Nachhaltigkeit durch Nutzungsflexibilität von Holzbauarchitektur
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Nachhaltigkeit durch Nutzungsflexibilität von Holzbauarchitektur Am Beispiel eines exemplarischen Raum Zeit Wandel Entwurfs für den Standort Schwarzenberg Oliver King BSc. Matr.- Nr. 1216086 Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung – Kunstuniversität Linz Institut für Raum und Design überholz – Universitätslehrgang für Holzbaukultur Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Science (MSc) Culture Timber Architecture“ Betreut von Architekt DI Helmut Dietrich Datum der Approbation 28./29.01.2021 Linz 2021
Vorwort Raum. Zeit. Wandel. stehen als Synonym für die Wertigkeit und Langlebigkeit von Architektur. Einer Architektur, die durch ihre In der folgenden Thesis Qualitäten Generationen überdauert und dadurch wie selbstver- nimmt dabei Holz eine ständlich regionale Identität und Nachhaltigkeit an ihrem Stand- ort generiert. Die Suche nach dem Schlüssel zu diesen Qualitä- wesentliche Rolle ein, ten war Motivation und Antrieb beim Erstellen der vorliegenden das in diesem Kontext, Arbeit. als regional verfügbarer Unserer heutigen Gesellschaft wird nachgesagt, schnelllebig zu sein, was sich vom Baustoff mit starken Beruf über das Privatleben bis hin zum Wohnen, durch alle Bereiche und Phasen unseres Lebens zieht. Ebenso ist ein Streben nach Individualität und Flexibilität baukulturellen Wurzeln spürbar, das für viele zu einem entscheidenden Wertungskriterium geworden ist. im alpinen Raum, seine Diese Entwicklung hat auch Einfluss auf unsere gebaute Umwelt und fordert uns Architekten ständig heraus, neue kreative Lösungsansätze zu konzipieren. Dabei ist Flexibilität unter Beweis es mein persönliches Anliegen, in einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels, bedingt durch soziale, ökologische und ökonomische Herausforderungen, aufzuzeigen, wie stellen muss. wichtig ganzheitliches Denken und Entwerfen innerhalb und über den Nutzungszeit- raum einer Bauaufgabe hinaus ist und welche wesentliche Rolle hier die Nutzungs- flexibilität einnimmt. Damit soll nicht nur eine andere Perspektive auf Neubauprojekte entstehen, sondern auch mehr Verständnis für die bestehende Bausubstanz als Teil unseres kulturellen und materiellen Erbes vermittelt werden. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde in dieser Masterthesis die männliche Form gewählt, unge- achtet dessen beziehen sich die Angaben gleicher-maßen auf Angehörige beider Geschlechter. Gleiches gilt für Einzahl und Mehrzahl.
Abstract Die vorliegende Arbeit erörtert die Wechselwirkung, zwischen den Begrifflichkeiten, Nachhaltigkeit durch Langlebigkeit und Grundsätzlich geht es Langlebigkeit durch Nutzungsflexibilität, und zeigt dabei Strate- nicht darum, Zukünftiges gien zur Entwicklung nutzungsflexibler Entwurfskonzepte inner- halb der Themengebiete Wohnen und Arbeiten. vorherzusagen, sondern vielmehr darum, aus Die Hypothese in diesem Zusammenhang lautet, dass die Nutzungsflexibilität eines Gebäudes einen maßgeblichen Einfluss auf dessen Nutzungs- und in weiterer Folge Vergangenem und Gegen- auf dessen Lebensdauer hat. Die Möglichkeit, Räume, Gebäude oder deren Bauteile einer sich wandelnden Nutzung zuzuführen, erhöht somit die Langlebigkeit eines wärtigem zu lernen, um Gebäudes, was zu einem ressourcenschonenden, ökonomischen, ökologischen und kulturell wertigen Bauen beiträgt. Nutzungsflexibilität kann daher als Teil einer Nach- Entwürfe mit Strategien haltigkeitsstrategie betrachtet werden. auszustatten, die ihnen Neben der Überprüfung der Hypothese, stehen dabei folgende Fragen im Mittel- punkt. Zum einen, welche Kriterien ein Entwurf erfüllen muss, um nutzungsflexibel Aussicht auf langen zu sein. Zum anderen, ob der Holzbau die richtige Bauweise für die Umsetzung einer konsequent wandelbaren Architektur darstellt. Des Weiteren wird untersucht, ob die Bestand gewähren. Kombination von Nutzungsflexibilität und Holzbau zu mehr Nachhaltigkeit im Archi- tektur- und Bausektor führen kann. Für die Erarbeitung von Strategien, zur Umsetzung nutzungsflexibler Gebäude- strukturen, dient dabei die Analyse von Literatur, in Gegenüberstellung mit zukunfts- weisenden zeitgenössischen Projekten im Themengebiet. Parallel dazu entstand ein exemplarischer Entwurf, für ein Mehrgenerationenhaus mit Appartement-, Wohn- und Büronutzung am Standort Schwarzenberg, im Bregenzerwald.
Kontextueller Rahmen 10 Fallstudie Schwarzenberg 60 Zeit und Wandel 12 Die Entstehung eines Projektes 62 Nachhaltigkeit durch Nutzungsflexibilität 14 Bestehendes als Chance 62 Langlebigkeit durch Nutzungsflexibilität 14 Das Haus als Bühne 66 Nutzungsflexibilität als Teil eines Nachhaltigkeitskonzepts 17 Von Stärken und Schwächen des Bestandes 68 Die Brücke zum Holzbau 20 Der Entscheidungsprozess 69 Die Baugrundlagen 70 Strategien der Nutzungsflexibilität 22 Der Geist des Ortes – Genius loci 72 Fokus Schwarzenberg 74 Das DGNB System 24 Regionale Baukultur - Das Bregenzerwälderhaus 80 Funktionale Flexibilität 27 Die Region 80 Nutzungsflexible Innenraumkonzepte 27 Elastic-Living 28 Die Gebäudestruktur 82 Rietveld-Schröder-Haus, Utrecht 32 Die Tragstruktur 86 Addition & Subtraktion von Einheiten 34 Die Transformation 88 ARCH+ Space, Berlin 36 Resümee 89 Strukturelle Flexibilität 38 Entwurf – Generationenhaus zur Egg 90 Flächeneffizienz, Flexible Gebäudeerschließung & Versorgung 39 Situation und Ort 90 Voruntersuchung 01 40 Leitidee 94 Voruntersuchung 02 42 Struktur und Organisation 100 Voruntersuchung 03 44 Funktion 106 Nutzungsflexible Raumreserve 46 Angelika Kauffmann Museum, Schwarzenberg 47 Material und Ästhetik 118 Konstruktion und Tragwerk 128 Konstruktive Flexibilität 50 Bauphysik 132 Systemtrennung 51 Substrate Factory, Ayase 52 Energie und Haustechnik 139 Modularität der Tragstruktur & Nutzlastreserve 55 Holzbau 142 Illwerke Zentrum Montafon 56 Strategien und Qualitätskriterien 146 Resümee und Ausblick 148 Einblick 152 Anhang 154
01 Kontextueller Raum. Zeit. Wandel. kann als Beitrag zu der aktuell im Bauwesen geführten Rahmen Nachhaltigkeitsdiskussion verstanden werden. Das damit verbundene Postulat, Nachhaltigkeit durch Langlebigkeit, Langlebigkeit durch Nutzungsflexibilität, soll hierbei die Bedeutung der Nutzungsflexibilität, als einen wichtigen Bestandteil des Wesens, eines dauerhaften Entwurfs unterstreichen. Abstecken des Untersuchungsgebietes 10 11 Kontextueller Rahmen
