Rezepte gegen den Corona-Blues - Mit Gaston und Caspar Martig, Antonio Colaianni, Claudio Del Principe, Fabian Fuchs, Richard Kägi, David Schnapp ...
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Sonderheft: Wein und Genuss 16. April 2020 – 88. Jahrgang Rezepte gegen den Corona-Blues Mit Gaston und Caspar Martig, Antonio Colaianni, Claudio Del Principe, Fabian Fuchs, Richard Kägi, David Schnapp u. a. m.
Die Souffleure des intelligenten Tischgesprächs Jeden Donnerstag fundierte Recherchen und interessante Artikel aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Überzeugen Sie sich selbst! Jetzt eren! abonni Kosovos Stern: Keshtjella Pepshi verzaubert die Schweiz Swiss am Boden: Warum die Schweiz der Airline helfen sollte Christoph Mörgeli über den Beamten, der die Schutzmasken verlauerte Nummer 11 — 12. März 2020 – 88. Jahrgang Nummer 13 — 26. März 2020 – 88. Jahrgang Nummer 14 — 2. April 2020 – 88. Jahrgang Fr. 9.– (inkl. MwSt.) – Euro 6.90 Fr. 9.– (inkl. MwSt.) – Euro 6.90 Fr. 9.– (inkl. MwSt.) – Euro 6.90 Globalisierung am Ende? Urkraft aus den Bergen Die Rache des Regenwalds Lehren aus der Corona-Krise. Wie die Schweiz der Corona-Krise trotzt: Gespräche und Befunde. Indem wir die Natur zerstören, entfesseln wir die Reservoirs der Viren. Von Christoph Blocher und Paul Collier Von Franz und Benjamin Steinegger, Christoph Mörgeli, Roman Zeller und Roger Köppel Von James Hamilton-Paterson Zweikampf der Alphatiere Das chinesische Virus Pandemie der Panik Warum der Streit zwischen Bundesanwalt Lauber und Aufseher Uster Kampf der Systeme gegen den Erreger. Wer macht es besser? Ist die Corona-Kur schlimmer als die Krankheit? Die Skepsis wächst. aus dem Ruder lief. Von Katharina Fontana Von Urs Gehriger, Peter Keller und Steve Bannon Von Katharina Fontana, Beat Gygi und Martin van Creveld Don Juan Carlos: «Wir brauchen «Schwarz und Frau? Go W Die Weltwoche, die andere Sicht od o d W de Z n um Pete Ne ie F und König der Demokratie eine globale Führung» Es war kein Nachteil» Sc G r Er eiz urts hse ws irm er hw eb Bic er ern tag l au a G tut zä ih v s K len hlt r on aus der Schweiz auf die Welt. Was Europa dem spanischen Monarchen verdankt. Von Wolfgang Koydl Star-Historiker Harari im Gespräch. Von Pierre Heumann Erfrischende Einsichten der neuen Deza-Chefin Patricia Danzi olu co m re Le bie be n n Jetzt Probeabo bestellen: www.weltwoche.ch/abo
Intern: Ode an die Mamma, Gaston Martig, Antonio Colaianni Inhalt Koch ein Menü aus fünf Rezepten zum Nach 04 Ode an die Mamma kochen zusammengestellt und verrät, worauf Kochbuch-Autor Claudio Del Principe er auch am privaten Herd nicht verzichten würdigt seine Mutter kann. Seite 10 06 Rezepte gegen den Corona-Blues Home-Cooking mit Gaston Martig 10 «Kräuteröl macht alles besser» Fabian Fuchs’ fünf Gerichte für zu Hause 14 Pranzo bei Colaiannis Zu Gast bei der Mutter von Spitzenkoch Antonio Colaianni 18 Die Smolinskys Familiäre Tradition auf der Sihlhalde 20 Erinnerung an die Armut Foodscout Richard Kägi erzählt von seiner Kindheit 22 Zigarren und Rum Liebe zur Simplizität: Kochbuchautor Armut für die Bevölkerung, Claudio Del Principe in seinem Garten. Luxusgüter für den Export 24 Eugénie Braziers Erbe Der erfolgreiche Kochbuchautor Claudio Del Die Mutter der Spitzengastronomie Principe schöpft für seine Gerichte und Ge- 27 Krug-Chefin Henriquez im Gespräch schichten immer wieder aus dem Kulturgut Passion und Sinnlichkeit: Spitzenkoch seiner italienischen Heimat und der Küche Antonio Colaianni mit Mutter Maria. seiner Mutter. Er vermittelt in seinen Büchern Impressum Werte wie Sorgfalt, Achtsamkeit und Liebe zur Spitzenkoch Antonio Colaianni gilt als bester Simpli zität. Gerade während der Corona- italienischer Koch der Schweiz. Seine Krea Herausgeberin: Weltwoche Verlags AG, Quarantäne entpuppt sich sein Bestseller «A tionen sind voller Kraft, Passion und Sinnlich- Förrlibuckstrasse 70, Postfach, 8021 Zürich casa» als Programm. Zu Hause bleiben und ko- keit. Wie kaum ein anderer versteht er es, die Die Weltwoche erscheint donnerstags. Redaktion: Telefon 043 444 57 00, Fax 043 444 56 69, chen! Plötzlich macht seine Philosophie des präzise französische Hochküche mit der puris- E-Mail-Adressen: vorname.name@weltwoche.ch, «Weniger ist mehr» mit Zeit als wichtigster tischen italienischen zu verbinden. Der Sohn leserbriefe@weltwoche.ch Verlag: Tel. 043 444 57 00, Fax 043 444 56 07, Zutat mehr Sinn denn je. In diesem Heft wür- italienischer Einwanderer aus Apulien er E-Mail: verlag@weltwoche.ch digt er seine Mutter – ja überhaupt die cucina kochte sich schon früh einen Michelin-Stern Internet: www.weltwoche.ch della mamma, die – anders als die französische und wurde vom «Gault Millau» mit 17 Punk- Abo-Service: Tel. 043 444 57 01, Fax 043 444 50 91 E-Mail: kundenservice@weltwoche.ch Haute Cuisine – hauptsächlich eine mündli- ten bewertet. Als Fundament für seinen Erfolg Jahresabonnement Inland Fr. 346.– (inkl. MwSt.) che Tradition hat. Seite 6 sieht er aber nicht seine klassische Ausbildung Schnupperabonnement Inland Fr. 38.— (inkl. MwSt.) in französischer Küche, sondern die Selbst Weitere Angebote für In- und Ausland unter www.weltwoche.ch/abo Als das Fotoshooting in Claudio Del Principes sicherheit und Kreativität, die er aus der ein Garten wegen der Corona-Krise abgesagt fachen Küche seiner Heimat schöpft. Und Hei- Gründer: Karl von Schumacher (1894–1957) Verleger und Chefredaktor: Roger Köppel werden musste, machte sich unser Fotograf mat, die findet Colaianni bei seiner Mutter. Mitglied der Chefredaktion: Beat Gygi (Wirtschaft) Caspar Martig kurzerhand selbst ans Werk. Er Besuch bei Mamma Maria. Seite 14 Produktionschef: Lukas Egli brauchte keine Minute, um seinen sechsjäh Layout: Daniel Eggspühler (Art-Director), Jasmin Karim (Bildredaktion) rigen Sohn Gaston zu motivieren, den Grill Wer bei Lyon an Lyoner Wurst denkt, verpasst anzuzünden, um Del Principes Rezept nach vieles im Leben. Die französische Stadt im Verlag: zukochen. Geht hier gerade der neuste Stern Rhonetal habe kulinarisch mehr zu bieten als Verlagsleiter: Sandro Gianini Anzeigenverkauf: Gabriel Lotti, Brita Vassalli am Kochhimmel auf? Vater und Sohn Martig Paris – sagen zumindest die Einheimischen. Anzeigen-Innendienst: jedenfalls schwärmen vom Resultat. Und von Diese Tradition geht zurück auf die mères Tel. 043 444 57 02, Fax 043 444 56 07 ihrem perfekten Tag im Home-Schooling. Seite 7 lyonnaises, die seit