13.- 29.5.21 stuecke.de - Stadt Mülheim an der Ruhr

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13.- 29.5.21 stuecke.de - Stadt Mülheim an der Ruhr
13.–
       29.5.21
   stuecke.de
13.- 29.5.21 stuecke.de - Stadt Mülheim an der Ruhr
46.MTT
                                                                                                                             

Willkommen                                                                        Stücke                                     KinderStücke
                                                                                  14   Reich des Todes                       42    Bär im Universum
Liebe Freundinnen und Freunde der                                                      Rainald Goetz                               Dea Loher
„Stücke“,                                                                              Deutsches Schauspielhaus Hamburg            Staatstheater Kassel

                                                                                  18   9/26 – Das Oktoberfestattentat        46    Das Leben ist ein Wunschkonzert
unter allen Theaterfestivals haben die    Begegnungen ermöglicht. Jetzt wech-          Christine Umpfenbach
                                                                                       Münchner Kammerspiele
                                                                                                                                   Esther Becker
                                                                                                                                   Grips Theater Berlin
Mülheimer Theatertage in Pandemie-        seln wir in den digitalen Raum. Am
                                                                                  22   Stummes Land                          52    Megafad oder Der längste
zeiten vielleicht noch die besten Kar-    Spielplan – nun für Streamings – hal-        Thomas Freyer                               Nachmittag des Universums
ten – geht es doch in Mülheim seit 46     ten wir fest.                                Staatsschauspiel Dresden                    Bernhard Studlar
Jahren in erster Linie um Stücke, nicht                                           26   Erste Staffel.
                                                                                                                                   Theater Erlangen

um Inszenierungen. Auch wenn Stücke       Auch wenn wir auf die Gastspiele             20 Jahre Großer Bruder                54    Löwenherzen
natürlich auf die Bühne gehören, so       verzichten müssen: Die „Stücke 2021“         Boris Nikitin
                                                                                       Staatstheater Nürnberg
                                                                                                                                   Nino Haratischwili
                                                                                                                                   Consol Theater Gelsenkirchen
bleiben uns im Fall von geschlossenen     finden statt. Es wird die Wettbewerbe
                                                                                  30   Und sicher ist mit mir                60    Time Out
Theatern immer noch die für Mülheim       geben und die öffentlich geführten           die Welt verschwunden                       Christina Kettering
entscheidenden Texte.                     Jurydebatten. Sie werden Gelegenheit         Sibylle Berg                                Comedia Theater Köln
                                                                                       Maxim Gorki Theater Berlin
                                          haben, die Autor:innen in umfangrei-
Die Auswahlgremien haben im ver-          chen Filmporträts kennenzulernen. Sie   34   Der goldene Schwanz                   Festival Plus
gangenen Jahr unter erschwerten           werden Aufzeichnungen von Auffüh-            Rebekka Kricheldorf
                                                                                       Staatstheater Kassel                  66    Überblick
Bedingungen ihre Arbeit getan, unter      rungen sehen können. Und wir laden                                                 67    Filmporträts
                                                                                  38   Tragödienbastard                      68
freudloseren als sonst. Theaterbesu-      Sie herzlich ein, unsere vielfältigen        Ewe Benbenek                          69
                                                                                                                                   StückeWerkstatt
                                                                                                                                   Werkstatt „Theater übersetzen“
che waren kaum möglich, vieles wurde      Festival Plus-Angebote zu nutzen.            Schauspielhaus Wien                   70    Neue Räume, neue Texte
                                                                                                                             70
im Video angesehen. Aber es gab eine                                                                                         71
                                                                                                                                   Digitale Spielräume
                                                                                                                                   vier.zentrale
für dieses ungewöhnliche Jahr über-       Besuchen Sie uns im Mai online! Auf     2    Spielplan
                                                                                                                             72    Hochschulen
                                                                                                                             73    StückeBlog
raschend große Zahl von Urauffüh-         unserer Website und den Social Me-      4    Grußworte
                                                                                                                             74    Gordana-Kosanović-SchauspielerInnenpreis
rungen, die den Gremien zur Auswahl       dia-Kanälen finden Sie alle aktuellen   8    Vorworte
                                                                                                                             75    Theaterpädagogik
standen. Zwölf Autor:innen wurden         Angebote: vom Live-Stream über den      62   Auswahlgremien
mit zwölf herausragenden Stücken für      Blog und die Szenischen Forscher:in-    64
                                                                                  65
                                                                                        Preise, Jurys
                                                                                         Ensemblegespräche
die Mülheimer Wettbewerbe nomi-           nen bis hin zu den Werkstätten und
niert.                                    den experimentellen Digitalen Spiel-    78
                                                                                  90
                                                                                       Chroniken
                                                                                        Dank, Impressum
                                          räumen.
Gemeinsam mit den eingeladenen
Theatern haben wir alles darange-         Wir freuen uns auf Sie!
setzt, Ihnen diese Stücke im Mai auf
den Mülheimer Bühnen zu präsen-           Stephanie Steinberg
tieren. Wir haben einen Spielplan         mit dem „Stücke“-Team
gemacht und hätten allzu gern echte
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46.MTT                                                                                                             Spielplan

Spielplan
13.5.     Reich des Todes                                                                                                      Löwenherzen
Do.       Rainald Goetz • Deutsches Schauspielhaus Hamburg                                                                     Nino Haratischwili • Consol Theater Gelsenkirchen            9+
          18:00 Uhr • Stadthalle • 4 Stunden 15 Minuten • eine Pause • Empfang zur Eröffnung 17:00 Uhr                         17:00 Uhr • Ringlokschuppen • 1 Stunde

1
   4.5.
Fr.
          9/26 – Das Oktoberfestattentat
                                                     SO
          Christine Umpfenbach • Münchner Kammerspiele   S O L LT  E                                                           Erste Staffel. 20 Jahre Großer Bruder
                                                                                                                               Boris Nikitin • Staatstheater Nürnberg

                                                              I N .
                                                                                                                               19:30 Uhr • Stadthalle • 2 Stunden 30 Minuten • eine Pause

                                                            E
          19:30 Uhr • Ringlokschuppen • 1 Stunde 30 Minuten

1
   5.5.
Sa.
          9/26 – Das Oktoberfestattentat
          Christine Umpfenbach Münchner Kammerspiele
                                               •      E S S     20.5.
                                                                                                                       Do.
                                                                                                                  s unter
                                                                                                                               Löwenherzen
                                                                                                                               Nino Haratischwili • Consol Theater Gelsenkirchen            9+
          19:30 Uhr • Ringlokschuppen • 1 Stunde 30 Minuten                                         Aktuelle Info   e
                                                                                                                               9:00 + 11:00 Uhr • Ringlokschuppen • 1 Stunde 5 Minuten
                                                                                                       stuec .dke
          Stummes Land                                                                                                 21.5.   Time Out
                                                                                                                       Fr.
                                                                                                                               Christina Kettering • Comedia Theater Köln                   6+
          Thomas Freyer • Staatsschauspiel Dresden
          20:00 Uhr • Stadthalle •2 Stunden                                                                                    9:00 + 11:00 Uhr • Theater an der Ruhr • 1 Stunde

16.5.     Bär im Universum                                                                                                     Jurydebatte Mülheimer KinderStückePreis
So.       Dea Loher • Staatstheater Kassel                                                       5+                            ca. 13:00 Uhr • Theater an der Ruhr • Eintritt frei
          9:00 + 11:00 Uhr • Theater an der Ruhr • 1 Stunde
                                                                                                                       23.5.   Und sicher ist mit mir
          Stummes Land                                                                                                 So.     die Welt verschwunden
          Thomas Freyer • Staatsschauspiel Dresden                                                                             Sibylle Berg • Maxim Gorki Theater Berlin
          19:30 Uhr • Stadthalle •2 Stunden                                                                                    19:30 Uhr • Stadthalle • 1 Stunde 40 Minuten

17.5.     Bär im Universum                                                                                             26.5.   Der goldene Schwanz
Mo.       Dea Loher • Staatstheater Kassel                                                       5+                    Mi.     Rebekka Kricheldorf • Staatstheater Kassel
          16:00 Uhr • Theater an der Ruhr • 1 Stunde                                                                           19:30 Uhr • Stadthalle • 1 Stunde 45 Minuten

          Auftakt StückeWerkstatt                                                           Festival                   28.5.   Tragödienbastard
          Die Autor:innen und Regisseur:innen stellen sich vor                                Plus                     Fr.     Ewe Benbenek • Schauspielhaus Wien
          18:30 Uhr • Theater an der Ruhr • Eintritt frei                                                                      19:30 Uhr • Theater an der Ruhr • 1 Stunde 40 Minuten

18.5.     Das Leben ist ein Wunschkonzert                                                        8+                    29.5.   Tragödienbastard
Di.
          Esther Becker • Grips Theater Berlin                                                                         Sa.     Ewe Benbenek • Schauspielhaus Wien
          9:00 + 11:00 Uhr • Ringlokschuppen • 1 Stunde 20 Minuten • Eintritt frei                                             18:00 Uhr • Theater an der Ruhr • 1 Stunde 40 Minuten

