MAGAZIN 21/22 - Kulturjahr - Schaffhauser Magazin
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EDITORIAL IMPRESSUM Liebe Leserinnen und Leser, Das Kulturmagazin erscheint als Sonderausgabe liebe Kulturbegeisterte in der Reihe «Schaffhauser Magazin» Lust auf Kultur machen: Mit diesem Anspruch haben die Autoren und Herausgeberin Autorinnen sowie die Fotografinnen und Fotografen dieser Sonderausgabe Meier + Cie AG Vordergasse 58 des «Schaffhauser Magazins» alle Kulturinstitutionen der Region besucht – 8201 Schaffhausen seien es Bühnen, Museen, Kunsträume oder Konzerthallen –, um mit einem Konzept und Redaktion ungetrübten Blick ihre Eigenheiten herauszuschälen und das Besondere Daniela Palumbo aufzuspüren. Autorinnen und Autoren Dabei sind sie vielen Menschen begegnet, die mit grossem Engagement Sabine Bierich Kunst machen, Kunst vermitteln, Kunst fördern und Kunst geniessen. Gabriel Eichenberger In dieser Ausgabe finden Sie deshalb auch unterhaltende und ungewöhn- Vincent Fluck liche Reportagen, Interviews und Porträts von Theatergruppen, Bands, Maria Gerhard Sabine Girsberger Künstlern und Künstlerinnen sowie Kunstförderern. Aber auch über- Praxedis Kaspar raschende Geschichten zu Museumsgegenständen, die dadurch erst Mark Liebenberg zum Leben erwachen. Auf 84 Seiten präsentieren wir Ihnen so eine Karin Lüthi Daniela Palumbo einmalige Gesamtschau des vielfältigen und grenzüberschreitenden Mark Schiesser Kulturangebots der Region mit Veranstaltungen aus allen Sparten sowie Jeannette Vogel zahlreichen Festivals. Diana Zucca Angestossen haben diese Sondernummer zwei Stiftungen, die als Kultur- Titelbild förderinnen im Kanton Schaffhausen Ausserordentliches ermöglichen: Roberta Fele die Jakob und Emma Windler-Stiftung und die Sturzenegger-Stiftung. Ihnen Illustrationen ist es zu verdanken, dass diese Sondernummer Larissa Schlegel überhaupt entstanden ist und dass sie gratis Gestaltung und Layout in alle Haushalte des Kantons gelangt. Zvezdana Schällebaum Das Magazin soll den Einheimischen Korrektorat vergegenwärtigen, wie reichhaltig das Birgit Blatter kulturelle Angebot in der Region ist, Verlag und den Gästen von ausserhalb Verlag «Schaffhauser Nachrichten» zeigen, wo sie in der Region Kultur Beat Rechsteiner Telefon 052 633 33 20 geniessen können. Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Lesen und viel Anzeigen Anzeigenverkauf Lust auf Kultur. «Schaffhauser Nachrichten» Telefon 052 633 32 77 Daniela Palumbo e-anzeigen@shn.ch Druck AVD GOLDACH AG Sulzstrasse 10–12 9403 Goldach Auflage 65 000 Exemplare ISSN 2297-8704 Das Kulturmagazin wird unterstützt von Georg Fischer AG (GF) Janssen Schaffhausen Regionaler Naturpark Schaffhausen SIG Gemeinnützige Stiftung 3
INHALT MAGAZIN 6 EIN MEER IM MUSEUM Der Berner Künstler Zimoun kreiert mit Alltags- und Industriegegenständen Klangskulpturen, die weltweit auffallen. 13 «DAS PUBLIKUM SOLL GÄNSEHAUT BEKOMMEN» Aus einem 30-köpfigen Pool von jungen Erwachsenen schöpft die Theatergruppe Szenario ihre Kreativität für mitreissende Bühnenstücke. 16 WINNETOU IST TOT Praxedis Kaspar über die Kraft der Bücher und literarische Weinkrämpfe. 18 KOMMT EIN EINHORN GEFLOGEN Zu Besuch im Proberaum der erfolgreichsten Schaffhauser Band The Gardener & The Tree und was passiert, wenn ein Einhorn geflogen kommt. 24 PLATZ FÜR NUDELN UND JAZZ Warum Martina Ronner neben ihrer Nudelmanufaktur unbekannte Jazzbands fördert. 26 WAS IST FÜR DICH EIN GUTES LEBEN? Ansichten einer Generation aus der Sicht der Fotografin Noëlle Guidon. 29 DIE ZUKUNFT DER ORTSMUSEEN Wie sie für den Nachwuchs attraktiv bleiben. 31 DIE DNA DES SCHAFFHAUSER KULTURLEBENS Essay von Mark Liebenberg 32 «WIR MÜSSEN WERKE AUFSPÜREN, IHRE QUALITÄT ERKENNEN UND MANCHMAL AUCH SCHNELL ENTSCHEIDEN.» Die Präsidentin der Sturzenegger-Stiftung erzählt im Interview, wie man bei Auktionen erfolgreich ist und wie das Museum zu Allerheiligen zu seinen kostbaren Sammlungen kam. 4
KULTUR IN DER REGION SCHAFFHAUSEN 39 SCHAFFHAUSEN 76 Kino-Theater Central, Neuhausen Schloss Charlottenfels, Neuhausen 40 Museum zu Allerheiligen Museum am Rheinfall, Neuhausen 46 Museum Stemmler 77 Reinart, Neuhausen 47 JUPS Trottentheater Neuhausen 48 Theater Bachturnhalle 78 Alte Schmitte, Neunkirch 49 Das Fass Ortsmuseum Neunkirch Haberhaus Bühne Ortsmuseum Rafz 50 Kammgarn GF-Eisenbibliothek, Schlatt 52 Vebikus Kunsthalle 79 Gipsmuseum, Schleitheim 53 TapTab Iuliomagus, Schleitheim IWC Museum Museum Schleitheimertal, Schleitheim 54 KLASSIK 80 Reiatmuseum, Thayngen 55 Rathauslaube Schreibmaschinenmuseum, Bibern Schützenstube Girsbergerhaus, Unterstammheim 56 Stadttheater Schaffhausen Orts- und Dichtermuseum Wilchingen 58 BUCHWOCHE 81 Hesse-Museum, Gaienhofen (D) Museum Haus Dix, Gaienhofen (D) Jüdisches Museum, Gailingen (D) 59 STEIN AM RHEIN Kunstmuseum Singen (D) 60 Künstlerresidenz Chretzeturm 82 Bildnachweis 61 Museum Kloster Sankt Georgen Krippenwelt 62 Museum Lindwurm 64 Rathaussammlung Schwanen-Bühne 65 NORDART 67 REGION Weitere Veranstaltungshinweise und Aktualisierungen finden Sie auf 68 Schlosspark Andelfingen nordagenda.ch Ortsmuseum Beringen Pflugmuseum Guntmadingen 69 Freilichtmuseum Säge Buch Handwerksmuseum Gattersagi, Buchberg Ortsmuseum Buchberg BÜHNE Puppenmuseum Buchberg 70 Museum Kunst + Wissen, Diessenhofen 71 ROCK THE RHY KUNST 72 Ortsmuseum Eglisau Museum Eschenz Theater Alti Fabrik Flaach LITERATUR 73 Ortsmuseum Hallau Weinkrone, Hallau Kutschenmuseum, Hallau MUSEUM 74 MUSEUMSNACHT 75 Bahnstation-Museum, Hemishofen Ortsmuseum Marthalen MUSIK Wohnmuseum, Marthalen 5
Zimoun Sie raspeln, rauschen oder zischen, die Klangskulpturen des Berner Künstlers Zimoun. Seine raumfüllenden, kargen Installationen werden auf der ganzen Welt ausgestellt. Gegenwärtig widmet das Haus Konstruktiv in Zürich dem Künstler seine bislang grösste Ausstellung in der Schweiz. Im nächsten Jahr kommt er nach Stein am Rhein zur Eröffnung des neuen Kulturhauses. 7