dem 18. Jahrhundert eine E-Mail: anzeigenid@weltwoche.ch Online-Vermarktung: GLA United anspruchsvolle Küche pflegten, zuerst für die Tarife und Buchungen: weltwocheAgla-united.com Er lerne seinen Beruf gerade von einer neuen lokalen Gäste, nach und nach auch für die aus- Seite kennen, sagt Fabian Fuchs. Der 33-Jäh wärtigen Besucher auf gehobenem Niveau. Betriebsleiter: Samuel Hofmann Druck: Print Media Corporation, PMC, rige aus Zürich gehört zu den besten Köchen Beispielhaft für diese Frauen war die Bauern- Oetwil am See einer neuen Generation in der Schweiz. In tochter Eugénie Brazier (1895–1977), die erste seine Küche kommen nur regionale, meist Köchin überhaupt mit sechs Michelin-Sternen Die Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung biologische und fair gehandelte Zutaten. ausgezeichnet wurde (je drei in zwei Restau- der Redaktion gestattet. Weil sein Restaurant «Equi-Table» zurzeit rants) und es in die erste Garde der französi- Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine geschlossen ist, kocht Fuchs wieder mehr zu schen Spitzengastronomie schaffte. Ihr Leben Haftung übernommen. Hause und entwickelt eine grosse Freude liest sich wie eine Küchengeschichte mit den Der Weltwoche-Inhalt ist gedruckt auf Recyclingpapier, daran, wie er unserem Autor David Schnapp feinsten Zutaten. Seite 24 das aus 100 % Altpapier hergestellt wird. erzählt. Für dieses Heft hat der 17-Punkte- Ihre Weltwoche Es schont Ressourcen, Energie und somit die Umwelt. Wein und Genuss 2020 3 Cover und Bilder: Caspar Martig für die Weltwoche
Ode an die Mamma Alle kochen jetzt daheim. Für Kochbuch-Autor Claudio Del Principe ist Zeit die wichtigste Zutat. Viele seiner Rezepte gehen auf seine Mutter zurück, die aus den Abruzzen stammt. Von Claudio Del Principe Diese Leichtigkeit in der Küche. Diesen vor so viel wie nötig. Immer, wenn ich ein Rezept und Digestifs. Irgendwann wurde es immer ausschauenden Antrieb. Die Zuversicht, dass meiner Mutter aufschreiben wollte und sie schwieriger, ein Restaurant zu finden, das am alles gelingt und dass immer genügend Zeit nach der genauen Menge der Zutaten und Ge Sonntag überhaupt offen hatte. Anscheinend für alles vorhanden ist. Die Freude an der würze oder dem idealen Mischverhältnis ge brunchte man jetzt lieber sonntags. Was für handwerklichen Arbeit. Die Poesie und Pas fragt habe, meinte sie trocken: «Wie meinst du ein Horror. In Italien gab es eine ähnliche sion des Kochens. Den Feinsinn, sich um das das? Quanto basta!» Man könnte diese Mengen Entwicklung. Familien zerstreuten sich, die leibliche Wohl der anderen zu kümmern. Die angabe demnach auch so übersetzen: Schalte Trattorie schlossen sonntags. Das führte zu Fähigkeit, jemandem etwas abzuschauen und deinen Grips ein! Es drückt perfekt aus, was einer Leere. Einer Melancholie. Einer Sehn selbst umzusetzen. Das Geschichtenerzählen, eine geübte Köchin von einem Anfänger unter sucht nach ebendiesen Heile-Welt-Essen, während man das Essen zubereitet. Das alles scheidet. Man soll sich nämlich nicht sklavisch sonntags bei Mamma. Deshalb kamen nach habe ich von meiner Mutter. Und dafür bin ich an vorgegebene Grammaturen und Mengen und nach Gastronomen darauf, genau solche ihr sehr, sehr dankbar. verhältnisse halten, sondern mit allen Sinnen Sonntagsessen wie bei Mamma anzubieten. Ich bin süchtig nach Kochen, seit sie mir eine selbst entscheiden, wann genug ist. Durch Wie zum Beispiel das «Aromando Bistrot» in Pfanne für meine Experimente auf den Herd Riechen, Schmecken, Tasten und Beobachten. Mailand, das vor über zwölf Jahren diesen gestellt hat – da war ich vier. Sie hätte ja auch Dafür braucht es natürlich Erfahrung. Des Gegentrend mit initiierte. Das Gastronomen- sagen können: «Geh weg, ich muss kochen, geh halb mein Tipp: üben, üben, üben. Bis wir und Ehepaar Savio Bina und Cristina Aro spielen.» Hat sie zum Glück nicht. Obwohl sie eines Tages selbst jemandem, der nach der mando sind geradezu besessen davon, ihren als Mutter von drei Kindern, berufstätig und Menge fragt, antworten: Quanto basta! Gästen ein zweites Zuhause zu bieten. Die Ein den Haushalt schmeissend, jeden Grund dazu richtung ist liebevoll mit geschmackvollen gehabt hätte. Aber nein. Sie hat mich einbezo Heiliges Sonntagsessen Secondhand-Möbeln bestückt. Die Zutaten in gen. Auch das habe ich ihr abgeschaut: Kinder Ich war achtzehn, als meine Eltern in Frühpen Bioqualität kommen direkt von den Er muss man einbeziehen, nicht ausschliessen. sion gingen, die Wohnung in der Schweiz auf zeugern. Die Suppe mit den hausgemachten lösten und wieder zurück in ihr Dorf in den Tortellini gibt es in der Vintage-Soupière, und Was ist schon dabei? Abruzzen gingen. Ich zog zu Miriam. Sie wurde man schöpft sich selbst. Wie daheim. Der Für eine ganz bestimmte Haltung bin ich ihr später meine Frau. Und mein grösstes Glück. Geschmack und der Duft von Mammas Küche besonders dankbar. Es ist der stärkste Motor Bis zu diesem Zeitpunkt war der Sonntag hei ist eine Nabelschnur, von der sich Italiener nie für meine Motivation in der Küche. Es ist ihr lig. Ich konnte ausschlafen, und das Erste, was lösen können. Ausspruch: «E che ci vuole?» Das bedeutet so mich weckte, war der betörende Duft aus der viel wie: Was ist schon dabei? Oder banaler: Wo Küche. Als Kind schlurfte ich in die Küche und Wallfahrt des Schlemmens ist das Problem? Kein Zeitfenster war ihr je zu setzte mich an den Tisch, auf dem das Pastab Es gibt aber auch Rituale, die leider für immer knapp, kein Aufwand zu gross, um nicht rett lag. Ich schaute meiner Mutter zu, wie sie verschwunden sind. Wie der Ausflug in die schnell eine Pasta von Hand zu machen. «Wir kochte und energisch Pasta knetete. Dabei Berge zur Wallfahrtskirche «Santuario di essen in einer Stunde, und du willst Gnocchi deckte sie mich nicht nur mit Frühstück ein, Monte Tranquillo» mitten im Nationalpark. machen? E che ci vuole? Den Sugo hab ich bereits sondern auch mit Geschichten. Meistens über Das war jeweils der Höhepunkt meiner Som heute Morgen gemacht, und die paar Gnocchi ihre Jugend. Über unsere Verwandten. Über das merferien, die wir jedes Jahr in Pescasseroli, sind doch im Handumdrehen gerollt. Deckt Leben und die Kapriolen, die das Leben so dem Dorf meiner Grosseltern, verbrachten. Zu ihr schon mal den Tisch!» schlägt. Ich hätte stundenlang zugehört. Ab diesem Pilgerzug machte sich das ganze Dorf Auch heute, mit 89 Jahren, kocht sie noch und zu verschwand