Es gibt keine einfache Antwort - 100 Jahre Joseph Beuys Erstsemester-begrüßung - diesmal virtuell - HHU
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2020 — AUSGABE 3 Es gibt keine einfache Antwort. 100 Jahre Joseph Beuys CAMPUS BIOLOGIE JURA Erstsemester Von Nessel- Ethikrat zum begrüßung – tieren über uns Immunitäts- diesmal virtuell Menschen lernen ausweis
Künstler: Matthew Cusick Stoppt den Klimawandel, bevor er unsere Welt verändert. www.greenpeace.de/helfen
MAGAZIN 3 — 2020 Editorial FOTO PAUL SCHWADERER Liebe Leserin, lieber Leser, September 2020: die Sonne lacht vom blauen Himmel, die Luft ist mild, das Gespräch mit Timo Skrandies und Bettina Paust spannend und oft lustig. Alles gut? Nein, wir sitzen mit einem sonderbaren Abstand, haben uns zur Begrüßung nicht die Hand gegeben, wenn wir aufstehen, setzen wir Masken auf. Und dann kommt der Satz: „Beuys betont mit seinen Werken und Aktionen immer, dass es keine einfachen Antworten gibt.“ Für mich der Satz des Jahres. Keine einfachen Antworten, nicht in den 70er Jahren und heute ebenso wenig. Aber ein Künstler, der uns das vor Augen führt. Mit Bildern und irritierenden Aktionen, mit Ein- ladungen zu Diskussionsrunden und irren Forderungen. Wie passend, dass 2021 das Beuys-Jahr sein wird. Dass es von einem Team am Kunsthistorischen Institut der HHU koor- diniert und organisiert wird und dass hier die wissenschaftliche Erforschung von Beuys’ Werk auf neue Füße gestellt wird. Also: Keine einfachen Antworten, nicht auf Fragen nach Bioökonomie und Nachhaltigkeit, nicht auf die gesellschaftlichen Fragen und nicht auf die nach auf Covid-19. Aber eine Univer sität, die Lust hat, all diese Fragen zu durchdenken. Eine schöne und gesunde Winterzeit wünscht Ihnen Dr. Victoria Meinschäfer 3
INHALT 3 — 2020 Campus 10 06 07 ENTLANG DER MAGISTRALE J unge Akademie: Mit geballter Kraft relevante Themen angehen 10 Begrüßung an der HHU diesmal rein virtuell 12 (2)50 Jahre Universitäts- und Landesbibliothek 15 Hochschulleitung 2020 – 2024 16 Neue Gründerzeit an der HHU FOTO DIETER JOSWIG / HHU 18 MOMENTAUFNAHME Premiere an der HHU: Die Begrüßung der gut 4.000 Erstis erfolgte diesmal rein virtuell. Titel 30 30 Es gibt keine einfache Antwort. 100 Jahre Joseph Beuys Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys FOTO GERHARD STEIDL erscheint das erste wissenschaftliche Hand- buch zu seinem Leben und Werk. 4
MAGAZIN 3 — 2020 Fakultäten 27 PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT 20 „Dann bin ich halt aus dem Haus gestürzt und dann bin ich halt auf mein Fahrrad gestiegen“ WIRTSCHAFTS‑ WISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT 25 DICE-Wissenschaftler sind einflussreich MEDIZINISCHE FAKULTÄT 26 DFG: Neues toxikologisches Graduiertenkolleg an der HHU 27 Covid-19-Forschung: An einem Strang ziehen MATHEMATISCH- NATURWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT 38 Von Nesseltieren über uns Menschen lernen 42 Optimierte Organismen für eine nachhaltige Wirtschaft Die Düsseldorfer Medizinische Fakultät JURISTISCHE FAKULTÄT FOTO MARCEL KUSCH ist mit mehreren Projekten am Nationalen 48 Ethikrat lehnt Immunitätsausweis ab – Forschungsnetzwerk Covid-19 beteiligt. ein Gespräch mit Prof. Dr. Helmut Frister 49 Dr. h. c. Harry L. Radzyner verstorben 50 Namensrecht: Ach wie gut, dass niemand weiß … Personalia 53 Nachruf Prof. Dr. Hans Süssmuth Ausschreibung Edens-Preis 2020 54 ERNENNUNGEN, TODESFÄLLE 42 FOTO CHRSITOPH KAWAN Das Wissenschaftsjahr 2020/21 steht im Zeichen der Bioökonomie. 03 EDITORIAL 52 NEUERSCHEINUNGEN 54 IMPRESSUM 5
ENTLANG DER MAGISTRALE HHU erhält Qualitätssiegel für Stiftungsverwaltung Am 1. Oktober hat der Bundesverband deut- scher Stiftungen die HHU erneut als Siegel- träger des Qualitätssiegels für gute Treu- handstiftungsverwaltung gewürdigt. Das FOTO LUKAS STEIN Qualitätssiegel „Geprüfter Stiftungstreu- händer“ steht für Transparenz und Quali- tät in der Verwaltung von Treuhandstiftun- gen und wird in der Regel für drei Jahre an Treuhänder verliehen. Es wurde ins Leben Abschied in der KHG gerufen, um Transparenz und Qualität im Ende August hat Hochschulpfarrer Jürgen Hünten (rechts im Bild) nach 14 Jahren die Sektor der Verwaltungen von Treuhandstif- Katholische Hochschulgemeinde Düsseldorf (KHG) verlassen und eine Stelle als lei- tungen zu fördern. Derzeit tragen es 26 tender Pfarrer im Kölner Westen angetreten. Mit ihm beendeten auch Gemeinderefe- Organisationen, darunter kirchennahe Treu- rent Peter Stamm (Bildmitte) und Pastoraleferentin Jessica Weiß ihre Arbeit in der händer, Bürgerstiftungen, Universitäten KHG. Diese wird seit September von Pfarrer Stefan Wisskirchen geleitet wird, die und themenfokussierte sowie themenof- Stelle des Pastoralreferenten hat Nils Wiese übernommen. fene Verwalter. Spendenaktion: 4.810 Euro für den Uni-Shop Nicht wegzudenken: Seit fast 40 Jahren gibt es den Uni-Kiosk an der Mensabrücke. Durch Co- Als erste Universität in rona sind weniger Menschen auf dem Campus, Umsätze Nordrhein-Westfalen bie- FOTO DIETER JOSWIG / HHU fehlen, der Betreiber gerät in tet die HHU blinden und finanzielle Nöte. Studierende sehbehinderten Men- und Beschäftigte starteten des- schen eine digitale Ori- halb eine Rettungsaktion und spendeten bisher 4.810 Euro – entierungshilfe: Prof. Dr. Social Crowdfunding-Initiatorin Danielle Ebers überreicht als Überbrückung in dieser Uni-Shop Betreiber Thomas Mittelstädt den Spendenscheck Klaus Peffer und die Ko- schwer planbaren Zeit. und weitere Geschenke. ordinierungsstelle diver- sity stellten die neue Nobelpreiswoche an der HHU BlindSquare-App vor. Blinde, Sehbehinderte Bei der Online-Veranstaltung „Nobelpreiswoche an der HHU“ und auch interessierte informierten sich täglich bis zu 100 Interessent*innen auf der Sehende können sich die Seite der HHU über die diesjährige Vergabe der Nobelpreise. kostenlose Version Gemeinsam mit Expert*innen konnten sie online die Bekannt- (BlindSq Event) zur Nut- gabe der Preisträger in Medizin, Physik, Literatur, Frieden und zung auf dem Campus Wirtschaftswissenschaften zu verfolgen und direkt im Anschluss und/oder die umfassen daran mit Vertreter*innen der jeweiligen Disziplin darüber spre- dere kostenpflichtige App chen. Bei dieser spontanen ersten Einordnung wurden Wissen- aus dem App-Store von schaftler*innen der Heinrich-Heine-Universität von Expert*in- Apple herunterladen. nen der Charité (Berlin), dem Forschungszentrum Jülich und der Universität Duisburg-Essen unterstützt. 6
