Nachhaltigkeit und Digitalisierung - Mittelstand-Digital Magazin WISSENSCHAFT TRIFFT PRAXIS - Mittelstand 4.0 ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Nachhaltigkeit und Digitalisierung Mittelstand-Digital Magazin WISSENSCHAFT TRIFFT PRAXIS Ausgabe 14
Impressum Herausgeber/Redaktion: Begleitforschung Mittelstand-Digital WIK-Consult GmbH Rhöndorfer Straße 68 53604 Bad Honnef HRB: Amtsgericht Siegburg, 7043 Tel. +49 (0)2224-9225-0, Fax +49 (0)2224-9225-68 E-Mail: mittelstand-digital@wik.org www.mittelstand-digital.de Verantwortlich: Martin Lundborg Redaktion: Lisa Schrade-Grytsenko Satz und Layout: Karin Wagner Urheberrechte: Namentlich gekennzeichnete Texte geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für den Inhalt der Texte sind die jeweiligen Autorinnen und Autoren verantwortlich. Bildnachweis: Titel: jojokrap - adobe.stock Seite 5: Pop & Zebra - Unsplash Seite 11: Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hannover/Nele Lüpkes Seite 15: TU Darmstadt | PTW | Jan Hosan Seite 17: TU Darmstadt | PTW Seite 21: arborpulchra - adobe.stock Seite 22/23: Sonja Riedel Seite 24: Annika Pilgrim Seite 25: Me studio - adobe.stock Seite 26/27: Digital in NRW Seite 28: Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen Seite 30: Kasjan Farbisz - Pixabay Seite 37: eCom Logistik GmbH 2019 Seite 38: HNEE / Neuhaus 2019 Seite 39: HNEE / Feuerschütz 2019 Seite 42: Joaquin Corbalan - adobe.stock Seite 48: Thomas Pleil / Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Kommunikation Seite 52: bodkins18 - Pixabay Stand: September 2020 Druck: Medienhaus Plump GmbH Rolandsecker Weg 33, 53619 Rheinbreitbach ISSN (Print) 2198-8544 ISSN (Online) 2198-9362 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird möglicherweise auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 1 Mittelstand-Digital Magazin WISSENSCHAFT TRIFFT PRAXIS – Ausgabe 14 Nachhaltigkeit und Digitalisierung Inhalt Editorial 3 Janpeter Beckmann, Livia El-Khawad, Felix Schumacher Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung – Die Trends im Kontext und die Chancen für mittelständische Unternehmen 5 Nele Lüpkes Nachhaltige Lernkultur im Unternehmen – Lebenslanges Lernen ermöglichen 11 Benedikt Grosch, Stefan Seyfried, Nina Strobel, Matthias Weigold Chancen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz im industriellen Energiemanagement 15 Sonja Riedel Mitfahr-App für Unternehmen 21 Robin Günther Nachhaltiges Fehlermanagement – Produktions- und Prozesskosten senken durch Digitalisierung 25 Robert Kummer, Stefan Voigt, David Zibold Mit einem nachhaltigen, digitalen Geschäftsmodell durch die Corona-Krise – YourLocal Magdeburg 30 Susann Feuerschütz, Gerrit Neuhaus, Jan Seitz Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor für nachhaltige Digitalisierung 37 David Chuchra, Rafael Horn, Kevin Koke Effiziente Gebäudeökobilanzen für Praxis und Forschung mit der Websoftware GENERIS® 42 Sina Wans, Anne-Kathrin Berg Wegkommen vom Wegwerfen dank Circular Economy (CE) 48 Tarek Annan, Leonie Maier Green Software und die Ressourceneffizienz recyclebarer IT-Schnittstellen 52
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 3 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, mit der Digitalisierung bieten sich zunehmend neue Innovations- und Entwicklungsmöglichkeiten für Unternehmen. Eine dieser neuen Möglichkeiten ist die Implementierung und der Ausbau von unternehmerischen Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Wichtig ist hierbei eine ganzheitliche Betrachtung von Nachhaltigkeit, in all ihren Dimensionen: Ökologisch, ökonomisch und sozial. Digitale Technologien ermöglichen auf allen drei Ebenen nachhaltige Angebote. In dieser Ausgabe des Mittelstand-Digital Magazins möchten wir Ihnen genau diese Möglichkeiten näherbringen – mit Umsetzungsprojekten unserer Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren aus der Praxis kleiner und mittlerer Unternehmen. Kreislaufwirtschaft Was zeichnet die Kreislaufwirtschaft aus? Wie können digitale Technologien die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft unterstützen? Und wie können kleine und mittlere Unternehmen dies für sich nutzen? In dieser Ausgabe