1/19 Magazin der Schader-Stiftung Dialog zwischen Gesellschafts-wissenschaften und Praxis - Schader Stiftung
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SCHADER- D IALOG Magazin der Schader-Stiftung Dialog zwischen Gesellschafts- 1 /1 9 wissenschaften und Praxis M E H R … WAGEN.
SEITE 3 SEITE 18 E D I TO R I A L PROJEKTE 2018 / 2019 SEITE 4 A N G E H A LT E N E SEITE 22 ZEIT N AC H R I C H T E N Titelbild: Unter dem Leit- wort „Mehr … wagen. ’68, ’18 und die politisierte Ge- sellschaft“ fand die Jahres- SEITE 7 SEITE 23 tagung des Großen Kon- vents der Schader-Stiftung D I A LO G - CA F É S TERMINE am 9. November 2018 in Darmstadt statt. Unser Bild zeigt den Beitrag von Jens Mangel- SEITE 14 SEITE 26 sen zur Fotoausstellung Unwort-Bilder 2018: „Anti- EINE TRANSFER- SCHADER-PREIS Abschiebe-Industrie“. Die Anwältin Claire Deery ist S T R AT E G I E F Ü R 2019 nebenamtlich Vorsitzende des Flüchtlingsrates Nie- N AC H H A LT I G E dersachsen, hilft Asylbe- werbern in deren Verfah- ENTWICKLUNG ren aus Überzeugung und SEITE 27 obwohl ihre Bezahlung IMPRESSUM in sehr vielen Fällen nicht sichergestellt ist. SEITE 16 D I A LO G Z W I - SCHEN EXPERTEN UND LAIEN
E D I TO R I A L 30 Jahre Schader-Stiftung liegen hinter uns. Nicht ganz zufällig stand der sechste Große Konvent, den wir in diesem Magazin noch einmal Revue passieren lassen, unter einem Leitwort, das auch für die ersten drei Jahrzehnte der Stiftung gelten könnte: „Mehr … wagen“. Uns beflügeln nach wie vor die weitsichtige Stiftungsgründung durch Alois M. Schader am 30. November 1988, viele kleine und größere Projekte und immer wieder das Wagnis, neuen Ideen Raum und neuen Partnerinnen und Partnern Vertrauen zu schenken. Der Untertitel des Konventsthemas „’68, ’18 und die politisierte Gesellschaft“ deutet die Dichte der Auseinandersetzung an, mit der wir und Sie im vergangenen Jahr konfron- tiert waren. Was denn weiter zu wagen sein wird, beschäftigt uns auch 2019 in unseren Veranstaltungen und darüber hinaus; Europa, Unworte, Menschenwürde, Integration, Nachhaltige Entwicklung und Öffentliche Güter sind nur einige der Schlagworte, unter denen sich die Aktivitäten der Schader-Stiftung finden lassen. Das bewegte Jahr 2018 mit dem Jubiläum der Stiftung und dem 90. Geburtstag des Stifters am 16. Juli findet in einer Publikation Niederschlag, die zeitgleich mit diesem Schader-Dialog erscheint und wie stets auch online verfügbar ist: „Die Praxis der Ge- sellschaftswissenschaften. 30 Jahre Schader-Stiftung“. In diesem Jahr setzt das Konventsthema „DU BIST NICHT ALLEIN. Öffentlicher Raum im Dialog“ den Rahmen unseres Arbeitsprogramms. Damit stehen nicht nur räumlich bezogene Projekte im Mittelpunkt, es geht uns um interpersonale und intersektorale Beziehungen. Soziale Kompetenzen sind – gerade in Zeiten der Zuspitzung und Ab- grenzung – für Stiftungen und die Gesellschaft insgesamt gleichermaßen relevant. ALEXANDER G E M E I N H A R DT Vorstand der Schader-Stiftung 5
A N G E H A LT E N E Z E I T. 1968, 2018 UND DER REALISMUS DES U TO P I S C H E N In seiner Keynote zum Großen Konvent beschreibt Stephan Lessenich den Geist des politisch- kulturellen Aufbruchs von 1968, aber auch die inneren Widersprüche der Bewegung. Mit Blick auf die Politik des „und“ beschreibt der Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München den Geist des Jahres 2018 in seinen Versuchen zur Versöhnung von „Ökologie und Öko- nomie, Sicherheit und Freiheit, Heimat und Weltoffenheit“ als Politik der Entpolitisierung. 6 S C H A D E R - D I A LO G M E H R … WA G E N .
Wenn wir an das „Mehr … wagen“ denken, kommt uns Aus der Perspektive eines letztlich Nachgeborenen glaube ich, allen sicherlich auch der locus classicus dieser Redewendung dass die Analyse dieser Spannungen und Widersprüche für in den Sinn, der zum geflügelten Wort geworden ist: Das das Verständnis heutiger Möglichkeiten und Grenzen eines „Mehr … wagen“ in der Regierungserklärung Willy Brandts neuen Aufbruchs ganz entscheidend ist. Diese gilt es, un- vom 28. Oktober 1969, der ersten Regierungserklärung geachtet des Durchsickerns von ’68 in das gesellschaftliche nach der Bundestagswahl und zu Beginn der sozialliberalen Selbstverständnis, in Alltagspraktiken und Institutions- Koalition. Er sagte diesen klassischen Satz nach wenigen logiken zu rekonstruieren. Minuten: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Das ist der politische und institutionelle Bezugspunkt, wenn man an ’68 und das „Mehr … wagen“ denkt. Er steht für den demo- DIE 68ER ALS ANTIBÜRGER- kratischen Aufbruch in der institutionalisierten Politik, LICHE BEWEGUNG für die Demokratisierung der Demokratie, die damals öffentlich angekündigt wurde. Die 68er-Bewegung war, das zeigt die historische Sozial- forschung eindeutig, eine minderheitliche Massenbe- Willy Brandts Verheißung war ausdrücklich an die jungen wegung. Es waren nicht die breiten Massen, die für eine neue Menschen aus „der im Frieden aufgewachsenen Genera- Sicht auf Gesellschaft und für eine Dynamisierung gesell- tion“ gerichtet. Sein „Mehr Demokratie wagen“ stand unter schaftlicher Verhältnisse gestritten haben. Das ist, glaube ich, dem Einfluss von 1967, 1968 und den Jugendbewegungen nicht unwichtig. Ich spreche hier nicht von der Idee einer der Zeit. Sein Satz ist ein impliziter Rekurs auf das Aufbe- Avantgarde, sondern schlicht von einer zahlenmäßigen Min- gehren der jüngeren Generationen gegen die älteren derheit unter den damals jüngeren Menschen. Es war eine Generationen, gegen Faschismus und NS-Regime. Dem setzte Bewegung der bürgerlichen Antibürgerlichkeit, zum Teil ag- Brandt – und so war „mehr Demokratie“ gemeint – das gressiv zur Schau getragen. Aber es war zugleich auch eine Versprechen auf mehr Transparenz des politischen Prozesses von Akteuren des bürgerlichen Milieus getragene Bewegung, entgegen. Man könnte sagen, er kündigte Glasnost im sei es aus klein- oder aus gutbürgerlichen Haushalten. Jahr 1969 an, er stellte mehr Partizipation am politischen Wil- Diese sozialstrukturelle Verankerung äußerte sich auch habi- lensbildungs- und Entscheidungsprozess in Aussicht, ganz tuell, auch der Habitus dieser Bewegung war in seiner im Sinne späterer Perestroika. Gleichzeitig sprach er jedoch Antibürgerlichkeit durch und durch bürgerlich geprägt. Die drei Sätze später davon, die jungen Menschen müssten 68er-Bewegung war eine