MAGAZIN 3 — 2020 Mit geballter Kraft relevante Themen angehen Dr. Bernd M. Schmidt und Dr. Jan-Markus Kötter sind Mitglieder im Jungen Kolleg Das Junge Kolleg versammelt pen durchaus kontrovers diskutiert werden: Was soll bestehen bleiben, was wollen wir ändern, welches Thema 30 junge Nachwuchswissen- wäre interessant, um es sich einmal aus einer interdiszi- schaftler*innen und -künstler*in- plinären Perspektive anzuschauen? Die Arbeitsgruppen sind relativ frei. Sie können sich auf hochschulpolitische nen, die in NRW arbeiten und Themen fokussieren, aber auch auf andere. Die Arbeits- die sich durch besondere künst- gruppe Hochschulpolitik ist die einzige, die permanent besteht. Diese Gruppe ist mit gut 15 Mitgliedern die lerische oder wissenschaftliche größte, die sich teilweise auch je nach Interesse in Sub- Arbeiten hervortun. gruppen aufspaltet, die wiederum Stellungnahmen und Vorschläge erarbeiten. MAGAZIN Sie beide sind Mitglied im Jungen Kolleg der MAGAZIN Sie geben eigene Stellungnahmen heraus? Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften Kötter Zum Thema Hochschulpolitik gab es kürzlich erst und der Künste. Es ist eine große Ehre, dort teilzunehmen. eine Stellungnahme zum Problem von Wissenschaftler*in- Uns interessiert: Was machen Sie da eigentlich genau? nen aus nicht-akademischen Haushalten: „Unsichtbare Di- Kötter Ich bin seit 2018 Mitglied und man ist auf vier versität. Von der Wichtigkeit der sozialen Herkunft im Jahre berufen. Das Junge Kolleg versammelt 30 junge Hochschulalltag“. Wir sind beide keine Mitglieder dieser Nachwuchswissenschaftler*innen und -künstler*innen, Gruppe, kennen aber das Arbeitsergebnis, eine interessan- die in NRW arbeiten und die sich durch besondere künst- te Kombination: Es war einerseits eine Stellungnahme, lerische oder wissenschaftliche Arbeiten hervortun. Es ist die auf der Homepage der Akademie veröffentlicht wurde. einerseits eine Auszeichnung für das, was man bisher Darüber hinaus gab es auch Postkarten, mit denen auf geleistet hat, und andererseits Nachwuchsförderung. die Situation von Studierenden und Nachwuchswissen- Schmidt Ich möchte noch herausheben, dass das Junge schaftler*innen aus nicht-akademischen Haushalten hin- Kolleg kein separater Teil der Akademie ist, sondern dass gewiesen und eine Checkliste zum diversitätssensiblen wir ganz normal auch an den Klassenvorträgen teilnehmen. Umgang damit im Hochschulalltag an die Hand gege- ben wurde. Arbeitsgruppen und Stellung- MAGAZIN Wie werden die Stellungnahmen veröffent- licht? nahmen Schmidt Üblicherweise publiziert das Junge Kolleg diese eigenständig im dem jeweiligen Thema angemessenen Zudem haben wir innerhalb des Jungen Kollegs Ar- Rahmen. Eine der letzten ist zum Beispiel in „Forschung & beitsgruppen, vieles unserer Arbeit findet dort statt. Dort Lehre“, der Zeitschrift des Hochschulverbands, veröffent- beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Themen wie licht worden. etwa „Wissenschaftskommunikation“, „Netzwerke“ oder „Hochschulpolitik“. MAGAZIN Sie arbeiten beide in der Arbeitsgruppe Wis- Kötter Diese Arbeitsgruppen schafft das Junge Kolleg senschaftskommunikation mit. Worum geht es da? aus sich selbst heraus. Wir haben zweimal im Jahr ein Schmidt Wichtig ist, dass wir im Jungen Kolleg etwas Klausurtreffen, wo dann die verschiedenen Arbeitsgrup- machen, was sowohl die Akademie als auch die einzelnen 7
CAMPUS „Das Junge Kolleg ist Öffentlichkeit vermittelt oder in die Anwendung gebracht werden. Doch was wollen die Förderer genau, was wollen explizit für den sie durch diese „Wissenschaftskommunikation“ erreicht sehen? Welche Formate oder Medien schweben ihnen wissenschaftlichen vor? Solche Fragen alleine an die diversen Förderorgani- sationen zu stellen, wäre für eine*n einzelne*n Forscher*in und künstlerischen viel zu groß. Aber zusammen haben wir im Jungen Kol- leg – und mit der Akademie im Rücken – genug geballte Nachwuchs vorgesehen.“ Kraft, um relevante, große Themen anzugehen. Kötter Wichtig ist auch der Perspektivwechsel. Beim Thema Wissenschaftskommunikation ist mir aufgefallen, — Dr. Bernd Schmidt dass nicht nur das Verständnis, sondern auch die Mög- Chemiker lichkeiten von Fach zu Fach sehr unterschiedlich sind. Die verschiedenen Fächerkulturen spielen da eine Rolle. Ein Mitglieder des Jungen Kollegs nicht alleine machen kön- Beispiel: Naturwissenschaftler*innen haben oft bunte Bil- nen. Zum Hintergrund: Die meisten Forschungsförder der auf ihren Folien, das ist zugänglicher als bei Geistes- organisationen fordern unter dem Stichwort „Wissen- wissenschaftler*innen, die eher mit Texten arbeiten, die schaftskommunikation“, dass zu einem Forschungspro- nicht schnell visualisierbar sind. Die Unterschiede in Stil, jekt auch ein Konzept gehört, wie dessen Ergebnisse der Format, Sicht auf andere Fächer und Interdisziplinarität sind riesig. Das zusammenzuführen ist sehr bereichernd. FOTOS FLORIAN KAISER-WINTER MAGAZIN Sind die Arbeitsgruppen ein Spezifikum des Jungen Kollegs? Kötter In der festen und stetigen Organisation sind sie spezifisch für das Junge Kolleg. Die Akademie versucht aber vermehrt, bestimmte Themen ad hoc aus Reihen der „regulären“ Akademie bearbeiten zu lassen. Hierzu wurde vor anderthalb Jahren eine sogenannte „Leitthemenkom- mission“ ins Leben gerufen wurde. Es geht darum, ge- meinsame Formate und Themen zum Austausch und Transfer zu suchen, woran das Junge Kolleg dann natürlich wieder beteiligt ist. MAGAZIN Wie kommt man nun ins Junge Kolleg? Kann man sich bewerben, wird man vorschlagen? Schmidt Ich habe mich selbständig schriftlich bewor- ben, weil mich das Konzept interessiert hat. Die Inter- disziplinarität hat mich besonders gereizt, weil ich auch sehr an Kunst interessiert bin. Auch wenn die Fächer- kulturen sehr unterschiedlich sind, finde ich das privat sehr inspirierend. Auf vier Jahre berufen Kötter Neben der Eigenbewerbung gibt es auch Mit- glieder, die von ihren Fakultäten vorgeschlagen werden. Die Aufnahme ist dann letztlich eine Akademieentschei- Dr. Bernd Schmidt dung, das Junge Kolleg kooptiert nicht selbst, ist aber an Jahrgang 1984 der Entscheidung beteiligt. studierte Chemie an der Freien Universität Berlin und promovier- Schmidt Die Sollstärke des Jungen Kollegs liegt bei 30. te dort als Mitglied des Graduiertenkollegs „Fluorchemie“. Seit Man ist auf vier Jahre berufen und scheidet danach 2018 ist er an der HHU Leiter einer unabhängigen Nachwuchs- gruppe mit dem Schwerpunkt supramolekulare Chemie am Insti- automatisch aus. Man kann auch schon auf dem Weg tut für Organische Chemie und Makromolekulare Chemie. ausscheiden, wenn man eine Stelle außerhalb von NRW 8