          Erste Staffel. 20 Jahre Großer Bruder                                                                                Jurydebatte Mülheimer Dramatikpreis
          Boris Nikitin • Staatstheater Nürnberg                                                                               ca. 21:00 Uhr • Theater an der Ruhr • Eintritt frei
          19:30 Uhr • Stadthalle • 2 Stunden 30 Minuten • eine Pause
                                                                                                                       +       Festival Plus
19.5.     Megafad oder Der längste                                                                                             Informationen zum Rahmenprogramm auf unserer Website
Mi.       Nachmittag des Universums                                                              6+
          Bernhard Studlar • Theater Erlangen
          9:00 + 11:00 Uhr • Theater an der Ruhr • 1 Stunde
                                                                                                                               stuecke.de
13.- 29.5.21 stuecke.de - Stadt Mülheim an der Ruhr
46.MTT                                                                          46.MTT

Foto: Bettina Engel-Albustin / MKW 2017

                                             Liebe Gäste der „Stücke 2021“,

                                             „Das Theater handelt von der Gegen-      sprachiger Gegenwartsdramatik, seit       „Warum Theater?“
                                             wart, ganz fundamental, und nur          der Kulturhauptstadt RUHR.2010            Stefan Kaegi vom Kollektiv Rimini
                                             dadurch dann (und deshalb ganz           ­bereichert durch die „KinderStücke“.     Protokoll, das 2007 den Mülheimer
                                             besonders) vom Kommenden, der             Die Landesregierung unterstützt          Dramatikpreis erhielt, gibt in seinem
                                             kommenden Gegenwart, also der Zu-         dieses wichtige Ereignis in Nordrhein-   gleichnamigen Buch 42 Antworten auf
                                             kunft.“ (Wolfram Lotz)                    Westfalen mit großer Überzeugung         diese Frage, darunter die folgenden:
                                                                                       und hat den Landeszuschuss um fast
                                             In einer Zeit wie der jetzigen, in der    ein Drittel erhöht.                      „Weil alle wissen, was Theater ist.
                                             die Gegenwart für viele unüberschau-                                               Weil es niemand weiß.
                                             bar geworden ist, kommt dem Theater      Ich danke dem Festivalteam um
                                             eine besondere Bedeutung zu, als         Stephanie Steinberg, der Stadt Mül-       Weil alle überrascht davon sind, was
                                             Chronist, als Katalysator, als Ort der   heim an der Ruhr, dem Bund und            auch noch Theater sein kann.
                                             Reflexion und nicht zuletzt der Neu­     den internationalen Partnern für ihr      Weil alles, was geschieht, zu Theater
                                             erfindung.                               großes Engagement. Auch den beiden        werden kann.“
                                                                                      Auswahlgremien möchte ich für ihren
                                             Die „Stücke“ eröffnen eben solche        Einsatz herzlich danken.
                                             Räume. Die Gegenwart, die sich mit
                                             ihnen, in ihnen manifestiert, wie Lotz   Mit Mut und Zuversicht haben die
                                             es fasst, lässt ein Kommendes auf-       Mülheimer „Stücke“ den Unsicher-          Isabel Pfeiffer-Poensgen
                                             scheinen. Mit ihnen finden wir viel-     heiten der Pandemie zum Trotze an         Ministerin für Kultur und Wissenschaft
                                             leicht Gedanken, Bilder oder Worte       ihrem Programm festgehalten und           des Landes ­Nordrhein-Westfalen

                                             für eine Gegenwart, die uns bisweilen    digitale Formate entwickelt. Uns allen
                                             sprachlos macht.                         wünsche ich nach diesem Jahr der Sor-
                                                                                      ge und des Verzichts viele anregende,
                                             Seit 1976 sind die Mülheimer „Stücke“    ermutigende und bestärkende Theater-
                                             das bedeutendste Festival deutsch-       Erlebnisse.

                                                                                  4   5
13.- 29.5.21 stuecke.de - Stadt Mülheim an der Ruhr
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Foto: Walter Schernstein

                              Liebe Festivalgäste,

                              der Mai gehört in Mülheim der Gegen-     gibt es in diesem Jahr erstmals die „Di-     Sie zeigen, dass Theater auch unter
                              wartsdramatik – daran kann selbst        gitalen Spielräume“. Sie laden ein, sich     schwierigen Bedingungen lebendig
                              eine Pandemie nicht rütteln. Auch        den nominierten Texten an virtuellen         sein kann. Das ermutigt dazu, widri-
                              wenn wir Sie nicht persönlich in unse-   Orten auf spielerische Weise anzu-           ge Umstände weniger als Hemmnis,
                              rer Stadthalle, im Theater an der Ruhr   nähern. Eine Brücke in die Realität          sondern eher als Herausforderung zu
                              und im Ringlokschuppen begrüßen          schlagen sie mit Installationen in den       sehen.
                              können, so bieten wir Ihnen doch viel-   Schaufenstern der Mülheimer ­
                              fältige Möglichkeiten, aktuelle Thea-    vier.zentrale.                               Freuen Sie sich mit mir auf ein Festi-
                              tertexte kennenzulernen und auf neue                                                  val, das dazu anregt, neue Wege zu
                              Weise zu erleben.                        Wie sich die Öffnung von Theatern            gehen.
                                                                       für digitale Räume auf das Schreiben
                              Die Mülheimer Theatertage werden         fürs Theater auswirkt, untersucht das        Ihr
                              verstärkt im digitalen Raum präsent      Programm „Neue Räume, neue Texte –
                              sein. Hier bekommen nicht nur die        Schreiben und Digitalität“.
                              nominierten Autor*innen und Stücke
                              eine Bühne. Auch das umfangreiche        Dass all diese Angebote ein Festival mit     Marc Buchholz
                              Rahmenprogramm spielt sich in diesem     realen Aufführungen und echten Begeg-        Oberbürgermeister der Stadt Mülheim an der Ruhr
                              Jahr zu großen Teilen im Netz ab: von    nungen nicht ersetzen können, versteht
                              der Internationalen Werkstatt „Theater   sich von selbst. Andererseits vergrößern
                              übersetzen“ über die künstlerischen      sie die Reichweite der „Stücke“ – und
                              Arbeiten der Szenischen Forscher*in-     werden es gewiss auch künftig tun,
                              nen bis zu den theaterpädagogischen      wenn Theatervorstellungen wieder statt-
                              Angeboten.                               finden können.

                              Neben dem StückeBlog, der sich immer     In vielerlei Hinsicht haben alle Beteilig-
                              schon auf digitalen Kanälen bewegte,     ten aus der Not eine Tugend gemacht.

                                                                  6    7
13.- 29.5.21 stuecke.de - Stadt Mülheim an der Ruhr
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                                                                                                                   Stücke 2021

Krisen-Reflexionen                                                                 Höhepunkt und Ende ihres Lebens
                                                                                   zugleich – zwischen dem Bombenat-
                                                                                                                            tenden Perspektiven und sucht nach
                                                                                                                            einer eigenen Sprache, aber auch nach
                                                                                   tentat, das sie auf einem neoliberalen   Selbstbehauptungs- und Ausbruchs-
                                                                                   Wirtschaftskongress verüben will, und    möglichkeiten.
                                                                                   dem Krankenhausbett, in dem sie nach
                                                                                   der Tat im Sterben liegt. Als Täterin   In Rebekka Kricheldorfs fünfter
                                                                                   und Opfer blickt sie noch einmal mit    Mülheim-Einladung gibt es richtige
Kann das Virus eine Jury für neue        nicht in den nächsten Haushaltsrun-       beißendem Durchblickerinnen-Sarkas-     Figuren und einen ordentlichen Plot.
Dramatik schrecken? Nicht wirklich.      den zusammengespart werden kann.          mus auf die vermeintlichen Sinnange-    Der goldene Schwanz klingt nach
Stücke lassen sich auch zu Hause                                                   bote zurück, die weder Konsum und       Goldener Gans, erzählt aber das
lesen, auf losen Blättern, am Bild-      Als Jury haben wir die Auswahl für        Besitz, noch Liebe und Mutterschaft     Aschenputtelmärchen neu. Wie schon
schirm, sogar auf dem Smartphone.        die Theatertage 2021 nicht kuratiert,     eingelöst haben. Denn natürlich macht   bei den Brüdern Grimm geht es auch
Tatsächlich wurden zwischen Februar      sondern sieben Einzelfälle ausgewählt.    Sibylle Berg in ihrer achten Mülheim-   in der satirischen Überschreibung um
2020 und Januar 2021 trotz zweier        Dennoch lassen sich an den nominier-      Einladung nicht den leisesten Versuch,  Heiratspolitiken, allerdings im Zeit-
Lockdowns im deutschsprachigen           ten Texten zwei Tendenzen ablesen:        ihrem Publikum Trost und Ermutigung     alter von Selbstoptimierungstutorials,
Raum 85 Theatertexte uraufgeführt.       Zum einen mehren sich Stücke mit          zu spenden.                             gezählten Likes und Reality-Shows à
Und auch wenn diese Uraufführungen       weiblichen Stimmen und Protagonis-                                                la Der Bachelor. Während die bösen
nur wenige Male gezeigt werden konn-     tinnen, die auch Widersprüche und         Auch im Theaterdebüt der jungen Lite- Schwestern von ihrer Mutter zu knall-
ten oder als „Geisterpremieren“ über     Verstrickungen dieser Perspektiven        ratur- und Kulturwissenschaftlerin Ewe hartem Materialismus angehalten
die Bühnen gingen, standen sehr bald     aufzeigen – und zwar auffallend häufig    Benbenek spricht eine Frau, verteilt    werden, kann Daddys handwerkendes
schon Aufzeichnungen oder digitale       mit viel schwarzem Humor und Witz.        auf drei Sprecher:innen. Tastend und    Aschenputtel sich scheinbar mehr
Versionen zur Verfügung.                 Zum anderen zeigt die Auswahl einen       eindringlich reflektiert ihr Tragödien- Selbstverwirklichung leisten. Wie
                                         Fokus auf historische Stoffe: Vier der    bastard die migrantische Erfahrung,     dieser Clash der Feminismen wohl
Gleichwohl hat die Pandemie allen        nominierten Theatertexte beschäftigen     zwischen mehreren kulturellen Stühlen ausgeht? Und lohnt sich der diskursive
– auch dem Theater und gerade den        sich mit Ereignissen der jüngeren Zeit-   zu sitzen. Wie ist es, als Akademikerin Bitchfight um einen müde gewordenen
Autor:innen – einen heftigen Schlag      geschichte, oft mit dokumentarischen      immer wieder von der Großmutter in      Fernsehschauspielerprinz überhaupt?
ins Kontor beschert. Nicht nur, dass     Anteilen und in der Absicht, nach den     Polen nach dem fehlenden Mann an
die Mülheimer Theatertage 2020 und       Ursachen rechtsextremer Gewalt und        der Seite gefragt zu werden? Wie lebt Bis heute tun sich einige gesellschaft-
viele andere Festivals mehr oder weni-   dem Versagen von Demokratie zu            es sich in dem Land, dessen Soldaten liche Gruppen in der Bundesrepublik
ger ausfallen mussten und höchstens      forschen.                                 einst diese Großmutter schikanierten, schwer, die Morde und Mordversuche
im digitalen Raum stattfanden. Die ge-                                             und das heute Zugewanderte stän-        des NSU, die Anschläge von Halle und
schlossenen Theater, die ausbleiben-     Sibylle Bergs Und sicher ist mit mir      dig bewertet? Wie überwindet man        Hanau als rechten Terror zu benen-
den Begegnungen von Künstler:innen       die Welt verschwunden ist der letzte      den Abstand zu den eigenen Eltern,      nen. Dass diese Verleugnung Tradition
und Publikum, die absehbaren Ein-        Teil ihrer Tetralogie entlang einer       die sich ihren Platz mit Fließband-     hat, zeigt Christine Umpfenbachs
nahmeverluste verunsichern die Szene,    radikal zeitgenössischen Frauenbio-       arbeit und Putzjobs erkämpft haben?     Dokumentartheaterstück 9/26 – Das
die gerade jetzt gerne zeigen würde,     grafie. Bergs Heldin steht hier auf       In ihrem Stream of Consciousness        Oktoberfestattentat.
dass ihre Kunst etwas bedeutet und       zwei alternierenden Zeitebenen am         insistiert Benbenek auf widerstrei-
                                                                               8   9
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                                                                                                                       Stücke 2021