Zeit und Wandel to grave“, von der Wiege bis zur Bahre, betrachtet. Was in seiner linearen Abfolge ein Produkt von Der fortschreitende Wandel unserer der Rohstoffgewinnung, über die Produktion, am Wohlstands- und Individualgesell- Ende seiner Nutzungsdauer auf die Deponie, einer thermischen Verwertung oder im Idealfall einem schaft, führt, befeuert von der Digita- aufwändigen Recyclingprozess zuführt. Oft führt lisierung, dem einhergehenden demo- das zudem zu einem „Downcycling“, sprich einer graphischen, wie auch klimatischen Qualitätsminderung des Ausgangsmaterials. (Wiki- Wandel dazu, dass sich die Anforde- pedia, 2020) rungen an die gebaute Umwelt in zu- Mit dieser Handhabe überstrapaziert die derzeitige nehmend schnelleren Zyklen wandelt. Weltbevölkerung die Erde mit dem Faktor 1,5. Bei Dazu kommt ein steigender Anspruch den prognostizierten Bevölkerungszahlen bis 2050 an funktionalen, ästhetischen und und einem anhaltenden verschwenderischen Um- energetischen Eigenschaften. gang mit Rohstoffen, bräuchten wir letztlich drei Planeten Erde, um die Bedürfnisse aller zu decken. (Gutzwiller, 2019, S. 30) (Möller, 2017, S. 4) Gebäude, die den Wünschen und Anforderungen ihrer Nutzer entwachsen, werden vielfach trotz einer technischen Funktionsfähigkeit abgerissen und deren Baustoffe entsorgt. (Lemaitre, 2020) Dies vor allem dann, wenn eine Anpassung der Substanz aus ökonomischer Sicht nicht vertretbar ist und ein Ersatzneubau vorgezogen wird. Da- durch gehen wertvolle materielle Ressourcen und die in den Baustoffen enthaltene graue Energie verloren. Darüber hinaus wird die CO² Speicherwir- kung von Baustoffen wie Holz vorzeitig ausgesetzt. Den temporären Bedürfnissen (sowohl im Wohn- als auch im Industriebau) nachkommend, werden Gebäude vielfach nicht mit den notwendigen Kriterien ausgestattet, um eine Maximierung ihrer Nutzungs-, respektive Lebensdauer und in weiterer Folge, eine in ihrer Struktur angelegte Möglichkeit der stofflichen Weiternutzung, der gespeicherten Ressourcen, zu gewährleisten. Womit Gebäude, die nicht über den Zeitraum ihrer Amortisations- spanne hinaus „gedacht“ werden, zum Einweg- artikel werden. Alleine in der Schweiz generiert der Bausektor 17 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr. (Fischer M. , 2019, S. 38) Dies trägt dazu bei, dass 40% des weltweiten CO²- Ausstoßes (Rhomberg, 2015, S. 44), sowie 40% des weltweiten Ressourcenverbrauchs, bezogen auf Baumaterialien und Energie, auf die Baubranche zurückzuführen sind. (Möller, 2017, S. 4) Zugrunde liegt dem das Prinzip der linearen (Bau-) Wirtschaft, die die stoffliche Nutzung eines Mate- rials in einem geschlossenen Ablauf „from cradle 12 13 Kontextueller Rahmen
Nachhaltigkeit durch der Nutzungsflexibilität sicherstellen, dass ein Gebäude auch beim Eintreffen unvorhersehbarer Nutzungsflexibilität Änderungen der Rahmenparameter oder Nutzer- anforderungen noch eine Anpassung oder sogar Der Begriff Flexibilität, der sich vom Aufwertung erfahren kann. lateinischen Wort „flectere“ für „bie- gen“ oder „beugen“ ableitet, wird als Neben den heute gesellschaftlich vordergründigen »Anpassungsfähigkeit an wechselnde Themen, einer räumlich funktionalen Flexibilität eines Gebäudes, müssen somit für den Anspruch Umstände definiert«. (Wikipedia, 2020) einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit auch struk- Womit die Nutzungsflexibilität, im turelle und konstruktive Flexibilitätskriterien, die Kontext von Architektur und Bauen, den Umgang mit Ressourcen in den Vordergrund auch als die Anpassungsfähigkeit stellen, berücksichtigt werden. Damit soll der lang- eines Gebäudes auf wechselnde Nut- fristige Erfolg eines Bauwerks aus ökonomischer wie auch ökologischer Sicht sichergestellt werden. zeranforderungen beschrieben wer- (Lemaitre, 2020) den kann. Die zukunftsfähige Grundlage des nachhaltigen Langlebigkeit durch Bauens bildet das Modell der zirkulären Kreislauf- wirtschaft, das darauf abzielt, Ressourcen durch Nutzungsflexibilität eine Mehrfach- oder Kaskadennutzung so lange wie möglich im Umlauf und in ihrer stofflichen Nut- Das lapidar anmutende Synonym „Gute Archi- zung zu halten. (Gutzwiller, 2019, S. 30) tektur“ oder „ein guter Entwurf“, beinhaltet den Anspruch des Weiterdenkens und Planens, über Dabei spricht man auch von einem „cradle to crad- den Nutzungszeitraum einer Bauaufgabe. In Ab- le“ Ansatz, der eine Ressource (Baumaterial) nach hängigkeit davon gilt es, bei jedem Projekt eine der Zwischennutzung in einer Gebäudestruktur zur Brücke zu spannen, zwischen den Wünschen der Wiege seiner Produktion zurückführt und somit Auftraggeber und dabei gleichermaßen auch kul- eine Weiternutzung ermöglicht. Unsere gebaute turellen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Umwelt muss zukünftig als Zwischendepot von Aspekten Sorge zu tragen, um am Ende all dies Ressourcen gesehen werden, in der in einer steti- mit einem kontextuell zeitlosen Erscheinungsbild gen Kreislaufwirtschaft Materialien, Bauteile und zu versehen, das abseits von kurzweiligen Moden ganze Gebäudestrukturen, für kommende Genera- seine Berechtigung nicht verliert. tionen erhalten bleiben. (Fischer D. , 2019) Es sind somit eine Vielzahl umfassender Themen, Durch das in Beziehung stellen von Begriffen wie die einen Einfluss auf die Lebensdauer eines Ge- Wandelbarkeit, Umnutzbarkeit, Erweiterbarkeit, bäudes nehmen. Ein entscheidendes Merkmal Rückbaubarkeit und Wiederverwendbarkeit (Re- kann aber die Nutzungsflexibilität gepaart mit Use) von Bauteilen und Gebäudestrukturen, ver- kultureller Akzeptanz darstellen, die es in seinem eint Nutzungsflexibilität dabei Themen, die in einer Umfeld verwurzelt, um dann im Idealfall als Kultur- ganzheitlichen Betrachtungsweise zu mehr Nach- gut von Generationen über Generationen weiter- haltigkeit beitragen können. geführt zu werden. „Gute Architektur“ kann damit auch mit „kontextueller Architektur“ und „nachhal- Diese „Metamorphose der Architektur“ kann einem tiger Architektur“ gleichgestellt werden. Dadurch, Gebäude durch eine einfache Wandlungsfähig- dass »historische Bauten wesentliche Elemente keit zu einer längeren Nutzungsdauer und einer der regionalen Identität« darstellen, gibt es auch Wiederverwendung seiner Bestandteile in einer eine baukulturelle und gesellschaftliche Brisanz anderen Zeit, an einem anderen Ort, unter einer im Thema der Langlebigkeit und somit auch der anderen Art der Nutzung, verhelfen. Zudem kann Nutzungsflexibilität. (Aicher & Kaufmann, 2015, S. 27) das Ausstatten eines Entwurfs mit dem Rüstzeug 14 15 Kontextueller Rahmen