MAGAZIN 3 — 2020 antritt oder einen Ruf auf eine W2- oder W3-Professur bekommt – denn das Junge Kolleg ist explizit für den wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchs vor- gesehen. Die Gruppe wird jährlich wieder aufgefüllt. Es wird üblicherweise paritätisch besetzt und es gibt den Grundkonsens, dass die drei wissenschaftlichen Klassen, „Geisteswissenschaften“, „Naturwissenschaften und Me- dizin“, „Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften“, in gleicher Stärke vertreten sind. Sich aktiv einbringen Kötter Es geht bei der Aufnahme wirklich um die Frage, wer passt zu uns, wer möchte sich einbringen, wer bringt Input, will aktiv mitarbeiten. MAGAZIN Nach vier Jahren ist Schluss, gibt es denn dann eine bevorzugte Aufnahme in die Akademie? Kötter Nein, das ist eine ganz andere Baustelle und ja auch eine ganz andere Hausnummer. Schmidt Die Aufnahme in die normale Akademie folgt in einem deutlich späteren Karriereabschnitt. Das sind üblicherweise etablierte und sehr erfolgreiche For- scher*innen. MAGAZIN Neben der Arbeit im Jungen Kolleg arbeiten Sie auch im normalen Akademieleben mit? Dr. Jan-Markus Kötter Jahrgang 1983 Kötter Die Akademie ist ja ein Format, das Wissenschaft- ler*innen einlädt, an einem festen Ort ihre Forschung Arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Alte zu diskutieren. Und da sind wir vom Jungen Kolleg auf- Geschichte. Nach dem Studium in Bielefeld, Uppsala und Bonn promovierte er 2011 im Rahmen des Exzellenzclusters „Die Heraus- gefordert, uns zu beteiligen, unter anderem bei den acht bildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität in Frank- bis zehn Mal pro Jahr stattfindenden Klassensitzungen. furt. Derzeit verfasst er seine Habilitation über „Scipio Aemilianus Gewöhnlich hält da ein*e Kolleg*in einen Vortrag, darü- und die Strategien im Wettbewerb römischer Aristokraten“ ber wird diskutiert und anschließend wird gemeinsam gegessen. Wir sind aufgerufen in den vier Jahren, in Schmidt Ich hatte Glück, dass meine Aufnahme beim denen wir Mitglied sind, auch selbst dort einen Vortrag Neujahrskonzert im Januar 2020 und auch die erste Klau- zu halten. Da sind wir bei dem Aspekt Ruhm und Ehre: surtagung noch vor Corona waren. Dass wir uns wirklich Ein Vortrag in der Klassensitzung ist in traditionelleren kennengelernt haben, ist wahnsinnig wichtig. Denn auch Fachkulturen schon etwas Besonders, ein seltenes Forum. wenn Videotelefonie und Zoomkonferenzen den Alltag Da freut man sich dann auch drauf. heute durchdrungen haben, ist es schwierig mit Men- schen zu sprechen, die man noch nie im wirklichen Leben MAGAZIN Gibt es in anderen Akademien in Deutsch- getroffen hat. Weil das Grundvertrauen fehlt, alles viel land ähnliche Projekte wie das Junge Kolleg? distanzierter ist. Kennt man sich persönlich, ist die Ar- Schmidt Ja, die meisten Akademien haben eine Nach- beit in den Arbeitsgruppen glücklicherweise einfacher, wuchsförderlinie. Wir sind auch miteinander im Aus- da kann man sich über eine Zoomkonferenz und das Tele- tausch. Die Konzepte sind aber sehr verschieden. Trotz fon gut organisieren. unterschiedlicher Ausrichtungen gibt es durchaus den Kötter In der Akademie war zwar im März Schluss, aber Drang, sich zu verbinden und auszutauschen. jetzt fangen wieder die Klassensitzungen und einzelne Formate an, die Akademie öffnet sich wieder. Aber der MAGAZIN Nun ist der Austausch in diesen Zeiten ja alljährliche „Forschungstag“ des Jungen Kollegs entfällt etwas schwieriger geworden. Wie läuft das denn in Zei- leider. ten von Corona? Herr Schmidt, Sie sind ja gerade neu aufgenommen worden. Das Gespräch führten Arne Claussen und Victoria Meinschäfer. 9
CAMPUS Studienstart für circa 4.000 Erstsemester Begrüßung an der HHU diesmal rein virtuell VON CAROLIN GRAPE tenzerwerb im Vordergrund stehen. Aber ein Studium bedeutet mehr. Sie lernen Pro- blemstellungen aus unterschiedlichen Per- Am 2. November startete an der Heinrich- spektiven zu beurteilen und dafür neue, kreative Lösungen zu finden. Um unsere gro- Heine-Universität die Vorlesungszeit für gut ßen gesellschaftlichen Aufgaben – Klima- 4.000 Studienanfänger*innen in allen wandel, demographischer Wandel, Mobi- litätsfragen – zu meistern, benötigen wir Bachelorstudiengängen und in Studiengängen Persönlichkeiten mit innovativen und krea- mit staatlichem Abschluss. Insgesamt sind tiven Ideen und der Fähigkeit zu wissen- schaftlich-analytischem Denken. Ihre Ge- aktuell rund 35.500 Studierende eingeschrieben. neration hat eine hohe Verantwortung und dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg.“ D Grundsätzlich sei die Lehre an der ie HHU setzt im Wintersemes- nießen werden und wo Sie einiges nach- HHU so organisiert, dass nahezu komplett ter auf eine Art Hybridmodell: holen können.“ online studiert und von den Fachinhalten her eine Kombination aus Online- Wichtig war der Rektorin ebenso diese digital ein ganz normales Studium absol- und Präsenzlehre. Um der aktu- Botschaft: „In den nächsten Jahren werden viert werden könne, so Prof. Dr. Christoph ellen Pandemie-Situation verantwortungs- bei Ihnen sicherlich Wissen- und Kompe- J. Börner, Prorektor für Studienqualität und voll und bestmöglich Rechnung zu tragen, fand die traditionelle Erstsemesterbegrü- ßung erstmals virtuell statt. Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck hieß die „Erstis“ um 10:00 Uhr im Live-Stream herzlich willkommen: „Schön, dass Sie sich für ein Studium an der HHU entschieden haben. Für Sie beginnt heute ein neuer Le- bensabschnitt. Auch wenn der Studienstart Hybrides Studium unter Corona-Bedingungen und ins Hybrid- semester ungewohnt und anders ist als in FOTO DIETER JOSWIG / HHU den vergangenen Jahren, bleiben Sie in den nächsten Wochen bitte optimistisch und zuversichtlich. Ich habe keine Zweifel, dass wir die Pandemie im nächsten Jahr weit- gehend überstanden haben. Sie haben dann Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck und Prorektor Prof. Dr. Christoph J. Börner beantworteten im Live-Chat Fragen noch einige Semester vor sich, die Sie ge- zum Hybridsemester. 10
MAGAZIN 3 — 2020 „Ein Studium bedeutet tion und finanzielle Hilfsmöglichkeiten. Zen- trale Anlaufstelle für digitale Lehre an der mehr als Wissens- HHU ist das E-Learning-Portal (elearning. hhu.de). Viele weitere Tipps beispielsweise zur Aktivierung der Uni-Kennung, zum Stu- und Kompetenzerwerb.“ dieren im Home Office oder zur Erläuterung der Lernplattform ILIAS finden sich unter hhu.de/digitalstudieren. —P rof. Dr. Anja Steinbeck Auch die neue App für Erstsemester, Rektorin der „Ersti-Guide“, zählt dazu: Nach Katego- rien sortiert finden sich hier zu über 100 Themen kompakte Infos und passende Lehre, und weiter: „Aufgrund der derzeiti- und Abstandsregeln nur geringe Kapazitäten Ansprechpersonen. Für tagesaktuelle Mel- gen Rahmenbedingungen wird die Online- für bis zu 50 Studierende vorhanden. Trotz- dungen ist die App zudem mit den Social- Lehre den größten Anteil des Gesamtange- dem sollten die Erstsemester die Möglich- Media-Kanälen des Studierendenservice ver- bots an Lehrveranstaltungen einnehmen.