MEN STANDING UP FOR GENDER EQUALITY MFGE - Lessan eV
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MEN STANDING UP FOR GENDER EQUALITY MFGE SCHULUNGSHANDBUCH ZU GESCHLECHTSSPEZIFISCHER GEWALT IM ASYLKONTEXT SCHWERPUNKT: WEIBLICHE GENITALVERSTÜMME- LUNG/-BESCHNEIDUNG SOWIE KINDER-, FRÜH- UND ZWANGSVERHEIRATUNG Schulung von Fachkräften, die mit gefährdeten Frauen – einschließlich Migrantinnen, Geflüchtete und Asylbewerberinnen – in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt und interkulturelle Kompetenzen arbeiten, um Überlebende und gefährdete Frauen und Mädchen besser betreuen zu können. -1
MEN STANDING UP FOR GENDER EQUALITY SCHULUNGSHANDBUCH ZU GESCHLECHTSSPEZIFISCHER GEWALT IM ASYLKONTEXT SCHWERPUNKT: WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG/- VERFASST VON BESCHNEIDUNG SOWIE SOKHNA FALL BA (FEMMES ENTRAIDE ET AUTONOMIE) KINDER-, FRÜH- UND ZWANGSVERHEIRATUNG IN ZUSAMMENARBEIT MIT GWLADYS AWO (LESSAN E. V.) SONJA STÖRMER (TERRE DES FEMMES E. V.) KOORDINATION UND REDAKTION SOKHNA FALL BA (FEMMES ENTRAIDE ET AUTONOMIE) ESTELLE NEVEU (FEMMES ENTRAIDE ET AUTONOMIE) ÜBERTRAGUNG INS DEUTSCHE INGE HANNEFORTH DESIGN UND LAYOUT LAURA ROZAND HERSTELLUNG FEMMES ENTRAIDE ET AUTONOMIE – FEA ERSTE AUFLAGE 2021 RECHTLICHER HINWEIS Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung der Programme „Gerechtigkeit“ sowie „Rechte, Gleichheit und Bürgerschaft“ der Europäischen Union herausgegeben. Der Inhalt liegt in der alleinigen Verantwortung der Autor*innen und spiegelt in keiner Weise die Meinung der Europäischen Kommission wider. © KEINE VERVIELFÄLTIGUNG ODER ÜBERTRAGUNG DIESER PUBLIKATION, AUCH NICHT AUSZUGSWEISE, KANN FÜR KOMMERZIELLE ZWECKE, AUF WELCHE WEISE AUCH IMMER, OHNE SCHRIFTLICHE ZUSTIMMUNG VON FEMMES ENTRAIDE ET AUTONOMIE VORGENOMMEN WERDEN. DIE GANZE ODER TEILWEISE REPRODUKTION BZW. WEITERVERBREITUNG DIESER PUBLIKATION IST AUS- SCHLIESSLICH UNTER DER BEDINGUNG ZULÄSSIG, DASS SIE NICHT ABGEÄNDERT UND FÜR NICHTKOMMERZIELLE ODER PÄDAGOGISCHE ZWECKE BEI ANGABE DER QUELLE VERWENDET WIRD. 2- -3
„ Liebe Leserinnen, liebe Leser, Es ist mir eine außerordentliche Freude und Ehre, die Schirmherrschaft für das Projekt „Männer setzen sich für die Gleichstellung der Geschlechter ein“ innezuhaben. Es ist Ihrer Organisation „Lessan e. V.“ und ihren Partner*innen gelungen, Männer in das Engagement gegen weibliche Genitalverstümme- lung/-beschneidung einzubeziehen. Das Ergebnis des Projekts ist dieses Handbuch, das die jahrelange Arbeit zusammenfasst, die Sie mit Erfolg durchgeführt haben. Dieses von der Europäischen Union finanzierte Projekt zielt darauf ab, das Tabu bezüglich der Genitalverstümmelung durch Bewusstseinsbildung und Prävention zu brechen. Das Projekt widmet sich den Themen Genitalver- stümmelung/-beschneidung und Zwangsheirat mit dem Ziel, in Deutschland Aufklärungsarbeit zu leisten. Ihre Organisation „Lessan e. V.“ leistet eine bemerkenswerte und wichtige Arbeit, um den Null-Toleranz-Ansatz zu integrieren und die gerechte Teilha- be und Stärkung von Mädchen und Frauen zu erreichen. Weltweit sind mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen von Genitalver- stümmelung/-beschneidung betroffen. International wird von Female Geni- tal Mutilation/Cutting (FGM/C) gesprochen. Einer Prävalenzstudie zufolge leben 70 000 Mädchen und Frauen in Deutschland und 500 000 Frauen und Mädchen in Europa mit den Folgen weiblicher Genitalverstümmelung/-be- schneidung, und unzählige weitere Mädchen und Frauen sind potenziell da- von bedroht. Diese Praxis wird häufig auch von anderen Formen der Ge- walt begleitet, wie Früh- und Zwangsverheiratung. Obwohl FGM/C gegen deutsches Recht verstößt, sind auch hier jedes Jahr unzählige Mädchen und Frauen von FGM/C betroffen. Dies zeigt, dass weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung auch hier- zulande ein wichtiges Thema ist, welches uns vor besonders große Heraus- forderungen stellt. Betroffene Frauen und Mädchen benötigen unter ande- rem medizinische Hilfe, sozialpädagogische Beratung und Begleitung sowie psychologische Unterstützung und rechtliche Aufklärung. Betroffene Fami- lien müssen empowert werden. Hierbei ist das Engagement von Männern zum Kinderschutz und zu Frauen- rechten zentral. Schlüsselpersonen aus den Communitys und Fachkräften aus relevanten Be- reichen, wie dem Gesundheits- und Sozialwesen, Bildungseinrichtungen und dem Kinderschutz oder Unterkünften für Geflüchtete, fehlt es oft an Wis- sen für einen sensiblen Umgang mit (potenziell) Betroffenen. Häufig sind Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen die entscheidenden Ansprechperso- nen oder werden bei Routineuntersuchungen mit Betroffenen konfrontiert. Nicht immer wissen sie aber, wie sie sensibel und situationsgerecht handeln können. Dieses Handbuch soll Fachkräfte, die in ihrer Arbeit mit betroffenen und bedrohten Frauen und Mädchen konfrontiert sind, dazu befähigen, ihnen in Dr. Pierrette Herzberger-Fofana, MdEP angemessener Weise zu begegnen und sie professionell zu beraten. Mithilfe Mitglied des Europäischen Parlaments des Schulungshandbuchs sollen Fachkräfte eine erhöhte Sicherheit im Um- Schirmherrin des MFGE-Projekts gang mit Betroffen erhalten. Brüssel Durch das länderübergreifende Konsortiumsprojekt „Men Standing Up For Gender Equality“ ist es gelungen, langjährige Gutachten zu bündeln und Männer in das Engagement gegen weibliche Genitalverstümmelung/-be- schneidung einzubeziehen. Um durch Sensibilisierungsarbeit zur Prävention von weiblicher Genital- verstümmelung/-beschneidung beizutragen, gibt das vorliegende Manual Handlungsempfehlungen für verschiedene Berufsgruppen, die in ihrer Ar- beit Kontakt zu potenziell betroffenen und gefährdeten Frauen und Mäd- chen haben, und ist somit ein Meilenstein für die Aufklärungsarbeit zum The- ma FGM/C. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und allen Partner*innen von „Lessan e. V.“ weiterhin viel Erfolg.“ 4- -5
