Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München

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Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München
Nr. 62 Juli 2012                  www.muenchner-stadtgespraeche.de

Münchner
Stadtgespräche

                                                                     Anständig angezogen
                                                                     Wer zahlt den
                                                                     Preis für unsere
                                                                     billige Kleidung?

                                                                     Gentechnik
                                                                     Der Tod geht um

            Namen
                                                                     auf Indiens
                                                                     Baumwollfeldern
    Im

             Mode
                                                                     Schmutzige Wäsche

                   der                                               Chemie in der
                                                                     Textilindustrie

                   Wie die Bekleidungs­industrie
                     Menschen und Umwelt
                            ausbeutet
Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München
                         die seite zwei                                                  aus dem referat für gesundheit und umwelt

        Mit Tatkraft für ein
         faires Stadtleben
                          München setzt beim Einkauf neue Maßstäbe.

A
         uf noch mehr Fair Play setzt die Landeshauptstadt künftig in    Wie bedeutend das Engagement von Kommunen beim Fairen Handel
         ihren Schulen: Ab 2013 werden handgenähte Sportbälle für        ist, belegen die Zahlen: Jährlich investieren Bund, Länder und Kom-
         den Unterricht nur dann erworben, wenn sie fair gehandelt       munen rund 360 Milliarden Euro in Waren und Dienstleistungen – 50
und damit zertifiziert sind. Ein weiterer Schritt, mit dem München ge-   Prozent dieser Ausgaben entfallen auf Kommunen. Als Großstadt und
rechte Arbeitsbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern und      aufgrund ihres Engagements nimmt die Landeshauptstadt eine Vorrei-
gerechten Handel unterstützt. Der Münchner Stadtrat hat kürzlich be-     terrolle ein.
schlossen, soziale Aspekte noch stärker im städtischen Einkaufs- und          Bereits 2002 hat sich München bewusst dafür entschieden, keine
Vergabewesen zu berücksichtigen. Konkret bedeutet dies: Auch bei         Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit einzukaufen – inzwischen
Bauarbeiten werden nur noch zertifizierte Natursteine aus Asien, Afri-   sind mehr als 200 Städte und Gemeinden dem Münchner Beispiel ge-
ka oder Lateinamerika verwendet, die nachweislich nicht aus ausbeute-    folgt. Übrigens: 2012 will sich die Landeshauptstadt um den Titel „Fair
rischer Kinderarbeit stammen.                                            Trade Town“ bewerben.
    Bei Tisch soll es ebenfalls nachhaltig zugehen: Der Anteil an fair
und ökologisch erzeugten Lebensmitteln an Münchner Schulen und
Kindertagesstätten sowie bei städtischen Empfängen wird deutlich er-     Text    Sylvia Baringer,
höht werden. Bereits seit Mai 2011 werden bei Stadtratssitzungen bi-             Referat für Gesundheit und Umwelt, Fachstelle Eine Welt
ologisch erzeugte Brezeln sowie fair gehandelter Kaffee und Tee an-      Foto    Kindermuseum München
geboten. Zudem gibt es bereits die München-Schokolade sowie den          Info    www.muenchen.de/rgu (Rubrik Bio & Fair Trade)
München-Kaffee; zwei faire Produkte, die vom Nord-Süd-Forum Mün-
chen e.V. entwickeIt wurden.

                                                                     Ausstellung „ Im Dschungel“
    Im Kinder- und Jugendmuseum ist die Ausstellung „Im                  ration mit dem Nord Süd Forum München e.V. eine leben-
    Dschungel - Faultiere, Dschungelbuch und Wipfelforscher“,            dige Klimapartnerschaft zum Schutz des amazonischen
    eine interaktive Ausstellung für Kinder                                                Regenwaldes und zum Erhalt ihres Le-
    und Jugendliche ab sechs Jahren zu                                                     bensraums verbindet.
    sehen.                                                                                    Gefördert wird die Präsentation in
       Ausgerüstet mit einem Expeditionsta-                                                München durch die Projektpartner TÜV
    gebuch erforschen die Kinder und Fami-                                                 SÜD Stiftung und Referat für Gesund-
    lien die bunte Pflanzen- und Artenviel-                                                heit und Umwelt sowie durch das Pä-
    falt der Tropenwälder. Die Ausstellung                                                 dagogische Institut/Referat für Bildung
    macht auch auf die dramatischen Ent-                                                   und Sport und das Deutsche Kinder-
    wicklungen durch Ausbeutung und Ab-                                                    hilfswerk.
    holzung aufmerksam und zeigt bereits                                                      Die Ausstellung ist bis 4. November
    den kleinsten Museumsbesucherinnen                                                     im Kinder- und Jugendmuseum Mün-
    und -besuchern, wie man sich für den                                                   chen im Hauptbahnhof, Arnulfstraße 3,
    Schutz der tropischen Regenwälder ein-                                                 Seitenflügel Starnberger Bahnhof, zu
    setzen kann. Gezeigt wird auch das Le-                                                 sehen. Jede Eintrittskarte unterstützt
    ben der Asháninka, einem Volk im pe-                                                   mit fünf Cent den Bau einer Vorschule
    ruanischen Regenwald, mit dem die                                                      für Asháninka- Kinder.
    Landeshauptstadt München in Koope-                                                     www.kindermuseum-muenchen.de
Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München
Münchner Stadtgespräche Nr. 62                                                                            07/2012                             

Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,

Kleidung gehört so selbstverständlich zu unserem Leben wie die tägliche Mahlzeit. Doch wäh-
rend der Wert gesunder Lebensmittel und ihrer sozial- und umweltverträglichen Produktion stär-
ker ins Bewusstsein der Menschen rückt, hinterfragen bislang nur wenige, wie ihre Kleidung her-                      04
gestellt wird.

Dabei wäre ein kritischer Blick auf unsere „zweite Haut“ dringend nötig: Nie waren Textilien so
günstig wie heute. T-Shirts für 4,99 Euro und Jeans für 20 Euro begegnen uns täglich, ob bei in-
ternationalen Modeketten oder im Supermarkt. Doch kann es wirklich sein, dass ein Kleidungs-
stück weniger kostet als ein Mittagessen oder zahlen in Wahrheit andere den Preis für unser ver-
meintliches „Modebewusstsein“?
                                                                                                                     07
Mit diesem Heft wollen wir zeigen, was sich hinter der schillernden Modewelt verbirgt: Wie Men-
schen- und Arbeitsrechte verletzt werden, wie viele Chemikalien bei der Produktion zum Einsatz
kommen, welche Rolle die Agro-Gentechnik beim Baumwollanbau spielt, was mit unseren Altklei-
dern geschieht, welche Verantwortung Bekleidungsindustrie und Politik tragen und wie wir uns
trotz allem ökologisch und sozialverträglich anziehen können.

Eine spannende Lektüre wünscht
Katja Bachert                                                                                                        16

Inhalt

02          Faires Stadtleben
            München setzt beim Einkauf neue Maßstäbe                       16           Schmutzige Wäsche
                                                                                        Greenpeace über Chemie in der Textilindustrie

04          Anständig angezogen
            Wer zahlt den Preis für unsere billige Kleidung?               18           Secondhand
                                                                                        Neues Leben für alte Klamotten

07          Am Tag als Bauer Prafull starb
            Monsanto treibt indische Baumwollbauern in den Selbstmord      20           Altkleidercontainer
                                                                                        Wie edel ist die Spende wirklich?

10          Baumwolle
            Das dreckige Geschäft mit dem weißen Gold                      22           Faire Kleidersammlung in München
                                                                                        Interview mit dem 3. Bürgermeister Hep Monatzeder

12          Kampagne für saubere Kleidung
            Interview: Menschenrechtsverletzungen in der Textilindustrie   23           FairWearFoundation
                                                                                        Interview: Einfluss der Marken auf Produktionsbedingungen

14          Verlässliche Labels
            Der Weg zum ökofairen Kleidungsstück                           24           Impressum, Kontakte, Termine
Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München
           Umweltinstitut München e.V.                        07/2012

       Anständig
       angezogen
    Kleidung ist billiger als je zuvor. Doch Menschen und Umwelt in
       den Produktionsländern zahlen dafür einen hohen Preis.
Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München
Münchner Stadtgespräche Nr. 62                                                                            07/2012                              

