re- durch Denken der Bewegung das Feuern sonen rasch lernen konnten, die Alpha- lativ kurzer Zeit lernten, mit Änderungen ihrer motorischen Zellen so zu beeinflus- Aktivität (8–13 Hz) des eigenen Elektro- ihrer Aktionspotenzialsequenzen aus ein- sen, dass sie mit den peripheren Neuro- enzephalogramms (EEG) willentlich zu zelnen motorischen Zellen auf dem Bild- prothesen vital wichtige Bewegungsse- verändern, wenn sie darüber kontinuier- schirm eines Computers Lichtsignale in quenzen wie Trinken erlernen konnten liche Rückmeldung z. B. in Form eines vorgegebene Richtungen zu bewegen, [3, 5]. an- und abschwellenden Tones erhiel- bzw. mit der Aktivität von nur wenigen Diese Humanversuche an teilweise Ge- ten. Diese Bemühungen erhielten aller- motorischen Zellen komplexe Arm- und lähmten zeigen, dass komplexe natürliche dings in den späten 70er und frühen 80er Handbewegungen einer Prothese zu steu- Bewegungen direkt von wenigen Nerven- Jahren des vorigen Jahrhunderts einen ern (Fetz 1969). Die mathematischen Al- zellen des Gehirns gesteuert werden kön- „Dämpfer“, nachdem Tierversuche zur gorithmen zur Übersetzung der Aktions- nen, wobei in der Regel 30–100 Zellen aus- Selbstkontrolle und dem instrumentel- potenzialsequenzen in gezielte Bewegun- reichen. Dies ist angesichts der Komplexi- len Lernen von Körpervorgängen, welche gen waren dabei verblüffend einfache li- tät des Bewegungsapparates und der zu- aus dem Laboratorium von Neal E. Mil- neare Differenzialgleichungen. Diese Er- grunde liegenden neurophysiologischen ler an der Rockefeller University stamm- gebnisse aus der Primatenforschung wur- Vorgänge erstaunlich, zeigt aber, dass te, sich als nicht replizierbar herausstell- den in denselben Laboratorien, vor allem die Situation, zumindest was die Bewe- ten (siehe Exkurs 1). Erst am Beginn des von John Donoghue an der Brown Uni- gungssteuerung betrifft, nicht so kompli- 21. Jahrhunderts begann die rasche Ent- versity und Andrew Schwartz an der Uni- ziert ist wie angenommen. Diese direk- wicklung der Brain-Computer-Interface versity of Pittsburgh auf den Menschen ten Übertragungen vom Tierversuch auf Forschung, wiederum befeuert von zwei übertragen: Patienten mit Lähmungen den menschlichen Patienten waren aller- methodischen Zugängen: einerseits von der Extremitäten nach Schlaganfall oder dings therapeutisch wenig relevant, da die STATE OF THE ART • Scissors • Surgical Plates • Retractors • Instrument Care • Magnifiers & Sterilization • Probes & Hooks • Rongeurs • Bone Instruments • Scalpels & Knives • Animal Identification • Clamps • Hemostats • Pins & Holders • Forceps • Needles & Needle • Surgical & Laboratory Holders Equipment • Student Quality • Feeding Needles Instruments • Spatulae & Spoons • And Much More • Wound Closure F I N E S U R G I C A L I N S T R U M E N T S F O R R E S E A R C H TM Visit us at finescience.de or call ++49 (0) 6221 90 50 50
Zusammenfassung · Abstract Neuroforum 2015 · 21:130–143 DOI 10.1007/s12269-015-0023-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 N. Birbaumer · U. Chaudhary Lernen von Hirnkontrolle – Klinische Anwendung von Brain-Computer Interfaces Zusammenfassung Brain-Computer Interfaces (Gehirn-Computer von Elektroden in das Gehirn waren CLIS-Pa- tät eine erstaunliche Wiederherstellung der -Schnittstellen, BCI) nutzen neuroelektrische tienten nicht in der Lage, zu kommunizieren. motorischen Funktion sowohl auf der motori- und metabolische Hirnaktivität, um periphe- Wir entwickelten ein theoretisches Modell, schen als auch auf neuronaler Ebene mit BCI re Geräte und Computer ohne Vermittlung das dieses grundlegende Defizit des instru- erreichen können. Nach umfangreichem BCI- des motorischen Systems zu bedienen. Um mentellen Lernens der Hirnkontrolle und der Training kombiniert mit verhaltensorientier- die Gehirn-Computer-Schnittstelle zu aktivie- willentlichen Kommunikation erklärt: Patien- ter Physiotherapie konnte eine signifikante ren, müssen die Personen ein gewisses Aus- ten mit vollständiger Lähmung löschen ziel- Verbesserung der motorischen Funktion bei maß an Hirnkontrolle erlernen. Es zeigte sich, gerichtetes reaktionsorientiertes Denken und dieser bisher unbehandelbaren Lähmungen dass die Selbstkontrolle der Hirnaktivität den Absichten. Daher wurde ein reflexives klassi- erreicht werden. Zusammenfassend lässt sich Prinzipien des Fertigkeiten-Lernens und des sches Konditionierungsverfahren entwickelt sagen, dass die klinischen Anwendungen von instrumentellen Konditionierens folgt. Diese und mithilfe der Messung der metabolischen Gehirn-Maschine-Schnittstellen bei gut defi- Übersicht konzentriert sich auf die klinische Hirnsignale mit Nah-Infrarot-Spektroskopie nierten und umschriebenen neurologischen Anwendung von Gehirn-Computer-Schnitt- (NIRS) waren CLIS-Patienten in der Lage, ein- Erkrankungen überraschend positive Wirkun- stellen bei gelähmten Patienten mit Locked- fache Fragen mit einer „ja“- oder „nein“-Hirn- gen gezeigt haben. Die Anwendung von Ge- in Syndrom und/oder vollständigem Locked- antwort zu beantworten. Die bisher erhobe- hirn-Computer-Schnittstellen bei psychiatri- in Syndrom (CLIS). Es wurde gezeigt, dass nen Daten zeigen, dass erstmals CLIS-Patien- schen und klinisch-psychologischen Störun- EEG-basierte Gehirn-Computer-Schnittstellen ten mit einem solchen BCI-System kommuni- gen hat bisher jedoch nicht zu einer wesentli- die Auswahl von Buchstaben und Wörtern in zieren können, indem sie metabolische Hirn- chen Verbesserung dieser komplexen Verhal- einem Computermenü mithilfe verschiede- signale und einfache reflexive Lernaufgaben tensstörungen geführt. ner EEG-Signale ermöglichen. Bei Patienten verwenden. mit vollständigem Locked-in Syndrom ohne Schließlich werden Gehirn-Maschine- Schlüßelwörter jede Muskelkontrolle, insbesondere der Au- Schnittstellen und Rehabilitation bei chroni- Gehirn-Computer-Zwischenstelle · genbewegungen, waren EEG-basierte Ge- schem Schlaganfall beschrieben und gezeigt, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) · hirn-Computer-Schnittstellen jedoch nicht dass chronische Schlaganfallpatienten oh- Komplettes Locked-in Syndrom (CLIS) · erfolgreich. Sogar nach der Implantatation ne jede Restbewegung der oberen Extremi- Neuroprothesen Learning of brain control: Clinical application of brain-computer interfaces Abstract Brain-Computer Interfaces (BCI) use