Mit 13 Toten, 221 Verletzten, davon         „Wir haben es von unseren Vätern         seinem letzten Theaterstück legt
68 Schwerverletzten, war das rechts-        gelernt.“ In einem nächsten Schritt      ­Goetz einen gewaltigen Fünf-Akter
extreme Attentat 1980 der bis dahin         collagiert Freyer historische Szenen,     vor, der mit religiösen Motiven einen
schwerste Terrorakt der Bundesrepu-         die nationalistische Tendenzen und        ganz anderen Pathos-Ton anschlägt:
blik. Trotzdem war es bis zu seinem         offenen Rechtsextremismus im Vor-         Ein Königsdrama mit eingebauter
40. Jahrestag weitgehend aus der            zeige-Antifaschismus der DDR zeigen       Systemanalyse über die US-Politik im
kollektiven Erinnerung verschwunden.        – und schließt mit einem beklemmend       Ausnahmezustand nach dem 11. Sep-
Die Münchnerin rekonstruiert den            dystopischen Schlusschor.                 tember, über Machtlust, Verwaltungs-
Bombenanschlag aus der Sicht einiger                                                  wahnsinn und Rechtsbeugung in der
Überlebender mit unterschiedlichen          Eine ganz andere Spurensuche schlägt      großen Politik wie unter kleinen Sol-
sozialen Hintergründen mehr als mi-         der 42-jährige Boris Nikitin mit Erste    dat:innen im Lager von Abu Ghraib.
nutiös, teilweise wie in erzählerischer     Staffel. 20 Jahre Großer Bruder           Mit zur Kenntlichkeit entstellten Cha-
Zeitlupe. Neben Brüchen und Verwüs-         ein. Zunächst liest sich der Text mit     rismatikern und ihren Handlanger:in-
tungen in den Biografien der Opfer be-      seinen Figuren und Dialogen fast wie      nen, die auf Deutschland und die USA
hält Umpfenbach die politische Dimen-       ein klassisches Konversationsstück.       zugleich verweisen, mit Textformen
sion der Tat, der Ermittlungen und des      Tatsächlich handelt es sich jedoch        von der Schlüsselsatire bis zum Essay
Prozesses im Blick und verfolgt sie bis     um eine Kompilation und Fortschrei-       zieht der Autor alle Register, um dem
in die Gegenwart. Ein beklemmendes          bung von Gesprächspartikeln, die die      Bösen im vermeintlich Guten auf die
Theaterzeugnis – auch für die Konti-        Container-Bewohner:innen der erste        Spur zu kommen.
nuität des Lieber-nicht-zu-genau-Hin-       deutschen Reality-Soap Big Brother
schauens nach rechter Gewalt.               während der ersten Staffel im Jahr       Pandemiebedingt werden die „­ Stücke
                                            2000 vor einem Millionenpublikum         2021” nur als digitale Streams zu
Thomas Freyer, 1981 in Gera gebo-           geführt haben. Ein Stück also, das       sehen sein. So sehr uns das analoge
ren, forscht in Stummes Land nach           konzeptionell auf Kopierverfahren ba-    Theater auch fehlt: Auch online kann
den Ursachen rechten Denkens vor al-        siert und in Zwischentexten auch seine   man zusammenkommen. Und ob-
lem im Osten des Landes und fördert         Absicht enthüllt: Der Gießen-geschulte   wohl in der Auswahl kein Covid-Stück
wenig beachtete Perspektiven zutage.        Schweizer Theatermacher sucht in der     vorkommt, wird sie hoffentlich zeigen,
Sein in drei formal ganz unterschied-       Wiederaufführung der Realityshow         dass wir neben Impfstoffen, voraus-
liche Teile gegliederter Text startet als   nach Hinweisen für die Hypothese,        schauender und empathischer Politik
launiges Konversationsstück, in dem         dass mit diesem Format populistisches    auch künftig die ganz unterschiedli-
sich vier gebildete, weltoffene Schul-      Querdenken seinen Anfang nahm.           chen Strategien neuer (Post-)Dramatik
freund:innen um die 40 nach einem                                                    brauchen werden, um Krisen wie diese
Wein zu viel gegenseitig ihre Ausgren-      Aber kriegt eine reiche Demokratie       zu reflektieren.
zungsfantasien gegenüber Obdach-            westlicher Bauart das alles nicht        Eva Behrendt
losen und Geflüchteten beichten. Sie        irgendwie in den Griff? Nicht un-
haben auch eine Vermutung, woher            bedingt, wenn man Rainald Goetz’
diese Ablehnung stammen könnte:             Reich des Todes folgt. 22 Jahre nach
                                                                              10     11
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                                                                                                                   KinderStücke 2021

