Metamorphosen 30. Festival Alte Musik Zürich 22.-31. März 2019 - Forum für Alte Musik Zürich

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Metamorphosen 30. Festival Alte Musik Zürich 22.-31. März 2019 - Forum für Alte Musik Zürich
Metamorphosen
30. Festival Alte Musik Zürich
22.—31. März 2019
Editorial

   Metamorphosen – Wandlungen,                     Die Liebe, die Liebe … Vor rund tausend
Verwandlungen, Umwandlungen.                    Jahren entdeckten sie die Troubadours,
Ein Vorgang, der vielerorts anzutreffen ist:    Trouvères und Minnesänger, wie auch die
In der Natur gibt es ihn sozusagen ganz         Trobairitz ­– die ersten Komponistinnen
natürlich, in der Musik erscheint er meist      Europas. Hirundo Maris folgt den Wegen
raffiniert kunstvoll, auf unserem Cover         der mittelalterlichen Liebe über 200 Jahre.
(von Mauro Lardi) gleichsam natürlich-
kunstvoll. Und das Festival präsentiert            Erstaunlich: Der norditalienische
Ihnen einige ganz unterschiedliche Musik-       Komponist Carlo Donato Cossoni
Metamorphosen, die zwischen diesen              vermachte seinen Nachlass dem Kloster
beiden Polen pendeln:                           Einsiedeln. Darunter finden sich manche
                                                Vespergesänge. Das Vokalensemble
  Wie kommt es, dass wir in Bachs Trauer-       Novantiqua Bern und das Kesselberg
musik, geschrieben für den verstorbenen         Ensemble präsentieren erstmals Cossonis
Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen, Musik        ganz eigenständige doppelchörige
aus der Matthäus-Passion antreffen?             Einsiedler Vesper.
Alexander Grychtolik macht es mit seiner
Deutschen Hofmusik hörbar.                         Studierende der Zürcher Hochschule
                                                der Künste spielen diesmal beim Festival
   Um 1520 entsteht in Italien ein ganz neues   eine «Alte Musik», die gerade etwas mehr als
Musikgenre: das Madrigal. Es zieht die          60 Jahre jung ist. Dennoch dürfen sie nicht
italienische Musik für ein gutes Jahrhundert    fehlen, Benjamin Brittens Six Metamorphoses
in seinen Bann. Das Ensemble Domus Artis        after Ovid für Oboe solo. Denn mit den
folgt den (Ver-)Wandlungen des Madrigals        epochalen Metamorphosen des römischen
über hundert Jahre.                             Dichters Ovid begannen sie ja damals, all
                                                die Wandlungen in Natur, Dichtung, Musik
  Ein Liebeslied in einer Messe? Kein Ding      und Kunst. Ein Themennachmittag am
der Unmöglichkeit für den Renaissance-          Musikwissenschaftlichen Institut der
Komponisten Josquin Desprez. Das Vokal-         Universität Zürich wird einige Aspekte des
ensemble Alamire deckt die erstaunlichen        Festivalprogramms vertiefen.
Beziehungen zwischen Liebesliedern,
Messgesängen und Motetten auf.                     Wir hoffen gern, dass Sie wieder dabei
                                                sind, und freuen uns, Sie zu sehen!
   Aus dem alten Griechenland ist keine
einzige Musiknote überliefert. Trotzdem           Martina Joos und Roland Wächter
führt Conrad Steinmann mit seinem                 Präsidium Forum Alte Musik Zürich
Ensemble Melpomen seit langem Musik der
griechischen Antike auf. Erklangen damals
so die Dichtungen von Sophokles und
Sappho?

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Metamorphosen
30. Festival Alte Musik Zürich
22.—31. März 2019

Fr 22.03.2019					                                                                     S. 6   Fr 29.03.2019					                                                                                    S. 26
18.30h Lavatersaal, vis-à-vis St. Peter                                                       19.30h Kirche St. Peter
    Präludium                                                                                   Griechenland-Metamorphosen
    Bassano, Cima, Telemann u.a.                                                                Chorós / Χορός
    OCTOPLUS / SchülerInnen der MKZ, Ltg. Martina Joos                                          Melpomen, Ltg. Conrad Steinmann
19.30h Kirche St. Peter
    Bach-Metamorphosen                                                                        Sa 30.03.2019					                                                                                    S. 32
                                                                                              19.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13
    J. S. Bach: Köthener Trauermusik
    Deutsche Hofmusik, Ltg. Alexander Grychtolik                                                Liebes-Metamorphosen
                                                                                                Troubadour, Trouvère, Trobairitz, Minnesänger
                                                                                                Hirundo Maris
Sa 23.03.2019					                                                                    S. 10

    13.30h Musikwissenschaftliches Institut der Universität Zürich, Florhofgasse 11           So 31.03.2019					                                                                                    S. 36
    Themennachmittag                                                                          17.00h Kirche St. Peter
    Ltg. Dr. Michael Meyer
                                                                                                Vesper-Metamorphosen
15.00h Hotel Hirschen, Hirschengasse 6                                                          Carlo Donato Cossoni: Einsiedler Vesper
    Ovid-Metamorphosen                                                                          Novantiqua Bern, Kesselberg Ensemble, Ltg. Bernhard Pfammatter
    B. Britten: Six Metamorphoses after Ovid
    Linda Alijaj, Hitomi Inoue, Morris Weckherlin Studierende der ZHdK
17.15h und 19.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13		S. 12
    Madrigal-Metamorphosen
    Madrigale von Arcadelt bis StrozZi
    Domus Artis, Ltg. Breno Quinderé
                                                                                                Wir danken herzlich
So 24.03.2019					                                                                    S. 22
16.00h Lavatersaal, vis-à-vis St. Peter                                                         Präsidialdepartement Stadt Zürich, Fachstelle Kultur des Kantons Zürich, Ernst Göhner Stiftung, Freunde
    Ovid-Metamorphosen                                                                          der Alten Musik, Musikschule Konservatorium Zürich MKZ, RHL Foundation, Schüller-Stiftung, SRF2 Kultur,
                                                                                                Stiftung STAB, Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Wir danken weiteren GönnerInnen und Stiftungen,
    B. Britten: Six Metamorphoses after Ovid                                                    die nicht namentlich genannt werden möchten.
    Linda Alijaj, Hitomi Inoue, Morris Weckherlin Studierende der ZHdK
17.00h Kirche St. Peter
    Chanson-Metamorphosen
    Josquin Desprez: Missa D’ung aultre amer
    Alamire, Ltg. David Skinner

4                                                                                                                                                                                                         5
Fr 22.03.                                                                        Präludium
18.30h Lavatersaal, vis-à-vis St. Peter
                                                                               Anonymus 14. Jh.          Belicha               Tobias Andermatt Blockflöte
                                                                               Jacobus de Bononia        Di novo è giunto      Oliver Graf & Linus Leu Blockflöte
    Präludium                                                                  Giovanni Bassano
                                                                               Giovanni Paolo Cima
                                                                                                         Haec est beatissima
                                                                                                         Sonata d-Moll
                                                                                                                               OCTOPLUS
                                                                                                                               Oliver Graf Blockflöte
    Bassano, Cima, Telemann u.a.                                               Nicolaus à Kempis
                                                                               Georg Philipp Telemann
                                                                                                         Symphonia III
                                                                                                         Trietto terzo
                                                                                                                               Andrea Vogler Blockflöte
                                                                                                                               Diego Galván & Simon Giesch Blockflöte
                                                                               			                       Sonatina I, e-Moll    Tobias Andermatt Blockflöte
    OCTOPLUS SchülerInnen von Musikschule Konservatorium Zürich MKZ
    Maya Adler, Tobias Andermatt, Diego Galván, Simon Giesch,
    Iris Karahusić, Sarah Mettler, Samuel Mink, Viviane Onus,                    Bach-Metamorphosen
    Andrea Spiri, Tina Staubli, Andrea Vogler Blockflöten
                                                                               Johann Sebastian Bach     Köthener Trauermusik BWV 244a
    Naoko Matsumoto Korrepetition, Cembalo & Orgel                             (1685 –1750) 		           Trauermusik zum Gedächtnisgottesdienst für Fürst Leopold von
                                                                               			                       Anhalt-Köthen, 24. März 1729
    Martina Joos Leitung
                                                                               			                       Erste Abteilung
    Mit freundlicher Unterstützung von Musikschule Konservatorium Zürich MKZ   			                 1.    Chor: Klagt, Kinder, klagt es
                                                                               			                 2.    Rezitativ (Altus): Oh Land! Bestürztes Land
19.30h Kirche St. Peter                                                        			                 3.    Arie (Altus): Weh und Ach
                                                                               			                 4.    Rezitativ (Tenor): Wie, wenn der Blitze Grausamkeit
                                                                               			                 5.    Arie (Tenor): Zage nur, du treues Land
    Bach-Metamorphosen

                                                                                                   6.
                                                                                                   7.
                                                                                                         Rezitativ (Sopran): Ach ja! Wenn Tränen oder Blut
                                                                                                         Chor: Komm wieder, teurer Fürsten-Geist