“ keit haben, in unregelmäßigen Abständen knüpft (hhu.de/erstiguide). Um möglichst vielen Studienanfänger*in- auf den Campus kommen zu können – sei Über 2.000 Studierende verfolgten die nen aller Studiengänge die Atmosphäre es für ein Praktikum, ein Seminar oder auch Live-Ansprache während der Erstsemester- für eine Vorlesung. Es kommt also auf den begrüßung und viele beteiligten sich am jeweiligen Studiengang bzw. das Fach und Live-Chat und stellten Fragen. Am Veran- Motto „Erstis first“ die jeweilige Veranstaltung an.“ staltungsende wiesen Rektorin und Prorek- Für Studienanfänger*innen, aber auch tor auf die täglich gepflegte Info-Website für „ältere Semester“, bietet die HHU um- corona.hhu.de als zentrales Medium für und Lehre auf dem Campus zu vermitteln, fassende Unterstützungsservices (Leitfäden, eine kontinuierliche Kommunikation rund werden sie unter dem Motto „Erstis first“ Tutorials u. Ä.) zur Förderung von digitalen um die Situation an der HHU, Regelungen beim Präsenz-Unterricht bevorzugt. Dazu Kompetenzen an. Dabei handelt es sich um und Hinweise hin. Prof. Börner: „Wir bieten so viele Präsenz- technische Hilfe und Anleitung bei Fragen veranstaltungen an, wie es ein verantwor- der Verwendung der Softwareplattformen, Die Live-Begrüßung kann hier aufge- tungsvoller Infektionsschutz erlaubt. In un- Beratungsangebote bei Schwierigkeiten mit rufen werden: https://www.youtu.be/ seren Hörsälen sind aufgrund der Hygiene- der veränderten Lern- und Selbstorganisa- LLg5wWT0mgw Vorläufige Zahlen zum Wintersemester 2020 /2021 4.168 37.500 284 JF WS 2019 / 2020 626 WF 1.578 35.527 MNF WS 2020 / 2021 382 MF NEUZUGÄNGE IM WS 2020 / 2021 ZAHL DER STUDIERENDEN 1.298 PF ERSTSEMESTER NACH FAKULTÄTEN 59 % 41 % 329 277 2.645 2.140 JF WF MEDIZIN JURA 4.190 STUDIERENDE 1. HOCHSCHULSEMESTER MF NACH GESCHLECHT 16.676 MNF 421 357 317 9.876 12 % 12 % PF BIOLOGIE BWL INFORMATIK STUDIERENDE NACH FAKULTÄTEN STAND 4.10.2020 MNF=Math.-Naturw. Fakultät, PF=Philosophische Fakultät, AUSLÄNDISCHE ERSTSEMESTER- STUDIERENDE IM 1. SEMESTER MF=Medizinische Fakultät, WF=Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, STUDIERENDE STUDIERENDE JF=Juristische Fakultät 11
CAMPUS FOTO ULB DÜSSELDORF, AKTEN DER LANDES- UND STADTBIBLIOTHEK (2)50 Jahre Universitäts- und Landesbibliothek Ein Ort, an dem zentrale gesellschaft liche Fragen verhandelt werden 12
MAGAZIN 3 — 2020 Der Lesesaal der Landes- und Stadtbiblio- thek Düsseldorf (1906 – 1944) wurde von Peter Behrens gestaltet. VON VICTORIA MEINSCHÄFER Theatern, Festungen oder Gemäldegalerien,“ so Landwehr. Zum anderen hinterließ die Aufklärung ihre Spuren: Es entstanden Lesekreise oder -zirkel, die eigene Räume er- Seit 50 Jahren ist die Univer hielten und zu den Vorläufern der heutigen Stadtbiblio- theken wurden. Die Bibliothek entwickelte sich zu dem sitäts- und Landesbibliothek Ort, an dem die wichtigen gesellschaftlichen Fragen der (ULB) Teil der HHU. Ihre Ge- Zeit verhandelt wurden. Es gibt Historiker, die davon aus- gehen, dass die Französische Revolution in den Pariser schichte beginnt jedoch lange Bibliotheken eingeübt wurde. „Es war ein Ort, an dem vor der Gründung der Uni- die Menschen zusammenkamen und nach und nach de- mokratische Praktiken einführten und einübten. Vieles versität bereits 1770 mit der musste besprochen werden: wie organisiert man eine Einrichtung der Kurfürst- solche Bibliothek, wer kümmert sich um welche Themen? lichen Öffentlichen Bibliothek. Aus den 700 Büchern sind Lesen und laut vorlesen rund 2,5 Millionen Bände geworden – elektronische Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen wurden neu erdacht und ausprobiert“, so Landwehr. Damit war die Bestände nicht eingerechnet. Bibliothek, genau wie oftmals heute, kein stiller Raum, in dem schweigend gearbeitet wurde, sondern vielmehr Treffpunkt und Ort von Diskussionen. Es wurde gelesen, aber eben auch laut vorgelesen. Auf Bibliotheken als Ort R der politischen Auseinandersetzung verweist auch die unde, beeindruckende Zahlen, doch gibt es Leiterin der Universitäts- und Landesbibliothek, Kathrin darüber hinaus einen Grund, über Biblio- Kessen: „Die Geschichte unserer Bibliothek zeigt, dass theken nachzudenken? Durchaus, findet der Bibliotheken Institutionen waren und sind, die zu wissen- Historiker Prof. Dr. Achim Landwehr, „wie wichtig der Bau von Bibliotheken derzeit ist, zeigt sich FOTO ULB DÜSSELDORF, AGNES LUCAS daran, dass es gerade in den letzten Jahren den Trend gibt, dass große Architekturbüros sehr repräsentative Bibliotheken bauen. Und diese sind nicht nur als Bücher- magazine, sondern als soziale Orte gedacht. Das ist eine Entwicklung, die wir aus dem späten 18. Jahrhundert, also aus der Gründungszeit der ULB, kennen.“ Auch oder ge- rade in Zeiten von Google braucht es Räume, an denen das Wissen physisch vorhanden ist, gesehen werden kann. Demokratische Praktiken einführen und einüben Im späten 18. Jahrhundert waren Bibliotheken zum einen Repräsentationsbauten. Herrscher zeigten so, dass sie es sich leisten konnten, eine teure Bibliothek einzu- richten und zu unterhalten, „das unterschied die Biblio- Säulen der Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf vor der Universitäts- thek kaum von anderen repräsentativen Gebäuden, von und Landesbibliothek Düsseldorf 13
CAMPUS Der geschichtliche Hintergrund „Die Geschichte unserer Bibliothek zeigt, dass Biblio- theken Institutionen waren FOTO ULB DÜSSELDORF und sind, die zu wissen- schaftlicher und politischer Auseinandersetzung ebenso Stempel der Königlichen Landesbibliothek zu Düsseldorf, ca. 1874 einladen wie zur Positionie- Im Frühjahr 1770 wurde die erste Vorgängerein- rung der Bürgerinnen und richtung der heutigen Universitäts- und Landesbi bliothek als Kurfürstliche öffentliche Bibliothèque Bürger der Stadt, des Landes unter Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz gegrün- det. Im 19. Jahrhundert erhielt sie den Namen Kö- oder auch der Mitglieder nigliche Landesbibliothek. Über mehrere Änderun- der Universität.“ gen der Herrschaftsverhältnisse und über die Be- satzungszeit während der Koalitionskriege hinweg wurde sie erhalten und durch die Auflösung der re- — Prof. Dr. Achim Landwehr gionalen Klöster und Stifte in der Zeit der Säkulari- Historiker sation erheblich vermehrt. Trotz dieses umfangrei- chen Bestands, der auch zahlreiche kostbare Hand- schriften enthielt und sich über alle Wissensbereiche erstreckte, und trotz einer großen Nutzerschaft aus schaftlicher und politischer Auseinandersetzung ebenso den örtlichen Akademien und Schulen sowie dem einladen wie zur Positionierung der Bürgerinnen und Adel und Beamtentum rangen die Leiter der Biblio- Bürger der Stadt, des Landes oder auch der Mitglieder thek vergeblich um eine feste Verortung und eine der Universität.