Nachbarschaft - barmherzige.info

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Nachbarschaft - barmherzige.info
63. Jahrgang · Juni 2011 · Internet: www.barmherzige.de

                                         Nachbarschaft
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2 misericordia 6/11

  Thema: Nachbarschaft                                        Liebe Leserinnen, liebe Leser,

  Nachbarschaft auf dem Dorf                              4   Nachbarschaft ist etwas Wunder-
                                                              bares, vorausgesetzt, man verträgt
  Nachbarschaft in der Stadt                              5   sich. Man hilft sich gegenseitig, ist
                                                              füreinander da, teilt im besten Fall
  Wohnen in Algasing                                      7
                                                              Freud und Leid. Nachbarschaft
  Kollegialität auf engem Raum                            8   kann aber auch nerven, besonders
                                                              dann, wenn man zu eng aufeinan-
  Algasinger Nachbar Karl Engelmann                       9   der sitzt. Es ist wie bei anderen
                                                              Beziehungen unter Menschen ei-
  Barmherzige Brüder in Bayern                                ne Frage von Nähe und Distanz:
                                                              Rückt mir der Nachbar zu eng auf
  10. Juni: Gedenktag Eustachius Kugler                 11    die Pelle, sei es mit Grillfeuer, Rasenmäher oder noch so gut
                                                              gemeinter Anteilnahme, gehe ich ganz schnell auf Abstand.
  Regensburg: Babygalerie in St. Hedwig                 13
                                                              Die Einrichtungen der Barmherzigen Brüder haben eher das
  Regensburg und Algasing: Klosternacht                 13
                                                              gegenteilige Problem. Jede Einrichtung bildet eine Gemein-
  Algasing: Wellnesstag und Erste-Hilfe-Kurs            14    schaft für sich, und da ist die Verlockung groß, sich selbst
                                                              zu genügen. Zusammenarbeit und Zusammenstehen ist hier
  Neuer Verwaltungsdirektor im Provinzialat             15    das Schlagwort. Was für den Nachbarn um die Ecke gilt, ist
                                                              auch für Großeinrichtungen machbar. Man kann sich etwas
                       Nachbarskinder brauchen Plätze,
                                                              ausleihen, miteinander teilen, voneinander lernen, etwas zu-
                       auf denen sie sich treffen und spie-
                       len können - oder einfach nur mal      sammen benutzen, geben und nehmen. Wenn sich Nachbarn
                       rumhängen ...                          in einem großen Mietshaus nicht mehr kennen, so hat das mit
                                                              der Mentalität zu tun: Ich genüge mir selbst.

                                                              Wir begehen das Jahr der Familie des heiligen Johannes von
                                                              Gott. Hier schwingen viele Nachbarschaftsgedanken mit. Es
                                                              geht um Patenschaften mit Vereinen, um Freundeskreise, Eh-
                                                              renamtliche und Ehemalige. Johannes von Gott hat Menschen
  Serie Ordenspersönlichkeiten:                               um sich gesammelt, die ihn in seinem Werk unterstützt haben.
  Frater Eberhard Hack                                  22
                                                              Sie packten zu oder halfen ideell und materiell. Das gilt heute
  Malseneck: Sommerfest                                 31    noch gleichermaßen. Wir veranstalten Tage der offenen Tür,
                                                              Adventsmärkte, Ostermärkte, Sommerfeste und Info-Treffs.
  Barmherzige Brüder weltweit                                 Das macht Sinn, weil wir so unseren Nachbarn und Freunden
                                                              von unserer Arbeit erzählen. Das bringt etwas und bewirkt
  Erneuerungskurs für europäische Brüder                16    etwas.

  Europäische Regionalkonferenz in Dublin               17    Ihr

  Heimbewohner-Charta der Westeuropa-Provinz 19

  „Das neue Gesicht des Ordens“ synchronisiert          21
                                                              Frater Eduard Bauer
  Kirche und Gesellschaft

  Bischof Joachim Wanke in Straubing                    23

  Das „Abendlied“ von Matthias Claudius                 24

  Bischof Karl-Heinz Wiesemann zu Pfingsten             26

  Studie zur Zukunft der Krankenhäuser                  29

  Der gute Tipp der Algasinger Umweltgruppe             29

  Raten und Gewinnen                                    30

  Serie Innovative Abteilungen
  Herzkatheterlabor in Schwandorf                       32
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Leitbild und Werte   ·    misericordia 6/11 3

Respekt –
ist mehr als nur „o.k.“
„Wow, - RESPEKT!!“ Diese Worte der           einer Person kann ich kulturelle Einstel-   fragen, wer Respekt vor meinen Bedürf-
Annerkennung hört man vermutlich viel        lung, Religionszugehörigkeit, Herkunft,     nissen oder vor meinem engen Termin-
zu selten. Zugegeben, auch mir kommen        Stimmung, momentane Anliegen und            kalender hat, sondern einfach bei seinem
sie nicht allzu oft über die Lippen, zum     teilweise auch Einstellungen innerhalb      Gegenüber damit beginnen.
Glück gibt es noch viele andere Mög-         kürzester Zeit erkennen. Durch diese
lichkeiten, um Menschen Respekt zu           bewusste Wahrnehmung kann ich mich          Der Leitwert „Respekt“ der Barmher-
erweisen.                                    auf mein Gegenüber einstellen und es        zigen Brüder kann nicht nur in der Pfle-
                                             achten. Es erfordert viel Selbstkontrol-    ge und Betreuung von Menschen ver-
Auch die Barmherzigen Brüder und die         le nicht zu versuchen, den anderen an       wirklicht werden. Auch hinter E-Mails,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des         meine Ansichten und Pläne anzupassen,       Aufträgen und Telefonnotizen stehen
Ordens werden zu einer respektvollen         ihn nicht „bekehren“ oder überzeugen        Menschen, denen ich meinen Respekt
Haltung aufgerufen: Im Februar letzten       zu wollen, dass etwas anderes für ihn       zeigen sollte. Indem ich mich um eine
Jahres wurden vier Werte für den Orden       richtig wäre.                               schnelle Rückmeldung und Erledigung
weltweit festgelegt, durch die die Hos-                                                  der Anliegen bemühe, vermittle ich auch
pitalität des heiligen Johannes von Gott     Unser Respekt bezieht sich häufig auf ei-   den Kollegen meinen Respekt für ihre
erfahrbar wird. Respekt ist neben Spi-       ne bestimmte Leistung eines Menschen,       Person, ihre Aufgaben und ihre gute
ritualität, Verantwortung und Qualität       doch im Sinne christlicher Nächstenlie-     Arbeit.
einer dieser Werte. Generalprior Frater      be ist Respekt eine Grundhaltung, die
Donatus Forkan erklärt in einem Schrei-      weder eine Leistung noch eine Gegen-        Im Alltag umsetzen
ben: „Durch Respekt vor dem jeweiligen       leistung voraussetzt. Das
Gegenüber erhält unsere Dienstleistung       heißt, sich nicht zu                        Zugegeben, unter all den Anforderungen
ein besonderes Kennzeichen. Dies gilt                                                       ist es manchmal schwierig, das
analog für unsere Dienstgemeinschaft.“                                                         umzusetzen. Doch selber fühle
                                                                                                 ich mich auch respektlos be-
Das Gegenüber                                                                                      handelt, wenn der verspro-
annehmen                                                                                            chene Rückruf ausbleibt
                                                                                                     oder keine Reaktion auf
Was genau wird unter                                                                                  meine Anfrage kommt.
„Respekt“ verstanden und                                                                              Möglicherweise ist diese
wie kann ich respektvolles                                                                            Schwierigkeit in der all-
Handeln in der Praxis umset-                                                                          täglichen Umsetzung ein
zen? Für mich bedeutet jemanden zu                                                                    Grund, warum der Orden
respektieren, mein Gegenüber anzuneh-                                                                 den Wert Respekt in die
men. In pädagogischen Kreisen spricht                                                                 Liste der vier Ordenswerte
man dabei oft von der Haltung „Ich bin                                                                aufgenommen hat und so-
o.k. – du bist o.k.“ Jemanden „o.k.“, also                                                            mit dessen Bedeutung he-
in Ordnung, zu finden, bringt es aber                                                                 rausstellt.
noch nicht auf den Punkt. Respekt setzt
ein Interesse für die Person voraus, ein                                                              Damit Patientinnen und
(An-)Erkennen meines Gegenübers. Ich                                                                  Patienten, Bewohnerinnen
nehme ihn wahr und lasse mich auf ihn                                                                 und Bewohner sich wohl
ein.                                                                                                  fühlen, und für ein gutes
                                                                                                      Klima in der Dienstge-
Das kostet nicht viel Zeit, schon auf                                                                  meinschaft lohnt es sich,
den ersten Blick kann ich häufig erken-                                                                täglich an der eigenen re-
nen, wie es einem Menschen geht und                                                                    spektvollen Grundhaltung
ob er heute zum Beispiel lieber nicht                                                                  zu arbeiten. Und dabei hat
angesprochen werden möchte. Durch                                                                     jeder Respekt verdient.
Körperhaltung, Mimik, Aussehen, Klei-
dung, Schmuck, Akzent und Symbole                                                                             Kerstin Laumer
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4 misericordia 6/11    ·   Thema: Nachbarschaft