erhalten Sie aus den Kompetenzzentren nicht nur Antworten auf die grundlegenden Fragen und Definitionen, sondern darüber hinaus auch einen Einblick, wie dies in mittelständischen Unternehmen erfolgreich umgesetzt wurde. Nachhaltige, digitale Geschäftsmodelle Nicht nur für Krisenzeiten, wie wir sie in den vergangenen Monaten durch Corona erlebt haben, eignet sich eine Umstellung auf digitale Geschäftsmodelle. Sie bieten auch im Bereich Nachhaltigkeit einige gewinnbringende Handlungsmöglichkeiten. Erfahren Sie hier, wie so eine Umstellung aussehen kann und warum sie sich auch für kleine und mittlere Unternehmen anbietet. Unternehmens- und Lernkultur Neben der Technologie ist noch ein weiterer Faktor erfolgskritisch, besonders in Hinblick auf die Realisierung von nachhaltigen Maßnahmen: Die Unternehmenskultur. Welche Rolle spielt sie bei kleinen und mittleren Unternehmen bei der Umsetzung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit? Und wie können digitale Technologien die Lernkultur im Unternehmen nachhaltiger gestalten? Beispiele aus zwei Kompetenzzentren stellen diesen Zusammenhang anschaulich und praxisnah dar. Branchenübergreifend nachhaltig und digital Wie kann ein mittelständisches Unternehmen zur Nachhaltigkeit der Mitarbeiterfahrten beitragen? Warum braucht es per se eine nachhaltigere Software? Und wie können Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Energiemanagement, der Produktion oder der Baubranche einen wertvollen Beitrag leisten? Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie in dieser Ausgabe des Mittelstand-Digital Magazins – anhand von praxisnahen Beispielen aus dem Mittelstand. Die zehn Beiträge dieser Ausgabe stehen für die Themenvielfalt der 26 Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren in ganz Deutschland. Betrachten Sie sie als Vorgeschmack auf ihre diversen Informations- und Qualifizierungsangebote zu diesen und weiteren Digitalisierungsthemen. Informationen über die mehr als 130 Anlaufstellen und einen umfassenderen Einblick in die Expertise des Mittelstand-Digital-Netzwerks erhalten Sie auf www.mittelstand- digital.de. Ich wünsche Ihnen eine interessante und inspirierende Lektüre. Lisa Schrade-Grytsenko Begleitforschung Mittelstand-Digital
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 5 Janpeter Beckmann, Livia El-Khawad, Felix Schumacher Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung – Die Trends im Kontext und die Chancen für mittelständische Unternehmen Wie die Digitalisierung Einfluss auf die Transfor- Wachstumsmodell, das auf der Verfügbarkeit reich- mation zu einer angestrebten Kreislaufwirtschaft lich vorhandener und kostengünstiger natürlicher nehmen kann und welche Möglichkeiten sich hier- Ressourcen basiert, nicht zukunftsfähig ist.1 Über 90 durch für kleine und mittelständische Unterneh- Prozent der weltweit verwendeten Rohstoffe werden men (KMU) auftun, wird in diesem Beitrag aufge- nach Nutzung nicht mehr in den Wirtschaftskreislauf zeigt. Anhand konkreter Beispiele wird vorgestellt, zurückgeführt, was zu einer massiven Übernutzung welche neuen Produkte, Verfahrensinnovationen der endlichen natürlichen Ressourcen unseres Plane- und Geschäftsmodelle sich bereits durchsetzen, ten und zur Belastung unseres Klimas führt.2 welcher Prinzipien der Kreislaufwirtschaft sie sich bedienen und welche digitalen Werkzeuge dabei In einer Kreislaufwirtschaft wird das Wachstum von zum Einsatz kommen. Weitere Einblicke und Infor- der Nutzung knapper Ressourcen entkoppelt: Dies mationen in das Thema bietet die Website des Mit- wird durch einschneidende Technologien und sol- telstand 4.0-Kompetenzzentrums eStandards. che Geschäftsmodelle ermöglicht, die auf Langle- bigkeit, Wiederverwendung, Reparatur, Überholung, Sanierung und Kapazitätsteilung basieren. Übersetzt Einleitung bedeutet das, dass für die Herstellung und Verwen- dung von Produkten tendenziell weniger Ressour- In der wissenschaftlichen und praktischen For- cen benötigt werden. Auf volkswirtschaftlicher Ebene schung besteht weitestgehend Konsens darüber, dass das von den meisten Volkswirtschaften und 1 Accenture (2014). Unternehmen in den letzten 250 Jahren favorisierte 2 Circle Economy (2018).