» Diese Voraussagen, Nutzungsflexibilität als sowie die tatsächliche Nutzungsdauer miteinbe- zogen werden. Was Gebäuden, die auf Nutzungs- Teil eines Nachhaltigkeits- wie lange ein Gebäude flexibilität getrimmt sind, bei entsprechender konzepts Konstruktion und Materialwahl einen erheblichen seinen Dienst erfüllt, Vorteil über die gesamte Nutzungsdauer bieten Der Begriff Nachhaltigkeit findet sei- kann. (John, 2020) ein Bauteil funktioniert nen Ursprung in der Forstwirtschaft, Beim Blick auf die sozialen Komponenten der beziehungsweise wann wo er »die nachhaltende und bestän- dige Nutzung der Wälder« beschreibt. Nachhaltigkeit lassen sich Punkte wie die regionale Wertschöpfung, ein hohes Maß an Lebensqualität ich es auswechseln muss, Womit das alleinige Wirtschaften mit und die Schaffung, respektive Wahrung von re- dem Zuwachs, den „Zinsen“ gemeint gionaler Identität hervorheben. Auf all diese Be- sind sehr komplexe und ist, ohne dabei das Grundkapital zu reiche nimmt neben dem gesellschaftlichen auch der klimatische Wandel einen Einfluss, weshalb zugleich vage Annahmen. schmälern. (Heindl, 2019) in der Verwebung von Nachhaltigkeit, Langlebig- Dass die Architektur auf Die Nachhaltigkeit von Architektur kann als ein keit, Nutzungsflexibilität und Sozialem mehrere Anknüpfungspunkte besonders baukultureller Art die Lebensdauer eines maßgeblicher Parameter von deren Langlebigkeit bestimmt werden, diese wiederum wird von ihrer bestehen. Gebäudes einen wesent- Nutzungsflexibilität und Anpassungsfähigkeit be- einflusst. Für die Umsetzung von nachhaltiger Entwicklung sind ebenfalls drei Bereiche als Strategieansätze lichen Einfluss hat, wird Generell beruht eine nachhaltige Entwicklung auf definiert, die in sich mit dem Ansatz der Nutzungs- flexibilität kompatibel sind. Die dazugehörigen viel zu wenig beachtet. dem Drei-Säulen-Prinzip von Ökologie, Ökonomie und Sozialem, was bezeichnend dafür steht, dass Schlagworte Suffizienz, Effizienz und Konsistenz lassen sich wie folgt beschreiben und mit Nut- Nur wenn das Gebäude Nachhaltigkeit nur durch gleichrangige Berück- sichtigung aller drei Bereiche erzielt werden kann. zungsflexibilität in Beziehung setzen. gut entworfen ist, wird Vordergründig gilt es dabei die Bedürfnisse der heutigen Generation zu befriedigen, ohne dabei es aufgrund seiner die Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu ge- fährden. (Heindl, 2019) Flexibilität und schlauen Der Ansatz der Nutzungsflexibilität deckt bei ge- Konstruktion eine nauerer Betrachtung alle drei Bereiche ab. Chance haben, lange Aus ökologischer Sicht geht es um den schonen- den Umgang mit Ressourcen, die Vermeidung zu existieren. « von Abfall, das Einsparen von grauer Energie, sowie den verminderten Einsatz fossiler Energie- Hermann Kaufmann träger und eine damit verbundene Senkung des (Isopp, 2017, S. 16) CO2- Ausstoßes. Kombiniert man dabei eine lange Nutzungsdauer, mit dem Einsatz nachwachsender Rohstoffe, wie beispielsweise Holz, ergibt sich eine Maximierung der positiven Faktoren. (John, 2020) Aus ökonomischer Betrachtung wird eine Kosten- reduktion im Lebenszyklus eines Gebäudes an- gestrebt, was die Errichtungs-, Instandhaltungs-, Betriebs-, sowie die Entsorgungskosten mitein- schließt. Damit müssen für eine reelle Vergleich- barkeit von Gebäuden alle diese Kostenstellen 16 17 Kontextueller Rahmen
Da eine kurze Planungs- Suffizienz »Im Kontext des 21. Jahrhunderts werden wir darauf achten müssen, dass Inszenierungen von Individu- und Errichtungsdauer von lat.: sufficere, genügen, ausreichen, beschreibt alität nicht dem Selbstzweck dienen, sondern der dabei »die Frage nach dem rechten Maß«, was mit Sache.« (Rhomberg, 2015, S. 162) einer langen Nutzungs- dem Hinterfragen und Anpassen von gesellschaft- lichen und persönlichen Bedürfnissen und Ansprü- dauer gegenübersteht, chen gleichzusetzen wäre. (Wikipedia, 2020) Konsistenz Suffizienz »richtet sich auf einen geringeren Res- sollten wir einer gewis- sourcenverbrauch durch eine Verringerung der von lat.: consistere, für fortdauernd, beschreibt die Nachfrage nach Gütern«. (Minge, 2020) umlaufende Nutzung von Rohstoffen durch das senhaften Planungs- Orientieren an Naturkreisläufen und die Vereinbar- In der Architektur geht es dabei, neben der Menge, keit von Natur und Technik. (endlich-wachstum, 2020) phase höchste Priorität vielfach um die Angemessenheit von Kubaturen Das primäre Ziel ist dabei die Vermeidung von Ab- zukommen lassen. und Haushaltsgrößen. Aber auch das vielfach in uns verankerte Bedürfnis nach Veränderung, fällen und ein damit verbundener Verlust an Res- sourcen. Wie bereits eingangs beschrieben, orien- persönlicher Aneignung und Umgestaltung, be- tiert man sich hier am „cradle to cradle“ Prinzip. (pers. Gespr. Dominik Philipp) sonders von Wohnraum, kann hier als wesentliches Kriterium im Konsumverhalten hervorgehoben Nutzungsflexibilität kann damit für die beiden, werden. in enger Wechselwirkung stehenden Strategien der Effizienz und Konsistenz, durch das Mehr- Durch die Nutzungsflexibilität und Wandlungs- fachverwenden von Bauteilen, den Einsatz von fähigkeit von Räumen/Gebäuden, könnte dieses Recycling-Produkten, einer Maximierung der gesellschaftliche Phänomen teilweise abgepuffert Lebensdauer und dem Einsatz nachwachsender und als fixer Bestandteil in den unterschiedlichen Rohstoffe, zu einem effizienten, fortdauernden und Nutzungsphasen verankert werden. somit nachhaltigen Umgang mit der Bausubstanz beitragen. Effizienz von lat.: efficientia, Wirksamkeit, beschreibt die Produktivität und ergiebigere Nutzung von Res- sourcen, die vielfach auf technologiebasierten Lösungen gründet. Dabei geht es um die Verbesse- rung des Verhältnisses, von Material- oder Energie- einsatz zu dem erzielten Ergebnis. (Minge, 2020) In der Architektur können in diesem Zusammen- hang vor allem die Verhältnismäßigkeit von Konst- » Im Kontext des 21. ruktion, Material und Formensprache hervorgeho- ben werden. Dabei sollten neben atmosphärischen Jahrhunderts werden wir und bautechnischen Spezifika, auch Fragen nach der Klimarelevanz und limitierten Verfügbarkeit darauf achten müssen, von Baustoffen im Entwurfsprozess mitberück- sichtigt werden, da in vielen Fällen bereits hier die dass Inszenierungen von Weichen für den ökonomisch sinnvollen und effizi- enten Einsatz eines Materials gestellt werden. Individualität nicht dem Dabei trifft man des Öfteren auf den Verweis des Selbstzweck dienen, „Materialgerechten Bauens“, der in seinem Kern eine richtige und wichtige Aussage darstellt, die sondern der Sache.« leider auch missbräuchlich, zum Zweck des Lobby- ismus, herangezogen werden kann. (Rhomberg, 2015, S. 162) 18 19 Kontextueller Rahmen