  Nachbarschaft auf dem Dorf

  Kaffeeplausch, Nachbar-
  schaftshilfe und Jaucheduft
  Die Abendsonne scheint sanft auf den        die sie die „Preißin“ war. Durch ihre An-   Gerd schnell Kontakte aufbauen, weil
  Balkon und der Wind lässt die Blätter       stellung in der benachbarten Saatzucht,     sie auch von den Bewohnern interessiert
  der satten grünen Bäume rascheln. Die       in der auch viele Bewohner des Dorfes       angesprochen wurden. Trotz der kurzen
  Vögel zwitschern, hie und da hört man       arbeiten, konnte sie schnell Kontakte       Zeit, die sie hier in Steinach wohnt,
  Hunde aufgeregt bellen und auch ein         knüpfen. Mit den engeren Bekannt-           kennt sie schon viele Bewohner in ihrer
  Uhu bringt sich mit ein. Was sich wie der   schaften und auch Freundschaften sind       Straße und ist mit diesen auf Du und Du.
  Anfang eines Heimatfilmes liest, kann       heute die Verständigungsprobleme ver-       Eine enge Beziehung zu den Nachbarn
  Birgit Heinze während der Frühlings-        schwunden, auch wenn sie selber des         bringt auch mit sich, dass diese einiges
  und Sommermonate täglich auf ihrem          Bayerischen noch nicht mächtig ist.         übereinander wissen: wer hier lebt, ist
  Balkon in Steinach, einem Dorf mit ca.                                                  nicht anonym. Für jemanden, der gerne
  3000 Einwohnern, genießen.                  Obwohl sie die letzten 33 Jahre in einer    abtauchen möchte, ist das Leben auf
                                              Stadt gewohnt hat, genießt sie heute das    einem Dorf nichts.
  Die 47-jährige ist vor zwei Jahren von      Leben in dem kleinen Dorf. Die Bezie-
  einer Stadt in Nordrhein-Westfalen mit      hungen zu den Nachbarn sind familiär,       In ihrer früheren Heimat im östlichen
  ihrem Mann in den niederbayerischen         sie interessieren sich für die Menschen     Ruhrgebiet war das Verhältnis unter
  Ort gezogen. In den ersten Monaten          in ihrer Umgebung. Birgit Heinze findet     den Anwohnern reserviert, man kannte
  hatte sie noch einige Verständigungs-       die Menschen hier ausgeglichener und        sich nicht mit dem Namen, aber nicht
  probleme mit den Einheimischen, für         ruhiger. Hier konnten sie und ihr Mann      aus Unhöflichkeit, es hat dort einfach

     Birgit Heinze genießt den Abend
     auf ihrem Balkon.
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Thema: Nachbarschaft      ·   misericordia 6/11 5

ausgereicht. Für ihre Nachbarn hier         dem Dorf finden kann. In der Straße,        im Laden Zeit für Gespräche und die
in Steinach ist ein solch distanziertes     in der sie lebt, fahren nur wenige Au-      Verkäuferinnen verraten schon mal ein
Verhältnis befremdlich. Birgit Heinze       tos, mehr finden Traktoren zu den an-       Geheimrezept für Plätzchen. Auch die
trifft sich öfter mit ihren Nachbarn zum    liegenden Feldern und zur Saatzucht         Bank am Ort hat nicht jeden Tag für die
Kaffeetrinken, Grillen oder es entsteht     ihren Weg dort vorbei. In Steinach gibt     Kunden geöffnet, doch das wissen die
ein spontaner Plausch auf der Straße, für   es immer Orte und Wege, an denen sie        Steinacher und organisieren sich ihre Er-
den fast immer Zeit ist.                    in der Natur ganz für sich sein kann und    ledigungen. Manchmal hat Birgit schon
                                            keine anderen Personen trifft, wenn sie     den Eindruck, dass hier die Bürgersteige
Ein ganz besonders inniges Verhältnis       das gerade nicht möchte. Auf ihren          um 17 Uhr hochgeklappt werden. Ob-
hat Birgit zu einer älteren Dame, die auf   Spaziergängen mit ihrer Hündin Kies-        wohl die Dorffeste sehr schön sind, fah-
der anderen Straßenseite wohnt und ihr      ha begegnet sie öfter Rehen oder Hasen.     ren die Jugendlichen doch lieber zum
mit viel Geduld schon das Stricken bei-     Schon das Summen von Bienen beim            Feiern in die nächsten Städte.
gebracht hat. Im Gegenzug nimmt Birgit      Bestäuben der Obstbäume im Frühling
sie mit ihrem Auto zum Einkaufen in         oder auch von Bibern gestaltete Sumpf-      Neben diesen Einschränkungen sollte
die zwölf Kilometer entfernte Stadt, die    landschaften reichen für sie aus, um den    einem der Gestank von Jauche hier auf
für ihre ältere Nachbarin ohne Auto nur     Alltag kurze Zeit zu vergessen.             dem Land nicht allzu viel ausmachen.
mit dem nicht so häufig fahrenden Bus                                                   Es kommt schon häufiger vor, dass die
zu erreichen wäre. Es sind viele Bezie-     An einige Gegebenheiten auf dem Dorf        draußen zum Trocknen aufgehängte
hungen gewachsen, die für Birgit ihre       musste sich die Wahlbayerin aber auch       frisch gewaschene Wäsche dadurch
neue Heimat Steinach zu einem „Zuhau-       erst mal gewöhnen. Die Öffnungszeiten       nicht mehr den Duft von Alpenfrische
se“ haben werden lassen.                    sowie das Sortiment des kleinen Ein-        hat. Doch was ist das schon gegen ei-
                                            kaufsladens am Ort sind begrenzt, für       nen Sonnenuntergang auf dem Balkon,
Besonders genießt die gebürtige Nord-       den Lieblingsjoghurt muss sie schon         die Ruhe und den Duft des blühenden
rhein-Westfälin die Ruhe, die sie auf       in die Stadt fahren. Doch dafür gibt es     Flieders?                       kl

Nachbarschaft in der Stadt

Macht Stadtluft frei?
Wer in idyllischer ländlicher Umgebung      Dame von nebenan den Fernseher so           mit halböffentlichem Charakter. Ein
aufgewachsen ist, wird mitunter dafür       laut dreht, dass die Nachbarn unfrei-       gemeinsam von der Hausgemeinschaft
bemitleidet, dass er nun „in der Stadt      willig am „Frühlingsfest der Volksmu-       genutzter Garten zum Beispiel kann
leben muss“. Klar – eine 60er-Jahre-        sik“ teilnehmen … Und auch sie gibt         sehr belebend wirken. Da treffen sich
Kindheit in einem oberbayerischen Bau-      es: die anonymen Wohnblöcke, in denen       die Kinder zum Sandspielen oder Schau-
erndörfchen prägt: Wie gut schmeckte        es nicht auffällt, wenn ein alter Mann      keln, die Eltern haben sie vom Küchen-
dem Vierjährigen die Brotrinde, die ihm     wochenlang tot in seiner Wohnung liegt.     fenster aus im Blick. Und jeden Sommer
der alte Nachbar zu essen gab, weil er                                                  gibt es ein rauschendes Hausfest, bei
sie selbst nicht mehr beißen konnte!        Neue Welten                                 dem – fast – alle mitmachen; da wird
Die Mutter lieh sich bei der Nachbarin                                                  gegrillt und geratscht, getrunken und ge-
Mehl oder Zucker, wenn es ausgegangen       Und doch können einem Nachbarn auch         gessen. Auch ehemalige Nachbarn, die
war und der Kramerladen geschlossen         neue Welten eröffnen: zum Beispiel          weggezogen sind, werden eingeladen,
hatte. Der Nachbar rief um Hilfe, wenn      wenn sie Afghanen sind, zu einem af-        weil aus Nachbarn Freunde geworden
die Geburt eines Kalbes sich schwierig      ghanischen Festmahl einladen und von        sind.
gestaltete. Auf der anderen Seite fiel es   dem landschaftlichen und kulturellen
natürlich sofort auf, wenn jemand beim      Reichtum ihrer Heimat erzählen. Oder        Mittlerweile gibt es in vielen Städten
Kirchgang am Sonntag fehlte.                wenn der sonst eher schüchterne, al-        auch neue Wohnprojekte, die berück-
                                            leinstehende Banker während des Ok-         sichtigen, dass Kommunikation und
Und in der Stadt? Hier leben viele Men-     toberfests plötzlich – in Lederhose statt   Gemeinschaft unter Nachbarn nur dort
schen auf engem Raum und gehen sich         Anzug gekleidet – an der Tür klingelt       entstehen, wo die Architektur sie auch
dabei manchmal gehörig auf die Nerven:      und rumalbert.                              fördert, das heißt: wo sie nicht nur
wenn das junge Paar einen Stock höher                                                   zweckmäßige Flure und Treppenhäu-
mal wieder Party macht bis morgens um       Um eine lebendige Nachbarschaft ent-        ser schafft, sondern Räume, die Be-
drei oder wenn die schwerhörige ältere      stehen zu lassen, braucht es Räume          gegnungen ermöglichen. Ein Beispiel
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6 misericordia 6/11    ·   Thema: Nachbarschaft

  ist hier ein Wohnprojekt in München-
  Riem, das die im Jahr 2000 gegründete
  Wohnbaugenossenschaft „wagnis“ ver-
  wirklicht hat.