Bewegung des Postmaterialismus, verstehen, dass auch sie gegenüber Staat und Gesellschaft der postmaterialistischen Werte. Sie konnte sich als solche Verpflichtungen haben. Darum aber ging es auch ihm: nur auf der Basis des Wirtschaftswunders und einer be- Rechte und Pflichten in einer demokratischen Gesellschaft stimmten Entwicklung von ökonomischer Produktivität und in eine „Balance“ zu bringen. Insofern sind in Brandts materiellem Reichtum der Gesellschaft konstituieren. Ich damaliger Rhetorik und in seiner Vorstellung von der politi- meine das keinesfalls abwertend – aber faktisch bauten der schen Kultur einer demokratischen Gesellschaft tatsächlich Postmaterialismus der 68er und die entsprechenden Wert- bereits Spannungsverhältnisse angelegt, die ich zum Gegen- vorstellungen auf einem nicht thematisierten Materialismus stand meines raschen und kursorischen Rückblicks auf auf. Letztlich lässt sich in der 68er-Bewegung auch ein ’68 aus der Sicht von ’18 machen möchte. eurozentrischer Internationalismus erkennen. Die Bewegung verstand sich in großen Teilen als eine internationalistische, Es ist eine schwierige Aufgabe, am Ende des Jahres 2018 die nicht nur in nationalstaatlichen Kategorien dachte. Sie tat über 1968 reden zu müssen, eigentlich ist dazu alles schon dies aber, das ist als analytischer Befund zu verstehen, aus gesagt. 1968 ging es darum, im Sinne von Max Weber „das einer eurozentrierten Position heraus, vor dem Hintergrund stahlharte Gehäuse“ aufzubrechen. Bei Weber ist es die der Wertvorstellungen der europäischen Aufklärung. Die bürokratische Herrschaft und das Gehäuse der Hörigkeit, 68er-Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, mit der die Enge der gesellschaftlichen Verhältnisse asso- von Verteilung und Umverteilung, von Solidarität und ziiert wird. 1968 war, je nachdem, vom „politisch-adminis- Demokratie waren durchgängig europäische, westlich geprägte trativen System“ oder den „Staatsapparaten“ die Rede. Konzepte. In der Selbstwahrnehmung der Akteure spielte dieses Minderheitliche, Bürgerliche, Materialistische und Allerdings gilt es, ganz im Sinne der schon in Brandts Eurozentrische keine bestimmende Rolle. Man kann viel- Wagnissemantik angelegten Spannungsverhältnisse, auf leicht von einer offensiven Wirklichkeitsvergessenheit der einige innere Widersprüche dieses Aufbruchs hinzuweisen. 1968er sprechen, in der immer auch ein gewisses Maß an K E Y N OT E 7
ideeller Überschussproduktion, ein Stück Utopie steckt, schutz und Weltoffenheit, von Sicherheit und Freiheit für allerdings unter Ausblendung des Bedingungszusammenhangs wenige oder aber für alle stehen – und die so oder so ausge- der eigenen sozialen Position. tragen werden müssen. Wolfgang Schäuble hat das Wollen und Streben der Deutschen auf den Punkt gebracht. Eine „maßvolle Revolution“ brauche es, um die Zukunft zu M E H R R E A L I S M U S WAG E N gewinnen, einen grundlegenden Wandel ohne zu viel Über- treibung. Revolution, aber in Maßen bitte, wir wollen es Heute – ich wage einen großen Sprung hinweg über 50 ja auch nicht übertreiben! Jahre Gesellschaftsgeschichte – tragen drei dominante sozial wirksame Arrangements dazu bei, dass kein wirklicher 2018 ist, wenn Augenmaß zur Augenwischerei wird und Aufbruch zu sehen ist: „Alternativlosigkeit“ in Form einer utopisches Denken sich als das einzig Realistische auf- liberal-ökonomistischen Sachzwanglogik, den „Abwehrkampf“, drängt. Wir befinden uns, um Antonio Gramsci zu paraphra- bei dem es um die Vorstellung geht, wir könnten unseren sieren, in einer gesellschaftshistorischen Zwischenzeit, in Sozial- und Wirtschaftsraum gegen das Elend der Welt und die der der neue Realismus, der utopische Realismus, der nötig Ansprüche eines vermeintlichen Außen abschließen, und wäre, noch nicht zur Welt kommen kann. Heiner Müller das „progressive“ Korrelat dieser beiden prägenden Hand- sprach von einer kollektiven Traumphase, einer angehaltenen lungsorientierungen, ein optimistisch-technologistischer Zeit, in der sich alles staut, was war, das Neue aber noch Reformkonservatismus. Was wäre also gegenwärtig zu wagen? nicht greifbar ist. Ich ende mit einer plakativen Parole der Meiner Meinung nach – und das ist sicher diskutabel – 1980er: „Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an.“ Vielleicht müssen wir „Mehr Realismus wagen“. Diese Gesellschaft kann man aus der Vergangenheit ja doch lernen. müsste sich – apropos Demokratie wagen – selbst endlich ernsthaft mit den Lebenslügen ihres Wirtschafts- und Sozi- Der Text dokumentiert Auszüge aus der Keynote von Prof. almodells konfrontieren. Der ausbleibende Aufbruch steht Dr. Stephan Lessenich anlässlich des Großen Konvents am nicht für eine Negativ-Utopie dessen, was da kommen wird. 9. November 2018. Der Vortrag ist in voller Länge Bestandteil der Die Dystopie ist ganz und gar gegenwärtig. Dokumentation des Großen Konvents der Schader-Stiftung 2018. Ein Video des Vortrags findet sich unter: 1968 war auch das Jahr der Gründung des Club of Rome. In diesen Tagen vor 50 Jahren hat sich eine Gruppe von W W W. S C H A D E R - S T I F T U N G . D E / Expertinnen und Experten konstituiert und einige Jahre später G R KO 1 8 den Bericht über die Grenzen des Wachstums herausge- geben. Damals hieß es, bei Fortführung der herrschenden Wirtschaftsweise werde in hundert Jahren Schluss sein mit der Überlebensfähigkeit der Menschheit. So gesehen hat sich die Lebenserwartung der menschlichen Zivilisation halbiert. Und was ist der Geist der Zeit, der dem entgegenge- setzt wird? Es ist der Zeitgeist des Nichtaufbruchs, der gesellschaftspolitische Selbstbetrug des „und“, der politisch- institutionell das freundliche Gesicht schwarz-grüner oder grün-schwarzer Koalitionsbildungen annimmt. Eine Positio- nierung, die von Widersprüchen schweigt, um von Verein- barkeiten sprechen zu können: Ökologie und Ökonomie, Sicherheit und Freiheit, Heimat und Weltoffenheit. Doch wer die Möglichkeit einer Versöhnung des Gegen- sätzlichen behauptet, betreibt eine Politik der Entpolitisierung: P R O F. D R . S T E P H A N Sie negiert die unvermeidlichen gesellschaftlichen Kon- LESSENICH Professor für Soziologie flikte, die hinter dem Widerspruch von ökonomischer an der Ludwig-Maximilians- Profitabilitäts- und ökologischer Suffizienzlogik, von Heimat- Universität München 8 S C H A D E R - D I A LO G M E H R … WA G E N .