ganz unbemerkt ein roher auf. Ende Juni wird die «Madonna di Monte zweimal am Tag für sich allein. Sie ist eine Kartoffelgnocco in meinem Mund. Das Essen Tranquillo» zur Wallfahrtskirche hochgetra «Pasta Granny»! Vielleicht sollte ich mal die wurde selbstredend in mehreren Gängen auf gen, um das schönste Sommerfest zu feiern. britische Journalistin Vicky Bennison anrufen getragen. Antipasto, Primo, Secondo, Frutta, Natürlich, nicht ohne Proviant in masslosen und ihr vorschlagen, meine Mutter zu filmen! Dolce. Als ich älter war, kamen meine älteren Mengen hochzukarren. Lange Kolonnen mit Die Videos von Pasta machenden Grossmüt Geschwister mit ihrem Anhang zum Sonntags allen möglichen schwerbeladenen Zwei-, tern aus ganz Italien auf ihrem Youtube-Kanal essen, und man sah sich freudig wieder und re Drei-, und Vierrädern schlängelten sich berg und Instagram-Profil sind zurzeit der absolute dete den ganzen Nachmittag. aufwärts. Auch Busse voller älterer Frauen, die Renner. Letzten Herbst ist sogar ein Kochbuch Gesù und Maria besangen, ruckelten über die daraus entstanden mit herzerwärmenden Por Rückbesinnung Schotterpiste, was ihrem Chorgesang ein cha träts und den bizarrsten Pastaformen aus allen Nachdem meine Eltern nach Italien gezogen rakteristisches Tremolo verlieh. Regionen Italiens. Ein wahrer Küchenschatz. waren, lernte ich eine andere Art kennen, den Die Vorfreude begann mit dem Durch Sonntag kulinarisch zu zelebrieren. Mein streifen des Waldes zum Sammeln von Feuer Ominöse Mengenangabe Schwiegervater hat mich quasi mit Gastro holz. Die würzigen Lammkoteletts und salsicce Was ich auch von meiner Mutter übernommen nomie geimpft. Man fuhr, fast schon feierlich musste man sich erst mal verdienen. Über habe, ist die allerschönste aller Mengen herausgeputzt, in ein schönes Restaurant und offenem Feuer knusprig gebraten und an der angaben. In italienischen Kochbüchern wird bestellte, als gäbe es kein Morgen. Die längsten frischen Bergluft zwischen den Fingern ab sie schlicht mit «Q. B.» abgekürzt. Es bedeutet: und schönsten Menüs und die besten Weine ››› Fortsetzung auf Seite 6 4 Wein und Genuss 2020
Grossmeisterin des Quanto basta: Autor Del Principe mit seiner Mutter Inelde. Wein und Genuss 2020 5 Bild: zVg
››› Fortsetzung von Seite 4 genagt, schmeckten sie wie keine anderen je mals. Oft wanderten wir auch hinauf, was ich grossartig fand. Denn im Gegensatz zu mei nen Schulwanderungen in der Schweiz durfte ich hier alles mitnehmen, was man als Bub so braucht: Dolch, Steinschleuder, Feuerzeug, Böller . . . Alles hatten wir dabei, was das Pick nicken zum Fest machte, inklusive grosser Korbflaschen mit Wein und ausreichend gas sosa, um ihn damit aufzuspritzen. Dann ent fachten wir mit dem gesammelten Holz riesi ge Feuer und schlemmten bis zum Abend, bevor wir satt und zufrieden mit geröteten Bäckchen wieder talwärts marschierten. Heute ist dieses Gebiet in strikte Schutz zonen für die freilebenden Bären und Wölfe eingeteilt. Strenge Parkwächter stellen sicher, dass niemand motorisiert hochfährt. Offene Feuer sind verboten. Die Prozession mit der Madonna findet noch statt. Aber der Spass ist vorbei. Wenn mich die Sehnsucht packt, lebe ich diese Momente in unserem Garten nach und bereite das zu, was meine Mutter immer in die Rucksäcke und Picknickkörbe für den Monte Tranquillo packte. Wir braten über der offenen Feuerstelle Lammkoteletts, die mit nichts als Meersalz gewürzt werden. Dazu ein Leben paar würzige salsicce. Peperoni aus dem Ofen, eingelegt in Olivenöl, bestreut mit grobem Wenn uns die Sehnsucht packt Meersalz. Ein einfacher Salat mit gekochten Fotograf Caspar Martig und sein Sohn Gaston Borlottibohnen. Gutes Sauerteigbrot vom Dorfbäcker Pinocchio. Seine Pizza bianca na liessen sich von Claudio Del Principes Schwelgerei türlich! Oliven, etwas Pecorino und vielleicht inspirieren. Es wurde ein toller Nachmittag noch eine Frittata mit Zucchini, die kalt und auf der Terrasse – und ein toller Znacht. eingeklemmt in dem fantastischen Brot für sich alleine schon eine gloriose Mahlzeit dar stellt. Dazu bechern wir Wein aus einfachen Wassergläsern. Mit einem Zitronenschnitz und einem Spritzer gassosa drin. So wie ihn mein Grossvater, der Herrenschneider und Hochzeitskoch, am liebsten trank. Über Pasta parlieren Wenn ich mit meiner Mutter telefoniere, ist Essen der gemeinsame Nenner und das Haupt gesprächsthema. Italiener tauschen sich ja ostentativ über das Essen aus. Konstant. Nimmt jemand auf der Strasse einen Anruf entgegen, ist die erste übers telefonino gestellte Frage nicht: Wie geht es dir? Sondern: Was hast du gegessen? Nicht selten wird darüber diskutiert, welche Pasta man zubereitet hat. Oder welche man zu zubereiten vorhat. Ob das eine gute Idee ist. Oder ob ein anderer vielleicht nicht doch die bessere Idee hätte. Dann versucht man natür lich den Gesprächspartner auf seine Seite zu ziehen und zu überzeugen, dass er heute wohl besser von seiner Pasta absieht und die macht, die man ihm gerade vorgeschlagen hat. Das läuft auch so ab, wenn ich mit meiner Mutter telefoniere. Früher oder später fragt sie, was ich denn heute kochen würde. Und wehe, ich sage ››› Fortsetzung auf Seite 9 Home-Cooking statt Home-Schooling: Caspar Martig mit seinem jüngsten Sohn Gaston . . . 6 Wein und Genuss 2020 Bilder: Caspar Martig für die Weltwoche
Gloriose Mahlzeit von der Feuerstelle. 8 Wein und Genuss 2020 Bilder: Caspar Martig für die Weltwoche
››› Fortsetzung von Seite 6 dann das Falsche! Wochentags Lasagne machen ist undenkbar. «Wie bitte? Lasagne? Ja, ist denn heute Sonntag bei dir?» Oder sonntags Pasta e fagioli? «Was? Pasta e fagioli?! Aber heute ist doch Sonntag!» Diese Welche-Pasta-an-wel chem-Wochentag-Regel entfällt aber komplett, wenn man auswärts isst. Dann spielt es so gut wie keine Rolle, was man bestellt. Da darf man auch Tortellini in brodo schlürfen, obwohl das zu Hause strengstens dem Sonntag vorbehalten ist. Allerdings kann es gut sein, dass man in Rom, beispielsweise, schräg angeschaut wird, wenn man an einem x-beliebigen Tag in einer Trattoria nach Gnocchi fragt. «Wie kommen Sie denn bitte auf so etwas?» Gnocchi gibt es immer am Donnerstag. «Giovedì gnocchi» – diese Regel kennt in Rom jedes Kind. Plus: Noch nicht mal den letzten Bissen vom Mittagessen runter geschluckt, stellt sich einem schon die Frage: Was essen wir heute Abend? Retten, was zu retten ist Es ist einfach, die schönen Seiten der Dolce Vita