Ein besonderes                                                                     ten nicht nur auf ganz eigene Weise
                                                                                   fesselnd verdichten, sondern diese im
                                                                                                                              eine große Frage ist, sondern damit
                                                                                                                              auch Handlung, Verhalten und Empfin-
Jahr, mit großen                                                                   besten Sinne fürs Theater erschließen
                                                                                   und erzählen.
                                                                                                                              den spielend hervorbringt. „Megafad“
                                                                                                                              zeigt zwei Nachbarskinder, die Wand
Themen                                                                             Dass die anderen drei Stücke auf je-
                                                                                                                              an Wand sitzen und sich furchtbar
                                                                                                                              langweilen. „Time out“ beschäftigt
                                                                                   weils verschiedene Weise im Zuhause        sich mit nichts weniger als den gro-
Auch die Auswahl der Kinderstücke        In der Endauswahl der fünf Kinderstü-     verortet sind, war zwar kein gesuchtes     ßen Menschheitsfragen von Sein und
war von der Krise und den geschlos-      cke 2021 zeichnen sich zwei themati-      Extra-Kriterium für uns im Auswahl-        Nichtsein, Anfang und Ende.
senen Theatern betroffen: Es standen     sche Schwerpunkte ab und scheinen         gremium, hat aber nun auf geradezu
nur zwei schmale Zeitfenster – im        also einen Nerv der Zeit zu treffen.      beunruhigende Weise in den aktuellen       Die Frage des Zeitempfindens, der
Februar/März und September/Oktober       Zum einen sind es globale Herausfor-      Diskussionen noch eine besondere Di-       Zeitwahrnehmung zieht sich durch die
– zur Live-Sichtung zur Verfügung. Die   derungen, die Eingang in die Stücke       mension erlangt. Beschrieben wird ein      Stückauswahl, obwohl die Texte wahr-
hat das Auswahlgremium ausgiebig         gefunden haben. Zum anderen gerät         Zuhause, das nicht allein Kinderzim-       scheinlich noch ganz unabhängig von
genutzt, denn spätestens im Herbst       das eigene Zuhause verstärkt in den       mer bedeutet, sondern in der Empfin-       den diesbezüglichen Pandemiefolgen
war klar: „Beute machen“, so schnell     Blick.                                    dung plötzlich neu ausgelotet werden       entstanden sind und dem Auswahlgre-
und wo es nur geht. Entscheidend für                                               musste und dabei Klassenzimmer,            mium erst mit Blick auf die getroffene
den Mülheim-Wettbewerb ist ohnehin       Die Stücke von Dea Loher und Nino         Spielplatz, verordneter Rückzug – und      Auswahl bewusst wurde, dass das ein
die Lektüre der Texte. Zwanzig neue      Haratischwili greifen nach den großen     damit seltsamer Ort der Langeweile         übergreifendes, verbindendes The-
Stücke kamen in Betracht. Das ist        Themen: Klimawandel, Artensterben,        und oft genug Vernachlässigung –           ma würde. Aber es gibt viel Fantasie
zwar um einiges weniger als in den       globale Krisen und damit verbunden        wurde. Wobei scheinbar endlose Zeit        dafür, und das ist gut, weil alle diese
Vorjahren, aber damit ist auch eine      Migration wegen der Unterschiede          Kinder voneinander trennte und dies        Stücke Drängendes und damit auch
gute Nachricht verbunden: Von diesen     zwischen Arm und Reich, wie sie auch      wohl schon zu einer Grunderfahrung         Hintergründiges auf die Bühne brin-
zwanzig Stücken hat es die Hälfte in     Kinder erleben und in der Wahrneh-        der jungen Generation geworden ist.        gen.
die engere Auswahl geschafft. Obwohl     mung von Glückserwartungen erfah-                                                    Thomas Irmer
es also weniger Uraufführungen gab       ren können. Bär im Universum, das         Es geht um Zeitwahrnehmung in den
als sonst, waren doch viele sehr gute    erste Kinderstück der dreifachen Mül-     Stücken von Bernhard Studlar und
Texte dabei, die eine Einladung nach     heim-Preisträgerin Dea Loher, handelt     Christina Kettering, um ein sozial
Mülheim durchaus verdient hätten.        von Benny, dem letzten Eisbären, und      bedrängtes, in der Ordnung gestör-
Das war, in der Rückschau auf die        seiner Suche nach einer Partnerin.        tes Zuhause in Esther Beckers Das
„KinderStücke“ seit 2010, noch nie so    Nino Haratischwili erzählt in Löwen-      Leben ist ein Wunschkonzert. Darin
und ist ein Zeichen, dass die Quali-     herzen von Anand, der in einer Textil-    sucht Anna nach Möglichkeiten, den
tät des Wettbewerbs selbst in diesem     fabrik in Bangladesch Spielzeug-Lö-       alkoholabhängigen Eltern aus dem
Krisenjahr noch zugelegt hat.            wen zusammennäht. Beide Autorinnen        Weg zu gehen. In Studlars Megafad
                                         bringen eine ausgesprochen wertvolle      oder Der längste Nachmittag des
                                         Welthaltigkeit in ihre Stücke ein durch   Universums und Ketterings Time Out
                                         Geschichten, die globale Nachrich-        ist es die Zeit, die plötzlich nicht nur
                                                                            12     13
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                                                                                   Rainald Goetz
                                                                                   Deutsches Schauspielhaus Hamburg
                                                                                                              Intendanz   Karin Beier
                                                                                                              Mit
                                                                                                              SELCH, VizepräsidentSebastian Blomberg, PINSK, Privatsekretär Maximi-
                                                                                                              lian Scheidt, DR BANZHAF, Chefjustiziar Holger Stockhaus, THURGAU, Ge-
                                                                                                              heimdienstdirektor Lars Rudolph, FR VON ADE, Sicherheitsberaterin Sandra

                          Foto: Daniel Maurer / dpa
                                                                                                              Gerling, GROTTEN, Präsident Wolfgang Pregler, ROON, Kriegsminister
                                                                                                              Burghart Klaußner, MRS GROTTEN, Ehefrau Anja Laïs, DR SCHILL, Justizrat
                                                                                                              Daniel Hoevels, DR KELSEN, Oberjustizrat Markus John, SEBALD, Justizmi-
                                                                                                              nister Michael Weber, BRAUM, Obergefreiter Maximilian Scheidt und
                                                                                                              Daniel Hoevels, Markus John, Tilman Strauß, Michael Weber,
                                                                                                              CINDY, Wachsoldat Eva Bühnen, DARKOVA, Brigadegeneral Anja Laïs, EVE,
                                                                                                              Soldat Josefine Israel, TRENCK, Gefreiter Josefine Israel, Maximilian
                                                                                                              Scheidt, Tilman Strauß, ATTA, Gefangener Tilman Strauß

                                                                                                              Musiker:innen
                                                                                                              Percussion Yuko Suzuki / Theofanis Gkioles Blatsoukas, Oud
                                                                                                              Wassim Mukdad, Cello Michael Heupel, Bratsche Anna Linden-
                                                                                                              baum, Violine Camilla Busemann

                                                                                                              Tänzer João Pedro de Paula, Sayouba Sigué, Samuli Emery /
Rainald Goetz                                                                                                 Valentí Rocamora i Torà
Geboren 1954 in München

Rainald Goetz studierte Medizin, Geschichte und Thea-                                                         Regie Karin Beier
terwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität                                  Die Uraufführung     Bühne Johannes Schütz
                                                                                         „Reich des Todes“
München und an der Sorbonne in Paris. 1976 begann er                                 thematisiert u. a. die
                                                                                                              Kostüme Eva Dessecker, Wicke Naujoks
für die Süddeutsche Zeitung zu schreiben. Er verfasste                                   Misshandlung und     Komposition und musikalische Leitung Jörg Gollasch
                                                                                   Folter irakischer Gefan-
Rezensionen, Serien und Essays für TransAtlantik, Spex,                               gener in Abu Ghraib,
                                                                                                              Video Voxi Bärenklau
Merkur und Spiegel. 1998 schrieb er unter dem Titel „Ab-                           wozu auch sexuelle De-     Dramaturgie Ralf Fiedler, Rita Thiele
                                                                                   mütigungen gehörten.
fall für alle“ ein Internettagebuch. 2007/2008 verfasste er                                                   Licht Annette ter Meulen
                                                                                    In diesem Zusammen-
einen Blog mit dem Titel „Klage“ auf den Internetseiten von                             hang gibt es in der
                                                                                     Inszenierung Szenen,
Vanity Fair. 1998 hielt Goetz die Frankfurter Poetik-Vor-                            projizierte Bilder und
                                                                                                              Uraufführung 11.9.2020, Deutsches Schauspielhaus Hamburg
lesungen, 2012 hatte er die Heiner-Müller-Gastprofessur für                         Fotos, die Gewalt und     Aufführungsdauer 4 Stunden 15 Minuten, eine Pause
                                                                                         Nacktheit zeigen.
deutschsprachige Poetik inne. Rainald Goetz lebt in Berlin.                                                   Aufführungsrechte Suhrkamp Theater Verlag, Berlin
Rainald Goetz gewann dreimal den Mülheimer Dramatikerpreis: 1988, 1993 und 2000.
                                                                                                              schauspielhaus.de

                                                                              14   15
13.- 29.5.21 stuecke.de - Stadt Mülheim an der Ruhr
46.MTT                                                                        Reich des Todes
                                                                                                                  Rainald Goetz

                                                          Foto: Arno Declair
                                                                                    Autor scharf konturierte Porträts von   sellschaft, und was das Theater dabei
                                                                                    Machtmenschen unterschiedlichen         soll und kann.
                                                                                    Kalibers, von denen einige im Ungeist
                                                                                    Carl Schmitts den Ausnahmezustand       Ja, was kann das Theater? Das
                                                                                    nutzen, um die Befugnisse des Staates   Ensemble des Hamburger Schauspiel­
                                                                                    auszuweiten. Dagegen schneidet er die   hauses macht den Monstertext an-
                                                                                    Misshandlungen von Abu Ghraib, die      schaulich, ohne Voyeurismen zu be-
                                                                                    darauffolgenden Prozesse, den Sadis-    dienen: Sebastian Blomberg, Sandra
                                                                                    mus des kleinen Kommandeurs und         Gerling, Wolfgang Pregler, Josefine
                                                                                    der kleinen Soldatinnen, die „Fun“      Israel, Burghart Klaußner und viele
                                                                                    wollen, im Windschatten eines viel      andere erwecken exzentrische Täter-
                                                                                    monströseren Zynismus: „Natürlich       figuren und ein einzelnes Opfer zum
Wie human ist der Fun?                                                              sind die Verhöre human – Menschen       Leben und bleiben dabei doch „gute“
                                                                                    befragen Menschen.“                     Gesellschaft im Sinne eines genau auf-
Wer erinnert sich noch an die Zeit      des Volkes. Es gibt checks and balan-                                               einander hörenden Wortkunstensemb-
nach dem 11. September, an den „war     ces, die ihre Macht begrenzen sollen,       Karrierejustiz, narzisstische Poli-     les. Vielleicht ist das ja die Hoffnung,
on terror“, an den Folterskandal von    es gibt Institutionen, die nicht ohne       tik und hilflos-hilfreiche Bürokratie   die bleibt.
Abu Ghraib, an die endlosen Debatten    Weiteres kassiert werden können.            zimmern den Verbrechen gegen die        Eva Behrendt
über Islamismus und Islamhass? Auf                                                  Menschlichkeit erst die Bühne. Doch
den ersten Blick hat Rainald Goetz      Rainald Goetz war schon in den              das Stück will noch weiter, die große
nach 22-jähriger Theaterabstinenz ein   1990er-Jahren leidenschaftlicher Luh-       Seins- und Menschheitsfrage knacken:
Historien- und Königsdrama geschrie-    mann-Leser, und auch dieses Drama           Wo ist der Sitz des Bösen? Auch
ben von monumentalem Ausmaß;            über das Demokratieversagen der frü-        deshalb ist das Opus mit den reli-
„Reich des Todes“ ist 120 eng be-       hen Nullerjahre ist systemtheoretisch       giösen Motiven des Requiems durch-
druckte Seiten lang. Doch obwohl sich   grundiert. Mit den Dialogen zwischen        setzt, vom Titel über das Gericht bis
die Könige in diesem Drama so eitel,    den auffallend deutsch benannten Her-       zum Kruzifix im letzten Absatz. Der
karrieristisch oder eher ausnahmswei-   ren und Damen Grotten (George W.            essayistische Prosaschluss führt noch
se redlich benehmen wie Shakespeare-    Bush) und Selch (Dick Cheney), von          einmal traktathaft Gedanken und Be-
sche Herrschertypen, sind sie keine     Ade (Condoleeza Rice), Roon (Donald         griffe zusammen: über die Macht und
Despoten, sondern gewählte Vertreter    Rumsfeld) und anderen zeichnet der          das Böse, im Individuum und der Ge-
                                                                               16   17
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                                                               9/26 –
                                                               Das Oktoberfestattentat
                                                               Christine Umpfenbach
                                                               Münchner Kammerspiele