    J. S. Bach: Köthener Trauermusik                                           			                       Zweite Abteilung
                                                                               			                 8.    Chor: Wir haben einen Gott
    Miriam Feuersinger Sopran                                                  			                  9.   Rezitativ (Altus): Betrübter Anblick
    David Erler Altus                                                          			                10.    Arie (Altus): Erhalte mich, Gott
                                                                               			                 11.   Rezitativ (Sopran): Jedoch der schwache Mensch
    Hans Jörg Mammel Tenor                                                     			                12.    Arie (Sopran): Mit Freuden sei die Welt verlassen
    Wolf Matthias Friedrich Bass                                               			                13.    Rezitativ (Bass): Wohl also dir
                                                                               			                14.    Repetatur dictum: Wir haben einen Gott
    Deutsche Hofmusik                                                          			                       Dritte Abteilung
    Jan De Winne, Christine Debaisieux Traversflöte                            			                15.    Arie (Bass): Lass, Leopold, dich nicht begraben
    Marcel Ponseele, Lidewei De Sterck Oboe                                    			                16.    Rezitativ (Altus): Wie könnt´ es möglich sein
    Heidi Gröger, Gertrud Ohse Gambe                                           			                 17.   Arie (Altus): Wird auch gleich nach tausend Zähren
                                                                               			                18.    Rezitativ (Tenor): Und, Herr, das ist die Spezerei
    Mechthild Karkow Konzertmeisterin, Violine
                                                                               			                19.    Arie (Tenor und Chor): Geh, Leopold
    Leopold Nikolaus, Heinrich Kubitschek Violine
    Anne Kaun Viola                                                            			                       Vierte Abteilung
    Lea Rahel Bader, Gertrud Ohse Violoncello                                  			                20.    Arie (Bass): Bleibet nur in eurer Ruh
                                                                               			                21.    Rezitativ (Sopran): Und du, betrübtes Fürstenhaus
    Niklas Sprenger Violone                                                    			                22.    Arie (Sopran): Hemme dein gequältes Kränken
    Aleksandra Grychtolik Orgel                                                			                23.    Rezitativ (Bass): Nun scheiden wir
    Alexander Grychtolik Cembalo & Leitung                                     			                24.    Chor (Aria tutti): Die Augen sehn nach deiner Leiche

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zwischen verschiedenen Werken an. Es              wohlüberlegte konfessionelle Referenz der        besetzten dritten Chorsatz zumindest in
    Die Köthener                                 zeigte sich dabei, dass die 1729 in Köthen        Lutheraner Bach und Henrici an das refor-        Erwägung gezogen haben.
                                                 aufgeführte Trauermusik in einer Parodie-         mierte Fürstenhaus Anhalt-Köthen.
    Trauermusik                                  Beziehung* zur zwei Jahre älteren Trauerode                                                           Wie soll nun das heutige Publikum mit

    und ihre
                                                 für die verstorbene Kurfürstin Christiane            Der abschliessende Chor (Aria tutti) Die      einem derart anlass- und personenbezo-
                                                 Eberhardine (BWV 198) und vor allem zur           Augen sehn nach deiner Leiche (Satz 24)          genen Werk wie der Köthener Trauermusik

    Rekonstruktion                               Matthäus-Passion (BWV 244) steht. Somit
                                                 konnte man eine ungefähre Vorstellung
                                                                                                   korrespondiert musikalisch mit dem
                                                                                                   Abschlusschor Wir setzen uns in Tränen
                                                                                                                                                    umgehen? Zunächst erzeugt es sicherlich
                                                                                                                                                    ein gewisses Befremden, die Musik der
                                                 über die einstige musikalische Gestalt der        nieder der Matthäus-Passion. Ihre Textpas-       Matthäus-Passion in einem so andersartigen
    Alexander Grychtolik                         24 Einzelsätze umfassenden Trauermusik            sage Der Mund ruft in die Gruft hinein spielt    Kontext zu erleben. Lässt man sich aber auf
                                                 gewinnen. Eine Ausnahme bilden die Psalm-         auf das Mausoleum der Fürstenfamilie in          einen Bruch mit den eigenen Hörgewohn-
   Köthen im März 1729: Johann Sebastian         vertonung Wir haben einen Gott (Satz 8) und       der St. Jakobskirche an, wo man den Music        heiten ein, so offenbart sich ein höchst
Bach reist mit seiner Frau Anna Magdalena        die Rezitative, die verschollen bleiben.          so wohl liebenden als kennenden Fürst am         eigenständiges Kunstwerk, das auch in
und seinem Sohn Wilhelm Friedemann in                                                              Vorabend des 24. März 1729 beigesetzt hatte.     unserer Zeit nichts von seiner Aussagekraft
die anhaltinische Residenzstadt, um in der          Die Trauermusik besteht aus vier Abthei-       Dies übrigens nicht im standesgemäss übli-       über Abschied, Tod und ewiges Leben
dortigen Stadtkirche St. Jakob eine gross-       lungen, die abschnittsweise im Gottesdienst       chen Prunksarkophag, sondern in einem            verloren hat.
angelegte Kantate aufzuführen. Im Gedächt-       musiziert wurden. Sie thematisieren – auch        schlichten, leinenumspannten Holzsarg
nisgottesdienst für den am 19. November          unter Verwendung zahlreicher Bibelzitate          – wohl ein Indiz für die heftigen innerfami-
des Vorjahres verstorbenen Fürsten Leopold       – Landestrauer, Tod und Erlösung, die Wür-        liären Konflikte des Fürstenhauses.
von Anhalt-Köthen, Bachs einstigen Arbeit-       digung des Verstorbenen sowie Trost und
geber, erklingt am 24. März die sogenannte       Abschied. Es folgen kurze Anmerkungen                 Das Anliegen der vorliegenden Rekon-
Köthener Trauermusik. Der Ablauf der Trau-       zu drei Sätzen, die sich sowohl in der Trau-      struktion der Trauermusik ist ein ästhetisch-
erfeierlichkeiten ist minutiös dokumentiert.     ermusik als auch in der Matthäus-Passion          stilistisch geschlossener Annäherungsver-
Sogar die Aufstellung der Speiseschüsseln        finden:                                           such an die Aufführung von 1729. Ansätze
für das nach dem Gottesdienst abgehaltene                                                          zur Vervollständigung der Gedächtnis-
Leichenmahl ist überliefert: Den Trauer-            In der Zweiten Abteilung findet sich           kantate lieferte der Bach-Forscher Detlef
gästen wurde u.a. Barsch in Sauce hollan-        die Arie Mit Freuden sei die Welt verlassen       Gojowy. Ihm zufolge stehen nicht nur Arien
daise, Suppe vom Masthahn mit geriebenem         (Satz 12), die das Emporsteigen des Geistes       und Chöre, sondern auch Accompagnato-
Zitronen-Sellerie und Edelkastanien sowie        aus dem irdischen Leib verbildlicht. Ihren        Rezitative der Matthäus-Passion in einer
Tauben- und Fasanenpastete gereicht.             schwerelos-schwebenden Charakter erzielt          Parodiebeziehung zur Trauermusik. Zwar
                                                 Bach, indem er den Basso continuo (das            wäre es für Bach leicht gewesen, die Rezi-
   Bach ist zu diesem Zeitpunkt bereits im       «erdende» Fundament barocker Komposi-             tative der Trauermusik neu zu vertonen,
sechsten Jahr Thomaskantor in Leipzig;           tion) schweigen lässt. In der Matthäus-Pas-       andererseits sind Rezitativ-Parodien bei          *Parodie meint hier die Wiederverwen-
er hat aber als Kapellmeister von Hause aus      sion lautet der Text zur gleichen Musik ganz      Bach vereinzelt auch in Kantaten belegt. In        dung einer bereits existierenden Musik in
den Köthener Hof bei besonderen Anlässen         anders: Aus Liebe will mein Heiland sterben.      sechs Fällen folgen die zu hörenden Rezi-          einem neuen Werk. Dabei wird der Musik
weiterhin mit neuen Werken zu beliefern, so                                                        tativ-Fassungen den Vorschlägen Gojowys;           ein in Versmass und Reimschema – und
auch für diese Gedächtnisfeier. Das Libretto         Auffällig ist in der Dritten Abteilung Satz   an einigen Stellen konnten für die Köthener        natürlich auch in seiner Aussage – ähn-
zur Trauermusik stammt aus der Feder von         19, die Aria à 2 Chören Geh, Leopold, zu deiner   Trauermusik jedoch keine Rezitative der            licher neuer Text unterlegt; die Musik
Bachs wichtigstem Leipziger Textdichter          Ruhe, in der sich die Sterblichen (Tenor) und     Matthäus-Passion verwendet bzw. umge-              muss im Detail meist etwas angepasst
Christian Friedrich Henrici (Pseudonym:          die Auserwählten (Chor) gegenüberstehen;          arbeitet werden. Diese Lücken wurden in            werden. So basieren etwa die ersten vier
Picander), der auch der Textdichter der          in der Matthäus-Passion ist dies die Arie         Form von Neuvertonungen «rekonstruiert»            Kantaten des Weihnachtsoratoriums fast
Matthäus-Passion ist. Das Libretto ist in drei   mit Chor Ich will bei meinem Jesu wachen.         (Sätze Nr. 13, 16, 21 und 23). Für den Sterbe-     ganz auf zwei älteren weltlichen Kanta-
voneinander leicht abweichenden Fassun-          Die explizit doppelchörige Anlage sorgt für       psalm Wir haben einen Gott wurde als               ten. Die Trauermusik ist allerdings ein
gen erhalten, doch ist Bachs Musik zu dieser     einen kompositorischen Akzent innerhalb           Parodievorlage aus der Trauerode (BWV 198)         heikler Fall, da sich in ihr teilweise die
Gedächtniskantate leider verschollen.            der Gesamtdisposition der Trauermusik –           die Chorfuge An dir, du Fürbild grosser Frauen     gleiche Musik wie in der Matthäus-Pas-
                                                 aber nicht nur das: Die Unterscheidung in         herangezogen. Immerhin hat Bach aus der            sion findet; die ältere Musikwissenschaft
  Bei der Edition der ersten Bach-Gesamt-        Sterbliche und Auserwählte bezieht sich auf       Trauerode zwei andere Stücke im ersten Teil        vertrat jedoch gern die These, dass Bach
ausgabe 1873 stellte deren Mitherausgeber        die im Calvinismus bedeutsame Prädesti-           der Köthener Trauermusik wiederverwendet           nie geistliche Musik für weltliche Werke
Wilhelm Rust nun jedoch Textvergleiche           nationslehre; das Stück ist damit eine            (Sätze 1 und 7), und er wird diesen identisch      verwendet habe.