  Wohnbaugenossenschaft
  „wagnis“ in München

  „wagnis 3“ in der Messestadt Riem
  verfolgt das Ziel „generationenüber-
  greifenden Wohnens in lebendiger
  Nachbarschaft, wobei die Genossen
  viel Raum für Eigeninitiative und Mit-
  bestimmung haben“. Die 2009 fertig-
  gestellte Anlage mit 97 Wohnungen in
  fünf Häusern hat mehr zu bieten als viele
  andere Projekte, zum Beispiel gibt es ein
  Restaurant, einen Mehrzweckraum für
  Seminare und Feiern, einen Werkraum
  für die Kreativen, einen Medienraum,
  einen Musikraum, Gäste-Appartements
  sowie Dachterrassen, teils mit Blick in
  die Alpen.

  Das Genossenschaftskonzept, in dem
  die Mitglieder sozusagen „Mieter im
  eigenen Haus“ sind, trägt dazu bei, dass
  die Wohnungen langfristig gesehen – für
  Münchner Verhältnisse – sogar relativ
  preiswert sind.

  „Stadtluft macht frei“, hieß es im Mit-
  telalter, das bedeutet: Nach „Jahr und
  Tag“ konnte ein vormals Leibeigener
  („Unfreier“) nicht mehr von seinem
  früheren Dienstherrn zurückgefordert
  werden, er wurde Bürger der Stadt. Zwar
  ziehen die Menschen heute nicht mehr
  in die Stadt, um der Leibeigenschaft zu
  entrinnen, aber mancher sucht und findet
  in der Stadt doch die Freiheit, sein ganz
  eigenes Leben zu leben. Inwieweit er
  sich dabei in das soziale Gefüge einer      Umfrage: Auf Nachbarn ist Verlass
  Nachbarschaft einbringen mag, bleibt
  dabei weitgehend ihm selbst überlassen.     (KNA) Für die meisten Deutschen ist Nachbarschaftshilfe einer Umfrage
                                              zufolge eine Selbstverständlichkeit. Wenn im Kühlschrank die Eier ausgegan-
  Auf jeden Fall kann die Nachbarschaft       gen sind oder die Zeit zu knapp wird, den Junior zur Sportstunde zu bringen,
  in der Stadt ein Lernfeld sein: sie kann    wird der Nachbar oft zum Retter in der Not. Fast drei Viertel der Befragten
  den Horizont erweitern und Toleranz         gaben an, sich gegenseitig auszuhelfen, wie eine am 21. April in Baierbrunn
  lehren gegenüber Menschen mit ande-         veröffentlichte Erhebung der GfK Marktforschung Nürnberg ergeben hat.
  rem Aussehen und Lebensstil, gegen-
  über Menschen mit anderem Denken            Zum Nachbarschaftsdienst gehörten unter anderem kleinere Hilfsleistungen,
  und Fühlen, gegenüber Menschen mit          Botengänge oder Leihgaben, heißt es. Bei vier von zehn Befragten gehe das
  anderer Religion. Und der Kirchgänger       freundschaftliche Verhältnis sogar so weit, dass sie ihre Nachbarn öfter zu
  muss damit leben, dass hier nun er der-     sich nach Hause einladen oder von ihnen eingeladen werden. 40 Prozent
  jenige ist, der in der Nachbarschaft als    feierten gelegentlich gemeinsame Feste. Die GfK Marktforschung Nürnberg
  Exot auffällt.                              befragte im Auftrag der „Apotheken-Umschau“ 2.084 Männer und Frauen
                                              ab 14 Jahren.
  js
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Thema: Nachbarschaft         ·   misericordia 6/11 7

Wohnen in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen – zu zweit oder allein

Wie es uns gefällt
Im Zweibettzimmer

Horst Just und Tobias Henneberger
wohnen seit Januar 2011 zusammen
in Algasing auf der Gruppe Fabian in
einem Zweibettzimmer. Zuvor beim
Probewohnen war Tobi auch schon bei
Horst im Zimmer und sie haben sich
angefreundet. Sie sagen: „Gleich von
Anfang an lief es super, jeder nimmt
Rücksicht auf den anderen.“ Mit Tobi
zog dann später auch Cara, sein Zwerg-
kaninchen, ein. Horst findet das gut.
Wenn den einen etwas stört, so sagt
er es dem anderen, und dann passt es
wieder. Nur an die Nachtgeräusche von
Horst muss sich Tobi noch gewöhnen.
Die einhellige Meinung der beiden: „Es
ist schön, wenn man nicht alleine ist,
wenn noch jemand zum Ratschen vor
dem Einschlafen da ist!“

         Sylvia Folger, Gruppe Fabian

Im Einzelzimmer
Seit bald 40 Jahren wohnt Albert Mo-
ser in Algasing. Er hat ein Einzelzimmer
auf Gruppe Jakobus, aber das war nicht
immer so. Hauszeitungsredakteurin Su-
sanne Grundner durfte sich sein Zim-
mer anschauen.

Herr Moser, seit wann wohnen Sie in
Ihrem Einzelzimmer?
Seit die Wohnhäuser hier gebaut worden
sind, also seit 1999.Vorher war ich auf
Gruppe Markus, da waren wir bis zu
acht, neun Bewohner in einem Zimmer.

War das der Grund für Sie, dann in
ein Einzelzimmer zu ziehen?
Nein, gar nicht. Mir wäre das egal gewe-
sen, aber das Einzelzimmer war nun mal     Horst Just (Foto oben, links) und Tobias Henneberger (mit Kaninchen Cara) fühlen sich wohl
da. Aber so hat man wenigstens seine       in ihrem Zweier-Zimmer, ebenso wie Albert Moser in seinem Einzelzimmer (Foto unten).
Ruh’. Keiner schnarcht.
                                           Sie sind aber sonst schon gerne in Ge-         Aber in einem Zweibettzimmer zu woh-
… und Sie können sich Ihr Fernseh-         sellschaft, oder?                              nen, das könnte ich mir jetzt gar nicht
programm selber aussuchen.                 Freilich, ich bin viel unterwegs, und das      mehr vorstellen.
Genau.                                     Leben auf der Gruppe gefällt mir auch.
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8 misericordia 6/11   ·   Thema: Nachbarschaft

                                                                                        Michael Harvolk (links) und Stefan Wolfs-
                                                                                        fellner in der Regensburger Druckerei Mar-
                                                                                        quardt, die auch diese Zeitschrift druckt.

                                                                                        Stefan immer wieder umziehen – vom
                                                                                        „Zehn-Quadratmeter-Kammerl“ bis
                                                                                        zur umgebauten Garage war alles da-
                                                                                        bei. Amüsiert erinnern sie sich an die
                                                                                        Zeit, als ihr Raum durch die Dunkel-
                                                                                        kammer von allen getrennt war: „Jeder
                                                                                        musste sich lautstark ankündigen“, es
                                                                                        hätte ja sein können, dass gerade in der
                                                                                        Dunkelkammer gearbeitet wird; „über-
                                                                                        raschender Besuch“ war somit ausge-
                                                                                        schlossen.