G R O S S E R KO N V E N T 2 0 1 8 Mehr … wagen. D I A LO G - CA F É S Der Große Konvent der Schader-Stiftung bietet in jedem Jahr Persönlichkeiten aus den Gesell- schaftswissenschaften und der Praxis die Möglichkeit, den Status Quo und die Perspektiven des Dialogs zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis zu diskutieren. Ziel ist es, aktuelle sowie kommende Herausforderungen zu formulieren und daraus Themen und Bedarfe für zukünftige Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften, aber auch für die konkrete Arbeit der Schader-Stiftung zu explorieren. Der Große Konvent findet zu einem großen Anteil im offenen Format statt. In drei Gesprächsrunden in Dialog-Cafés, die an Projekte der Stiftung anknüpfen, konnten die rund 170 Teilnehmenden des Großen Konvents 2018 Erfahrungen und Ideen, Anregungen und Erkenntnisse austauschen. Im Zentrum standen dabei die Aufgaben und Herausforderungen der Gesellschaftswissen- schaften in der Diskussion um das Konventsthema „Mehr … wagen. ’68, ’18 und die politisierte Gesellschaft“. D I A LO G - CA F É S 9
M E H R G R E N Z E N LOS I G K E I T WA G E N 1968 markiert einen einflussreichen Zeitpunkt Derartige Mechanismen bergen die Gefahr, milieufremde gesellschaftlicher Werteveränderung, dessen Personen sozial auszugrenzen. Im Zuge einer wirklich offenen Gesellschaft muss ihnen daher Widerstand geleistet Auswirkungen auch fünf Jahrzehnte später werden. noch erkennbar sind. Jedoch rücken neue Her- ausforderungen in den Fokus: Grenzen der Wer ist „wir“? Die in Deutschland existierenden Vorstel- lungen eines „wir“ bleiben hart umkämpft. Zeitgleich Mitwirkung werden neu gesetzt, während gleich- werden kulturelle Identitäten durch alle sozialen Gruppen zeitig nach Formen der offenen Gesellschaft einer (Migrations-) Gesellschaft geformt, sei es durch neue gesucht wird, an deren Gestaltung alle teilhaben Impulse und Horizonterweiterungen oder durch einen Zu- gewinn an Toleranz und Vielfalt. Deshalb muss auf gesell- können. schaftlicher Ebene deutlicher erkennbar werden, ob der Ruf nach Vielfalt oder aber das Verlangen nach klaren Grenzen Weltoffenheit ist ein schwer quantifizierbarer Faktor. Auf im Fokus des öffentlichen Diskurses liegt. Das eigene Ver- den ersten Blick stellt die Bundesrepublik in ihrer gegen- halten muss demnach an zeitgemäße Gegebenheiten ange- wärtigen Form ein weltoffenes Land dar, in dem niemand passt werden und bestehende Vorurteile sind kontinuierlich gesellschaftlich ausgeschlossen wird. Wer die Situation je- zu hinterfragen. Deliberative Elemente in Demokratie und doch genauer betrachtet, kann feststellen, dass bestimmte Zivilgesellschaft sowie eine prozessbegleitende Kommunika- soziokulturelle Milieus, vor allem aber Menschen mit Mi- tion der Migrationsbewegungen können ebenfalls Unsicher- grationsbiographie, weiterhin über geringe Möglichkeiten der heit im Umgang mit dem Fremden abbauen. Partizipation verfügen. Bereits bei den 68ern waren Selbst- bestimmung und die individuelle Teilhabe elementarer Teil Die 68er gelten als Auslaufmodell, da sich politische des Selbstverständnisses, wodurch sie sich stark von den Interessengruppen heute eher anhand ihrer Identitäten bilden Lebensentwürfen der älteren Generationen distanzierten. und eine andere Art der Individualisierung leben. Identi- Damit war auch der Anspruch auf Überwindung subjektiv tätsstiftende Strömungen verschiedener politischer Richtungen bedingter Einschränkungen des eigenen Handlungsspiel- stehen hierbei im Fokus. Zwar können Interessen auf diese raums gemeint. Diese Grenzen individueller Freiheit sind Weise artikuliert werden, jedoch, so ein Resümee, hat sich keineswegs fest abgesteckt, sondern verschieben sich fortlau- bis heute noch keine neue Form einer demokratischen fend. Sie entstehen unbewusst im Kollektiv der sozio-öko- und offenen Gesellschaft entwickelt, an deren Gestaltung nomischen Schichtungen, Herkunfts- und Bekenntnismilieus. alle Menschen, die in Deutschland leben, teilhaben können. D R . C H R I STO F P R O F. D R . DR. MERON MENDEL ANDREA NISPEL EICHERT MICHAEL HAUS Direktor der Bildungsstätte Mitglied des Vereinsvor- Jurist und Mitglied des Professor für Politik- Anne Frank e.V. in Frankfurt stands beramí berufliche Vorstands der Schader- wissenschaft an der am Main Integration e.V. in Stiftung Ruprecht-Karls-Uni- Frankfurt am Main versität Heidelberg 10 S C H A D E R - D I A LO G M E H R … WA G E N .
M E H R WA N D E L WA G E N 1968 wurden mit der Gründung des Club of Rome die Grundsteine der modernen Nach- TA N J A B R U M B A U E R SILKE NIEHOFF Wissenschaftliche Mitar- Wissenschaftliche Mitar- haltigkeitsdiskussion gelegt. Der Grundsatz beiterin und Bildungs- beiterin am IASS Potsdam referentin am ZOE-Institut – Institute für Advanced „Think global, act local“ für die Bekämpfung für zukunftsfähige Öko- Sustainability Studies e.V. nomien e.V. in Bonn von Klimawandel und Umweltbelastungen führt zu Fragen nach einem klugen Zusammen- spiel lokaler und globaler Ansätze, nach einer nachhaltigen Gestaltung der Digitalisierung und dem Weg hin zu einer Ernährungswende. P R O F. J U L I A N K AT R I N W E N Z WÉKEL Wissenschaftliche Mit- Wissenschaftlicher Sekre- arbeiterin beim BUND tär der Deutschen Aka- – Bund für Umwelt und Welchen Beitrag können regionale Initiativen zu einer demie für Städtebau und Naturschutz e.V. Nachhaltigen Entwicklung leisten und wo liegen ihre Grenzen Landesplanung in Berlin angesichts globaler Herausforderungen? Wie verhält sich die Digitale Transformation zu den sozialen und ökologischen Dimensionen der Nachhaltigkeit? Welche Rolle spielen unsere Konsumgewohnheiten? Diesen Fragen gingen Tanja Brumbauer, Silke Niehoff und Katrin Wenz in ihren Im- Für eine nachhaltige Digitalisierung ist eine kritische pulsen nach. Auseinandersetzung mit den ihr zugrundeliegenden Techno- logien und ihren Folgewirkungen von grundlegender Be- Der Grundsatz „Think global, act local“ des Club of Rome deutung. Die damit verbundene Gestaltungsaufgabe beinhaltet hat nicht an Aktualität verloren, wenn es um die Bekämp- große Chancen für mehr Nachhaltigkeit. fung von Klimawandel und Umweltbelastungen geht. Von entscheidender Bedeutung ist dabei das kluge Zusammen- Die Ziele einer Nachhaltigen Entwicklung werden auch und Wechselspiel lokaler, regionaler, nationaler und globaler durch unsere Konsumgewohnheiten und die Art und Weise Ansätze zur Verfolgung der Ziele einer Nachhaltigen Ent- unserer Nahrungsmittelproduktion beeinflusst. Auf Seiten wicklung. der Verbraucherinnen und Verbraucher ist eine steigende Nachfrage nach ökologisch produzierten Lebensmitteln zu Ob die Digitalisierung einen Beitrag zu einer Nachhaltigen beobachten. Für eine Ernährungswende fehlt den Konsu- Entwicklung leistet ist hochumstritten. Mit der digitalen menten jedoch häufig das Wissen über die Produktionsweisen Transformation werden Chancen für mehr Wohlstand, für der Nahrungsmittelindustrie. Hohe externe Kosten, etwa neue unternehmerische Geschäftsmodelle, für mehr Sicher- einer intensiven Tierhaltung, wie sie durch Erderwärmung heit verbunden. Sinkender Ressourcenverbrauch und Ener- und Klimawandel oder schlechte Grundwasserwerte ent- giebedarf wird postuliert, bleibt aufgrund von Rebound stehen, werden durch die Preise häufig nicht abgebildet. Effekten und der steigenden Nachfrage nach kritischen Roh- stoffen jedoch häufig ungenutzt. Erschwert wird eine Ernährungswende schließlich durch die kulturelle Dimension des Konsums. Eine Ergänzung von Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen durch die Anwen- dung regulatorischer Instrumente kann sie befördern. D I A LO G - CA F É S 11