zu besingen und sich nur die guten Dinge an Italien herauszupicken. Vor allem, was die kulinarische Kultur betrifft. Aber bei allem Romantisieren der cucina della mamma, darf man die Realität nicht ausblenden. Und die sieht heute leider so aus, dass auch in Italien immer weniger gekocht wird. Berufsbedingt, aus Z eitmangel oder aus Desinteresse. Tra diertes Wissen geht verloren. Die Generation der Frauen, die das Handwerk des Kochens im Schlaf beherrschen und das Wissen in der Fa milie oder in der familiengeführten Trattoria weitergeben, schwindet allmählich. Wie das dann aussieht, führte mir eine Begegnung mit einer meiner Cousinen in Italien vor Augen. Sie schwärmte: «Claudio, die Fotos deiner Pasta auf Instagram sind der Wahnsinn, wun derschön!» «Danke», entgegnete ich, «du machst bestimmt genauso schöne Pasta!» – Rezept: Knusprige Lammkoteletts «Ich? Ich mache doch keine Pasta. Ich habe noch nie selbst zu Hause Pasta gemacht.» Diese Koteletts sind weit, weit von dem entfernt, Ich war schockiert. Sie hat wie ich zwei Söh wie Lammkoteletts heute serviert werden – innen zartrosa und saftig. ne. Und noch nie hat sie mit ihnen gemeinsam Aber obwohl sie gut durchgebraten sind, Pasta gemacht. Unglaublich. Ihre Mutter machen sie geschmacklich gewaltig Freude. machte wie alle meine Tanten jede Woche mehrmals selbst Pasta. Und jetzt? Das ganze Mehr als Salz brauchen sie nicht als Würze, Wissen um Handwerk und Tradition futsch? so viel Eigenaroma hat das Fleisch. Das Band der Weitergabe zerrissen? Niemand Und weil es so unglaublich knusprig ist, mehr da, um der nächsten Generation diese bekommt man fast nicht genug davon – besondere Gabe zu schenken? Das kann ich den Einkauf deshalb lieber großzügig bemessen. nicht schlucken. Meine Mission ist, dieses Und möglichst Bio-Lamm aus der Region kaufen. Wissen zu retten. Das ist auch die grösste Die Fleischqualität ist entscheidend für dieses Gericht. Motivation, Kochbücher wie «A casa» und «Al forno» oder das monothematische Pastabuch Grillrost über der heissen Glut platzieren und 10 Minuten heiss werden lassen. «A mano» zu schreiben. Ich finde, wir dürfen die Zubereitung unseres Essens nicht der Lammkoteletts beidseitig salzen und grillen, bis sich über dem Fett kleine Industrie überlassen. Ganz allgemein nicht Schaumkrönchen bilden und die Ränder dunkel und knusprig sind. und erst recht nicht bei so etwas Sinnlichem wie Pasta. Das sind wir unseren tüchtigen, mutigen und liebevollen Müttern schuldig. g Wein und Genuss 2020 9
«Kräuteröl macht alles besser» Fabian Fuchs ist einer der besten Köche Zürichs. Sein Rezept: regionale, biologische und saisonale Zutaten. Weil die Restaurants derzeit geschlossen sind, hat der 33-Jährige fünf Gerichte kreiert, die sich leicht zu Hause kochen lassen. Von David Schnapp «Mich hat eine gewisse Entschleunigung erfasst»: Küchenchef Fuchs. Zeit zum Kochen zu finden, ist für einen Spit- Michelin» mit einem Stern – damit gehört es Spargeln: Das Arme-Leute-Gericht aus dem zenkoch gar nicht so einfach. Jedenfalls dann, zu den besten Adressen der Stadt. Bündnerland wird beim Spitzenkoch zu einer wenn es darum geht, zu Hause zu kochen. Der Wie die meisten Berufsköche steht Fabian knusprigen Draufgabe, welche die grünen, 33-jährige Fabian Fuchs ist seit sieben Jahren Fuchs zurzeit aber nur am eigenen, privaten bissfesten Gemüsestangen durch eine kont- Küchenchef im Restaurant «Equi-Table» im Herd. «So viel wie gerade jetzt habe ich zu rastierende Textur gewinnbringend ergänzt. Zürcher Kreis 4. Dort hat er ein einzigartiges Hause noch nie gekocht», gibt der sympa Normalerweise koche er zu Hause kaum, Konzept etabliert, das auf wenigen Eckpfei- thische junge Mann zu. Dabei wende er die gibt Fuchs aber auch zu. «Wenn ich fünf Tage lern beruht: Die saisonalen Zutaten für die Kü- gleichen Regeln an, die auch im Restaurant unter grossem Druck im Restaurant gekocht che müssen, wenn immer möglich, aus der Re- gelten. «Die Produkte und die Ideen sind die- habe, muss ich das nicht unbedingt zu Hause gion kommen, biologisch produziert worden selben, ob ich zu Hause oder im Restaurant auch noch machen», erklärt er ziemlich ein- sein oder aus fairem Handel stammen, wenn es koche», sagt Fuchs und führt ein Beispiel an: leuchtend. Ausserdem sei es schön, auch mal um exotischere Produkte geht. «Ich will die Ressourcen sinnvoll einsetzen. von seiner Partnerin bekocht zu werden. Oder Wenn ich Spargeln im Wasser gare, kann ich es reiche einfach eine Pizza aus dem Italiener Ressourcen sinnvoll einsetzen dieses Wasser nachher verwenden, um aus den im Dorf. Mit diesem Rezept, das er mit ausreichend Abschnitten und ein paar Spargeln mehr noch Für dieses Themenheft hat Fabian Fuchs ein Raffinement und viel Liebe zum Detail anrei- eine S uppe zu kochen. Und mit altem Brot Menü aus fünf Gerichten kreiert, das zu Hause chert, hat es der Zürcher Koch mit dem wird die Suppe gebunden.» für zu Hause entstanden ist. Es sei eine inter- Jim-Morrison-Tattoo auf dem rechten Unter- Aus den gekochten Kartoffeln von gestern essante Erfahrung gewesen, weil er plötzlich arm weit gebracht: Der «Gault Millau» bewer- oder vorgestern, die er mit etwas Mehl zu Krü- ohne Zeitdruck habe kochen können, «das war tet das Restaurant mit 17 Punkten, der «Guide meln verreibt, macht Fuchs Maluns zu den eine Entdeckung für mich und hat mir ermög- 10 Wein und Genuss 2020 Bilder: Caspar Martig für die Weltwoche
licht, mein Handwerk wieder einmal aus einer ist.» Er habe sich als Koch immer wieder neu anderen Perspektive zu sehen», so Fuchs. gefunden und orientiert, im Moment ent In einer Restaurantküche arbeite man unter decke er gerade die Freude am Kochen neu: permanentem Zeit- und Erwartungsdruck, «es «Ich kann mich an einem ganz simplen Kohl- ist nicht immer nur schön, in einem Restaurant rabi-Salat freuen, nur weil ich ihn für uns zu zu kochen», gibt Fuchs zu. Nicht zuletzt, weil Hause zubereitet habe.» es oft um vieles andere gehe als um das Kochen: Mit geübten Handgriffen stellt Fuchs jetzt Personalplanung, Bestellungen, Administrati- sein Spargelgericht fertig, das auch zu Hause on sind notwendige Arbeiten in einem kleinen leicht nachzukochen sei. Die mit etwas Speck Betrieb, aber keine Tätigkeiten, bei denen ein knusprig gebratenen Maluns stellt er zunächst kreativer Kopf neue kulinarische Eingebungen à part in einem separaten Schälchen bereit, generiert. In einem hochbewerteten Restaurant entscheidet