                                                                                        Die „verkaufte Kollegin“

                                                                                        Trotz des über die Jahre zunehmenden
                                                                                        Drucks in der Druck-Branche fanden
                                                                                        die beiden schon auch immer wieder die
                                                                                        Zeit für ein „Späßchen“. Einmal zum
                                                                                        Beispiel „verkauften“ sie eine Kollegin
                                                                                        an einen Metzger. Der nämlich hatte
  Michael Harvolk und Stefan Wolfsfellner arbeiten                                      ein Auge auf die junge Frau geworfen,
                                                                                        aber wie sollte er sich ihr nähern? Mike
  seit drei Jahrzehnten auf engstem Raum zusammen                                       und Stefan wussten Rat: Wenn er für die
                                                                                        Belegschaft der Druckerei Weißwürste

  Zuverlässig und
                                                                                        spendiere, dürfe er die Kollegin nach
                                                                                        Hause fahren. Tags darauf rückte der
                                                                                        verliebte Mann tatsächlich mit 30 fri-
                                                                                        schen Weißwürsten, Brezen und allem

  humorvoll                                                                             Drum und Dran an – nur: die Angebetete
                                                                                        wollte von der Autofahrt in trauter Zwei-
                                                                                        samkeit nichts wissen. „Macht nichts“,
                                                                                        meinten Mike und Stefan, „lass nur die
  30 Jahre sind eine lange Zeit – wenn       Meisterprüfung ab. Stefan Wolfsfellner     Weißwürste da!“
  zwei Menschen an fünf Tagen in der Wo-     durchlief die Schriftsetzer-Ausbildung
  che bis zu acht Stunden in einem kleinen   von 1980 bis 1983. Nach Stefans an-        Klar, dass sie sich auch gegenseitig ger-
  Raum miteinander arbeiten müssen, eine     schließender Bundeswehrzeit holte          ne auf den Arm nehmen: „Der geht alle
  sehr lange Zeit. Da entsteht entweder      Mike „seinen Lehrling“ wieder in die       drei Wochen zum Friseur und lässt sich
  eine herzliche Abneigung oder eine         Firma zurück.                              Strähnchen reinmachen“, lästert etwa
  tragfähige Freundschaft. Michael Har-                                                 der – mittlerweile ziemlich grau – ge-
  volk (50) und Stefan Wolfsfellner (47)     Gemeinsam gestalteten sie den großen       lockte Mike über den Kollegen Stefan.
  haben sich für letztere entschieden. Die   Umbruch mit, der sich in der Branche in    Dafür gibt er aber zu, dass er manch-
  beiden Schriftsetzer der Druckerei Mar-    den letzten Jahrzehnten vollzog: Beide     mal am Morgen „nicht zu genießen“
  quardt in Regensburg arbeiten seit 1980    hatten noch den traditionellen Bleisatz    sei. „Das kenne ich“, meint Stefan dazu,
  fast ununterbrochen zusammen – unter       erlernt und mussten sich Mitte der 80er    „dann lasse ich ihn einfach in Ruhe“.
  anderem sind sie an der Herstellung die-   Jahre auf Fotosatz umstellen. Bis 2004     Natürlich treten bei der Arbeit manch-
  ser Zeitschrift und der dazugehörigen      wurden noch Filme belichtet, seither       mal Reibungspunkte auf, aber das wird
  Hauszeitschriften maßgeblich beteiligt.    fällt dieser Schritt weg, die Druckplat-   „nie persönlich“.
                                             ten werden direkt vom Computer aus
  Umbruch                                    belichtet – die Zauberformel lautet CTP,   Für Stefan ist Mike ein „angenehmer und
  in der Druckbranche                        „Computer to Plate“.                       hilfsbereiter Mensch“. Und der erwidert
                                                                                        das Kompliment und ergänzt die Zuver-
  Michael Harvolk – alle nennen ihn          Da die Druckerei Marquardt in der          lässigkeit als eine wichtige Eigenschaft
  „Mike“ – absolvierte seine Lehre in        Regensburger Altstadt beheimatet ist,      von Stefan: „Wenn man krank ist, auf
  der Druckerei von 1977 bis 1980, sechs     sind die räumlichen Verhältnisse recht     Stefan kann man sich verlassen.“ Mike
  Jahre später legte er auch noch die        beengt. So mussten auch Mike und           weiß, wovon er spricht, denn er war ge-
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Thema: Nachbarschaft      ·   misericordia 6/11 9

rade wegen einer schweren Erkrankung         gemeinsamen Programm, zum Beispiel          türlich auch Kollege Stefan, der in Sin-
drei Monate nicht einsatzfähig.              von Deep Purple, den Scorpions, Led         zing wohnt, eingeladen, manchmal auch
                                             Zeppelin, Wolfgang Ambros. Allerdings       weitere Kollegen. Als Single hat Stefan
Gemeinsam zum Fußball                        geht der Musikgeschmack manchmal            meistens auch Zeit, sein Verhältnis zum
und auf Konzerte                             doch ein wenig auseinander: Während         weiblichen Geschlecht fasst er scherz-
                                             Stefan sich auch mal Stücke von „Place-     haft in dem Macho-Spruch zusammen:
Selbstverständlich hat Stefan seinen         bo“ oder den „Foo Fighters“ anhört, be-     „Frauen nur ambulant, niemals statio-
Kollegen während dessen Krankheit            schwört Mike mit seinem Gitarrenspiel,      när“.
über die Spielverläufe beim Fußballclub      das er sich mit 40 noch angeeignet hat,
Jahn Regensburg informiert. Denn der         eher die Lagerfeuer-Romantik.               Eigentlich sehen die beiden Schriftsetzer
gemeinsame Stadionbesuch gehört bei                                                      sich in der Regel nur am Sonntag nicht;
Heimspielen für beide zum Wochenend-         Zuhause in Rohrbach, einem Ortsteil         es sei denn, es ist in Regensburg gerade
Ritual, und wenn das Auswärtsspiel           des idyllischen, bei Künstlern beliebten    Seligsprechung von Eustachius Kug-
nicht zu weit entfernt stattfindet, fahren   Ortes Kallmünz, hat sich Mike ein 20        ler. Denn da feierten sie mit und zogen
sie auch dorthin. Hin und wieder stehen      Quadratmeter großes „Blockhaus wie          im Prozessionszug zum Krankenhaus
zudem Besuche von Konzerten auf dem          in Kanada“ gebaut. Zu Festen wird na-       Barmherzige Brüder.                 js

Karl Engelmann leitet in Algasing den Kirchenchor und die Rhythmusgruppe

Nachbar mit musikalischer Mission
Als Karl Engelmann vor zwei Jahren           20 Bewohnerinnen und Bewohnern              sein ehrenamtliches Engagement eine
seinen 70. Geburtstag feierte, da gra-       macht er Kirchen- und Volksmusik.           Rolle. Die Arbeit mit den Algasinger Be-
tulierten nicht nur alle Nachbarn aus        Die Rhythmusgruppe umrahmt kirch-           wohnern bringe ihm einen Ausgleich,
Eibach, sondern ganz selbstverständ-         liche Feiern wie die Johannifeier, die      sagt Engelmann. „Wenn sie sich freuen,
lich auch die Barmherzigen Brüder aus        Maiandachten, den Martinsabend und          dann freut’s mich auch. Ich mache das,
Algasing; gehört der ehemalige Grund-        die Christmette. Auch die lange Tradi-      solange ich rüstig bin und solange ich
schullehrer doch seit mehr als 40 Jahren     tion des Neujahrsanblasens setzen Karl      ihnen etwas Gutes tun kann.“ Wenn es
zum ehrenamtlichen Stammpersonal der         Engelmann und seine Musiker fort.           nach den Algasingern geht, sollte ihr
Behinderteneinrichtung.                                                                  liebster Nachbar bitte noch recht lange
                                             Dass er die 70 überschritten hat, merkt     so rüstig bleiben.
Es ist nur ein Katzensprung von Eibach       man ihm nicht an. Neben seinen täg-
nach Algasing. Karl Engelmann dürf-          lichen Radtouren spielt da wohl auch        Susanne Grundner
te die Wegstrecke wohl schon mehre-
re tausend Male zurückgelegt haben,
entweder auf dem Weg zur Chorprobe,
zur Probe mit seinen Musikern von der
Rhythmusgruppe oder zu einer der vie-
len Aufführungen im Jahr. Neben sei-
nem Faible für Heimatgeschichte erfüllt
ihn nämlich noch eine zweite, große Lei-
denschaft: die für die Musik.

Für die Barmherzigen Brüder Algasing
ist das ein großes Glück. Als der frisch
verheiratete Junglehrer 1968 nach Ei-
bach zog, da ließ er sich sofort für den
Kirchenchor einspannen. Inzwischen
leitet er selbst den Chor, ohne den die
Algasinger Kirchenfeste nicht denkbar
wären.

Vor genau 20 Jahren gründete er außer-
dem auf Anregung des damaligen Pri-
ors, Frater Eduard Bauer, die Algasinger     Nur ein paar hundert Meter trennen Algasing vom Eibacher „Karlsplatz“. Karl Engel-
Rhythmusgruppe. Zusammen mit circa           mann vor dem Schild, das ihm die Nachbarn zum 70. Geburtstag geschenkt haben.
Nachbarschaft - barmherzige.info
10 misericordia 6/11   ·   Barmherzige Brüder in Bayern
Barmherzige Brüder in Bayern      ·   misericordia 6/11 11

10. Juni: Gedenktag des seligen Eustachius Kugler

Ein Leben voll Demut
und Nächstenliebe
Anlässlich der Seligsprechung von Frater Eustachius Kugler am 4. Oktober 2009 hat Andreas Weigl (66), Stadtrat in Nittenau,
ein Gedicht verfasst. Der pensionierte Kriminalbeamte kam im Gespräch mit den Bewohnern eines Altenheims auf die Idee, das
Leben Eustachius Kuglers in Reimform zusammenzufassen, weil die alten Menschen nicht so gerne lange Texte lesen wollten.