D
           ie Münchner Fußgängerzone ist          Billig shoppen auf Kosten                         ArbeiterInnen ankommt. Ihre Lohnkosten lie-
           gesäumt mit Schaufenstern, hinter      der Ärmsten                                       gen bei gerade mal einem Prozent. 13 Pro-
           denen drapierte Modepuppen die         In Wirklichkeit bezahlen den Preis für unsere     zent fallen ab auf das Material und den Ge-
neuesten Trends präsentieren – von C&A bis        preiswerten Outfits die ArbeiterInnen, die in     winn der Fabrik im Billiglohnland. 25 Prozent
H&M, von Kaufhof bis Beck.                        den Produktionsstätten auf der anderen Sei-       fließen in Werbung und Verwaltung, also in
    Rund 90 Prozent der Geschäfte hier ver-       te der Erde unter menschenunwürdigen Be-          den Markennamen. 11 Prozent kosten Trans-
kaufen Kleidung – in allen Farben, Stoffen,       dingungen Shirts, Hosen und Schuhe nähen,         port, Steuer und Import. Und satte 50 Pro-
Größen und Preislagen. Wer keine Lust auf         kleben und färben – und das zu Hungerlöh-         zent, also die Hälfte des Kaufpreises, verdient
einen Bummel durch die Innenstadt hat,            nen. Die eingesetzten Chemikalien gefährden       der Handel. Die Ausbeutung von Mensch und
packt den 6er-Pack Socken oder das mo-            nicht nur die Menschen, die mit ihnen arbei-      Natur in den Ländern des Südens ist ein luk-
dische Freizeithemd einfach beim Lebens-          ten, sondern hinterlassen auch hochgiftige        ratives Geschäft, von dem nahezu alle kon-
mitteleinkauf in den Wagen. Denn Discounter       Rückstände in Flüssen, Böden, Grundwasser         ventionellen Textilhersteller in irgendeiner
wie Aldi und Lidl sind längst in das Geschäft     und in unserer Kleidung.                          Form profitieren.
mit Textilien eingestiegen. Noch bequemer
sind Internetshops: Ein Klick und nach we-
nigen Tagen kommen Schuhe und Jeans per
Post nach Hause.                                  Müssten bei einem
    Die Konkurrenz in der Textilbranche ist
heute folglich größer als je zuvor und den-       T-Shirt für 4,99 Euro
                                                  nicht alle Alarmglocken läuten?
noch scheint sich das Geschäft zu lohnen.

Mehr Trends,
mehr Wachstum
Laut dem Statistischen Bundesamt geben            Hinzu kommt der Einsatz von synthetischem         Dabei sieht man am Beispiel der 100-Euro-
deutsche Haushalte durchschnittlich 880           Dünger und Pestiziden, sowie gentechnisch         Jeans sehr gut, dass sogar eine Steigerung
Euro pro Jahr für Kleidung aus. Bei etwa 40       manipuliertem Saatgut beim konventio-             der Arbeiterlöhne um 100 Prozent den Kauf-
Millionen Haushalten in Deutschland macht         nellen Baumwollanbau. Der hohe Preis, den         preis nur unmerklich anheben würde. Mul-
das einen Umsatz von über 35 Milliarden           die Bauern in Indien und Afrika dafür zah-        tipliziert man den winzigen Betrag jedoch
Euro jährlich. Ein stattliche Summe, doch die     len müssen, treibt sie zuerst in die finanziel-   mit der Stückzahl der Teile, die Globalplay-
Textilkonzerne wollen mehr Wachstum heißt         le Abhängigkeit und oft anschließend in den       er wie Nike oder H&M tagtäglich verkaufen,
das Credo der Branche und dieses lässt sich       Selbstmord.                                       wird schnell klar: Hier werden Milliarden auf
bei vollen Kleiderschränken eben nur mit im-           Ganz zu schweigen von der immer noch         Kosten der Ärmsten gescheffelt und dies wird
mer neuen Modetrends bewerkstelligen.             vielfach eingesetzten Kinderarbeit beim           kein Ende haben, solange Verbraucher und
     Die Firmen produzieren ihre Kollektionen     Baumwollanbau. Etwa in Usbekistan, wo so-         die Politik dabei zusehen.
mittlerweile im Monatsrhythmus. Drei Wo-          gar die Schulen während der dreimonatigen
                                                                                                    Öko-faire Mode ist machbar
chen dauert es angeblich nur noch vom Ent-        Erntezeit geschlossen und die Kinder vom
wurfsblock bis zum fertigen Produkt, wie die      Staat als Erntehelfer rekrutiert werden.          Dass man Kleidung auch anders – nämlich
Journalistin und engagierte Umweltaktivistin                                                        ökologisch und fair – herstellen kann, beweist
                                                  Hoher Preis = gute Qualität?
Kirsten Brodde in ihrem Buch „Saubere Sa-                                                           eine kleine Avantgarde von grünen Modema-
chen“ (siehe Kasten auf Seite 6) schreibt.        Und was ist mit teureren Labels, sind deren       chern. Der Anteil an öko-fairen Textilien auf
                                                  Produkte wenigstens immer fair und ökolo-         dem Markt ist derzeit noch gering, was nicht
Eine Art textile Inflation hat eingesetzt – mit   gisch hergestellt? Leider nein. Allein der hohe   zuletzt an der mangelnden Nachfrage liegt.
wachsendem Angebot fallen die Preise. Und         Preis ist noch kein Garantieschein für „Sau-      Für das Gros der Verbraucher spielen bisher
weil Kleidung heute so billig ist, wird mehr      bere Sachen“. Auch höher-preisige Marken          modische Aspekte und der Preis die überge-
gekauft. Doch müssten bei einem T-Shirt für       produzieren zum Großteil unter denselben          ordnete Rolle. Auf Qualität und Langlebigkeit
4,99 Euro nicht alle Alarmglocken läuten?         inakzeptablen Bedingungen.                        eines Kleidungsstücks wird oft erst in zweiter
Kann ein Kleidungsstück, dessen Baumwol-               Die Kampagne für saubere Kleidung            Linie geachtet. Nach den Herstellungsbedin-
le in Indien angebaut, das in China gefärbt, in   (Clean Cloth Campaign), ein Zusammen-             gungen fragt fast niemand.
Bangladesch genäht und in Deutschland ver-        schluss aus verschiedenen Verbänden und
kauft wird – also einmal um den Globus reis-      Initiativen, die für faire Arbeitsstandards in    Um herauszufinden, ob ein Kleidungsstück
te – tatsächlich so billig sein?                  der Textilindustrie kämpfen, rechnet am Bei-      wirklich ökologisch und fair produziert ist, be-
                                                  spiel einer 100-Euro-Jeans vor, was bei den       trachten die Ökomodemacher die gesamte tex-
Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München
                          Umweltinstitut München e.V.                                                                                 07/2012

tile Kette: Vom Anbau der Baumwolle, über die      Gefahr Greenwashing                               und ökologische Kleidung garantieren. Das
Textilerzeugung, also das Reinigen und Spin-       Seit einiger Zeit springen jedoch auch Bran-      bisher umfassendste und verlässlichste ist der
nen der Rohfasern, die Veredelung der Stof-        chenriesen mit Kollektionen aus Biobaumwol-       Global Organic Textile Standard (GOTS). (Mehr
fe mit Farben und Weichmachern, die Konfek-        le auf den grünen Zug auf. Der Verdacht, dass     dazu ab Seite 14)
tion, also das Nähen, bis hin zum Transport.       es sich dabei eher um grün angehauchte Mar-
                                                                                                     Brauche ich dieses Kleidungs-
Jeder dieser Arbeitsschritte kann verantwor-       ketingmaßnahmen als um plötzlich erwachtes
                                                                                                     stück wirklich?
tungsvoll im Umgang mit Menschen und Na-           Verantwortungsbewusstsein handelt, lässt
tur geschehen.                                     sich leider nicht ganz von der Hand weisen.       Und wenn wir nun garantiert öko-faire Texti-
     Biobaumwolle zum Beispiel wird ohne           Denn darüber, dass ihre Bio-Cotton-Shirts oft     lien kaufen, haben wir dann alles richtig ge-
umweltschädliche synthetische Dünger und           nur zu 50 Prozent aus biologisch angebauter       macht? Noch nicht ganz. Denn auch wie oft
Pestizide angebaut und möglichst sparsam           Baumwolle bestehen oder die vermeintlichen        und wie heiß, sprich wie energieintensiv wir
bewässert. Für die Veredelung der Stoffe gibt      Öko-Jeans mit giftigen Chemikalien bearbei-       waschen und ob wir ökologisches Waschmittel
es biologische Farben, ohne giftige Chemikali-     tet wurden, verlieren sie kein Wort.              verwenden, trägt zur Ökobilanz unseres Klei-
en und auch Näherinnen und Näher kann man              Nichtsdestotrotz haben einige Firmen          derschranks bei. Auch wie lange wir unsere
fair bezahlen. Und zwar ohne, dass das fer-        darunter auch H&M und C&A auf Kritik von          Kleidung tragen, spielt eine große Rolle. Und
tige Kleidungsstück am Ende ein Vermögen           Greenpeace reagiert und wollen bis 2020 auf       ob wir eine aufgegangene Naht flicken, statt
kostet, wie die Verfechter des „textilen Weiter-   gefährliche Chemikalien in ihrer gesamten Pro-    das Stück gleich im Altkleidercontainer zu ent-
so“ gerne behaupten. Das beweisen Pionie-          duktion verzichten. Die Umweltschutzorgani-       sorgen, von wo aus es meist eine lange Reise
re der Branche wie Deutschlands ältester und       sation hatte in einer groß angelegten Kampag-     antritt. (Mehr dazu ab S. 20)
bekanntester Hersteller von Biotextilien, Hess     ne mit dem Titel „Detox“ den massiven und              Deshalb sollte man sich auch bei einem
Natur oder die jungen Macher von Armed-            unverantwortlichen Chemikalieneinsatz vieler      öko-fairen Kleidungsstück selbst immer wieder
angels.                                            Konzerne kritisiert. (Mehr dazu ab Seite 16)      die Frage stellen: Brauche ich das wirklich?
     „Die grünen Designer und Modelabels
wirken als Katalysatoren für die Branche. Je       Dennoch ist Greenwashing nach wie vor ein
bekannter sie werden, desto weniger können         Problem in der Bio-Textil-Branche, das nicht
sich konventionelle Textilhersteller hinter dem    zuletzt uns Konsumenten betrifft. Abhilfe wür-    Text     Katja Bachert
schwammigen Argument der Alternativlosig-          de ein gesetzlich geschütztes Siegel schaffen,    Fotos    Fotolia, Ludwig Verlag
keit verstecken“, ist sich Kirsten Brodde si-      wie wir es auch bei Lebensmitteln kennen.
cher. Und es werden glücklicherweise immer         Doch bislang macht die Politik keine Anstalten,
mehr Textiler, die sich nicht nur für den Ge-      eines einzuführen. Wir müssen uns also selbst
winn, sondern auch für die Entstehung ihres        schlau machen, welche der vielen verschie-
Produkts verantwortlich fühlen.                    denen Verbandssiegel wirklich fair produzierte