6 Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14 Natürliche Rohstoff- Ressourcen gewinnung Wieder- Verbrennung und gewinnung Deponierung Produktion und Verarbeitung Recycling von Entsorgung Komponenten und Materialien Wiederverwendung Logistik und Handel Konsum und Nutzung Abbildung 1: Schema Kreislaufwirtschaft ist es das Ziel, eine Steigerung von Wohlstand und pean Green Deal vorgestellt. Dieser beinhaltet einen Lebensqualität mit einem sinkenden Ressourcenver- ehrgeizigen Fahrplan für eine klimaneutrale Kreis- brauch zu ermöglichen. Unternehmen konzentrieren laufwirtschaft. Mit Maßnahmen wie Aktionsplänen sich nicht mehr nur darauf, durch mehr Effizienz in und Strategien, Investitionshilfen oder dem Emissi- Lieferketten, Fabriken und Betrieben mehr Volumen onshandel entlang des gesamten Lebenszyklus von zu erzielen und Kosten zu sparen. Vielmehr fokussie- Produkten zielt der neue Aktionsplan darauf ab, die ren sie sich darauf, Produkte und Dienstleistungen europäische Wirtschaft fit für eine grüne Zukunft zu von Grund auf neu zu überdenken und ihre Betriebe machen, damit die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken „zukunftssicher" zu machen, um sich auf unvermeidli- sowie gleichzeitig die Umwelt zu schützen und den che Ressourcenengpässe vorzubereiten – bis hin zum Verbrauchern neue Rechte zu geben. Ein ambitio- Nutzenversprechen für den Kunden. Dies bedeutet: niertes Ziel hierbei ist es, nachhaltige Produkte und Verschwendung zu minimieren, schrittweise Steige- entsprechendes Produktions- und Konsumverhalten rungen in der Ressourcenproduktivität zu erzielen in einer Vielzahl an Sektoren zur Norm zu machen.5 und gleichzeitig das Wertangebot für den Kunden in Bezug auf Faktoren wie Preis, Qualität und Verfügbar- Nach Berechnungen der Europäischen Kommission keit zu verbessern.3,4 bietet eine Kreislaufwirtschaft ein beträchtliches wirt- schaftliches Potenzial: So ließen sich durch Abfallver- meidung, Öko-Design, Energiemanagement, Wie- Der europäische Weg zur Kreislaufwirtschaft: derverwendung und ähnliche Maßnahmen pro Jahr Der European Green Deal Nettoeinsparungen von 600 Milliarden Euro, bzw. acht Prozent des Jahresumsatzes aller Unternehmen Um auf die Herausforderung der Ressourcenüber- in der EU erzielen. Auch für innovative mittelständi- nutzung zu reagieren und die Entwicklung zu einer sche Unternehmen bieten sich dadurch riesige Kreislaufwirtschaft voranzutreiben, hat die Europäi- Wachstumsmärkte, die im Zuge der Transformation sche Kommission am 11. Dezember 2019 den Euro- zu einer Kreislaufwirtschaft entstehen.6 3 Accenture (2014). 4 What is a circular economy? – Ellen MacArthur Foundation, 5 Europäische Kommission (2019). https://www.ellenmacarthurfoundation.org/circular-economy/ 6 Dhawan, Piyush; Beckmann Janpeter Circular Economy Guide- concept. book for Cities.