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Sa 23.03.                                                                                  Die Uraufführung verlief nicht ganz             «gezackter» Melodik ist wohl das unkontrol-
                                                                                        problemlos: Benjamin Britten (1913–1976)           lierte Galoppieren der Pferde, schliesslich
     13.30h Musikwissenschaftliches Institut der Universität Zürich, Florhofgasse 11    schrieb seine Six Metamorphoses 1951 für eine      Blitz und Sturz zu hören; in einem Nachspiel
                                                                                        «open air»-Aufführung während seines Alde-         entschwindet der Sonnenwagen wieder in
     Themennachmittag                                                                   burgh Festivals. Die Oboistin Joy Boughton
                                                                                        unternahm es, das Werk von einem auf dem
                                                                                                                                           den Himmel.

     Ltg. Dr. Michael Meyer                                                             Wasser treibenden Stechkahn aus zu spielen.        III. Niobe – die den Tod ihrer vierzehn Kinder
                                                                                        Im Laufe der Aufführung flatterten jedoch               beklagte und in einen Berg verwandelt wurde.
                                                                                        nicht nur die Töne der Musik durch die Luft,       Niobes unmässiger Stolz auf ihre 14 Kinder
     13.30h   Michael Meyer
                                                                                        sondern schliesslich auch die Blätter der          fordert die Götter heraus. Deshalb tötet
              Parodie, Konkurrenz und Geschichte: Josquin bearbeitet
                                                                                        Partitur; situationsbedingt fielen sie ins Was-    zuerst Apollo ihre sieben Söhne, dann
     14.15h   Christoph Riedo                                                           ser und mussten herausgefischt und für den         Artemis ihre sieben Töchter. Vor Gram
              Italianità im Benediktinerstift Einsiedeln: die Musikalienschenkung des   Rest des Vortrags getrocknet werden …              verwandelt sich Niobe in einen Stein, der
              Mailänder Domkapellmeisters Carlo Donato Cossoni (1623–1700)                                                                 ins Gebirge versetzt wird. Brittens Musik
                                                                                           Brittens Metamorphosen passen offen-            gibt zuerst Niobes Klage wieder, eine aufstei-
              – PAUSE –                                                                 sichtlich nicht ganz «problemlos» in ein           gende Linie symbolisiert dann die anstei-
                                                                                        Festival mit Alter Musik; doch ebenso offen-       gende Linie eines Bergs.
     15.30h   Esma Cerkovnik                                                            sichtlich müssen sie darin vorkommen,
              Metamorphose als Pfad der Selbstauflösung? — Metamorphose-Spiegelungen    wenn das Festival das Thema Metamorpho-            IV. Bacchus – an dessen Festen das Schwatzen
              im italienischen Madrigal                                                 sen hat. Denn mit Ovids umfangreicher                  von Frauen und das Schreien junger Män-
                                                                                        Dichtung Metamorphosen beginnt die lite-               ner zu hören ist.
     16.15h   Abschluss
                                                                                        rarische Überlieferung all der Verwandlun-         Bacchus ist der Gott, der anfänglich vor
                                                                                        gen und Umwandlungen, die sich in den              allem von Frauen und jungen Männern
                                                                                        mythischen Anfängen der europäischen               gefeiert wird. Brittens Stück evoziert – eher
15.00h Hotel Hirschen, Hirschengasse 6                                                  Welt und ihrer Kultur abspielten – Geschich-       moderat – deren beschwipstes Herumtor-
                                                                                        ten, die bis heute in der einen oder andern        keln bei den weinseligen Bacchus-Festen.
                                                                                        Form lebendig geblieben sind. Und Brittens
     Apérokonzert                                                                       Musik für Oboe solo «spiegelt» sechs dieser
                                                                                        Geschichten denn auch ganz direkt:
                                                                                                                                           V. Narzissus – der sich in sein eigenes Spiegel-
                                                                                                                                               bild verliebte und zu einer Blume wurde.
     Ovid-Metamorphosen                                                                 I. Pan – der auf einer Schilfrohr-Flöte spielte,
                                                                                                                                           Der schöne Jüngling Narzissus verliebt sich
                                                                                                                                           in sein Spiegelbild, das er in einem Brunnen

     B. Britten: Six Metamorphoses after Ovid                                              die Syrinx, seine Geliebte, war.
                                                                                        Der Gott Pan verfolgt lüstern die Nymphe
                                                                                                                                           sieht. Brittens Musik zeigt Bild und Gegen-
                                                                                                                                           bild: Nach der Melodie des Bildes erklingt
                                                                                        Syrinx. Bevor er sie jedoch erreichen kann,        jeweils als Variante in einem anderen Regis-
     Studierende der ZHdK                                                               wird sie von ihren Gefährtinnen in ein             ter die Musik als Gegenbild – in der Partitur
                                                                                        Schilfrohr verwandelt. Pan macht sich              mit umgekehrten («gespiegelten») Noten-
     Linda Alijaj Oboe
                                                                                        daraus eine Flöte («Panflöte»), auf der er         hälsen notiert.
     Hitomi Inoue Oboe                                                                  nun sehnsuchtsvoll spielt.
     Morris Weckherlin Sprecher                                                                                                            VI. Arethusa – die vor dem Flussgott Alpheios
                                                                                        II. Phaeton – der einen Tag lang den Sonnen-           floh und in eine Quelle verwandelt wurde.
                                                                                            wagen lenkte und von einem Blitz in den        Das Gegenstück zu Pan: Die Nymphe Are-
Benjamin Britten              Six Metamorphoses after Ovid op. 49                           Fluss Padus geschleudert wurde.                thusa steigt zum Bad in den Fluss Alpheios,
			                      I.   Pan                                                       Der Zeussohn Phaeton erbittet sich die             worauf der Flussgott ihr lüstern nachstellt.
			                     II.   Phaeton                                                   Gunst, einmal den Sonnenwagen lenken               Die Göttin Artemis verwandelt die Nymphe
			                    III.   Niobe                                                     zu dürfen; dabei kommt er der Erde jedoch          in eine Quelle, die noch heute bei Syrakus
			                    IV.    Bacchus                                                   viel zu nahe und versengt ganze Landstri-          hervorsprudelt. – Nach einem ruhigen
			                     V.    Narzissus                                                 che. Zeus sieht keine andere Möglichkeit,          Anfang steigert sich die Musik in eine auf-
			                    VI.    Arethusa                                                  als Phaeton mit einem Blitz vom Wagen              geregte Linie; schliesslich symbolisieren
                                                                                        herunter zu schleudern. In Brittens nervös         Triller das Plätschern der Quelle.

10                                                                                      Ovid-Metamorphosen                                                                                11
Sa 23.03.                                                                Nüchterne Zahlen, Titel und Daten:
17.15h und 19.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13
                                                                          1520 veröffentlicht der Drucker Ottaviano
                                                                       Petrucci einen Band mit Musica […] sopra le
     Madrigal-Metamorphosen                                            canzone del Petrarcha.

     Madrigale von Arcadelt bis StrozZi                                   1530 erscheint in Rom ein Druck mit
                                                                       Madrigali de diversi musici; die meisten
                                                                       Stücke stammen von Philippe Verdelot.
     Domus Artis
                                                                         1539 erscheint in Venedig Il primo libro di
     Lina Marcela López Sopran
                                                                       madrigali des Komponisten Jacques Arcadelt.
     Florencia Menconi Mezzosopran
     Victor de Souza Soares Countertenor                                  Nüchterne Zahlen und Fakten – doch sie
     Tiago Oliveira Tenor                                              stehen für eine veritable musikalische
                                                                       Revolution in der Musik Italiens, und dies
     Breno Quinderé Bariton und Leitung                                unter ganz verschiedenen Aspekten:
     Csongor Szántó Bassbariton
                                                                          In den 1520er Jahren entsteht in Florenz
     Guilherme Barroso Laute, Theorbe, Barockgitarre                   ein neues Musikgenre, das Madrigal genannt
                                                                       wird – höchstwahrscheinlich abgeleitet
                                                                       von matricalis (muttersprachlich); im Titel
                                                                       des Drucks von 1530 erscheint erstmals
17.15h     Einführung                                                  der Begriff Madrigal. Anders als die stets
                                                                       lateinische Motette ist das Madrigal immer
18.00h     Madrigale I (Seite 14)                                      italienisch.                                kürzer oder länger oder für immer sesshaft
           Verdelot, Festa, Arcadelt, Willaert, de Rore, Luzzaschi …                                               und so zu Mitbegründern einer genuin ita-
                                                                          Die Anfänge des Madrigals stehen in      lienischen Musik.
18.45h     Kleiner Apéro                                               Zusammenhang mit einem «Revival» der
                                                                       Gedichte von Francesco Petrarca. Der            Und das Madrigal hat Erfolg: Von Florenz
19.30h     Madrigale II (Seite 16)                                     Dichter lebte von 1304 bis 1374, wird nun   gelangt es nach Rom, dann nach Ferrara,
           Casulana, de Wert, Marenzio, Banchieri, Schütz, Caccini …   aber vom Publikum wieder gelesen, von       Mantua und Venedig. Der aufblühende
                                                                       Dichtern nachgeahmt und von Kompo-          Buchdruck fördert das neue Genre ebenso
20.30h     Madrigale III (Seite 19)                                    nisten vertont. Die Madrigalisten wollen    wie er umgekehrt von ihm profitiert: Il primo
           Monteverdi, Gesualdo, d’India, Rossi, Strozzi …             nicht zuletzt eine Musik schreiben, die der libro di madrigali von Jacques Arcadelt wird
                                                                       hohen Sprachkunst Petrarcas und dann        in den nächsten rund 120 Jahren die sagen-
                                                                       auch anderer Dichter gleichkommt, sowohl hafte Zahl von 58 Neuauflagen erleben.
                                                                       in der formalen Gestaltung als auch in der  Die Drucke erscheinen meist in Venedig;
                                                                       Ausdruckskraft. Die Mittel dazu finden die  Drucker der «ersten Stunde» ist Ottaviano
                                                                       Komponisten – etwas überraschend – in       (dei) Petrucci, ihm folgen die Brüder Scotto
                                                                       der mehrstimmig durchgestalteten Musik-     und Antonio Gardano, die Madrigalbücher
                                                                       sprache der Motette.                        «en masse» auf den Markt werfen und damit
                                                                                                                   offensichtlich einer grossen Nachfrage
                                                                          Unter den ersten Madrigalkomponisten     nachkommen.
                                                                       finden sich – wiederum etwas erstaunlich –
                                                                       mehrere franko-flämische «Oltramontani»,
                                                                       Komponisten aus dem Gebiet des heutigen
                                                                       Nordfrankreich und Belgien. Sie sind damals
                                                                       in Italien gefragt; manche werden dort