neuro- ter implantation of electrodes in the human without any residual upper limb movement a electric and metabolic brain activity to acti- brain, CLIS patients were unable to commu- surprising recovery of motor function on the vate peripheral devices and computers with- nicate. We developed a theoretical model ex- motor level as well as on the brain level. After out mediation of the motor system. In order plaining this fundamental deficit in instru- extensive combined BMI training with behav- to activate the BCI persons have to learn a mental learning of brain control and volun- iorally oriented physiotherapy significant im- certain amount of brain control. Self-regula- tary communication: patients in complete provement in motor function was shown in tion of brain activity was found to follow the paralysis extinguish goal-directed response- these previously intractable paralysis. In con- principles of skill learning and instrumental oriented thinking and intentions. Therefore a clusion, clinical application of brain machine conditioning. This review focuses on the clin- reflexive classical conditioning procedure was interfaces in well-defined and circumscribed ical application of brain-computer interfac- developed and metabolic brain signals mea- neurological disorders have demonstrated es in paralyzed patients with locked-in syn- sured with Near Infrared-Spectroscopy were surprisingly positive effects. The application drome or/and complete locked-in syndrome used in CLIS patients to answer simple ques- of BCIs to psychiatric and clinical-psychologi- (CLIS). It was shown that EEG-based brain- tions with a “yes”- or “no”-brain response. The cal problems, however, at present did not re- computer interfaces allow selection of letters data collected so far are promising and show sult in substantial improvement of complex and words in a computer menue with differ- that for the first time CLIS patients communi- behavioral disorders. ent types of EEG signals. However, in patients cate with such a BCI system using metabol- with complete locked-in syndrome with- ic brain signals and simple reflexive learning Keywords out any muscular control, particularly of eye tasks. Finally, brain machine interfaces and Brain-Computer Interfaces (BCI) · movements, classical, EEG-based brain-com- rehabilitation in chronic stroke are described Amyotrophic Lateral Sclerosis (ALS) · puter interfaces were not successful. Even af- demonstrating in chronic stroke patients Completely Locked-in Syndrome (CLIS) Patienten noch über willentliche Muskel- Während die invasive Brain-Compu- forschung zur Anwendung der Selbstre- kontrolle, vor allem im Bereich des Ge- ter-Interface Forschung am Menschen in gulation des Gehirns und des Neurofeed- sichts und der Augen verfügten, welche den USA vorangetrieben wurde, entwi- backs stetig weiter. Dabei erwiesen sich der willentlichen Steuerung sehr viel leich- ckelte sich im europäischen Raum, vor al- langsame Hirnpotenziale der menschli- ter zu unterwerfen ist als die Hirnaktivität. lem in Deutschland die klinische Human- chen Hirnrinde, welche den Erregungs- 132 | Neuroforum 4 · 2015
zustand der apikalen Dendriten abbilden, dern dies auch auf reale Situationen ohne keiten (z. B. sportliche Aktivitäten) unter- als besonders nützlich, sowohl für die die Laboratoriumsumgebung ausdehnen sucht worden sind. Dazu gehören anfangs Grundlagenforschung zur Selbstregula- konnten. Nach 20–100 Trainingsstunden die bewusste, explizite Kontrolle mit Be- tion des Gehirns als auch für die klinische waren ein erheblicher Teil der Patienten teiligung der Hirnregionen, die für kont- Anwendung (siehe Neuroforum 1998, so- in der Lage, sowohl die Erregbarkeit ihres rollierte, bewusste Aufmerksamkeit ver- wie Birbaumer et al. 1990). Gesunde und Gehirns als auch das Auftreten der An- antwortlich sind, mit zunehmender Wie- neurologisch kranke Personen lernen in- fälle zu unterdrücken (Kotchoubey et al. derholung und Übung der Übergang zur nerhalb weniger Stunden über unmit- 2001). Dabei zeigte sich, dass einige Per- impliziten, automatischen Aufmerksam- telbare Rückmeldung und positive Ver- sonen ihre Hirnpotenziale zu jedem belie- keitskontrolle mit abnehmender Nut- stärkung, negative (erregend) und positi- bigen Zeitpunkt in die gewünschte Rich- zung von Aufmerksamkeitsressourcen. ve (hemmend) langsame Hirnpotenziale tung veränderten. Daraus entstand die Der Automatisierungs- und Übungspro- zu regulieren. Nach wenigen Stunden des Idee, die erlernte Hirnkontrolle zur di- zess verläuft exponentiell, wobei im Laufe Trainings, bei dem die Personen die Än- rekten Kommunikation mit der Außen- des automatisierten Erwerbs zunehmend derungen der langsamen Hirnpotenziale welt zu verwenden. weniger kortikale Areale aktiviert werden auf einem Bildschirm beobachten, zeigen und der Aufmerksamkeitsfokus sich auf sich bei selbst erzeugter kortikaler Nega- Hirnkontrolle als die mit der Übung befassten Hirnregio- tivierung (Erregbarkeit) deutliche Verhal- Fertigkeiten-Lernen nen beschränkt. tensänderungen in motorischen, kogniti- (Skill-Learning) . Abb. 1 zeigt die ersten 5 Sitzungen ven und emotionalen Bereichen, je nach einer gesunden Person beim Training der dem Ort im Gehirn, an dem die Person Der Lernprozess hinter dem Erwerb von Selbstkontrolle der vorderen Inselregion die selbst erzeugte Hirnregulation erlernt Hirnkontrolle – unabhängig davon, ob mit Neurofeedback des Magnetresonanz- hat. In einer Serie von Studien an unbe- es sich um neuroelektrische Aktivitäten effektes. Die Versuchspersonen beobach- handelbaren Epilepsiekranken konnten der Einzelzellen oder des Elektroenze- teten die Aktivierung der Inselregion in wir nachweisen, dass selbst schwerst be- phalogramms oder metabolische Verän- einem funktionellen Magnetresonanz- einträchtigte Personen erlernen konn- derungen der Gehirndurchblutung han- scanner in Form eines sich verlängernden ten, die Erregbarkeit ihres Gehirns nicht delt – verläuft analog jenen Lernvorgän- roten Thermometers. Je mehr BOLD-Än- nur im Laboratorium zu reduzieren, son- gen, wie sie für den Erwerb von Fertig- derungen in der Inselregion, umso stär- Neuroforum 4 · 2015 | 133