                          Foto: Andrea Huber
                                                                       Intendanz   Barbara Mundel

                                                                         Marie Dziomber, Rasmus Friedrich, Stefan Merki,
                                                                       Mit
                                                                       Edith Saldanha, Lily-Marie Vogler

                                                                       Regie Christine Umpfenbach
                                                                       Bühne Evi Bauer
                                                                       Kostüme Pascale Martin
                                                                       Sound/Video Anton Kaun
                                                                       Dramaturgie Harald Wolff
                                                                       Übertitelung Yvonne Griesel

                                                                       Uraufführung 24. 10. 2020, Münchner Kammerspiele
                                                                       Aufführungsdauer 1 Stunde 30 Minuten
                                                                       Aufführungsrechte schaefersphilippen Theater & Medien, Köln
Christine Umpfenbach
Geboren 1971 in München                                                In Kooperation mit der Otto-Falckenberg-Schule
Christine Umpfenbach studierte Bühnenbild an der Kunst-
hochschule Berlin Weißensee und Regie am Goldsmiths                    muenchner-kammerspiele.de
College London. Von 2000 bis 2002 leitete sie zusammen
mit Antje Wenningmann das Obdachlosentheater Ratten
07 an der Volksbühne Berlin. Seit 2003 entwickelt und
inszeniert sie Theaterprojekte im Stadtraum, an Stadt- und
Staatstheatern sowie für Festivals im In- und Ausland.
Ihren dokumentarischen Projekten geht immer eine inten-
sive Recherche voraus. Dabei stellt sie individuelle Biogra-
fien von Zeitzeugen in den Vordergrund. Beispielhaft dafür
ist „Urteile“ – das erste Stück im deutschsprachigen Raum,
das sich mit der Perspektive der Angehörigen der Opfer des
NSU beschäftigte.

                                                        18     19
46.MTT                                                               9/26 – Das Oktoberfestattentat
                                                                                                                Christine Umpfenbach

                                                            Foto: Julian Baumann
                                                                                        Luft, das Trommelfell platzt, das Cha-     rorgruppe in seinem Freistaat passte
                                                                                        os danach erleben sie als surreal. Der     Strauß jedenfalls nicht. Er hatte – und
                                                                                        zwölfjährige Robert dachte erst, sein      hier gestattet sich Christine Umpfen-
                                                                                        Ballon wäre explodiert. Er irrt durch      bach einige satirische Seitenhiebe –
                                                                                        die Menge, den zerfetzten Füßen zum        einen Ruf als starker Saubermann zu
                                                                                        Trotz, findet die kleine Schwester im      verteidigen. Er brauchte dieses Image
                                                                                        Sterben, den kleinen Bruder tot. Die       für seine Kanzlerkandidatur gegen die
                                                                                        Spätfolgen zerreißen die Überleben-        sozialliberale Koalition von Helmut
                                                                                        den aus Roberts Großfamilie psy-           Schmidt. Nur neun Tage nach dem
                                                                                        chisch, aber der Staat schert sich nicht   Oktoberfestattentat war Bundestags-
                                                                                        drum, womöglich auch, weil man vom         wahl. Strauß scheiterte krachend.
                                                                                        Hasenbergl stammt, einem damaligen
Gegen das Vergessen                                                                     Münchner Problembezirk.                    Die Schwerverletzten von der Wiesn
                                                                                                                                   kämpften derweil mit Amputationen,
Am 26. September 1980 detonierte         1980 – und vor allem die Trugschlüsse          Zur Qualität von Christine Umpfen-         mit dem Verlust ihrer Liebsten, mit der
in einem Münchner Abfallkorb eine        von 1980 – wieder relevanter, als uns          bachs lupenreiner Stückrecherche           Angst unterzugehen. Und als Zuschau-
Bombe. Ausgerechnet am Hauptein-         lieb ist.                                      trägt bei, dass das Ensemble eine          er beschleicht einen wie von selbst der
gang zum Oktoberfestgetümmel. Und                                                       schöne Balance zwischen Sachlichkeit       Verdacht: Die Terrorfahnder hörten
zu einer Zeit, als sich Familien und     Die Münchner Kammerspiele rekonst-             und Teilnahme findet. Text und Insze-      diesen Augenzeugen nie genau zu.
Teenager auf den Heimweg machten.        ruieren „Das Oktoberfestattentat“ aus          nierung sind zwar auf Empathie aus,        Hingegen wurden viele Spuren und
13 Tote und weit über 200 Verletzte      der Opferperspektive. Die Autorin und          aber nie auf Effekte. Auch das himmel-     alle Erinnerung an ein Attentat auf
forderte der Anschlag. Schlimmeres       Regisseurin Christine Umpfenbach,              schreiende Ermittlungsversagen unter       das größte Volksfest der Welt zu rasch
hatte rechtsradikaler Terror seit 1945   1971 in München geboren, hat sechs             den Augen von CSU-Übervater Franz          getilgt. Schon am Tag danach war der
bis dato nicht verbrochen, gründlicher   Überlebenden in Interviews sehr gut            Josef Strauß belegt das Stück – nüch-      Tatort frisch asphaltiert. Man wollte
hat der deutsche Staatsschutz selten     zugehört und deren Aussagen dem En-            tern, gründlich, und aus der gerade        weiter feiern, rasch vergessen. Die
versagt. Heute, da sich gewalttätige     semble dokumentarisch in den Mund              in ihrer Schlichtheit unanfechtbaren       Opfer aber erinnern sich. Sie leiden
Nazi-Übergriffe häufen und der NSU-      gelegt.                                        Opfer-Perspektive.                         bis heute.
Prozess Fragen an den Umgang mit                                                                                                   Stephan Reuter
rechten Terrornetzwerken offen gelas-    Die Druckwelle erfasst die Opfer, sie          Es gab eine Schnellschussthese vom
sen hat, werden die Geschehnisse von     schleudern wie in Zeitlupe durch die           verwirrten Einzeltäter. Eine rechte Ter-
                                                                                   20   21
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                                                              Stummes Land
                                                              Thomas Freyer
                                                              Staatsschauspiel Dresden

                          Foto: Matthias Horn
                                                                       Intendanz    Joachim Klement

                                                                       Mit   Benjamin Pauquet, Karina Plachetka, Oliver Simon,
                                                                             Fanny Staffa

                                                                       Live-Musik   Matthias Krieg

                                                                       Regie Tilmann Köhler
                                                                       Bühne  Karoly Risz
                                                                       Kostüme Susanne Uhl
                                                                       Musik Matthias Krieg
                                                                       Licht Olaf Rumberg
                                                                       Dramaturgie Uta Girod

                                                                       Uraufführung 26.9.2019, Staatstheater Dresden
Thomas Freyer                                                          Aufführungsdauer 2 Stunden
Geboren 1981 im thüringischen Gera                                     Aufführungsrechte Rowohlt Theaterverlag, Hamburg
Thomas Freyer studierte von 2002 bis 2006 Szenisches                   Stückabdruck Theater der Zeit 10/2020
Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Seit
seinem Stück „Amoklauf mein Kinderspiel“, das 2006 am                  Ein Auftragswerk für das Staatsschauspiel Dresden
Nationaltheater Weimar und am Theater an der Parkaue
uraufgeführt wurde, verbindet ihn eine enge und kontinuier-            staatsschauspiel-dresden.de
liche Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tilmann Köhler.
Thomas Freyer lebt und arbeitet in Berlin.