M E H R S T R E I T WA G E N Deutschlands politische Kultur leidet an ihrer Orientierung am Konsens. Heftiger politischer P R O F. D R . L O T H A R P R O F. D R . M A R K U S Streit erscheint vielen Menschen als Bedrohung BROCK G LO E Professor für Politikwissen- Professor für Politikwis- der Demokratie – und nicht als deren Essenz. schaft an der Goethe-Uni- senschaft an der Ludwig- versität Frankfurt am Main Skepsis gegenüber pluralistischer Meinungskon- Maximilians-Universität München kurrenz steht in einer Tradition der Konflikt- scheu und des Wunsches nach einer sozialen Gemeinschaft, in der sich alle einig sind. Es fehlt eine robuste demokratische Konfliktkultur. Im deutschen Hang zum Konsens liegt eine Ursache po- litischen Streits: Je harmonischer die gewünschte Gesell- DR. RUDOLF DR. ROLAND schaft ist, desto geringer ist notwendigerweise die Bereitschaft, KRISZELEIT LÖ F F L E R Rechtsanwalt und Vorsit- Direktor der Sächsischen Individualität und Differenz zu akzeptieren. Der Wunsch, zender des Stiftungsrats Landeszentrale für politi- Harmonie und Einheit über den Streit zu stellen, steht im der Schader-Stiftung sche Bildung in Dresden Widerspruch zur Anerkennung der Vielfalt von Interessen in einer pluralistischen Demokratie. Berufung auf Expertise als „wahr“ darzustellen und so gegen Um Streit „vernünftig“ führen zu können, braucht es einen Kritik zu immunisieren. Die Konsequenz ist, dass nen- geteilten Wertehorizont der Streitenden, also einen ge- nenswerte Teile der Gesellschaft scheinbar wissenschaftlich- wissen Respekt vor dem Gegenüber sowie die Anerkennung rational begründete Alternativlosigkeiten nicht mehr als seines Andersseins. Falsch ist die Erwartung, dass Streit Argument ernst nehmen. stets konstruktiv sein und am Ende zu einen konsensuell getragenen Ergebnis führen muss. Denn dann ist kein Durch die inhaltliche Annäherung der etablierten Parteien Streit mehr möglich, wenn sich die Ansichten der Streiten- werden Konflikte allenfalls über Detailfragen geführt. Ge- den diametral entgegenstehen. Hinter dem Wunsch nach sellschaftliche Konflikte müssen aber ausgetragen werden. einer konstruktiven Streitkultur steht ein Verständnis von Sie zu vermeiden vertieft die Gräben innerhalb der Ge- Politik als Instrument des Interessensausgleichs. Doch die sellschaft nur. Fehlende Erfahrung mit grundlegenden Kon- Idealvorstellung eines Diskurses grundsätzlich kompromiss- troversen wird in Krisenzeiten zum Problem. bereiter und sich dem besseren Argument beugender Akteure lässt außer Acht, dass demokratische Politik auch In einer demokratischen Streitkultur muss sich jeder fra- das institutionalisierte Streben nach Macht ist und politische gen: Welches Bild mache ich mir von meinem Gegner, Kommunikation ein Mittel des Machterwerbs. meinem Gegenüber? Wenn ständig auf (absurde) Extrem- positionen rekurriert wird, kann man sich seiner eigenen Der Kompromiss gehört zum Wesen der Demokratie. Er moralischen Überlegenheit gewiss sein. Gemäßigte Positionen hat sowohl eine zivilisierende als auch eine integrative der Gegenseite werden in der Folge schlicht ignoriert. Die Kraft. Problematisch ist heute nicht ein Mangel an Kompro- Streitenden sollten versuchen, die Position ihres Gegenübers missfähigkeit, sondern die mangelnde Fähigkeit, Streit nachzuvollziehen. Eine Selbsterkenntnis der eigenen Posi- offen zu führen. In vielen Feldern werden abweichende Posi- tion entsteht allerdings oft erst, nachdem die eigene „Filter- tionen nicht mehr als legitime Gegenpositionen aner- blase“ verlassen wird. So ist die grundsätzliche Bereit- kannt und so die gesellschaftliche Vielfalt bewusst ignoriert. schaft dazu, sich Widersprüchen und Dissens auszusetzen, Damit geht die Neigung einher, eigene Positionen durch die Basis einer fruchtbaren Streitkultur. 12 S C H A D E R - D I A LO G M E H R … WA G E N .
M E H R P R O G R A M M E WA G E N Im Zeitalter von Big Data verschränken sich dung zwischen einem Systemfehler und einem richtig er- algorithmische Programme immer weiter mit rechneten Ergebnis unmöglich ist. Zugleich halten Algorithmen vermehrt Einzug, etwa bei der Personalrekrutierung oder sozialen Programmen der Kommunikation, medizinischen Abwägungen. Auch wenn die letztendliche Ent- Bequemlichkeit, Effizienz und Kontrolle. Wie scheidung immer noch beim Fachpersonal liegen mag, nah dieses Dialog-Café dem Geist der 68er führen diese Algorithmen zumindest zu einem Rechtferti- gungsdruck, sollte sich der Mensch abweichend vom Pro- kam, zeigt der Ausspruch eines Teilnehmers: gramm entscheiden. Zudem bergen Algorithmen in vernetzten „Eine Tagung zum Thema ‚was folgt aus 68‘ Systemen die Gefahr von komplexen Diskriminierungs- endet mit der Aufforderung, Großkonzerne zu schleifen. Im Gegensatz zu Menschen und ihren stereotypen Bewertungen ist es im Fall von maschinellen Algorithmen enteignen!