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Madrigale I                                                                              Das Genre des Madrigals wird in seinen       gale auf Gedichte Petrarcas und zur Hälfte
                                                                                          Anfängen vor allem von drei Komponisten          Motetten enthält. Entsprechend Petrarcas
                                                                                          geprägt: Philippe Verdelot, Costanzo             Thema – die Liebe zur fernen Laura und die
Philippe Verdelot        Con l’angelico riso                                              Festa und Jacques Arcadelt. Der Franzose         «Trauerarbeit» nach ihrem Tod – ist auch
(1480/85 –1527/30)       Il primo libro de madrigali, Venedig 1533                        Verdelot und der Flame Arcadelt leben und        die Tonlage der Musik durchwegs ernst und
                                                                                          arbeiten beide längere Zeit in Florenz; dort     würdevoll, und wie Petrarcas Sprache auch
Costanzo Festa 		        Madonna, io mi consumo                                           mag Verdelot auch gestorben sein. Arcadelt       ebenso klangvoll.
(1480/90 –1545)		        Delli madrigali a tre voci, Venedig 1537                         trifft bei einem Aufenthalt in Rom Costanzo
                                                                                          Festa und geht später nach Frankreich.              Hier knüpft auch Willaerts Schüler mit
Jacques Arcadelt         Il bianco e dolce cigno                                          Das Madrigal entwickelt sich also auch           dem italianisierten Namen Cipriano de
(1507 –1568)		           Madrigali a 4 voci, Primo libro, Venedig 1539                    aufgrund persönlicher Kontakte der drei          Rore an. Auch er ist Niederländer, haupt-
                                                                                          Komponisten. Vielleicht auch deshalb sind        sächlich in Ferrara tätig und kurz Willaerts
Adrian Willaert 		       L’aura mia sacra                                                 sich ihre Vertonungen relativ ähnlich: Meist     Nachfolger an San Marco. In seinen späteren
(ca. 1490 –1562)		       F. Petrarca: Canzoniere Nr. 356                                  vierstimmig, eher einfach und schlicht           Madrigalen entwickelt de Rore dann eine
			                      Musica nova, Venedig 1559                                        haben sie weder die polyphone Textur             ausdrucksstark-rhetorische Musiksprache,
                                                                                          noch die expressive Sprache des späteren         die im Dienst der Textausdeutung steht und
			                      ***                                                              Madrigals. Aber mit Il bianco e dolce cigno      ihn zum Vorbild der folgenden Generation
                                                                                          gelingt Arcadelt ein Werk, das für das Publi-    macht. Monteverdi wird Willaerts Komposi-
Giovanni Paladino        Ancor che col partire                                            kum die erwünschte dolcezza (Süsse) und          tionsweise prima prattica, diejenige de Rores
(†1565) 		               sopra Cipriano de Rore                                           suavità (Sanftheit) aufweist und für spätere     seconda prattica nennen. So setzt de Rore in
			                      Livre de tablature de luth, Lyon 1560                            Komponisten manches vorformuliert: Das           seinem vierstimmige Madrigal Mia benigna
                                                                                          Gedicht handelt einerseits vom Schwan, der       fortuna Mittel ein, die eigentlich verboten
Alessandro Striggio      Quasi improvisa, desiat’e chiara                                 traurigerweise erst singt, wenn er stirbt –      waren: bei odiar vita unaufgelöste Dissonan-
(1536/37 –1592)		        Il primo libro delli Madrigali a sei voci, Venedig 1566          ein Topos vieler späterer Madrigale –, und       zen, bei crudele acerba den Intervallsprung
                                                                                          andererseits vom Liebhaber, der an der           einer grossen Sexte – beides verpönte Mittel,
Luzzasco Luzzaschi 	     Occhi che sia di voi                                             Brust seiner Geliebten glücklich tausendmal      die aber im Dienst einer plastischen Aus-
(ca. 1545 –1607)		       Secondo Libro de Madrigali a cinque voci, Venedig 1576           (im Orgasmus) «stirbt». Die Doppelbedeu-         sage mit musikalischen Mitteln stehen. Und
                                                                                          tung von morire wird für das Madrigal ein        wie vor ihm Arcadelt schafft de Rore einen
			                      ***                                                              charakteristischer Topos werden.                 «Evergreen»: Sein Madrigal Ancor che col
                                                                                                                                           partire wird Vorlage für zahlreiche instru-
Cipriano de Rore         Mia benigna fortuna                                                 Zwei weitere Madrigal-Komponisten sind        mentale Bearbeitungen.
(1515/16 –1565)		        F. Petrarca: Canzoniere Nr. 332                                  ebenfalls «Oltramontani» von jenseits der
			                      Secondo Libro de Madregali, Venedig 1544                         Alpen: Adrian Willaert stammt aus Brügge            In Rom, wo der Geist der Gegenreforma-
                                                                                          und kommt zuerst an den Hof von Ferrara.         tion herrscht, sind die Madrigale mit ihren
Girolamo dalla Casa  	   Ancor che col partire                                            Dann wird er für mehr als drei Jahrzehnte        amourösen Texten natürlich nicht beson-
(†1601) 		               sopra Cipriano de Rore                                           Kapellmeister an San Marco in Venedig.           ders erwünscht. Zumindest nicht von Kom-
			                      Il vero modo di diminuir, Libro secondo, Venedig 1584            Unter seiner Leitung erlangt die dortige         ponisten, die am päpstlichen Hof arbeiten
                                                                                          Kirchenmusik, vor allem der Vespergot-           wollen, wie etwa Giovanni Pierluigi da
Giovanni Pierluigi       Vergine bella                                                    tesdienst, europaweiten Ruhm. Willaert           Palestrina. Doch Palestrina, der sich auch
da Palestrina 		         F. Petrarca: Canzoniere Nr. 366                                  führt das Madrigal weg von der liedhaften        in dieser – oft lukrativen – Kunst betätigen
(1525 –1594)		           Il primo libro de madrigali spirituali a cinque voci, Rom 1581   Einfachheit und hin zum anspruchsvollen          will, findet einen Ausweg: das Madrigale
                                                                                          Kunstwerk: Er vertont mit Vorliebe die           spirituale, ein Madrigal mit religiösem Inhalt.
                                                                                          kunstvollen Gedichte, meist Sonette, aus         Auch dazu bieten sich manche Texte von
                                                                                          Petrarcas Canzoniere in einer ebenso kunst-      Petrarca an. So beginnt Palestrinas erstes
                                                                                          vollen, kontrapunktischen und meist fünf-        Madrigalbuch mit dem Zyklus Vergine bella
                                                                                          stimmig-dichten Musiksprache, die sich an        auf Gedichte Petrarcas zum Lob der jung-
                                                                                          der durchkomponierten Motette orientiert.        fräulichen Gottesmutter Maria. Gewidmet
                                                                                          So ist es kein Zufall, dass Willaerts Publika-   wurde das Madrigalbuch allerdings einem
                                                                                          tion Musica nova von 1559 zur Hälfte Madri-      leiblichen Sohn von Papst Gregor XIII.