Die Brücke zum Holzbau Somit kann das Bauen mit Holz als sinnvolle Maß- nahme im Klimaschutz angesehen werden. Gerade Holz bietet als regional verfügbarer wenn diese auf Langlebigkeit, in Form einer langen und nachwachsender Baustoff die Nutzungsdauer abzielt. Chance auf eine ganzheitlich nach- Das Paradoxon in diesem Zusammenhang ist, haltige Architektur. Dies besonders, da dass dem Holzbau eben diese Langlebigkeit, ab- der Holzbau als modulare Bauweise, gesprochen wird. Dies ist unter Umständen auch mit einer systematischen Fügung der historisch bedingt, da viele der Holzbauten, gerade Bauteile, ein flexibles Erweitern, Rück- im urbanen Raum, in früherer Zeit Bränden zum Opfer fielen und die Stadt aus diesem Grund zu- bauen und Umstrukturieren ermög- nehmend „steinern“ wurde. Mit fortschreitender licht, wodurch sich neben einer hohen Urbanisierung entwickelte sich der Holzbau somit Nutzungsflexibilität, auch die Chance zu einer Randerscheinung des ländlichen Raums. auf einen geschlossenen Stoffkreislauf Schlussfolgernd verbinden wir daher, im mitteleu- ropäischen Kulturraum Massivbauten mit urbaner ergibt. Beständigkeit und Moderne, Holzbauten hingegen mit Vergänglichkeit und ländlicher Folklore. Als natürlicher „Hightech“ Baustoff ist Holz auf- grund seiner statischen Eigenschaften und seines Unabhängig davon sind die Potentiale, die der vergleichbar geringen Gewichts, sehr universell Baustoff aufgrund neuer Technologien und Ferti- und flexibel einsetzbar. Gerade bei Holzskelett- gungsverfahren in der heutigen Zeit erfährt, groß, baukonstruktionen ergibt sich durch die Trennung gerade dort, wo sie mit hochstehendem Handwerk von Konstruktion und raumbildender sowie ther- zusammentreffen. Die Chancen, die der Baustoff mischer Hülle, beim Hinterlegen eines statischen Holz für uns als Gesellschaft bietet, werden teil- Konstruktionsrasters, eine gestalterische sowie weise noch verkannt, wachsen aber in ihrer Bedeu- funktionale Flexibilität im Grundriss und den Fas- tung. Die Nutzungsflexibilität als Teil einer Nach- saden. haltigkeitsstrategie könnte hier einer von vielen Bausteinen im Wandel zu einer nachhaltigen Ge- » 1.173 Millionen Kubikmeter Holz stehen Anders als bei mineralischen Skelettbaukonstruk- sellschaft sein. Wir Architekten nehmen darin eine tionen aus Beton und Ziegel, die nur eine Wieder- wichtige Rolle ein, worauf in diesem Kontext auch in Österreichs Wäldern. […] Jedes Jahr verwendung vor Ort zulassen, was dann allgemein der Bauunternehmer Hubert Rhomberg verweist, als Renovierung betitelt wird, eignet sich der Holz- der sich entscheidende Antworten von Seiten der wachsen rund 30 Millionen Kubikmeter bau auch für ein Re-Use an einem anderen Stand- Architekten erhofft und dabei anmerkt: »Ihre Ideen ort und in einer anderen Gebäudestruktur. (Gutzwiller, und Lösungen werden nicht nur über das Gebäude Holz nach. […] Von den rund 30 Millionen der Zukunft entscheiden, sondern auch darüber, Kubikmetern Holzzuwachs pro Jahr 2019, S. 31) wie wir uns als Spezies weiterentwickeln.« Dieser Vorteil verschafft Holz über die Kriterien der werden derzeit nur rund 26 Millionen (Rhomberg, 2015, S. 189) Nachhaltigkeit hinaus ein hohes Maß an Nutzungs- flexibilität und Wandelbarkeit. Als zusätzliches Plus fungiert der Baustoff während seiner Nutzung als genutzt. […] Weniger als ein Drittel des CO²-Speicher und ist auf den gesamten Lebenszy- klus betrachtet, als klimaneutral anzusehen. Ledig- jährlichen Holzzuwachses in Österreichs lich die für Produktion, Transport und Verarbeitung benötigten Anteile fossiler Energie sind negativ Wäldern würde bereits genügen, um das anzusetzen. (Isopp, 2017, S. 3) Dieses Alleinstellungsmerkmal, das Holz gegen- gesamte Hochbauvolumens eines Jahres über anderen Baustoffen wie Stahl, Zement oder Ziegel bevorteilt, ermöglicht ihm einen sehr viel in Holz zu errichten. « besseren ökologischen Fußabdruck, insbesondere dort, wo es regional verfügbar ist. (Möller, 2017, S. 4) (proHolz Austria, 2019) 20 21 Kontextueller Rahmen
02 Strategien Als maßgeblichen Schritt galt es, Strate- gien für die Umsetzung nutzungsflexibler der Nutzungs- Architektur zu definieren, um diese in der Entwurfsarbeit als Steuerungs- und Qualitätskriterien einsetzen zu können flexibilität und die eigenen Entwürfe dadurch auf ihre Nutzungsflexibilität, in einer ganz- heitlichen Betrachtung, zu bewerten. Steuerungs- und Qualitätskriterien 22 23 Strategien der Nutzungsflexibilität
Das DGNB System Die Deutsche Gesellschaft für Nach- Das DGNB System gründet auf den drei Säulen der Dazu sind im DGNB System für das Kriterium der Diese Kategorien helfen, die Themengebiete über- haltiges Bauen, kurz DGNB, hat als Nachhaltigkeit, nämlich der Ökologie, Ökonomie „Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit“ acht spezi- sichtlicher und greifbarer zu gestalten, obgleich und Sozialkulturellem und soll die Umsetzbarkeit, fische Indikatoren definiert: (DGNB, 2020) zwischen den einzelnen Kategorien und deren Non-Profit-Organisation ein Zertifizie- Mess- und Vergleichbarkeit von nachhaltigen Ge- Parametern eine klare Wechselwirkung vorhanden rungssystem für nachhaltige Gebäude bäuden ermöglichen und darüber hinaus für eine 1. Flächeneffizienz ist und eine isolierte Betrachtung daher nur be- entwickelt und beurteilt dabei als ein Sicherung der Immobilienqualität sorgen. (DGNB, 2. Raumhöhe grenzt möglich erscheint. Kriterium auch deren „Flexibilität und 2020) Dabei deckt das System Zertifikate für Ge- 3. Gebäudetiefe Umnutzungsfähigkeit“. (DGNB, 2020) bäude, Quartiere und Innenräume ab und soll als 4. Vertikale Erschließung Nachstehend werden dazu die drei Kategorien mit Planungs- und Optimierungstool dazu beitragen, 5. Grundrissaufteilung den dazugehörigen Strategieansätzen beschrieben Die dazu von der DGNB definierten In- Projekte mit einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit 6. Konstruktion und mit zeitgenössischen Projekten belegt. dikatoren dienten als Basis für die wei- umzusetzen. (DGNB, 2020) Die vorgegebenen Richt- 7. Technische Gebäudeausrüstung tere Ausarbeitung der Strategien der werte sind nicht an konkrete Maßnahmen gekop- 8. Circular Economy Bonus – Nutzungsflexibilität. pelt, sondern können für jedes Projekt individuell hohe Nutzungsintensität über ein breites Leistungspaket abgedeckt werden. (DGNB, 2020) Die Indikatoren zeigen die starke „Verzahnung“ des Themas der Nutzungsflexibilität mit entwurfs- Den ökonomischen, wie auch ökologischen Zweck relevanten Parametern auf, die bereits in den ersten der Nutzungsflexibilität eines Gebäudes definiert drei Leistungsphasen (Grundlagenermittlung, die DGNB dabei wie folgt: »Gute Umnutzungsfä- Vorplanung und Entwurfsplanung) der Projektent- higkeit und Flexibilität vermindern das Risiko eines wicklung mit bedacht werden müssen. Leerstands und tragen langfristig zur Akzeptanz des Nutzers, zur Verlängerung der Lebensdauer Bei einer Reduktion auf die Kernthemen hinter den und zur Reduzierung der Lebenszykluskosten, also Indikatoren treten die strategischen Überbegriffe zum wirtschaftlichen Erfolg der Immobilie bei.