Übersichtsartikel die Inselregion ohne zusätzliche Aktivie- Langzeitpotenzierung striataler Neuro- Exkurs 1 rung anderer Hirnareale aktiviert ist. Auf nen notwendig sind, trotz intakter Bewe- Die Kurare-Tragödie der rechten Seite der Abbildung erkennt gungskontrolle die Neurofeedbackaufga- 1969 publizierte der bekannte amerikanische man den Verlauf der Anzahl der aktivier- be nicht erlernen. Experimentalpsychologe Neal E. Miller von ten Areale in rot und die Vergrößerung Diese eindeutigen Ergebnisse weisen der Rockefeller University in New York eine Arbeit in ‚Science‘, in der er die Möglichkeit der durchschnittlichen Distanz zwischen allerdings darauf hin, dass bei Störun- der willentlichen Kontrolle des autonomen den aktivierten Hirnarealen über die Sit- gen des kortiko-thalamo-striatalen Erre- Nervensystems behauptete und damit die zungen in blau. Im Gegensatz zum expli- gungskreises das instrumentelle, operan- Unabhängigkeit dieses Systems von willentli- ziten Fertigkeiten-Lernen benötigt im- te Erlernen von Fertigkeiten gestört oder chen (somato-motorischen) Einflüssen in Fra- plizites Lernen keine bewusste Suche im vollkommen unmöglich ist. Besonders ge stellte. Um diese Theorie zu stützen, führte Gedächtnis, weshalb auch keine Inst- dramatisch wird die Abhängigkeit der er und seine Mitarbeiter in den späten 60er, 70er und 80er Jahren Experimente an Ratten ruktionen an die Personen vor und wäh- Selbstkontrolle des Gehirns von Beloh- durch, welche mit dem indianischen Pfeilgift rend solcher Trainingsbedingungen not- nungs- und Fertigkeitenlernen bei Per- Kurare gelähmt, künstlich ernährt und künst- wendig sind. Die assoziative Verbindung sonen mit instrumentellen Lerndefiziten, lich beatmet wurden und für erstaunlich lan- zwischen der zu lernenden Hirnreaktion bei denen die kontingente Gabe von Be- ge Zeit in diesem Zustand verblieben. Damit und der Rückmeldung bzw. der positiven lohnungsreizen keine assoziationsverstär- war eine willentlich-muskuläre Steuerung autonomer Funktionen und Hirnfunktionen Verstärkung reicht aus, um die Stärke der kende Wirkung mehr entfaltet. Dies ist über das motorische System ausgeschlos- spezifischen Verbindungen zu erhöhen vermutlich bei vollkommen gelähmten sen. Die Tiere wurden unter Kurarisierung und die der nicht beteiligten Verbindun- Patienten der Fall, bei denen keine ver- trainiert, verschiedene autonome Parameter, gen zu reduzieren [2]. lässlichen Kontingenzen (zeitliche Bezie- z. B. periphere Durchblutung, Nierendurch- In mehreren Untersuchungen durch hungen) zwischen willentlichen Reaktio- blutung, Hirnaktivität über instrumentelles simultane Registrierung langsamer kor- nen und deren Konsequenzen mehr mög- Belohnungslernen zu kontrollieren: Sie er- hielten z. B. für jeden Anstieg des Blutdrucks tikaler Hirnpotenziale im Elektroenze- lich sind. eine belohnende intrakranielle elektrische phalogramm und funktioneller Magnet- Selbststimulation. In den ersten Jahren dieser resonanztomografie (fMRI) bei epilepsie- Brain-Computer Interface Experimente zeigte sich, dass die Tiere auch kranken Personen und Gesunden konn- (BCI) bei Patienten mit im paralysierten Zustand lernten, durch ten wir zeigen, dass bei Personen, welche Locked-in Syndrom instrumentelles Belohnungslernen die ver- die neuroelektrische Kontrolle langsa- schiedenen physiologischen, autonomen Parameter zu kontrollieren und „willentlich“ mer Hirnpotenziale sehr schnell und gut Hirnkommunikation bei Verlust zu steuern. Mitte der 70er Jahre allerdings lernten, Regionen in den vorderen Basal- motorischer Kontrolle wurde es im Laboratorium von N.E. Miller zu- ganglien, vor allem des vorderen Stria- nehmend schwierig, die eigenen Ergebnisse tums während des Lernprozesses akti- Das Locked-in Syndrom, wie es nach zu replizieren, bis schließlich Ende der 70er, viert sind, Personen, die keine neuroelek- subkortikalen Schlaganfällen oder bei Anfang der 80er Jahre weder im Laboratrium von Neal Miller noch in irgend einem anderen trische Selbstkontrolle des Gehirns er- progressiven chronischen degenerati- Laboratorium weltweit eine Replikation die- lernen, zeigen keine simultane Aktivie- ven neurologischen Erkrankungen wie ser Anfangsergebnisse möglich war. Einer der rung der Basalganglien. Diese Ergebnis- der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) Versuchsleiter dieser Untersuchungen suchte se sind in einem Versuch von Koralek et vorkommt, ist natürlich das wichtigs- den Freitod, andere wie z. B. Barry Dworkin al. (2012) an Ratten bestätigt worden. Die te Krankheitsbild, um den Nutzen von (1989) versuchten, über Veränderungen der Tiere lernten die intrazelluläre Feuerra- BCI nachzuweisen. Dabei muss aller- Versuchsanordnung und der Kurarisierung die Ergebnisse zu replizieren, allerdings te von zwei benachbarten Zellen im mo- dings zwischen Locked-in (LI) Syndrom ohne Erfolg. Damit ist die ursprüngliche von torischen Kortex zu erhöhen und gleich- und dem kompletten Locked-in Syndrom Miller aufgeworfene Frage weiterhin un- zeitig die der benachbarten Zelle zu er- (CLIS abgekürzt) unterschieden werden. geklärt, ob das willentliche Erlernen und die niedrigen: Die Belohnung wurde gege- Beim Locked-in Syndrom sind alle Kör- Selbstkontrolle von autonomen Funktionen ben, wenn die Tiere die Aktionspoten- permuskeln ausgeschaltet, allerdings be- und vermutlich auch von Hirnfunktionen zialfrequenz in einer Zelle erhöhten und steht noch Kontrolle der Augenmuskeln ohne Vermittlung des motorischen Systems überhaupt möglich ist. Diese Frage könnte gleichzeitig in der anderen erniedrigten. oder aber einzelner Gesichtsmuskeln. allerdings mit Brain-Computer Interfaces bei Der Lernverlauf entspricht dem exponen- Auch der externe Sphinkter ist in einzel- komplett gelähmten, künstlich ernährten tiellen Lernverlauf von Fertigkeiten-Ler- nen Fällen weiterhin willentlich kontrol- und künstlich beatmeten Patienten geklärt nen, eine Kreuz-Korrelation der Akti- lierbar. Beim kompletten Locked-in Syn- werden. vität der motorischen kortikalen Zellen drom (CLIS) sind alle Muskeln des wil- und Zellen im vorderen Striatum zeigt im lentlichen motorischen Systems gelähmt. Verlauf des Lernens einen zunehmenden Die ersten Patienten, bei denen ein ker spricht das Rückmeldesignal an. Man Zusammenhang der Oszillationen. Dar- BCI zur direkten Hirnkommunika- erkennt, dass in der ersten Sitzung noch über hinaus konnten jene Tiere, die kei- tion untersucht wurden, waren Patien- eine Vielzahl von Arealen mit-aktiviert ne NMDA-Rezeptoren aufwiesen (gene- ten mit fortgeschrittener Amyotropher werden, während in der fünften Sitzung tische Knockout – Ratten), welche für die Lateralsklerose, aber erhaltenen Augen- 134 | Neuroforum 4 · 2015