                           Lesetipp
  Umweltfreundlichkeit und Fairness                achten? Anders als bei Biolebensmit-
  sind Kriterien geworden, die unseren             teln, die ein einheitliches EU-Siegel
  Einkauf beeinflussen. Inzwischen hat             tragen, fehlen bei der Öko-Mode noch
  der Trend zu nachhaltigen Produkten              verbindliche Standards. Nicht selten
  auch die Modewelt erreicht: Immer                wird Greenwashing betrieben, um das
  mehr grüne Designer und Öko-La-                  Image und den Umsatz der Hersteller
  bels erobern den Markt. Die Rohstof-             aufzubessern.
  fe stammen aus biologischem Anbau,                  Allen, die verantwortungsbewusst
  die Erzeuger werden fair bezahlt und             konsumieren wollen, zeigt Kirsten
  die Verarbeitung erfolgt mit ökologisch          Brodde, die Autorin des Buchs „Sau-
  optimierten Chemikalien – zudem war              bere Sachen“, warum konventionelle
  grüne Mode noch nie so schön wie                 Mode nicht länger tragbar ist, wie man
  heute.                                           grünen Etikettenschwindel erkennt
    Doch wo sind die sauberen Sachen               und wie man saubere Kleidung findet,
  zu finden? Und worauf muss man                   die auch noch gut aussieht.
Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München
Münchner Stadtgespräche Nr. 62                                                                            07/2012                             

         Am Tag als Bauer
          Prafull starb
      Der Tod geht um auf Indiens Baumwollfeldern. Seit 1997 haben sich Tausende Kleinbauern das
      Leben genommen. Besonders betroffen ist die Region Vidarbha. Genau dort dominiert der Gen-
                Riese Monsanto mit seinem Saatgut den Markt. Wer ist schuld an der Krise?

P
        rabhu Wankhede sitzt vor dem Haus seiner Eltern im kleinen in-     hoffte auf sein Glück. Doch alles ging schief. Die Ernte blieb aus, aber
        dischen Dorf Sonegaon. Er erzählt die Geschichte seines Bru-       die Schulden waren noch da. Da beschloss Prafull mit 27 Jahren sei-
        ders Prafull, der vor einem Monat starb.                           nem Leben ein Ende zu setzen. „Er trank das giftige Pestizid. Erst nach-
Ein eigenes Baumwollfeld! Das wünschte sich Prafull Wankhede. Er           dem wir stundenlang gesucht hatten, fanden wir ihn“, erzählt sein Bru-
wollte kein Tagelöhner mehr sein, den die Grundbesitzer herumkom-          der. Tot.
mandieren konnten. Jeder kann jetzt Baumwolle anbauen, sagten sie               Jetzt ist Sonegaon in der Region Vidarbha ein „Selbstmord-Dorf“,
doch auch im Werbefernsehen. Mit dem neuen Saatgut aus Amerika sei         und Prafull Wankhede ein „suicide man“. Die einheimischen Zeitungen
das kinderleicht. Prafull Wankhede glaubte es. Er lieh sich Geld von der   und TV-Sender berichten fast täglich über Selbstmorde unter Indiens
Bank, von einer Hilfsorganisation und dazu noch ein dickes Bündel Ru-      Baumwollbauern. Denn deren Zahl ist außergewöhnlich hoch. 200.000
pien von einem Geldverleiher. Prafull kaufte ein kleines Stück Land und    sollen seit 1997 in den Tod gegangen sein.
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                          Umweltinstitut München e.V.                                                                              07/2012

Bäuerinnen bei der Baumwollernte: In Indien wird das „weiße Gold“ noch von Hand gesammelt. Die Witwen der verstorbenen
Bauern müssen die schwere Feldarbeit meist alleine verrichten (oben). Erntehelfer können sich nur die wenigsten leisten (S.7,
rechts) . Prabhu Wankhede trauert um seinen verstorbenen Bruder Prafull (S. 7, links).

Warum sind die Selbstmordraten so hoch? Warum sind vor allem Baum-           dien an. Bollywood-Stars machten Reklame, ein Spot zeigte heldenhafte
wollbauern betroffen? Und was haben die Selbstmorde damit zu tun,            Zeichentrick-Pflanzen, die sich erfolgreich gegen böse Kapselwürmer
dass fast überall nur noch Gen-Baumwolle aus dem Imperium des US-            zur Wehr setzen.
Konzerns Monsanto gepflanzt wird?                                                Mit Bt-Baumwolle werde der Ertrag auf 20 Quintal ansteigen, hieß
                                                                             es. Obwohl konventionelle Bauern höchstens fünf oder sieben Quintal
Klimawandel, Verschuldung, Gentechnik
                                                                             einfahren (ein Quintal entspricht 100 Kilogramm). Mehr Geld für weni-
Für Indien ist Baumwolle ein nationales Symbol der Freiheit. Mahatma         ger Aufwand, eine verlockende Botschaft. Endlich würde auch die Land-
Gandhi rief seine Landsleute auf, die britischen Textil-Importe zu boykot-   bevölkerung teilhaben am indischen Wirtschaftswunder. War das alles
tieren. Indien sollte dem Mutterland nicht länger nur den Rohstoff liefern   nur ein Traum?
und dann die fertigen Produkte kaufen müssen. Jeder Inder könne sel-
                                                                             Schuldenfalle Gen-Saatgut
ber seine Baumwollhemden herstellen, fand Gandhi. Dabei ist schon der
Baumwollanbau an sich eine Wissenschaft. Klimaschwankungen set-              „Die Selbstmorde sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Vijay Ja-
zen der Pflanze zu, allerlei Schädlinge und Krankheiten bedrohen sie.        wandhia, einer der bekanntesten Bauernvertreter Indiens. Das ganze
Besonders hartnäckig ist der Kapselwurm – eine Raupe, die sich gierig        System sei in der Krise. „Die Bauern, die noch leben, leben nur, weil
durch die weiße Baumwollblüte frisst.                                        sie nicht sterben. Wir müssen den Bauern helfen, bevor sie Selbstmord
     Dagegen boten die US-amerikanischen Wissenschaftler aus dem             begehen.“ Denn entgegen aller Versprechungen sind zwar die Kosten
Monsanto-Konzern eine scheinbar geniale Lösung an. Es war ihnen ge-          für den Baumwollanbau rasant gestiegen, aber die Erträge blieben fast
lungen, der Baumwolle ein Gen einzupflanzen, das den gefräßigen Kap-         gleich. Das Gen-Saatgut kostet fast viermal soviel wie herkömmliche
selwurm automatisch fernhalten würde. Der „Bacillus thuringiensis“,          Saaten. Außerdem kann man die Samen nach der Ernte nicht wieder
kurz „Bt“, sollte wie ein eingebautes Pestizid wirken. Passenderweise        aussäen. „So müssen die Bauern jedes Jahr neues Saatgut kaufen. Und
war die moderne Bt-Saat namens „Bollgard“ auch gleich immun ge-              inzwischen ist zu 90 Prozent Bt-Baumwolle auf dem Markt“, erklärt Ja-
gen das Unkrautmittel „Roundup“, das aus dem selben Unternehmen              wandhia.
stammt. Ein unschlagbares Paket also. Begleitet von ordentlichem Wer-            Dabei hat sich der Kapselwurm längst an das Bt-Gen angepasst
berummel priesen Staat und Konzern das neue Produkt ab 2002 in In-           und befällt wieder die Pflanzen. So sind immer wieder neue Gen-Pro-
Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München
Münchner Stadtgespräche Nr. 62                                                                              07/2012                             