Erinnern wir uns an jene Zeit,                                 reichten Joseph nicht zum Leben,
geprägt von Armut und Bescheidenheit,                          so taten die Geschwister geben,

die einem jungen strebsamen Paar                               was für den Jüngsten nötig war,
ein Leben lang beschieden war.                                 der Zusammenhalt war wunderbar.

Michael Kugler und Schuster Anna Maria                         Sein Traum vom Handwerk geriet ins Wanken
lernten sich kennen und kamen sich nah.                        und er haderte mit dem Gedanken,

Man sagt, es waren zwei kreuzbrave Leut`,                      vielleicht war Gottes Wille im Spiel,
die sich versprachen auf Lebenszeit,                           dass er so tief vom Baugerüst fiel.

einander zu lieben und zu achten                               Ein offener Bruch am rechten Bein
und nach Gottes Gunst zu trachten.                             sollte das Ende des Schlossers sein.

Harte Arbeit wurde getan,                                      Es drohte die Berufsunfähigkeit,
der Vater schaffte als Hufschmied an,                          für Joseph mit die schlimmste Zeit.

die Mutter plagte sich nicht minder                            Margarethe Spitzer sah es ihm nach
und versorgte die sechs Kinder.                                und holte ihren Bruder nach Reichenbach,

Im Dorf Neuhaus mit Blick zum Regen,                           wo er half eine gewisse Zeit
unweit dem Städtchen Nittenau gelegen,                         dem Schwager bei der Hofarbeit.

kam auch das jüngste Kind zur Welt,                            Schon bald nahm sich der Joseph dann
der Name Joseph wurde gewählt.                                 dem Vorbeten in der Kirche an.

In der Volksschule in Nittenau                                 Teils dankbar und teils amüsant
machte er sich für`s Leben schlau                              hat man ihn Klostersepp genannt.

und in der Pfarrkirche daneben                                 Als die Mutter dann verstarb
holte er sich Gottes Segen.                                    und Schwester Katharina um ihn warb,

Zum Ende seiner Volksschulzeit                                 zog er schließlich bei ihr ein,
ergriff er die Gelegenheit                                     es sollte die Gelegenheit sein,

und trat mit 14 Jahren dann                                    beim Reichenberger-Schmied, Katharinas Mann,
eine Schlosserlehre in München an.                             als Schlosser zu helfen, soweit er kann.

Die zehn Pfennig Lohn pro Tag,                                 Die Barmherzigen Brüder in Reichenbach
schier unbegreiflich heutzutag,                                sanierten das Kloster nach und nach,

Eustachius Kugler legt seine Feierliche Profess ab.
Gemälde von Franz Leisner, Reichenbach
12 misericordia 6/11     · Barmherzige Brüder in Bayern

    wo bis zuletzt eine Fabrik existierte,                und Kranke wie Behinderte pflegte,
    in der man Steingut produzierte.                      bevor er die Profess ablegte.

    Eine Pflegeeinrichtung sollte entstehen               Nach drei Jahren Aufenthalt
    für die Ärmsten, die um Hilfe flehen,                 in der Reichenbacher Pflegeanstalt

    für Kranke an Körper, Seele und Geist,                hatte der Frater nur einen Gedanken,
    die man pflegt, betreut und speist.                   sich zu stellen in den Dienst der Kranken.

    Der Dorfschmied bot sein Handwerk an,                 Die Karriere nahm nun ihren Lauf,
    der Orden war sehr angetan                            schon bald stieg er zum Prior auf.

    und übertrug ihm für die Wohneinheiten                Unerwartet, mit 58 Jahren,
    die Spengler- und die Schlosserarbeiten.              durfte Eustachius davon erfahren,

    Trotz der starken Behinderung                         dass ihn in geheimer Wahl
    und vager Hoffnung auf Besserung                      das Provinzkapitel wählte zum Provinzial.

    half Joseph Kugler seinem Schwager                    Mit Fleiß und Sinn für Gerechtigkeit
    auf der Baustelle und im Lager.                       bei bleibender Bescheidenheit,

    War es damals sein Bestreben,                         übernahm fortan der Barmherzige Bruder
    seinen Beruf dort auszuleben,                         für 18 Häuser das wegweisende Ruder.

    so war er trotzdem interessiert,                      Eustachius Kuglers Meisterstück
    was dort oben im Kloster alles passiert.              geht auf den Krankenhausbau zurück,

    Der Ordenseintritt bestärkte ihn                      der in Regensburg war geplant
    nicht nur wegen der Disziplin,                        und im Dessauer Bauhausstil entstand.

    sondern weil er dort Hilfe bekam,                     Weit über die Grenzen Bayerns hinaus
    indem sich ein Frater der Wunde annahm,               sprach man vom Musterkrankenhaus,

    die seit dem Sturz nicht heilen wollte                errichtet für Männer und für Frauen
    und mittels Pflege sich schließen sollte.             mit einem ausgeprägten Gottvertrauen.

    Kaum jemand ahnte zu der Zeit,                        Als man mit dem Bau begann
    als ihr Sepp Kugler war bereit,                       bahnte sich eine schwere Krankheit an,

    sich zu binden an den Orden,                          die sich entpuppte als unheilbar
    was aus ihm dort ist geworden.                        und sich verschlimmerte von Jahr zu Jahr.

    Im Laufe der Kandidatenzeit                           Geplagt von Leid, Sorge und Stress
    bekam Joseph sein Ordenskleid                         feierte er noch die Goldene Profess

    und nahm, eh er als Novize begann,                    mit seinen Brüdern im kleinen Kreis,
    den Ordensnamen Eustachius an.                        der letzte Markstein, so sein Geheiß.

    Die Aufnahme ins Noviziat,                            Frater Eustachius, stark im Gebet,
    um die der Frater Eustachius bat,                     wusste längst, wie es um ihn steht,

    erfolgte wegen der Behinderung                        und so ertrug er Schmerz und Leid
    erst bei erneuter Abstimmung.                         geduldig bis an das Ende der Zeit,

    Vom Ort der Prüfung über ein Jahr,                    in der er wirkte sein Leben lang
    die im Kloster Neuburg war,                           mit unermüdlichem Schaffensdrang.

    kam er zurück an jenen Ort,                           1946 war es so weit,
    wo er sich fügte Gottes Wort                          der Provinzial starb im Ruf der Heiligkeit.
Barmherzige Brüder in Bayern      ·   misericordia 6/11 13

D    ie Geburt eines neuen Familienmit-
     glieds gehört zu den aufregendsten
Augenblicken im Leben. Und kaum ist                                                       Babygalerie der
der neue Erdenbürger da, erobert er die
Herzen aller im Sturm. Für die frischge-                                                  Klinik St. Hedwig
backenen Eltern bietet die Frauen- und
Kinderklinik St. Hedwig der Barmher-
zigen Brüder Regensburg zusammen mit
der Agentur Babysmile seit diesem Früh-
jahr einen neuen Service: Auf Wunsch
besucht eine professionelle Fotografin
Mutter und Kind auf der Wochenbett-
station und hält die schönsten Momente
aus den ersten Lebenstagen fest. Das
Fotografieren ist kostenlos, auch eine
Glückwunschkarte mit Bild erhält jede
Familie als Geschenk. Auf Wunsch wird
das Bild auch auf der Internetseite der
Klinik St. Hedwig eingebunden. Zusätz-
liche Bilder können erworben werden.

Weitere Infos und viele schöne Baby-
bilder gibt es auf www.barmherzige-
regensburg.de/babygalerie.html.