KUNST Text Jeannette Vogel Der Wind, der manchen Sommergewittern vorangeht, bläst warme Luft in die Atelierräume und lässt die Blätter der wuchernden Zimmerpflanzen zittern. Die kreuz und quer übereinandergestapelten Kartonschachteln bewegen sich nicht, der Wind ist zu sanft. Der Künstler Zimoun hat in seinem Atelier in Bern eine Karaffe mit Wasser auf einem bodennahen Holztischchen bereitgestellt. Die Sitzgelegenheit ist spartanisch, doch überraschend bequem. Tisch und Bank sind aus Teilen Stock. Und wie am Meer hört man es leise der alten Deckenverkleidung gefertigt. «Mich interessiert unspek- rauschen, raspeln und schaben. Lebendig takuläres Material», sagt er und meint sowohl das Holz als auch wird es mit dem Einschalten der Stromversor- die hüfthoch gestapelten Schachteln aus Karton. Seit rund gung. Die Wellenberge sind mit Minimotoren zwanzig Jahren erzeugt er eine Fülle von minimalistischen Klän- und Gewichten bestückte, auf- und neben- gen. Für seine Installationen verwendet er stets Alltags- und einander gestapelte Kartonboxen. Die 295 Industriegegenstände – in hundertfacher Ausführung. Zimoun Motoren, die seine beiden minimalistischen präpariert diese Materialien so, dass leise repetitive Geräusche Installationen in Zürich antreiben, hat er entstehen. Der Zufall bestimmt die akustischen Muster mit. bereits auf der ganzen Welt eingesetzt. Seine An der reduzierten Ästhetik tüftelt der Musiker, Installations- bislang grösste Einzelausstellung in einem und Klangkünstler lang. Zimoun nennt das Prinzip seiner Werke Schweizer Museum ist bis zum 12. September «primitive Komplexitäten»: «Mich interessieren primitive Systeme 2021 zu sehen. Weltweit gesehen ist sie aber mit komplexen Verhalten.» eine kleinere Ausstellung. «Ich hatte schon Einzelausstellungen mit zwölf Rauminstalla- BRAUCHBARES HORTEN tionen, für welche das ganze Museum genutzt UND KLINGEN LASSEN wurde.» Beispielsweise im Museum für zeitge- nössische Kunst (MAC) in Santiago de Chile. Zimoun lebt und arbeitet in einem unscheinbaren Berner Es ist heiss im Atelier, das Gewitter Quartier. Das grosse Gebäude war einst ein Lager für Heizöl, lässt auf sich warten. Die beiden Wasser- beherbergte danach ein Brockenhaus und bietet jetzt auf rund gläser hinterlassen Kreise auf dem Holztisch- 2500 Quadratmetern Kreativen Wohn-, Arbeits- und Aktionsraum. chen. Zimoun steht auf, holt ein Tuch, und Das Haus widerspiegelt Zimouns Philosophie: möglichst vieles wischt sie sorgfältig weg. Bereits als Kind weiter- oder wiederverwenden. Recyceln ist heute nicht nur interessierte er sich für Musik, brachte sich eine ökologische Notwendigkeit, recyceln ist auch in. Bequem verschiedene Instrumente bei und spielte ist es allerdings nicht. «Für mich bedeuten das Sammeln und in einer Schülerband. Mehr als die meisten das Behalten häufig Mehraufwand und auch Mehrkosten. Gleich- Kinder experimentierte er auch mit Visuellem, wohl mache ich es konsequent», sagt Zimoun. Etwas zu ver- beispielsweise mit Fotografien und Xerox- schwenden, ist ihm ein Graus: In zahlreichen transparenten Boxen Druckern. Seit seinen Teenagerjahren ist er hortet er Brauchbares. Sobald sich das Ideenkarussell zu drehen fasziniert vom Minimalismus, von der Reduk- beginnt, hat er das Ausgangsmaterial für seine Installationen tion, vom Weglassen. Das weisse Mikroskop direkt vor Augen. ist keine blosse Dekoration, sondern ein Ge- Sein Atelier ist in mehrere Räume unterteilt. In einem Zim- brauchsgegenstand. «Die Unendlichkeit wird mer sind verschiedene Musikinstrumente und ein weisses Mikro- für mich etwas fassbarer, wenn ich mich mit skop. Die aufgeräumte Werkstatt ist blitzblank und gut bestückt. dem Kleinen statt mit dem Grossen befasse.» Im Hauptraum finden auch eine offene Küche und ein kleines Fotostudio Platz. Eine Discokugel hängt von der Decke, sie ist DAS SOZIALE VERHALTEN der glamouröse glitzernde Fremdkörper in seinem monochromen VON AMEISEN Studio. Überall kann man kleine Motoren entdecken, in Setzkäs- ten etwa oder in der schmalen Kartonschachtel, die oberhalb der Zimoun hat keine Kunstschule durch- Sitzecke befestigt ist. An diesem Motörchen ist ein schmaler Stab laufen. Heute, mehr als zwei Jahrzehnte befestigt und an dessen Spitze eine kleine Kugel. Ist das Motör- nach der Fertigstellung seiner ersten Klang- chen einmal eingeschaltet, wabert der Stab samt Kugel hin und installation, sagt er: «Es fühlt sich an, als her und trommelt sanft an die Kartonwand. hätte ich das Universum meiner Kunst Zimouns leise ratternde, ruckelnde, summende oder gerade erst betreten.» Das Reduzierte, das zischende Installationen werden mittlerweile in der ganzen Welt Minimalistische treibt ihn an. Die Klänge, die gezeigt. Gegenwärtig stellt der Autodidakt in den Niederlanden, er mit seinen Installationen hervorruft, sollen den USA, Frankreich, Kanada und Südkorea aus – und im Haus in der Regel angenehm sein: «Ich suche Konstruktiv in Zürich. Ein Meer bevölkert dort den Saal im ersten Geräusche, die auf mich einladend wirken, 8
Zimoun Zimoun wurde 1977 geboren und wuchs in der Nähe von Bern auf. Bereits als Kind erlernte er verschiedene Musikinstrumente. Seit rund zwanzig Jahren macht er aus banalen Gegenständen tönende Kunstwerke. Bekannt wurde der Autodidakt vor allem mit seinen raumgreifenden Klanginstallationen. Zimoun stellt dieses Jahr im Haus Konstruktiv in Zürich aus sowie in Frankreich, den Niederlanden, in den USA, in Kanada und in Südkorea. Jeannette Vogel 9
KUNST länger zuzuhören und aktiv zu beobachten.» Das Betrachten sondern auch mit der Stille. Im jugendlichen und das Analysieren sind ihm wichtig: «Ich tauche gern tief in eine Alter beschäftigte er sich intensiv mit den Materie ein.» Der Austausch mit Experten begeistert ihn ebenso. Arbeiten des amerikanischen Künstlers John Eine Zeit lang hatte er regen Kontakt mit einem Forscher von der Cage. Dieser komponierte in den Fünfziger- Universität Zürich, es ging um künstliche Intelligenz, Schwarm- jahren völlige Stille: Während vier Minuten und verhalten und um Robotik: «Ich dachte, das Interesse ginge dreiunddreissig Sekunden wird kein einziger einseitig von mir aus, und war dann erstaunt, dass das nicht so Ton gespielt. war.» Mit einer Forscherin von der Universität Lausanne tauschte Der Musiker und Schaffer von kargen er sich über einen längeren Zeitraum über das soziale Verhalten Raum- und Klanginstallationen hört selbst von Ameisen aus. «Ihre mikroskopische Sicht und Forschung gern Musik. Ein Plattenspieler steht gleich faszinieren mich.» neben der Sitzecke. Ob sich eine Musik «wie In einem nächsten Leben Astrophysiker oder Insektenfor- das Eintauchen» anhört oder die zähflüssige scher zu werden, scheint ihm eine Möglichkeit. «Abschliessend Ästhetik von Doom Metal hat, der Künstler ist kann ich mich allerdings nicht dazu äussern», sagt Zimoun, und offen für verschiedene Musikstile. seine Augen lächeln hinter den orangen Brillengläsern. Im Sommer 2022 stellt Zimoun in Stein am Rhein aus. Ob der Künstler dort Tausende ZÄHFLÜSSIGE ÄSTHETIK von Tropfen auf einer heissen Platte ver- VON DOOM METAL dampfen, Kartonschachteln mit den Ohren schlenkern lässt oder mit Baumwollbällen ein