dung für einen Anstieg bzw. Abfall der kortikalen Negativierung (Erregbarkeit). Nach Erlernen der Selbstkontrolle langsa- mer Hirnpotenziale wurden die Buchsta- ben des deutschen Alphabets in der Rei- henfolge ihrer Häufigkeit auf einem Bild- schirm dargeboten, und da die Perso- nen noch Kontrolle über die Augenmus- keln hatten, mussten sie lernen, eine Ta- fel mit etwa 8 bzw. 16 Buchstaben so lan- ge zu teilen, bis der gewünschte Buchstabe auf dem Bildschirm erschien. Sie mussten also gleichzeitig den gewünschten Buch- staben im Gedächtnis behalten und die Buchstabentafel mit Veränderungen ihrer langsamen Hirnpotenziale manipulieren. Dies ist eine schwierige Aufgabe, die ge- teilte Aufmerksamkeit erfordert und von Patienten mit Locked-in Syndrom nach Abb. 2 8 Buchstabenselektion mit langsamen Hirnpotenzialen (LP). Der Patient HPS mit fortgeschrit- langen Trainingszeiten (Wochen bis Mo- tener ALS (Amyotropher Lateralsklerose) im Locked-in Zustand wählte mit Gedanken, welche die LP veränderten, aus einer Buchstabensequenz die Buchstaben für diesen Brief aus (aus Birbaumer et al., naten) bewältigt wurde. Nature 1999) . Abb. 2 zeigt den ersten in der Lite- ratur publizierten Patienten, der nach einem Training von mehr als einem Jahr muskeln [1]. Die Patienten lernten vor- men Hirnpotenziale willentlich zu steu- den abgebildeten Brief mit Hirnaktivität erst, über Neurofeedback ihre langsa- ern, d. h. sie erhielten visuelle Rückmel- FiberOptoMeter II FOM-02M Optogenetic Stimulation and Fluorescence EW Measurement via N the Same Fiber GCaMP5 Fluorescence Velocity Data kindly provided by F. Fuhrmann and Dr. S. Remy L1 - L4: collimation lenses DZNE Bonn F1 - F4: bandpass filters Dm1 - Dm2: dicroic mirrors PMT: photomultipier module Developed in the Konnerth Lab, TU München, Germany Phone: +49-(0)7141-97302-30 The FOM-02M was designed in collaboration with http://www.npielectronic.com Dr. Hongbo Jia, Suzhou Institute of Biomedical Engineering and Technology support@npielectronic.com Neuroforum 4 · 2015 | 135
Übersichtsartikel ben aus einer Buchstabentafel mit allen der Lage war, mit einem BCI, welches Exkurs 2 beschreibt das Prinzip der Nah-Infrarot-Spektroskopie Buchstaben des Alphabets mithilfe des EEG-Signale verwendete, kommunizie- (NIRS) im Kontext eines BCI-Sys- P300-ereigniskorrelierten Potenzials aus- ren konnte. tems zuwählen. Diese von E. Donchin entwi- Wir gingen davon aus, dass die Ursa- ckelte Methode hat den Vorteil, dass sie che für diese mangelnde Fertigkeit bei Mit NIRS lässt sich die hämodynamische Re- aktion nach Gehirnaktivierung messen: Diese kein langwieriges Training benötigt: Die CLIS im schlechten Signal-Rausch-Ver- neuronale Aktivierung ist eng an die vasku- Buchstaben des Alphabets werden nach- hältnis der EEG-Signale an der Schädel- läre Reaktion gebunden - >„Neuro-vaskuläre einander rasch mit Lichtbalken beleuch- oberfläche liegen musste. Aus diesem Kopplung“. Die neuronale Aktivierung nach tet und die Person konzentriert sich nur Grund wurden in unserer Klinik bei zwei Reizung wird von Transmitterausschüttung, auf den gewünschten Buchstaben inner- Patienten die EEG-Elektroden invasiv an Änderungen der Zellumgebung (z. B. Glia- zellen), Vasodilation und –konstriktion und halb der beleuchteten Buchstaben, der ein der Kortexoberfläche implantiert, sodass Blutflussänderungen gefolgt. NIRS misst die erhöhtes P300-Potenzial produziert, wel- die Patienten mit dem direkten elektro- vaskuläre Antwort der zerebralen Blutgefäße: ches dann den gewünschten Buchstaben kortikografischen Signal von der Kortex- Licht im Infrarotspektrum (650–900 mm) am oberen Rand des Bildschirms erschei- oberfläche mit einem sehr viel breiteren wird benutzt, um Blutflussänderungen und nen lässt. Auch dafür ist natürlich intak- Frequenzspektrum von 0–100 Hz kom- Oxygenierung des zerebralen Blutes zu er- te Vigilanz und Aufmerksamkeit ebenso munizieren lernen sollten. Bei zwei CLIS- fassen. Licht in dieser Wellenlänge dringt tiefer in das Hirngewebe ein und wird von notwendig wie ein intaktes visuelles Fixa- Patienten wurden die Elektroden neuro- oxy (HbO) und dexy-hämoglobin (HbR) ab- tionssystem. BCI-Systeme, bei denen die chirurgisch über der linken frontalen He- sorbiert, das Ausmaß des rück-reflektierten Darbietung der Buchstaben akustisch er- misphäre implantiert, beide Patienten Lichtes an die NIRS-Sensoren (Optoden) misst folgt, zeigen eine weit geringere Präzision, sollten mit zwei unterschiedlichen Vor- also HbO und HbR des zerebralen Blutflus- d. h. es passieren sehr viel mehr Fehler bei stellungen (z. B. Vorstellung einer Fin- ses. Das Licht durchdringt Schädelknochen der Auswahl von Buchstaben, wenn sie gerbewegung und Vorstellung einer Bein- und –häute (wenn es nicht direkt am Kortex gemessen wird) und tritt abgeschwächt – je akustisch dargeboten werden. Die bes- bewegung) auf einfache Fragen mit „ja“ nach Absorption – wieder aus und wird von ten akustischen BCIs erreichen bei Lo- (Vorstellung einer Fingerbewegung) oder der Detektor Optode aufgenommen. Von cked-in Patienten maximal 65 % korrek- „nein“ (Vorstellung einer Beinbewegung) der Schädeloberfläche aus gemessen ist die te Buchstabenauswahl, was deshalb prob- antworten. Trotz langer Trainingszeiten örtliche Auflösung in Zentimetern, am Kortex lematisch ist, da viele dieser Patienten nur ergab sich bei keinem der beiden Patien- selbst in Millimetern. Die zeitliche Auflösung liegt im Sekundenbereich, die zeitliche La- über eingeschränkte Sehfähigkeit und ge- ten ein ausreichender Trainingserfolg, tenz nach Reizung beträgt ein bis mehrere ringe Konzentration verfügen. der eine brauchbare Kommunikationsra- Sekunden. Der Zusammenhang zwischen Nachdem der Nachweis der Hirn- te von über 60–65 % der Antworten über neuronalen Zellantworten und die in der kommunikation erbracht war, konzen- einen längeren Zeitraum von Wochen Nachbarschaft gemessene NIRS-Änderung ist trierte sich die Forschung naturgemäß ergab. Offensichtlich ist das Problem der sehr hoch und bildet daher gut die summier- auf die Anwendung von BCIs bei Pa- Hirnkommunikation bei komplett einge- te Aktivität des Nervengewebes ab. tienten mit komplettem Locked-in Syn- schlossenen Patienten kein