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 7 Sieben Prinzipien für eine Kreislaufwirtschaft – 6. Recycle (Rezyklierung): Wenn eine Reparatur Innovationsspielräume für KMU nicht mehr möglich ist, geht es darum, so viele Bestandteile des Produktes wie möglich wieder- Um den Übergang zur Kreislaufwirtschaft für Unter- zuverwerten, einschließlich Papier, Plastik, Metalle nehmen zu verdeutlichen und allgemein greifbar zu und Elektronikteile. machen, können die „7Rs“ herangezogen werden, welche in der als „kreislauf-vorbildlich" geltenden, 7. Recover (Wiedergewinnung): Ausgehend von britischen Stadt Peterborough Verwendung finden.7 der Annahme, dass jeder Produktbestandteil, und insbesondere Kleinstbestandteile, wie z.B. ein- Anhand dieser sieben Prinzipien können Unterneh- zelne Metalle, grundsätzlich noch einen Wert men ihre Produkte und Produktionsprozesse systema- haben kann, geht es darum, auch diesen nutzbar tisch sowie im Hinblick auf die eigene Nutzenmehrung zu machen. hinterfragen und ihre eigenen Geschäftsmodelle wei- terentwickeln. Die „7Rs" zeigen somit auch KMU neue Aktions- und Innovationsspielräume auf. Hier eine Auf- Digitalisierung als Ermöglichungstechnologie listung und kurze Erläuterung der sieben R-Prinzipien für eine Kreislaufwirtschaft. Der Digitalisierung fällt bei der Umsetzung der „7Rs" eine entscheidende Rolle zu, denn digitale Technolo- 1. Rethink (Überdenken): Grundsätzliches Über- gien können die Umsetzung nicht nur unterstützen, denken des Produktes und des Produktionsprozes- sondern ermöglichen in einigen Fällen diese gar erst. ses, insbesondere hinsichtlich der verwendeten Eine Untersuchung des Unternehmens- und Strate- Ressourcen und auch der sozialen Auswirkungen gieberaters Accenture benennt die folgenden ein- entlang der Lieferkette schneidenden Technologien, die den Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft beeinflussen (werden)8: 2. Redesign (Designüberarbeitung): Mit dem Ziel der Erhöhung der Lebensdauer eines Produktes; ► Mobilfunk-Technologien auch durch Reparierbarkeit oder Austauschbar- ► Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M) keit von Komponenten ► Cloud-Computing 3. Repurpose, Reuse and Share (Neue Verwen- ► Soziale Netzwerke dungszecke und weitere Nutzungsformen): Mit ► „Big Data"-Analysen dem Ziel, den Produktnutzen über seine Lebens- dauer hinweg zu steigern, zum Beispiel durch ► Rückverfolgungs- und Rückführungssysteme gemeinschaftliche Nutzung, Second-Hand-Nut- ► 3D-Drucken zung oder Weiterverwendung einzelner Kompo- ► Modulare Konstruktionstechnik nenten am Ende des Lebenszyklus ► Erweiterte Recycling-Technologien 4. Repair (Reparatur): Verbesserung der Reparatur- ► Lebens- und materialwissenschaftliche Techno- möglichkeiten einerseits durch das „Redesign", logien aber auch durch Informationsbereitstellung und Unterstützungsleistungen hierfür; sei es durch das herstellende Unternehmen selbst oder durch Praxisbeispiele aus Deutschland andere Akteure Im Folgenden werden zunächst Beispiele in und aus 5. Remanufacture (Wiederaufbereitung): Rück- Deutschland sowie anschließend internationale nahme des Produktes am Ende des Lebenszyklus Modelle gezeigt, wie sich auch kleine und mittelstän- und professionelle Aufbereitung für eine Neunut- dische Unternehmen die R-Prinzipien schon heute zung, zum Beispiel durch den Austausch veralteter zunutze machen und wie sie dabei auf digitale Tech- oder abgenutzter Komponenten; auch Verwen- nologien zurückgreifen. Mit ihren neuen Produkten dung alternativer Geschäftsmodelle wie Leasing und Geschäftsmodellen treiben die Unternehmen die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft aktiv voran. Für viele der genannten Beispiele ist eine Übertragung auch auf andere Branchen denkbar. 7 Circular Peterborough, http://www.futurepeterborough.com/circular-city. 8 Accenture (2014).