14                                                                                        Madrigale I                                                                                   15
Madrigale II                                                                Maddalena Casulana ist die erste              1580er und 90er Jahren eine wahre Flut von
                                                                              europäische Komponistin, die ihre Werke          amourösen Madrigalen: neun Bücher mit
                                                                              drucken und veröffentlichen lässt. Geboren       fünfstimmigen, sechs Bücher mit sechsstim-
Maddalena Casulana      Cinta di fior’ un giorno                              vermutlich in Casole d’Elsa bei Siena (daher     migen Madrigalen u.a.m. – und dies mit der
(ca. 1544 – ca. 1590)   Secondo libro de Madrigali à 4, Venedig 1570          der Name Casulana), erhält sie ihre musika-      gleichen Selbstverständlichkeit, wie Franz
                                                                              lische Ausbildung in Florenz, wo 1568 auch       Schubert seine zahlreichen Lieder hervor-
Orlando di Lasso        Per pianto la mia carne                               ihr erstes Madrigalbuch, Il primo libro di       bringt. Marenzio wird denn auch manchmal
(1532 – 1594)           Il primo libro, Antwerpen 1583                        madrigali, erscheint. Im gleichen Jahr lässt     als «Schubert des Madrigals» bezeichnet:
                                                                              Orlando di Lasso eines ihrer Werke am            Natürlichkeit und Eleganz von Melodie und
Giaches de Wert         Di morte già sentía                                   bayerischen Hof in München aufführen –           Rhythmus verbinden sich mit einer sorgfäl-
(1535 – 1596)           Il Nono Libro de Madrigali à 5 et 6, Venedig 1588     sicher ein Zeichen der Wertschätzung. Im         tigen musikalischen Ausdeutung des Textes.
                                                                              Laufe der Jahre veröffentlicht sie weitere       Wie dann auch eine ganze Reihe seiner
			                     ***                                                   Madrigalbücher (alle in Venedig), heiratet       Kollegen vertont Marenzio gern Madrigale
                                                                              einen (nicht weiter bekannten) Mann              und Textpassagen aus einem neuen und
Luca Marenzio           Dura legge d’Amor                                     namens Mezari und unternimmt – berühmt           neuartigen Hirtendrama, Il pastor fido von
(1553/54 – 1599)        Madrigali a cinque voci, Libro IX, Venedig 1599       als Sängerin, Lautenvirtuosin und Kompo-         Giovanni Battista Guarini. So hören wir,
                                                                              nistin – Reisen nach Verona, Mailand,            nicht überraschend, immer wieder, wie gern
Adriano Banchieri       Madrigale a un dolce usignolo                         Florenz, vermutlich auch nach Venedig            Tirsi morir volea (sterben wollte) … In den
(1568 – 1634)           Festino nella sera del giovedì grasso, Venedig 1608   und an den französischen Hof. Eine engere        späteren Madrigalbüchern verdunkelt sich
                                                                              Beziehung muss sie zu Isabella de’ Medici        Marenzios Musik allerdings und spricht,
			                     ***                                                   gehabt haben. In einer Widmung an diese          ganz ähnlich wie Schuberts Liedkunst,
                                                                              schreibt Maddalena Casulana: Ich möchte der      häufig in «schaurigen» Tönen. Vielleicht ist
Heinrich Schütz         Vasto mar [Dialogo] à otto                            Welt, so gut ich es im Beruf der Musik vermag,   es kein Zufall, dass sich diese Entwicklung
(1585 – 1672)           Il primo libro de madrigali, Venedig 1611             den eitlen Irrtum der Männer aufzeigen, dass     nach jenem einzelnen Buch mit Madrigali
                                                                              sie allein die Gaben des Intellekts und der      spirituali anbahnt …
Guglielmo Barroso       Toccata d-Moll                                        Kunstfertigkeit besitzen und diese den Frauen
(*1986)                                                                       nie zuteil werden.                                   Neue Entwicklungen hin zu neuen Tönen
                                                                                                                               und Formen erfährt das Madrigal an den
Francesca Caccini       La Lucrezia: Io mi distruggo                             Orlando di Lasso (Roland de Lassus,           beiden politisch zwar bedeutungslosen,
(1587 – ca. 1641)       Il primo libro delle musiche, Florenz 1618            geboren im heutigen Belgien) hatte seine         musikalisch aber führenden Fürstenhöfen
                                                                              Kenntnisse der aktuellen italienischen           von Mantua und Ferrara. Am Hof der Gon-
                                                                              Musik aus erster Hand: In jungen Jahren          zagas in Mantua ist Giaches de Wert Kapell-
                                                                              kommt er im Gefolge des Condottiere              meister – nochmals ein Niederländer mit
                                                                              Ferrante Gonzaga nach Italien, wo seine          dem ursprünglichen Vornamen Jacques –,
                                                                              ersten Madrigale entstehen. In Rom wird er       und unter ihm spielt ein junger Musiker und
                                                                              1553 mit gerade mal 21 Jahren Kapellmeister      Komponist namens Claudio Monteverdi.
                                                                              an der Lateran-Kirche, gibt die Stelle aber      Am Hof der d’Este in Ferrara war schon
                                                                              schon nach zwei Jahren wieder auf und lässt      Cipriano de Rore tätig gewesen und hatte
                                                                              sich schliesslich dauerhaft am bayerischen       dort Luzzasco Luzzaschi ausgebildet, der
                                                                              Hof anstellen.                                   sein ganzes Leben – als Sänger, Organist und
                                                                                                                               Komponist – am Hof der d’Este verbringen
                                                                                 Wie Palestrina veröffentlicht auch ein        sollte. Ferrara macht nun mit einer musika-
                                                                              anderer römischer Komponist, Luca                lischen Sensation von sich reden: Der Fürst
                                                                              Marenzio, einen Band mit Madrigali spiri-        unterhält ein Concerto delle Donne, ein Trio
                                                                              tuali. Doch ist dieses Genre für den Kompo-      (und zeitweise Quartett) von hochvirtuosen
                                                                              nisten – lebenslang fast ausschliesslich in      Sängerinnen. Ausdrücklich für sie kompo-
                                                                              Rom und dort im Haus eines Kardinals aus         niert Luzzaschi sein Madrigalbuch von 1601,
                                                                              der Familie der d’Este tätig – nur ein Neben-    Concerto delle Donne. Madrigali per cantare
                                                                              geleise. Aus seiner Feder strömt in den          et sonare a 1, 2, 3 soprani.

16                                                                            Madrigale II                                                                               17
War das Madrigal soeben noch durchwegs             Auch andernorts stand das klassische              Madrigale III
mehrstimmig und wohl meist rein vokal              Madrigal in voller Blüte: So schrieb und
gewesen, so gibt es nun also Madrigale für         veröffentlichte Giaches de Wert im Laufe
eine, zwei oder drei Stimmen mit Instru-           von rund 50 Jahren – 30 davon am Hof von          Claudio Monteverdi      Vattene pur, crudel
mentalbegleitung (per sonare).                     Mantua – ein gutes Dutzend Bücher mit             (1567 – 1643)		         T. Tasso: Gerusalemme liberata
                                                   meist fünfstimmigen Madrigalen. In ihnen          			                     Libro Terzo de Madrigali, Venedig 1592
   Und andere Musikgattungen wollen                wird die emotionale Sprache und die Bild-
ebenfalls als «seriöse» Kunst gelten und           haftigkeit des Madrigals zugespitzt und           			                     ***
nicht mehr nur Gebrauchsmusik sein: 1602           sein Duktus dramatisiert: Mehrstimmige
erscheint in Florenz eine Sammlung mit             Passagen wechseln sich mit homophonem             Angelo Bartolotti       Ciaccona C-Dur
dem emphatischen Titel Nuove musiche,              Parlando ab; das fünfköpfige Ensemble wird        (ca. 1615 – 1681/82)
komponiert vom Sänger-Komponisten                  aufgespalten und hohe Stimmen werden
Giulio Caccini, der zusammen mit Jacopo            den tiefen gegenübergestellt; überraschende       Carlo Gesualdo 		       S’io non miro non moro
Peri 1600 die erste erhaltene Oper Euridice        harmonische Wendungen und virtuose                (1566 – 1613)		         Madrigali a cinque voci, Libro V, Venedig 1614
geschrieben hatte. In den Nuove musiche            Koloraturen beleuchten wichtige Textpassa-
finden sich ebenfalls hochliterarische Texte,      gen – eine Musik ganz im Dienst der Wort-         Sigismondo d’India      Voi ch’ascoltate
etwa von Francesco Petrarca, doch Caccini          ausdeutung. Auch greift de Wert neue Dich-        (ca. 1582 – ca. 1629)   F. Petrarca: Canzoniere Nr. 1
vertont sie nicht mehr-, sondern durchwegs         tungen auf: Mehrmals vertont er Texte von         			                     Musiche – Libro terzo a una e due voci, Mailand 1618
einstimmig. Und man sollte diese einstim-          Torquato Tasso, Dichter am Hof von Ferrara
mige Musik (Monodie) auch nicht singen,            und Autor des Epos Gerusalemme liberata.          			                     ***
sondern recitar cantando, und zwar mit
einer Portion von sprezzatura (Nonchalance).          Und manchmal gestaltete sich auch              Michelangelo Rossi      Hor che la notte ogni color
In diese Fussstapfen des Vaters tritt seine        das Leben so extrem wie ein Madrigal:             (1601/02 – 1656)		      Il Primo Libro de Madrigali a cinque voci, Rom ca. 1625/30
Tochter Francesca Caccini, bewunderte              Bei einem längeren Aufenthalt in Ferrara
und hochbezahlte Sängerin und Instru-              verliebt sich de Wert, dessen Frau ihn mit        Barbara Strozzi 		      Consiglio amoroso: O soffrire, o fuggire
mentalistin, aber auch Komponistin von La          einem anderen Komponisten hinterging, in          (1619 – 1677)		         L’Amante modesto
liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina, der   eine der Donne. Da die Liaison nicht standes-     			                     Il Primo Libro de Madrigali, Venedig 1644
ersten erhaltenen Oper einer Komponis-             gemäss ist (die Dame stammt aus dem nie-
tin. Leider gingen zahlreiche andere ihrer         deren Adel), muss sie verheimlicht werden,
Werke, auch mehrere Bühnenwerke, verlo-            kommt aber dank Spionen und abgefange-
ren. Erhalten blieb Il primo libro delle musiche   nen Liebesbriefen dennoch ans Licht. Die
a una e due voci – keine Madrigale im klassi-      Sängerin wird vom Hof verbannt, und de
schen Sinn, aber mit einer ähnlichen Aus-          Wert fällt in Ungnade. Und obendrein lässt
druckskraft.                                       sich seine Frau in eine Konspiration verwi-
                                                   ckeln und endet im Gefängnis ….
   In diese neue Entwicklung der Monodie
hätte auch ein anderes Genre gut gepasst:             Mittlerweile war das Madrigal nicht mehr
die Madrigalkomödie. Sie erzählt – wie die         nur eine italienische Angelegenheit: Wie
Oper, aber ohne Inszenierung – eine zusam-         andere Komponisten von jenseits der Alpen
menhängende Geschichte. Doch obwohl                studierte auch Heinrich Schütz in Venedig
ihr Meister, Adriano Banchieri, ein halbes         und veröffentlichte 1611 dort als sein Opus 1
Dutzend Bücher mit leichtgewichtigen drei-         einen Band mit fünfstimmigen italienischen
stimmigen Canzonetten veröffentlicht, will er      Madrigalen. Die meisten Texte stammen
mit der Monodie von Giulio Caccini nichts          von zwei berühmten Dichtern der Zeit,
zu tun haben. Er verteidigt ausdrücklich das       G. B. Guarini und G. B. Marino. Den Text des
mehrstimmige Madrigal und schreibt sein            letzten, achtstimmigen Madrigals Vasto mar,
halbes Dutzend Madrigalkomödien – dar-             ein Lob auf seinen Gönner, den Landgrafen
unter Festino nella sera del giovedì grasso –      Moritz von Hessen-Kassel, scheint aber
durchwegs für fünfstimmiges Ensemble.              Schütz selbst gedichtet zu haben.