methodisch- drom, bei denen auch andere assistierte elektrophysiologisches Problem, sondern ohne jede motorische Beteiligung schrei- Kommunikationssysteme, wie z. B. Au- hängt mit Veränderungen der Lernpro- ben konnte. genbewegungssysteme oder elektromyo- zesse, welche die Kontrolle von Hirnak- Abgesehen von den exzessiv langen grafisch gesteuerte Kommunikationssys- tivitäten steuern, zusammen. Trainingszeiten hatten die ersten Brain- teme nicht mehr funktionieren. Für diese Computer Interfaces natürlich das Prob- Patienten bleibt nur noch die Hirnaktivi- Löschung des zielgerichteten lem, dass diese Personen im Prinzip auch tät als zumindest potenziell dem Willen Denkens mit Augenmuskeln oder einzelnen Ge- unterworfen, welche von der Intaktheit sichtsmuskeln die Buchstaben auf der des motorischen Systems nicht abhängt. Auf der Grundlage der lernpsychologi- Buchstabentafel auswählen konnten, was Allerdings zeigte sich, dass bei kom- schen Literatur muss man annehmen, keinerlei Trainingszeiten erfordert und plett Locked-in Patienten (CLIS) mit dass im komplett eingeschlossenen Zu- auch angesichts der Automatisierung der ALS die beschriebenen BCI-Systeme, die stand alle zielgerichteten intentionalen Muskelkontrolle geringe Aufmerksam- intakte Aufmerksamkeitsfunktionen und Gedanken und Vorstellungen entweder keitsenergie bindet. Trotzdem stellte der meist auch intakte Willensfunktionen er- einem teilweisen oder vollständigen Ex- Nachweis der ersten direkten Hirnkom- fordern, keine befriedigenden Kommu- tinktionsprozess unterliegen: Alle Absich- munikation einen wesentlichen Fort- nikationsraten, welche in der Regel über ten und gedachten Intentionen werden in schritt dar, der auch bei Patienten mit 65 % korrekte Buchstabenauswahl liegen diesem Zustand nicht von der gewünsch- Locked-in Syndrom nach subkortikalem müssen, ermöglichten. In einer Über- ten Konsequenz gefolgt, was im Laufe von Schlaganfall erfolgreich erprobt wurde: sicht im Jahre 2008 (Kübler und Birbau- Wochen bis Monaten zum langsamen Sellers et al. (2014) trainierten einen Pa- mer 2008) ergab sich, dass bis auf einen Verschwinden zielgerichteter Vorstel- tienten nach pontinem Schlaganfall mit schlecht dokumentierten japanischen Be- lungen und intentionalen Denkens füh- rudimentärer Augenkontrolle, Buchsta- richt kein komplett Locked-in Patient in ren müsste. Denkbar wäre auch eine Art 136 | Neuroforum 4 · 2015
Vergessens- und kognitiver Atrophiepro- längerem CLIS. Dies bedeutet, dass viele gebaut. Es mussten daher für CLIS-Pa- zess, bei dem angesichts der Effektlosig- Kommunikationsversuche an den Vigi- tienten Versuchsanordnungen erprobt keit die allgemeine Intention und der Wil- lanzschwankungen scheitern müssen. werden, welche intentionale, willentli- le, Kontrolle über die soziale Umgebung che Aufmerksamkeit und zielgerichtetes auszuüben, verloren geht. Ein derartiger Denken und Bewegung Denken umgehen. Wir entwickelten da- pathopsychologischer Vorgang hat natür- her in unserem Laboratorium nach Zeiten lich auch ein Nachlassen oder Verschwin- In dieser Situation wird die enge Verbin- langen Experimentierens eine Versuchs- den kontrollierter Aufmerksamkeit, die dung von Denken und Bewegung in der anordnung, welche auf reflexives, klassi- ja für Willenshandlungen notwendig ist, Entwicklung kognitiver und sprachnaher sches Konditionieren ohne verstärkte wil- zur Folge. Über einige Jahre wurde an ei- Prozesse besonders deutlich. Bereits Aris- lentliche Aufmerksamkeitskonzentration nigen CLIS-Patienten mit verschiedenen toteles äußerte den Verdacht, dass inten- funktionieren kann (s. unten). Weiterhin elektroenzephalografischen Signalen die tionales Denken an die Entwicklung einer konnten wir in einer Serie von Untersu- willentliche Steuerung und Auswahl von zielgerichteten, dem Willen unterworfe- chungen mit Neurofeedback des BOLD- Buchstaben bzw. „Ja“-„Nein“-Antworten nen Bewegung gebunden ist: Effekts im funktionellen Kernspinto- ohne Erfolg trainiert: Dabei zeigte sich al- Seele (psychische Vorgänge) ist iden- mogramm [2] zeigen, dass gesunde und lerdings auch, dass im Zustand des völ- tisch mit der Produktion von Bewegung bei kranke Personen die Veränderung der ligen Eingeschlossenseins der normale Tieren… Wir können von Bewegungen des Hirndurchblutung einzelner umschrie- zirkadiane Rhythmus teilweise verloren Körpers auf ähnliche Bewegungen der See- bener kortikaler und subkortikaler Area- geht und sich bei den Patienten (meist le schließen… Die Denkprozesse und Vor- le mithilfe des funktionellen Kernspinto- bei geschlossenen Augen) auch während stellungen der Seele sind wie Bewegung an mogramms sehr viel schneller lernen als des Tages und während der Trainingssit- Vermeidung und Annäherung geknüpft; die Kontrolle neuroelektrischer Vorgän- zungen kurze, aber häufige Schlafphasen und so ist es bei allen Arten von Bewegun- ge und die Kontrolle des Elektroenzepha- und Phasen des Einnickens mit Phasen gen (Aristoteles 384–322 v. Chr.) logramms. Wenngleich die Ursache für der Aufmerksamkeit abwechseln. Insge- Im 19. Jahrhundert haben Carpen- diese überlegene Kontrollierbarkeit un- samt zeigt das EEG in diesen Zuständen ter und andere und schließlich William klar ist, könnte dies mit der Tatsache zu- eine deutliche Verlangsamung, Frequen- James diese Idee aus der Antike zu einer sammenhängen, dass unsere Denkpro- zen über 10 Hz verschwinden meist nach „motorischen Theorie des Denkens“ aus- zesse (sprich neuroelektrischen Vorgän- Neuroforum 4 · 2015 | 137