INHALT Vorwort und Dank ................................................................................................................. 8 Glossar ....................................................................................................................................... 12 Einführung in das Projekt Men Standing up for Gender Equality (MFGE) - Männer setzen sich für die Gleichstellung der Geschlechter ein ........................................................................................................... 14 Projektpartner ........................................................................................................................ 18 Ziele und Vorgaben des Schulungshandbuchs ..................................................... 20 Hinweis für Kursleiter*innen ........................................................................................... 22 Teil I Sensibilisierung für Formen von Geschlechtsspezifischer Gewalt, die geflüchtete. Frauen und Frauen mit Migrationsgeschichte betreffen, mit dem Schwerpunkt FGM/C und CEFM Modul 1: Wie viel wissen wir über Geschlechtsspezifische Gewalt?........... 26 Module 2: Hintergrundinformationen zu Formen von Geschlechtsspezifischer Gewalt, die geflüchtete Frauen und Migrantinnen betreffen...................................................................................................... 28 Modul 3: Herausforderungen für Frauen und Mädchen, die aus Gründen von FGM/C und CEFM Asyl beantragen .............................. 38 Teil II Erkennen von Betroffenen und Mädchen mit dem Risiko Geschlechtsspezifische Gewalt zu erleiden Modul 4: Einschätzung einer Risikosituation....................................................... 48 Modul 5: Empfohlene Ansätze .................................................................................... 56 Teil III Eingehen auf die Bedürfnisse von betroffenen und gefährdeten Mädchen Modul 6: Reflexion über interkulturelle Kompetenz in der Beziehung zwischen Fachkräften und Communitys mit Flucht- und Migrationsgeschichte.................................................................................62 Modul 7: Zuständige Dienste........................................................................................ 68 Modul 8: Asylverfahren in Frankreich und Deutschland.................................. 70 Anhang 1. Formen von Geschlechtsspezifischer Gewalt, die Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte betreffen ................................................. 74 Anhang 2. Folgen von Geschlechtsspezifischer Gewalt ................................... 75 Anhang 3. Arten von Gewalt vor, während und nach der Flucht................. 76 Anhang 4. Rechtliche Rahmenbedingungen ........................................................ 77 Anhang 5. Arten von FGM/C .......................................................................................... 78 Anhang 6. FGM/C weltweit ............................................................................................ 79 Anhang 7. Kinderverheiratung weltweit .................................................................. 79 Quellen ..................................................................................................................................... 80 6- -7
Die Agentur der Europäischen Union für zeigen sich auch in Schwierigkeiten bei der Grundrechte (FRA) (2016) hat hervorge- Beantwortung von Ja- oder Nein-Fragen. In GESCHLECHTSSPEZIFISCHE GEWALT IST EINE DER BE- hoben, dass Geschlechtsspezifische Gewalt einigen Kulturen gibt es Ja oder Nein ganz MERKENSWERTESTEN MENSCHENRECHTSVERLETZUN- von geflüchteten Frauen zu wenig gemel- einfach nicht. Und manche Menschen sa- GEN IN ALLEN GESELLSCHAFTEN, UNABHÄNGIG VON det wird. Ein Hauptproblem dafür, dass ge- gen vielleicht immer Ja, um höflich zu sein. KULTUR, RELIGION, ETHNISCHER ZUGEHÖRIGKEIT, NATIO- flüchtete Frauen Verbrechen geschlechts- NALITÄT ODER HERKUNFTSORT. spezifischer Gewalt nicht melden, ist die Darüber hinaus sind Themen wie ge- Tatsache, dass es an Schulungen zur Erken- schlechtsspezifische Gewalt und Sexualität nung von und zum Umgang mit Betroffe- für die meisten Menschen mit Migrations- VORWORT UND DANK Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein gewalttätiges Verhalten ge- genüber einer Person aufgrund ihres Geschlechts. Sowohl Männer nen geschlechtsspezifischer Gewalt für das geschichte ein Tabu. Es ist eine Herausfor- als auch Frauen erleben und erleiden geschlechtsspezifische Gewalt. Personal mangelt. Alle Fachkräfte, die mit derung, sich Fachleuten mit diesen Themen Frauen und Mädchen sind jedoch hiervon überproportional häufig gefährdeten Frauen, einschließlich Geflüch- anzuvertrauen. Einige Frauen können in ih- betroffen. Weltweit haben 30 % der Frauen körperliche und/oder teten, Personen mit Migrationsgeschichte ren Antworten ausweichend sein, obwohl sexuelle Gewalt durch einen Partner oder Nicht-Partner erfahren und Asylsuchenden arbeiten, sollten in ge- sie Situationen von Gewalt erlebt haben. (WHO, 2017). Gewalt an Frauen ist ein Ausdruck von Machtungleich- schlechtsspezifischer Gewalt geschult wer- heiten zwischen Frauen und Männern. Daher ist geschlechtsspezi- den, um die Betroffenen besser unterstüt- Es ist unmöglich, jede Kultur zu kennen, mit fische Gewalt ein globales Problem, behindert sie doch den Beitrag, zen zu können. der man es zu tun hat. Wenn man sich je- den Frauen und Mädchen zu Wirtschaft, Entwicklung, Fortschritt doch bewusst ist, dass die eigenen Über- und Frieden in der Gesellschaft leisten können. Die Beendigung ge- zeugungen und Gewohnheiten nicht für alle schlechtsspezifischer Gewalt ist somit von öffentlichem Interesse, Darüber hinaus sollten Fachkräfte geschult die Norm sind, und wenn man die kulturel- denn sie ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung. werden, um interkulturelle Kompetenzen len Unterschiede berücksichtigt, kann man zu erlangen. Interkulturelle Kompetenzen bereits viele Missverständnisse ausräumen. vermitteln die Fähigkeit, Menschen aus Weltweit haben 200 Millionen Frauen und Mädchen in 31 Ländern verschiedenen Kulturen zu verstehen, mit Die Projektpartner haben eine lange Erfah- Afrikas, des Nahen Ostens und Asiens FGM/C erlitten. 3 Millionen ihnen zu kommunizieren und effektiv mit rung in der Arbeit mit Communitys mit Mi- Mädchen sind jedes Jahr von FGM/C bedroht (UNICEF, 2013). Fast ihnen zu interagieren. Sie ermöglichen es, grationsgeschichte. Sie haben im Rahmen 650 Millionen Mädchen und Frauen wurden im Kindesalter verheira- sich der eigenen Stereotypen bewusst zu der EU-kofinanzierten Projekte CHANGE, tet (UNICEF, 2018). werden und eine positive Einstellung zu CHANGE Plus und Let’s CHANGE mit Ziel- kulturellen Unterschieden zu entwickeln. gruppen in den betroffenen Communitys Die eigene Wahrnehmung und der Kennt- gearbeitet. Sie haben eine große Anzahl In der Europäischen Union leben 500.000 Frauen mit den Folgen nisstand einer Fachkraft über verschiedene von Aktivitäten zur Verhaltensänderung von FGM/C und 180.000 Mädchen sind jedes Jahr gefährdet (Eu- Länder und Kulturen vermögen sich darauf und von Community-Events betreut. Sie ropäisches Parlament, 2009). In Frankreich mussten sich 125.000 auszuwirken, wie sie sich einer betroffenen haben Konzepte für Schulungen von Fach- Frauen FGM/C unterziehen1. 4 % der in Frankreich lebenden Frauen Person gegenüber verhält. kräften entwickelt, die von ihnen selbst als mit Migrationsgeschichte und 2 % der in Frankreich geborenen Mäd- Projektmitarbeiter*innen oder von Ausbil- chen aus Familien mit Migrationsgeschichte im Alter von 26-50 Jah- Kulturelle Unterschiede zeigen sich in unter- der*innen der Communitys durchgeführt ren haben eine nicht-einvernehmliche Ehe eingehen müssen. 