“ angemessene Ausstattung. Diese konnten erst im Jahr 1904 durch die Übernahme in kommunale Trä- gerschaft erreicht werden, unter der die Einrichtung Hier wird Wissen sichtbar als Landes- und Stadtbibliothek fortgeführt wurde. Nach hoffnungsvollen Anfängen in Kaiserreich und Weimarer Republik, konnten dank geschickter Wenn die Frage „Was ist der Mensch? Was ist Ver- Bestandspolitik und rechtzeitiger Auslagerungen nunft?“ im späten 18. Jahrhundert in Bibliotheken dis- die Bestände vor dem Zugriff der Nationalsozialisten kutiert wurde, was ist dann die heutige Frage, die in und Bombenvernichtung im Zweiten Weltkrieg ge- unseren modernen Bibliotheken verhandelt wird? Land- rettet werden, das Bibliotheksgebäude wurde hinge- wehr verweist auf das Anthropozän, eine neue geochro- gen zerstört. Fortan musste die Bibliothek mit einem nologische Epoche, in der der Mensch die Erde prägt, Dauerprovisorium leben. Am 1. Oktober 1970 wurde und kommt zu der überraschenden Antwort „Nachhal- sie an das Land übergeben. Das Land – bzw. die im tigkeit. Wie gehen wir mit der Erde um? Wie kann man November 1965 gegründete Universität – führte sie Wissen so nutzen, dass es möglichst allen zu Gute mit der Zentralbibliothek der ehemaligen Medizi- kommt? Dass es zum Wohle des Planeten beiträgt.“ Wis- nischen Akademie zu einer einschichtig organisier- sen ist die zentrale Ressource des 21. Jahrhunderts und ten Universitätsbibliothek zusammen. Den heutigen die Bibliothek der Ort, an dem Wissen sichtbar wird. Namen Universitäts- und Landesbibliothek Düssel- Anders als bei Google hat in den Bibliotheken gesam- dorf führt sie seit 1993, nimmt sie doch seitdem meltes Wissen zudem den Vorteil, dass es systematisiert kooperativ mit den Universitäts- und Landesbiblio- und organisiert zur Verfügung gestellt wird – und nicht theken in Bonn und Münster die landesbibliothe- durch Algorithmen. karischen Aufgaben für das Land Nordrhein-West- falen wahr. Die ersten Bestände der kurfürstlichen Weitere Informationen zum Bibliotheksjubiläum Bibliothek finden sich noch heute in der ULB. C. S. unter www.ulb250.hhu.de 14
MAGAZIN 3 — 2020 Hochschulleitung 2020 – 2024 Neue Rektoratsmitglieder und veränderte Ressorts S eit Herbst 2014 ist Prof. Dr. Anja Steinbeck Rolle. Sowohl die wissenschaftlichen als auch die tech- Rektorin der HHU. Nun, sechs Jahre später, nologischen Plattformen müssen zu vordringlichen Auf- hat die Amtsperiode des auf vier Jahre ange- gaben des Rektorats werden, weshalb Prof. Mauve sich setzten zweiten Rektorats begonnen. Neben ihr und auf diese beiden Kernbereiche konzentrieren wird.“ Kanzler Dr. Martin Goch, also den beiden hauptamt- lichen Rektoratsmitgliedern, sind eine Prorektorin und drei Prorektoren dabei, um unter anderem die Hochschulentwicklungsplan Bereiche Forschung, Lehre, Digitalisierung und Wis- senschaftskommunikation auszubauen und weiter- zuentwickeln. Das Ressort „Forschung und Transfer“ bleibt in seiner Denomination unverändert, es wurde von der Medizine- Das neue Rektorat der HHU ist seit dem 1. November 2020 rin Prof. Dr. Dr. Andrea Icks übernommen. Der Arbeits- im Amt. Mit der personellen Zusammenstellung änderte bereich „Internationales und Wissenschaftskommunika- sich auch der Zuschnitt einiger Ressorts. So wird die De- tion“ bleibt ebenfalls bestehen, es wird seit 2019 von nomination von Prof. Dr. Christoph Börner künftig „Stu- Prof. Dr. Stefan Marschall verantwortet. „Eine unserer dienqualität und Lehre“ (bisher: „Studienqualität und Kernaufgaben ist die gemeinsame Erstellung des HEP, Personalmanagement“) lauten. Zum gänzlich neuen Res- des Hochschulentwicklungsplans, der 2022 veröffentlicht sort „Digitalisierung und wissenschaftliche Infrastruktur“, wird“, so Prof. Steinbeck. „Es mag wie eine Phrase klingen, übernommen vom Informatiker Prof. Dr. Martin Mauve, aber beim HEP ist wirklich der Weg das Ziel; in ihm wer- erklärt Rektorin Steinbeck: „Die Digitalisierung spielt in den die Strategien und wichtigsten Maßnahmen für die Forschung, Lehre und Infrastruktur eine herausragende kommenden Jahre verabredet und ausformuliert.“ A. Z. FOTO SUSANNE KURZ/HHU Das seit dem 1.11.2020 im Amt befindliche Rektorat der HHU besteht aus (v. l. n. r.) Dr. Martin Goch, Prof. Dr. Dr. Andrea Icks, Prof. Dr. Christoph Börner, Prof. Dr. Anja Steinbeck, Prof. Dr. Martin Mauve und Prof. Dr. Stefan Marschall. 15
CAMPUS Neue Gründerzeit an der HHU Mit der Förderung des CEDUS in Millionen- höhe kann die Universität ihre zentralen Gründungsaktivitäten nachhaltig ausbauen FOTO CHRISTOPH KAWAN Ingo Stefes ist seit Oktober neuer Geschäftsführer des CEDUS. VON CAROLIN GRAPE W as haben eine innovative Nahrungs- für das Thema Unternehmensgründung zu sensibilisie- mittel-Dienstleistungsplattform, die ren und Gründungsinteressierte auf ihrem Weg zum eige- eine ausgewogene Ernährung auch nen Unternehmen umfassend zu unterstützen. Die Bilanz mit einem geringen monatlichen bisher kann sich sehen lassen: Seit 2011 gab es an der Budget ermöglicht, und eine digitale Lösung, die mit- HHU 56 Ausgründungen, im Durchschnitt sechs pro Jahr, tels automatisierter Moderation und Analyse durch darunter so erfolgreiche wie TunaTech oder Numaferm. künstliche Intelligenz die Diskussionskultur im Inter- net verbessert, gemeinsam? Drei Millionen Euro Die beiden Start-up-Konzepte Recipeat und Dialogo sind die Gewinner in den Kategorien „Ideen von Studieren- den“ und „Ideen von Wissenschaftler*innen“ des dies- Um die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern, jährigen HHU-Ideenwettbewerbs. Die jährliche Suche nach hat die Universität vom Begleitvorhaben der Initiative „Ex- kreativen Köpfen ist ein Tool im Werkzeugkasten des zellenz Start-up Center.NRW“ eine Förderung über drei Center for Entrepreneurship (CEDUS), der zentralen An- Millionen Euro aus Landesmitteln erhalten. Exzellenz in laufstelle der HHU für alle Fragen rund um Gründung und der Forschung solle schneller den Weg in den Markt Selbstständigkeit. Dessen Aufgabe ist es, an der HHU finden, so Minister Pinkwart bei der Übergabe des Zu- 16