8 Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14 Der Rucksackhersteller „FOND OF"9 erprobt ein wie das Joint Venture von BMW und dem Entsorger Modell, wonach eigene Produkte nach (Erst-)Nutzung ALBA verdeutlicht. Dieses zielt auf die Wiederaufbe- zurückgenommen und schließlich second-hand wei- reitung von Autoteilen und die Wiederverwendung terverkauft oder in Bestandteilen weiterverarbeitet von Materialien ab. Hierfür wurde über die Firma werden. Im Optimalfall wird aus einem nicht mehr ver- Encory eine Plattform ins Leben gerufen, welche als wendbaren Produkt ein neues Upcycling-Produkt Anlaufstelle für die Beschaffung gebrauchter Einzel- gemacht, d.h., dass das alte Produkt oder Teile davon, teile dient und auch Beratungsleistungen bietet.11 durch Weiterarbeitung aufgewertet werden (zum Bei- Der Einsatz intelligenter IT-Lösungen für eine vollstän- spiel Herstellung von Gürteln, Etuis für Schreibgeräte). dig transparente After-Sales-Lieferkette ist Kernbe- Wenn das Produkt nicht mehr für Upcycling genutzt standteil der Plattform. Hierbei wird an der Schnitt- werden kann, wird es entsorgt. Auch so genannte stelle zwischen Erstausrüstern als Produzenten C-Ware, d.h. Produkte mit kleineren Fehlern, die nicht modularer Konstruktionstechnik und den Entsor- für den Verkauf geeignet sind und vom Handel zurück- gungs- und After-Market-Akteuren gearbeitet, indem gegeben werden, können für Upcycling genutzt wer- entgegengesetzt verlaufende Wertschöpfungsketten den. Die Grundvoraussetzung für die Weiterverwen- und Materialflüsse durch Software- und Business-Intel- dung ist ein funktionierendes Rückverfolgungs- und ligence-Anwendungen gestützt entwickelt, umgesetzt Rückführungssystem, für welches eine eindeutige sowie optimiert und die beteiligten Akteure gezielt Artikelidentifikation vonnöten ist. Hierfür wird dem vernetzt werden. Daraus entstehen Einsparungen in Produkt eine GTIN (Global Trade Item Number) zuge- Management und Verwaltung sowie bessere Nach- ordnet, welche möglichst in der praktischen Form verfolgbarkeit und Transparenz der rückgeführten eines EAN13-Barcodes erkennbar ist. Autoteile, die dann bedarfs- und möglichkeitsabhän- gig aufbereitet, rückgeführt und, wenn es nicht mehr Als Beispiel für Machine-to-Machine-Kommunika- anders möglich ist, umweltgerecht entsorgt werden. tion (M2M) zeigt das deutsche Unternehmen „Circu- lartree“, wie sich Kommunikationswege verändern Rund um den Klimaschutz führt kein Weg an der und Wertschöpfungsketten neu organisieren las- Mobilität vorbei. Die aus Frankreich stammende und sen.10 Mittels Blockchain-Technologien werden Infor- inzwischen hierzulande zum Marktführer aufgestie- mationen über die Wertschöpfungskette abgegriffen gene Plattform für Mitfahrgelegenheiten „BlaBla- und verschlüsselt weitergegeben. Nachhaltigkeitsre- Car"12 bietet genau dort bedarfsgerechte Lösungen. levante Informationen, wie zum Beispiel der CO2- Das Prinzip ist einfach: Wer eine Strecke mit dem Fussabdruck, können der Blockchain entnommen eigenen Auto zu fahren plant, kann diese anbieten werden, ohne dass sensible Informationen über die und Mitfahrer suchen. Der Clou: Fahrer und Mitfahrer Wertschöpfungskette preisgegeben werden müssen, geben an, wie viel sozialer Austausch auf der Fahrt so zum Beispiel vertrauliche Informationen zu Liefe- erwünscht ist oder anders gesagt, ob sie sich gerne ranten. Der Wunsch der Verbraucher nach nachhalti- unterhalten oder eher eine ruhige Fahrt genießen gen Produkten kann seitens der Produzenten so möchten. Somit ist BlaBlaCar mehr als nur eine Mit- erfüllt werden, indem diese sich die neu geschaffene fahrgelegenheit; sie kann durch dieses gemeinsame Transparenz zu Nutze machen. Wenn Produzenten Fahren (Share) als soziales Medium gesehen wer- ein faires und nachhaltiges T-Shirt fertigen möchten, den. Im Ergebnis wird die Produktnutzung des Autos können sie so in Erfahrung bringen, welche Erzeu- gesteigert und CO2-Emissionen