70.000 schiedlichen Denk-, Lern- und Verhaltens- wurden. Sie haben starke Partnerschaften junge Frauen sind Berichten zufolge potenziell von einer Zwangshei- weisen. Einige Verhaltensweisen oder eine mit Führungspersönlichkeiten in den Com- rat2 bedroht. In Deutschland sind schätzungsweise 75.000 Frauen nonverbale Sprache, wie z. B. einer Person munitys, gemeindebasierten Organisatio- und Mädchen von FGM/C betroffen und 20.000 weitere sind gefähr- nicht in die Augen zu schauen, können als nen in ihren Städten, in lokalen NGOs und det3. Auch eine Studie der Frauenrechtsgruppe Terre des Femmes Misstrauen oder Desinteresse an einer eu- örtlichen Behörden aufgebaut. ergab im September 2019, dass landesweit insgesamt 813 Fälle von ropäischen Kultur interpretiert werden. Für Verheiratungen Minderjähriger registriert wurden4. viele Personen mit Migrationsgeschichte ist Das MFGE-Projekt wird im Rahmen des dies hingegen ein Zeichen von Höflichkeit Programms Rights Equality and Citizens- und Respekt. Ein Gespräch mit einem Ge- hip (Gleichberechtigung und Staatsbürger- Die Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Europa nehmen zu, flüchteten oder Personen mit Migrationsge- schaft) der Europäischen Union kofinan- was zum Teil auf die Steigerung und Feminisierung der Migration schichte dauert oft länger als zum Beispiel ziert. zurückzuführen ist und FGM/C sowie Zwangsehen zu europäischen mit Franzosen oder Deutschen. In vielen Themen macht. Die Europäische Union muss sich mit diesen Phä- Kulturen dauert die Begrüßung eine gewis- nomenen auseinandersetzen und Prävention, Schutz und Betreuung se Zeit. Während dieser Zeit konzentrieren von Opfern und gefährdeten Mädchen, darunter Frauen und Mäd- sich die Menschen, um herauszufinden, mit 1. Lesclingand M, Andro A, Lombart T. Estimation du nombre de femmes adultes ayant subi une mutilation génitale féminine vivant en France. Bull Epidémiol Hebd. 2019; (21):392-9. chen mit Migrationsgeschichte, Geflüchtete und Asylsuchende, anti- wem sie es zu tun haben und wie sie sich http://beh.santepubliquefrance.fr/beh/2019/21/2019_21_1.html zipieren und verbessern. Die Ausbildung von Fachkräften ist somit verhalten sollen. In vielen Kulturen ist es 2. MIPROF. La lettre de l’observatoire national des violences faites aux femmes. N°3. Octobre 2014 unerlässlich, um auf kulturell sensible Weise Menschen, die von ge- nicht angemessen, direkt auf den Punkt zu 3. https://www.frauenrechte.de/images/downloads/fgm/TDF_Dunkelzif- ferstatistik-2020-mit-Bundeslaender.pdf schlechtsspezifischer Gewalt bedroht sind, zu identifizieren und an kommen. Unterschiede 4. https://www.dw.com/en/child-marriages-in-germany-present-a-challen- ge-for-authorities/a-50540043 hierfür zuständige Dienste zu verweisen. 8- -9
ABKÜRZUNGEN BAMF: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) CEDAW: Convention on the Elimination of all forms of Discrimination against Women (Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) CEFM: Child, Early and Forced Marriage (Kinder- und Zwangsverheiratung) CNDA: National Court of Asylum Right (Nationales Asylgericht) EU: Europäische Union FGM/C: Female Genital Mutilation /Cutting (Weibliche Genitalverstümmelung /-beschneidung) FRA: European Union Agency for Fundamental Rights (Agentur der Europäischen Union für Grundrechte) GBV: Gender-Based Violence (Geschlechtsspezifische Gewalt) MFGE: Men Standing up for Gender Equality NGO: Non-Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation) OFPRA: Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (Französisches Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen) PTSD: Post-Traumatic Stress Disorder (Posttraumatische Belastungsstörung) SGBV: Sexual and Gender-Based Violence (Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt) UN: United Nations (Vereinte Nationen) UNFPA: United Nations Fund for Populations Activities (Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen) UNHCR: United Nations High Commissioner for Refuges (Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) VAWG: Violence Against Women and Girls (Gewalt an Gewalt an Frauen und Mädchen) WHO: World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation) 10 - - 11
UNGLEICHHEIT RE-TRAUMATISIERUNG GLOSSAR ist der Zustand, nicht gleich zu sein, ins- besondere in Bezug auf Status, Rechte ist ein bewusster oder unbewusster Auslöser eines vergangenen Traumas, der zu erneu- und Chancen. Die Verteilung von Reichtum tem Erleben des ursprünglichen Trauma-Er- und Ressourcen ist zu oft ungleich, was zu eignisses führt. Es kann durch eine Situation, enormen Diskrepanzen zwischen Einzel- eine Haltung, einen Ausdruck oder durch be- personen oder Gruppen führt. Unterschied- stimmte Umgebungen ausgelöst werden, die liche Unterdrückungssysteme können eine die Dynamik (Verlust von Macht/Kontrolle/ Person oder eine Gruppe daran hindern, die Sicherheit) des ursprünglich Traumas repli- gleichen Ressourcen wie andere Personen zieren. Systeme, die isoliert arbeiten, d. h. mit oder Gruppen zu nutzen. Ungleichheiten einer Zersplitterung der Autorität und einem werden durch individuelle, kollektive und Mangel an Verantwortlichkeit, sowie Syste- institutionelle Verhaltensweisen erzeugt; me, denen es an adäquaten Ressourcen fehlt, sie bilden ein Unterdrückungssystem, das um notwendige Dienste bereitzustellen, kön- einige Gruppen oder Einzelpersonen ge- nen Überlebende re-traumatisieren. genüber anderen begünstigt. SEKUNDÄRE VIKTIMISIERUNG UNGLEICHHEIT DER GESCHLECHTER liegt vor, wenn das Opfer weiteren Schaden In einem patriarchalischen System der Vor- erleidet, nicht als direkte Folge der Straftat, PERSON MIT MIGRATIONSGESCHICHTE herrschaft und Diskriminierung von Frauen sondern aufgrund der Art und Weise, wie GEFLÜCHTETE*R ist es wichtig zu verstehen, dass Männern Institutionen und andere Personen mit dem ist am Besten als jemand zu verstehen, der und Jungen im Allgemeinen eine größere Opfer umgehen. Sekundäre Viktimisierung sich dazu entschließt, sein Land zu verlas- Wertschätzung entgegengebracht wird als kann z. B. durch wiederholte Konfrontation Ein*e Geflüchtete*r ist eine Person, die sen, nicht wegen einer direkten Bedrohung ihr Herkunftsland verlassen hat und nicht Frauen und Mädchen und sie zudem grö- des Opfers mit dem/der Täter*in, wieder- von Leben oder Freiheit, sondern um Ar- ßere Entscheidungsmacht haben. Männer holte Verhöre über denselben Sachverhalt, in der Lage oder nicht willens ist, dorthin beit oder eine Ausbildung zu finden, wegen zurückzukehren, weil eine ernsthafte Be- werden zum Beispiel für die gleiche Arbeit die Verwendung unangemessener Sprache einer Familienzusammenführung oder aus meist besser bezahlt und können sich freier oder unsensible Kommentare all jener, die drohung für ihr Leben oder ihre Freiheit anderen persönlichen Gründen. vorliegt. Geflüchete haben Anspruch auf bewegen als Frauen. Außerdem ist es Mäd- mit dem Opfer in Kontakt kommen, verur- Im Gegensatz zu Geflüchteten haben Per- chen und Frauen teilweise nicht erlaubt, in sacht werden. Schutz vor einer gewaltsamen Rückkehr in sonen mit Migrationsgeschichte keine ihr Herkunftsland (Prinzip der Nichtzurück- ihrem eigenen Namen zu handeln und