« der Kubatur, des Grundrisslayouts und konstruktiv (DGNB, 2020) technischer Detaillösungen in den Vordergrund. Mit Fachberichten aus der schweizerischen Bau- Die Geschäftsführerin Dr. Christine Lemaitre fügt zeitung TEC21, typologischen Voruntersuchungen dem hinzu: »Steht ein Gebäude leer, weil es den und der Analyse bestehender zeitgenössischer Anforderungen der Nutzer entwachsen ist, kann es Projekte konnten auf diesen strategischen Über- nicht nachhaltig sein. Schlimmstenfalls wird es trotz begriffen aufbauend, die Strategien konkreter technischer Funktionsfähigkeit abgerissen und die benannt, ergänzt und zusätzlich verdichtet werden. Baustoffe entsorgt.« (Lemaitre, 2020) Dabei hat sich eine Kategorisierung der Begrifflich- keiten in funktionale, strukturelle und konstruktive Ihr erklärtes Ziel ist es, durch das Kriterium der Flexibilitätskriterien gefestigt. „Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit“, »heute schon die Weichen für tatsächlich zukunftssichere Gebäude zu stellen.« (Lemaitre, 2020) 24 25 Strategien der Nutzungsflexibilität
Funktionale Flexibilität Unter funktionale Kriterien fallen Strategieansätze, die einen schnellen räumlichen Wandel zulassen, der eventuell sogar als fixer Bestandteil in den Alltagsablauf der Bewohner oder Nutzer integriert ist. Dies kann Raum in Raum-Konzepte mit verschieb-, ab- oder umbaubarem Mobiliar beinhalten, wie auch die schleu- senartige Anbindung respektive Abtrennung von Räumen oder Zonen. Dies lässt innerhalb einer vorgegebenen Struktur ein fle- xibles Anpassen auf Tagesbedürfnisse zu. Somit umfasst diese Kategorie primär Innenraumkonzepte und steht in direkter Ab- hängigkeit zu den strukturellen Kriterien. Nutzungsflexible Innenraumkonzepte Das Hinterfragen, Aufbrechen und neu Interpretie- ren von statischen Wohnstandards und Gewohn- heiten unseres mitteleuropäischen Kulturkreises, kann im spielerischen Umgang mit Raum zu krea- tiven Lösungsansätzen für wandelbare Wohn- und Arbeitsräume führen. Meist beschäftigen sich solche Konzepte mit dem Thema des leistbaren Wohn- und Arbeitsraums und dem Ziel, auf kleiner Fläche eine Maximierung an räumlicher Qualität und damit Lebensqualität zu schaffen. Auch Suf- fizienz-Gedanken fließen hier mit ein. Anstelle von permanenten Trennwänden, wird Mobiliar, Vorhänge und Schiebewände, zu raum- bildenden Elementen, die Bereiche definieren und zonieren. Nachts Schlafzimmer, vormittags Büro, nachmittags Besprechungsraum und abends Wohnraum. Solch eine Transformation spart Platz, materielle Ressourcen, ist daher ökonomisch und bei entsprechender räumlicher Qualität, darüber hinaus nachhaltig. 26 27 Strategien der Nutzungsflexibilität
Elastic-Living Angelo Roventa Diesen Ansatz verfolgt auch das Raumkonzept Hauptunterschiede zum Vorgängersystem „Elas- „Elastic-Living“ des in Wien und Vorarlberg täti- tic-Living“, sind dabei in zwei Punkten gegeben. gen Architekten Angelo Roventa. Aufbauend auf Zum einen ist dies der Badezimmerbereich, der zu einer Raumhülle mit mindestens 20 m², setzt sein Gunsten eines höheren Wohnkomforts als ge- System auf linear verschiebbare Möbelmodule, die schlossener und dadurch „starrer“ Raum ausge- auf Rollwagen mit Kettenantrieb gelagert sind und führt ist, zum anderen sind die Möbelmodule nun manuell, mittels Drehkurbel, bewegt werden kön- nicht mehr manuell per Kurbel, sondern elektro- nen. (elastic-living, 2020) Vergleichbar mit Rollsyste- nisch per Tastendruck verschiebbar. men, die zum Zweck des sparsamen Umgangs mit Nutzfläche, in Bibliotheken und Hochregallagern Mit drei beweglichen Modulen lassen sich so die Anwendung finden. einzelnen Bereiche aus Kochen, Arbeiten, Schlafen und Wohnen unterschiedlich freistellen und aus- Damit lassen sich vier Funktionen des Wohnens gehend von einer multifunktionalen Vorzone, er- für ein bis zwei Personen abbilden. Hintergründig schließen und bespielen. Dadurch wird aus einem ist der Ansatz, dass eine Person immer nur einen Einraumapartment mit nur 32 beziehungsweise 40 Raum nutzen und beleben kann und zur selben m² Wohnfläche, eine 2,5 Zimmer Wohnung. Zeit nie alle Funktionen parallel zur Verfügung (Weibel, 2020) stehen müssen. (elastic-living, 2020) Anwendung könnten solche Konzepte, neben dem Anfang und Ende der linearen Struktur bilden die Einsatz in kleinräumigem Wohnen, auch bei wand- Bereiche, die einen Wasseranschluss und Abfluss lungsfähigen Büro- und Arbeitsräumen finden. benötigen, was lediglich für Küche und Bad zutrifft. Aber auch für größere Wohneinheiten könnten Im Gegensatz zur Stromversorgung, die in den die Vorzüge, gerade in offen strukturierten Wohn-, Modulen mitwandern kann, verbleiben die wasser- Koch-, Essbereichen, eine flexible Raumbelegung führenden Zonen statisch auf ihrer Parkposition. für die Nutzer ermöglichen. Erstmalig umgesetzt wurde das System in einem Design Apartment in Oberlech, am Arlberg, sowie als Beitrag zum Wettbewerb Handwerk und Form 2015, wo es unter dem Titel „Wald- Wohn- Werk- raum“ als Möglichkeit der Nachverdichtung und Belebung leerstehender Landwirtschaftsgebäude im Bregenzerwald, umgesetzt und präsentiert wur- de. (Angelo Roventa, 2020) Eine darauf aufbauende Weiterentwicklung stellt das Wohnkonzept „move-ment“ dar, dass von der Halter AG mit Sitz in Zürich vertrieben wird. (move-ment, 2020) Skizze „move-ment“, Systemgedanke 28 29 Strategien der Nutzungsflexibilität
Abb. 3 Wald-Wohn-Werkraum Handwerk und Form 2015 Abb. 1 Elastic-Living Abb. 4 Wald-Wohn-Werkraum Design-Apartment Oberlech Handwerk und Form 2015 Abb. 5 Wald-Wohn-Werkraum Handwerk und Form 2015 Abb. 2 Elastic-Living Design-Apartment Oberlech 30 31 Strategien der Nutzungsflexibilität