“ schwieriger, den durch sie generierten Vorurteilen zu entgehen. Zumeist werden deren Ergebnisse oft sofort akzeptiert, Wie kann man Menschen vor etwas schützen, nach dem da sie neutral erscheinen. sie sich sehnen? Die Funktionen, die digitale Technologien mit sich bringen, vereinfachen viele Prozesse und schaffen Eine weitere, eher indirekte Folge der Digitalisierung ist bequeme Optionen und Zugänge. Übersehen werden die entstehende Macht großer Digitalunternehmen, die dabei oft die digitalen Nebenwirkungen, die nichts mehr mit nicht in einem gesellschaftlichen oder staatlichen Interesse, Bequemlichkeit zu tun haben. sondern rein privatwirtschaftlich agieren. Die Sozialen Medien, von denen man sich einerseits eine Nötig sind digitale Aufklärung und Bildung, ein öffentli- Demokratisierung der Öffentlichkeit versprach, zeigen cher Diskurs, das kritische Prüfen von konkreten Algorith- andererseits Effekte wie Cybermobbing, Hate Speech und men statt allgemein gehaltener Algorithmuskritik und nicht Shitstorms. Die starke Position der hinter den Sozialen zuletzt eine Diskussion der Geschäftsmodelle der großen Di- Medien stehenden Plattformen führt zu einer Machtansamm- gitalunternehmen. Ob man so weit gehen muss, wie eine lung, die nicht mit der Übernahme einer ethischen Ver- Teilnehmerin des Dialog-Cafés forderte, nämlich die antwortung gekoppelt ist. Algorithmen, die jeden digitalen großen Global Player-Firmen des Internets zu verkleinern Prozess steuern, dabei mehr und mehr Einfluss auf alltägli- oder gleich zu enteignen, um sich als Staat oder Gesell- ches Verhalten nehmen, sind komplex, schnell, schwer beob- schaft politische Handlungsfähigkeit zu bewahren, ist eine achtbar und dadurch kaum nachvollziehbar. Manche von offen gebliebene Frage. ihnen lassen sich nicht überprüfen, so dass eine Unterschei- DR. HARALD NELE HEISE P R O F. D R . C H R I S - P R O F. D R . G I S E L A GAPSKI Medienforscherin und T I A N K AT Z E N B A C H KUBON-GILKE Leiter der Abteilung Referentin für digitale Forschungsleiter am Vizepräsidentin und Forschung am Grimme- Medien und Online- Alexander von Humboldt Professorin für Ökonomie Institut – Gesellschaft Kommunikation Institut für Internet und und Sozialpolitik an der für Medien, Bildung und Gesellschaft GmbH in Evangelischen Hochschule Kultur mbH Berlin Darmstadt D I A LO G - CA F É S 13
M E H R U N G L E I C H H E I T WA G E N Ungleichheit hat viele Facetten. Die Dimensio- des Einflusses von Jung und Alt stört die Gestaltungsmög- nen von Ungleichheit schlagen sich in der Bil- lichkeiten für die Zukunft. Viele Anwesende sehen jedoch keine direkte Konkurrenz von Interessen. Es geht um einen dung, zwischen den Geschlechtern und zwischen Dialog, in den die Bedürfnisse aller Eingang finden. Nur Generationen nieder. Die Forderung nach so können unterschiedliche Perspektiven fruchtbar gemacht Gerechtigkeit in diesen Sphären ist nicht neu, und praktische Probleme angegangen werden. trotz einiger Entwicklungen seit 1968 besteht Bildungs-, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit noch immer Handlungsbedarf. Ungleichheit kann ist für viele Teilnehmende ein emotionales Thema. Un- nur schwerlich als förderungswerte Ressource gleichheiten, die für die meisten doch andauernd spürbar sind, als erwünscht zu betrachten, fällt ihnen schwer. Gefor- betrachtet werden. dert werden letztendlich immer wieder konkrete Maßnahmen und ein gesteigertes Bewusstsein für entsprechende Pro- blematiken in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die mangelnde Gerechtigkeit im deutschen Bildungssys- tem wurde bereits 1968 angeprangert. Zahlreiche Forde- rungen haben Eingang in Schule und Universitäten gefunden, so etwa Bildung als Bürgerrecht und Bildungspolitik als wichtiges Gut. Dieser Wertewandel spiegelt sich heute zum Beispiel in den Übertrittsquoten an Hochschulen wider. Zeitgleich sind auch Entwicklungen zu verzeichnen, die neue Ungleichheiten produzieren. Wie wirkt sich unser Bildungs- system auf Abgänger aus, welche Kompetenzen bleiben auf der Strecke und welche Möglichkeiten der Persönlichkeits- P R O F. D R . ANDREA BARTL entwicklung bestehen? Für viele passt das System nicht mehr GABRIELE ABELS Geschäftsführerin der Professorin für Politikwis- Stiftung Lesen in Mainz zu den Rahmenbedingungen. senschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen Auch bezüglich der Geschlechterverhältnisse gehen wichtige Errungenschaften mit großen Beharrungskräften von vergessen geglaubten Vorstellungen einher. Seit 1968 und der Entstehung der Frauenbewegung hat sich das Be- wusstsein rund um Gleichstellung geschärft. Jedoch kom- men traditionelle Vorstellungen von Geschlechterverhältnis- sen international wieder auf die Tagesordnung, etwa im Zuge populistischer Strömungen. Zweigeschlechtlichkeit ist in den Köpfen noch immer stark verankert. Ungleichheit zwischen Mann und Frau ist allerdings nicht das einzige dis- kussionswürdige Thema. Fragen der Diversität und der P R O F. D R . E N C A R - MADELEINE eigenen Identität entsprechen viel eher dem Puls der Zeit. N AC I Ó N G U T I É R - HOFMANN REZ RODRÍGUEZ Journalistin und Botschaf- Jungen Menschen Platz einzuräumen, das fordert der Professorin für Allgemeine terin der Stiftung für die Soziologie an der Justus- Rechte zukünftiger Gene- Impuls der letzten Session und leitet eine rege Diskussion Liebig-Universität Gießen rationen in Stuttgart um Generationengerechtigkeit ein. Ein Ungleichgewicht 14 S C H A D E R - D I A LO G M E H R … WA G E N .
M E H R B E W E G U N G WA G E N D R . DAG M A R HEINRICH MARIA Die Unterschiede zwischen der unruhigen und D A N KO LÖ B B E R S Generalsekretärin der Mitglied der Chefre- ambitionierten 68er-Bewegung mit ihrer For- European Sociological daktion und Chefkurator Association in Paris der Sächsischen derung nach Liberalisierung aller Lebensberei- Zeitung in Dresden che und den aktuellen Protestbewegungen scheinen offensichtlich. Es zeigt sich heute eine andere politisierte Gesellschaft, deren national- populistische Tendenzen ebenso dringend be- weisen, dass Protest und Wandel immer noch angebracht sind. P R O F. D R . D R . J U T TA S C H Ü T Z URSULA MÜNCH Journalistin und Re- Direktorin der Akademie dakteurin des Frauen- Die Freiheit der Kunst wird als selbstverständlich voraus- für Politische Bildung magazins Mathilde in Tutzing Darmstadt gesetzt und im freiheitlichen Rechtsstaat scheinbar debat tenlos akzeptiert. In Zeiten eines aufwühlenden Populismus mit teilweise aggressiv geführten Diskussionen um politische Korrektheit und Religionsfreiheit schwingt die Frage mit, ob Kunstfreiheit auf persönliche Befindlich- die gängigen Parolen lassen den Schluss zu, dass die rhetori- keiten politischer oder religiöser Natur Rücksicht nehmen sche Lücke zu den Achtundsechzigern nicht allzu groß ist. muss. Hier stehen sich zwei Positionen gegenüber: zum Die Identitäre Bewegung zeigt immer wieder spielerische Ver- einen die Kunstfreiheit, garantiert durch das Grundgesetz, suche einer Nachahmung der 68er-Bewegung, indem sie und zum anderen die strafrechtliche Dimension. Diesen sich bei deren Vokabular der Systemerneuerung und System- Gegensatz hat 2016 Jan Böhmermann aufgrund seines Ge- kritik bedient, aber auch Protestformen kopiert. Das Nar- dichts „Schmähkritik“ erfahren müssen: Er wurde von rativ der Medienkritik, damals mit dem Aufruf „Enteignet unterschiedlichen Seiten zwar erfolglos, aber dennoch mit Springer!