Ent- Angst vor Verfolgung oder ernsthaftem scheidungen in Angelegenheiten zu treffen, weisung) und haben weitere Rechte und MEHRFACHE UND WIEDERHOLTE Schaden in ihren Heimatländern. Allerdings die sie betreffen. Dieses Ungleichgewicht Pflichten, die in der Konvention über die können sich undokumentierte Personen mit VIKTIMISIERUNG Rechtsstellung von Geflüchteten aus dem an Macht und Privilegien kann freilich zu Migrationsgeschichte in einer prekäreren Jahr 1951 festgelegt sind. Nach dem Verfah- einer systemischen Gewalt führen, die den Das Konzept der mehrfachen Viktimisie- Situation befinden als Asylsuchende oder ren zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus „schwächeren“ Teil benachteiligt. rung bezieht sich auf Opfer, die innerhalb Geflüchtete, was den Zugang zu Regulari- kann ein*e Geflüchtete*r den Flüchtlings- sierung, Wohnung und Arbeit angeht. eines bestimmten Zeitraums zwei oder status oder subsidiären Schutz in Anspruch OPFER-SCHULDZUWEISUNG mehr Verbrechen oder Gewalt verschiede- nehmen. GENDER ner Art erlitten haben. Opfer von wieder- ist eine abwertende Handlung, die das Op- holter Viktimisierung haben mehr als ein ASYLBEWERBER*IN fer teilweise oder ganz für die zu seinen Verbrechen verschiedener Art erlitten. bezieht sich auf die sozialen Unterschiede Lasten begangene Straftat verantwortlich zwischen Männern und Frauen, die erlernt macht. Diese Schuld kann in Form negati- ist eine allgemeine Bezeichnung für jeman- werden, im Laufe der Zeit veränderbar sind ver gesellschaftlicher Reaktionen von juris- den, der internationalen Schutz sucht. In und sowohl innerhalb als auch zwischen Kul- tischen, medizinischen und psychiatrischen einigen Ländern ist es ein rechtlicher Be- turen große Unterschiede aufweisen. Mit an- Fachleuten sowie von den Medien und un- griff, der sich auf eine Person bezieht, die deren Worten: Es ist die kulturelle Definition mittelbaren Familienmitgliedern und Be- den Flüchtlingsstatus beantragt hat und dessen, was es bedeutet, ein Mann oder eine kannten zum Ausdruck gebracht werden. noch keine endgültige Entscheidung über Frau zu sein. Es geht vor allem um die sozio- Gegen die Betroffenen von häuslicher Ge- ihren Antrag erhalten hat. Nicht jede*r Asyl- ökonomische Variable, um Rollen, Verantwort- walt und Sexualverbrechen gibt es oft Vor- suchende wird letztendlich als Flüchtling lichkeiten, Einschränkungen, Chancen und Be- urteile und eine größere Tendenz, diesen anerkannt. Ein*e Asylbewerber*in sollte je- dürfnisse von Männern und Frauen in jedem Opfern eher die Schuld zu geben als den doch nicht in sein*ihr Herkunftsland zurück- Kontext analysieren zu können. Es ist ein so- Täter*innen. geschickt werden, bevor der Asylantrag in ziales Konstrukt, während das Geschlecht ein einem fairen Verfahren geprüft wurde. biologisches Merkmal ist. 12 - - 13
EINFÜHRUNG IN DAS PROJEKT MEN STANDING UP FOR GENDER EQUALITY MFGE Das Projekt „Men Standing up for Gender Equality – MFGE“ be- fasst sich mit Gewalt an Frauen und geschlechtsspezifischer Ge- walt, insbesondere FGM/C und CEFM. Das Projekt zielt speziell darauf ab, Männer in die Bekämpfung von Gewalt an Frauen ein- zubinden. Um alle Formen von Gewalt nachhaltig zu beenden, müssen Männer, Frauen und Jugendliche ermutigt werden, die ungleichen Beziehungen zwischen Frauen und Männern zu hin- terfragen. Leider werden Männer von Sensibilisierungsprojekten, die auf die Gleichstellung der Geschlechter abzielen, nur unzu- reichend angesprochen. MFGE versucht, diese Lücke zu schlie- ßen. MFGE richtet sich an Männer in Unterkünften für Geflüchtete und Communitys mit Migrationsgeschichte in Hamburg, Berlin und Paris. Das Projekt spricht Männer für die Veränderung so- zialer Normen und Verhaltensweisen an, um die Toleranz gegen- über allen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt und Gewalt an Kindern auf der Grundlage der EU-Charta der Grundrechte, der UN-Kinderrechtskonvention und der Istanbul-Konvention zu beenden. MFGE wird von drei gemeinnützigen Organisationen der Zivil- gesellschaft und Menschenrechtsorganisationen umgesetzt. LESSAN e. V., TERRE DES FEMMES und Femmes Entraide et Autonomie sind alle erfahren in Community-basierten Ansätzen und gut vernetzt mit Gemeinschaften mit Flucht- und Migrati- onsgeschichte. Eine externe Evaluatorin, eine Soziologin, ist für die Projektevaluation verantwortlich. 14 - - 15
METHODOLOGIE Die Methodologie des Projekts basiert auf träger in den Zentren für Geflüchtete/Ge- dem Bericht von Sara Rafael Almeida5, in flüchtetencommunitys. Die Identifizierung dem Richtlinien und Erfolgsfaktoren für erfolgt durch Austausch zwischen den Mit- effektive Verhaltensänderungen auf der arbeiter*innen in den Flüchtlingsunterkünf- Grundlage von Verhaltenswissenschaften ten und den Vertreter*innen verschiedener vorgeschlagen werden. Dieser Ansatz wur- Communitys aus West-, Ost- und Nordafri- de bei der Konzeption des MFGE-Projekts ka, Syrien, Iran, Irak und Afghanistan sowie verwendet, um die Verhaltensursachen von anderen in den Unterkünften anwesenden geschlechtsspezifischer Gewalt, die Ziel- Gruppen. gruppen der Maßnahmen, die Zielverhal- tensweisen, mit denen sich das Projekt be- Die CHANGE-Mediatoren sind Mitglieder fassen soll, und Verhaltenshebel innerhalb dieser Gruppen. Sie repräsentieren unter- der Communitys zu identifizieren, die Ver- schiedliche Herkunfts- und Alterskategorien, ZIELSETZUNGEN änderungen zu fördern vermögen. um eine transkulturelle und generationen- übergreifende Kommunikation zu ermögli- Die Verhaltensursachen von geschlechts- chen. Allen gemeinsam ist der Glaube an die • Einbindung von Männern in die Bekämpfung von FGM/C und spezifischer Gewalt, die erkannt wurden, Abschaffung von geschlechtsspezifischer CEFM als Formen geschlechtsspezifischer Gewalt durch Capa- sind: Patriarchat, ungleiche Geschlechter- Gewalt, insbesondere FGM/C und CEFM, city Building; verhältnisse, Verweigerung der Rechte von die Ablehnung von Gewalt an Frauen und Mädchen und Frauen, ungleiche Chancen Kindern und breite soziale Netzwerke, um • Veränderung sozialer Normen und Verhaltensweisen, um ge- für Frauen und Männer, Armut, soziale Nor- durch ihre Aktivitäten Wissen zu vermitteln. schlechtsspezifische Gewalt an Kindern durch Präventionsarbeit men und Kultur. Das Projekt richtet sich Die externe Evaluierung des Projekts wurde in Unterkünften für Geflüchtete und betroffenen Communitys zu insbesondere an Männer, Communitys, ein- einer Wissenschaftlerin und Soziologin an- verringern; schlägige Fachkräfte und die breite Öffent- vertraut. Die Evaluierung wird sich auf die lichkeit. Die identifizierten Zielverhaltens- Qualität und die Auswirkungen der Aktivi- • Unterstützung von Geflüchteten und Menschen mit Migrati- weisen sollen der sozialen und kulturellen täten konzentrieren. Sie wird die Sensibilisie- onsgeschichte, um sich über geschlechtsspezifische Gewalt be- Toleranz gegenüber Gewalt an Mädchen rungsaktivitäten, die Schulungen der