                                                       22     23
46.MTT                                                                              Stummes Land
                                                                                                                          Thomas Freyer

                                                              Foto: Sebastian Hoppe
                                                                                           Tiefengrabung: Erst treiben exzessiver    Was alle Fälle verbindet, ist – der
                                                                                           Weingenuss und Soska, der ewige Pro-      Stücktitel, „Stummes Land“, spricht es
                                                                                           vokateur der Runde, die Freunde dazu,     klar aus – eine massive Verdrängungs-
                                                                                           sorgsam verborgene Abgrenzungs­           und Sprachlosigkeitstragödie zwischen
                                                                                           tendenzen zu offenbaren: Ein ausge-       den Generationen, selbst im intimsten
                                                                                           prägtes „Wir-Die“-Bewusstsein zeigt       Kleinfamilienkern.
                                                                                           sich, teilweise bis hin zum Rassismus.
                                                                                           Und dann finden sich die vier Schau-      Umfassend hat Thomas Freyer die na-
                                                                                           spielerinnen und Schauspieler – in        tionalistische Basis des real existieren-
                                                                                           einem formal komplett veränderten         den Sozialismus recherchiert für dieses
                                                                                           zweiten Teil des Stückes – plötzlich in   zeitenübergreifende Ostdeutschland-
                                                                                           der Zeit ihrer Eltern- und Großeltern-    Triptychon, das – in einem wiederum
Das große Schweigen                                                                        Generation wieder.                        formal anderen dritten Teil – schließlich
                                                                                                                                     in einer einzigen, aus der DDR-Historie
Endlich haben Esther, Laura, Daniel        Der Uraufführungsregisseur Tilmann              In modellhaften Momentaufnahmen           herausführenden Gegenwartsanklage
und Soska mal wieder Zeit für einen        Köhler hat das Publikum am Staats-              verlebendigen sie – aus Kindersicht –     kulminiert, die auch kein realkapitalisti-
gemeinsamen Abend gefunden. Die            schauspiel Dresden im Viereck um eine           exemplarische Fälle vom Verschweigen      sches Defizit auslässt.
Fourtysomethings – bestens ausgebil-       minimalistisch ausgestattete Spielfläche        und Verbiegen der Geschichte; graben      Christine Wahl
det, sozial engagiert und tendenziell      gruppiert. Gleichsam als Partygäste             sich regelrecht hinein in die histori-
kosmopolitisch – sind früher, in der       der zweiten Reihe nehmen die Zuschau-           schen Spuren, die sie zwischen stau-
Endphase der DDR, gemeinsam                erinnen und Zuschauer am zunächst               bigen Aktendeckeln finden: Zeugnisse
zur Schule gegangen. Jetzt plaudern        locker dahinplätschernden Smalltalk             von kommunistischen Großvätern, die
sie über gehobene Kochkünste, ihre         teil. Doch was als scheinbar harmloses          im nationalistischen Rechtsaußen-Ton
Kinder und ihr erfolgreiches Berufsle-     Konversationsdrama einer weithin an-            den Arbeiteraufstand vom 17. Juni
ben zwischen London, Paris und New         schlussfähigen Peergroup beginnt, wie           1953 abkanzeln, Dokumente von Stasi-
York. Alte Flirts werden reaktiviert und   man sie auf den ersten Blick tatsäch-           Vätern, die zu Spionagezwecken mit
verblasste Nachwende-Erfahrungen           lich nicht nur in Dresden oder Leipzig,         Altnazis kollaborieren, Momentaufnah-
memoriert in dem reichhaltigen Zwei­       sondern auch in München oder Ham-               men antifaschistischer Gedenkveran-
stünder „Stummes Land“ des Mülheim-        burg verorten könnte, entwickelt sich           staltungen mit bloßem Lippenbekennt-
Debütanten Thomas Freyer.                  bald zu einer spezifischen historischen         nischarakter.
                                                                                      24   25
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                                                              Erste Staffel.
                                                              20 Jahre Großer Bruder
                                                              Boris Nikitin
                                                              Staatstheater Nürnberg

                        Foto: Sorav Partap
                                                                       Intendanz   Jens-Daniel Herzog
                                                                       SchauspieldirektorJan Philipp Gloger

                                                                       Mit
                                                                       Andrea Julia Bartolome
                                                                       SabrinaSüheyla Ünlü
                                                                       Jürgen Tjark Bernau
                                                                       John Yascha Finn Nolting
                                                                       Alex Maximilian Pulst
                                                                       Jona Cem Lukas Yeginer
                                                                       Kamerateam Alina Manukyan, Marc Stauch, Melanie Klos

                                                                       Regie Boris Nikitin
                                                                       Bühne & Kostüme  David Hohmann
                                                                       Dramaturgie Sascha Kölzow
Boris Nikitin                                                          Musik, Sounddesign Matthias Meppelink
Geboren 1979 in Basel                                                  Video Manuela Trier, Georg Lendorff
Boris Nikitin ist Theaterregisseur, Autor, Kurator und                 Webserie Patrik Thomas
Essayist. Er ist künstlerischer Leiter des biennalen Festi-            Lichtdesign Frank Laubenheimer
vals für dokumentarische und propagandistische Künste
„It’s The Real Thing“. Seit 2007 setzt er sich in seinen               Uraufführung 19.9.2020, Staatstheater Nürnberg
Arbeiten mit der Konstruktion von Realitäten und Identitä-             Aufführungsdauer 2 Stunden, eine Pause
ten auseinander. Immer wieder handelt es sich bei Nikitins             Aufführungsrechte schaefersphilippen Theater & Medien, Köln
Stücken um Überschreibungen klassischer Stoffe, wie bei
„Woyzeck“ (2007) oder „Hamlet“ (2016). In jüngster Zeit                staatstheater-nuernberg.de
beschäftigt er sich vermehrt mit dem Verhältnis von Kunst,
Verwundbarkeit und Krankheit, zuletzt in seinem Solo
„Versuch über das Sterben“. Mit seinen Arbeiten gastiert
er weltweit, u. a. in São Paolo, Moskau, Kapstadt, Paris,
Amsterdam und Athen

                                                        26    27
46.MTT                                                               Erste Staffel. 20 Jahre Großer Bruder
                                                                                                                        Boris Nikitin

                                                              Foto: Konrad Fersterer
                                                                                            ihrem Publikum zu gefallen. Der eine       zu künstlich. Und viel zu entlarvend.
                                                                                            chillt im Liegestuhl, ein anderer ver-     Tatsächlich spielt Nikitin die Konse-
                                                                                            kriecht sich ins Bett, einer geht aufs     quenzen durch, die wir uns mit dem
                                                                                            Klo, die nächste quasselt ununterbro-      Triumph des Realityformats über den
                                                                                            chen. Zwischendrin versammelt sich         Realitätssinn eingehandelt haben: die
                                                                                            das sechsköpfige Ensemble im Wohn-         Selbstoptimierung, den daraus resul-
                                                                                            raum, plaudert wie WG-Kumpels,             tierenden existenziellen Wettbewerb,
                                                                                            fühlt einander auf den Zahn und wird       die neue Relevanz des Banalen, das
                                                                                            dabei ständig abgefilmt. Voyeure und       populistische Kalkül.
                                                                                            Überwacher sind dabei wir, die große
                                                                                            Community, die Zuschauer des Lebens        Nikitin will durchaus den Beweis
                                                                                            der anderen.                               führen, dass mit der Erfindung von
                                                                                                                                       Realityfernsehen gleichsam auch die
Die Selbstoptimierten                                                                       Klingt vertrackt? Ist aber nah dran        Ursuppe rechtspopulistischer Quer-
                                                                                            an dem, was auf Social Media tagtäg-       denkerei angerührt wurde. Ganz von
Vor 20 Jahren ließen sich junge Leute     Der Basler Autor und Regisseur Boris              lich vor sich geht, wo sich jeder, vom     der Hand zu weisen ist das nicht.
über Wochen in einen Wohncontainer        Nikitin (41) hat am Staatstheater                 Schüler bis zur Influencerin, an der In-   Zumindest ereifert sich ein Nürnberger
sperren und rund um die Uhr von           Nürnberg eine Art Reenactment der                 szenierung von Images versucht, mehr       WG-Genosse ziemlich gehässig und
Fernsehkameras beobachten. Sie            legendären Show angezettelt.                      oder minder pseudo-authentisch, mehr       ziemlich überzeugend über fortschrei-
taten das freiwillig, fürs Ego, für die   „Erste Staffel. 20 Jahre Großer Bru-              oder minder professionell. Neudeutsch      tende Entmündigung in Zeiten der
Hoffnung auf eine Promi-Karriere, für     der“ arbeitet auf der Textebene mit               nennt sich das Phänomen „Aufmerk-          Maskendebatte. Eklats vor laufender
ein Preisgeld. Ein Millionenpublikum      Versatzstücken aus dem RTL-Studio,                samkeitsökonomie“. Es hat die Anfän-       Kamera: Vor 20 Jahren ist das auch
beglotzte sie und durfte einen nach       zitiert unverhohlen George Orwell,                ge von Big Brother längst überflügelt.     passiert.
dem andern rauswählen. Das war Big        lässt sich in guter Dokufiction-Tradi-
Brother, Staffel 1. Die Reality-Soap      tion Freiheiten in der Frage, wo das              Entsprechend geht Boris Nikitin mit        Bei Nikitin verwandelt sich die Contai-
bediente niedere Instinkte, brach mit     Dokumentarische endet und die Fik-                der fernseh- und sozialhistorischen        ner-Partyzone so zielsicher wie einst
TV-Tabus, indem sie intimes, oft auch     tion beginnt.                                     Zäsur um. Das Ensemble ahmt die            im Fernsehen in eine Zwangsgemein-
eintöniges Privatleben schamlos zur                                                         Real-Life-Illusion des RTL-Vorbilds        schaft. Lagerkoller nicht ausgeschlos-
Schau stellte. Und war genau deshalb      Das Theaterpublikum sitzt also vor                mitnichten bloß platt nach. Dazu wirkt     sen.
eine Sensation.                           Schauspielern, die Laiendarsteller                allein schon der Bühnencontainer           Stephan Reuter
                                          spielen, die sich selbst darstellen, um           von Ausstatter David Hohmann viel
                                                                                       28   29
46.MTT
                                                                                      Und sicher ist mit mir
                                                                                      die Welt verschwunden
                                                                                      Sibylle Berg
                                                                                      Maxim Gorki Theater Berlin