In den Neunzigerjahren dichtete eine Zürcher Werbeagen- Trommelfeuer veranstaltet, hat er noch nicht tur den Slogan «Reduce to the max». Zimouns Credo geht dar- festgelegt. Vielleicht denkt er sich auch etwas über hinaus. Seine Prototypen vereinfacht er wieder und wieder, komplett anderes aus. «Die Konzipierung «bis nach dreissig Prototypen nichts mehr übrig ist, was es nicht dieser Ausstellung ist noch offen und beginnt braucht. Wenn es dann so weit ist, die Einfachheit erreicht wurde, mit Experimenten und Versuchen», sagt der frage ich mich manchmal, warum das nicht schon von Anfang Künstler, und wieder blitzt ein Lächeln hinter an klar war.» Der Künstler befasst sich nicht nur mit Geräuschen, den orangen Gläsern auf. Wie früher, als das Gebäude aus dem Spätmittelalter zunächst als Zunfthaus, später als Metzgerei und Wirtshaus rege genutzt wurde, soll die Kulturbeiz im Erdgeschoss und im Innenhof ein Ort der Geselligkeit Nach der Renovation prägen alte und neue Elemente für Einheimische und Auswärtige werden. das Foyer der «Oberen Stube». 10
Im Zunftsaal wird zur Eröffnung des Kulturhauses eine Ausstellung zum Leben in Stein am Rhein im 17. Jahrhundert im Kontext markanter Erfindungen und Ereignisse zu sehen sein. Kulturhaus Obere Stube in Stein am Rhein Im Sommer 2022 werden Gäste und Kreative die zum Kulturhaus umgebaute «Obere Stube» beleben. Drei Ausstellungsräume bieten dazu spartenübergreifenden, regionalen und internationalen Kulturgenuss. Im Vorderhaus werden wechselnde Ausstellungen stattfinden. Das Hinterhaus, wo sich im 19. Jahrhundert das Waschhaus, der Holzschopf und die Kuttlerei befanden, bietet von März bis Oktober Platz für bis zu vier wechselnde Ausstellungen zu Themen wie Alltagskultur und Nachhaltigkeit sowie klassische und zeitgenössische Kunst. Den Auftakt zur Eröffnung im Sommer 2022 inszeniert der Klangkünstler Zimoun. Ein Veranstaltungsraum im Hinterhaus steht den Ansässigen das ganze Jahr auch für kulturelle Anlässe wie Vorträge, Workshops und Seminare zur Verfügung, die Vereine oder andere Institutionen organisieren wollen. Im Vorderhaus sind zudem kleinere Räume für Kulturvermittlung und Kreativität nutzbar. dp Jakob und Emma Windler-Stiftung Die finanzkräftige Stiftung mit Sitz in Stein zug zum Kanton Schaffhausen oder Auswir- am Rhein leistet seit 1989 einen immensen kungen auf ihn haben. Der Stiftungsrat Beitrag zur Kulturförderung im Kanton stellt die Fördergelder zur Verfügung (für Schaffhausen. So wollten es Jakob und Kultur waren es im Jahr 2020 1,5 Millionen Emma Windler, die mit ihrem Nachlass – Franken). Gesuche werden von der sechs- der ursprünglich aus 310 Sandoz-Aktien be- köpfigen Kulturkommission aus Steiner Per- stand – diese Stiftung begründeten. Mittler- sönlichkeiten bearbeitet, die regelmässig weile stehen für die Förderung von Kultur, zusammenkommt. Derzeit erarbeitet die Sozialem und Gemeinnützigem und die Er- Stiftung mit der Kulturkommission und haltung des Ortsbildes von Stein am Rhein zwei Vertretern der Stadt Stein am Rhein 30 bis 35 Millionen Franken pro Jahr zur eine Kulturstrategie. Ziel ist es, das Städt- Verfügung, die die Stiftung voll ausschöp- chen kulturell zu beleben, die bestehenden fen möchte. Deshalb hat sie in den letzten Angebote zu stärken und auszubauen sowie Jahren auch ihre Aktivitäten im Kulturbe- bestehende Lücken über die nächsten Jahre reich forciert – unter anderem mit dem Bau zu füllen. So soll im Rahmen des Internatio- des Kulturhauses in Stein am Rhein und der nalen Bachfestes ein «Steiner Tag» mit Kon- vermehrten Unterstützung von Kulturpro- zerten stattfinden oder vielleicht dereinst jekten in Stein am Rhein sowie im ganzen ein Jazzschiff als Ableger des Schaffhauser Kanton Schaffhausen. Zudem verstärkte sie Jazzfestivals am Ufer von Stein am Rhein ihre Öffentlichkeitsarbeit. Im Jahr 2020 ver- anlegen. Dazu ist die Stiftung mit unter- öffentlichte die Stiftung erstmals einen Jah- schiedlichen Veranstaltern im Gespräch. resbericht, in dem sie die Finanzlage offen- Bereits unterstützt sie diverse grössere Fes- legte. Zu mehr Transparenz und Bekannt- tivals wie beispielsweise das NordArt, Jups, heit in der Region soll auch die neue das Bachfest oder das Jazzfestival sowie Website www.windler-stiftung.ch führen. kleinere wie Rock the Rhy, das Hallauer Dort stehen Antragsformulare zum Down- Open Air und das Burgklang Daydance – load bereit, für Kreative aus allen Kultur- damit auch ein junges Publikum auf seine sparten mit guten Projekten, die einen Be- Kosten kommt. dp 11
25. BIS 29. MAI 2022 BACH GRENZENLOS Freiburger Barockorchester & Vox Luminis RIAS Kammerchor & Akademie für Alte Musik Berlin René Jacobs Jordi Savall & Le Concert des Nations Les Talens Lyriques & Christophe Rousset Kyia Tabassian & Ensemble Constantinople Concerto Italiano & Rinaldo Alessandrini www.bachfest.ch Prospero Consort & Lukas Stamm Musikschule Schaffhausen ...macht Freu(n)de von A - X Akkordeon Alphorn Bands Bambusflöte Beatbo- xing Blockflöte Cantalino Chorisma Drumset Du- delsack Ensembles E-Bass E-Gitarre E-Piano Es- Horn Euphonium Fagott Gitarre Harfe Jazzgesang Jazzpiano Jazzworkshop Jugendchor Jugendor- chester Keyboard Klarinette Klavier Knabenchor Kontrabass Mädchenchöre Marimbaphon Mu- sikTheater Oboe Orchesterschule Orgel Orientie- rungssemester Panflöte Posaune Querflöte Rock- Pop-Gesang Saxophon Schatzchischte Schlagin- strumente Singschule Singmeisen Solfège Sologe- sang Spatzenchor Stimmbildung Streichorchester Tonfinkli Trompete Tuba Ukulele Viola Violine Violoncello Vocalissimo Vororchester Waldhorn Xylophon ... für ein Leben mit Musik Beratung, Probelektionen und Anmeldung MKS Musikschule Schaffhausen Rosengasse 26, Postfach, 8201 Schaffhausen T 052 630 01 10 | sekretariat@mksh.ch | www.mksh.ch www.kunstmuseum.ch www.klanghaus-mksh.ch A1514106
BÜHNE «Das Publikum soll Gänsehaut bekommen» In der linken Reihe von hinten nach vorne: Mirella Weber, normalerweise Büroangestellte, glüht auf der Bühne für das Schauspiel, Sozialarbeiterin Manuela de Ventura führt Regie, Mirjam Sina Schlatter ist im normalen Leben Heilpädagogin und ansonsten ein echtes Bühnentier. In der rechten Reihe von hinten nach vorne: Informatiker Noah Valley ist Bühnentechniker und so etwas wie der gute Geist der Genossenschaft zum eichenen Fass, Drehbuchautorin Fanny Nussbaumer schreibt Theaterstücke für Szenario und Jazzmusiker und Komponist Joscha Schraff, heute als Faktotum an der Theke der Fassbeiz, ist ansonsten natürlich zuständig für Musikalisches. 13