MAGAZIN 3 — 2020 wendungsbescheids und weiter: „Die Heinrich-Heine- Universität hat bereits zahlreiche große Unternehmen „Mit der Förderung können hervorgebracht und eine große Bedeutung für die Start- up Region Düsseldorf. Mit der Förderung erreicht die Düs- wir unsere im Leitbild seldorfer Gründungsunterstützung ein neues Niveau.“ Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck erklärt: „Mit der verankerte Gründungskultur Förderung können wir unsere im Leitbild verankerte Grün- nachhaltig stärken.“ dungskultur nachhaltig stärken. Wir werden die indivi- duelle Gründungsberatung und das Scouting ausbauen, — Prof. Dr. Anja Steinbeck mit dem Ziel, die Zahl und das Erfolgspotenzial unserer Rektorin Gründungen zu erhöhen. Die Aktivitäten der HHU im Bereich der Gründungsförderung werden wir über die Förderphase hinaus fortführen.“ auf dem Campus zu identifizieren. Diese können wir dank Die gründungsbezogenen Angebote am CEDUS sowie unserer erweiterten Personaldecke jetzt individuell bei die Gründungslehre an der Mathematisch-Naturwissen- der Geschäftsmodellentwicklung oder auch bei der Be- schaftlichen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät antragung von relevanten Fördergeldern sowie vielen an- werden kontinuierlich erweitert – konkret bedeutet das deren Themenfeldern und Entwicklungsschritten bis zum in erster Linie personelle Verstärkung. Investorengespräch begleiten. Dazu gehört auch die Ver- Hier wird mit Tempo agiert: Am 1. Oktober hat Ingo netzung mit HHU-internen und externen Netzwerkpart- Stefes die Geschäftsführung des CEDUS übernommen. nern. In Zukunft werden wir Workshops und Vorträge Der gelernte Werbekaufmann kennt sich aus auf dem anbieten, die aber auch nicht nur für Gründungsinteres- Terrain: Von 2011 hat er im Dezernat Forschungsmanage- sierte wichtig sind. Die Skills, die in diesen Formaten ver- ment als Projektmanager das EXIST Gründungskultur- mittelt werden, sind auch für zukünftige Arbeitnehmer Programm des Bundesministeriums an der HHU betreut. essenziell, denn die meisten modernen Firmen suchen 2015 gründete er mit drei weiteren Partnern die THE heutzutage Nachwuchskräfte mit Unternehmergeist.“ KATAPULT GbR. Das Unternehmen organisiert in Düssel- Bis jetzt befinden sich die Räumlichkeiten des CEDUS dorf Events wie den Start-up-Sprint, die Start-up-Games im ehemaligen Sportinstitut (Gebäude 28.01). Um die wie auch Community Treffen, um den Weg in das Düssel- Ausstrahlungskraft der Gründungsinitiative zu steigern, dorfer Start-up-Ökosystem zu erleichtern. Parallel dazu ist ein Umzug in neue Räume in zentraler Lage auf dem entwickelte und organisierte Ingo Stefes seit 2016 in Campus (Gebäude 25.02 und 25.12) geplant. der jüngst etablierten Start-up-Unit des Amtes für Wirt- schaftsförderung der Stadt Düsseldorf innovative Maß- nahmen wie u. a. die Start-up-Woche und unterstützte als Potenziale erschließen Berater und Mentor Start-up-Unternehmer*innen. Beste Voraussetzungen, um Gründungsinteressierte an der HHU auf ihrem Weg zum eigenen Unternehmen In der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ist das bedarfsorientiert zu unterstützen: „Ein neuer Scouting- Thema Entrepreneurship, unter anderem über die Pro- Prozess soll dazu beitragen, frühzeitig marktfähige Ge- fessur für Entrepreneurship und Finanzierung, Lehr- schäftsideen und talentierte Gründungspersönlichkeiten stuhlinhaberin Prof. Dr. Eva Lutz, bereits verankert. Stu- dierende haben dort Zugang zu einem breit aufgestellten Bei der Übergabe des Zuwendungsbescheids am 1. Juli: Rektorin Prof. curricularen Veranstaltungsangebot. Um alle Studieren- Dr. Anja Steinbeck und Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart den und Wissenschaftler*innen anzusprechen sowie Gründungspotenziale hochschulweit zu erschließen, ist ab jetzt Dr. Marisa Henn als zusätzliche, unbefristete Lehr- kraft an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät tätig. Sie soll das Thema Gründung fakultätsübergreifend in der Lehre stärken. An der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fa- kultät haben vor allem die Bereiche Informatik und Di- gitalisierung ein besonders hohes Gründungspotenzial. Deshalb wird in der Informatik eine zusätzliche W2-Pro- fessur für Entrepreneurship und Innovationsmanagement FOTO JOCHEN MÜLLER eingerichtet. Ferner soll ein zusätzliches Entrepreneur- ship-Modul in die Graduiertenausbildung der Mathema- tisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät fest integriert werden. 17
MOMENTAUFNAHME Poliklinik Rheumatologie der Medizinischen Fakultät Kurz nach 10 Uhr am Morgen, 35 Grad. Die Visiten werden noch schnell dokumentiert, die Anordnungen zu Ende geschrieben. Plötzlich die Meldung, dass das Antibiotikum Cefuroxim aus ist. Nicht schon wieder. Genervtes Stöhnen. Forschung kann auch so aussehen. FOTO JENNIFER LYDIA RODAK 18
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PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT „ dann B in dem HAUS dann bin ICH Fahrrad ge s t i e g e n Prof. Dr. Dieter Stein und Dr. Martina Nicklaus forschen zur forensischen Linguistik 20
MAGAZIN 3 — 2020 ich H A LT aus ge s t ü r z t UND “ halt AUF mein VON VICTORIA MEINSCHÄFER „Der lügt, das merkt man doch sofort!“ Wirklich? Woran? Was schon im täglichen Leben oft schwierig zu beurteilen ist, wird vor Gericht umso schwieriger. Wenn Wahrheit und Lüge dort anhand von sprachlichen Untersuchungen auseinandergehalten werden sollen, sollten forensische Linguist*innen ins Spiel kommen. 21
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT P syntaktische Merkmale. Mit ihnen konnte nachgewiesen werden, dass der Verurteilte nicht das entscheidende Geständnis verfasst haben konnte. Für die beteildigten Lingusti*innen war z.B. die Variationsmöglichkeit von „Then he came“ gegenüber „He then came“ von Belang, sie war Teil eines größeren Komplexes von häufig auf- tretenden syntaktischen Merkmalen, die in ihrer statisti- schen Gesamtheit ein eindeutiges Bild ergaben. Dieser Prozess, der in England einen Anstoß zur Abschaffung der Todesstrafe gab, begann mit einem klassischen Fehl- urteil – der Angeklagte wurde hingerichtet. Nach einer forensischen Sprachanalyse wurde dieses – leider zu spät für den Hingerichteten – aufgehoben. Wortschatz und Syntax rof. Dr. Dieter Stein und Dr. Martina Nicklaus interessie- ren sich seit Jahren für dieses Spezialgebiet, bei dem sich Sprachwissenschaft und Juristerei treffen. Der Ang- Vergleichbare, in die Öffentlichkeit hineingetragene list Stein hat schon 2006 gemeinsam mit Prof. Dr. Alex- Fälle, in denen forensische Sprachanalyse eine wichtige ander Lorz von der Juristischen Fakultät (jetzt Kultus- Rolle spielte, sind etwa der Fall des „Una-Bombers“ in minister in Hessen) und Frances Olsen von der Juristi- den USA sowie aus jüngerer Zeit der Entführungsfall schen Fakultät der University of California at Los Angeles Würth. und mit Unterstützung von hiesigen Law Firms die „In- Wortschatz wie auch Syntax sind niemals personen- ternational Law and Language Association (ILLA)“ ge- unabhängig von außen zu bestimmen, alle Überprüfun- gründet. Die Romanistin Nicklaus kam über ihr Interesse, gen hier können sich immer nur auf den gewöhnlichen Wahrheit und Lügen in Gerichtsprozessen anhand von Sprachgebrauch des/der Sprechenden beziehen. So sprachlichen Merkmalen zu entdecken, zur forensischen wird zur Feststellung von evtl. Lügen oder Täuschungs- versuchen zunächst die „Baseline“, also der gewöhnliche Sprachgebrauch des/der Betreffenden als Referenz be- Sprache im Rechtssystem stimmt. „Solche Überprüfungen machen derzeit meist Psycholog*innen“, erläutert Nicklaus, „dazu wird zu- nächst darum gebeten, über ein reales Ereignis aus der Linguistik. Sprache und Recht haben mehr miteinander Vergangenheit zu berichten.