sich dann aber doch, sie direkt würden die Gäste ausserdem zu Recht ein ge- über den Spargel zu geben. «Das ist schlichter wisses Mass an P erfektion erwarten, zu Hause so», sagt er. hingegen gehe er das entspannter an. «Da kann Bei einem anderen Gericht lässt er die dekora- ich auch am Tisch noch nachwürzen oder sogar tive Brunnenkresse weg, um die Zubereitung etwas M ayonnaise auf den Teller geben, wenn zu vereinfachen, und gibt zu, dass es gerade für es hilft, etwas besser zu machen», sagt Fuchs einen jungen Koch nicht immer einfach sei, lachend. Dinge wegzulassen. «Aber es fällt mir je länger, Blumenkohl-Wirz-Suppe je leichter», so Fuchs. Diese Entwicklung müsse Geheimwaffe Thermomix Für 4 Personen jeder Koch durchmachen. Als junger Berufs- Manchmal holt den Profi aber auch die Re 1 Blumenkohl mann wolle man zeigen, was man könne, ent- staurant-Realität ein. «Auf bestimmte Dinge 1 Wirz sprechend kompliziert würden manche Teller. will ich nicht verzichten, deshalb habe ich zum 1 Zwiebel Mit der Erfahrung wachse aber auch die Fähig- Beispiel angefangen, Fond zu kochen.» Es ma- 1 Knoblauchzehe keit der Fokussierung auf das Wesentliche. che geschmacklich viel aus, wenn er zu den 1 l Geflügelfond (oder Gemüsebrühe) Spargeln noch einen Suppenlöffel Gemüse- 1/2 l Rahm «Riesenschwein gehabt» fond geben könne, um sie zusammen mit 1/2 l Milch Er sei zwar nicht der Bub gewesen, der seine etwas Butter vor dem Servieren zu glasieren, 1 dl Weisswein Zeit bei der Mutter in der Küche verbracht erklärt Fuchs. 100 g Butter habe, aber dennoch war Koch «der perfekte Be- Neben einem Gemüsefond, den man schon ruf für mich», sagt Fuchs heute. «Ich habe aus einigen Abschnitten und Schalen von Ka- Den Blumenkohl und den Wirz in gleich während der Sommerferien meine Lehrstelle rotten, Zwiebeln, Sellerie und ein paar Kräu- kleine Stücke schneiden. gefunden, die ich gleich nach den Ferien ange- terstängeln kochen kann, empfiehlt Fuchs Zwiebeln und Knoblauch in feine Würfel treten habe. Das war keine durchdachte Ent- grüne Kräuteröle für den Hausgebrauch. Der schneiden. scheidung, aber ich habe sie nie bereut. Der Be- Profi stellt das Würzmittel im Thermomix her, Die Zwiebeln und den Knoblauch in 50 g rufsberater fand alles besser als Koch, er sah wo zum Beispiel zwei Bund Petersilie, Schnitt- Butter andünsten. mich als Webdesigner oder Programmierer», lauch oder Basilikum mit einem neutralen Den Blumenkohl und den Wirz dazu beschreibt der 33-Jährige seinen Werdegang. Sonnenblumen- oder Rapsöl bei 50 gC auf ho- geben und kurz mitdünsten. «Die Energie in der Küche hat mir schon in her Stufe gemixt werden. Danach durch ein Mit Weisswein ablöschen und auf die den ersten Tagen meiner Lehre gefallen», sagt feines Sieb passieren und sofort kühlen. «Wer Hälfte einkochen. Fond, Rahm und Milch Fabian Fuchs, der seine Ausbildung im da keinen Thermomix hat, kann auch einfach das dazugeben. 30 Minuten auf niedriger Stufe maligen Restaurant «Wine & Dine» in Zürich Öl in einem Topf erwärmen und dann mit den köcheln lassen. Höngg absolviert hat und es heute als «Riesen- Kräutern lange mixen. «Kräuteröle machen Zum Schluss mixen und mit der restli- schwein» bezeichnet, dass er die richtige Wahl einfach alles besser», sagt Fuchs auf die Frage, chen Butter aufmontieren. getroffen habe. An anderer Stelle seiner Lauf- warum man diese Zutat überhaupt im Haus bahn ist Fuchs dann Nenad Mlinarevic begeg- haben sollte. Schnittlauchöl net; beim späteren «Koch des Jahres 2016» ha- Zu den Basiszutaten, die der Koch für jede 100 g Schnittlauch be er eine inspirierende Hingabe an diesen Küche empfiehlt, gehören ausserdem ein 100 g Sonnenblumenöl Beruf erlebt, die ihn geprägt habe, so Fuchs. Sauerteig, die koreanische Fermentationstech- Zurück im Hier und Jetzt, geht es nun um ein nik Kimchi sowie haltbar gemachtes Gemüse, Alles zusammen 8 Minuten bei 50 gC im Gericht aus Linsen, Radieschen und Siedfleisch. das sauer-salzig eingemacht wurde. Dafür Thermomix auf höchster Stufe mixen. Fuchs nimmt dafür Kalbsbrust, legt sie in Lake kocht man das Gemüse, wenn es Saison hat, Durch ein Passiertuch abtropfen lassen und ein, kocht das Fleisch dann langsam, lässt es knapp gar und füllt es mit einem Fond aus Salz, kühl stellen. wieder abkühlen und schneidet es schliesslich Wasser und Essig in Gläser, die anschliessend dünn auf. Daraus entsteht eine Art Salat – rusti- im Steamer oder im kochenden Wasser nach Fabian Fuchs’ Tipp: Um ein reines Öl zu kal, aber raffiniert. «Mich hat eine gewisse Ent- sterilisiert werden. «So habe ich immer Gemüse erhalten, muss es von der übrig bleibenden schleunigung erfasst», sagt Fuchs und gewinnt zur Verfügung, das zum bestmöglichen Zeit- wässrigen Flüssigkeit getrennt werden. der Temporeduktion, die der Corona-Alltag punkt eingemacht wurde», erklärt Fuchs. Dafür eignet sich ein Spritzsack: Das Öl mit sich bringt, positive Seiten ab. Ein Stück Sein Gemüse holt Fabian Fuchs zurzeit am einfüllen und den Sack aufhängen. Die Fleisch über drei Tage zuzubereiten, gehört liebsten beim Biobauern, bei dem er auf lan- Flüssigkeit setzt sich unten ab und kann dazu, aber auch die Erkenntnis, dass der Koch gen Spaziergängen mit seinem Hund vorbei- dann über ein kleines Loch, das man in den das zu Hause tun kann, «aber nicht muss». kommt. «Was er hat, legt der Bauer auf grossen Sack schneidet, abgelassen werden. Tischen aus, dann koche ich mit dem, was da Weitere Rezepte auf den folgenden Seiten Wein und Genuss 2020 11