Klosternacht in Regensburg und Algasing                                                   man Geist und Seele stärken kann. Am
                                                                                          10. Juni, dem eigentlichen Gedenktag
Der eigenen Spiritualität nachspüren                                                      des seligen Eustachius Kugler, feiert
                                                                                          der Abt des Benediktinerklosters Plank-
                                                                                          stetten, Dr. Beda Sonnenberg, zusam-
Anlässlich des Gedenktages des seligen        ist den Menschen ein wirklicher Bru-        men mit den Barmherzigen Brüdern, den
Eustachius Kugler am 10. Juni gestal-         der gewesen. Ein geerdeter Mensch,          Kranken und der Hausgemeinschaft um
ten die Regensburger Barmherzigen             der seine Kraft aus der Spiritualität des   18.30 Uhr einen Festgottesdienst in der
Brüder am Donnerstag, den 9. Juni ab          Evangeliums geschöpft hat“, erklärt         Krankenhauskirche. Auch hierzu sind
19.30 Uhr eine Klosternacht im Kran-          der Physiotherapeut und Barmherzige         alle herzlich eingeladen, die in dem
kenhaus. Mit meditativen Angeboten,           Bruder Seraphim Schorer (auf dem Foto       Seligen einen treuen Wegbegleiter ge-
Kirchenführungen und einer Lichtfeier         unten in der Mitte) auf die Frage, was      funden haben.
mit anschließendem Imbiss laden sie al-       ihn am Seligen fasziniere. Im Rahmen
le Interessierten ein, ihrer eigenen Spiri-   einer Klosternacht können Besucher          „Wo Gott ist, da ist Zukunft“ – unter
tualität nachzuspüren und mehr über den       jetzt mehr über die Person des neuen        diesem Leitspruch, der von Papst Be-
Orden zu erfahren. „Eustachius Kugler         Seligen erfahren und selbst erleben, wie    nedikt XVI. stammt, steht die zweite
                                                                                          Klosternacht der Barmherzigen Brüder
                                                                                          in Algasing am Freitag, den 1. Juli ab
                                                                                          18.30 Uhr (nicht am 2. Juli, wie in der
                                                                                          April-Ausgabe angekündigt!). Nach
                                                                                          der Segnung eines Feldkreuzes findet
                                                                                          eine Eucharistiefeier statt, die durch den
                                                                                          Buchbacher Chor „Harmonie“ begleitet
                                                                                          wird. Danach gibt es Einblicke in das
                                                                                          Ordensleben bei einer Hausführung (in-
                                                                                          klusive Klausur), beim „Klosterkino“
                                                                                          und bei Gesprächen mit Barmherzigen
                                                                                          Brüdern. Nach verschiedenen Work-
                                                                                          shops wird eine Stärkung gereicht; ihren
                                                                                          Abschluss findet die Klosternacht gegen
                                                                                          23 Uhr in einer Lichterprozession.
                                                                                                          Franziska Schiegl/js
14 misericordia 6/11    · Barmherzige Brüder in Bayern

                                                                                        Vor allem Haare-Schneiden und Rasieren
                                                                                        war bei den Männern gefragt.

                                                                                        enorm und wir waren neugierig, ob sich
                                                                                        die Angemeldeten auch wirklich ent-
                                                                                        spannen und Neues zulassen würden.
                                                                                        Das Meistgewünschte war die Rasur
                                                                                        durch zarte Frauenhände, Haare wurden
                                                                                        geschnitten, Gesichtsmassagen durch-
                                                                                        geführt und natürlich wurden auch die
                                                                                        Hände und Füße verwöhnt. Überrascht
                                                                                        waren wir von der „Tiefenentspannt-
                                                                                        heit“ ansonsten eher aktiver Bewohner,
                                                                                        selbst genüssliches Hinwegschlummern
                                                                                        bei sanfter Entspannungsmusik war kein
                                                                                        Einzelfall.

                                                                                        Das Rundum-Verwöhn-Angebot wur-
                                                                                        de mit einer Tasse Kaffee und Gebäck
    Wellnesstag – in Algasing                                                           abgerundet, und all dies gab es für die
                                                                                        Teilnahmegebühr von nur einem Euro.
    jetzt auch für Männer                                                               Im Herbst werden wir wieder sowohl
                                                                                        für Frauen als auch für Herren jeweils
                                                                                        einen Tag anbieten.
    Erstmalig wurde bei den Barmherzigen       nesstag (wir berichteten) auch für die
    Brüdern Algasing im April neben dem        Herren ein Tag zum Rundum-verwöh-        Sylvia Folger für das
    schon fest etablierten Frauen-Well-        nen-lassen angeboten. Der Andrang war    Algasing-Aktiv-Wellnessteam

    Erste-Hilfe-Kurs für Bewohner in Algasing
    Das erstmals in das Programm „Alga-
    sing Aktiv“ aufgenommene Angebot
    eines Erste-Hilfe-Kurses für Bewoh-
    nerinnen und Bewohner bei den Barm-
    herzigen Brüdern Algasing erfreute sich
    großen Interesses. Insgesamt nahmen 16
    Bewohner und eine externe Werkstatt-
    gängerin teil. Ob es um das Verhalten
    an einer Unfallstelle ging oder um die
    Erstversorgung von Wunden, alle waren
    mit großer Diskussionsbereitschaft und
    Tatendrang bei der Sache, zeigten aber
    auch die Bereitschaft, sich das anzueig-
    nen, was akut hilfebedürftige Menschen
    benötigen.

    Schnell wurde klar, dass ein Vormittag
    für diese Veranstaltung nicht ausreichen
    würde, so wurde beschlossen, acht Ta-
    ge später einen zweiten Teil des Erste-
    Hilfe-Kurses stattfinden zu lassen. Da     kunde sowie ein Skript überreicht. Der                  Übung macht den Meister:
    ging es unter anderem um Themen wie        nächste Erste-Hilfe-Kurs für Bewohner                      Unter anderem wurden
    Sonnenstich, Insektenstich, Verhalten      ist bereits in Planung.                            die Bewohner beim Erste-Hilfe-
    bei Vergiftung und schließlich um die                                                         Kurs der Barmherzigen Brüder
                                                                                                       Algasing im Anlegen eines
    Stabile Seitenlage. Nach einem ab-         Gerda Guillery
                                                                                                        Druckverbandes geschult.
    schließenden Test bekamen alle eine Ur-    Pflegekoordinatorin
Barmherzige Brüder in Bayern     ·   misericordia 6/11 15

Neuer Verwaltungsdirektor im Provinzialat
Ansgar Dieckhoff (44) hat Bernd Peter
(62) als Verwaltungsdirektor im Pro-
vinzialat der Barmherzigen Brüder in
München abgelöst. Bernd Peter war
mit dieser Aufgabe gut sieben Jahre be-
traut und verabschiedet sich nun in den
Ruhestand. Provinzial Frater Emerich
Steigerwald würdigte Peters „wertvollen
Einsatz für die bayerische Ordenspro-
vinz in einer bewegten Zeit“. Der neue
Verwaltungsdirektor ist seinem Vorgän-
ger für die „ausgesprochen freundliche“
Zusammenarbeit und Übergabe dankbar
und gespannt auf die vielfältigen Aufga-
benstellungen im Provinzialat.

Ansgar Dieckhoff ist im Münsterland
aufgewachsen. Nach dem Abitur in Bad
Iburg absolvierte er eine Banklehre und
studierte dann Betriebswirtschaft an der
Uni Osnabrück. Nach dem Abschluss             Bernd Peter (links)
als Diplom-Kaufmann 1994 durchlief            und Ansgar Dieckhhoff
er ein Trainee-Programm bei der Hy-
poVereinsbank und war später in der        bewertungen. Zuletzt war Dieckhoff        Der verheiratete Vater von zwei Töchtern
Großbank als Teamleiter für den in-        als Geschäftsführer bei einer Münchner    lebt als Naturliebhaber gerne in Bayern,
stitutionellen Vertrieb zuständig. Zu      Wohnungsbaugesellschaft tätig, wo er      das „viel zu bieten“ habe, und fühlt sich
seinen Aufgaben zählten dabei unter        neben der kaufmännischen Leitung un-      auch in München wohl, das „wie ein
anderem die Betreuung institutioneller     ter anderem auch mit dem Grundstücks-     großes Dorf“ sei. Als „Zahlenmensch“
Kunden bei der Kapitalanlage, Unter-       einkauf und dem Kontakt mit Behörden      bekennt Ansgar Dieckhoff seine Leiden-
nehmensanalysen und Unternehmens-          und Architekten befasst war.              schaft für das Skatspielen.         js

                                           Boys Day in Reichenbach
                                           Sich einen Tag lang mal typische Frau-    richtung für Menschen mit Behinderung
                                           enberufe – in diesem Fall den der Heil-   der Barmherzigen Brüder Reichenbach
                                           erziehungspflegerin – anschauen und       kamen. Ihre Bilanz nach ihrem Einblick
                                           vielleicht auch gleich ein wenig aus-     in Johann von Gott Werkstatt und För-
                                           probieren. Das war der Plan von zehn      derstätte: „Das war wirklich eine posi-
                                           Schülern der Mittelschule Roding, die     tive Erfahrung.“
                                           am 14. April am Boys Day in die Ein-                        Michaela Matejka

                                                                           Wir gratulieren
                                                                           zum 80. Geburtstag am 10. Juni
                                                                           Pater Leodegar Klinger, Regensburg
Wie arbeiten Heilerziehungspflegerinnen
und Menschen mit Behinderung in einer
Werkstatt zusammen?
16 misericordia 6/11    · Barmherzige Brüder weltweit