BÜHNE Szenario fällt immer wieder durch Text Sabine Bierich Bild Melanie Duchene seine mitreissenden authentischen Produktionen auf. Und welches Theater kann schon zurückgreifen auf einen rund 30-köpfigen Pool von ambitionierten Autorinnen und Autoren, Regisseurinnen und Regisseuren, Schau- spielerinnen und Schauspielern, Musikerinnen und Musikern? Offen für alle sind sie, nur bei der Altersbe- grenzung ist man sich nicht im Klaren. Bisher bewegen sich die Mitglieder im Alter zwischen 18 und 33 Jahren. Aufgetreten sind sie vor allem auf der Fassbühne. WIE ALLES ANFING Mirjam Fanny hat viele Stücke für uns geschrieben. Sie Mirjam Viele von uns haben sich im Jugendclub Momoll kennt die Spielerperspektive, kennt uns und er- kennengelernt. Als ich 21 Jahre alt war, hiess es, findet stets gute Konstellationen. Bei ihr sind alle ihr seid jetzt zu alt. Ich habe mich wie zwangs- Figuren cool. pensioniert gefühlt. Logisch, beim Momoll rücken Fanny Wir haben immer gemacht, worauf wir Lust hat- Leute nach, ist ja ein Jugendtheater. Noah hatte ten. Am Anfang war ich noch voll in mein Studium dann die Idee, einen eigenen Verein zu gründen, fürs Drehbuchschreiben involviert und konnte selbst weiter Theater zu machen. Ich hätte nicht alles, was ich dort lernte, praktisch anwenden. den Mut dazu gehabt. Wir waren ein zusammen- Das war Luxus für mich als Autorin. Ich habe im geschweisster Freundeskreis. Durch das Theater- Kämmerlein geschrieben und meine Szenen mit spielen entstehen tiefe Freundschaften, man sieht den Schauspielern ausprobieren können. sich in den besten und schlimmsten Situationen. Noah Eigentlich haben wir keine Nebenrollen oder kei- Fanny Jetzt gibt es das Theater Szenario schon fünf nen Hauptcharakter, und wenn jemand eine klei- Jahre, und wir haben uns weiterentwickelt. ne Rolle hat, dann gleich mehrere. Das war so bei Manuela Ja, wir starteten mit einer engen Freundes- unserem ersten Stück «Pierrette», das die Identi- gruppe und haben uns geöffnet. Wir nehmen tätssuche der Vertikalakrobatin thematisierte, und neue Ideen und neue Leute auf. Ich hoffe, dass in bei unserem letzten Stück «The Ninety Nines», Zukunft die Idee weitergeführt wird und wir nicht das sich um die Flugpionierin Amelia Erhart dreht. stehen bleiben, vielleicht kommen ja auch mal KEIN STREIT UM DIE ROLLEN Leute dazu, die nicht aus Schaffhausen sind. Mirella Über gemeinsames Lesen und Improvisationen WIE SZENARIO SEINE merkt man schnell, welche Rolle zu wem passt. THEATERPROJEKTE ENTWICKELT Manuela Kleine Rollen sind ein Trugschluss! Eine kleine Manuela Wir suchen immer gemeinsam nach einem Rolle heisst nicht weniger Aufwand. Bei uns Theatersujet, das uns anspricht, recherchieren, sind selten nur zwei Schauspielerinnen auf der so zum Beispiel für das Stationentheater Bühne, sondern in der Regel alle, ausser, jemand «Zur Unruh im Fass» anlässlich des 40-Jahr- muss sich schnell umziehen. Die kleinen Rollen Jubiläums im «Fass». sind meist die anstrengenderen Rollen, weil man Noah Es geht immer viel Denkarbeit voraus: Soll Musik 27 verschiedene Sachen machen muss. dabei sein, wer könnte das machen, sollten die Mirjam Eine Spielerin gibt zum Beispiel im Hintergrund Darsteller ein Musikinstrument spielen können? einen passenden Rhythmus. 14
Manuela Unsere Theatermusiker, hauptsächlich sind das Leben nehmen kann. Bei «The Ninety Nines» das Joscha Schraff und Matthias Meier, möch- stellten wir am Schluss ein gewisses Bild der ers- ten, dass die Musik ins Bühnengeschehen ten Aviatikerinnen, der Frauenbewegung und der eingebunden ist. Es gibt nichts, was den Blick Zeit dar, hinter dem wir stehen. Wir hatten eine der Zuschauenden im negativen Sinn mehr auf politische Message. sich zieht, als ein Schauspieler, dem man an- Fanny In unseren Stücken finden sich streckenweise sieht, dass er keine Aufgabe hat. Und für mich feministische Tendenzen. als Regisseurin ist es eine Herausforderung, gute Noah Klar, es sind auch viel Frauen engagiert. Off Storys zu inszenieren. Sonst habe ich einen Fanny Ja, wir sind ein grosses Frauenensemble und Energiesauger im Bühnenbild stehen! waren bei den ersten Stücken in einer Lebens- THEATERGRUPPE MIT HOHEM ANSPRUCH phase, in der wir nach unseren eigenen Wegen Mirella Es funktioniert bei uns. Bei uns wollen alle ein gesucht haben – trotz Widerständen. Wir suchen gutes Stück produzieren. Niemand ist unmotiviert Themen, mit denen wir uns identifizieren. Und wir mit dabei, wie ich das bei anderen Theaterverei- überlegen uns Settings, die spannend sind und nen schon kennengelernt habe. Lust aufs Spielen machen. Manuela Wir haben eine hohe Erwartung an uns selbst. Manuela Ein komplettes Spassstück war «Schatzinsel», Noah Wir sind zwar ein Laientheater, aber eines mit da hatten wir keine Botschaft. Anspruch. Entweder du bist ganz dabei und bist Noah Ziel ist nicht die Message. Das Ziel ist Theater. motiviert, oder du lässt es bleiben! «HÄCKHÄM» MIT JEDER MENGE Manuela Bisher haben alle bei uns durchgezogen. NEUER LEUTE Mirjam Der einzige Knackpunkt ist die Regie, spiel- Fanny Unser diesjähriges Programm habe ich angeregt. freudig sind fast alle, aber wer hat Zeit und Lust, Ich arbeite gerade an der Ausstellung «50 Jahre Regie zu führen? Frauenstimmrecht Schaffhausen», die im No- DIE LEIDENSCHAFT DER REGISSEURINNEN vember in der Kammgarn West zu sehen sein UND DER SCHAUSPIELERINNEN wird, und dachte, eigentlich könnte Szenario Manuela Ich dachte auch mal, ich suche mir ein Hobby doch auch integriert werden. Statt einer grossen neben der Arbeit zum Ausspannen. Produktion haben wir fünf kleine Produktionen Noah Mirjam und ich überredeten sie, Regie zu führen. angedacht. Ein Kurzfilm ist bereits gedreht, und Manuela Die Regie hat mich auch gereizt. Bisher sind im «Fass» ging «Stereo» über die Bühne, das Xenia Ritzmann und ich quasi die Hausregisseu- Stereotypen von Mann und Frau satirisch über rinnen. Es ist spannend zu bemerken, wie kommt den Tisch zieht. Dann folgte «Usglöfflet» – laut- mir eine Gruppe oder der einzelne Mensch starke Küchengespräche. Die Stücke sind alle entgegen, wie kann ich beeinflussen, steuern schnell zu produzieren, sind fast ein bisschen ak- und antreiben. Das mache ich im Beruf und im tivistisch und finden an verschiedenen Spielorten Theater. Und manchmal freue ich mich, wenn ein statt. Wir haben dafür auch neue Leute ausser- Schauspieler krank ist und ich einspringen kann. halb des Szenario-Pools gesucht und gefunden. Mirjam Ich mag es zu spielen, im Zuschauer etwas anzustossen, das unter die Haut geht. Ich möchte nicht belehren, sondern Gänsehaut erzeugen. Was die Leute damit machen, bleibt ihnen über- lassen. «Häckhäm» – WAS NUN, SENDUNGSBEWUSSTSEIN ein Räuspern MIT SINN ODER UNSINN? Mirjam Das Thema ist eher irrelevant – ich finde es zum Frauen- megacool, durch Zeit und Raum zu düsen und etwas zu spielen, das berührt und mich selbst stimmrecht aufwühlt: rennen, sterben, erwürgen … Noah Ein gutes Stück ist ein gutes Stück, weil es einen Ich nicht kalt lässt. Spielort noch offen Mirella Ein Thema, auf das alle Bock haben! 4–5 SEP 21 Manuela Da möchte ich ein wenig widersprechen. Es ist mir schon wichtig, etwas bei den Ansichten Freni und der Zuschauenden zu bewirken. Die handelnden die sieben Zwerge Personen auf der Bühne müssen durch etwas Fassbühne hindurch, beschreiten dramatische Wege, die 3–4 DEZ 21 15