dukte nötig. Monsantos Marke „Bollgard“ wurde von „Bollgard II“ abge-       nen Traktor kaufen können“. Ist die Bt-Baumwolle doch ein Erfolg?
löst. „Bollgard III“ folgt bald.                                                Menschen wie Vijay Jawandhia wischen solche Einwände mit einem
     Noch immer spritzen die Bauern literweise Pestizide auf ihre Felder.   Satz vom Tisch: „Für jede dieser Erfolgsgeschichten gibt es hundert an-
Darunter leiden die Böden und verlangen wieder neue chemische Hilfs-        dere, die von Misserfolg handeln.“ Und Kishor Tiwari wird wütend: Der
mittel. Von den Gefahren, die für spielende Kinder von den hochgiftigen     Konzern bezahle alle, nur um in der Öffentlichkeit gut dazustehen. „Sie
Präparaten ausgehen, reden die Leute nicht. Viele können schon die Ge-      haben ihre eigenen Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und NGOs“,
brauchsanweisung gar nicht lesen.                                           sagt Tiwari.
     „Die Landwirtschaft ist sehr viel risikoreicher geworden“, sagt Ja-
                                                                            Bauern sollen selbst entscheiden
wandhia. Auch das Klima spielt oft nicht mehr mit; der Monsunregen
bleibt viel zu lange aus. Zur Erntezeit im Oktober und November kamen       Bei soviel geballter Finanz- und Marketingkraft stehen Aktivisten wie
erfolgreiche Bauern früher auf bis zu sieben Pflückgänge. „Dieses Jahr      Jawandhia und Tiwari schnell als verschrobene Einzelkämpfer da. Ja-
sind es nur drei“, sagt eine Bäuerin auf ihrem Feld.                        wandhia, der wackere Bauernführer, und Tiwari, der Mann, der die
                                                                            Selbstmorde zählt. Aber noch wollen beide nicht aufgeben. Jawandhia
Wer sein Feld auf Kredit bestellt hat, leidet besonders unter der Krise.    fordert vor allem ein Ende des Pestizid-Wahns. Biologische Alternativen
80.000 Rupien Schulden hatte Prafull Wankhede am Ende angehäuft.            seien in Indien lange bekannt. Der einheimische Niembaum liefert Blät-
Unerbittlich forderten vor allem die privaten Geldverleiher ihre Darlehen   ter, die zusammen mit Tabakblättern und Chilischoten gegen Schädlinge
samt Zins und Zinseszins zurück. Unter diesem Druck zerbrechen viele.       wirken. Damit die Biomittel erschwinglich sind, müssten die staatlichen
Wie viele Suizide es genau sind, weiß Kishor Tiwari aus der Stadt Nag-      Subventionen für Chemikalien fallen. „Lasst die Bauern selbst entschei-
pur. Er war neben dem Journalisten P. Sainath einer der ersten, der über-   den“, sagt Jawandhia. „Wenn die chemischen Mittel verschwinden,
haupt auf das Problem der Bauernselbstmorde aufmerksam machte.              dann wird auch die Gentechnik wieder verschwinden.“
     Inzwischen ist von der „Saat des Selbstmordes“ die Rede. Monsan-
to und die Gentechnik treibe die Bauern in die Schuldenfalle und dann in    Kishor Tiwari sagte vor Kurzem auf einer Kundgebung in Nagpur, dass
den Tod, heißt es. Aber was sagt der Konzern selber dazu?                   „Monsanto mit seiner Killersaat“ aus Indien verschwinden solle. Wenn
                                                                            die Regierung nichts unternimmt, hat Tiwari vor, den Konzern sogar zu
Monsanto macht auf Menschenfreund
                                                                            verklagen.
Tatsächlich ergibt sich ein Gesprächstermin. Denn man will reden über            212 Selbstmorde hat er bis Anfang Mai 2010 schon wieder regis-
das soziale Engagement, mit dem der Konzern sich für die leidenden in-      triert. Alles Fälle wie der von Prafull Wankhede. Als dessen Bruder sei-
dischen Bauern einsetzen will. Dazu wartet Pressesprecherin Michelle        nen Bericht beendet hat, sitzt er noch eine Weile still auf dem Sofa. Mit
d’Souza in der Niederlassung in Mumbai.                                     beiden Händen umfasst er das Bild seines Bruders. Tränen laufen ihm
     Ausführlich erklärt sie, dass man mit dem Projekt „Share“ in-          über die Wangen. Hinter ihm türmt sich ein kleiner weißer Berg auf. Eine
dische Kleinbauern in über 1000 Dörfern unterstützen wolle, etwa            Notration Baumwolle.
durch Fortbildungskurse und Trainingsprogramme zum Umgang mit                    Als ob die schlechten Zeiten erst noch kommen.
den neuen Technologien. Vom Projekt „Sunshine“ sollen Maisbauern
im nördlichen Staat Gujarat profitieren. Und ein weiteres Programm
will Kinderarbeit bei der Ernte eindämmen. Fünf Millionen bedürftigen
Farmern wolle man in Indien helfen, teilt der Konzern mit.                  Text     Christian Selbherr
     Pressesprecherin d’Souza schildert, wie Baumwollbauern von ihrem                missio magazin
Glück berichten, welches sie mit der Bt-Saat gefunden hätten. „Wenn         Fotos    Jörg Böthling
sie ihre Kinder auf die Schule schicken können, oder wenn sie sich ei-

                                                                                               Monsanto
  Die Firma Monsanto wurde 1901 in den USA gegründet                        zu den umsatzstärksten Produkten des Konzerns. Dazu
  und hat ihren Hauptsitz in St. Louis im Bundesstaat Missou-               kommt der Unkrautvernichter „Roundup“.
  ri. Inzwischen ist Monsanto der größte Hersteller von gen-                   Seit 2002 wird auch in Indien die „Bt-Baumwolle“ mit
  technisch verändertem Saatgut, neben Syngenta, Du Pont-                   einem eingebauten Gen zur Abwehr des Kapselwurms ver-
  Pioneer, Dow Agro Science, sowie BASF und Bayer Crop                      trieben. Pläne zur Einführung einer „Bt-Aubergine“ sind im
  Sciences.                                                                 Februar 2010 von der indischen Regierung vorläufig ge-
     Während des Vietnamkrieges war Monsanto ein wichtiger                  stoppt worden. Noch 2009 war Monsanto mit dem Vorha-
  Lieferant des Entlaubungsmittels „Agent Orange“. Heute                    ben gescheitert, in Deutschland die Gen-Mais-Sorte MON
  zählen Saaten von genmanipuliertem Mais, Soja und Raps                    810 auf den Markt zu bringen.
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10                         Umweltinstitut München e.V.                                                                             07/2012

                                                                    Das

    dreckige Geschäft                                          mit dem

      weißen Gold
      Enormer Wasserverbrauch, hoher Pestizideinsatz, Gentechnik und schlechte Arbeitsbedingungen:
                  Der konventionelle Baumwollanbau schadet Menschen und Umwelt.

B
          aumwolle ist die wichtigste Naturfa-    nigsten, woher sie eigentlich kommt und wie      wolle. Der Anbau für ein einziges T-Shirt ver-
          ser in der Textilindustrie. Kein Wun-   sie produziert wird. Das ist bedauerlich, denn   schlingt bis zu 2000 Liter Wasser – über zehn
          der, denn Baumwolle trägt sich an-      bei genauerem Hinsehen bleibt nicht viel übrig   Badewannen voll.
genehm auf der Haut, ist strapazierfähig und      vom Glanz des „weißen Goldes“.                       Die Geschichte des Aralsees zeigt die dra-
lässt sich auch mit hohen Temperaturen reini-                                                      matischen Folgen der künstlichen Bewässe-
                                                  Hoher Wasserverbrauch
gen. Schon vor über 7000 Jahren haben die                                                          rung für Menschen und Umwelt. Die Zuflüsse
Menschen im heutigen Südasien und Mittel-         Obwohl die Baumwolle ursprünglich aus den war-   des Sees wurden vor allem für den Baum-
amerika Baumwolle angebaut, um daraus             men und feuchten Tropen stammt, wird sie heu-    wollanbau umgeleitet, sodass innerhalb weni-
Kleidung herzustellen.                            te hauptsächlich in Trockengebieten angebaut.    ger Jahrzehnte von dem einstigen Meer nur
     Heute wird die beliebte Faser überwie-       Denn bei der Baumwollernte ist Regen äußerst     noch eine Sand- und Salzwüste übrig geblie-
gend in China, Indien, USA, Pakistan und zahl-    ungünstig. Die weiße Watte saugt sich mit Was-   ben ist. Millionen von Menschen wurden ihrer
reichen afrikanischen Ländern produziert. Die     ser voll und verfault in kurzer Zeit.            Lebensgrundlage beraubt und mussten ihre
jährliche Baumwollernte von etwa 25 Millio-            Durstig ist die Baumwollpflanze trotzdem.   Heimat verlassen.
nen Tonnen macht ein Drittel der weltweiten       Über die Hälfte der weltweiten Anbauflächen
                                                                                                   Hoher Pestizideinsatz
Textilfaserproduktion aus. Obwohl die Baum-       werden deshalb künstlich bewässert. Damit
wolle allgegenwärtig ist und wir sie tagtäg-      gehen etwa sechs Prozent des globalen Süß-       Baumwollpflanzen sind sehr anfällig für Krank-
lich auf unserer Haut tragen, wissen die We-      wasserverbrauchs auf das Konto der Baum-         heiten und Schädlinge. Zu ihrer Bekämpfung
Münchner Stadtgespräche Nr. 62                                                                             07/2012                           11