“ Anhand dieser durch un- zu tun, als auf den ersten Blick erkennbar. „Das Recht angestrengte Äußerungen ermittelten „Baseline“ wird besteht aus Sprache“, so Stein, „das Recht kommt durch festgestellt, was den individuellen Stil ausmacht, mit ihr die Sprache in die Welt, alle Rechtsgrundsätze sind werden dann alle weiteren Aussagen verglichen. Ein Pro- sprachlich gefasst.“ Auch die forensische Linguistik be- blem aller Forschung ist der oft schwierige bis unmögliche schäftigt sich mit Sprache im Rechtssystem: „Immer, Zugang zu den Gerichtsakten. Die Wissenschaftler*in- wenn Sprache zur Aufklärung eines Verbrechens analy- nen brauchen die Zustimmung aller Beteiligten, um die siert wird, dann geht es um forensische Linguistik,“ so Nicklaus. Das beginnt bei der Frage nach dem Wort- schatz, geht allerdings auch weit darüber hinaus. Natür- lich hat ein älterer Mensch meist einen anderen Wort- schatz als seine Enkel*innen, in Gerichtsverfahren spielt das aber selten eine Rolle. „Wörter sind zwar im Blick- feld, die sehen alle, was aber viel interessanter ist, ist die Syntax“, so Nicklaus, „denn darüber machen sich die Sprecher*innen keine Gedanken.“ Ein mittlerweile öffent- lich zugängliches Beispiel aus dem ersten, die forensi- sche Linguistik als Disziplin mitbegründenden Kriminal- fall, bekannt als „Evans statements", involvierte vor allem 22
MAGAZIN 3 — 2020 „Wörter sind zwar im Blickfeld, die sehen alle, was aber viel interessanter ist, ist die Syntax, denn darüber machen sich die Sprecher*innen keine Gedanken.“ — Dr. Martina Nicklaus Romanistin Daten auswerten zu können, in der Realität sind diese Schilderungen oft sehr präzise Bewegungsverben, etwa kaum zu bekommen. Zudem werden – anders als land- „hinausstürzen“ oder „vorbeihetzen“. Ein weiterer Hin- läufig vermutet – Gerichtsprozesse nicht mitstenogra- weis sind spontane Korrekturen, bei denen sich der/die phiert, über die meisten gibt es am Ende der Verhand- Redner*in während der Rede selbst korrigiert. Meist ein lung keine ganz verlässlichen Aufzeichnungen. So bleiben Zeichen dafür, dass hier die Wahrheit gesagt wird, meist nur die Beurteilungen und die Gesprächsprotokolle „wenn eine Geschichte erfunden ist, dann kommen sol- der Gutachter*innen. „Bei Missbrauchsfällen werden che spontanen Korrekturen nicht vor,“ so Stein. Er weist immer auch Psycholog*innen hinzugezogen, die klären, auch auf den vermehrten Partikelgebrauch bei Lügen inwieweit die Aussagen des Opfers erlebnisbasiert sind“, hin. „Ein typischer Satz ist: ‚Dann bin ich halt zum Bahn- so Nicklaus. hof gegangen und da habe ich halt einen Fahrschein ge- kauft.“ Der Partikel „halt“, so der Anglist, kann in be- stimmten forensisch relevanten Erzählsituationen so in- Lügner*innen verraten sich terpretiert werden, dass die Aussage nicht hinterfragt werden soll. „Frag nicht weiter, belass es jetzt mal dabei!“ oft durch die Sprache ist die Botschaft. Auffällig sind in solchen Situationen meist auch stereotyp gebaute, wenig individuierte Sät- Psycholog*innen können den Wahrheitsgehalt von ze, eine Handlung wird immer wieder mit „und dann… Aussagen meist auf Grund ihrer Erfahrung recht gut ein- und dann… und dann“ verknüpft. Stein: „Entscheidend schätzen, forensische Linguist*innen dagegen verfügen für die ‚diagnostische‘ Interpretation sind – und dies über ein ausgefeiltes Instrumentarium, um Lügen auf- zudecken. So gibt es einige sprachliche Hinweise, an denen Lügner*innen zu erkennen sind: „Das ist zum Bei- spiel der deutlich präzisere Gebrauch von Bewegungs- verben“, so Nicklaus. Im Allgemeinen schildern Men- schen eine Handlung meist mit den Verben „gehen“ oder „laufen“, Lügner hingegen gebrauchen bei solchen 23
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT lung des BKA manifestiert wird. Zudem bemüht sich die An der Sprache den Täter erkennen ILLA um eine Kanonisierung, Zertifizierung und Stan- Prof. Dr. Dieter Stein und Dr. Martina Nicklaus haben im vergan- dardisierung der Ausbildung in diesem Überschnei- genen Sommersemester gemeinsam die Vortragsreihe An der dungsbereich von Sprach- und Rechtswissenschaft. Aus- Sprache den Täter erkennen im Haus der Universität organisiert. Coronabedingt im kleinen Rahmen wurden in den Vorträgen die vielfältigen Berührungspunkte von Sprache und Recht untersucht. Die Beiträge werden zum großen Teil in das Handbuch mit dem Anstoß zur Abschaffung der Titel „Language as Evidence. The linguist as expert witness“ ein- gehen, das 2021 bei Palgrave MacMillan erscheinen wird. Todesstrafe bildung und Praxis sollten sich an internationalen Stan- dards orientieren, die neben anderen Anforderungen für die juristische Praxis eine umfangreiche (sprach-) kann nicht genug betont werden – immer die sehr fein- wissenschaftliche Ausbildung voraussetzen. Wichtig körnige ‚Baseline‘ und der auf die ganz spezifische Text- auch, dass größere Korpusdatenmengen zur maschinel- sorte dieses Situationstyps bezogene Referenzwert. So len Erkennung von sprachlichen Gebrauchsmustern und haben etwa ‚halt‘ oder ‚dann‘ keinesfalls immer eine sol- -typen durch künstliche Intelligenz bei der Etablierung che Interpretation, sondern nur in dieser ganz spezifi- von „Baselines“ entwickelt werden. Stein und Nicklaus schen, forensisch relevanten Sprachgebrauchssituation, sind sich sicher: „Für die Heinrich-Heine-Universität stellt bezogen auf einen zu erwartenden ‚Normalwert‘, eben diese Anwendung sprachwissenschaftlichen Wissens auf die ‚Baseline‘. Hier wurden in früheren Untersuchungen eine zentrale gesellschaftliche Domäne, das Recht, einen mit weniger methodischem Bewusstsein und eher ama- wichtigen Aspekt von Wissenstransfer in die Gesellschaft teurhaften sprachwissenschaftlichen Wissen oft Fehler dar, dessen universitätsinterne Weiterentwicklung ein gemacht.“ wichtiges Desiderat ist.“ Für die Zukunft wünschen sich Nicklaus und Stein eine weitere Professionalisierung und Stärkung der fo- rensischen Linguistik im deutschen Rechtssystem, wie sie bereits jetzt schon durch eine spezialisierte Abtei- „Wenn eine Geschichte erfunden ist, dann kommen spontane Korrekturen nicht vor.“ — Prof. Dr. Dieter Stein Anglist 24