LITERATUR Von der Dialektik Praxedis Kaspar unersättlichen Lesens Winnetou ist tot In meinen siebzig Jahren sind es wohl Tausende gewesen: Bü- vor dem Essen, Kleiderkauf im Nobelge- cher, die mich wie halb zahme Tiere ein Stück des Weges begleitet schäft und abends Theater, auf Gross- haben und lautlos wieder verschwunden sind im Dickicht der Ver- vaters Platz, der meinetwegen verzich- gessenheit. Manche sind unversehens nochmals aufgetaucht, hinter tet, weil Oma es so will. Ich habe Karl einer Wegbiegung des Lebens haben sie mir ein Wiedersehensglück Mays «Winnetou III» mitgebracht – es ist beschert und mir die alte Geschichte in neuem Licht gezeigt. Rilkes so weit: Winnetou stirbt im Sommer «Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke» zum Beispiel, 1962 in St. Gallen auf der blassroten jüngst wiedergefunden beim Antiquar, habe ich als Fünfzehnjährige in Steppdecke im Bett meiner Gross- einer einzigen Nacht für meinen Schulschatz abgeschrieben – heim- mutter. Noch sehe ich die verschlunge- lich und von Hand. «Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die nen Muster, die der Faden in den Stoff Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde zeichnet, die leicht gepolsterten Erhe- geworden und die Sehnsucht so gross.» Noch heute klingt mir der bungen dazwischen, den Kopfteil des Rhythmus dieses hoch exaltierten Prachtstücks hart an der Grenze Bettgestells aus Nussbaumholz, noch zum Kitsch in den Ohren. Das Leben aber hat mir andere Trommeln spüre ich das fröstelige Kribbeln, das geschlagen, Fahnensehnsucht mochte nie aufkommen, und im Gan- die Kunstseide verursacht, wenn ich zen bin ich doch eher zu Fuss unterwegs als auf dem hohen Ross. Und beim Lesen vor Anspannung die Finger- doch spielt irgendwo im Verborgenen noch jene Musik, lockt bis heute nägel reinkralle. Ich sehe mich daliegen, Sprachexzess als Verführung und Rausch. geschüttelt von Schmerz, das halb ge- Ganz wenige Texte nur haben mich von der Jugend ins Alter öffnete Buch sinkt mir aus der Hand. begleitet, sind mit mir gewachsen, aufgeblüht – und am Ende ge- Winnetou ist tot. Es ist mein erster gros- schrumpft in den Verwandlungen der Zeit, wo manches, was klein war, ser literarischer Weinkrampf. Der Held gross wird und vermeintlich Grosses in Bedeutungslosigkeit versinkt. im Buch ist tot, ich hier auf der Stepp- Aber nein, im ganzen Leben habe ich kein Buch zu meiner Erbauung decke muss weinen, weinen, weinen, gelesen, keines bewusst als Kraftquelle genutzt. Überhaupt, kaum je niedergeschmettert von der Wirkungs- habe ich im Buchladen eine nüchterne und vernünftige Wahl getroffen. macht einer guten Geschichte in mei- Ganz im Gegenteil: Bücher springen mich an. Bücher lecken an mei- nem Kopf. Er dort, tot im Buch. Ich hier, nen Händen, tanzen um mich herum und raunen mir zu: «Nimm mich todtraurig auf Grossmutters blassroter zu dir, nimm mich zu dir, geniesse mich. Ich runde dir den Tag ab, ich Steppdecke – meine erste Erfahrung erlaube dir ein glanzvolles Doppelleben in der Stunde vor dem Lichter- von Dialektik: ich und er in getrennten löschen, ich schenke dir manchen gestohlenen Augenblick zwischen- Welten und doch diese einzige, sprach- durch. Ich erschliesse dir neue Räume, die nur du betrittst, ich rühre geborene Wirklichkeit, die sich vollsaugt dich zu Tränen, die keiner sieht, ich führe dich ans Ufer der Trauerwei- mit Schmerz. den und treibe dich in den weiten See deiner Erinnerung. Ich vertiefe Zeitlebens haben mich Bücher deine Zeit bis auf den Grund der Welt. Und ich lasse deinen Geist hüp- beglückt. Sie kommen vor der Liebe, fen vor Freude.» So spricht das Buch, das zu mir will. Ich aber sage: nach der Liebe, mit der Liebe, durch die Es muss schön sein, es muss mich hungrig machen, mich verführen Liebe, trotz und wegen der Liebe. Sie mit einem Wort, einem Satz, einem Schwung, einer Melodie und nicht schenken mir die Verdoppelung meiner zuletzt mit einem unwiderstehlichen Umschlagbild ... Das und nichts Lebenszeit, sie leihen mir fremde Bio- sonst ist die Erotik des Bucherwerbs. grafien und entlasten mich von meiner Ich bin etwa zwölf Jahre alt, bei Grossmutter in den Ferien. Das eigenen. Sie stürzen sich mit mir in die ist die pure Freiheit mit Fernsehen bis zur Landeshymne, Schokolade Trauer, auf deren Grund zu sinken ich 16
allein nicht wage. Sie gestatten mir die Freude, die wahrzunehmen Hälfte des Lebens ich in der ersten Wirklichkeit nicht schaffe, sie erlauben mir das Doppelleben, das ich nicht habe und auch nicht haben will. Bücher hindern meine Erinnerung daran, im Sand zu verlau- Mit gelben Birnen hänget fen, sie heben sie in trockene Tücher für mich. Bücher langweilen und voll mit wilden Rosen mich, erzürnen mich und verleihen mir die Macht, sie nach drei Ab- schnitten in eine Ecke zu schmeissen, weil sie mittelmässig oder das Land in den See, schlecht geschrieben sind. Bücher sind die geheimen Botschaften ihr holden Schwäne, aus dem Land der Zweckfreiheit, sie helfen mir, Vergangenes wie- derzufinden, auf seine Gegenwärtigkeit zu prüfen und erneut zu und trunken von Küssen verlieren … Bücher sind Gottesanbeterinnen, die Seite um Seite tunkt ihr das Haupt ihren eigenen Inhalt vertilgen, sie sind mein Blättermagen, der mir ins heilignüchterne Wasser. das Leben verdauen hilft. Ein Buch macht dem andern Platz, es tritt nach gehabter Lektüre aus dem Glanz der Gegenwart zurück und sinkt hinab ins Weh mir, wo nehm ich, Sediment der abgelegten Geschichten, von wo es, vielleicht, eines zufälligen Tages wieder hochgespült wird in meine Bewusstheit. Es wenn es Winter ist, ist mit guten Geschichten wie mit alten Apfelsorten: Sie sind so die Blumen, stark im Geschmack, dass ich darin den dunklen Kern von Wahr- und wo den Sonnenschein heit erkenne, bittersüss und nachwirkend