wird die Baumwolle pro Saison bis zu 25 Mal       für Näherinnen in asiatischen Textilfabriken       Baumwolle wird im Wechsel mit anderen Kul-
mit einem Pestizid-Cocktail besprüht. Bei kei-    sind weithin bekannt.                              turen angebaut. Das ist ebenfalls gut für den
nem anderen landwirtschaftlichen Anbaupro-            Doch auch der Baumwollanbau ist ein            Boden und beugt der Vermehrung von Schäd-
dukt werden so viele Pflanzengifte eingesetzt.    schmutziges Geschäft. 99 Prozent der Baum-         lingen und Krankheiten vor.
Um die Baumwolle für ein T-Shirt anzubauen,       wollbauern leben in den so genannten Ent-               Mit dem Kauf von Textilien aus Bio-Baum-
werden rund 150 Gramm Gift auf dem Acker          wicklungsländern. Die meisten von ihnen            wolle wird aber nicht nur die Umwelt geschützt.
versprüht. Der massive Einsatz von Pflanzen-      sind Kleinbauern oder Tagelöhner, die auf den      Die vorgeschriebene Fruchtfolge bietet Klein-
giften vernichtet nicht nur Schädlinge, sondern   Feldern eines Grundbesitzers schuften. Auch        bauern die Chance, weitere Bio-Produkte für
auch zahlreiche Nützlinge und wichtige Boden-     Kinderarbeit ist keine Seltenheit. Laut UNI-       die Ernährung der eigenen Familie und für
lebewesen. Außerdem kontaminieren die Gift-       CEF arbeiten etwa 90 Millionen Kinder in der       die Vermarktung anzubauen und sich auf die-
stoffe vielerorts Flüsse, Seen und Grundwasser.   Baumwollindustrie. Geerntet wird die Baum-         se Weise unabhängiger von der Baumwolle zu
     Besonders alarmierend: Die Weltgesund-       wolle meist von Hand. Der direkte Kontakt mit      machen. Sie kommen nicht mit gefährlichen
heitsorganisation stuft drei von den am häu-      gefährlichen Pestiziden ist mangels Aufklä-        Pflanzengiften in Kontakt, sparen sich das Geld
figsten eingesetzten Pflanzengiften im Baum-      rung und Ausrüstung die Regel, gesundheit-         für teure Düngemittel und erhalten beim Ver-
wollanbau mit „extrem“ bis „hoch gefährlich“      liche Beschwerden sind die Folge.                  kauf der Bio-Baumwolle höhere Gewinne.
für den Menschen ein. Sie schätzt, dass beim
                                                  Unfairer Handel
Baumwollanbau jedes Jahr 20.000 Men-
schen weltweit an Pestizidvergiftung sterben.     Der Weltmarktpreis für Baumwolle ist niedrig.
Zu den Symptomen einer akuten Vergiftung          Im Vergleich zu 1975 hat er mehr als die Hälfte    Text     Verena Schmitt
zählen Kopfschmerzen, Übelkeit, Atemnot und       abgenommen. Während zum Beispiel Baum-             Foto     SXC.hu/Fotolia
Krämpfe bis hin zum Tod. Langzeitwirkungen        wollbauern in Burkina Faso oder Indien um ihr
von Pestiziden sind Schädigungen des Ner-         Überleben kämpfen, erhalten Baumwollbauern
ven-, Reproduktions- und Immunsystems.            in den USA oder Spanien Subventionen, um

Gentechnik
                                                  auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Die                  Info
                                                  USA zahlt durchschnittlich 2,4 Milliarden US-
Rund 75 Prozent der weltweit erzeugten Baum-      Dollar jährlich an ihre Baumwollbauern. Eu-          Bio-Baumwolle ist nur eine von vie-
wolle stammt von genmanipulierten Pflanzen.       ropäische Bauern erhalten mit fünf US-Dollar         len Möglichkeiten, sich umwelt-
Da die Baumwolle während der Verarbeitung         pro Kilogramm Baumwolle die höchsten Sub-            freundlich zu kleiden. Denn auch
vermischt wird, enthalten nahezu alle konven-     ventionen weltweit.                                  nach ökologischen Kriterien weist
tionellen Baumwolltextilien genmanipulierte            Damit werden die Weltmarktpreise künst-         der Baumwollanbau Nachteile auf.
Bestandteile.                                     lich niedrig gehalten, wodurch sich der unglei-      Die anspruchsvolle Pflanze benötigt
     Mit groß angelegten Werbekampagnen,          che Wettbewerb zwischen Nord und Süd wei-            gute Böden und viel Wasser. Außer-
die Ertragssteigerung und Minimierung des         ter verschärft. Im Norden bewirtschaften vom         dem braucht sie viel Sonnenschein
Pestizideinsatzes versprechen, drücken Gen-       Staat subventionierte Baumwollbauern riesige         und ganzjährig warme Tempera-
technik-Konzerne wie Monsanto ihre Produkte       Flächen mit dem Einsatz von Maschinen und            turen. Ein Anbau in Deutschland ist
auf den Markt. Mit gestiegenen Kosten für         aufwändiger Technik. Im Süden wird auf klei-         deshalb nicht möglich.
Saatgut, Pestizide und Dünger entpuppt sich       ner Fläche hauptsächlich von Hand gepflanzt             Eine gute Alternative sind Textilien
die Gen-Baumwolle für die Kleinbauern aber        und geerntet.                                        aus Bio-Hanf und -Leinen. In Mittel-
schnell als existenzbedrohende Schuldenfalle.                                                          europa waren beide Pflanzen neben
                                                  Bessere Wahl: Bio-Baumwolle                          Nessel und Wolle lange die einzigen
Vor allem in Indien hat der Einsatz der Gen-
Baumwolle dramatische Auswirkungen. Im-           Immer mehr Menschen suchen beim Kleider-             Textilfasern und wurden erst durch
mer mehr verschuldete Bauern flüchten sich        kauf umwelt- und menschenfreundlichere Al-           den Eroberungszug der Baumwol-
aus Verzweiflung in den Selbstmord und ver-       ternativen. Die Textilindustrie hat diesen Trend     le Ende des 19. Jahrhunderts ver-
giften sich mit den Pestiziden, denen sie ihre    erkannt. Mittlerweile bieten sogar Kaufhaus-         drängt. Hanf und Leinen sind robus-
ausweglose Situation verdanken. Auch die UN       ketten Kleidung aus Bio-Baumwolle an.                te Pflanzen, die mit kargen Böden,
zeigt sich besorgt über die seit Einführung der        Beim Anbau von Bio-Baumwolle werden             wenig Wasser und hiesigen Klimata
Gen-Baumwolle steigende Selbstmordrate un-        weder chemische Düngemittel und Pestizi-             auskommen. Deshalb sind sie für
ter Bauern.                                       de noch Gentechnik eingesetzt. Für den Er-           Öko-Textilien besonders geeignet.
                                                  halt und die Verbesserung der natürlichen Bo-        Wer auch Kleidung aus tierischen
Schlechte Bedingungen                                                                                  Fasern wie Schafswolle oder Seide
                                                  denfruchtbarkeit wird mit Mist und Kompost
Knochenharte Arbeit, Unterdrückung und Hun-       gedüngt. Außerdem müssen die Bauern ei-              tragen möchte, kann auch diese in
gerlöhne – die katastrophalen Bedingungen         nen Fruchtwechsel einhalten. Das heißt, die          Bio-Qualität bekommen.
12                           Umweltinstitut München e.V.                                                                                  07/2012

        „Die Bundesregierung deckt
       Menschen- und Arbeitsrechts-
               verletzungen“
       Die Kampagne für saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign, CCC) ist ein Zusammenschluss aus
       20 Trägerorganisationen, Vereinen und Verbänden, zu dem unter anderem die Christliche Initiati-
       ve Romero, FEMNET e.V. und das Inkota-Netzwerk gehören. Seit Mitte der 1990er-Jahre kämpft
       CCC weltweit für eine Verbesserung der Arbeits- und Umweltschutzbedingungen in der Beklei-
       dungsindustrie. Dr. Gisela Burckhardt erklärt im Interview, weshalb Selbstverpflichtungen der
                      Unternehmen nicht ausreichen und was die Politik leisten müsste.