Fach- wusst zu sein und ihre Rechte durchzusetzen; und Frauen ein Ende setzen, Männer in Prä- leute, die Social-Media-Kampagne und alle ventionsmaßnahmen einbeziehen, mehr Projektergebnisse umfassen. • Sensibilisierung von Fachkräften, die mit Geflüchteten arbei- Männer dazu bringen, Stellung zu beziehen ten, für die Notwendigkeit, sich über geschlechtsspezifische Ge- und die Rechte von Mädchen und Frauen AKTIVITÄTEN walt zu informieren und interkulturelle Kompetenz zu erlangen, im privaten und öffentlichen Bereich ver- um gefährdete Mädchen und Frauen besser zu unterstützen und teidigen, Fachkräfte mit Betroffenen auf Die Aktivitäten zielen darauf ab, 30 männli- schützen zu können. kulturell sensible Weise interagieren lassen che CHANGE-Mediatoren zu finden und zu und re-traumatisierende Situationen erken- schulen, 1.500 Geflüchtete und Personen nen und vermeiden. mit Migrationsgeschichte durch bewusst- seinsbildende Maßnahmen zu stärken und Für einen wirksamen Ansatz zur Realisie- wichtige Fachkräfte, die mit Geflüchteten, rung des oben Angesprochenen ist eine Asylsuchenden und Menschen mit Mig- gute Kenntnis der Communitys, der Akteu- rationsgeschichte arbeiten, zu sensibili- re und der Machtdynamiken, der Realitäten, sieren. Eine Social-Media-Kampagne soll Möglichkeiten, Bedürfnisse und Zwänge eine Wirkung auf 10.000 Menschen in den notwendig und muss mit den Communitys Ziel-Communitys haben. Gender und Kin- definiert werden. derrechte werden in MFGE von der Kon- zeption bis zur Evaluierung berücksichtigt. Die Arbeit umfasst die Identifizierung der wichtigen Akteure und Entscheidungs- (.5) SARA RAFAEL ALMEIDA JOANA SOUSA LOURENÇO FRANÇOIS J. DESSART EMANUELE CIRIOLO (2016): INSIGHTS FROM BEHAVIOURAL SCIENCES TO PREVENT AND COMBAT VIOLENCE AGAINST WOMEN- HTTP://PUBLICATIONS.JRC.EC.EUROPA.EU/REPOSITORY/BITSTREAM/JRC103975/LBNA28235ENN.PDF (11/2018) 16 - - 17
PROJEKT- PARTNER*INNEN Das MFGE-Projekt wird von einer Partner- schaft dreier gemeinnütziger zivilgesell- schaftlicher und Menschenrechtsorganisa- tionen durchgeführt, die FGM/C und CEFM als Formen von GBV in zwei EU-Mitglied- staaten bekämpfen. Sie sind alle erfahren in Community-basierter Arbeit und sehr gut mit den lokalen Communitys mit Migrati- onsgeschichte verbunden. LESSAN E. V., PROJEKTKOORDINATOR, ist ein gemeinnütziger Verein, der die sozia- le und berufliche Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte durch transkultu- relle und künstlerische Projekte sowie Filme zu geschlechtsspezifischer Gewalt fördert. TERRE DES FEMMES Die Schwerpunkte von LESSAN sind die Sen- MENSCHENRECHTE FÜR DIE sibilisierung der betroffenen Communitys FRAU E. V., PROJEKTPARTNER, für Folgendes: weibliche Genitalverstümme- lung/-beschneidung, Gewalt an Frauen und ist die führende deutsche gemeinnützige Mädchen, Rassismus und Diskriminierung so- FEMMES ENTRAIDE ET AUTONOMIE - Frauenrechtsorganisation und erfahren in wie die Schulung von Fachkräften verschie- FEA, PROJEKTPARTNERIN, der Koordination und Umsetzung erfolgrei- dener Institutionen zu diesen Themen. cher EU-Projekte gegen geschlechtsspezi- ist eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in fische Gewalt, wie CHANGE, CHANGE Plus Um betroffene Mädchen und Frauen bes- Frankreich. FEA hat es sich zur Aufgabe und Let’s CHANGE als Koordinatorin sowie ser zu schützen, initiierte die Gründerin von gemacht, die Integration von Menschen mit UEFGM und Gender ABC als Partnerin. LESSAN e. V. im Jahr 2018 den Schutzbrief Migrationsgeschichte in Frankreich zu för- „Erklärung gegen weibliche Genitalver- dern und die Gesundheit und Rechte von TERRE DES FEMMES unterstützt Mädchen stümmelung/-beschneidung in Hamburg“ Mädchen und Frauen in Frankreich und da- und Frauen durch Fürsprache und Öffent- in Zusammenarbeit mit den Ministerien für rüber hinaus zu unterstützen. FEA versucht, lichkeitsarbeit, Kampagnen- und Lobby- Justiz, für Arbeit, Soziales, Familie und Inte- den Zugang zu Rechten, Gesundheitsfür- arbeit, internationale Vernetzung und die gration, für Inneres und Sport sowie für Ge- sorge und Dienstleistungen sowie Kultur Förderung von Einzelprojekten. Die Kern- sundheit und Verbraucherschutz der Freien für Frauen und Jugendliche zu verbessern, themen von TDF sind FGM/C, CEFM, Eh- und Hansestadt Hamburg. insbesondere für diejenigen mit Migrations- renverbrechen, Frauenhandel und Prostitu- LESSAN betreibt aktive Lobbyarbeit auf in- tion sowie häusliche und sexuelle Gewalt. geschichte. Die Organisation setzt sich für ternationaler, nationaler und lokaler Ebene, die Gleichstellung der Geschlechter und die um die Situation der betroffenen Frauen zu Sensibilisierung für sexistische und sexuelle MFGE wird weiterhin von der öffentlichen verbessern. Die Organisation wurde im Okto- Gewalt ein. Die Aktivitäten von FEA betref- Hand unterstützt: dem Bundesministerium ber 2020 für den nationalen Integrationspreis fen Aufnahme, Information und Orientie- für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Bundeskanzlerin nominiert. Mit dem Bun- rung, Bewusstseinsbildung und Training. (BMFSFJ) in Deutschland und dem Bür- desministerium für Familie, Senioren, Frauen germeister von Paris 19 in Frankreich. Sie und Jugend initiierte LESSAN den deutsch- FEA setzt sich für die Abschaffung der engagieren sich für die Verbreitung der landweiten Schutzbrief gegen FGM/C. Der schädigenden Praktiken von FGM/C und Ergebnisse in der Öffentlichkeit oder bei Schutzbrief wurde am 05.02.2021 zum inter- CEFM innerhalb der Diaspora-Communitys Fachleuten, für die Kommunikation über nationalen Tag zero Toleranz gegen FGM/C in Frankreich ein und baut Brücken zu den das Projekt und die entwickelten guten veröffentlicht. Herkunftsländern, um nachhaltige Verän- Praktiken sowie für die Moderation und derungen zu erreichen. Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen. 18 - - 19
ZIELSETZUNGEN • Sensibilisierung von Fachkräften für geschlechtsspezifische Gewalt, die insbesondere weibliche Geflüchtete und Frauen und Mädchen mit Migrationsgeschichte betrifft, mit Schwer- ZIELE UND punkt auf FGM/C und CEFM; VORGABEN DES • Entwicklung eines Verständnisses für die sozialen, kulturel- len, psychologischen und wirtschaftlichen Herausforderun- gen für asylsuchende Frauen, ebenso wie für etwaige Konse- AUSBILDUNGSHANDBUCHS quenzen für den Ausgang des Asylverfahrens; • Fachkräfte, die mit Asylsuchenden, Geflüchteten und Perso- kundäre Viktimisierung sensibilisiert bzw. nen mit Migrationsgeschichte arbeiten, in die Lage zu verset- In Fragen der Gewalt im Allgemeinen und der Gewalt an Frauen und Mädchen im Be- diese vermieden werden. Geschlechts- zen, die Bedürfnisse von Betroffenen sowie von Mädchen und sonderen ist die Ausbildung von Fachkräf- spezifische Gewalt wird von geflüchte- Frauen, die von GBV, insbesondere von FGM/C und CEFM be- ten häufig eine wichtige Empfehlung von ten Frauen zu wenig gemeldet. Dies liegt droht sind, zu erkennen und darauf zu reagieren; Organisationen der Zivilgesellschaft