18                                                                                    Madrigale II                                                                                        19
Auch der junge Claudio Monteverdi,            seine musikalische Sprache hin zu einem               Zu Rossis Zeit hatte das Madrigal seine      len Karrierebeginn: Er verfasst selbst die
Schüler und Nachfolger Giaches de Werts          extremen Personalstil, der im Willen zur          Hochblüte schon hinter sich; immer mehr          Gedichte, die sie für ihre erste Publikation
am Hof von Mantua greift zu Torquato             Wortausdeutung erst knapp vor der totalen         wandten sich die um 1600 geborenen Kom-          vertonen soll; und der Band erscheint 1644
Tassos Gedichten: Aus einem Monolog              Auflösung der Form und an der Grenze              ponisten dem neuen barocken Stil, dem            beim renommierten Drucker Alessandro
der Armida, die sich von Rinaldo schnöde         zur Atonalität Halt macht. Dies wohl unter        Sologesang mit Basso continuo-Begleitung         Vincenti, der auch die letzten Werke Monte-
verlassen sieht, gestaltet er seinen drama-      dem Einfluss von Luzzasco Luzzaschi; ihm          zu – auch der schon betagte Maestro Mon-         verdis herausgibt.
tischen dreiteiligen Madrigalzyklus Vat-         begegnet Gesualdo am Hof von Ferrara, wo          teverdi sollte davon nicht ganz unberührt
tene pur, crudel. Schon der ungewöhnliche        er seine zweite Frau Eleonora d’Este findet.      bleiben. Ein Komponist, der kein Problem            Im Primo (libro) de Madrigali di Barbara
Intervallsprung gleich zu Beginn auf dem         Allerdings fällt es schwer, diesen extremen       darin sah, mit je einem Fuss in einem dieser     Strozzi sollen exemplarisch die verschiede-
Wort crudel zeigt an, dass Monteverdi ein        Stil mit seinen «gequälten» Windungen und         beiden «Lager» zu stehen, war Sigismondo         nen Ausdrucks- und Besetzungsmöglich-
talentierter Schüler de Werts ist und dessen     Wendungen nicht auch vor dem Hintergrund          d’India. Der vermutlich in Sizilien geborene     keiten des Madrigals erscheinen: moderne
Mittel effektvoll einzusetzen weiss (siehe       von Gesualdos eigenhändiger Ermordung (in         Komponist wurde in Neapel ausgebildet und        Sologesänge, Duette und die klassische
unter Madrigale II). Allerdings zeigt sich       den Augen der Zeit: ein Ehrenmord …) seiner       war dort vielleicht «Mitschüler» von Gesu-       Fünfstimmigkeit, bald heiter, amourös und
auch ein Unterschied: Monteverdis Musik          ersten Frau und ihres Liebhabers zu sehen.        aldo. Danach war er hauptsächlich an den         spielerisch, bald ernst, tragisch und philoso-
gewinnt zunehmend eine eigene musika-                                                              Höfen von Turin und Modena, zwischen-            phisch. In der Folge erscheinen acht weitere
lische Gestalt und Plastizität über die reine       Michelangelo Rossi, in Rom tätig, war          durch auch in Rom tätig. Dieser etwas ruhe-      Drucke mit solistischen Vokalwerken; diese
Wort-Illustration hinaus.                        zu seiner Zeit ein hochgeschätzter Violin-        lose Wechsel der Stellungen begann damit,        gehen stilistisch den neuen Weg der Barock-
                                                 virtuose und wurde Michelangelo del Violino       dass der jahrelang am Hof des Herzogs von        musik. Bemerkenswert wie die Entwicklung
   Etwas «im Abseits» komponieren zwei           genannt. In einer eigenen Oper – mit einer        Savoyen tätige d’India es anscheinend für        ihrer Musik ist auch Barbara Strozzis wei-
weitere Madrigalkomponisten: Carlo Gesu-         Szenerie von Bernini – trat er denn auch          nötig hielt, bei Nacht und Nebel aus Turin zu    terer Lebensweg: Mit den besten Häusern
aldo und Michelangelo Rossi.                     als Violine spielender Apollo auf. Heute ist      fliehen, um einer drohenden gerichtlichen        Venedigs in Kontakt, etabliert sie sich als
                                                 Rossi jedoch vor allem wegen der kühnen           Verfolgung zu entgehen …                         Kurtisane, bleibt unverheiratet, hat vier
   Der Aristokrat Carlo Gesualdo (Fürst          Harmonik seiner Cembalomusik bekannt                                                               Kinder und verwaltet schliesslich ein statt-
von Venosa bei Neapel) betreibt das Kom-         – ein Stil, der sich bezeichnenderweise              Ein ähnliches «Hin und Her» zeigt auch        liches Vermögen.
ponieren natürlich nicht beruflich, sondern      über Rossis Lehrer Girolamo Frescobaldi           d’Indias Werk: Während rund 20 Jahren
als «Dilettante». Er ist jedoch ein professio-   zu dessen Lehrer Luzzaschi zurückführen           entstehen in regelmässigem Wechsel einer-
nell ausgebildeter Komponist und widmet          lässt. So gut wie unbekannt blieben jedoch        seits Bücher mit durchwegs fünfstimmigen
sich in seinen sechs Madrigalbüchern stets       seine beiden unveröffentlichten Bücher mit        Madrigalen und andererseits Bücher mit
dem klassisch fünfstimmigen Madrigal.            Madrigalen, deren Musiksprache genauso            Musiche zu ein oder zwei Stimmen sowie mit
Nach moderaten Anfängen entwickelt er            expressiv ist wie die der Cembalowerke.           Villanellen zu drei oder vier Stimmen. Und
                                                                                                   nicht nur sind die Musiche da cantar solo nel
                                                                                                   clavicordo, chitarrone, arpa doppia, auch das
                                                                                                   eine und andere Madrigalbuch ist con il suo
                                                                                                   basso continuato aufzuführen.

                                                                                                      Anders als d’India geht die Komponistin
                                                                                                   Barbara Strozzi in ihrem Werk sozusagen
                                                                                                   konsequent den Weg vom alten Madrigal der
                                                                                                   Renaissance zur neuen Gattung der Arie und
                                                                                                   Kantate des Barocks. Adoptiert vom Dichter
                                                                                                   und Literaten Giulio Strozzi (vermutlich ihr
                                                                                                   leiblicher Vater), geniesst sie eine hervorra-
                                                                                                   gende musikalische Ausbildung als Sänge-
                                                                                                   rin, Instrumentalistin und Komponistin.
                                                                                                   Im Haus des Vaters leitet sie die Treffen der
                                                                                                   Accademia degli Unisoni, eines Debattier-
                                                                                                   clubs, in dem die neusten kulturellen The-
                                                                                                   men und Strömungen diskutiert werden.
                                                                                                   Der Vater verhilft ihr auch zu einem optima-

20                                                                                 Madrigale III   Madrigale III                                                                                21
So 24.03.                                                            Chanson-Metamorphosen
16.00h Lavatersaal, vis-à-vis St. Peter

                                                                   Johannes Ockeghem      D’ung aultre amer
     Präludium                                                     (ca. 1410 – 1497) 		   Clare Wilkinson & Harfe

     Ovid-Metamorphosen                                            Josquin Desprez
                                                                   (ca. 1440 oder
                                                                                          Missa D’ung aultre amer: Kyrie
                                                                                          Missa D’ung aultre amer: Gloria

     B. Britten: Six Metamorphoses after Ovid                      1450/55 – 1521)
                                                                   			                    De tous biens plaine
                                                                   			                    Harfe
                                                                   			                    Mille regretz
     Studierende der ZHdK                                          			                    Helen Charleston & Harfe
     Linda Alijaj Oboe
     Hitomi Inoue Oboe                                             			                    Missa D’ung aultre amer: Credo
     Morris Weckherlin Sprecher                                    			                    Ave Maria
                                                                   			                    Missus est Gabriel archangelus
     Programm siehe Seite 10
                                                                   			                    Dulces exuviae
                                                                   			                    Fortuna d’un gran tempo
17.00h Kirche St. Peter                                            			                    Harfe
                                                                   			                    Absalon fili mi

     Chanson-Metamorphosen                                         			                    Victimae paschali laudes super D’ung aultre amer

     Josquin Desprez:                                              			                    — PAUSE —

     Missa D’ung aultre amer,

                                                                                          Sanctus D’ung aultre amer
                                                                                          Tu lumen, tu splendor patris

     Motetten & Chansons
                                                                   			                    Ile fantazies de Joskin
                                                                   			                    Harfe

                                                                   			                    La Bernardina
     Alamire                                                       			                    Adieu mes amours
     Helen Charlston, Martha McLorinan, Clare Wilkinson Superius   			                    Martha McLorinan & Harfe
     Ben Alden, Jeremy Budd, Ben Durrant, Nick Todd Contratenor
                                                                   			                    Planxit autem David
     James Birchall, William Gaunt Bassus                          			                    Cela sans plus
     Claire Piganiol Renaissance-Harfe                             			                    Harfe

     David Skinner Leitung                                         			                    Missa D’ung aultre amer: Sanctus
                                                                   			                    Missa D’ung aultre amer: Agnus Dei