Münchner Stadtgespräche: In Ihrer ak-                 mädchen, wenn sie einen Fehler gemacht ha-        20 Fabriken eine Schulung, worin genau wis-
tuellen Studie „Im Visier: Discounter“                ben oder dürfen nicht auf die Toilette gehen.     sen wir nicht. Kik jedoch hat Hunderte von Lie-
kritisieren Sie Aldi, Lidl und KiK für ihre                                                             feranten. Was ist mit den anderen?
Dumpingpreise, die zulasten der Arbei-                Wie haben die Unternehmen auf Ihre Vor-
terInnen in den Produktionsländern ge-                würfe reagiert?                                   Nicht nur Discounter, sondern auch Glo-
hen. Welche Vorwürfe erheben Sie kon-                 Aldi hüllt sich seit Beginn der Kampagne in       balplayer produzieren zu Hungerlöhnen.
kret gegen die Discounter?                            Schweigen. Lidl hat die Gesellschaft für in-      Kürzlich erklärte Puma-Vorstand Reiner
Dr. Gisela Burckhardt: Wir recherchieren seit         ternationale Zusammenarbeit (GIZ) beauf-          Seiz in der TAZ, es sei nicht möglich, faire
2005 zur Produktion der Discounter. In un-            tragt, ein Trainingsprogramm für Lieferanten      Löhne zu zahlen, weil das zu deutlichen
serer jüngsten Studie von 2011 „Im Visier:            in Bangladesch und China durchzuführen.           Preissteigerungen zulasten der Verbrau-
Discounter“ gehen wir der Frage nach, was                  Wir haben die Maßnahme untersucht            cher führen würde. Was halten Sie von
sich seither verändert hat. Dafür haben wir           und mussten feststellen, dass bei den Ar-         dieser Aussage?
uns angesehen, wie die Arbeitsbedingungen             beiterInnen nichts davon ankommt. Die Trai-       Das ist ungeheuerlich! Puma muss Lohnerhö-
in Fabriken in Bangladesch sind, die für Aldi,        nings richten sich vor allem an das mittlere      hungen ja nicht weiterreichen an den Verbrau-
Lidl und Kik produzieren.                             Management, die es dann an die Näherinnen         cher, das kann ja auch zulasten des Unterneh-
     Den Unternehmen werfen wir vor, dass             weitergeben sollen. Das sah dann so aus,          mensgewinns gehen, der ja üppig sprudelt.
sie ihre eigenen Verhaltenskodizes verletzen.         dass ArbeiterInnen nach der Arbeitszeit ver-      Zumal nach unseren Berechnungen der Lohn-
Lidl und Aldi sind Mitglied der EU-weiten Busi-       pflichtet wurden, sich über Feuerschutzmaß-       anteil am Verkaufspreis hier im Laden bei 0,5
ness Social Compliance Initiative (BSCI). Diese       nahmen aufklären zu lassen. Natürlich sind        bis 1 Prozent liegt. In Bangladesch herrschen
schreibt einen Verhaltenskodex vor, den beide         Sicherheitsmaßnahmen wichtig, aber eine           die niedrigsten Löhne weltweit. Würde man
Unternehmen massiv verletzen. Die Arbeite-            solche Schulung muss während der Arbeits-         die Löhne der Menschen dort verdoppeln,
rInnen in den Fabriken dürfen sich nicht orga-        zeit geschehen. Zudem werden die Arbeite-         wäre das ein Klacks, verglichen zu den gewal-
nisieren und keine Gewerkschaften bilden. Es          rInnen nicht über ihre Rechte aufgeklärt, z.B.    tigen Summen, die Puma für prominente Wer-
finden auch keine Tarifverhandlungen statt. Die-      dass sie sich auch nach den Gesetzen Bang-        beikonen ausgibt.
se Rechte sind Teil der so genannten ILO-Kern-        ladeschs organisieren dürfen. Unsere Quintes-         Das Argument, die Unternehmen könnten
arbeitsnormen (International Labour Organisati-       senz: Durch die Trainings hat sich an der Si-     keine höheren Löhne zahlen, weil sie dann im
on). Ein Land, das Mitglied der ILO ist, ist allein   tuation der ArbeiterInnen wenig bis gar nichts    Wettbewerb mit anderen benachteiligt werden,
deshalb schon verpflichtet diese Arbeitsnormen        verbessert.                                       hören wir aber regelmäßig. Doch aus meiner
umzusetzen.                                                Kik hat als erstes Discounterunternehmen     Sicht gibt es viele Verbraucher, die bereit wären
     Zudem geschieht fast immer Zwangsar-             einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt, der aber   mehr zu zahlen, wenn sie wissen, dass ein Pro-
beit in Form erzwungener Überstunden. In der          ziemlich schönfärberisch ist. Das ist generell    dukt sozialverträglich hergestellt wurde. Gera-
Regel sind sie unfreiwillig und werden oft nicht      ein Problem dieser Nachhaltigkeitsberichte.       de Marken wie Puma oder Adidas könnten dies
bezahlt. Auch Diskriminierung ist ein wichtiger       Weil sie freiwillig sind, können die Unterneh-    sehr gut nutzen. Bei einer Puma-Jacke, die 150
Punkt. Frauen werden oft extrem diskriminiert,        men berichten, über was sie wollen und nicht      Euro kostet, wären die paar Euro an Mehrkos-
müssen in der Ecke stehen, wie kleine Schul-          anhand von Vorgaben. Laut Bericht erhalten        ten schlicht lächerlich.
Münchner Stadtgespräche Nr. 62                                                                               07/2012                           13