“, heute mit der Parole „Lügenpresse“, ist und unangenehmen Folgen in einen strafrechtlichen Prozess war basales Element beider Bewegungen. gezogen. Als Fazit wird vorgeschlagen, den systemtheo- retischen Ansatz Niklas Luhmanns zu nutzen, um Kunst voll- Was bleibt vom Feminismus? Die Debatte um Frauen- kommen losgelöst von persönlichen Befindlichkeiten als rechte thematisiert nicht nur eine Problematik der Ge- geöffneten Kommunikationskanal zu sehen. Kunst besitzt schlechterungleichheit, sondern auch ein intergenerationelles damit eine Eigenlogik, die auch nur mit ihrem eigenen Unverständnis. So wird der jungen „Generation Y“ – den Vokabular kritisiert werden kann. „Millenials“ – vorgeworfen, zu wenig feministisch aktiv zu sein. Heute aber nehmen jüngere Frauen und Männer den Das Element der Eigenlogik tritt implizit ebenfalls im Feminismus der Aktivistinnen in Folge von 1968 offensichtlich Rahmen der Diskussion um Pegida und aktuell im Aufwind als zu verbraucht und überholt wahr, um ihn zu adap- begriffene rechtspopulistische und identitäre Bewegungen tieren. Vielmehr beschränkt sich der moderne Feminismus auf. Der Zusammenhang zwischen der 68er-Bewegung und nicht auf die Forderung nach Gleichberechtigung, son- den rechten Stimmen, die vor allem das Establishment dern geht darüber hinaus – im Sinne einer Aufarbeitung des angreifen, liegt in der geteilten Zielsetzung, das politische und Geschlechterbegriffs als etwas, das nicht binär ist. gesellschaftliche System grundlegend verändern zu wollen. Haben wir es bei Pegida also mit einer APO von rechts zu tun? Die bis heute stattfindenden Montagsspaziergänge und D I A LO G - CA F É S 15
EINE TRANSFER- S T R AT E G I E F Ü R N A C H - H A LT I G E E N T W I C K L U N G Das Projekt „s:ne – Systeminnovation für Nach- haltige Entwicklung“ der Hochschule Darm- stadt – nun im zweiten Projektjahr – hat zum Ziel, Transferaktivitäten strategisch weiterzuent- wickeln. Die Schader-Stiftung ist Partnerin des Projekts und unterstützt Vernetzungs- und Transferprozesse im Dialog zwischen Wissen- schaft und Praxis. Im Januar 2018 fiel der Startschuss für das Projekt kreten Problemimpuls, der Entwicklung eines gemeinsamen „Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung (s:ne)“ der Problemverständnisses gewidmet. Im Austausch mit den Hochschule Darmstadt (h_da). Mit ihm möchte die h_da Praxisakteuren sollen gemeinsame Fragestellungen entwickelt ihre Transferstrategie in der Region über fünf Jahre weiter ver- und in den Folgejahren weiterbearbeitet werden. ankern und mit Praxisakteuren gemeinsam Innovationen im Themenbereich Nachhaltige Entwicklung anstoßen. Der Genau um dieses gemeinsame Problemverständnis ging normative Bezugsrahmen sind die Nachhaltigkeitsziele es im s:ne-Workshop „Herausforderung nachhaltigere der Vereinten Nationen. Das Projekt verfolgt dabei einen an- Chemie in den Lieferketten zu Leder-Produkten“, der im wendungsorientierten transformativen Forschungsansatz, Oktober gemeinsam mit dem Projekt-Teilvorhaben „Nach- der gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure frühzeitig haltige Produktions- und Konsumweisen bei Leder-Erzeug- und wechselseitig einbindet. Die Projekte haben das Ziel, nissen“ durchgeführt wurde. Im Rahmen des Workshops die Ideen bis in die konkrete Umsetzung zu begleiten. teilten Akteure aus der Lieferkette, aus Behörden und aus der Zivilgesellschaft ihre Sicht auf das Chemikalienmanage- Die Schader-Stiftung hat im Rahmen dieses Projektes ment entlang der Lieferkette für Lederprodukte. So war es die Aufgabe, Räume zum Denken und zum Arbeiten zu möglich, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Wahr- schaffen und den Austausch zwischen Praktikern und Wissen- nehmung der derzeitigen Situation herauszuarbeiten. Zu den schaftlerinnen zu befördern. Ihr ist somit eine Brückenfun- diskutierten Herausforderungen zählte etwa die (fehlende) ktion zugedacht. Die Schader-Stiftung führt Veranstaltungen Transparenz für Markenhersteller und Handel – und damit durch, die Umsetzungsvorhaben dabei unterstützen, eine letztlich auch für die Konsumenten – hinsichtlich der in produktive und beiderseits ertragreiche Zusammenarbeit mit der Produktion eingesetzten Chemikalien. Hemmnisse er- Praxisakteuren in ihrem jeweiligen Handlungsfeld aufzubauen. geben sich durch global vernetzte und daher oft schwer Das erste Jahr war vor allem, ausgehend von einem kon- nachvollziehbare Lieferketten. Die Branchenakteure und das 16 S C H A D E R - D I A LO G M E H R … WA G E N .
s:ne-Team beschlossen, im Jahr 2019 einen Szenario- Neben der Schader-Stiftung sind das Beratungsunter- Prozess durchzuführen, um die Herausforderungen aus einer nehmen e-hoch-3, das Institut für sozial-ökologische For- Systemperspektive zu analysieren und gemeinsame Strategien schung (ISOE), das Institut für Wohnen und Umwelt (IWU), und konkrete Handlungsschritte zu definieren. das Öko-Institut e.V. und die Software AG Partner im Projekt. Auch in der Reihe „Nachhaltig digital? Mobil in Darm- stadt“, die zusammen mit dem Teilvorhaben „Digitale Stadt“ W W W. S C H A D E R - S T I F T U N G . D E / S N E veranstaltet wird, geht es um das Entwickeln eines gemein- samen Problemverständnisses. Dafür wurden mit einer aus- gewählten Gruppe von Teilnehmenden an insgesamt fünf Das Projekt wird im Rahmen des Bund-Länder-Programms Terminen Fragen im Kontext von Mobilität, Nachhaltiger „Innovative Hochschule“ gefördert von: Entwicklung und Digitalisierung erörtert. Das dritte Anwendungsgebiet des Projekts „System- innovation für Nachhaltige Entwicklung (s:ne)“ ist die zu- kunftsorientierte Stadtentwicklung. Welche neuen Ge- schäftsmodelle und weiteren Innovationen unterstützen die nachhaltigere Entwicklung einer Stadt oder eines Quar- tiers? Hierbei werden die Handlungsfelder Gebäude, Konsum, Gemeinsame Energiebereitstellung und -vernetzung sowie Mobilität Wissenschaftskonferenz GWK untersucht. Um Wissensaustausch zu ermöglichen und einen Gesprächsfaden aufzunehmen, wurden im September bei einem gemeinsamen Workshop mit der Stadtverwaltung der Wissenschaftsstadt Darmstadt, Vertreterinnen und Vertre- tern der Stadtwirtschaft sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren Ideen für die Weiterentwicklung der Darmstädter Moller- stadt konzipiert. Die erarbeiteten Vorschläge sollen gleichzeitig einen positiven Beitrag leisten, um die Nachhaltigkeits- ziele der Vereinten Nationen zu verwirklichen. Thema war auch, wie diese Ziele anzureichern und weiterzuentwickeln sind und welche weiteren Bedarfe gesehen werden. Während das erste Projektjahr einen Auftakt des Aus- tauschs und des gemeinsamen Arbeitens bildete, werden mit SASKIA FLEGLER KAREN LEHMANN dem Beginn des zweiten Jahres die Planungen und Diskus- ist Politikwissenschaftlerin ist Politikwissenschaftlerin und Wissenschaftliche und Wissenschaftliche sionen nochmals um einiges konkreter. Im kontinuierlichen Referentin der Schader- Referentin der Schader- Gespräch mit Praxisakteuren wurden bereits erste Ideen Stiftung. Stiftung. und Ansätze für Umsetzungsmöglichkeiten und Geschäfts- modelle gesammelt und entwickelt, um sie in diesem Jahr zu vertiefen und weiter zu konkretisieren. Zudem werden sich die Forschenden der h_da und die Partner verschiedenen weiteren Themenfeldern, wie beispielsweise einer effizien- teren Energienutzung, zuwenden. Ein Projekt von L A U R A PA U L I DR. FRANZISKA ist Politikwissenschaftlerin R I S C H KO W S K Y und Wissenschaftliche ist Volkswirtin und Wis- Mitarbeiterin der Schader- senschaftliche Referentin Stiftung. der Schader-Stiftung. PROJEKT S:NE 17