    Erneuerungskurs für die Brüder in der Region Europa

    Damit die Berufung wieder
    Kraft und Frische erhält
    Das Thema „Erneuerung“ ist eines der      und vom 30. November bis 2. Dezember       Die Arbeitsmethode des Kurses war
    Kernthemen und Hauptziele der der-        2011 in Kostenz anbieten. Voraussicht-     durch die aktive Beteiligung der Teil-
    zeitigen Generalleitung des Ordens der    lich werden 60 Barmherzige Brüder an       nehmer bestimmt. Deswegen waren
    Barmherzigen Brüder. Im Rundschrei-       den Veranstaltungen teilnehmen.            die Referate eher kurz gehalten und
    ben „Das neue Gesicht des Ordens“ hat                                                es gab viel Raum für Diskussion und
    Generalprior Frater Donatus Forkan ein-   Bei der Eröffnung des Kurses sagte der     Austausch. Die Referenten sollten Per-
    dringlich auf die Notwendigkeit eines     Ordensgeneral, dass Gott diesen Orden      sonen sein, die den Orden gut kennen
    ordensweiten Erneuerungsprozesses         nicht gewollt habe, um in dieser kri-      und klare Zukunftsvisionen geben kön-
    hingewiesen.                              sengeschüttelten Zeit viel Ordensnach-     nen. Der letzte Teil „Ausblick in die Zu-
                                              wuchs zu haben, sondern um heilende        kunft“ sollte in spezifischer Weise von
    Auch Kurse                                Präsenz in der Kirche zu sein. Haben       den anwesenden Brüdern ausgehen und
    in Wien und Kostenz                       wir in den vergangenen Jahren viel Kraft   ihre Erfahrungen, Ideen und Vorschläge
                                              und Energie darauf verwendet, in un-       beinhalten.
    Vor diesem Hintergrund fand vom 14.       seren Werken die Fenster zu öffnen und
    bis 19. März 2011 in Rom ein Modell-      neue Wege zu gehen, so haben wir dabei     Zwischenzeitlich haben die verantwort-
                                              das eigene Gebets- und Gemeinschafts-      lichen Mitbrüder der österreichischen
                                              leben oft vernachlässigt.                  und bayerischen Ordensprovinz ein
                                                                                         vorläufiges Programm für die Kurstage
                                              Bruder soll nicht Verwalter,               in Wien und Kostenz ausgearbeitet. Sie
                                              sondern Prophet sein                       orientierten sich dabei an den Vorgaben
                                                                                         der Unterkommission zur Erneuerung
                                              Frater Donatus Forkan sprach von ei-       des Ordenslebens, die sich in den ver-
                                              ner unbekannten Zukunft, der sich je-      gangenen Jahren zweimal am Sitz der
                                              der Bruder stellen müsse, und von der      Generalkurie in Rom getroffen hat.
                                              Verantwortung, die jeder Bruder in         Ebenso wurden auch die Erfahrungen
                                              der Gemeinschaft übernehmen müsse.         eingearbeitet, die von den österrei-
                                              Bezug nehmend auf die Aussagen des         chischen und bayerischen Mitbrüdern
                                              visionären Ordensgenerals Pierluigi        beim Pilotkurs in Rom gemacht wurden.
                                              Marchesi verwies er darauf, dass der
                                              Barmherzige Bruder von heute kein          Vorbereitungstreffen
                                              Verwalter traditioneller Schätze, son-     in Reichenbach
                                              dern ein Prophet sein soll.
                                                                                         Provinzial Frater Emerich Steigerwald
                                              Der Pilotkurs zur Erneuerung der Brü-      hat die in Verantwortung stehenden
    Generalprior Frater Donatus Forkan er-    der gliederte sich in sechs Kurstage mit   Mitbrüder zu einem Vorbereitungstref-
    öffnete den Erneuerungskurs in Rom.       folgenden Themen:                          fen für den Erneuerungskurs am 8. Juni
                                                                                         2011 nach Reichenbach eingeladen. In
    kurs statt, an dem die gesamte General-   -   Ordenschristen in der Welt von heute   dem Brief schreibt er: „Mit den Mit-
    leitung und aus allen Provinzen Europas       sein                                   brüdern des gesamten Ordens vereint,
    jeweils zwei Mitbrüder teilnahmen. Aus    -   Weihe und spirituelles Leben als       wollen wir uns mit viel Hoffnung, aber
    der bayerischen Provinz waren Frater          Schlüssel zur Erneuerung               auch mit Begeisterung in den für uns
    Christoph Meißner und Frater Eduard       -   Voraussetzungen und Herausforde-       alle notwendigen Erneuerungsprozess
    Bauer beteiligt. Im Laufe dieses Jahres       rungen an eine zeitgemäße Jugend-      einbinden, damit unsere Berufung wie-
    soll dieser Modellkurs in allen europä-       und Berufungspastoral                  der die Kraft und Frische erhält, die uns
    ischen Provinzen umgesetzt werden.        -   Neue Anforderungen an den Or-          als frohe Zeugen des Evangeliums der
    Die österreichische und bayerische Or-        densauftrag                            Barmherzigkeit ausweist.“
    densprovinz werden den zweimoduligen      -   Die Zukunft des Ordenslebens ge-
    Kurs vom 5. bis 7. Oktober 2011 in Wien       stalten                                feb
Barmherzige Brüder weltweit       ·   misericordia 6/11 17

Der Generalprior mit der deutschen Sprachgruppe bei der Regionalkonferenz in Dublin (von links): Geschäftsführer Dr. Christoph Scheu
(Klinikum St. Elisabeth Straubing), Wohnbereichsleiterin Sabine Scheiblhuber (Straubing), Provinzial Frater Emerich Steigerwald (Bay-
ern), Generalrat Frater Rudolf Knopp, Generalprior Frater Donatus Forkan, Provinzial Frater Ulrich Fischer (Österreich), Provinz-
delegat Frater Martin Macek (Tschechien), Pflegedirektorin Brigitte Polstermüller (Eisenstadt), Direktor Adolf Inzinger (Provinzialat
Wien), Provinzsekretär Frater Eduard Bauer (Bayern)

4. Regionalkonferenz Europa in Dublin

Musik der Hospitalität
Zur 4. Regionalkonferenz Europa der          Bei der Bearbeitung der Themenbe-             Spanien ausgewertet. Dies ergab, dass es
Barmherzigen Brüder haben sich vom           reiche erinnerten sich die Teilnehmer         in wesentlichen Teilen umgesetzt wur-
11. bis 15. April 46 Vertreterinnen und      an die Aussagen von Papst Benedikt            de. Einige Projekte sind aber noch nicht
Vertreter aus den elf Ordensprovinzen        XVI. bei seiner Englandreise 2010. In         abgeschlossen. So muss zum Beispiel
Europas in Dublin/Irland versammelt.         Westminster sagte er, dass die ethischen      die interprovinzielle Zusammenarbeit
Motto des Treffens: „Die Familie des         Prinzipien einer Demokratie nicht nur         weiter gefördert und vertieft werden.
heiligen Johannes von Gott als Dienst-       auf gesellschaftlichem Konsens beruhen        Außerdem ist das veränderte Rollenver-
gemeinschaft“. Die Konferenz befasste        dürften. Die globale Finanzkrise habe         ständnis von Brüdern und Mitarbeitern
sich schwerpunktmäßig mit folgenden          gezeigt, dass „pragmatische Kurzzeit-         eine bleibende Herausforderung.
Themen:                                      lösungen“ für komplexe soziale und
                                             ethische Probleme unbrauchbar seien.          Der Orden in zehn Jahren
- Der Orden in Europa in zehn Jahren
- Leitung, Strukturen der Zukunft in         Der Generalprior des Ordens, Frater           Der zweite Arbeitstag diente der Zu-
  den Provinzen                              Donatus Forkan, sagte zu Beginn der           kunftsvision: „Der Orden in Europa in
- Das Generalkapitel 2012                    Konferenz: „Unsere Gesellschaft, die          zehn Jahren“. Hierbei wurden vier The-
                                             Kirche, das Ordensleben, die Politik          menbereiche angegangen, die auf der
Auf die Themen wurde mit Referaten           und die Wirtschaft befinden sich in           Ebene des Gesamtordens, der Provinzen
eingestimmt. Anschließend gingen die         einer ernsthaften Krise. Viele unserer        und der interprovinziellen Kommissi-
Teilnehmer in Sprachgruppen, um die          Dienstleistungen können nicht mehr            onen bearbeitet und vertieft werden
Inhalte zu diskutieren. Die unterschied-     aufrechterhalten werden, weil einfach         müssen:
lichen Sichtweisen von Ordensbrüdern         die Mittel fehlen. Krisen bergen aber
und Mitarbeitern bereicherten die Klein-     immer auch neue Möglichkeiten. Wir            - Die Brüder und Mitarbeiter müssen
gruppen sehr. Es bot sich die Möglich-       müssen unserer Zukunft eine Chance              sich als Einheit bei der Umsetzung
keit, einen weiteren Schritt auf dem Weg     geben und sie aktiv gestalten“.                 des Ordensauftrages verstehen.
zur Hospitalfamilie zu beschreiten. Die                                                    - Die Bildungsarbeit und die Dialog-
Ergebnisse wurden schriftlich festge-        Am Nachmittag des ersten Sitzungstages          prozesse zu den Werten und Prin-
halten und anschließend im Plenum            wurde das Beschlusspapier der 3. Eu-            zipien der Hospitalität gehören zu
präsentiert.                                 ropakonferenz 2009 in Los Molinos in            den vorrangigen Aufgaben. Gemein-
18 misericordia 6/11     · Barmherzige Brüder weltweit