In Ihrem jüngsten Aufruf an Arbeitsmi-             Hat die Regierung zu Ihrem Vorwurf Stel-
nisterin von der Leyen und Aldi werfen             lung bezogen?
Sie der Bundesregierung vor, gegen eine            Ja. Auf www.sauberekleidung.de kann man
geplante Transparenz-Richtlinie der EU-            eine Protestmail an Frau von der Leyen und
Kommission zu agieren. Damit sollen Un-            Aldi verschicken. Da-raufhin erhält man eine
ternehmen verpflichtet werden, über die            Standardantwort von Jörg Trautner, dem Re-
Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Umwelt            feratsleiter Arbeitsstab CSR im Bundesminis-
und Menschen zu berichten.                         terium für Arbeit und Soziales (BMAS). Dar-
Die EU-Kommission hat im Oktober letzten Jah-      in steht, dass die Bundesregierung die von
res eine neue CSR-Strategie (Corporate Social      der EU angekündigte Verbreitung internatio-
Responsibility) verabschiedet. Darin kündigt sie   naler Standards nachdrücklich unterstütze,
an, dass sie in 2012 eine Transparenzrichtlinie    die Einführung einer gesetzlichen Berichter-         Viele Menschen wissen von den Arbeits-
veröffentlichen will. Doch bisher weiß niemand,    stattungspflicht jedoch nicht für den richtigen      bedingungen in der Textilindustrie, ge-
was genau da drin stehen wird. Und vermutlich      Weg halte. Alles müsse auf Freiwilligkeit be-        kauft wird die Kleidung trotzdem. Was
wird sie ohnehin sehr schwach sein. Trotzdem       ruhen, da Verpflichtungen zuviel Bürokratie          können und sollten wir Verbraucher tun?
laufen Unternehmensverbände und das feder-         für die Unternehmen bedeuten würden. Am              Als VerbraucherIn sollte man bewusst kon-
führende Arbeitsministerium von Frau von der       Ende schreibt Trautner sogar ausdrücklich,           sumieren. Natürlich vorausgesetzt, dass man
Leyen schon jetzt dagegen Sturm.                   man setzte sich dafür ein, dass bei der neu-         das finanziell kann. Wobei es auch sehr gute
    In der EU ist Deutschland nach meiner          en Richtlinie auch die Unternehmensinteres-          Secondhandläden gibt.
Kenntnis das einzige Land, das sich vehe-          sen gewahrt werden.                                       Generell bin ich aber dagegen, dem Ver-
ment dagegen wehrt. Andere Länder bekla-                Ich habe ihm daraufhin zurückgeschrie-          braucher die alleinige Verantwortung in die
gen sich nicht. Frankreich und Dänemark            ben, dass es schön wäre, wenn die Regierung          Schuhe zu schieben. Die Unternehmen be-
zum Beispiel haben schon jetzt eine striktere      auch mal die Verbraucherinteressen berück-           haupten gerne, der Verbraucher sei es, der
Transparenzpflicht als Deutschland. Bei uns        sichtigen würde.                                     entscheidet. Wenn die Nachfrage da wäre,
heißt es immer, alles müsse freiwillig sein,                                                            dann würden sie auch handeln.
also bloß keine Verpflichtung, über die Aus-       Wie müssten gesetzliche Rahmenbedin-                      Ich erwarte aber, dass Verbraucher ver-
wirkungen der eigenen Tätigkeit berichten zu       gungen Ihrer Meinung nach aussehen?                  nünftig informiert werden. Und das ist nicht
müssen.                                            Wir haben drei wesentliche Forderungen an            der Fall. Im Moment wird von uns verlangt,
    Damit deckt die Bundesregierung faktisch       die Regierung:                                       dass wir vor jedem Einkauf eine lange Recher-
Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen,                1. Die besprochene Transparenzpflicht,          che machen. Das kann doch niemand. Und
die die Lieferanten deutscher Unternehmen          also eine gesetzlich festgelegte, jährliche Of-      meiner Meinung nach hat eine Regierung die
in den Produktionsländern begehen.                 fenlegung von Informationen über Auswir-             Pflicht, Unternehmen zu zwingen, Informati-
                                                   kungen der Tätigkeit von Unternehmen auf             onen offen zu legen. Wenn ein Unternehmen
Was würde eine solche Transparenz-                 Menschen und Umwelt.                                 über seine Einkaufspolitik transparent infor-
Richtlinie auf EU-Ebene bewirken?                       2. Unternehmen sollten dafür haften müs-        miert und sich extern und unabhängig über-
Wir erhoffen uns eine Richtlinie, die klar for-    sen, wenn Arbeits- und Menschenrechtsver-            prüfen lässt und dies seinen Käufern mitteilt,
mulierte Indikatoren hat, anhand derer jedes       letzungen in ihrer Lieferkette vorkommen.            dann kann ich als Verbraucher eine bessere
Unternehmen verpflichtet ist, über die Aus-             3. Außerdem müssten die Beschäftigten           Entscheidung treffen. Dann kann ich mich ent-
wirkungen seiner Tätigkeit auf Menschen und        wie die Näherinnen in Bangladesch die Mög-           scheiden, ob ich Waren kaufe von einem Un-
Umwelt zu berichten. Die Indikatoren wären         lichkeit haben, in der EU – also dort, wo der Sitz   ternehmen, das sich extern prüfen lässt, sich
dann für alle Unternehmen die selben und die       eines einkaufenden Unternehmens ist – zu kla-        also bemüht oder von einem Unternehmen,
Verbraucher könnten vergleichen, zum Bei-          gen, wenn ihre Arbeitsrechte verletzt werden.        das gar nichts tut.
spiel ob Beschäftigte sich organisieren dürfen,
oder ob es Tarifverhandlungen gibt.                Was bringen Ihrer Meinung nach Selbst-
    Natürlich stellt sich dann immer noch die      verpflichtungen der Unternehmen?
Frage, wie präzise diese Indikatoren sind. Und     Selbstverpflichtungen sind meist nur ein Stück       Interview   Katja Bachert
ob die Unternehmen tatsächlich die Wahrheit        Papier, das zu Werbezwecken genutzt wird. Weil       Foto		      Kampagne für saubere Kleidung
schreiben, oder sich bloß schön färben. Aber       sie freiwillig sind, kann ihre Umsetzung von Nie-    Info 		     www.sauberekleidung.de
es wäre schon mal ein Anfang und zwänge die        mandem eingeklagt werden. Natürlich habe ich
Unternehmen dazu, sich mit ihrer Verantwor-        nichts gegen Selbstverpflichtungen, aber sie sind
tung zu beschäftigen. Das würde dazu führen,       nicht ausreichend. Ohne verbindliche Regeln und
dass sie präventiv aktiv werden.                   Kontrolle von Außen, bleiben sie zu beliebig.
14                         Umweltinstitut München e.V.                                                                                  07/2012

 Verlässliche Labels
                            Der Weg zum öko-fairen Kleidungsstück

A
          nders als bei Lebensmitteln sind die Begriffe „Bio“ oder „Öko“     stoffe im Kleidungsstück stecken und zu wie viel Prozent diese aus kon-
          bei Textilien nicht geschützt. Einen einheitlichen Standard gibt   trolliert biologischem Anbau bzw. Tierhaltung (vgl. Info-Kästen) stammen.
          es nicht. Vielmehr überschwemmt eine unübersichtliche Zahl          Nehmen Sie die Marken, deren Kleidung Sie kaufen, einmal ge-
mehr oder weniger seriöser Labels die Textilbranche. Da kann es schnell      nauer unter die Lupe. Setzt sich das Unternehmen ernsthaft für öko-
passieren, dass man mit den besten Absichten zu einem vermeintlichen         logische und faire Bekleidung ein, oder versucht man dort nur seinen
Bio-Shirt greift, das nur zu 20 Prozent aus Bio-Baumwolle besteht, oder      Ruf mit ein paar Öko-Shirts aufzubessern?
mit giftigen Chemikalien behandelt wurde.                                     Lassen Sie sich nicht von großen Marken, aufwändigen Werbekam-
                                                                             pagnen und teuren Preisen blenden. All das sagt nichts über die ökolo-
Wir haben ein paar Einkaufstipps für Sie zusammengestellt, mit denen         gischen und sozialen Standards bei der Herstellung der Kleidung aus.
Sie leicht an Ihr öko-faires Kleidungsstück kommen:                           Bevorzugen Sie helle oder naturfarbene Textilien, da diese weniger
 Fragen Sie gezielt nach Produkten, die umweltfreundlich und sozial         mit Farbstoffen belastet sind. Textilien mit dem Pflegehinweis „separat
gerecht hergestellt wurden. Die Nachfrage bestimmt das Angebot!              waschen“ oder „fade out“ enthalten besonders viele lose Farbstoffe.
 Seien Sie kritisch, auch bei zertifizierter Ware. Viele Öko-Labels          Vermeiden Sie Textilien mit Hinweisen wie „bügelfrei“, „schmutz-
sind von den Herstellern selbst erarbeitet. Sie haben meist nur geringe      abweisend“ oder „antibakteriell“. Solch zusätzliche Eigenschaften sind
Standards und werden nicht unabhängig kontrolliert. Hier müssen wir          ein Hinweis auf noch mehr umwelt- und gesundheitsbelastende Che-
als Konsumenten genau hinschauen und nachfragen.                             mikalien im Kleidungsstück.
 Der Global Organic Textile Standard (GOTS) und das Zertifikat
Naturtextil Best (vgl. Info-Kästen) stellen derzeit die höchsten ökolo-
gischen und sozialen Anforderungen an die Textilindustrie. Mit diesen
Labels sind Sie auf der sicheren Seite.                                      Text     Verena Schmitt
 Achten Sie auf das Etikett im Kleidungsstück. Zwar sind die Chemika-       Fotos    Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e. V.
lien, die beim Anbau und der Weiterverarbeitung in die Faser gelangen,       Info     www.umweltinstitut.org/fragen-antworten/bekleidung
nicht kennzeichnungspflichtig. Jedoch können Sie erkennen, welche Roh-                www.global-standard.org, www.naturtextil.com

  Textilfasern aus kontrolliert biologischem Anbau (KbA)                      Die Futtermittel müssen aus ökologischer Landwirt-
  und kontrolliert biologischer Tierhaltung (KbT)                            schaft stammen, Hormone und wachstumsfördernde Stof-
                                                                             fe sind verboten, Antibiotika dürfen nur in Ausnahmefällen
   Das Zertifikat sagt nichts über das fertige Kleidungs-                   eingesetzt werden. Die Kriterien der ökologischen Tierhal-
  stück aus, sondern nur über die Produktion der Rohfasern,                  tung gehen weit über die gesetzlichen Standards hinaus.
  wie zum Beispiel Baumwolle, Hanf oder Schafswolle.                         Eine artgerechte Haltung und die Gesundheit der Tiere ste-
   Fasern aus KbA bzw. KbT werden nach den EU-Richtli-                      hen im Vordergrund.
  nien des ökologischen Landbaus produziert. Die landwirt-                    Der Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen, Tie-
  schaftlichen Betriebe werden mindestens einmal im Jahr                     ren und Futtermitteln ist verboten.
  von einer unabhängigen Kontrollstelle auf die Einhaltung                    Eigene soziale Standards beinhaltet das Bio-Zertifikat
  der Standards überprüft.                                                   nicht. Es gelten die gesetzlichen Mindeststandards. Doch
   Der Einsatz von chemischen Pestiziden und Düngemit-                      für Kleinbauern in ärmeren Ländern wirkt sich die ökolo-
  teln auf dem Acker ist verboten. Um die Bodenfruchtbar-                    gische Wirtschaftsweise auch positiv auf die Lebensum-
  keit zu erhalten und den Schädlingsdruck zu minimieren,                    stände aus: Kein Einsatz gesundheitsgefährdender Spritz-
  werden die Faserpflanzen wie Baumwolle abwechselnd mit                     mittel, eigener Mist und Kompost statt teurer Düngemittel.
  anderen Pflanzenarten angebaut. Statt Kunstdünger ver-                     Zudem erhalten die Landwirte für Bio-Ware höhere Preise.
  wenden die Bauern Mist und Kompost.
Münchner Stadtgespräche Nr. 62                                                         07/2012                       15