                                                                   			                    Tu solus qui facis mirabilia super D’ung aultre amer

22                                                                                                                                               23
Martin Luther: Josquin ist der noten             In Kyrie, Sanctus und Agnus Dei der                Josquin verwendete sowohl die Melodie         verlassene Dido beklagt darin ihr trauriges
meister. Die andern haben’s machen müssen,       Missa verwendet Josquin die Melodie von            als auch den Tenor von Ockeghems D’ung           Schicksal. Planxit autem David ist eines von
wie die noten wollten. Bei ihm mussten die       D’ung aultre amer als Kopfmotiv in der             aultre amer in zwei weiteren Werken. Das         Josquins monumentalsten Werken im Stil
noten, wie er wollte.                            Superius-Stimme, und in jedem Satz erklingt        alleinstehende Sanctus D’ung aultre amer         einer dramatischen Deklamation. Der Text
                                                 einmal auch der Tenor aus Ockeghems                wurde wiederum von Petrucci veröffentlicht       stammt aus dem zweiten Buch Samuel
   Josquin Desprez (geb. um 1440 oder            Chanson. Im Sanctus der Messe ersetzt              (Fragmenta Missarum 1505). Dieses Datum          (1:17–27) und besteht aus König Davids Klage
1450/55; gest. am 27. Aug. 1521) gilt heute      Josquin das Benedictus durch den ersten            und der verfeinerte Stil des Werks legen eine    um Saul und Jonathan.
weitherum als der grösste unter den Meis-        Teil seiner Motette Tu solus qui facis mirabilia   spätere Enstehung als die der Messe nahe.
terkomponisten der Renaissance. Und wie          – das Verfahren ist damals ein Merkmal der         Besonders schön ist das Benedictus mit               Josquins weltliche Musik steht in grossem
die Aussage von Martin Luther zeigt, wurde       Liturgie in Mailand, weshalb die Entstehung        seiner nachhallenden statischen Harmonik         Kontrast zu seiner geistlichen. Überliefert
er schon von seinen Zeitgenossen hochge-         der Messe manchmal mit Josquins Mai-               bei qui venit in nomine Domini. In Petruccis     sind 36 solcher weltlicher Werke, darunter
schätzt. Er setzte den Standard im Umgang        länder Aufenthalt in Verbindung gebracht           Publikation folgt auf das Benedictus die         fünf untextierte. Wir führen sie mit der
mit den verschiedenen Techniken, die             wird. Der Text endet so mit den Worten Rex         Motette Tu lumen, tu splendor patris. Diese      dafür sehr geeigneten Renaissance-Harfe
von den meisten Komponisten seiner Zeit          benigne – Gnädiger König; dadurch wird das         hat keine Beziehung zu D’ung aultre amer;        auf. Die rein instrumentalen Stücke Ile fan-
verwendet wurden. Und er wurde zu einer          Emporheben der Hostie an dieser Stelle             die sehr bewegende und rein homophone            tazies de Joskin und La Bernardina enthalten
Legende, zu einer Ikone der Musik, dessen        der Liturgie (Elevatio) auch musikalisch als       Vertonung einer Strophe aus der Hymne            keinen Bezug zu älterer Musik; sie gehören
Kunst sowohl Musiker wie Wissenschaftler         Höhepunkt der Messliturgie gekennzeich-            Jesu salvator saeculi war höchstwahrschein-      also zu den ersten Beispielen von frei kom-
auch in späteren Jahrhunderten faszinierte.      net.                                               lich ebenfalls als Elevationsmotette anstelle    ponierten Instrumental-Werken – was ja erst
Nicht ganz zufällig ist er der einzige Renais-                                                      des Benedictus gedacht.                          in späteren Generationen Standard wurde.
sance-Komponist, der durchwegs mit dem          Die zweiteilige Motette Tu solus qui facis                                                           Von den textierten Werken sind zwei Stücke
Vornamen und nicht mit dem Nachnamen        mirabilia erschien erstmals in einem Druck                  Ein weiteres Werk in Josquins D’ung          zu hören, die Josquins unterschiedliche
genannt wird.                               von Ottaviano Petrucci (Motetti, Venedig                aultre amer-”Zyklus” ist Victimae paschali       stilistische Ansätze im Genre der Chanson
                                            1503). Josquin war denn auch einer der                  laudes, von Petrucci in Motetti A (1502) ver-    repräsentieren: Mille regretz, eine seiner
   Das heutige Konzertprogramm kreist um    ersten Komponisten, die vom Musikdruck                  öffentlicht. Dieses gilt als eine von Josquins   schönsten Vertonungen, ist ein spätes Werk
einige von Josquins frühesten Werke und vor profitieren konnten: Petruccis Band Missae              frühesten Motetten, obwohl sie innerhalb         und frei komponiert – eine in ihrer Zeit
allem um die Faszination, die das Chanson-  Josquin (1502) enthält als erster Druck der             dieser Gruppe die stilistisch ausgereifteste     “romantische” Chanson. Adieu mes amours
Rondeau D’ung aultre amer seines Lehrers    Musikgeschichte nur Werke eines einzelnen               ist. Ockeghems Tenor findet sich nirgends,       ist dagegen ein sehr spätes Rondeau mit
Johannes Ockegem (ca. 1410–1497) auf ihn    Komponisten.                                            obwohl die Melodie in der Superius-Stimme        sowohl erotischen wie satirisch-bitteren
ausübte. Eingeschlossen sind auch einige                                                            vollständig zitiert wird. Im zweiten Teil        Untertönen.
seiner populärsten Motetten und Chansons.       Der zweite Teil der Motette unterschei-             zitiert Josquin dann noch eine weitere
                                            det sich vom ersten stark, und es könnte                damals berühmte Chanson, De tous biens             David Skinner
   Im Zentrum steht Josquins kürzeste und   durchaus sein, dass Josquin diesen Teil                 plaine von Hayne van Ghizeghem (ca. 1445–          Sidney Sussex College, Cambridge
möglicherweise früheste Messkomposition, überhaupt erst für die Veröffentlichung im                 ca. 1495).
die Missa D’ung aultre amer, die auf Ockeg- Druck komponierte. Im zweiten Teil erklingt
hems gleichnamigem Chanson-Rondeau für in der Superius-Stimme zweimal nicht nur                        Von den anderen Motetten in diesem
drei Stimmen basiert.                       die Melodie, sondern fragmentarisch auch                Konzert verdienen drei speziell Erwähnung:
                                            der Textanfang von Ockeghems Chanson                    Ave Maria gilt ebenfalls als frühes Werk im
   Der unprätentiöse Stil der Missa ist     D’ung aultre amer. Dessen Titelzeile ist ein            Mailänder Stil. Es datiert wahrscheinlich aus
typisch für die kürzeren Messkompositi-     Wortspiel mit aimer / amour (Liebe/n) und               den mittleren 1470er Jahren, erscheint aber
onen der Zeit, und der simultane Vortrag    amer (bitter): D’ung aultre amer mon coeur              manchem zeitgenössischen Werk älterer
von Textabschnitten im Gloria und Credo     s’abesseroit – Mit einer anderen (bitteren)             und etablierterer Komponisten überlegen.
erinnert an ältere Verfahren. Diese beiden  Liebe würde mein Herz sich entehren. In                 So schrieb der Schweizer Musiktheoreti-
Sätze bilden ausserdem auch ein Paar: Sie   Josquins Motette Tu solus qui facis mirabi-             ker Heinrich Glarean (1488–1563) sehr viel       * Tenor meint in der Musik dieser Zeit die
beginnen auf die gleiche Weise und mit      lia erklingt der Anfang des französischen               später darüber, dass die Motette höher zu          Hauptstimme einer Komposition; in ihr
homophoner Deklamation des Textes. Im       Textes – recht überraschend – inmitten des              schätzen sei als zahlreiche der neuen Lieder,      findet sich der cantus firmus, das vorge-
Credo erklingt dann aber an zwei Stellen    sonst durchwegs lateinischen Textes: D’ung              die heute täglich erscheinen. – Im Gegensatz       gebene “Gerüst”, um das herum sich das
der Tenor* aus Ockeghems Chanson, was       aultre amer nobis esset fallacia – Eine andere          dazu sind Dulces exuviae und Planxit autem         polyphone Geflecht der anderen Stim-
dem langen Text eine zweiteilige Struktur   Liebe (als die zu Gott) wäre eine Täuschung.            David reife Werke. Dulces exuviae ist eine der     men windet. Über dem Tenor liegt der
verleiht.                                                                                           ersten Vergil-Vertonungen: Die von Aeneas          Superius, die höchste Stimme (Sopran).

24                                                                      Chanson-Metamorphosen       Chanson-Metamorphosen                                                                      25
Fr 29.03.                                                                      Griechenland-Metamorphosen
19.30h Kirche St. Peter
                                                                            			                       CHORÓS / ΧΟΡÓΣ

     Griechenland-Metamorphosen                                             unbekannter Dichter
                                                                                                      akoúsate
                                                                                                      Laios, das Orakel von Delphi
     CHORÓS / ΧΟΡÓΣ                                                         unbekannter Dichter       aínigma, das Rätsel der Sphinx

     oder                                                                   Sophokles
                                                                            (ca. 497 – 406 v. Chr.)
                                                                                                      Oidípous Týrannos (ca. 425 v. Chr.)
                                                                                                      — Parodos / Einzug (Verse 151-215)