sowie zum Teil an der Angst vor einer sekundä- von nationalen und europäischen Stellen. ren Traumatisierung. Wenn Frauen, die von • die eigene Sicht auf die Welt zu erkunden und interkulturelle Um Gewalt an Frauen zu verhindern, emp- geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen Kompetenzen als Schlüsselfachkraft zu erlangen. fiehlt die Istanbul-Konvention, Fachkräfte sind, ihre Geschichte mehreren Fachleuten auszubilden, die mit Betroffenen aller For- oder Freiwilligen erzählen, könnte dies ihrer Die Schulungen richten sich an Fachkräfte, die mit Asyl- men von Gewalt an Frauen Kontakt haben psychischen Gesundheit abträglich sein. suchenden, Geflüchteten und Personen mit Migrationsge- (Artikel 15), einschließlich Zwangsverheira- Sie mögen sich um die Konsequenzen für schichte arbeiten. tung und FGM/C. den Ausgang ihres Antrags sorgen, wenn sie es nicht tun. Auch können sie mit einer opferverachtenden Haltung von Fach- Durch die Schulung von Fachkräften aus kräften oder ihren Familien konfrontiert den Bereichen Medizin, Soziales, Asyl, werden. Schulungen für Fachkräfte sind Recht und Strafverfolgung sowie von auch hilfreich, um das Bewusstsein für die Beamt*innen der Einwanderungsbehörde Gewährleistung von Informations- und Ver- soll die Qualität der Dienstleistungen für traulichkeitsrechten und die Notwendigkeit Frauen und Mädchen, die von geschlechts- zu schärfen, in ihrer täglichen Arbeit mit spezifischer Gewalt betroffen oder bedroht geflüchteten Frauen und Frauen mit Migra- sind, sichergestellt, ein überlebenden-zen- tionsgeschichte die Würde der Betroffenen trierter Ansatz erworben und für eine se- zu respektieren. 20 - - 21
HINWEIS FÜR KURSLEITER*INNEN • Das Schulungshandbuch kann verwendet werden: - Von Projektmitarbeiter*innen zur Ausbildung von Fachkräften, die im So- zial-, Gesundheits- und Bildungsbereich sowie in Aufnahmezentren, Schutz- räumen und außerhalb dieser Einrichtungen mit weiblichen Geflüchteten so- wie Frauen und Mädchen mit Migrationsgeschichte Kontakt haben; - Von Fachkräften selbst, um Kenntnisse über geschlechtsspezifische Gewalt und die Herausforderungen, denen Betroffene begegnen, zu erwerben und für interkulturelle Kompetenz sensibilisiert zu werden. • Das Handbuch umfasst 8 Module, die in 3 Hauptteile unterteilt sind. Die Module sind voneinander unabhängig. Es ist nicht nötig, die Reihenfolge der Module strikt einzuhalten. • Richten Sie Ihre Schulungseinheiten nach den Bedürfnissen und Interes- sen Ihrer Teilnehmer*innen aus. Der*die Ausbilder*in kann sich dafür ent- scheiden, die Ausbildung nur in den Modulen durchzuführen, die für das Aus- bildungspublikum am relevantesten sind. • Passen Sie Ihre Schulung dem nationalen Kontext an. In der Vorberei- tungsphase müssen die Ausbilder*innen möglicherweise zusätzliche Recher- chen zu länderspezifischen Ressourcen, rechtlichen Informationen und Daten durchführen, um die Entwicklung des Ausbildungsplans zu unterstützen. • Ihre Ausbildung muss interaktiv sein! Einige Kapitel enthalten praktische Übungen, die darauf abzielen, das Bewusstsein zu schärfen und das Engage- ment der Teilnehmer*innen zu fördern. • Seien Sie kreativ! Sie können sich etwa dazu entschließen, mehr zu recher- chieren und neue praktische Übungen, kurze Videos, Eisbrecher sowie Ener- gizer zu finden. Auch sollte der*die Ausbilder*in den Teilnehmer*innen Schu- lungsunterlagen und zusätzliches Material zur Verfügung stellen. • Das Handbuch enthält Boxen mit zusätzlichen Themen zu Information und Reflexion, die während des Trainings entwickelt oder als Handouts verwendet werden können. • Bitten Sie die Teilnehmer*innen, am Ende der Schulung einen Auswertungsfragebogen auszufüllen. Dies wird Ihnen dabei behilflich sein, herauszufinden, wie Sie sich für Ihre nächste Session verbessern und anpas- sen können. • Laden Sie für bestimmte Module, die nicht Ihr Fachgebiet sind, z. B. Post- traumatische Belastungsstörung (PTSD), Re-Traumatisierung, transkulturelle Kompetenz usw., externe Expert*innen ein. 22 - - 23
ZIELSETZUNGEN • Bestandsaufnahme des vorhandenen Wissens über ver- schiedene Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt, die Geflüchtete und Frauen und Mädchen mit Migrationsge- schichte betreffen; • Erwerb von zusätzlichem Wissen über FGM/C, CEFM und die Zusammenhänge zwischen beiden Praktiken; • Besseres Verständnis der sozialen, kulturellen, pschologi- schen und ökonomischen Herausforderungen für Mädchen PARTI I und Frauen in ihrem Asylverfahren und die Auswirkungen dieser Herausforderungen auf ihren Antrag. SENSIBILISIERUNG FÜR FORMEN VON RAISING TEIL GESCHLECHTSSPEZIFI- AWARENESS SCHER GEWALT, ON DIEFORMS GEFLÜCHTETE OF GBV AFFECTING FRAUEN UND FRAUEN MIT REFUGEE AND MIGRATIONSGESCHICHTE MIGRANT WOMEN. BETREFFEN. FOCUS ON FGM/CAUF SCHWERPUNKT ANDFGM/C CEFM UND CEFM 24 - - 25
MODUL 1 Tabelle 2. Folgen von geschlechtsspezifischer Gewalt PHYSISCH SEXUELLE UND REPRODUKTIVE PSYCHISCH SOZIAL UND WIRT- SCHAFTLICH GESUNDHEIT GESCHLECHTSSPEZIFISCHE GEWALT WIE VIEL DISKUSSION WISSEN WIR ÜBER Der/die Ausbilder*in vervollständigt die von den Teilnehmer*innen gegebenen Informationen (siehe Anhang 2). Hier ist es interessant zu verstehen, wie sich physische, psychische und so- ziale Folgen überschneiden. Einige Folgen richten keinen größeren Schaden an als andere. Es GESCHLECHTSSPEZIFISCHE ist wichtig zu verstehen, wie Frauen Gewalt erleben, um adäquate Hilfe anbieten zu können. Frauen mit Behinderungen sind anfälliger für Gewalt. Sie sind einem höheren Risiko physi- scher und sexueller Übergriffe ausgesetzt, da sie sich weniger schützen können. GEWALT? Tabelle 3. Rechtlicher Rahmen INTERNATIONAL EUROPA NATIONAL/LOKAL GESCHLECHTERSPEZIFISCHE GEWALT FGM/C AKTIVITÄT 1 CEFM ANWEISUNGEN: DISKUSSION Der*die Ausbilder*in fertigt Kopien der folgenden 3 Tabellen mit Formen und Konse- quenzen von geschlechtsspezifischer Gewalt und der rechtlichen Rahmenbedingungen Der/die Kursleiter*in vervollständigt die von den Teilnehmer*innen gegebenen Informationen an. Er*sie teilt die Teilnehmer*innen in Gruppen ein. Jede Gruppe erhält ein Muster der 3 (siehe Anhang 3). Auf europäischer Ebene spricht die Istanbul-Konvention FGM und CEFM Tabellen. Die Gruppen haben 15 Minuten Zeit, um die Tabellen auszufüllen. direkt an. Die Konvention verlangt von den Mitgliedstaaten, rechtliche, psychologische, ge- sundheitliche und soziale Dienste, leicht zugängliche Schutzräume und Überweisungsstel- len in ausreichender Zahl für Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt bereitzustellen. Tabelle 1. Formen von GBV Die Vertragsstaaten sollen die Ausbildung von Fachkräften sicherstellen. Für geflüchtete Frauen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, sollte die Umsetzung der Konvention sicherstellen, dass sowohl das Asylverfahren als auch die Unterstützungsdienste PSYCHISCHE UND SCHÄDLICHE geschlechtssensibel sind. PHYSISCHE SEXUELLE WIRTSCHAFTLICHE EMOTIONALE GE- TRADITIONELLE GEWALT GEWALT GEWALT WALT