Global Organic Textile Standard         Zertifikat Naturtextil Best                Zertifikat Naturleder

 International etabliertes und ein-     Die Kriterien des GOTS müs-               In der Richtlinie Naturleder wer-
heitliches Label für ökologische        sen erfüllt sein. Das Naturtextil-Sie-     den alle Herstellungsstufen von der
Textilien.                              gel geht in einigen Bereichen noch         Rohware bis zum Verkauf und Ge-
 Es gibt zwei Varianten des Sie-       über diese hinaus.                         brauch des fertigen Leders, nicht
gels: Textilien mit dem „Label-gra-      Die Textilfasern müssen zu               aber des verarbeiteten Lederpro-
de 1“ müssen mindestens 95              100 Prozent aus kontrolliert biolo-        dukts, berücksichtigt.
Prozent Fasern aus kontrolliert bio-    gischem Anbau bzw. Tierhaltung              Tiere, aus deren Haut Leder
logischem Anbau bzw. Tierhaltung        stammen.                                   hergestellt wird, müssen vorwie-
enthalten, solche mit dem „Label-        Die Liste der zugelassenen Far-          gend zur Fleischgewinnung gehal-
grade 2“ mindestens 70 Prozent.         ben und Hilfsmittel ist noch kür-          ten werden. Zusätzliche Tierzucht
 Bei der Weiterverarbeitung der        zer, als die für den GOTS. So wer-         ist zu vermeiden. Wildlebende oder
Textilfasern (z. B. Bleichen, Färben,   den zum Beispiel für Kupfer und            vom Aussterben bedrohte Tierras-
Imprägnieren) dürfen nur gesund-        schwermetallhaltige Farben keiner-         sen sind ausgeschlossen.
heitlich und ökologisch unbedenk-       lei Ausnahmen mehr gemacht, op-             Bei der Weiterverarbeitung
liche Stoffe verwendet werden. So       tische Aufheller sind verboten.            der Tierhäute zu Leder sind zum
sind etwa giftige Schwermetalle,         Accessoires wie Futter, Sticke-          Beispiel chemische Konservie-
Azo-Farbstoffe und aromatische Lö-      reien und Kordeln müssen zu min-           rungsmittel, lösemittelhaltige Be-
sungsmittel im gesamten Produkti-       destens 95 Prozent aus Naturfa-            schichtungen und Azo-Farbstoffe
onsprozess verboten.                    sern bestehen.                             verboten.
 Alle eingesetzten Stoffe müssen                                                   Die Schadstoffgrenzwerte für
biologisch abbaubar sein und dür-                                                  Naturleder-zertifizierte Produkte ge-
fen Boden, Luft und Wasser nicht                                                   hen weit über die gesetzlichen Be-
belasten.                                                                          stimmungen hinaus.
 Accessoires wie Stickereien und                                                   Es gelten die gleichen Sozialkri-
Kordeln bestehen aus Naturfasern                                                   terien wie bei GOTS- und Naturtex-
oder Viskose. Reißverschlüsse und                                                  til-zertifizierten Produkten.
Knöpfe müssen PVC-, chrom- und
nickelfrei sein.
 Die geltenden Sozialstandards
wie das Verbot von Zwangsarbeit,
Kinderarbeit, Misshandlung und
Diskriminierung, gerechte Löhne,          Fair shoppen in München
Arbeitsschutz und Vereinigungs-
freiheit basieren auf den Kriterien      In München gibt es zahlreiche           unter dem Menüpunkt Fragen und
der International Labour Organisati-     Shops und Boutiquen, die zertifi-       Antworten/Bekleidung
on (ILO). Ihre Einhaltung wird in den    zierte ökologisch und sozialveträg-
Betrieben vor Ort kontrolliert.          lich produzierte Kleidung anbieten.       Weitere Adressen in Deutschland
                                            Eine Liste mit den Adressen finden   gibt es auf www.gruene mode.de
                                         Sie auf www.umweltinstitut.org
16                         Umweltinstitut München e.V.                                                                               07/2012

     Schmutzige
       Wäsche
      Wer in China, Bangladesch und anderen Textilländern unterwegs ist, dem wird schnell klar: Die
      Wasserverschmutzung durch Textilfabriken ist ein ernstes Problem. Die Schadstoffe bedrohen die
      Gesundheit der Angestellten und Anwohner und gefährden wichtige Trinkwasserreserven und
      Ökosysteme. Das zeigen auch mehrere aktuelle Untersuchungen, die Greenpeace unter anderem
      in China durchgeführt hat. Mit der Detox-Kampagne will Greenpeace die Branche zu einer Pro-
                               duktion ohne giftige Chemikalien bewegen.

W
              asser ist unverzichtbar für alles   den Tieren und Menschen anreichern. Einige         in Import-Textilien aus. In Flüssen, Seen und
              Leben auf der Erde. Die Was-        dieser Chemikalien können bereits in kleinsten     Meeren bildet sich aus NPE das Umwelt-
              serspeicher der Welt sind jedoch    Mengen das Hormonsystem beeinflussen, an-          gift Nonylphenol (NP). Modemarken machen
bedroht. Verglichen mit anderen Regionen          dere sind krebserregend oder schädigen die         ihre Kunden dadurch zu unfreiwilligen Kom-
sind Chinas Wasserläufe besonders stark ver-      Fortpflanzung.                                     plizen bei der weltweiten Wasserverschmut-
schmutzt. 70 Prozent der Flüsse, Seen und              Die Auswirkungen sind nicht regional be-      zung. Mit der Einfuhr und dem Verkauf von
Wasserreservoirs in diesem Land sind mit          grenzt. Durch Meeresströmungen, über die At-       jährlich knapp 900.000 Tonnen Textilien nach
Schadstoffen belastet. Mit knapp acht Pro-        mosphäre und über die Nahrungskette können         Deutschland werden grob überschlagen auch
zent am Handelsvolumen ist die Textilbranche      sie in Regionen transportiert werden, die weit     90 Tonnen NPE eingeführt.
ein wichtiger Pfeiler der chinesischen Wirt-      entfernt sind von ihrer Quelle. Sogar an Nord-          Laut Umweltbundesamt sind Import-Texti-
schaft. Und: Sie ist ein bedeutender Abneh-       und Südpol wurden diese Chemikalien bereits        lien die größte Quelle für NPE und NP in deut-
mer von Chemikalien. Vor allem bei der Nass-      nachgewiesen.                                      schen Gewässern. Die direkten Verschmut-
Verarbeitung von Textilien (etwa beim Färben,                                                        zungsauswirkungen der Textilbranche gehen
                                                  Von der Waschmaschine
Waschen, Bedrucken oder Ausrüsten) entste-                                                           also weit über das Herstellungsland hinaus.
                                                  in den Fluss
hen große Mengen an schadstoffhaltigem, gif-
                                                                                                     Schmutzige Wäsche
tigem Abwasser.                                   Auch für hiesige Gewässer sind die Schadstof-
    Viele Textilchemikalien haben uner-           fe aus der Textilproduktion ein Problem: Giftige   Die größte Last der Wasserverschmutzung ha-
wünschte Eigenschaften: Schwermetalle und         und hormonell wirksame Chemikalien gelan-          ben aber unbestritten andere Länder zu tra-
einige organische Chemikalien können un-          gen durch die normale Haushaltswäsche von          gen – zum Beispiel China. Für den Report
sere Gesundheit und den Lebensraum Was-           Import-Textilien auch in deutsche Gewässer.        „Schmutzige Wäsche“ hat Greenpeace Ab-
ser langfristig schädigen. Über die industriel-       Nach einer neuen Greenpeace-Untersu-           wassereinleitungen von zwei chinesischen
len Abwässer gelangen sie in die Umwelt, wo       chung treten bei einer einzigen Wäsche bis zu      Textilfabriken untersucht. Die erste Produkti-
sie nur langsam abgebaut werden und sich in       94 Prozent an Nonylphenolethoxylaten (NPE)         onsstätte, der Youngor Textile Complex, liegt
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