Rietveld-Schröder-Haus, Utrecht Gerrit Rietveld Als eine frühe Ikone der flexiblen Innenraumgestal- tung kann das vom Holländischen Architekten und Möbeldesigner Gerrit Rietveld entworfene Haus Rietveld-Schröder bezeichnet werden. Das 1924 in Utrecht erbaute Haus wurde in enger Zusammen- arbeit mit der Bauherrin und Innenarchitektin Truus Schröder-Schräder, im Stiel der Holländischen „De Stijl“ Bewegung konzipiert. (Centraal Museum Utrecht, 2020) Dabei besticht das Einfamilienhaus neben seiner geometrisch kubistischen Formensprache und markanten Farbakzentuierung durch differenzierte Grundrisstypologien der beiden Wohngeschosse. Während sich das Erdgeschoss einer starren Glie- derung mittels zonierender Innenwände bedient, wird das Obergeschoss als freier Grundriss bespielt Abb. 6 Rietveld-Schröder-Haus und kann über Schiebeelemente flexibel unterteilt Flexible Raumzonierung werden. Untertags bietet sich damit ein offenes Raumgefüge für gemeinschaftliches Wohnen, aus welchem sich abends drei Schlafkojen abtrennen lassen. Als permanent raumbildende Elemente treten lediglich ein zentraler Stiegenabgang, ein Kamin, eine Nasszelle sowie partielle Schrankver- bauten, welche die Aufnahme der Schiebelemente in ihrer „Parkposition“ sicherstellen, in Erscheinung. (archinform, 2020) Die dynamischen Raumzonen werden visuell durch kubische Farbflächen am Fußboden und den Wän- den zoniert. Die Decke tritt als verbindende, durch- gehend weiße Fläche in Erscheinung, an der sich die Führungsschienen der verschiebbaren Trenn- wände farblich abheben. Neben Weiß, Schwarz und Grautönen finden dabei nur die Primärfarben Rot, Blau und Gelb in der Farbgestaltung des Ge- bäudes Anwendung. (archinform, 2020) Das für seine Zeit visionäre Haus wurde bis 1985 von der Bauherrin bewohnt und ist seit 2000 Teil des UNESCO Weltkulturerbes. (Centraal Museum Utrecht, 2020) Skizze Abb. 7 Rietveld-Schröder-Haus Rietveld-Schröder-Haus, Funktionale Flexibilität im 1.OG Raumbildende Elemente 32 33 Strategien der Nutzungsflexibilität
Addition & Subtraktion von Einheiten Gerade im Wohnen zeigt sich, dass zu unterschied- Vielfalt mit sich. Die Eingliederung oder Abspal- Räume durch Türen oder andere Öffnungen, be- lichen Lebensphasen verschiedene Ansprüche an tung von Räumen lässt sich in diesem Kontext als ziehungsweise 55 dB ohne Verbindung der Räume, Wohnnutzfläche bestehen. Von der Single- und Strategie der Addition und Subtratkion von Raum- nicht unterschreiten. (Österreichischen Instituts für Bautech- Jugendwohnung, über das Wohnen als junges einheiten definieren. nik, 2019, S. 4) Paar, bis hin zur mehrköpfigen Familie wächst der Platzanspruch stetig, um dann im Alterswohnen Die Wiener Bauordnung sieht dabei als Mindest- Als Bemessungsgrundlage für den Schall ist die (theoretisch) wieder abzunehmen. Wobei hier anforderung für eine unabhängige Wohneinheit höchstbewertete Art der Nutzung anzunehmen, zunehmend der flexible Bedarf des erweiterten eine Minimalfläche von 30 m² vor, sowie das Vor- wobei ein einfaches Nachrüsten der Schallschutz- Wohnraums für eine Pflegekraft gegeben ist. handensein einer eigenen Nasszelle, bestehend maßnahme zu gewährleisten ist. Um diese Werte aus Badezimmer mit WC. (Bauordnung für Wien, 2020, S. bei koppelbaren Nutzungseinheiten einhalten Diese Vielfalt der Ansprüche wird vom Wandel der 74) Selbstredend ist dabei auch eine unabhängige zu können, bedarf es einer Trennung der Verbin- Gesellschaft, mit den unterschiedlichsten Bezie- Erschließung der Wohnung über eine vorgelagerte dungspunkte mit einer Wohnungseingangstür je hungs- und Arbeitskonstellationen, sowie dem Verteilzone, wodurch in diesem Zusammenhang Raumseite. Somit sind die beiden Einheiten mit demographischen Wandel maßgeblich befeuert. von einem Einraumapartment oder einer Studio- zwei Türblättern akustisch voneinander getrennt. wohnung gesprochen wird. Im Falle einer Zusammenlegung könnten die Tür- In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die Zahl flügel entweder flächenbündig an einer tangieren- der Haushalte in Österreich kontinuierlich ansteigt, Die Vorarlberger Bauordnung sowie das Vorarl- den Wandfläche arretiert oder aber ausgehängt zugleich aber die Anzahl an Personen pro Haushalt berger Baugesetz kennt keine Mindestgröße von und in einem Zwischenlager vor Ort deponiert weiter abnimmt. Dies führt zu einer Zunahme der Wohneinheiten, wobei hier aus architektonischer werden. Auf diese Weise lässt sich ein schnelles durchschnittlichen Wohnfläche pro Kopf. (Melzer, Sicht immer eine sinnvolle Bespielung sicherge- und äußerst flexibles Kombinieren von Nutzungs- 2020) stellt sein sollte. einheiten gewährleisten, was die Nutzungsflexibili- tät jeder Teileinheit steigert. In Vorarlberg lag diese im Jahr 2019, bei 42,8 m² Um ein Mindestmaß an Nutzungsflexibilität einer pro Person, was sich noch unter dem österreich- Familienwohneinheit zu ermöglichen, bieten sich weiten Durchschnitt einordnet. (Statistik Austria, 2020) Konzepte an, die es ermöglichen, eine Einheit, Zum Vergleich dazu betrug die durchschnittliche bestehend aus ursprünglichen Kinderzimmern, Wohnnutzfläche in Österreich im Jahre 1990 noch inklusive Nasszelle, separierbar auszugestalten. 32,7 m² pro Person, was einer Zunahme um mehr Solch eine Einheit kann dann flexibel eingesetzt, als als 30% entspricht. (Melzer, 2020) Jugend-, Alters- oder Pflegerwohnung fungieren, beziehungsweise als Gästezimmer oder Apart- Auf dieser Grundlage kann der derzeitige Flächen- mentwohnung fremdvermietet werden. anspruch einer vierköpfigen Familie mit mehr als 170 m² angenommen werden. Der kritische Pfad stellt in diesem Zusammen- hang die räumliche Trennung ohne große bauliche Um auf sich verändernde Lebensumstände und Eingriffe, bei gleichzeitiger Einhaltung der Schall- eine damit oftmals verbundene defizite Nutzung schutzrichtlinien dar. von Teilflächen reagieren zu können, bedarf es der Teilbarkeit von derartig großen Wohnflächen in Die Anforderungen an den Luftschallschutz von kleinere Einheiten. Die modulare Koppelbarkeit Wänden, Decken und Einbauten zwischen Aufent- solcher Einheiten ermöglicht einen höheren Va- haltsräumen, dürfen dabei eine Standard-Schall- riantenreichtum und bringt damit eine räumliche pegeldifferenz von 50 dB, bei Verbindung der 34 35 Strategien der Nutzungsflexibilität