Die Linsen 4 Stunden in Wasser einweichen und quellen lassen. Die Zwiebel im Rapsöl an- dünsten, die Linsen dazugeben und kurz mit- dünsten. Mit der Bouillon ablöschen und weich kochen. Die Flüssigkeit sollte dabei fast komplett verdampfen. Die Linsen auf eine Platte oder ein Blech geben und den Balsami- co darüberträufeln und 10 Minuten ziehen lassen. Vor dem Servieren die Linsen leicht er- wärmen, abschmecken und den Schnittlauch daruntermischen. Siedfleisch 500 g Siedfleisch (Kalbsbrust, pariert) 3 l Wasser 2 stk Zwiebel 1 stk Lauch 1/2 Knollensellerie Lorbeer Pfeffer Salz Das Gemüse kleinschneiden und im Wasser 30 Min. köcheln lassen. Das Fleisch kalt ab- spühlen, trockentupfen und in die Bouillon geben. Es sollte vollständig von der Flüssig- keit bedeckt sein und während 2 Stunden knapp unter dem Siedepunkt garen. Es ist zart, wenn man mit einer Fleischgabel hin- einstechen kann, und das Fleisch leicht von Spargel mit Maluns geben und die Sauce mit der gebräunten Butter der Gabel rutscht. Das Fleisch herauszuneh- und Dill-Limonensauce mixen. men und über Nacht kühlstellen. Die Bouil- Für 4 Personen lon durch ein Sieb abgiessen und ebenfalls Maluns kühlstellen. Vor dem Servieren das Fleisch in Grüner Spargel 4 mehlig kochende Kartoffeln dünne Scheiben schneiden und mit der Siedl- 2 Bund grüner Spargel 50 g Mehl feischvinaigrette marinieren. 100 g Butter 50 g geräuchter Speck, in Würfel geschnitten 10 g Salz 10 g Butter Siedfleisch-Vinaigrette 5 g Zucker Salz, Pfeffer, Muskat 100 g Siedfleischfond (s. oben) 2 l Wasser Bergkäse 5 g Meerrettich 50 g Butter Die holzigen Enden der Spargeln abschnei- Die Kartoffeln in der Schale weichkochen. Aus- 50 g Apfelessig den und die Blatttriebe entfernen. Wasser zu- dampfen lassen und über Nacht kühlstellen. 50 g Creme Fraiche sammen mit den Spargelabschnitten, Butter, Schälen und auf einer Röstiraffel raffeln. Das 10 g Schnittlauchöl (wenn vorhanden) Salz und Zucker aufkochen und Spargeln da- Mehl dazugeben und mit den Händen ver Salz zugeben. 3 Minuten köcheln lassen, dann die reiben. In einer beschichteten Pfanne mit etwas Pfeffer Spargelstangen herausheben. Butter und den Speckwürfelchen goldgelb bra- ten. Zum Anrichten die Spargeln mit der Sauce Dill-Limonensauce in einen tiefen Teller geben, die Maluns darü- 1 Zwiebel berstreuen und etwas Bergkäse darüberhobeln. 1 Knoblauchzehe 200 g Rahm Siedfleischsalat mit Linsen 30 g Limonensaft und Radieschen 100 g Spargel Wasser Für 4 Personen 100 g Braune Butter 1 Bund Dill, die Spitzen fein gehackt Linsen Salz 200 g Berglinsen aus dem Albulatal 1 Zwiebel, fein gewürfelt Zwiebel und Knoblauch andünsten, mit dem 20 g Rapsöl Spargelfond (Kochwasser) ablöschen.Rahm 20 g alter Balsamico dazugeben, salzen und 10 min köcheln lassen. 1 l Gemüsebouillon Limonensaft dazugeben. Gehackter Dill dazu 1 Bund Schnittlauch 12 Wein und Genuss 2020 Bilder: Caspar Martig für die Weltwoche
Die Äpfel schälen und das Kerngehäuse ent- fernen. In 1 Zentimeter dicke Scheiben schnei- den. Die Äpfel beidseitig in etwas Butter anbraten. Den Zucker dazugeben und kara- mellisieren lassen. Die Butter dazugeben und mit Weisswein ablöschen. Die Äpfel in dem Fond weichkochen. Die Äpfel herausnehmen und den Fond reduzieren, bis ein dickflüs siger Karamell entstanden ist. Vor dem An- richten die Äpfel in dem Karamell leicht er- wärmen. Karamell-Popcorn 20 g Zucker 50 g Popcornmais Salz Den Zucker in einem Topf hell karamellisie- ren lassen. Den Popcorn-Mais hineingeben und den Topf mit einem Deckel schliessen. Auf niedriger Stufe das Popcorn puffen las- sen, dabei den Topf zwischendurch etwas rütteln. Das Popcorn herausnehmen und mit etwas Salz abschmecken. Zum Anrichten Den Meerrettich fein raffeln und mit dem ge- kann man das Popcorn mit etwas gerösteten kühlten Fond, der Crème fraîche und dem Es- Haselnüssen mischen. sig mischen und leicht erwärmen. Mit der Butter aufmontieren und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Zum Schluss allenfalls Schnitt- lauchöl dazugeben und vorsichtig umrühren. Eingelegte Radieschen 10 Radieschen mit Grün 50 g Wasser 25 g Zucker 25 g Apfelessig 2 Lorbeerblätter Die Kunst zu geniessen. 2 g Wacholder 2 g Senfsamen Einer der besten Weissweine der Region Languedoc-Roussillon. Mit intensiven Für den Pickelfond alle Zutaten ausser den Aromen von reifen Quitten und Honig, Radieschen einmal aufkochen. Das Radies- dezenten Holznoten und charaktervol- chengrün waschen und in feuchtes Küchen- lem Körper mit kräftiger Struktur. Ideal papier eingewickelt im Kühlschrank auf zu Fisch, Meeresfrüchten und hellem bewahren. Die Radieschen vierteln, in den Fleisch. Pickelfond geben und mindestens einige Stunden ziehen lassen. Zum Anrichten die Linsen in einen Teller geben, das marinierte Siedfleisch darauflegen, etwas Sauce darüber- CIGALUS BLANC AUDE geben und mit den eingelegten Radieschen garnieren. Das Radieschengrün mit etwas HAUTERIVE IGP GÉRARD Essig, Öl, Salz und Pfeffer marinieren und Honig-Glace BERTRAND, 75 CL ebenfalls anrichten. 200 g Milch 27.95 Apfel, Popcorn und Honigglace 200 g Rahm Für 4 Personen 60 g Eigelb 125 g Honig Karamellisierte Äpfel (10 cl = 3.73) 4 Süss-säuerliche Äpfel Alle Zutaten miteinander vermengen und Preisänderungen sind vorbehalten. Coop verkauft keinen Alkohol an Jugendliche unter 18 Jahren. 50 g Zucker unter ständigem Rühren auf 84 gC erwärmen Erhältlich in grossen Coop Supermärkten sowie unter 2 dl Weisswein (zur Rose kochen). Abkühlen lassen und in coopathome.ch und mondovino.ch 30 g Butter + etwas mehr zum Braten einer Glacemaschine gefrieren. Wein und Genuss 2020
Pranzo bei Colaiannis Antonio Colaianni gilt als bester italienischer Koch der Schweiz. Wie kaum ein anderer versteht er es, die Präzision der französischen mit der Einfachheit der italienischen Küche zu vermählen. Ein Besuch bei seiner legendären Mutter, die immer noch mitwirkt. Von Claudio Del Principe Seine Kreationen sind voller Kraft, Passion Orecchiette mit getrockneten Erbsen. 2002 zeugen konnten, doch wieder zurück in die und Sinnlichkeit. Auch im letzten Menü, das kehrte sie mit ihrem Mann zurück nach Ita Schweiz zu kommen. Irgendwann war es ihr Antonio Colaianni für Freunde und Stamm- lien, um ihren Lebensabend zu geniessen. Lei- zu einsam und die Sehnsucht nach ihren gäste gekocht hat, bevor das Zürcher Spitzen- der verstarb Antonios Vater ein Jahr danach, Kindern, Enkeln und der Urenkelin zu gross. restaurant «Gustav» Ende 2019 Geschichte und es dauerte lange, bis ihre Kinder sie über- So kam sie 2018 zurück. «Nun hat sie quasi de war, gab es neben auserlesenen Delikatessen ein simples Pasta-Gericht mit Mamma Marias handgemachten Orecchiette. Und unisono stimmten alle überein: «Danke, lieber Toni. Es war alles super, wie immer. Aber das Beste waren die Orecchiette!» «Essen ist pure Emotion.» Davon ist Colai anni überzeugt. Und tatsächlich versteht er es wie kaum ein anderer, die präzise französische Hochküche mit der puristischen italienischen cucina della mamma zu verbinden und seine Gäste damit glücklich zu machen. Die ganze Gourmet-Gemeinde der Schweiz und die Colaianni-Fans sowieso sind fassungs- los, dass das beliebte Restaurant «Gustav» an der angesagten Europaallee geschlossen wur- de. Nach nur vier Jahren, siebzehn Gault Millau-Punkten und einem Michelin-Stern. Antonio Colaianni war anfangs eigentlich nur als externer Gastroberater auf Zeit einge- sprungen, weil