      same Programme für Mitarbeiter und          ment muss intensiviert werden.
      Brüder erscheinen besonders wichtig.      - Grundsätzlich sollte der Erfahrungs-
    - Unerlässlich ist die Verbesserung und       austausch und die Zusammenarbeit
      Intensivierung der Zusammenarbeit           unter den Provinzen gefördert wer-
      der Einrichtungen in den Provinzen,         den.
      der Provinzen untereinander und auf       - Die Personalgewinnung und die Aus-
      europäischer Ebene.                         wahl für leitende Positionen werden
    - Gewünscht wird ein Erfahrungsaus-           zur wichtigsten Aufgabe. Dabei wä-
      tausch zu den verschiedenen Ma-             ren ordenseinheitliche Kriterien sinn-
      nagement- und Leitungsstrukturen            voll.
      der europäischen Provinzen.
                                                Für die zukünftige Durchführung von
                                                                                           Generalrat Frater Rudolf Knopp und Sa-
    Das Für und Wider der Eröffnung eines       Generalvisitationen ist bei dieser Kon-
                                                                                           bine Scheiblhuber beim Gespräch in der
    Büros bei der Europäischen Union in         ferenz eine Ideensammlung entstanden.      deutschen Sprachgruppe
    Brüssel wurde in Untergruppen rege          Sie soll von der Europakommission und
    diskutiert, im Anschluss aber von den       vom erweiterten Generaldefinitorium        pitel müsse ein Anstoß für die Familie
    Teilnehmern der Konferenz einstim-          diskutiert werden. Wünschenswert wäre      des heiligen Johannes von Gott sein, um
    mig beschlossen. Die Kosten werden          die Erarbeitung einer Handreichung für     gemeinsam und universell die „Musik
    gemeinsam von allen europäischen Pro-       Visitationen.                              der Hospitalität“ zu spielen. Die Ideen,
    vinzen getragen. Das Projekt ist auf fünf                                              die von den einzelnen Arbeitsgruppen
    Jahre angelegt. Eine erste Auswertung       Generalkapitel 2012                        zur Gestaltung des nächsten Generalka-
    soll 2015 erfolgen.                                                                    pitels eingebracht wurden, sollen ihren
                                                Vom 22. Oktober bis zum 9. November        Niederschlag im Programm des Gene-
    Künftige Leitungsstrukturen                 2012 findet das Generalkapitel in Fatima   ralkapitels 2012 finden.
                                                (Portugal) statt. Im Abstand von sechs
    Bei der Frage nach den zukünftigen          Jahren treffen sich Ordensbrüder aus       In seiner Schlussansprache dankte Ge-
    Leitungsstrukturen ergaben sich fünf        allen Provinzen der Welt und berufene      neralprior Frater Donatus Forkan der
    Schwerpunktthemen:                          Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um       westeuropäischen Provinz für die groß-
                                                gemeinsam über zentrale Themen der         artige Gastfreundschaft und überreichte
    - Flexible, an die Wirklichkeit ange-       Familie des heiligen Johannes von Gott     den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
      passte Strukturen sollen dem Sen-         zu beraten und zu beschließen.             Blumensträuße und kleine Geschenke.
      dungsauftrag dienen und dessen                                                       Er führte aus, dass sich der Sendungs-
      Weiterentwicklung nicht verhindern.       Pater Pascual Piles Ferrando führte die    auftrag unseres Ordens nicht verändern
    - In den Strukturen muss sichergestellt     Konferenzteilnehmer in die Leitlinien      werde, „denn die Armen habt Ihr immer
      werden, dass die Stimmen der Be-          eines Generalkapitels ein. Der ehema-      bei Euch“ (Mk 14, 7). Die Frage, die
      treuten und der Patienten gehört und      lige Generalprior betonte, dass ein Ge-    sich der Orden immer wieder stellen
      beachtet werden.                          neralkapitel kein Arbeitsmarathon sein     müsse, sei: „Wo finden wir den heiligen
    - Die Bildungsarbeit für das mittlere       dürfe, sondern ein Ort, an dem der Hei-    Johannes von Gott heute?“
      Management und das Topmanage-             lige Geist wirken kann. Ein solches Ka-
                                                                                           Weiter sprach der Ordensgeneral da-
                                                                                           von, dass in einer wirklichen Familie
                                                                                           nicht die Starken dominieren, sondern
                                                                                           die Schwachen mitgetragen werden.
                                                                                           Deshalb sollten wir uns immer wie-
                                                                                           der bewusst sein, dass die Menschen,
                                                                                           denen wir dienen, den Mittelpunkt un-
                                                                                           seres Handelns darstellen. In seinem
                                                                                           Schlussplädoyer sagte Donatus Forkan
                                                                                           sehr leidenschaftlich, dass der Platz der
                                                                                           Laien in unserem Orden nichts Neues
                                                                                           sei, sondern dass sie seit Johannes von
                                                                                           Gott selbstverständlich zur Ordensfa-
                                                                                           milie gehörten.

                                                                                           Frater Eduard Bauer
                                                                                           Sabine Scheiblhuber

                                                                                           Fotos links und rechts: Musikdarbietung
                                                                                           bei der Regionalkonferenz in Dublin
Barmherzige Brüder weltweit ·       misericordia 6/11 19

Ein erfolgreiches Projekt der westeuropäischen Provinz der Barmherzigen Brüder

Charta zum Schutz der
Rechte von Heimbewohnern
Dass die Ordensgemeinschaft der Barm-      Provinz. Wie bereichernd jedoch der       Die Charta zum Schutz der Rechte von
herzigen Brüder weltweit in verschie-      Austausch über Provinzgrenzen hinweg      Heimbewohnern ist von einem Ko-
denen Sozialeinrichtungen tätig ist, ist   sein kann, wurde den Teilnehmern der      mitee der westeuropäischen Provinz
vielen Mitarbeitern bewusst und doch       4. Europäischen Regionalkonferenz des     2004/2005 erarbeitet worden und wird
erfolgt der Austausch von Ideen und Er-    Ordens (siehe vorstehenden Beitrag auf    seit etwa fünf Jahren erfolgreich in der
fahrung vorwiegend innerhalb derselben     Seite 17 f.) erneut bewusst. Unter den    Praxis angewendet.
                                           verschiedenen vorgestellten Projekten
                                           fand die Erarbeitung einer Charta der     Im konkreten Alltag eines Menschen mit
                                           Rechte für Menschen mit Behinderung       Behinderung definiert die Charta Rech-
                                           in Einrichtungen der westeuropäischen     te sowie Pflichten/Verantwortung des
                                           Provinz (Irland/ England) besondere       Heimbewohners für folgende Bereiche:
                                           Beachtung.
                                                                                     •   Das Recht, eine Stimme zu haben
                                           Aufbau der Charta                         •   Das Recht, meine Rechte zu kennen
                                                                                     •   Das Recht zur Auswahl
                                           Die Charta wurde in Anlehnung an die      •   Das Recht auf Würde und Respekt
                                           Charta der Hospitalität und einschlä-     •   Das Recht, frei von Vernachlässigung
                                           gigen Dokumenten der WHO (Welt-               und Missbrauch zu sein
                                           gesundheitsorganisation) erarbeitet       •   Das Recht, Fürsprecher zu haben
                                           und orientiert sich an konkreten All-     •   Das Recht einer personenzentrierten
                                           tagsaspekten der Heimbewohner einer           Planung
                                           solchen Einrichtung. Die Charta ist be-   •   Das Recht auf Zugang
                                           wusst kompakt gehalten und beleuchtet     •   Das Recht auf Freundschaften und
                                           jeden Aspekt des täglichen Lebens im          Beziehungen
                                           Hinblick auf Rechte sowie Pflichten und   •   Das Recht auf Privatsphäre
Die Titelseite der Charta                  Verantwortung.                            •   Das Recht auf Gesundheitsversor-
                                                                                         gung
                                                                                     •   Das Recht, informiert ein Risiko ein-
                                                                                         zugehen
                                                                                     •   Das Recht, an Wahlen teilzunehmen
                                                                                     •   Das Recht, sinnvollen täglichen Ak-
                                                                                         tivitäten nachzugehen
                                                                                     •   Das Recht zur Beschwerde
                                                                                     •   Das Recht, mein eigenes Geld zu
                                                                                         kontrollieren

                                                                                     Beispiel: Das Recht
                                                                                     auf Zugang

                                                                                     In dem Dokument wird das Recht auf
                                                                                     Zugang in leicht verständlicher Sprache
                                                                                     und mit Piktogramm (siehe Abbildung
                                                                                     auf Seite 20) präzisiert. Es bedeutet:
                                                                                     • Das Recht, in der Lage zu sein, alle
                                                                                        öffentlichen Orte leicht aufsuchen zu
                                                                                        können
                                                                                     • Das Recht auf Weiterbildungsmaß-
                                                                                        nahmen
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