MAGAZIN 3 — 2020 F.A.Z.-Ökonomenranking 2020 DICE-Wissenschaftler sind einflussreich Wirtschaftlich und politisch relevante Forschungsergebnisse zu generieren, gehört zum Selbstverständnis vieler Öko- nom*innen. Doch erreicht ihr Rat Politik und Öffentlich- keit? Wer hat Gewicht in Medien, Forschung und Politik? S eit 2013 misst das „F.A.Z.-Ökonomenranking“ worden, so Südekum gegenüber der Frankfurter All- den Einfluss von Ökonom*innen in Deutsch- gemeinen Sonntagszeitung im letzten Jahr und wei- land, der Schweiz und Österreich auf ihre ter: „Dank der sozialen Medien hat heute jeder die Kollegen in der Wissenschaft sowie auf die Politik Chance, durch fundierte Äußerungen aufzufallen.“ und die Medien – zunehmend fließt die Präsenz in Gleichzeitig ist er gefragter Ansprechpartner der den sozialen Medien mit ein. Einmal jährlich, meist Medien und wird oft in wissenschaftlichen Publi- im September, wird es veröffentlicht. kationen zitiert. In der aktuellen Bestenliste vom 24. September DICE Direktor Justus Haucap belegt Platz 21 im sind mit Jens Südekum und Justus Haucap wiede- Gesamtranking. Er gilt vor allem in der Politik als rum gleich zwei Wissenschaftler des Düsseldorfer Meinungsmacher, wie die Erhebung bei Ministerien Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) unter und Abgeordneten zeigt. Im Jahr der Pandemie ist den einflussreichsten Wirtschaftsratgeber*innen er um vier Plätze nach hinten gerutscht. Ein Indiz da- vertreten. Gleichzeitig überrascht es. Die Pandemie für, dass in Zeiten, in denen darum gerungen wird, hat neben vielem anderen auch die Rangliste durch- wie der Staat mit den wirtschaftlichen Folgen der FOTOS DICE / HHU einandergewirbelt. Corona-Krise umgeht und wie er die Konjunktur stabilisiert, der freie Markt an Fürsprechern ver- loren hat? Dies spiegelt sich entsprechend bei den In Medien und Politik Wettbewerbsökonomen im Ranking wieder. Die Idee des „F.A.Z.-Ökonomenrankings“ ist, vor gleichermaßen geschätzt allem die Rezeption der Arbeiten von Ökonom*in- nen zu würdigen, sei es die Rezeption in der Wis- Jens Südekum, Professor für internationale senschaft, in der Politik und der breiteren Öffent- Volkswirtschaftslehre am DICE sowie Mitglied des lichkeit und in den Medien. Für eine Ranglistenposi- Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium tion zählt, ob ein*e Ökonom*in in der Wissenschaft für Wirtschaft und Energie, hat bundesweit auf Impulse gibt, die andere Forscher aufnehmen, ob den Top-Rängen den größten Sprung nach vorn ge- er/sie in den Medien Gehör findet, von Politiker*in- macht. Letztes Jahr auf Rang 16, belegt er mit Platz 5 nen als Ratgeber*in geschätzt wird – und auch ob einen Spitzenplatz und ist nun der einflussreichste er/sie in der ökonomischen Debatte auf Twitter Wirtschaftsforscher in Nordrhein-Westfalen. Sein Resonanz findet, die dort ausgeprägter ist als in an- wirtschaftspolitischer Rat ist in Zeiten von Corona deren sozialen Netzwerken. Die Zitationen in For- gefragt. Der kommentarfreudige und meinungs- schung sowie in Medien und Politik werden zu glei- starke Makroökonom wurde von Politiker*innen chen Teilen gewichtet. und Ministeriumsmitarbeiter*innen häufig als be- Das Ranking der F.A.Z. wird in Zusammenarbeit sonders einflussreicher Ratgeber genannt. Ein we- mit dem Medienforschungsinstitut Unicepta, dem sentlicher Grund dafür ist seine Aktivität und hohe Verein für wissenschaftliche Politikberatung Econ- Resonanz auf Twitter. Früher seien grundsätzlich watch, dem ZBW – Leibniz-Informationszentrum Prof. Dr. Justus Haucap (oben) und nur Institutspräsident*innen und Mitglieder des Wirtschaft, dem Wissenschaftsverlag Elsevier und Prof. Dr. Jens Südekum gehören zu Sachverständigenrats der Wirtschaftsweisen gehört dem DICE erstellt. C. G. den einflussreichsten Ökonomen. 25
MEDIZINISCHE FAKULTÄT DFG: Neues toxikolo- gisches Graduiertenkolleg an der HHU Einrichtungsübergreifende Kooperation für 20 Nachwuchswissenschaftler*innen D ie Deutsche Forschungsgemeinschaft för- chronisch-degenerativer Prozesse, der Störung regene- dert zum 1. Januar 2021 ein neues Graduier- rativer Vorgänge, der Tumorbildung oder von unerwünsch- tenkolleg in der Toxikologie, in dem insgesamt ten Wirkungen von Tumortherapien. 20 Nachwuchswissenschafter*innen zu „genotoxi- Um auf DNA-schädigende Einflüsse adäquat zu re- schen“ Fragestellungen forschen werden. Genoto- agieren und die Aufrechterhaltung der genetischen Stabi- xisch heißt, bestimmte Substanzen lösen Änderungen lität möglichst optimal zu gewährleisten, verfügen unsere im genetischen Material von Zellen aus. Sie wirken Zellen über hochkomplexe und spezifische Abwehrsys- unter Umständen krebserzeugend, erbgutverändernd teme. Die Wissenschaftler*innen des Graduiertenkollegs oder reproduktionstoxisch, also schädigen potenziell werden sowohl die unmittelbaren Stress-Reaktionen der die Fortpflanzungsfähigkeit oder auch das ungebo- Zellen auf genotoxische Substanzen untersuchen, als rene Kind. Die wissenschaftliche Begründung für die auch, inwieweit solche Giftstoffe die Entwicklung und Einstufung eines Stoffes als genotoxisch gehört zu Funktion der Tochterzellen langfristig beeinträchtigen den zentralen und gleichzeitig schwierigsten Aufga- und dadurch Erkrankungen auslösen oder fördern. ben der Toxikologie. In dem neuen Graduiertenkolleg 2578 geht es um den Expertise nutzen Einfluss solcher Stoffe auf menschliche Stamm- und Vor- läuferzellen: Wie antworten sie auf die Schäden durch che- mische Stoffe? So trägt das Graduiertenkolleg den Namen Die elf naturwissenschaftlichen sowie neun medizini- „Einfluss von Genotoxinen auf die Differenzierungseffi- schen Nachwuchswissenschaftler*innen werden sowohl zienz muriner und humaner Stamm- und Progenitorzellen durch die Medizinische und die Mathematisch-Naturwis- sowie die Funktionalität von daraus abgeleiteten diffe- senschaftliche Fakultät sowie das Institut für Umweltme- renzierten Zelltypen“. Sein Sprecher ist Professor Dr. Ger- dizinische Forschung betreut, so dass ihnen die Expertise dieser unterschiedlichen Einrichtungen zugutekommt. Die- se Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Stressreaktionen untersuchen Fach Toxikologie ergänzt den bereits bestehenden Mas- terstudiengang Toxikologie. Damit wird der Schwerpunkt Toxikologie an der HHU weiter ausgebaut und trägt so zur hard Fritz, Institut für Toxikologie, stellv. Sprecher ist Prof. Profilierung des Standortes in NRW bei. S. D. Dr. James Adjaye, Institut für Stammzellforschung und Regenerative Medizin. Die Deutsche Forschungsgemein- KONTAKT schaft fördert das neue Graduiertenkolleg 2578 für zu- Prof. Dr. rer. nat. Gerhard Fritz nächst viereinhalb Jahre mit rund 3,5 Mio. Euro. Institut für Toxikologie, Sprecher Die Stabilität der genetischen Information (DNA) fritz@uni-duesseldorf.de unserer Zellen ist für ihre korrekte Funktionsweise es- senziell. Stoffwechselprodukte, Umweltschadstoffe oder Prof. Dr. James Adjaye Tumortherapeutika verursachen jedoch permanent Schä- Institut für Stammzellforschung und den an der DNA. Die daraus resultierende genetische Regenerative Medizin, Stv. Sprecher Instabilität ist Ursache zahlreicher Erkrankungen, u.a. james.adjaye@med.uni-duesseldorf.de 26
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