WIE MARIA ZUM KINDE K A M … O D E R: D I A LO G ZWISCHEN EXPERTEN UND LAIEN Wie gut sind Bürgerinnen und Bürger im Feld der Sicherheitspolitik orientiert? Eine Dialog- Werkstatt am 23. Februar 2019 diente dem intensiven Austausch zwischen Laien und Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis. Warum eigne gerade ich mich dazu, heute diese Dinner während das lateinische „experior“ unter anderem so viel Speech zu halten? Zunächst einmal bin ich selbst ein Laie, bedeutet wie „erproben, probieren, kontrollieren, prüfen, ein Nicht-Fachmann in Sicherheitsfragen. Dies ist allerdings untersuchen“. In den 1860ern ist schließlich von wissen- noch kein Alleinstellungsmerkmal. Ein weiterer Grund schaftlichen Experten die Rede. könnte den Dialog von Laien und Experten betreffen. Die in der Nachkriegszeit geborene Idee der Evangelischen Eine besondere Problematik wohnt der „Expertokratie“ Akademie ist die Begegnung von Menschen an genau dieser inne: die Rede ist von einer Regierung, bestehend aus Fach- Grenze. Eine Veranstaltung wie diese ist meiner Meinung leuten und Verwaltungskräften, die sich meist in Krisenzeiten nach dann gut, wenn sie eine wirkliche und andersartige Be- entwickelt und vorgeblich durch Überparteilichkeit aus- gegnungsqualität schafft und wenn Experten verändert zeichnet. De facto fehlt Expertokratien die demokratische aus ihr herausgehen. Zuletzt könnte ich mir die Frage stellen: Legitimation, sie sind latent antipluralistisch und blind für Warum nicht ich? Ich bin Theologe. Theologen sprechen normative Setzungen. Sie folgen meist einem streng rational- über Gott, die Welt und Menschen. Wieso also nicht auch über technizistischen Weltbild und verneinen vermeintlich Sicherheitsfragen? Was ist eigentlich ein Experte oder eine weiche, geisteswissenschaftliche Faktoren. Kennzeichen des Expertin? Was ist ein Laie oder eine Laiin? Wie kommt Maria Denkansatzes waren: Sachzwänge, Effizienz-Orientierung, zum Kinde und was hat das mit Sicherheitsfragen zu tun? Machtverlagerung aus Parlamenten in Expertenkommis- sionen, instrumentelle Vernunft, ein technizistisch-rationa- WA S I S T E I N E X P E R T E ? listisches Menschenbild und die Eliten-Bildung. Technik und Wissen legitimieren hier politische Macht und lassen diese Anders als der Begriff des „Sachverständigen“ ist der letztlich verschwinden. Begriff „Experte“ nicht gesetzlich geschützt. Er wird faktisch häufig dazu verwendet, eigene Interessen durchzusetzen Ich plädiere für das Verständnis eines Experten als nomen und dies mit Fachwissenschaftlichkeit zu kaschieren. Der agentis, als Subjekt einer Handlung, und nicht als nomen Begriff ist verknüpft mit einer problematischen Entpoliti- qualitatis, als Träger einer statischen Eigenschaft. Das heißt, sierung, durch die politische Wertvorstellungen nicht mehr man ist nicht Experte, sondern man wird es. Man wird es, transparent gemacht werden. Die ersten Verwendungen indem man verantwortlich handelt, stellvertretend Wissen des Begriffs finden sich in den 1830er Jahren in Deutschland. erwirbt, dieses transparent und allgemeinverständlich kom- Abgeleitet werden kann er vom französischen „expert“, muniziert, über Möglichkeiten und Risiken aufklärt und die was so viel heißt wie „sachkundig“ oder „erfahren“. Das eigene Perspektive in Prozesse offen-demokratischer Ent- lateinische „expertus“ steht für „erfahren, erprobt, geprüft“, scheidungsbildung einbringt. 18 S C H A D E R - D I A LO G M E H R … WA G E N .
WA S I S T E I N L A I E ? Maria war keine Expertin. Sie war der Erzählung nach Jungfrau („Wie soll das geschehen, da ich doch von keinem Manne weiß“). In jedem Fall ist Jesus ihr erstes Kind. Maria Ein Laie wird klassischerweise ex negativo als der Nicht- war also Laiin. Und sie war es im theologischen Sinne. Experte definiert. Ihm fehlt die Expertise. In der Kognitions- Maria hat (als Königin) entschieden: „Mir geschehe, was du psychologie spricht man von verschiedenen Stadien, die gesagt hast“. Es gibt nicht nur ein politisches, sondern man durchlaufen muss, um zum Experten zu werden. Die auch ein religiöses Überwältigungsverbot. Maria hat außer- erste Stufe ist die vortheoretische Stufe, auf sie folgt die dem (als Priesterin) Opfer gebracht. Sie erträgt Flucht, Ver- empirische Stufe. Die höchste Stufe ist schließlich die Ex- treibung und soziale Ausgrenzung. Mit den Leiden ihres perten-Stufe: man hat ein systematisches Wissen, lang- Sohnes zeigt sich das mütterliche Mitleiden. Die Laien tragen jährige Sachkenntnis, beherrscht Methoden und Fachsprache also die Risiken von Experten-Entscheidungen – gerade und hat einen Überblick über das Fachgebiet. Das Problem auch bei Sicherheitsfragen. Zuletzt hat Maria (als Prophetin) ist aber: dieses Verständnis von Laien bleibt unterkomplex. Zeitansagen gemacht und war aktiv als Botin beteiligt. Was ist ein Laie im theologischen Sinn? Ursprünglich So schwierig der Dialog mit den Laien ist, so wichtig ist kommt der Begriffe „Laie“ von Laios, dem Gottesvolk. Laie es, auf ihre Stimme zu hören. Weil sie – in aller Schwierig- ist hier definiert als Mitglied des Gottesvolkes, mithin als keit – gleichsam Prophetisches zu sagen haben. In diesem Gotteskind. Die Mitgliedschaft entsteht durch Taufe als ein Sinne trage ich gerne als Laie etwas zu dieser Dialog- Akt der Salbung. Die Vorstellung von der Salbung ist Werkstatt bei. wichtig, sie geht zurück auf die dreifache Salbungshandlung im Alten Testament an Königen, Priestern und Propheten. Der vorliegende Text gibt in stark gekürzter Version die Das heißt, im theologischen Sinn ist jeder Laie König, Priester Dinnerspeech zur Eröffnung der Dialog-Werkstatt Sicherheits- und Prophet. Oder, um, es mit einer protestantischen politik am 22. Februar 2019 wieder und ist im Volltext Deutung der Schlagzeile der BILD-Zeitung aus dem Jahr unter www.schader-stiftung.de/sicherheitspolitik verfügbar. 2005 zu sagen: Wir sind Papst – allesamt. Was bedeutet dieses theologische Laien-Verständnis für Mit freundlicher Unterstützung von den Dialog zwischen Laien und Experten? Zunächst einmal können Laien Könige sein: Sie, als Mehrheit der Bürger, haben die Freiheit und Hoheit, zu entscheiden. Sie sind der Souverän. Laien können auch als Priester betrachtet wer- den. Sie tragen die Folgen ihrer Entscheidungen und bringen Opfer; Laien sind die Betroffenen. Ein Laie kann auch als Prophet wahrgenommen werden: Laien haben eine spezifische Expertise, die für die Sachklärung wichtig ist. Diese gilt es ernst zu nehmen. Die Frage muss also lauten: was erfahre ich als Fachmann oder Fachfrau Neues? Wie gehe ich aus dieser Begegnung hervor? Der Theologe und Philosoph Schleiermacher sprach von der Zirkulation des Gemeingeistes: Laien und Experten brauchen sich wechselseitig, der Dialog zwischen ihnen zielt auf die Überwindung der natür- lichen Ungleichheit ab. Womit wir schließlich bei Maria angelangt wären. Ein Projekt von D R . T H O R S T E N L AT Z E L ist Theologe und Direktor der Evangelischen Akademie Frankfurt. EXPERTEN UND LAIEN 19