                            Foto: Katharina Lütscher
                                                                                               Intendanz   Shermin Langhoff

                                                                                               Mit   Anastasia Gubareva, Svenja Liesau, Vidina Popov,
                                                                                                     Katja Riemann

                                                                                               Regie Sebastian Nübling
                                                                                               Bühne Magda Willi
                                                                                               Kostüme Ursula Leuenberger
                                                                                               Musik Lars Wittershagen
                                                                                               Dramaturgie Valerie Göhring

                                                                                               Uraufführung 24.10.2020, Maxim Gorki Theater, Berlin
                                                                                               Aufführungsdauer 1 Stunde 40 Minuten
                                                                                               Aufführungsrechte Rowohlt Theaterverlag, Hamburg
                                                                                               Stückabdruck Theater heute 10/2020
Sibylle Berg
Geboren in Weimar                                                                              Gefördert vom Deutschen Literaturfonds im Rahmen des
Sibylle Berg begann während ihres Studiums in Hamburg                                          Programms „Neustart Kultur“
zu schreiben. Ihr Werk umfasst bislang 27 Theaterstücke,
15 Romane, Anthologien und Hörspiele. Ihre Texte wurden                                        gorki.de
in 34 Sprachen übersetzt. Seit 2011 erscheint auf Spiegel
Online ihre Kolumne S.P.O.N. 2013 führte sie erstmals
Ko-Regie am Staatstheater Stuttgart, 2015 inszenierte
sie ihr Stück „How to Sell a Murder House“ am Theater
Neumarkt, Zürich. Von 2016 bis 2017 wirkte Berg in der
ZDF-Talkshow „Böhmermann & Schulz“ mit.
Seit 1996 lebt sie in Zürich und hat seit 2012 die Schwei-
zer Staatsbürgerschaft. Sibylle Berg zählt sich zur Straight
Edge Bewegung.
Für ihr Stück „Und dann kam Mirna“ erhielt Sibylle Berg den Publikumspreis der
„Stücke 2016“.

                                                                                 30   31
46.MTT                                                             Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden
                                                                                                                         Sibylle Berg

                                                             Foto: Ute Langkafel MAIFOTO
                                                                                                Gegenteil. „Und sicher ist mit mir die     ein Quartett gemacht und das wieder-
                                                                                                Welt verschwunden“ ist zwar ein Text,      um hat zur Folge, dass Anastasia Gu-
                                                                                                den man wie eine Lebensbilanz lesen        bareva, Svenja Liesau, Vidina Popov
                                                                                                kann, er ist aber weiterhin mit nervö-     und Katja Riemann die Bühne rocken,
                                                                                                ser Unruhe gefüllt, als wolle eine nicht   als sei Janis Joplin auferstanden und
                                                                                                mehr ganz so junge Frau weiterhin die      turne in einem sackähnlichen Leopar-
                                                                                                Welt verändern, die sie irgendwann         denkleid über die Bühne. Damals ging
                                                                                                dann doch verlassen muss. Zwar ist         es um Bobby McGee und dass Freiheit
                                                                                                sie keine zwanzig mehr und in der          nur ein anderes Wort dafür ist, nichts
                                                                                                dummen Lage, vom bewaffneten Wi-           mehr verlieren zu können. Heute könn-
                                                                                                derstand zu träumen, ohne zu wissen,       te sie sich die Freiheit nehmen, etwas
                                                                                                gegen wen er sich richten könnte.          kürzer zu treten. Bevor sie irgendwann
Jenseits von Rente                                                                              Widerständig ist sie aber immer            ganz verschwinden wird, sorgt sie
                                                                                                noch, auch wenn ihre einzige Waffe         dann aber doch lieber dafür, dass sie
Inzwischen sind einige Jahre vergan-      züngigen Sarkasmus Sibylle Bergs                      inzwischen dieses Gefährt ist, das sie     noch einmal so richtig sichtbar wird:
gen, seit aus dem jungen Mädchen          sanftere Töne hörbar. Zum Beispiel,                   ja nicht wirklich braucht und nur mit      als Ladykombo, die sich auf etwas
eine Frau und die Mutter geworden ist,    wenn es um die Zeit geht, als die Frau                sich führt, weil es sich so prima als      stützt, das nur auf den ersten Blick
die von ihrer lebenstüchtigen Tochter     ein 13-jähriges Mädchen war, Musik                    fahrendes DJ-Pult nutzen lässt. Gut an     wie ein Rollator aussieht und technisch
einiges lernen konnte. Etwas später       hörte und darauf wartete, dass alles                  ihm festhalten kann man sich übrigens      so ausgestattet ist, dass man mit ihm
wusste sie nicht mehr so ganz genau,      besser wird. „Das ist ein Lied für dich,              auch, wenn man gerade mal nicht zur        ein Frauendasein orchestrieren kann.
ob sie noch richtig am Platz war oder     junger Mensch. Ein Lied gegen die                     melissenhaften Heilkraft der Natur,        Jürgen Berger
nicht doch ins All flüchten sollte. Und   Angst, du könntest nicht genügen. Ein                 sondern lieber gleich zu hochprozenti-
jetzt? Die Frau, der Sibylle Berg eine    Lied gegen die Sorgen in der Nacht,                   gem Kirschsaft gegriffen hat.
Tetralogie gewidmet hat, ist in einem     wenn du nicht schlafen kannst, weil du
Alter angekommen, in dem man nicht        glaubst, du wärst der einzige Mensch                  Sibylle Berg hat einen „Text für eine
mehr so schnell vor sich selbst flüch-    auf der Welt. Der einzige hässliche.“                 oder mehrere F“ geschrieben. Sebasti-
ten kann: jenseits von Rente oder                                                               an Nübling, den man getrost als Bergs
vielleicht sogar schon im „Vorzimmer      Aber keine Sorge, Sibylle Berg ist                    treuesten Partner eines inzwischen
des Leichenschauhauses“. Und siehe        weit davon entfernt, ein altersmildes                 doch ziemlich langen Theaterlebens
da, plötzlich werden mitten im spitz-     Requiem zu intonieren. Ganz im                        bezeichnen kann, hat aus „mehrere“
                                                                                           32   33
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                                                            Der goldene Schwanz
                                                            Rebekka Kricheldorf
                                                            Staatstheater Kassel

                           Foto: Karoline Bofinger
                                                                     Intendanz   Thomas Bockelmann

                                                                     Mit   
                                                                     Aschenputtel    Rahel Weiss
                                                                     Siss oder Sister Judith Florence Ehrhardt
                                                                     Sister oder Siss Meret Engelhardt
                                                                     Mum Anke Stedingk
                                                                     Dad Jürgen Wink
                                                                     Der Prinz Aljoscha Langel
                                                                     Die Taube Eva-Maria Keller

                                                                     Regie Schirin Khodadadian
                                                                     Bühne Daniel Roskamp
                                                                     Kostüme Ulrike Obermüller
                                                                     Musik Katrin Vellrath
Rebekka Kricheldorf                                                  Dramaturgie Michael Volk
Geboren 1974 in Freiburg im Breisgau

Rebekka Kricheldorf studierte zunächst Romanistik an der             Uraufführung 5.12.2020, Staatstheater Kassel
Humboldt-Universität Berlin. Von 1998 bis 2002 belegte               Aufführungsdauer 1 Stunde 45 Minuten
sie den Studiengang Szenisches Schreiben an der Uni-                 Aufführungsrechte Kiepenheuer Bühnenvertrieb, Berlin
versität der Künste Berlin. Sie schrieb Auftragswerke für            Stückabdruck Theater der Zeit 1/2021
das Staatstheater Stuttgart, das Theater am Neumarkt in
Zürich, das Staatstheater Kassel und das Deutsche Thea-              staatstheater-kassel.de
ter Berlin. 2004 war sie Hausautorin am Nationaltheater
Mannheim, von 2009 bis 2011 war sie Dramaturgin,
Hausautorin und Mitglied der Künstlerischen Leitung am
Theaterhaus Jena. 2019 hatte Kricheldorf die Saarbrücker
Poetikdozentur für Dramatik inne. Sie lebt in Berlin.