PRAKTIKEN STAAT/POLITISCH COMMUNITY/ UMWELT Die Istanbul-Konvention definiert geschlechtsspezifische Gewalt als Gewalt, die sich FAMILIE/ EINZELPERSON gegen eine Frau richtet, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft. DISKUSSION Zu den Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt gehören patriarchalische Gesellschaf- ten, Sexismus, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, aber auch Konflikte und Kri- Der/die Kursleiter*in vervollständigt die von den Teilnehmer*innen gegebenen Informationen sen, Armut und fehlende Existenzgrundlagen, wirtschaftliche Abhängigkeit von Frauen, (siehe Anhang 1), leitet die Teilnehmer*innen an, Verbindungen herzustellen und die Tatsache mangelnde Bildung, kulturelle Normen und Akzeptanz von Gewalt an Frauen. Die Risiko- zu erkennen, dass FGM/C und CEFM verschiedene Formen von Gewalt umfassen und dass faktoren hängen mit den biologischen und persönlichen Eigenschaften, der Familie, der sich in einigen Communitys beide Praktiken überschneiden. Community und den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Staates zusammen. 26 - - 27
MODUL 2 nen, Schaben oder andere verletzende Eingriffe an Klitoris und/oder Schamlippen FGM/C hat lebenslange und schädliche Folgen für die betroffenen Mädchen und Frauen. Die Folgen können physisch und/oder psychisch FGM/C ist eine uralte Praxis, die rund um den sein. Globus verbreitet ist. Die Praxis scheint vor den großen monotheistischen Religionen in den Re- Physisch HINTERGRUNDINFORMATIONEN gionen aufgetaucht zu sein, die heute Ägypten und dem Sudan entsprechen. Ägyptische Mu- mien sollen Spuren tragen, die den Akt bezeu- • starke Schmerzen • Blutungen, die zum Tod führen können ZU FORMEN VON gen. Die Praxis ist stark in Bräuchen und Traditi- onen verwurzelt und wird in vielen Ländern der Welt, von bestimmten Ethnien in den Herkunfts- • Tetanus • Harnverhaltung • Probleme während der Menstruation GESCHLECHTSSPEZIFISCHER GE- ländern und von Menschen mit Migrationsge- schichte aus Gemeinschaften, die diese Praxis • Geburtsfisteln • Kaiserschnitte und Tränen bei der Geburt • fötale Leiden unterstützen, vorgenommen. Schätzungsweise WALT, DIE GEFLÜCHTETE FRAUEN 200 Millionen der heute lebenden Mädchen und Frauen erlitten in 31 Ländern der Welt • Schmerzen beim Geschlechtsverkehr • Keloidbildung FGM/C (siehe Karte Anhang 5). Nach Schät- • Sterilität UND FRAUEN MIT zungen von UNFPA sind bis 2030 weitere 68 Millionen Mädchen und Frauen von dieser Praxis • Hepatitis B und C • HIV/AIDS gefährdet. • usw. MIGRATIONSGESCHICHTE URSACHEN VON FGM/C Psychisch: BETREFFEN FGM/C ist eine soziale Norm in den Communitys, die sie praktizieren. In diesen Communitys sichert • Komplikationen sind häufig, und zwar unab- hängig vom Alter, in dem eine Genitalverstüm- FGM/C die soziale Integration, das Gefühl der Iden- melung/-beschneidung vorgenommen wird. tität, der kulturellen Zugehörigkeit und der Heirats- Diese Komplikationen führen oft zu fähigkeit. Die Nichtdurchführung von FGM/C führt • Schock zu Ablehnung und Entfremdung. FGM/C ist ein Ta- • Verhaltensproblemen buthema. In den Communitys und Familien wird es • Anzeichen von Angst nicht diskutiert. Die Betroffenen sprechen nicht dar- • Depression, Traumata über, weil es etwas sehr Intimes ist. • chronischer Reizbarkeit Es werden viele Gründe angeführt, um FGM/C zu • Angst vor und Ablehnung des rechtfertigen. Der Hauptgrund ist die Kontrolle der Geschlechtsverkehrs Sexualität von Mädchen und Frauen. Manche glau- • usw. WEIBLICHE GENITALVERSTÜMME- LUNG/-BESCHNEIDUNG ben, dass FGM/C den Sexualtrieb von Mädchen re- Es gibt vier Arten von FGM/C, die von der duziert. Es soll sie davon abhalten, vor der Ehe Sex WHO klassifiziert werden (siehe Anhang 4) zu haben. Wenn sie dann verheiratet sind, werden sie EINFÜHRUNG keine außerehelichen Beziehungen haben. • Typ I: Beschneidung der Vorhaut und eines Weibliche Genitalverstümmelung/-beschnei- Teils oder der gesamten sichtbaren Klitoris Weitere Gründe sind zurückzuführen auf: dung (Female Genital Mutilation/Cutting, FGM/C) beschreibt die verschiedenen Arten • Typ II: Beschneidung von Vorhaut und Klitoris • Religion FGM/C IN FRANKREICH von Verstümmelungen, die an weiblichen Ge- zusammen mit teilweiser oder vollständiger Be- • Reinheit UND DEUTSCHLAND nitalorganen vorgenommen werden. FGM/C schneidung der inneren Schamlippen • Hygiene ist eine Form von Gewalt am weiblichen Körper • Schönheit In Frankreich wird die Zahl der von FGM/C betrof- und eine Verletzung der Grundrechte von Mäd- • Typ III: Infibulation: Beschneidung eines Teils • Aberglaube fenen Frauen und Mädchen auf 124.355 (2019)6 ge- chen und Frauen. oder der gesamten äußeren Genitalien und Nä- • Vorbereitung auf die Ehe schätzt. 12 bis 21 % der Mädchen im Alter von 0 bis hen/Verengen des Scheideneingangs • usw. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) defi- 18 Jahren, die in ihrem Herkunftsland oder in Frank- niert FGM/C folgendermaßen: „alle Verfahren, reich geboren sind und aus FGM/C-praktizierenden • Typ III: Infibulation: Beschneidung eines Teils DIE FOLGEN die eine teilweise oder vollständige Entfernung Ländern stammen, sind von FGM/C bedroht7. oder der gesamten äußeren Genitalien und Nä- der äußeren weiblichen Genitalien oder eine an- In Deutschland sind schätzungsweise 75.000 Frau- hen/Verengen des Scheideneingangs FGM/C wird je nach Community in verschiede- dere Verletzung der weiblichen Genitalien aus en von FGM/C betroffen, und 20.000 Mädchen nicht-medizinischen Gründen umfassen“. nen Altersstufen vorgenommen. sind gefährdet8. • Typ IV: Stechen, Piercen, Einschneiden, Deh- (.6) LESCLINGAND M, ANDRO A, LOMBART T. ESTIMATION DU NOMBRE DE FEMMES ADULTES AYANT SUBI UNE MUTILATION GÉNITALE FÉMININE VIVANT EN FRANCE. BULL EPIDÉMIOL HEBD. 2019;(21):392-9. HTTP://BEH.SANTEPUBLIQUEFRANCE.FR/BEH/2019/21/2019_21_1.HTML (.7) ESTIMATION OF GIRLS AT RISK OF FEMALE GENITAL MUTILATION IN THE EUROPEAN UNION BELGIUM, GREECE, FRANCE, ITALY, CYPRUS AND MALTA, EIGE, 2014 28 - (.8) HTTPS://WWW.FRAUENRECHTE.DE/IMAGES/DOWNLOADS/FGM/TDF_DUNKELZIFFERSTATISTIK-2020-MIT-BUNDESLAENDER.PDF - 29