     Oidípous Týrannos / Οιδίπους Τύραννος

                                                                                                      Der Chor ruft verschiedene Gottheiten an.
                                                                                                      — Stasimon α (Verse 463-511)

     von Sophokles
                                                                                                      Der Chor zeigt sich sehr bewegt und durch die Prophezeiungen
                                                                                                      von Teiresias äusserst verwirrt. Man traut Ödipus, der doch einst
                                                                                                      Theben vor der Sphinx gerettet hat und selbst als Weiser gilt, eine
                                                                                                      verbrecherische Tat einfach nicht zu. Er soll erst gerichtet werden,
     Melpomen                                                                                         wenn es unumstössliche Beweise gegen ihn gibt.
     Arianna Savall Gesang, Barbitos und Lyra
                                                                            			                       aínigma, das Rätsel der Sphinx (Wiederholung)
     Giovanni Cantarini Gesang, Kithara, Rhombos
                                                                            			                       — Stasimon β (Verse 863-910)
     Martin Lorenz Seistron, Tympanon, Kymbala, Krotala, Rhombos                                      Der Chor formuliert einige religiöse und moralische Grundwahrheiten.
     Conrad Steinmann Aulos, Kymbala, Rhombos, Musik und Leitung                                      Dann kündigt er an, sich nie mehr auf irgendein Götterwort verlassen
                                                                                                      zu wollen, wenn sich Apollos Orakel nicht auch jetzt als richtig erweise.
     Mädchenchor / Frauenchor                                               			                       — Exodos / Schlusschor (Verse 1186-1222)
                                                                                                      Der Chor räsoniert über die Unbeständigkeit des Glücks und dass
     Alice Borciani, Lina Lopez, Hanna Marti, Tessa Roos alle mit Rhomboi                             man den Tag nicht vor dem Abend loben soll. Er wendet sich voll
                                                                                                      Grausen von Ödipus ab.
     Männerchor
                                                                            			                       ***
     Giovanni Cantarini, Raitis Grigalis, Daniel Issa, Andreas Schmidt
     alle mit Rhomboi                                                       			                       naí (instr.)
                                                                            Alkman (7. Jh. v. Chr.)   Sparta

                                                                            			                       — PAUSE —

                                                                            Archilochos 		          ékleipsis
                                                                            (7. Jh. v. Chr.)
                                                                            Sappho		                Sappho β
                                                                            (ca. 630 – 580 v. Chr.)
                                                                            Sappho 		               Eléna
                                                                            			                     makróteros (instr.)
                                                                            			                     aléxis β (textloses Chorstück)
                                                                            			                     diálogos (instr.)
                                                                            Sappho 		               máter α
                                                                            Sappho		                máter β (Version mit Mädchenchor)
                                                                            			                     kýmbala (instr.)
                                                                            Sappho 		               móna β (Version mit Mädchenchor)
                                                                            			                     móna α
                                                                            Anakreon 		             gaía
                                                                            (ca. 570–495 v. Chr.)

26                                                                                                                                                                           27
Allenfalls gewähren einige zu unbekann-           idiomatischen Spielweise führten. Über-
     Altgriechische                             tem Zweck notierte Fragmente aus der              prüfen liessen sich die Resultate schliess-     CHORÓS / ΧΟΡÓΣ
                                                Spätantike – ab dem 3. Jh. v. Chr. bis ins 5.     lich am Instrumentarium von heute noch
     Musik                                      nachchristliche Jahrhundert – Einblick in         lebendigen, weit zurückreichenden Musik-
                                                eine vergleichsweise konkrete Musikwelt,          traditionen mit ihren nur wenig veränder-     Zwiegespräche und
                                                von der aber nicht bekannt ist, ob sie in         ten Instrumenten. Genannt seien nur der
Gedanken zu einem                               irgendeiner Weise die klassische oder gar         doppelt geblasene Arghoul aus Ägypten, das    Wechselgesänge mit
                                                                                                                                                Musik zu Oidípous
                                                die frühere archaische Epoche widerspie-          sardische Blasinstrument Launeddas oder
neuen Ansatz alt-                               gelt. Ganz im Gegensatz zu den fehlenden          auch die der Begleitung dienenden Saiten-

griechischer Musik                              Zeugnissen erklingender Musik ist aber eine
                                                umfangreiche antike Literatur zur Musik-
                                                                                                  instrumente wie der äthiopische Khrar und
                                                                                                  die ägyptische Tambura, die uns in ihrer      Týrannos von
     Conrad Steinmann
                                                theorie überliefert, die bis weit ins Mittelal-
                                                ter ihre Wirkung entfalten konnte. Bis heute
                                                                                                  Verwurzelung in Jahrtausende alter Spiel-
                                                                                                  praxis vielerlei Anregungen instrumentaler    Sophokles und zu
   Manche werden sich, nicht zu Unrecht,
                                                glaubt man, dass von ihr auch Erkenntnisse
                                                zur Musikpraxis abzuleiten seien. Weil
                                                                                                  Spieltechnik boten.
                                                                                                                                                Chor-Lyrik von
zunächst die Augen reiben, wenn sie von
einem Konzert mit Musik aus der vor-
                                                aber weitere Hilfsmittel fehlten, blieb ein
                                                unüberbrückbarer und frustrierender Gra-
                                                                                                      Eine weitere wichtige Quelle der
                                                                                                  Erkenntnis, wie denn Musik der griechi-
                                                                                                                                                Archilochos, Alkman
klassischen und klassischen griechischen
Antike lesen. Ist diese Musik nicht für alle
                                                ben zum Klang, zu den Tönen, ja zur gesam-
                                                ten Musik des griechischen Altertums.
                                                                                                  schen Antike geklungen haben mag, sind
                                                                                                  die Eigenheiten der griechischen Sprache,
                                                                                                                                                und Sappho
Ewigkeiten verschwunden, im Gegensatz                                                             die Rückschlüsse auf die Ausformung der
zu bildender Kunst und Architektur, im             Die für CHORÓS / ΧΟΡÓΣ entstandene             Musik zulassen. Das Altgriechische ist           Das Projekt CHORÓS / ΧΟΡÓΣ geht
Gegensatz auch zu den grossartigen litera-      Musik zu Texten vom 7. bis 5. Jh. v. Chr. hat     zum einen einer rhythmischen Ordnung          hauptsächlich der Wiederbelebung von dra-
rischen Zeugnissen griechischen Denkens?        aus den genannten Gründen einen ande-             unterworfen, die Länge und Kürze der          matischen Chören der griechischen Klassik
Möglicherweise ist es den einen oder            ren Zugang zur antiken Klangwelt: Ganz            Silben regelt. Zum andern vermitteln die      nach, insbesondere des Ödipus-Dramas von
andern bewusst, dass heutzutage die grie-       wesentlich bilden die hier verwendeten            griechischen Akzente – Akutus, Gravis und     Sophokles. Die neu erarbeitete Version in
chischen Dramen mit der Beschränkung            – von Paul J. Reichlin rekonstruierten –          Circumflex – weniger Betonungen als viel-     altgriechischer Sprache schliesst in gewis-
auf eine Wiedergabe des Textes nur unvoll-      Instrumente die Grundlage der gespielten          mehr Hinweise auf Führung und Färbung         ser Weise an die Aufführung vom 3. März
ständig zur Aufführung gelangen; mög-           Musik. Diese sind die Frucht einer über           der Melodie. Diese Elemente mussten also      1585 an, als zur Eröffnung des Teatro Olim-
licherweise ist es uns auch bewusst, dass       20-jährigen intensiven Zusammenarbeit             bei unserem Vorgehen in Einklang gebracht     pico von Andrea Palladio in Vicenza die-
die «Lyrik» ihre Bezeichnung von der lyra       eines Instrumentenbauers mit einem                werden mit der Tonordnung der jeweils         selben Chöre von Andrea Gabrieli vertont
bekam, einem Zupfinstrument zur Beglei-         musikarchäologisch geschulten Musiker.            verwendeten Instrumente. Auf diese Weise      und aufgeführt wurden. Während Gabrieli
tung von gesungenen Gedichten. Mit Leich-       Sie entstand aus dem unvoreingenomme-             konnte – so ist zu hoffen – ein Maximum an    aber die Chorpartien auf Italienisch kom-
tigkeit liessen sich zahlreiche andere antike   nen Studium aller möglichen Primärquel-           Zufälligkeiten und Beliebigkeiten beim Neu-   ponierte, folgt die nun erstmals erklingende
Situationen ausdenken, wo «Musik» – die         len. Dazu zählen das minutiöse Ausmessen          finden der Musik ausgeschlossen werden.       Musik anderen Voraussetzungen: Sie ist,
Kunst der Musen insgesamt – ein wichtiger       vorhandener Instrumententeile in unter-           Um keine Missverständnisse aufkommen zu       wie eingangs geschildert, auf der Grundlage
Bestandteil menschlicher Manifestation          schiedlichen Museen, das Sichten, intensive       lassen: Die schliesslich erklingende Musik    der Rhythmik des originalen Altgriechisch,
war, sei es bei Kulthandlungen oder auch        Diskutieren und Interpretieren unzähliger         ist neu imaginiert, doch sind ihre Elemente   dessen Abfolge von Sprachakzenten und
bei sportlichen und anderen gesellschaftli-     Vasenbilder und Reliefs aus der Zeit von          so nahe wie nur irgend möglich an den         auf der Basis der minutiös nachgebauten
chen Anlässen. Eine Vielzahl von Vasen-         700 bis 500 v. Chr., sowie das Auswerten der      historischen Gegebenheiten orientiert.        Instrumente von Conrad Steinmann neu
abbildungen zeugt davon.                        verfügbaren literarischen Dokumente. Die                                                        imaginiert. Sie folgt auch bereits mehrfach
                                                Herstellung der Instrumente erfolgte mit                                                        gemachten Erfahrungen früherer Projekte
   Indes ist man so sehr an die Abwesenheit     dem Einsatz grösster handwerklicher Sorg-                                                       des Ensembles Melpomen wie Olympio-
jeglichen Klanges der griechischen Antike       falt, Akribie, Ausdauer und auch mit frucht-                                                    nikais (Pindars Olympische Oden) zur
gewöhnt, dass nur schon die Vorstellung         baren Zweifeln. Die Instrumente mussten,                                                        Schlussfeier der Olympischen Spiele in
davon eine gewisse Verunsicherung her-          wie alle heute gebräuchlichen auch, einer                                                       Athen oder Sappho und Melpomen, Musik
vorrufen mag. Das sang- und klanglose           inneren Logik folgen, die ihre Bauart und                                                       zu einem Athener Symposion, die beide auf
kulturelle Panorama ist entstanden, weil        Einrichtung zwingend ergab. Das bedeutet,                                                       CD erschienen sind.
aus jener Zeit der klassischen griechischen     dass im besten Fall alle Einzelheiten eines
Antike keine notierte Musik überliefert ist.    Instrumentes beinahe von selbst zu einer

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