Übersichtsartikel Abb. 3 9 Brain-Machine- Interface (BMI) für vollkom- men eingeschlossene Pa- tienten mit ALS (Amyotro- phe Lateralsklerose). 4 CLIS Patienten (completely lo- cked-in state). Das BMI- System besteht aus einem NIRS (Nah-Infrarot-Spekt- roskopie)-System (links) zur Klassifikation von „Ja“ und „Nein“-gedanklichen Ant- worten und (rechts) aus einem EEG-System, das bei Abfall der Vigilanz die Be- fragungssequenz unter- bricht (s. Text für Erläute- rung). Nach Chaudhary et al (under review) ge der Nervenzellen) keine Sinnessysteme Da CLIS-Patienten nicht transportabel, oder Schlaf vorhanden ist. Das BCI-Sys- und Rezeptoren für ihre eigene Aktivität künstlich ernährt und künstlich beatmet tem besteht aus einfachen Fragen, welche im Gehirn besitzen. Nervenzellen schei- in familiärer Pflege sind, muss das BCI- der Patient „im Kopf“ reflektorisch mit nen bezüglich der Rückmeldung über System in der häuslichen Umgebung an- „ja“ oder „nein“ beantworten soll. Vor- ihren eigenen Aktivitätszustand „immun wendbar sein. Zur Steuerung und Mes- erst erhält der Patient viele hunderte Fra- zu sein“. Umgangssprachlich formu- sung der Hirndurchblutung wird ein gen mit bekannter Antwort, meist Wis- liert: Wir nehmen unsere Denkprozes- tragbares Nahinfrarot-Spektroskopie-ge- sensfragen oder Fragen aus dem persön- se nicht wahr. Im Gegensatz dazu weist räte verwendet (NIRS), welches Verände- lichen Bereich („Berlin ist die Hauptstadt das Gefäßsystem des Gehirns umfangrei- rungen der Oxygenierung und Deoxyge- von Spanien“, „Berlin ist die Hauptstadt che Druck- und Flusssensoren auf, die das nierung größerer Hirnareale über die Re- von Deutschland“). Die Veränderung Gehirn kontinuierlich über den vaskulä- flexion von Licht misst. Am Kopf des Pa- der Oxygenierung auf diese Fragen wer- ren Status auch der kleineren Blutgefä- tienten werden kleine Laser-Lichtquellen den über 15 s nach Beendigung der Frage ße informieren, sodass das Gehirn selbst angebracht, das Licht durchdringt Kopf- erfasst und über lineare und nicht-linea- über diese Rückmeldung den Flusszu- haut und Schädeldecke und je nach Ab- re Klassifikationsalgorithmen der Unter- stand und damit Sauerstoff und Glukose- sorptionsgrad – bedingt durch die Durch- schied in der Oxygenierung zwischen den transport innerhalb enger Grenzen regu- blutung – wird die Reflexion des Lichtes Hirnantworten „ja“ und „nein“ berech- lieren kann. aus der Kortexoberfläche über empfindli- net. Zeigt sich über einen längeren Fra- che Sensoren, welche die reflektierte Ab- gezeitraum eine Antwortgenauigkeit von Ein BCI-System für sorption messen, erfasst. Gleichzeitig re- über 70 % auf Fragen mit bekannter Ant- vollständig Gelähmte gistriert unser System die EEG-Hirnos- wort, können offene Fragen gestellt wer- zillationen und unterbricht den Kommu- den („Du möchtest umgedreht werden“, . Abb. 3 zeigt den Aufbau eines tragba- nikationsprozess, wenn Anzeichen des „Du hast Schmerzen?“). Naturgemäß ren BCI-Systems, wie es heute erfolg- Einschlafens oder Nachlassen der Vigi- kann bei einem völlig eingeschlossenen reich bei CLIS-Patienten eingesetzt wird: lanz im EEG-Muster (üblicherweise Wel- Patienten die Korrektheit der Antworten Es zeichnet sich durch reflexive, einfa- len mit einer Frequenz unter 5 Hz) fest- auf offene Fragen nicht mit absoluter Si- che Lernvorgänge und durch die Kont- gestellt werden. Damit wird der Kom- cherheit erfasst werden, allerdings kann rolle der Durchblutung des Gehirns als munikationsprozess auf Zeit-Einheiten man mithilfe folgender Kriterien zumin- entscheidenden Antwortparameter aus. beschränkt, in denen keine Ermüdung 138 | Neuroforum 4 · 2015
dest annähernd die Korrektheit der Ant- völlig eingeschlossenen Patientin, bei der de Lebensqualität in diesem schweren worten bestimmen: ein auf EEG-Oszillationen basierendes Krankheitszustand erreicht werden kann. a. die Antwort hat offensichtliche (face) BCI auch nach einem Jahr Training keine Die Ergebnisse zu dieser Frage sind voll- Validität, z. B. der Patient hat eine of- Kommunikationsgenauigkeit über 60 % kommen eindeutig: Bei familiärer Pfle- fene Wunde, die Schmerzen verur- ergeben hatte (De Massari et al. 2013). ge ist die Lebensqualität auch nach Ein- sacht und er antwortet auf die Frage Wie ersichtlich, ist vor allem bei offenen leitung der künstlichen Beatmung und „Hast Du Schmerzen?“ mit „ja“. Fragen, welche auch vital bedeutsame In- künstlichen Ernährung bei Patienten mit b. die Angehörigen identifizieren aus halte abfragen, die Kommunikationsge- ALS auch im LIS-Zustand gut bis sehr der Kenntnis des Patienten die Kor- nauigkeit, so weit sie bestimmt werden gut, bei den bisher untersuchten CLIS- rektheit der Antwort kann, über 70 %. Bis zum jetzigen Zeit- Patienten wurden alle Fragen zu allen c. zeitliche Stabilität: Die Frage, z. B. punkt wurden 6 CLIS-Patienten mit die- Zeitpunkten, welche positive oder nega- nach der Lebensqualität, wird über sem System untersucht, bei allen ergaben tive Lebensqualität abfragen, mit positi- einen längeren Zeitraum mit dersel- sich befriedigende Kommunikationser- ver Lebensqualität beantwortet. Insge- ben Antwort bedacht und gebnisse, sodass zumindest bei Patienten samt wurden in unserem Laboratorium d. interne Validität: Fragen mit ähnli- mit Amyotropher Lateralsklerose auch im und in der Neurologischen Klinik von A. cher semantischer Bedeutung (z. B. Spätstadium der Erkrankung kein kom- Ludolph in Ulm, welche über die größte „Das Leben ist schön“ oder „Ich freu plett eingeschlossener Zustand mit die- ALS-Ambulanz in Süddeutschland ver- mich an jedem Tag“) werden konsis- sem System mehr auftreten kann ([4]; fügt, repräsentative Befragungen mit Le- tent mit derselben Antwort bedacht. Chaudhary et al. – submitted). bensqualitäts-Fragebögen und einem neu entwickelten Depressions-Fragebogen an . Abb. 4 zeigt den Verlauf der mit Sup- Lebensqualität bei mehreren 100 ALS-Patienten in verschie- port Vector Machines (SVM) klassifi- vollständig Gelähmten denen Stadien der Erkrankung durchge- zierten „ja“- und „nein“-Antworten der führt, die alle zu dem Ergebnis kommen, NIRS-Reaktion auf Fragen mit bekann- Die Anwendung eines BCI-Systems bei dass die Lebensqualität von ALS-Patien- ter Antwort und offene Fragen im Lau- CLIS-Patienten macht naturgemäß nur ten sich im Durchschnitt nicht von Ge- fe eines Jahres bei einer seit fünf Jahren dann Sinn, wenn damit eine ausreichen- sunden unterscheidet. Allerdings zeigte Neuroforum 4 · 2015 | 139