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                                                                                                              Rebekka Kricheldorf

                                                           Foto: N. Klinger
                                                                                   mütlich gemacht haben, unbehelligt in     streiten. Die Sistas sind – wie sie es
                                                                                   dieser aktuellen Märchen-Aneignung,       selbst wahrscheinlich formulieren
                                                                                   die Schirin Kodadadian am Staatsthea-     würden – schwer influenced von einem
                                                                                   ter Kassel urinszeniert hat.              täglich mantraartig zu wiederholenden
                                                                                                                             mütterlichen Leitspruch, der da lautet:
                                                                                   Weil Kricheldorfs Aschenputtel weiß,      „Greift nach dem goldenen Schwanz!
                                                                                   dass das Schloss im Zweifelsfall auch     Gebt euch nicht ab mit einem silber-
                                                                                   nur ein goldener Spießerkäfig ist, hat    nen oder gar bronzenen oder gar ble-
                                                                                   sie sich ihrerseits weit vom Prinzen-     chernen. Nein! Der goldene ist gerade
                                                                                   traum entfernt und stattdessen für ein    gut genug für euch!“
                                                                                   emanzipiertes Selfmade-Woman-Da-
                                                                                   sein entschieden. Wiederholt entert sie   Logisch, dass die aufstiegsorientierte
Nicht ohne meinen Blaumann                                                         im Blaumann das Szenario – stets auf      Mutter dabei – neben ein paar Klei-
                                                                                   der Suche nach einer lockeren Schrau-     nigkeiten – wiederholt den zentralen
In der Märchenwelt der Brüder Grimm      xer, sondern auch um ein Vielfaches       be oder einer reparaturbedürftigen        Punkt übersieht, dass sich selbst in
herrscht ausgleichende Gerechtig-        lustiger dar. Souverän nimmt die          Elektrizitätsleitung an der familiären    der besten Märchen-Adaption nicht
keit – und eine sehr klare Vorstellung   Dramatikerin, die dem Mülheimer           Küchenzeile – und unterlegt die selbst-   alles, was auf den ersten Blick golden
über Männer- und Frauenrollen: Von       „Stücke“-Publikum längst als große        bestimmte Handwerkerinnentätigkeit        glänzt, auf den zweiten auch tatsäch-
den Stiefschwestern gemobbt und von      Komödienautorin bekannt ist, den          gern noch mit einem belesenen Spon-       lich als Edelmetall erweist.
der Stiefmutter gedemütigt, bekommt      kapitalistischen Topos vom Sozialauf-     tanreferat über soziale Ungleichheit
das fleißige, sittsame Aschenputtel am   stieg durch Heirat auseinander, um mit    und andere globale Ungerechtigkeiten.   Aber wer weiß: Vielleicht ist Gold ja
Ende den reichen Prinzen – und wird      hintergründiger Diskursfitness heutige                                            ohnehin out – oder zumindest maßlos
also vom ascheverstaubten heimischen     Rollenmodelle und Lebensentwürfe          Adressatinnen sind Aschenputtels        überschätzt? Das Schöne an Krichel-
Herd direkt ins goldene Schloss weg-     generell auf den Prüfstand zu stellen.    Stiefschwestern, die hier „die Sistas“  dorfs Stück ist, dass es keine Position
geheiratet.                                                                        heißen und ihrerseits zwar alles andere denunziert oder didaktisch privilegiert,
                                         Tatsächlich bleibt kein Klischee un-      als rollenrevolutionär, dafür aber in   sondern bestens gelaunt und mit ge-
Zweihundert Jahre später, in Rebekka     zertrümmert – und keiner der blinden      einem gleichfalls gesellschaftstheore-  wohnter Pointensicherheit eine ver-
Kricheldorfs Aschenputtel-Variante       Flecken, in dem es sich selbst die        tisch beschlagenen, mit allen Gegen-    meintliche Lebensgewissheit nach der
„Der goldene Schwanz“, stellt sich       aufgeklärtesten Frauen mit smarten        wartsdiskurswässerchen gewaschenen anderen ad absurdum führt.
die Lage nicht nur deutlich komple-      kleinen Selbstbetrugsstrategien ge-       Code über Dates und Lippenstifte        Christine Wahl

                                                                              36   37
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                                                              Tragödienbastard
                                                              Ewe Benbenek
                                                              Schauspielhaus Wien

                         Foto: Elisa Maria Schmitt
                                                                      Intendanz   Tomas Schweigen

                                                                      Mit   Clara Liepsch, Til Schindler, Tamara Semzov

                                                                      Regie Florian Fischer
                                                                      Bühne und VideoLili Anschütz
                                                                      Kostüme Henriette Müller
                                                                      Musik Rosa Anschütz
                                                                      Dramaturgie Lilly Busch, Tobias Schuster
                                                                      Licht Oliver Mathias Kratochwill
                                                                      Ton Benjamin Bauer

                                                                                30.10.2020, Schauspielhaus Wien
                                                                      Uraufführung
                                                                                   1 Stunde 40 Minuten
                                                                      Aufführungsdauer
                                                                      Die Aufführungsrechte liegen bei der Autorin
Ewe Benbenek
Geboren 1985 in Kamienna Góra                                         Gefördert im Rahmen des Arbeitsateliers von uniT
Ewe Benbenek kam Ende der 1980er-Jahre mit ihren Eltern               und Schauspielhaus Wien
nach Deutschland. Sie studierte Kulturwissenschaften an
der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und               schauspielhaus.at
Politik- und Literaturwissenschaften am University College
London sowie Literaturwissenschaft an der Universität
Erfurt. Benbenek ist Autorin, Literatur- und Kultur­wissen-
schaftlerin. Ihr Schwerpunkt sind postmigrantische und
postkoloniale Diskurse in Theater, Performance und
Gegenwartsdramatik. Von 2014 bis 2019 war sie wissen-
schaft-lerin Mitarbeiterin am Institut für Neuere deutsche
Literatur/Theaterforschung der Universität Hamburg. Der-
zeit nimmt sie am Lehrgang Forum Text 2020–2022 des
Drama Forum Graz teil. Sie lebt in Berlin.

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                                                                                                                      Ewe Benbenek

                                                           Foto: Matthias Heschl
                                                                                        sachlich unter die Lupe. Eine andere      Gegenwart miteinander zu konfron-
                                                                                        ahnt, dass der Weg hin zur Selbst-        tieren, entfaltet in der Wiener Urauf-
                                                                                        bestimmung ein Gang auf dünnem            führung eine schier albtraumartige
                                                                                        Eis sein könnte. Die dritte lehnt sich    Atmosphäre. Zwei Schauspielerinnen
                                                                                        gegen Rollenzuschreibungen und            und ein Schauspieler tragen Masken
                                                                                        dagegen auf, zwischen zwei Welten         und bewegen sich wie wechselwarme
                                                                                        festzusitzen. Aus dem Osten droht der     Reptilien in einem Wohnzimmer, das
                                                                                        in der Marienverehrung wurzelnde Ka-      wohl seit den Fünzigerjahren des
                                                                                        tholizismus der polnischen Großmut-       letzten Jahrhunderts dort steht. Zuerst
                                                                                        ter, vom Westen das protestantische       denkt man, die drei seien Gefangene
                                                                                        Leistungsethos einer in die Bundesre-     in einem Reich zwischen den Zeiten.
                                                                                        publik migrierten Elterngeneration, die   Irgendwann fallen aber die Masken
Zwischen zwei Welten                                                                    dazu beigetragen hat, dass Deutsch-       und es kommt jene Frau zum Vor-
                                                                                        land eine der Lokomotiven der Welt-       schein, die sich gegen die „chauvinis-
Die Großmutter lebt in Polen und        Drei Generationen und Lebensläufe               wirtschaft werden konnte. Und jetzt ist   tische Kackscheiße“ des polnischen
versteht nicht, warum die Enkelin       werden sichtbar, erzählt von der Jüngs-         da die Tochter, die eigentlich dankbar    Onkels und diesen Alltagsrassismus in
auf die scheinbar so einfache Frage     ten, die von sich sagt, sie habe eigent-        sein sollte, dass ihr alle Türen offen    Good New Germany wehrt. Sie dreht
nicht antworten will, ob es „drüben“    lich „keinen Bock auf das Narrativ des          stehen, die durch viele der Türen aber    den Spieß um und nutzt rassistische
in Deutschland einen Mann in ihrem      goldenen Westens“. Und: Sie sei die             gar nicht gehen will.                     Schimpfwörter als Waffe: „Ich rede
Leben gibt. Wirklich reden kann die     Letztgeborene.                                                                            darüber, dass diese Migrantenfotze
Enkelin mit der Großmutter nicht,                                                       Ewe Benbenek studierte in Frankfurt       Superkräfte hat … weil sie das Studi-
trotzdem fährt sie immer wieder in      Hört sich nach Weltuntergang und                (Oder), London und Erfurt Kultur- und     um geschafft hat, / und danach weiter
diese ganz andere Welt in einem Haus    Abbruch der Geschlechterfolge an,               Politikwissenschaften. Sie könnte         gemacht hat.“ Bleibt nur zu wünschen,
oben am Berg mit dem Kohleofen          sagt ja aber nur, dass die junge Frau           selbst die Frau sein, die im Gegensatz    dass die Mülheim-Debütantin Ewe
und einer alten Frau, die wartet. Und   die vorläufig Letzte ist. Ewe Benbenek          zu ihren Vorfahren ein ziemlich freies    Benbenek auch als Theaterautorin
die Eltern? Die haben sich ins Wirt-    lässt kulturelle Gegensätze aufeinan-           Leben führt und die sich gegen den        weitermacht.
schaftswunderland jenseits der Oder     derprallen und widmet sich den daraus           Anpassungsdruck in der westlichen         Jürgen Berger
rein gearbeitet, während die Tochter    entstehenden Konflikten. Drei Stim-             Leistungsgesellschaft wehrt. Dass da
schon ganz selbstverständlich Abitur    men kommen zu Wort. Eine nimmt                  eine Frau den Versuch unternimmt, fa-
machen und studieren konnte.            das Leben der Letztgeborenen eher               miliäre Vergangenheit und individuelle
                                                                                   40   41
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