ARCH+ Space, Berlin Methodearchitektur, Arno Löbbecke/ Anh-Linh Ngo Als kreatives, wie auch innovatives Konzept der ad- ditiven Kopplung von Raumeinheiten können die Redaktionsräumlichkeiten mit integrierter Privat- wohnung der Berliner Zeitschrift für Architektur und Urbanismus, kurz ARCH+, beispielhaft darge- legt werden. Der Entwurf von Methodearchitektur gliedert sich auf der Basis einer beinahe quadratischen Geschossfläche und eines Stahlbeton-Stützen- rasters von drei auf drei Meter, in neun gleichran- gige Raumzonen. Diese sind untereinander durch großzügige Flügeltüren verbunden und organisie- ren sich um einen zentralen, 4,5m hohen Saal mit Oberlicht, der als Schnittstelle zwischen Privatwoh- nung und Redaktion fungiert. Das schleusenartige Raumkontinuum mit starker Betonung des räum- lichen Zentrums entstand dabei in Anlehnung an den palladianischen Grundriss. (ARCH+ Verlag GmbH, Abb. 8 ARCH+ Space Zentraler Saal 2020) Zusätzlich strukturiert wird die Raumabfolge durch zwei innenliegende „Serviceblöcke“, die alle die- nenden Funktionen, im Sinne von Nasszellen und Kücheneinbauten, sowie darin integrierte Stau- flächen, aufnehmen und zusammenfassen. (ARCH+ Verlag GmbH, 2020) Durch die zweiseitige Zugänglichkeit jedes Raumes können Raumzonen temporär zusammengefügt oder abgetrennt werden. Daraus ergeben sich viel- fältige Kombinationsmöglichkeiten, die ein unab- hängiges Nebeneinander von privater und öffent- licher Raumsphäre erlauben. Dennoch führt die Mehrdeutigkeit der Nutzung zu einer dynamischen Verschmelzung von Arbeiten und Wohnen inner- halb derselben Raumstruktur, was bezeichnend als Beitrag zu alternativen Wohn- und Arbeitsformen steht. (ARCH+ Verlag GmbH, 2020) Über die typologische Raumabfolge kommt es durch Minimierung der klassischen Erschließungs- fläche zu einer hohen Flächeneffizienz des Grund- risses und damit dessen Nutzungsflexibilität zu- sätzlich steigert. Skizze Abb. 9 ARCH+ Space ARCH+ Space, Modulares Grundrisslayout Dynamische Raumstruktur 36 37 Strategien der Nutzungsflexibilität
Strukturelle Flexibilität Die strukturellen Flexibilitätskriterien tangieren die grundlegen- Flächeneffizienz, de, konzeptuelle Gebäudestruktur, die als Infrastrukturmaßnah- Flexible Gebäudeerschlie- men über einen längerfristigen Nutzungszeitraum unverändert ßung & Versorgung bleiben. Was damit über die Themenbereiche der Gebäudeer- schließung, der räumlichen Struktur, der Verortung von Service- Das Flexibilitätskriterium der Flächeneffizienz Durch das Einfügen eines Tragwerks- Stützen- einheiten und des effizienten Umgangs mit Nutzfläche speziell vereint als Überbegriff eine Vielzahl an strukturel- rasters bei gleichzeitiger Reduktion von tragen- len Maßnahmen, welche bei der Umsetzung einer den Innenwänden kann die freie Bespielbarkeit auf das Grundriss-Layout abzielt. Zudem fließen auch Aspekte nutzungsflexiblen Grundrisskonzeption Berück- im Grundriss erhöht werden. Zudem wird durch der Raumhöhe und der Kubatur in diesen Strategieansatz mit sichtigung finden. Es handelt sich dabei mehrheit- die Mehrdeutigkeit und Nutzungsneutralität von ein, der vielfach in direkter Abhängigkeit mit den konstruktiven lich um konzeptionelle Parameter, die in Abstim- Räumen eine vielfältige Art der Nutzung gewähr- Rahmenbedingungen steht. mung mit den strukturbildenden Elementen zu leistet. Dietmar Eberle bezeichnet dies in seinen arrangieren sind, weshalb an dieser Stelle auch das Publikationen als „Funktionsneutrales Gehäuse“ Kriterium der Flexiblen Gebäudeerschließung und und prägte dabei die vorliegende Arbeit auch mit Versorgung als maßgebliche Rahmenbedingung dem Begriff der Servicezone, als zusammenfassen- mit einfließt. der Bereich aller dienender Infrastrukturelemente, wie Nasszellen und Kücheneinbauten. Vordergründiges Ziel beider Strategieansätze ist Durch Bündelung dieser Elemente in gemeinsa- ein klar gegliedertes, flexibel und zugleich effizient men Steigschächten lässt sich die Effizienz der strukturiertes Grundrisslayout, welches einen ho- Gebäudestruktur weiter steigern. Zudem können hen Variantenreichtum in der Belegung der Raum- durch eine möglichst zentrale Positionierung der struktur ermöglicht. Servicezone im Gebäudeinneren, die umliegenden Raumschichten freigespielt und durchgängig mit Der Effizienzgedanke äußert sich dabei in einer an- Tageslicht versorgt werden, was deren Nutzungs- gestrebten Minimierung der klassischen Erschlie- neutralität und Flexibilität steigert. ßungsflächen, bei gleichzeitiger Maximierung der erschließbaren Raumschichten. Umsetzung findet Es sind damit eine Menge vielschichtiger Themen, dies in konstruktiver/struktureller Abstimmung der die in diesem Zusammenhang auf die Flexibilität in Erschließungstypologie und deren Verortung im der Grundrisskonzeption Einfluss nehmen. Um die- Raumgefüge, mit den umliegenden strukturbilden- se zu verbildlichen, wird nachstehend eine Reihe den Elementen. Dazu zählen Steig- und Liftschäch- typologischer Voruntersuchungen präsentiert, die te, Innenwände und Stützen sowie Nasszellen und als Basis für die weitere Entwurfsarbeit und Präzi- andere Infrastruktureinheiten. sierung der Strategieansätze fungierte. 38 39 Strategien der Nutzungsflexibilität
Voruntersuchung 01 Durch das „skizzenhafte“ Analysieren flexibler Grundrisstypologien aus Kultur, Arbeiten und Wohnen lassen sich erste Rückschlüsse auf die strategische Bandbrei- te ziehen, womit Analogien zur eigenen Entwurfsarbeit geschaffen werden können. Aus den Grundrissen von Peter Zumthor, HK Architekten und Baumschlager Eberle wird abgeleitet, dass punktförmige und somit richtungsneutrale Gebäudetypolo- gien, in Wechselwirkung mit präzise gesetzten Erschließungs- und Versorgungsker- nen, das größte Potential für eine nutzungsflexible Grundstruktur aufweisen. 40 41 Strategien der Nutzungsflexibilität
Voruntersuchung 02 Basierend auf einem quadratischen Grundriss mit hinterlegtem Tragwerksraster von 62,5 cm entsteht eine Variantenstudie mit unterschiedlichen Erschließungstypo- logien, die den Schlüssel zur Flexibilität im Wechselspiel von Tragstruktur und Er- schließung vermuten lässt. Ein Maximum an Flexibilität bieten hier zentral gesetzte Erschließungskerne sowie ringförmige Erschließungszonen, die sich um die Grund- rissstruktur legen. Grundriss Typologie Maßstab 1:500 42 43 Strategien der Nutzungsflexibilität