I N F O R M AT I O N schader-stiftung.de P R OJ E KT E 2 0 1 8 /2 0 1 9 Die Schader-Stiftung fördert seit 30 Jahren N AC H H A LT I G D I G I TA L? M O B I L die Gesellschaftswissenschaften. Ihr Anliegen I N DA R M S TA D T ist es dabei, den Praxisbezug der Gesell- schaftswissenschaften und deren Dialog mit 15. Oktober, 26. November und 17. Dezember 2018; 23. Januar und 20. Februar 2019 der Praxis zu stärken. Zu diesem Zweck stellt die Schader-Stiftung das Schader-Forum Was können digitale Lösungen zur Bewältigung aktueller in Darmstadt zur Verfügung. Probleme im Verkehr einer Stadt wie Darmstadt beitragen? Wie können Anreize gesetzt werden, die Unternehmen und Einzelpersonen dazu bringen, nachhaltigere Mobilitäts- Schwerpunkte der Förderung setzen jeweils optionen, wie das Fahrrad oder den Öffentlichen Nahverkehr, die Themen des Großen Konvents der Schader- zu bevorzugen. Welche institutionellen und legislativen Rahmenbedingungen sind dafür notwendig? Wie können wir Stiftung: „Mehr … wagen. ’68, ’18 und die den Lieferverkehr optimieren, damit innerstädtische Quar- politisierte Gesellschaft“ im Jahr 2018 und tiere entlastet, unausgelastete Fahrten vermieden und Luft- „DU BIST NICHT ALLEIN – Öffentlicher und Lärmbelastung von Anwohnern geringer werden? Kurz: Wie können die Chancen der Digitalisierung, die sich Raum im Dialog“ als Konventsthema 2019. Hier im Bereich Mobilität ergeben, so genutzt werden, dass zu sind Anregungen und Anträge besonders sie gleichzeitig auch einen Beitrag zur Nachhaltigen Ent- willkommen. wicklung leisten? Ausführliche Dokumentationen der hier in Auswahl vorgestellten Veranstaltungen finden sich unter www.schader-stiftung.de Diese und weitere Fragen wurden im Rahmen einer Reihe von Salongesprächen zum Thema „Nachhaltig digital? Mobil in Darmstadt“ mit Vertretern und Vertreterinnen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft 20 S C H A D E R - D I A LO G M E H R … WA G E N .
thematisiert. Bezugsrahmen waren dabei immer die konkreten Gegebenheiten in der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Die DIE KIRCHEN UND DER Veranstaltungsreihe setzt sich im Jahr 2019 fort. Die Salonge- POPULISMUS spräche finden im Rahmen des Projektes „s:ne – System- innovation für Nachhaltige Entwicklung“ der Hochschule 10. bis 12. September 2018 Darmstadt statt, bei dem die Schader-Stiftung einer der lokalen Partner ist und die Verantwortung für ein Teilvorhaben Ist Religion „Schutzfaktor“ gegen oder „Einfallstor“ für übernommen hat. Populismus? Welche Rolle spielen christliche Kirchen in- nerhalb der gestiegenen Akzeptanz populistischer Bewegungen W W W. S C H A D E R - S T I F T U N G . D E / in der Gesellschaft? N AC H H A LT I G _ D I G I TA L Die christlichen Kirchen sind zivilgesellschaftliche Agen- turen, die einerseits dezidiert Standpunkte gegen populistische S U B S I D I A R I TÄT Bewegungen beziehen, andererseits selbst an populistischen Bewegungen partizipieren und Mitglieder haben, die solchen 20. November 2018 angehören. Positionen populistischer Parteien sind mit Mustern religiöser Sinngebungen verbunden. Zur Frage des Auf kommunaler Ebene stellt Subsidiarität einerseits ein Umgangs mit populistischen Tendenzen gab es in der Leitbild dar, das dem Schutz kleinerer, nichtstaatlicher jüngsten Vergangenheit intensive Auseinandersetzungen in Einheiten vor einem Zuviel an staatlichen Eingriffen dient, Gemeinden und Kirchenleitungen. andererseits birgt der Begriff eine realpolitische Forderung, mit der sich Kommunen konfrontiert sehen. Sie sollen das Aufschluss über kulturelle und spezifisch religiöse An- Erbringen sozialer Leistungen dem Anspruch der Subsi- schlussstellen für populistische wie antipopulistische diarität entsprechend gestalten. Doch was heißt das genau? Haltungen versprechen dezidiert interdisziplinär geführte Und ist dieses althergebrachte Prinzip auch in heutigen Zeiten Analysen. Die Tagung, veranstaltet von der Schader- noch angemessen? Stiftung, der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (WGTh) und vielen Fachpartnern, wurde gefördert durch Zur Diskussion dieser und weiterer Fragen traf sich im die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und November 2018 ein Kreis von Fachleuten aus Wissenschaft die EKHN Stiftung. Sie ging den beiden Kernfragen aus und Praxis im Schader-Forum. So waren Darmstädter soziologischer und politikwissenschaftlicher, publizistischer Stadtverordnete und Mitglieder des Landkreistages ebenso und kommunikationswissenschaftlicher sowie ethischer, anwesend wie Vertreterinnen und Vertreter von Wohlfahrts- praktisch-theologischer und kirchenhistorischer Perspektive verbänden, von privat-gewerblichen Einrichtungen im sozialen nach. An der Debatte beteiligten sich neben Fachleuten Bereich sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Wissenschaft und Praxis auch die leitenden Geistlichen aus unterschiedlichen Disziplinen. Zu dieser Runde hatte – dreier Landeskirchen bzw. Bistümer. Diskutiert wurde die neben der Schader-Stiftung – die kommunale Ebene ein- Frage, welche Orientierungen sich aus diesen multi-perspek- geladen, vertreten durch die Sozial- und Jugenddezernentin tivischen Analysen für die kirchliche Praxis und soziale des Landkreises Darmstadt-Dieburg und die Sozialdezer- Dienste ergeben. Die WGTh wird die Tagungsbeiträge in nentin der Wissenschaftsstadt Darmstadt, die beide in ihrer einem Sammelband publizieren. täglichen Arbeit mit der Frage der Subsidiarität konfrontiert sind. W W W. S C H A D E R - S T I F T U N G . D E / KIRCHEUNDPOPULISMUS So entwickelte sich eine Gesprächsrunde, ein Thinktank im Wortsinne, also ein Reservoir, in dem gedacht, disku- tiert und nachgefragt wurde, Standpunkte und Sichtweisen aber nicht im Vorhinein feststanden. W W W. S C H A D E R - S T I F T U N G . D E / S U B S I D I A R I TA E T PROJEKTE 2018 / 2019 21
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