Übersichtsartikel Abb. 4 8 Kommunikation mit dem NIRS-BMI-System einer CLIS-Patientin mit ALS über 3 Sitzungsperioden (unten) verteilt über ein Jahr. a Patientin W.F., vollkommen eingeschlossen seit 4 Jahren mit den Sensoren des NIRS-BMI (mit Genehmigung des Ehepartners). b Befragungssequenz: 2–5 s bekannte oder offene Fragen, danach 20 s Antwort mit „ja“ oder „nein“ zu den- ken. Danach erhält der Patient bei Fragen mit bekannten und offenen Fragen auditorisch Rückmeldung über seine gedachte Antwort. c Support Machine Classification (SVM) der gedachten Antworten auf der Grundlage der fronto-zerebralen Durch- blutungsänderung gemessen mit NIRS. Ordinaten: Prozent richtiger Klassifikation mit je 20 Fragen mit bekannten Antworten (blau) und Fragen mit offenen Antworten („Das Leben ist schön“) (orange). Erläuterung siehe Text. Aus Gallegos-Ayala et al., Neurology 2014) sich, dass die Beurteilung der Lebensqua- in einer solchen positiven familiären Be- wird als von gesunden Kontrollperso- lität durch Familienangehörige und Pfle- ziehung aufgehoben sind. Durch die Fo- nen. Weiterhin untersuchen wir zum jet- gepersonal sowie das ärztliche Personal kussierung und Einengung der Aufmerk- zigen Zeitpunkt an CLIS-Patienten expe- deutlich negativer ausfällt als die Beurtei- samkeit auf die positive familiäre Interak- rimentell, inwieweit der Denk- und Vor- lung der Lebensqualität durch die Pa- tion ergibt sich naturgemäß eine positi- stellungsprozess dieser Patienten sich auf tienten selbst. Depressive Verstimmun- ve Beurteilung der Lebensumstände. Wei- ankommende sensorische emotionale In- gen kommen außerordentlich selten vor, terhin gehen wir experimentell dem Ver- formation fokussiert und nach außen ge- in einer Untersuchung an der Psychiatri- dacht nach, dass die vollständige Läh- richtete, reaktionsorientierte Vorstellun- schen Universitätsklinik Tübingen erga- mung der Muskulatur und die teilweise gen auch im sprachlich-semantischen Be- ben sich deutlich schlechtere Lebensqua- Löschung intentionaler willentlicher Mo- reich zunehmend der Löschung unterlie- litätsergebnisse für depressive Patienten tivation einen ausgeglichenen „entspann- gen. Auch dies könnte eine Antwort auf als für ALS-Patienten. ten“ Gehirnzustand bedingen. Das Ge- die scheinbar paradox gute Lebensquali- Die potenziellen Ursachen für diese hirn erhält aus der Peripherie keine Rück- tät sein. erstaunlich hohe Lebensqualität sind bis- meldung über Spannungsveränderungen, her ungenügend untersucht, bei den LIS- sodass eine Aktivierung defensiver Ab- Brain-Machine Interfaces und CLIS-Patienten ist aber offensicht- wehrsysteme unterbleiben muss. In einer (BMI) und Rehabilitation des lich, dass diese Patienten nur in einem Untersuchung mit positiven und negati- chronischen Schlaganfalls positiven familiären Kontext die künst- ven emotionalen visuellem und akusti- liche Ernährung und künstliche Beat- schem Material konnten wir feststellen, Chronischer Schlaganfall ist die häufigste mung akzeptieren, sodass hier eine Vor- dass emotionales sensorisches Material Ursache für dauerhafte Behinderung und selektion insofern stattfindet, als nur sol- von Patienten mit ALS deutlich positiver entsprechende arbeitsökonomische Ver- che Patienten untersucht werden, welche und weniger negativ emotional beurteilt luste. Ein Drittel der betroffenen Patien- 140 | Neuroforum 4 · 2015
Abb. 5 9 Kortikale Reorga- nisation bei Schlaganfall vor und nach BMI-Training. BOLD-Antworten der Expe- rimentalgruppe während versuchter Bewegung der betroffenen Hand vor und nach erfolgreichem BMI- Training. Man erkennt Late- ralisierung der Aktivierung in Richtung der betroffe- nen Hemisphäre nach dem BMI-Training. Erläuterun- gen s. Text (aus Ramos et al., Ann. Neur. 2013) ten erholen sich spontan, bei einem Drit- gen der betroffenen gelähmten Hand zu se Pionieruntersuchungen wurden dann tel bleiben einseitige Lähmungen kontra- realisieren und damit auch die Hirnarea- am Menschen von Hochberg et al. und lateral der Läsion übrig. Ein Drittel er- le, welche der Läsion benachbart sind, zu- [3] an teilweise gelähmten Patienten mit holt sich auch nach Jahren nicht, der be- mindest am motorischen Kortex wieder Schlaganfall wiederholt. Die Patienten troffene Arm und Hand bleiben völlig zu aktivieren. Das restliche Drittel von lernten mithilfe einer relativ kleinen An- gelähmt. Für Patienten mit Restbewe- Patienten, die über keine Restbewegung zahl kortikaler Zellen, eine extrakorpora- gung in den Armen und Händen hat sich der Hände verfügen und bei denen auch le Prothese oder Kunsthand so zu bedie- als die vielversprechendste und erfolg- nach einem Jahr von Constraint Move- nen, dass damit gerichtete Willenshand- reichste Behandlungsmaßnahme die so- ment Therapy oder Physiotherapie keine lungen wie Greifen, Trinken, Essen mög- genannte „Constraint Movement Thera- Veränderung feststellbar ist, wiesen bis- lich wurde. py“ (CMT) von Edward Taub (Wolf et al. her keine dauerhaften Verbesserungen Diese Erkenntnisse wurden in unse- 2006, The EXCITE trial) etabliert. Diese auf und mussten mit dieser schweren Be- rem Laboratorium und in dem Laborato- Therapie baut auf Experimenten an Pri- hinderung auch schwere Einbrüche in Le- rium von Leonardo Cohen am National maten auf, bei denen nach Läsion der af- bensqualität und Bewegungs- und Hand- Institute of Health in Zusammenarbeit ferenten Bahnen aus der Peripherie, vor lungsfreiheit hinnehmen. mit unserem Institut an Schlaganfallpa- allem aus Hand und Arm, eine chro- Aufbauend auf den oben genann- tienten mit vollständiger Lähmung der nische „Nichtbenutzung“ des betroffe- ten Tier- und Humanversuchen mit der Läsion gegenüber liegenden Körpersei- nen Arms trotz intakter Motorik auffiel. Steuerung peripherer Prothesen mit den te umgesetzt. Dabei zeigte sich, dass die Die Tiere benützen primär den gesun- Feuerraten motorischer Zellen vom mo- Patienten innerhalb von 20 h durchaus den Arm, da dieser zu dem gewünschten torischen Kortex wurde daher in unse- in der Lage sind, eine Orthose, die an der Reaktionserfolg führt und „vernachlässi- rem Laboratorium vorerst ein nicht-in- Hand und den Fingern befestigt ist, mit- gen“ den Arm kontralateral zur betroffe- vasives BMI-System zur Hirnsteuerung hilfe ihrer Hirnaktivität im Elektroenze- nen Hirnhemisphäre. In der psychologi- einer Hand-Orthose entwickelt (Buch phalogramm so zu steuern, dass willent- schen Fachliteratur wird dieses Phäno- et al. 2012). Bereits 1969 hatte Eberhard liches Öffnen und Schließen der Hand men als „Learned Non-Use“ bezeichnet. Fetz an nicht-humanen Primaten gezeigt, oder Vor- und Seitwärtsbewegungen des Durch Fixierung des gesunden Körper- dass diese Tiere relativ schnell (innerhalb Armes möglich sind. Die Patienten er- teiles, vor allem des Armes und der Hand von zwei Wochen täglichem Training) halten Rückmeldung über die vom mo- über einen Zeitraum von mehreren Wo- Rhythmus und Frequenz kortikaler Ak- torischen Kortex abgeleiteten Rhythmen chen wird das Tier bzw. die Person „ver- tionspotenziale über positive Rückmel- von 8–13 Hz bzw. deren harmonische anlasst“, die verbliebenen Restbewegun- dung willentlich regulieren können. Die- Frequenzen von ca. 22 Hz (sensomoto- Neuroforum 4 · 2015 | 141