der Laden nach einem Jahr noch immer nicht brummte. Er wechselte so gut wie das ganze Küchen- und Serviceperso- nal aus, baute ein Top-Team auf und machte das «Gustav» innert kurzer Zeit zu einem Hot Spot der Zürcher Gastroszene. Klar, dass sie ihn dann nicht mehr gehenlassen wollten. Und zum Glück liess er sich dazu überreden, zu bleiben. Sehnsucht nach Enkeln und Urenkeln Die Lobeshymnen auf seine signature dishes wie die einzigartige, tiefaromatische Bouilla baisse, den Raviolo mit flüssigem Eigelb, Spinat und weissem Trüffel, das raffinierte Ta- tar mit Kartoffel-Espuma, die virtuosen sea food-Kompositionen, die lauwarmen gefüllten Artischockenböden oder den lackierten, knus- prig-zarten Schweinebauch klangen bezir- zend. Was nach dem «Gustav» kommt, weiss keiner. Auch der fünfzigjährige Colaianni weiss noch nicht, wohin es ihn zieht. Ob er etwas Eigenes macht oder eines der vielen An- gebote als Küchenchef in einem neuen Restau- rant annimmt, die sich bei ihm türmen. Wir treffen ihn in Laupen und besuchen seine Mutter, Signora Maria. Sie wohnt jetzt wieder in der Schweiz, in einer grosszügigen, modernen Wohnung. Heute bereitet sie für uns eines von Antonios Lieblingsgerichten zu: Alle kamen, um das kleine Paradies zu inspizieren: Spitzenkoch Colaianni mit Mutter Maria. 14 Wein und Genuss 2020 Bild: Caspar Martig für die Weltwoche
Foifer und s Weggli», sagt Antonio, «geniesst den jüngste von vier Kindern in Wabern. Die weiter beim FC Wabern und brachte es dann Winter hier und den Sommer dort.» In der Mutter arbeitete als Schneiderin, der Vater als immerhin in der Schweizer Nationalmann- ganzen Wohnung hängen gerahmte Fotos der Bauarbeiter. Mittags waren die Kinder auf sich schaft der Fussballköche zu Ruhm und Ehre. schönen Familie. Alle, die Antonio kennen, gestellt. Antonio kochte für seinen Bruder und Trotz unscheinbarer Grösse und Übergewicht. kennen Antonios Mutter. Zumindest vom die beiden Schwestern, aber deren Begeiste- «Lass dich mal nicht täuschen. Wenn Antonio Hörensagen. Sie ist die, die schon seit Jahren rung hielt sich in Grenzen. Heute sieht das am Ball ist, hast du kein Brot, vergiss es!», be- für Antonios Restaurants jeweils die traditio- freilich ganz anders aus! zeugen selbst die ziemlich sportlichen Team- nellen Pasta-Sorten aus Apulien von Hand zu- Nach einer Schnupperlehre als Bäcker und kollegen, Spitzenkoch Tobias Funke und bereitet hat. Dieses Versprechen gibt Colaianni als Coiffeur und drei Schnupperlehren als Heinz Rufibach. «Ich wusste meine Defizite nicht ohne Stolz ab. Koch entschied er sich mit sechzehn für eine schon als Kind zu kompensieren. Als mich Kochlehre im Gasthof «Maygut». Der Start der meine Mitschüler als Tschinggeli hänselten, be- Ende der Fussballkarriere Lehre bedeutete allerdings auch das Ende folgte ich den Tipp meines älteren Bruders Für ihn war immer schon klar, dass er Koch seiner vielversprechenden Fussballkarriere in und hab jedem eine verpasst, der frech war. Bis werden wollte. Aufgewachsen ist er als das der zweiten Liga der AS Italiana. Er kickte aber zur fünften Klasse hatte jeder mal eine von mir kassiert. Danach wuchsen mir alle über den Kopf, liessen mich aber in Ruhe, die hatten ihre Lektion gelernt.» Nach Stationen als Commis in zwei weiteren Betrieben war die Zeit im damals besten Res- taurant in Lugano, «Al Portone», die Etappe, die Colaianni entscheidend prägte. «Da gin- gen mir die Augen auf in Bezug auf Produkt- qualität, Raffinesse und Menükompositionen. Der Küchenchef Roberto Galizzi hat mich ge- fördert und meine Motivation angetrieben.» Danach zog es ihn nach London ins legendäre «Le Gavroche». «Ich dachte zu der Zeit, ich sei ein gestandener Koch. Aber da kam ich massiv auf die Welt! Wir ackerten sechzehn Stunden am Tag. Ohne ein ‹Danke› oder ein ‹Guten Morgen› vom legendären Küchenchef Michel Roux jr. Schon Marco Pierre White oder Gor- don Ramsay gingen durch diese harte Schule. Aber so war seine eiserne Einstellung. Erst Antonio kochte für seinen Bruder und die beiden Schwestern – deren Begeisterung hielt sich in Grenzen. wenn ein Koch drei Monate lang die Tortur übersteht, verdient er es, am Morgen vom Küchenchef gegrüsst zu werden!» Everybody’s darling in Zürich Zurück in der Schweiz, trat er seine erste Stelle als Küchenchef im Restaurant «Wiesen- tal» an und erkochte sich fünfzehn Gault- Millau-Punkte. Später, im «Schloss Rappers- wil», wurde die Kochkunst des damals knapp Dreissigjährigen bereits mit einem Miche- lin-Stern ausgezeichnet, und der «Gault Millau» erhöhte auf siebzehn Punkte. Auch im «Casale», Wetzikon, wurde der Stern be- stätigt. Mit nur einem Jahr als Küchenchef war die Zeit im «Clouds» die kürzeste Anstel- lung. «Auch die am wenigsten befriedigende. Ich konnte meine Ideen zu wenig umsetzen.» Während der drei folgenden Jahre war das «Mesa» in Zürich, ebenfalls mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, die Adresse numero uno für a lle, die seine kreative, hoch- stehende Küche mit authentischer italieni- scher Seele lieben. Vor a llem machte er sich Wein und Genuss 2020 15
schon sehr früh einen N amen mit seinen aus- geklügelten vegetarischen Menüs. Die Lust der Restaurant-Inhaberin auf einen Konzept- wechsel und die Suche Colaiannis nach einer neuen Herausforderung führten dann leider zum Ende der eigentlich erfolgreichen Zu- sammenarbeit. Definitiv zu everybody’s darling avancierte der sympathische Berner Spitzen- koch schliesslich während der vier Jahre im «Gustav», welches mit siebzehn Gault- Millau-Punkten und einem Michelin-Stern ausgezeichnet war. Nun wäre vielleicht tat- sächlich ein guter Zeitpunkt, der eigene Chef zu werden. Lassen wir uns überraschen. Aber wie setzt man eigentlich die Einfach- heit, für die die italienische Küche bekannt ist, auf ein höheres Level, ohne dass sie banal wirkt, wie in manchen Sternerestaurants? «Durch Sorgfalt, Präzision und indem man sie nicht ihrer Seele beraubt. Ein italienisches Ge- richt muss für mich authentisch sein», erklärt Colaianni. «Ich bin ja ausgebildeter Koch in klassischer französischer Küche. Mit diesem erlernten Handwerk koche ich in meinem Beruf. Zu Hause hingegen koche ich so italie- nisch, wie ich es von meiner Mutter gelernt habe. Mit der Zeit sind diese beiden Kochstile automatisch miteinander verschmolzen. Be- reite ich ein typisches Gericht wie Orecchiette mit Cime di rapa im Restaurant zu, so ver arbeite ich das Gemüse sowohl ganz wie auch