weit über den eigentli- chen Genuss hinaus. und Schatten der Erde? Zwei Bücher begleiten mich durch mein ganzes Leben: Die Mauern stehn Hans Magnus Enzensbergers «Museum der modernen Poesie» von 1964 und das gelbe Reclam-Heft mit einer Auswahl von Friedrich sprachlos und kalt, Hölderlins Gedichten, das zerfleddert und voller Kaffeeflecken in im Winde klirren die Fahnen. meinem Rucksack schwimmt. Das meiste, was ich mir damals, als ganz junge Frau, in Enzensbergers «Museum» angestrichen habe, dünkt mich heute brennend, gegenwärtig. Sprache als fermen- noch toll: «Steinbrech ist meine Blume, die sprengt den Fels», sagt tierter Existenzkampf, auf Messers Schneide William Carlos Williams, und ich habe die Zeile bis heute im Kopf, Wort für Wort. weil sie mit wenigen Worten beschreibt, was Lyrik kann. Das «Mu- Die Tage und Nächte mit einem ge- seum», ein DTV-Taschenbuch, liegt auf meinem Tisch, vergilbt und liebten Buch sind wie der Aufenthalt in einem zerlesen, voll von Bleistiftstrichen, mit denen ich Verszeilen mar- Spiegelsaal, dessen Lichter langsam vom Hel- kiert habe: «… Vom Hügel aus sah ich, wie die Sonne in den Buch- len ins Dämmrige gehen. Ich drehe und wende ten deiner Augen unterging.» Leopold Senghor. Oder diese eigen- mich und sehe mich von immer neuen Seiten, artige Strophe von Rafael Alberti: «Es sprach das Weiss: Ich kann, ich vervielfältige mich und erlebe in tausend- glückselig, in allem sein, denn ich bin das unumgängliche Blut für undeiner Nacht meine Wiedergeburt. Mein Da- das wahre Leuchten des Lichts in den Farben.» Schon damals bin sein zeigt sich mir – atemberaubend in seiner ich durchs «Museum» flaniert auf der Suche nach der überraschen- Alltäglichkeit. den Wendung, dem erschreckenden Bild, das, zum Beispiel, der Ich habe, wie gesagt, meine Lektüren von Armut und Diktatur früh zerstörte Attila Jozsef vom künftigen nie als Kraftquellen betrachtet, aber einige von Menschen entwirft: « … dass eure Kinder mit Lilienfüssen unschul- ihnen haben durchaus zur Konstruktion meiner dig das Blutmeer durchschreiten ...» Enzensbergers «Museum» ist selbst beigetragen. Im Sinne des Wortes ha- mit mir durch die Jahrzehnte von Adresse zu Adresse gezogen, das ben sie, allein durch das Auftürmen gelungener Buch ist zum Klassiker geworden – und hat meine Bleistiftstriche Sprache in meinem Kopf, durchaus geholfen, mitgeadelt als Treueschwur einer leidenschaftlichen Epigonin. mich zu erbauen. Giuseppe Ungaretti sagt es Friedrich Hölderlin aber, der Autor meines Rucksack- schöner: «M’illumino d’immenso»; ich erleuch- buches, ist die singuläre literarische Erscheinung meines Lebens, te mich durch das Unermessliche. keiner kann ihm das Wasser reichen: Er, der seinen Platz nicht Steht in Enzensbergers «Museum» auf finden konnte unter den Menschen, wohnt mit seinen Gedichten Seite 31. Ich hatte mir den Vers damals, als in meinem Kopf fast seit ich lesen kann, hier spielt die Musik sei- Gymnasiastin, dick angestrichen. Inzwischen ner Sprache, hier ziehen berauschende Bilder vorbei, hier schlägt züngelt mir das Unermessliche aus allen Him- der Rhythmus seiner Verzweiflung, in karge Verse gehämmert. In melsrichtungen entgegen, derweil das Mess- seiner Diesseitsfreude und seinem Verlangen nach Transzendenz bare schrumpft. Aber immer noch leuchtet hat Hölderlin fantastische Gedichte geschrieben – schmucklos, Schrift am Horizont. 17
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MUSIK Die schnurgerade Eisentreppe hoch zum Text Maria Gerhard Bilder Roberta Fele Arova-Gelände in Flurlingen hat es in sich – 300 Stufen! Kurze Pause, ein sehnsüchtiger Blick aufwärts. Es ist ein wenig so, als würde man die Himmelsleiter erklimmen, nur dass am anderen Ende nicht Petrus wartet, sondern die erfolgreichste Band in der Region Schaffhausen: The Gardener & The Tree. In dem umfunktionierten Industrieareal liegt ihre «Höhle», ihr Proberaum. Kommt ein Einhorn geflogen Die Folk-Pop-Band trifft sich an diesem Montagabend, um an geredet, stundenlang. «Wir hatten es vom ihrem neuen Album zu arbeiten, das Frontsänger und Texter Ma- richtigen Sound, und dann haben wir uns nuel «Manu» Felder als eine Gratwanderung bezeichnet: zwischen auch gegenseitig Aufnahmen vorgespielt.» melancholischen, düsteren und freudigen, tanzbaren Songs. Die Jahre später, 2013, treten The Gardener & The Fans, auch viele aus dem nahen Ausland, können es kaum erwar- Tree auf. Der Name – ein Gleichnis: Die Mu- ten. Auf Instagram schwärmen sie bereits in den höchsten Tönen: sik ist wie ein Baum, dessen Äste sich «Vielleicht sogar die beste Band, die es im deutschsprachigen mehr und mehr verzweigen. Damit er gut Raum in den letzten Jahren gab», liest man dort. Oder: «Eure wächst, braucht es den Gärtner, also die Musik ist grad in solchen Zeiten Balsam für meine Seele! Musiker, die ihn kultivieren. Läuft rauf und runter.» Herz- und Namaste-Emoji. Die Band wurde in der Schweiz mit Auf dem Arova-Gelände ist es still. Der Proberaum ist nicht Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem leicht zu finden, umso erfreulicher, dass die fünf nicht auf sich «Best Talent» von Radio SRF und mit einem warten lassen. Von allen Seiten kommen sie herbei. Begrüssung. Swiss Music Award als «Best Live Act». Der- Dann werden erst einmal die Zigaretten ausgepackt. Sie stehen zeit sind die Männer beim Major Label Univer- beisammen, wie eine dieser coolen Cliquen auf dem Pausenhof. sal unter Vertrag. 2020 wollten sie eigentlich Die Chemie zwischen ihnen stimmt, lebhaft unterhalten sie sich. so richtig durchstarten, mit einer Tour, die sie Wenn man ihnen Fragen stellt, sind es aber meist Manu und Mug- unter anderem nach Berlin, Köln, Warschau, gli, Patrik Muggli (Gitarre), die antworten. Die anderen scheint das Amsterdam, Wien und Prag geführt hätte. wenig zu stören. Sie sind Freunde, ein eingespieltes Team. Aber die Coronakrise kam dazwischen. Doch Die zwei waren es auch, die die Band aus der Taufe ge- davon später. hoben haben. «Ich war gerade mit der Lehre fertig», erinnert Der Proberaum, eine Art Keller mit sich Manu, der Zimmermann ist. «Wir haben uns im Ausgang Eisentür, ist klein. Drei, vier lange Schritte, und kennengelernt, und irgendwann sassen wir in einem Golf man hat ihn durchmessen. Beeindruckend, auf einem Parkplatz», ergänzt Muggli, der derzeit Erdsystem- was hier Platz findet: Schlagzeug, Keyboards, wissenschaften studiert. Jetzt fällt es ihm auch wieder ein: «Das Mischpult, diverse elektronische Gitarren, ein war doch auf dem Bleicheplatz? Der alte Busbahnhof. Den gibt ausgebauter Rücksitz, Boxen und ein Schreib- es heute schon gar nicht mehr.» Jedenfalls sassen sie da, haben tisch mit Computer. Auf einem Tisch steht 19