Übersichtsartikel rischer Rhythmus, SMR). Sie lernen, gra- te). Die Experimentalgruppe konnte nach lähmten, zur Kommunikation unfähigen duell den sensomotorischen Rhythmus Abschluss der Behandlung gezielt Finger- Körper gefangen ist, Generationen be- (SMR) durch das Denken einer willent- und Handbewegungen durchführen und unruhigt hat. Diese Befürchtung scheint lichen Bewegung zu reduzieren, und das bei einigen täglichen Verrichtungen deut- durch die Ergebnisse der BCI-Forschung Ausmaß der Reduktion bewegt die peri- liche Verbesserungen erreichen. Diese beseitigt zu sein. pher befestigte Orthose und damit pas- Untersuchung bestätigt die klinische Ef- Sollten sich die Ergebnisse des BMI- siv die gelähmte Hand. Es zeigte sich al- fektivität des BMI-Trainings, wenn es si- Trainings am chronischen Schlagan- lerdings nach den ersten Untersuchun- cherstellt, dass die Behandlungserfolge fall bewähren und repliziert werden und gen, dass trotz 80-90prozentiger korrek- auch außerhalb des Laboratoriums trai- mithilfe invasiver Eingriffe das BCI-Sys- ter Bewegungsdurchführung mithilfe des niert werden und zeigt erstmals einen tem innerhalb des Körpers verbleiben BMI und der fixierten Neuroprothese die anhaltenden Behandlungserfolg auch in können, so wäre damit ein wesentlicher gelernten Bewegungserfolge nicht auf die der realen sozialen Umgebung bei chro- Schritt in der dauerhaften Rehabilitation soziale Realität generalisierten: Die Pa- nischen Patienten ohne Restbewegung. des Schlaganfalls gelungen. tienten waren außerhalb des Laborato- Zum jetzigen Zeitpunkt laufen Untersu- Die Situation der klinischen BCI-For- riums nicht in der Lage, ohne an das BMI chungen, in denen dasselbe Prinzip über schung ist weniger einfach – und in die- angeschlossen zu sein, den Behandlungs- implantierte Mikroelektroden im motori- sem kurzen Artikel nicht im Detail be- erfolg zu realisieren. Aus diesem Grund schen Kortex eine deutlich gezieltere Fin- schrieben – wenn BCI bei Verhaltens- wurde in einer weiteren kontrollierten ger- und Handbewegung erlaubt und – störungen aus dem psychiatrischen und Studie (Ramos et al. 2013) die Patienten sofern die implantierten Elektroden im klinisch-psychologischen Bereich ange- der Experimentalgruppe trainiert, mithil- Gehirn des Patienten verbleiben -, auch wandt wird. Wenngleich die Selbstkont- fe der Desynchronistation des sensomo- ohne Training der Generalisation in der rolle des Gehirns bei einzelnen psycholo- torischen Rhythmus Hand- und Armbe- sozialen Umgebung mithilfe des „einge- gischen Störungen wie der Aufmerksam- wegungen zu steuern. Nach jeder BMI- bauten“ BMIs die Bewegungen über Sti- keitsstörung positive und replizierba- Sitzung erfolgte ein intensives Training mulation der betroffenen Muskeln vom re Ergebnisse erbrachte und Neurofeed- derselben Bewegung ohne Vorhanden- Gehirn des Patienten gesteuert werden. back wiederholt im Zusammenhang mit sein der technischen BMI-Hilfe. Mithil- Bei der Untersuchung von Ramos et al. psychiatrischen Störungen versucht wur- fe dieses verhaltensorientierten physio- zeigte sich auch, dass mit zunehmender de (so zum Beispiel in unserem Labora- therapeutischen Trainings konnten an- Selbstkontrolle der Hirnaktivität und da- torium bei Personen mit antisozialer Per- haltende Behandlungserfolge auch bei mit Wiedererlangung der willentlichen sönlichkeitsstörung und Kriminalität und Patienten mit vollständiger Lähmung er- Kontrolle die „gesunden“ Muster von pe- sehr erfolgreich bei Epilepsie), so sind die reicht werden, die auch ein Jahr nach Ab- ripherer Aktivität der Hand- und Arm- Ergebnisse angesichts der komplexen Be- schluss der Behandlung stabil blieben. muskeln zurückkehrten, sodass zum spä- ziehungen zwischen Hirnveränderungen . Abb. 5 zeigt die Hirnveränderungen teren Zeitpunkt der Behandlung diese – und Verhalten sehr viel weniger eindeu- dieser Patienten vor und nach erfolgrei- wenn auch kleinen – elektromyografi- tig. Auch hier wird die Entwicklung von chem Abschluss des Trainings: Die mit schen Veränderungen der Muskulatur Gehirn-basierten Trainingsmaßnahmen funktioneller Magnetresonanztomogra- wieder zur Steuerung der Bewegung ver- stark von der technologischen Entwick- fie gemessenen Durchblutungsänderun- wendet werden könnten. lung abhängen: Miniaturisierte, kabel- gen zeigen vor der Behandlung, wie aus freie implantierbare Systeme zur Steue- der Theorie des Learned Non-Use vor- Ausblick rung der Hirnkontrolle bzw. zur Stimula- hergesagt, dass bei intendierten Handbe- tion einzelner Gehirnareale werden auch wegungen beide Hirnhemisphären akti- Die klinisch-experimentelle Forschung in diesem Bereich zu verbesserten Ergeb- viert werden, vor allem die gesunde He- zum Brain-Computer Interface hat ge- nissen führen. Allerdings hat die invasive misphäre in einem verstärkten Ausmaß. zeigt, dass bei wohl definierten neurologi- oder nicht-invasive BCI-Anwendung bei Diese Aktivierung blockiert die Reorga- schen Erkrankungen, bei denen klare Be- psychologisch-psychiatrischen Störungen nisation und Neuaktivierung der betrof- ziehungen zwischen veränderter Hirnak- nur dann einen Sinn, wenn sie im Kontext fenen läsionierten Hemisphäre. Nach der tivität und Bewegungskontrolle bestehen, einer lernpsychologisch basierten Beein- BMI-Behandlung „wandert“ die Aktivie- wie bei der Amyotrophen Lateralsklerose, flussung von Umgebungsveränderungen rung von der gesunden Hemisphäre wie- die vollständige Lähmung zur Kommuni- erfolgt und sich nicht an den gegenwärti- der in die Umgebung der Läsion in die kation und beim Schlaganfall die von der gen starren diagnostischen Kategorien in ipsiläsionale Hemisphäre, was mit dem Läsion ausgelöste Blockade der Übertra- der Psychopathologie orientiert. dauerhaften Behandlungserfolg einher- gung des Bewegungsimpulses auf die Pe- geht. Dies bedeutet den ersten geglück- ripherie umgangen werden können. Die ten Behandlungsversuch im Rahmen Ergebnisse sind besonders beim kom- einer kontrollierten Studie (die Kontroll- pletten Locked-in Syndrom eindrucks- gruppe mit nicht-kontingenter Rückmel- voll, als bisher die Vorstellung, dass ein dung der Hirnaktivität zeigt keine Effek- wacher Geist in einem vollkommen ge- 142 | Neuroforum 4 · 2015
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