zu einer feinen Creme, ich kombiniere kon- fierte Tomaten dazu, frittierte Brotbrösel. Je- der Schritt erfolgt so präzise und sorgfältig wie möglich, damit jede Zutat dem Gericht den intensivsten Geschmack beisteuert.» Die Aromen seiner Kindheit hat Antonio tief gespeichert. «Diese Passata mit vollreifen Tomaten aus dem eigenen Garten! Die ganze Zu spüren, wann der Orecchiette- Teig die richtige Konsistenz hat, ist die grosse Kunst. Familie half jeweils mit, und der Vorrat reichte für ein ganzes Jahr. Der Duft aus der Küche, wenn meine Mutter kochte. Es ist erstaunlich, wie stark ich das vermisse, je älter ich werde, Wenn seine Mutter kocht, hält sich Antonio Colaianni raus. und wie sehr ich heute die Küche meiner Kind- heit schätze.» Sein Vater war ein passionierter bei, irgendwann konnte ich ihn auch nicht tigkeit, mit dem Messer ein kleines Teigstück Gärtner und verbrachte jede freie Minute bei mehr sehen. Vielleicht, nachdem mein Vater über die Arbeitsfläche zu ziehen und zu einem den mustergültig angelegten Beeten. «Damals fand, es sei an der Zeit, dass ich selbst mal eines perfekten Öhrchen umzustülpen. Eines gleich schon natürlich, nachhaltig und biodyna- schlachtete. Irgendwie ging es, aber der Hop- wie das andere. «Meine Mutter beherrscht das misch. Brennnesseln liess er im Wasser stehen pelhase hat mir schon sehr leidgetan.» im Schlaf. Für ein Kilo frische Orecchiette be- und verwendete das als Dünger.» Alle kamen nötigt sie etwa zwei Stunden. Stell dir vor, die vorbei, um das kleine P aradies zu inspizieren Zwei Stunden für ein Kilo frische Pasta wären unbezahlbar, wenn ich einen meiner und ihm anerkennend Respekt zu zollen. Wir schauen Mamma Maria über die Schulter, Köche daransetzte. Und der wäre ja nicht mal «Das war sein Heiligtum. Ich fand das damals wie sie wunderschöne Orecchiette und halb so schnell fertig damit.» Manchmal pro- alles andere als cool. Ich musste wässern und Maccheroncini aus ihrer apulischen Heimat duzierte auch Antonios Schwester Rosetta Unkraut jäten, während meine Freunde Fuss- formt. Seelenruhig, zügig, akribisch. Der Teig Pasta für das Restaurant. «Ein sehr bekannter ball spielen gingen!» Da war auch der Sonn- besteht nur aus Hartweizendunst und Wasser. Berufskollege sagte mal: ‹Dass du den Mut tagsbraten. Kaninchen. Auch die lieferte der Zu spüren, wann er die richtige Konsistenz hast, so etwas Einfaches wie Orecchiette mit Vater aus eigener Zucht. «Den liebte ich! Wo- hat, ist die grosse Kunst. Und natürlich die Fer- Sugo di polpette zu servieren?› Aber für mich 16 Wein und Genuss 2020 Bilder: Caspar Martig für die Weltwoche
ter sie isst, vertrage ich sie allerdings nicht.» Nach den Orecchiette gibt es als Secondo hausgemachte Focaccia, Peperonata und Cime di rapa. Colaianni liebt die typischen Gemüse Apuliens. «Manchmal esse ich einen Teller nur von diesen Erbsen. Oder einfach in Oli- venöl geschwenkte Cime di rapa. Eines mei- ner absoluten Lieblingsgerichte ist La Ma renna. Ein grandioses Reste-Essen. Als Kind habe ich es gehasst, heute bin ich verrückt da- nach. Altbackenes Brot wird im Olivenöl geröstet und dann mit den Erbsen-Resten auf- gewärmt. Perfetto!» Mutters Stolz Wenn seine Mutter kocht, hält sich Antonio raus. «Weisst du, ein Profikoch zu Hause, das ist eine Katastrophe. Wenn ich anfange, die Pfannen zu schwenken und es nur so spritzt, sagt meine Mutter: ‹Danke, jetzt brauch’ ich dreimal so viel Zeit, um die Küche wieder sauber zu kriegen.›» Seine Mutter wiegelt ab: «Es gibt Sachen, die bekomme ich nicht so gut hin wie meine Mamma.» «Nooo, lui e più bravo di me!» Sie ist megastolz auf ihren Sohn und liebt seine Gerichte. «Es gibt allerdings Sachen, die bekomme ich echt nicht so gut hin wie meine Mamma, das nervt mich schon ein bisschen. Frittierte Zucchini blüten zum Beispiel. Ich schaffe es nicht, sie so leicht und knusprig hinzubekommen wie sie. Das bleibt ein geheimer Mamma-Trick. Genau wie die Pita di patate. Zwischen zwei Schichten gebackene Kartoffeln kommt eine Lage ge röstete Brotbrösel und dazu ein Tomatensugo mit Kapern. Einfach, aber umwerfend gut.» Und selbst die Orecchiette schmeckten anders, sagt er. Man kann ja auch hochwertige, hand- gemachte Orecchiette aus Apulien kaufen. «Aber hol’s der Teufel, sie schmecken nicht halb so gut wie die von ihr.» Gibt es ein «Bestes Essen, das ich jemals hatte»? «Ja. Das war im ‹El Racó de Can Fabes› bei Santi Santamaria. Einem Autodidakten, der als erster katalanischer Koch für seine Kochkunst von Michelin mit drei Sternen aus- ist genau das der wahre Luxus: etwas zu servie- Die Orecchiette serviert Signora Maria mit gezeichnet wurde. Es war alles absolut perfekt. ren, das in Handarbeit hergestellt wurde. Und getrockneten Erbsen. Die schmecken ganz Die Ambiance, der Service und natürlich das noch etwas ist wichtig: Gäste verstehen diese anders als frische Erbsen. «Wie alles, was man Essen. Ich erinnere mich an eine lackierte Reh- Küche. Sie erkennen, was sie essen, finden den trocknet», erklärt Colaianni. Die Erbsen wer- schulter. Santamaria präsentierte sie persön- Geschmack jedoch selten in dieser Perfektion. den über Nacht wie andere Hülsenfrüchte lich am Tisch. Dann strich er das Fleisch mit Spitzenküche in Ehren, aber man kann Gäste eingeweicht. Dann kocht man sie weich, bis einem Löffel vom Knochen, verteilte es auf die mit Tüpfli und Schümli auch überfordern. Am einige zerfallen und sich eine cremige Konsis- Teller und vollendete es mit einem göttlichen Ende weisst du gar nicht, was du eigentlich ge- tenz bildet, aromatisiert sie mit etwas Kno- Jus und frischgehobeltem schwarzem Trüffel. gessen hast, wenn zu viele kleine Komponen- blauch und Olivenöl und vermengt sie mit Etwas Besseres habe ich in meinem Leben ten auf dem Teller sind.» Auch ein gewisses den Orecchiette. So simpel, so einfach und so nicht gegessen! Und ich habe weiss Gott schon sättigendes Gefühl sei wichtig für ihn. «Und mollig, um armend und tröstend, wie ein in den besten Restaurants der Welt gegessen. wenn es nur die Seele ist, die befriedigt vom Essen nur sein kann. «Würzen kann jeder Das ist eine meiner grössten Leidenschaften.» Tisch geht, weil man etwas Herzhaftes ge selbst, mit Pecorino, gerösteten Brotbröseln Und die Küche seiner Mutter? «Die ist natür- gessen hat.» und Peperoncino. So scharf, wie meine Mut- lich unschlagbar. Die beste, die es gibt.» g Wein und Genuss 2020 17
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