XY Kreativpausen müssen hin und wieder sein: (v.l.n.r.) Patrik Muggli, Lucas Pfeifer, Daniel Fet, Manuel Felder und Philippe Jüttner stehen in der Gasse vor ihrem Proberaum auf dem Arova-Gelände. eine Kaffeemaschine, daneben ein Stoss Songtexte. An der Wand gelehnt, Auftritte über das Internet zu geben. gegenüber hängt eine Tafel. Mit Kreide wurden dort Musiktitel «Wir haben dafür am Album weitergearbeitet.» notiert. Sie bilden das neue Album. Ist der Titel mit einem grünen Finanziell war die Coronazeit, wie für viele Punkt markiert, ist er so gut wie fertig. Danach scheint es gut Künstler und Künstlerinnen, ein Desaster. Gut, voranzugehen. dass jeder neben der Musik noch anderem Was der Szene Magie verleiht, sind einzelne Glühbirnen, nachgeht: Daniel Fet (Schlagzeug) ist Maler, die wie überdimensionale Glühwürmchen von der Decke hängen. Philippe «Pete» Jüttner (Bass) studiert Musik, Die Musiker setzen sich hinter ihre Instrumente. Ihre Gesichter und Lucas Pfeifer gibt Klavierstunden. Entmu- werden von dem warmen Licht beschienen. Auch wenn sie es tigt sind sie deshalb nicht. Vielmehr scheinen heute nicht unbedingt vorhatten, stimmen sie doch ein paar Takte sie begierig zu sein, wieder da anzuknüpfen, an. Tatsächlich braucht es nur wenige Griffe in die Gitarrensaiten, wo sie vor der Coronakrise standen. um eine Idee von der Energie und der Leidenschaft, für die sie bei Das neue Album soll Ende des Jahres Liveauftritten so bekannt sind, zu erhalten. herauskommen, und man darf gespannt sein. Für die Band, die auch schon einmal die Einsamkeit in Ging es in «Revolution» (2014) inhaltlich noch Schweden gesucht hat, um sich Inspiration zu holen, war das darum, sich zum ersten Mal von seiner Familie vergangene Jahr alles andere als leicht. «Am Anfang war es zu lösen, befasste sich «69591, Laxå» (2018) gruselig», sagt Lucas Pfeifer (Piano), «als es so richtig losging, mit der Selbstfindung. Nun schauen The Gar- kamen wir gerade von einer Deutschlandtour. Wir waren ständig dener & the Tree das erste Mal auf Entschei- unter Leuten. Und dann hat sich die Frage gestellt: Wie proben wir dungen zurück, die man im Laufe der Jahre jetzt?» Als passionierte Liveband hätten sie es von vornherein ab- trifft. Wie man es eben macht, wenn man 20
MUSIK um die 30 ist und das Leben schon ein wenig gelebt hat. Aus den musikversessenen Buben sind Erwachsene geworden. Manu ist frischgebackener Vater. Einen Vorgeschmack gaben sie bereits mit der Single «Young & Bold» («Jung und mutig»), die 2020 erschienen ist. Ein Song, den man gern nach der Arbeit auf der Heimfahrt hört, der einen zum Mitsingen bringt. Das liegt an seiner Dynamik, aber auch am Text, der etwas Lausbübisches hat, nostalgisch, weh- mütig ist: ausgelassen sein, wild sein, Zigaretten stehlen, durch Wälder streifen und in fremde Häuser einsteigen. Im Refrain heisst es: «We’d do it anyway, to make sure that we were young.» («Wir machen es sowieso, um sicher zu gehen, dass wir jung sind.») Ob wir in das neue Werk mal reinhören wollen? Klar! Also, Eisentür auf und nach draussen in die kühle Gasse, an die Beton- wand lehnen und Zigaretten raus. Manu dreht drinnen den Ver- stärker hoch. «Das ist übrigens unser Schlitten», sagt Muggli und deutet auf eine Palette, auf der ein Kaffeehausstuhl steht. «Im Winter sind wir damit den Hang heruntergefahren …» Die Musik geht an, er verstummt. 21
XY Manus rauer, kräftiger Gesang weht aus dem Keller heraus, Ein tiefes Grollen ertönt, ein Gewitter durch die Gasse, über das Gelände. Der Song «Out To Sea» ist kündigt sich an. Pete deutet auf den Him- mittlerweile als Single veröffentlicht und wird im Netz bereits «hart mel und ruft: «Seht ihr das?» Alle starren ins gefeiert». Es geht um einen Seefahrer, der mit einer Ginflasche Blaue. «Das ist ein Ballon, oder?» Das Objekt seine Tage allein auf dem salzigen Meer verbringt. Ein Aussensei- nähert sich. Es glänzt weisslich-metallisch ter oder, wie Muggli sagt, «ein wilder Siech». Einer, der sich nicht und bunt. Lucas erkennt es als Erster: anpassen will oder kann. So einen würde doch jeder im Laufe «Das ist ein Einhorn!» Der Ballon schwebt seines Lebens einmal kennenlernen. über die Hallen hinweg, verliert an Höhe. Die Als das Stück verklingt, kehrt eine seltsame Stille ein. Wie fünf hasten aufgeregt die Stufen hoch, rennen, ist das so, wenn man sein neues Werk die ersten Male vorführt? quer über das Areal, dem Einhorn hinterher. Die Antwort kommt schnell. Muggli seufzt: «Ach, du hast ja keine Es kommt dem Boden näher, dann wird es Ahnung!» Gelächter, dann entspannen sich die fünf. «Das ist wieder hochgerissen. Schliesslich verheddert die unsicherste Zeit, weil man nie vorhersagen kann, wie es sich der Ballon in einer Baumkrone. ankommt», sagt Pete, «man ist skeptisch.» Die anderen nicken. Die fünf stehen nun still nebeneinander Trotzdem freuen sie sich darauf, wenn das Album fertig ist und beobachten das Einhorn, das zuckt, als und sie wieder vor Publikum spielen. The Gardener & The Tree wollte es entkommen. Eine Vorlage für einen ist und bleibt in erster Linie eine Liveband. Lang müssen sie nicht Song, vielleicht? Daniel schmunzelt. «Da mehr warten, dann gehen sie wieder auf Tour, erst einmal in der sieht man mal wieder, eigentlich muss Schweiz. Unter anderem spielen sie am 18. Dezember in der man gar nichts machen, die Geschichten Kammgarn. Dann geht es nach Deutschland. kommen einfach zu einem.» 22
MUSIK 23
MUSIK Martina Ronner verbindet Kultur Text Diana Zucca Bild Michael Kessler mit Kulinarik. Als Geschäftsführerin des Vereins Live- Musikveranstaltungen führt sie Jazzkonzerte mit jungen Musikern und Musikerinnnen durch, und in ihrer Nudel- manufaktur in Osterfingen produziert und vermarktet sie Teigwaren und Eingemachtes. Dabei hat sie ein Flair für Besonderes. Wer Jazz hören will, und zwar so echt schrä- Ein solcher Ort und notabene der gen, ist bei Martina Ronner an der richtigen erste, an dem Martina Ronner Konzerte Adresse. Für diese Musik schlägt ihr Herz, veranstaltete, war ihr Restaurant Nudel seit Kindertagen, für diese Musiker und Mu- 26 an der Repfergasse in der Schaff- sikerinnen engagiert sie sich. Seit rund 10 hauser Altstadt. Dass sie das ehemalige Jahren veranstaltet sie Jazzkonzerte in und Philosophencafé übernahm, war, wie so um Schaffhausen, zuerst in ihrer Kulturbeiz vieles in ihrem Leben, nicht unbedingt Nudel 26, seit 2013 an diversen Orten. Im der Plan. Was