Voruntersuchung 03 Um die regionalen Parameter im Hinblick auf den Entwurf am Standort Schwarzen- berg zu berücksichtigen, wird ein erster Grundriss, mit Mittelflurerschließung, daran angelegter Servicezone und modular koppelbaren Raumeinheiten detaillierter aus- Grundriss Typologie gearbeitet. Als ein erster Meilenstein beeinflusst diese Typologie den Entwurf maß- Maßstab 1:250 geblich. 44 45 Strategien der Nutzungsflexibilität
Nutzungsflexible Angelika Kauffmann Museum, Raumreserve Schwarzenberg Dietrich I Untertrifaller Architekten In dem neun Meter hohen Foyer, das als Ankom- Ein „Überschuss“ an vorhandenem Raum- und mens- und Verteilzone fungiert, treffen alte und Gebäudevolumen kann die Flexibilität und Lang- Die Qualitäten dieser „Raumpolster“ spiegelt sich neue Bauteile aufeinander. Über die differenzierte lebigkeit eines Gebäudes durch eine größere Fülle in der großen Bandbreite ihrer Anwendungsbe- Materialität der neuen Elemente, in Glas, Stahl und an möglichen Nutzungskonstellationen positiv reiche wider, wie es beispielsweise das Angelika Weißtannenholz, werden diese für den Betrachter beeinflussen. Kauffmann Museum in Schwarzenberg darlegt. aber klar ablesbar und fügen sich dennoch harmo- nisch in das Gesamtgefüge. (Gatt, 2010, S. 14) Die zusätzliche Raumreserve steigert die Chance Im Wirtschaftstrakt des denkmalgeschützen Wäl- auf ein vielfältiges Arbeiten, innerhalb einer be- derhauses von 1556 wurde anlässlich des 200. Der Museumsraum ist im ehemaligen Stall verortet stehenden Struktur, was meist bei wechselnden Todestages der aus Schwarzenberg stammenden und bildet als „Haus im Haus“ Konzept, entkop- Nutzern und damit verbundenen Nutzeransprü- Künstlerin mit viel Feingefühl und Liebe zum Detail, pelt von der bestehenden Tragstruktur, ein räum- chen relevant wird. Sichtbar wird dies besonders ein Museumsraum mit Foyer und diversen Nutz- liches Passstück, das über die Sprengwerke des beim Bauen im Bestand, wo alte Bausubstanz einer räumen implantiert. (Gatt, 2010, S. 13) Dem äußeren Dachstuhls rhythmisch gegliedert wird. Über dem geänderten oder erweiterten Nutzung zugeführt Erscheinungsbild ist dieser Eingriff nicht abzulesen, Museumsraum sind Technikräume untergebracht, werden soll. lediglich während des Museumsbetriebs wird der welche das bestehende Raumvolumen bestmög- Zugang zum Foyer, in der ehemaligen Tenne, über lich ausnutzen und damit auf die strukturelle Flexi- Dort, wo eine hohe Dichte in der Baunutzung eine Schiebewand geöffnet und leitet den Besu- bilität des Gebäudes hinweisen. (Dietrich | Untertrifaller vorhanden ist, kann diese bei entsprechend gu- cher ins Gebäudeinnere. (Gatt, 2010, S. 14) Architekten ZT GmbH, 2020) tem Bauzustand leichter den Ansprüchen einer Um- und Weiternutzung gerecht werden. Auf Neubauprojekte übersetzt, bedeutet dies eine Maximierung der Baunutzzahl, angepasst auf die Vorgaben der Raumplanung und des entsprechen- den Grundstücks. Daher sind Einfamilienhauskonzepte aus dem Ge- sichtspunkt der Nutzungsflexibilität kritisch zu hin- terfragen. Hier sollte zumindest die Möglichkeit der einfachen Teilbarkeit, aber auch der Nachverdich- tung, in Form einer Aufstockung oder flächigen Erweiterung gegeben sein, um eine längerfristige Flexibilität und Wandelbarkeit zu gewährleisten. Im ländlichen Raum sind es vorwiegend landwirt- schaftliche Gebäude, die durch ihr gesteigertes Gebäudevolumen aus Wirtschafts- und Wohn- trakt, in neuer Zeit eine Nachverdichtung erfahren können und damit den Erhalt der Bausubstanz, als Teil des kulturellen Erbes sicherstellen. Der Bregenzerwald bietet dazu eine Fülle von um- gesetzten Projekten, die in das offene Raumgefüge des Wirtschaftstrakts neue Raumstrukturen imple- mentieren und damit Nutzungsflexibilität im länd- lichen Kontext neu definieren. Skizze Angelika Kauffmann Museum, Erdgeschoss 46 47 Strategien der Nutzungsflexibilität
Abb. 11 Angelika Kauffmann Museum Museumsraum als „Haus im Haus“ Konzept Abb. 10 Angelika Kauffmann Museum Blick ins Foyer 48 49 Strategien der Nutzungsflexibilität
Konstruktive Flexibilität Die konstruktiven Flexibilitätskriterien umfassen Bereiche des Systemtrennung Tragwerkskonzepts, der Bauteilaufbauten und der technischen Die primäre Tragstruktur von heute errichteten Im Hinblick auf die Nutzungsflexibilität bieten fle- Gebäudeausstattung und zielen wie die strukturellen Kriterien Gebäuden wird meist auf eine Nutzungsdauer xible Haustechnikkonzepte über den Systemtren- auf eine längerfristig flexible Nutzung des Gebäudes und dessen zwischen 50-100 Jahren ausgelegt. (Isopp, 2017, S. 13) nungsgedanke hinaus, durch freie Zugänglichkeit Bauteile ab. In einer ganzheitlichen Lebenszyklusbetrachtung Sekundäre Bauteile (Nutzungsdauer 30 Jahre), wie zu Elektro- und EDV-Leitungen, Brauch- und Ab- geht es hier um die Umsetzung von „cradle to cradle“ Konzepten, beispielsweise Fenster, Türen und die technische wasser, Heizung und Kühlung, Be- und Entlüftung, Gebäudeausstattung, aber auch tertiäre Bauteile die Möglichkeit des flexiblen Nachrüstens dieser die eine Nutzung der verbauten materiellen Ressourcen von der (Nutzungsdauer 5-20 Jahre), wie Oberflächenbe- technischen Gebäudeausstattung, was gerade bei „Wiege zur Wiege“ ermöglichen. Wodurch erst diese Form der läge und Fassadenteile, haben eine sehr viel niedri- einer Nutzungsänderung relevant wird. (John, 2020) Nutzungsflexibilität eine ganzheitliche Nachhaltigkeit eines Ge- gere Lebenserwartung. bäudes sicher stellen. Gebäudestrukturen, die dem Leitbild der System- Um dieses Ungleichgewicht zu kompensieren, ist trennung folgen, sind damit im Sinne der Rück- eine Trennung der einzelnen Systeme in einem baubarkeit, Erweiterbarkeit und Wandelbarkeit zugänglichen und demontierbaren Schichtaufbau nutzungsflexibel und tragen zu einem ressourcen- nach zu erwartender Lebensdauer unabdinglich. schonenden Bauen bei. (Gutzwiller, 2019, S. 35) Damit lässt sich die Wandelbar- keit eines Gebäudes und die Wiederverwendbar- keit von Bauteilen ohne große bauliche Eingriffe sicherstellen und ein unnötiges Erzeugen von un- trennbarem Bauschutt verhindern. (John, 2020) » Die Vorteile einer solchen Bauweise kommen nicht erst beim Rückbau eines Gebäudes zum Tragen: Die Flexibilität im Gebrauch ergibt sich automatisch, und notwendige Instandsetzungen werden vereinfacht. Dieses «Design for Disassembly» (Design für Demontage) war in der Baubranche lang eher als Notwendigkeit denn als bewusste Entscheidung präsent. « (Gutzwiller, 2019, S. 35) 50 51 Strategien der Nutzungsflexibilität
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