In beiden Ländern gilt FGM/C als Straftat und einschließlich Frankreich und Deutschland, die Zwangsverheiratung wird definiert als „jede Ehe, Die Ehe basiert auf der freien Zustimmung der wird gesetzlich bestraft. Strafverfolgung durchführen kann, wenn FGM/C die ohne die volle und freie Zustimmung einer Ehepartner. Beide haben das Recht zu wählen, In Frankreich wird FGM/C mit bis zu 10 Jahren Ge- außerhalb ihrer Grenzen begangen wird. oder beider Parteien geschlossen wird und/oder wen und wann sie heiraten wollen. Als Zwangs- fängnis und einer Geldstrafe von bis zu 150.000 bei der eine oder beide Parteien aufgrund von ehe gilt jede Verbindung, ob zivilrechtlich, re- Euro belegt. Die Haftstrafe beträgt bis zu 15 Jah- Fachkräfte müssen jedes FGM/C-Risiko melden. Zwang oder starkem sozialen oder familiären ligiös oder gewohnheitsrechtlich, bei der eine ren, wenn FGM/C an einem Kind unter 15 Jahren In Frankreich werden Fachkräfte oder andere Druck nicht in der Lage sind, die Ehe zu beenden oder beide Personen bedroht und/oder Gewalt vorgenommen wird, und bis zu 20 Jahren, wenn Bürger*innen, die die Gefahr eines von Geni- oder den Partner zu verlassen“ (Jahresbericht ausgesetzt wurden, um sie zur Heirat zu zwin- sie von einem/r Angehörigen oder einer Person talverstümmelung bedrohten Mädchens nicht des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, gen. Solche Gewalt und Drohungen können sich begangen wird, die Autorität für das Kind hat. melden, unabhängig davon, ob die Verstümme- 2014). gegen den Betroffenen oder gegen eine ihm na- FGM/C wird in Deutschland mit einer Freiheits- lung in Frankreich oder im Ausland vorgesehen hestehende Person richten. strafe zwischen einem und 15 Jahren bestraft (§ ist (Artikel 223-6 des Strafgesetzbuchs), wegen CEFM ist eine verletzende Praxis. Jungen und 226a Strafgesetzbuch - StGB). Seit 2015 findet Nichtunterstützung einer gefährdeten Person junge Männer können zwar auch Betroffene sein, Nötigung liegt auch dann vor, wenn die Person deutsches Strafrecht etwa bei vorübergehen- strafrechtlich verfolgt. doch trifft sie unverhältnismäßig viele Frauen und aufgrund ihres jungen Alters oder einer besonde- dem Verbringen einer in Deutschland lebenden Mädchen. Nach jüngsten UNICEF-Daten werden ren Verletzlichkeit nicht in der Lage ist, ihre Zu- Tochter ins Ausland zum Zweck der Genitalver- schätzungsweise 12 Millionen Mädchen jedes stimmung zu geben. Aus diesem Grund sind frü- stümmelung/-beschneidung weiterhin Anwen- Jahr verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt sind. Dies he Ehen (vor dem 18. Lebensjahr) Zwangsehen. dung (§ 5 Abs. 9a lit. b StGB). Seit 2016 kann entspricht 23 Mädchen pro Minute oder einem Personen, die mit Mädchen oder Frauen ins Aus- Mädchen alle zwei Sekunden – Mädchen (und Der Zwang zur Heirat kann von einem oder bei- land zu reisen beabsichtigen, um dort FGM/C KINDER-, FRÜH- UND junge Frauen), die zu früh und zu jung verhei- den Elternteilen, anderen Familienmitgliedern, vorzunehmen, der Reisepass entzogen werden ZWANGSVERHEIRATUNG ratet werden und dadurch in ihrer persönlichen dem zukünftigen Ehemann und/oder den zu- (§ 8 i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 11 - PassG). Aus dem- Entwicklung, ihrer Gesundheit und in ihrem allge- künftigen Schwiegereltern ausgeübt werden. selben Grund kann ihnen die Ausstellung eines EINLEITUNG meinen Wohlbefinden gefährdet werden (siehe Reisepasses verweigert werden (§ 7 Abs. 1 Nr. 11 Karte CEFM weltweit. Anhang 6). Dieser Zwang wird durch verschiedene Mittel PassG). „Kinderehe“ ist eine formelle Ehe oder eine in- ausgeübt, die oft kumulativ und wiederholend formelle Verbindung, bei der mindestens eine Zwangsverheiratung ist eine schwere Verletzung sind. Er kann körperliche, sexuelle, psychologi- Da Frauen und Mädchen, die in der EU leben, der Parteien ein Kind ist. der Menschenrechte von Frauen und Mädchen. sche oder verbale Gewalt beinhalten; Kontrolle möglicherweise in das Herkunftsland ihrer El- Sie ist eine der Formen von Gewalt, die speziell und Verbote, um die gefährdete Person zu iso- tern oder in ein Drittland gebracht werden, um „Frühehe“ ist oftmals eine „Kinderverheira- gegen Frauen gerichtet ist, sie unverhältnismäßig lieren; die Verwendung falscher familiärer, emo- FGM/C unterzogen zu werden, ist das Prinzip tung“ und bezieht sich auf Ehen, an denen eine stark betrifft, und die im Übereinkommen des tionaler, kultureller und/oder religiöser Rechtfer- der Extraterritorialität von größter Bedeutung, Person unter 18 Jahren beteiligt ist, und zwar in Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von tigungen; Täuschung, um die gefährdete Person damit die Mehrheit der europäischen Staaten, Ländern, in denen die Volljährigkeit früher oder Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt (Istan- zu überzeugen, sich ins Ausland zu begeben. bei der Heirat erreicht wird. bul-Konvention) anerkannt ist. Darüber hinaus tritt Zwangsverheiratung oft im Kontext anderer bereits bestehender Formen An einer Zwangsverheiratung können Frauen von Gewalt in der Familie auf. und Männer beteiligt sein. Mädchen und Frauen sind jedoch der größte Teil der Betroffenen. In Manche Familien greifen auf emotionale Er- gesellschaftlichen Kontexten, die durch unglei- pressung und Schuldgefühle zurück, um eine che Geschlechterrollen geprägt sind, werden die Zwangs- oder Frühverheiratung durchzusetzen. WORTE SIND WICHTIG Auswirkungen auf das Leben von Mädchen und Daher ist es wichtig, die betroffene oder gefähr- Frauen zudem noch verschärft. So sind sie von dete Person daran zu erinnern, dass dies nicht FGM/C ist ein Tabuthema in den Communitys, die sie praktizieren. Wie an- Vergewaltigung in der Ehe, häuslicher und inner- ihre Schuld ist. Loyalitätskonflikte gegenüber der familiärer Gewalt, frühen und/oder ungewollten Familie zählen zu den Hindernissen, mit denen dere Themen, die mit Sexualität und Intimität zu tun haben, wird sie in den Schwangerschaften, der Zuweisung der Rolle als Menschen, die von Zwangs- und/oder Frühver- Familien nicht besprochen. Im europäischen Kontext befinden sich Mäd- Ehefrau und Mutter, Schulabbruch usw. betrof- heiratung bedroht und damit konfrontiert sind, chen und Frauen im Allgemeinen in einem Loyalitätskonflikt zwischen der fen. sind sie doch hin- und hergerissen zwischen Kultur ihrer Familien und den Rechten in ihren Geburts- oder Wohnsitz- ländern. Die Identität der Mädchen und Frauen ist nicht darauf beschränkt, ihrer Lebensauffassung und den familiären Ver- An Zwangsverheiratungen können Minderjähri- pflichtungen. Diese Art von Gewalt ist schwer zu von FGM/C betroffen zu sein. Sie weigern sich, sich als Frauen zu definie- ge und Erwachsene beteiligt sein. Wenn Minder- melden. Die meisten Betroffenen oder gefährde- ren, die beschnitten worden sind. Das Vokabular, das wir verwenden, um jährige aufgrund ihres Alters nicht zivilrechtlich ten Mädchen/Jungen werden sich einer Fach- die Betroffenen (Betroffene/Opfer) oder die Ausübung (Verstümmelung/ verheiratet werden können, sind sie der Gefahr kraft anvertrauen, indem sie andere Probleme an- Beschneidung/kulturelle Bezeichnung) zu benennen, ist wichtig. Mit die- religiöser oder gewohnheitsmäßiger Ehen ausge- sprechen. sen Themen muss sehr sensibel umgegangen werden. Um eine Sekun- setzt. Sie können auch Betroffene einer Zwangs- där-/Retraumatisierung zu vermeiden, kann die Fachkraft die Frauen fra- heirat in einem Land sein, in dem das gesetzliche Zwangsverheiratungen hat es schon immer auf gen, welche Worte sie für die Benennung bevorzugen. Heiratsalter unter 18 Jahren liegt. Auch kommt allen Kontinenten gegeben. Sie sind nicht typisch es vor, dass sie in sehr jungem Alter zur Ehe ver- für eine bestimmte Kultur oder Religion. sprochen werden. 30 - - 31
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