sie suchte, war ein kleines Fokus steht in erster Linie auswärtiger Jazz- Ladenlokal für den Verkauf der Produk- nachwuchs, «weil die Locals meine Unter- te aus ihrer Manufaktur in Osterfingen. stützung in der Regel nicht brauchen. Die «Mir schwebte ein schmaler Raum vor, meisten sind gut vernetzt und kommen eine Tür, ein Fenster, so in der Art.» So überall unter», stellt sie fest. Nicht so die etwas liess sich aber gerade nicht fin- jungen, (noch) unbekannten Jazzbands aus den. Dafür wusste eine Bekannte, dass anderen Schweizer Städten und Kantonen. eben dieses Café in Kürze frei würde Jene nach Schaffhausen zu holen, hat sich Martina Ron- und doch ideal für sie sei, oder? Martina Ronner über- ner zur Aufgabe gemacht. Ihre Agentur Live bietet ins- legte und rechnete. Warum denn die Nudeln nicht auch besondere angehenden Berufsleuten eine Plattform, wo gleich kochen statt nur verkaufen? Innert Kürze erarbei- sie ihre ersten Jazzkonzerte spielen, ihre Bachelor- oder tete sie einen Businessplan und erhielt den Zuschlag. Masterarbeiten präsentieren können. «Das sind sehr gute Zu Beginn gab’s jeweils ein Menü pro Tag. Mit der Musikerinnen und Musiker, aber hier engagiert sie kaum Zeit erweiterte sie die Karte abends. «Es war wirklich jemand. Die Kammgarn ist zu gross, für die Akustikter- eine tolle Zeit», erinnert sich die Gastgeberin, «wir kamen rasse sind sie zu wenig poppig, dasselbe bei den Street kaum nach.» Die Osterfinger Nudeln wurden kiloweise Music Nights.» verspeist, die kleine Beiz war gemütlich, und auch das Martina Ronner ist mit Jazz aufgewachsen. lauschige Hinterhöfli, in dem man sich (zum Leidwesen Neben Vaters Schreibtisch befand sich ihr Zeich- der Nachbarschaft) bis spätabends aufhalten konnte, nungstischchen. Papa hörte Jazz, seine Tochter war sehr beliebt. hörte mit, und was sie hörte, gefiel ihr. «Ich will nichts Und weshalb sollte hier nicht Raum sein für Mar- anderes», sagt sie lachend. «Es ist eine Ordnung in die- tina Ronners zweite Leidenschaft, den Jazz? Den hörte ser Musik, die mir ins Herz geht.» Dass sich viele junge man in Schaffhausen quasi nirgends, ausser am Jazz- Menschen heute wieder mit dieser Musik befassen, sie festival. Vielleicht liesse sich das Schaffhauser Publikum studieren, dem Jazz ihr Leben widmen, freut und berührt auch unterm Jahr für die eine oder andere Band begeis- sie. «Zu diesen Jungen muss man schauen», findet sie. tern, überlegte sie. Fürs erste Konzert lud Martina Ron- «Es muss Orte geben, wo sie spielen können.» ner die Sängerin Lilly Thornton, die sie sehr mochte, mit 24
Live im Haberhaus Ducadu mit Simon Schwaninger 25 SEP 21, 20.30 UHR Raphael Jost Swingin’ Christmas Night 18 DEZ 21, 20.30 UHR Bodan Art Orchestra 10-Jahre-Jubiläum 8 JAN 22, 20.30 UHR Suisse Diagonales Jazz Festival Enea Besana Band Mohs 18 FEB 22, 20.30 UHR ihrer Band ein. Die «Nudel» platzte an diesem Abend aus Produzentin. «Meine Leidenschaft ist das Ausprobieren, allen Nähten, das Konzert begeisterte. Von da an spielten das Tüfteln. Ich möchte Geschmäcker hervorrufen, die regelmässig junge Bands in der Kulturbeiz, manchmal erstaunen. Bei denen man denkt, auf die Idee wäre ich sogar wöchentlich. nie gekommen, aber das schmeckt saugut.» Das Jazzfestival-Publikum anzulocken stand je- Seit einiger Zeit sind Kultur und Kulinarik nicht doch längst nicht mehr im Fokus. Nebst Stammgäs- mehr unter ein und demselben Dach. Beides wieder an ten, welche die Verbindung von Jazz und feinem Essen einem Ort zu vereinen, das könnte sich Martina Ronner schätzten, zog das Lokal ein neues, junges Publilkum an. vorstellen. Konkrete Pläne seien in der jetzigen Situa- «Einige meiner Gäste kamen wirklich an jedes Konzert», tion jedoch eher schwierig. Ab September 2021 stehen erinnert sich die Veranstalterin. «Nach einem Jahr verlieh vor allem Konzerte auf dem Programm, die sie wegen ich jemandem die goldene Nudel. In einem hübschen, Corona hatte verschieben müssen. Nun sollen sie end- mit Seide ausgelegten Schmucktrückli.» lich stattfinden. «Natürlich könnte ich auf den Herbst ein Martina Ronner experimentiert viel und gern. Nebst Dutzend Konzerte organisieren», sagt Martina Ronner. Nudeln produziert sie auch Konfitüren und Pestos aus «Aber ohne zugesicherte Mittel besteht das Risiko, den Wildfrüchten und -pflanzen. Oft verarbeitet sie Gewächse Bands nicht viel mehr als ein gutes Weggeld bezahlen zu aus ihrem Garten, darunter Brennnesseln, Berberitze und können, und das bringe ich nicht übers Herz, nicht nach Schlehdorn, alles ein wenig widerborstig und deshalb in- dieser langen Zeit, in der die Bands nirgends auftreten teressant. «Es nimmt mich einfach wunder, was man mit konnten.» Deshalb möchte die Veranstalterin erstmal diesen stachligen, sauren Kollegen anstellen kann.» Sie abwarten. Vielleicht entsteht aus dem Vakuum ja etwas nimmt sogar Kratzer in Kauf. «So bin ich halt», sagt die Neues. Vielleicht wieder, ganz unverhofft. 25
KUNST 26
Ansichten einer Generation Die Schaffhauserin Noëlle Guidon erhielt im Sommer 2021 den Förderbeitrag von Kanton und Stadt Schaffhausen für ihr Fotoprojekt «Ansichten einer Generation». Mit ihrer analogen Kamera porträtierte die Fotografin Schaffhauser und Schaffhauserinnen um die 30 Jahre an der Schwelle zwischen Jungsein und Erwachsensein und konfrontierte sie mit ihren Werten, Leidenschaften und Visionen. Auf die Frage «Was ist für dich ein gutes Leben?» kritzelten die Porträtierten ihre Antworten auf Papier. Gewürdigt wurden mit dem Förderbeitrag die feine Beobachtungsgabe der 34-jährigen Noëlle Guidon, «ihre eigenständige Bildsprache zwischen Dokumentation und Inszenierung sowie ihr präziser Einsatz der analogen Fotografie als Gegensatz zur digital geprägten Lebenswelt der Porträtierten». Für das «Schaffhauser Magazin» gestaltete die Fotografin 27 eine Doppelseite mit einer Auswahl aus ihrem Projekt.
Römische Bäderkultur Print ist Leidenschaft Thermenmuseum Schleitheim-Iuliomagus und bewegt die Sinne. Täglich geöffnet. Zum Salzbrunnen, 8226 Schleitheim Urs Wohlgemuth www.pro-iuliomago.ch www.museum-schleitheim.ch Kultur für Sie. KUNST | HANDWERK | GESCHICHTE | NATUR Museumsgasse 11, CH-8253 Diessenhofen +41 52 533 11 67, museum@diessenhofen.ch www.diessenhofen.ch/museum Öffnung: Fr/Sa/So 14 bis 17 Uhr Winterpause: 20. 12. 2021 bis 11. 2. 2022 Bild: Michael Kessler Unser Frühsport. 5 Wochen testen ab 20 Franke n Unsere Sicht auf die Welt. «Schaffhauser Nachrichten» – die spannendsten Seiten der Region. Seit 1861. www.shn.ch/abo h/
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