pro Kopf gesenkt. gungs- und Verarbeitungsschritte Textilien bzw. Textil- fasern sowie andere Materialien wie z. B. Färbemittel Ein Beispiel für die Nutzung großer Datenmengen gegangen sind, und gegebenenfalls ihre Lieferkette (Big Data) ist der „Recycling-Monitor" eines Start-ups umstellen. Die Technologien unterstützen so den Pro- aus Beckum.13 Zunächst findet mithilfe einer Software zess des Überdenkens (Rethink) und vereinfachen eine digitale Erfassung und Abbildung der Bewe- ein nachhaltigkeitsorientiertes Management durch gungsströme statt. Über die Auswertung und Zurver- die Informationsbereitstellung. fügungstellung der Daten wird ein Mehrwert erzeugt, indem die Entsorger die Daten für den Kundendialog Die Entwicklung in Richtung einer Kreislaufwirtschaft nutzen können, zum Beispiel, indem die Containerlo- zeigt sich auch auf unternehmensstruktureller Ebene, gistik über eine verbesserte Standortwahl optimiert 9 Im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards haben wir FOND OF bei diesem Vorhaben begleitet. Einen Projektsteck- brief mit Detailinformationen finden Sie hier: https://www. estandards-mittelstand.de/praxisprojekte/projektsteckbriefe/ 11 https://encory.com/ nachhaltigkeit-fuer-rucksaecke-bei-fond-of/ 12 https://www.blablacar.de/ 10 https://circulartree.com/ 13 https://recyclingmonitor.de/
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 9 wird. Über eine angeschlossene App können darü- Fazit ber hinaus weitere Dienste abgerufen werden: Con- tainerbestellung per Mausklick, eine Auftragsabwick- Die EU stützt und flankiert mit ihrem Green Deal die lung mit Dokumentation aller Abfallströme vom Entwicklung zu einer Kreislaufwirtschaft und verdeut- Erzeuger bis zum Verwerter, eine Fahrer-App auf dem licht mit ihrem Aktionsplan16 bereits konkret, wohin Smartphone und eine gezielte Datenanalyse für den die Reise geht. KMU sollten sich diese Gegebenhei- Austausch mit den Kunden. Im Ergebnis werden so ten bewusstmachen und die Chance nutzen, die sich Recycling und Recover weiter vorangetrieben. aus der Verbindung von Kreislaufwirtschaft und Digi- talisierung ergeben. Internationale Beispiele Die dargestellten Beispiele verdeutlichen zum einen, dass die Digitalisierung weltweit in vollem Gange ist Die vom schwedischen Bauunternehmen NCC ins und zweitens, dass die damit verbundenen techni- Leben gerufene Plattform „Loop Rocks“ zeigt im briti- schen Innovationen neue Geschäftsmodelle begrün- schen und skandinavischen Raum, wie mit Hilfe von den lassen. Letztere können zugleich aktiv eine Kreis- Mobilfunktechnologien Repurpose und Recycling laufwirtschaft befördern. Diese ist wiederum so neue Sektoren erobern14: Die Betreiber von Baustel- wichtig, da sie das wirtschaftliche Wachstum von der len können Materialüberschüsse und Reste oder den Ressourcennutzung entkoppelt und damit einen kla- Bedarf neuer Sekundärmaterialien wie aufbereitetem ren Nachhaltigkeitsfortschritt bedeutet, der schließ- Beton über eine App kommunizieren. Die so erfol- lich entscheidend zu einer langfristigen Beförderung gende digitale Vernetzung führt zu einer Reorganisa- und Wahrung des Wohlstands und der Lebensquali- tion des Umgangs mit Bauresten, Abfällen und ande- tät auf globaler Ebene beitragen kann. ren Nebenprodukten. Die Materialflüsse zwischen den Baustellen werden so optimiert, die Menge Die Beispiele verdeutlichen ferner, dass die Innovati- ungenutzter (teurer) Reststoffe reduziert und Emissio- onen nicht branchengebunden sein müssen, son- nen umfassend eingespart. dern übertragbar sind. Rückführungs- und Tracking- Systeme, gemeinschaftliche Nutzung von Produkten Die Instandhaltung von Gerätschaften, Fahrzeugen auf Grundlage IT-gestützter Systeme, verbesserte und zunehmend auch von Hardware gehört für viele Wartungs- und Produktnutzungsmöglichkeiten mit- Unternehmen zum Tagesgeschäft. Das kanadische hilfe funkgesteuerter, datenbasierte Zustandsüber- Unternehmen Scanimetrics hat sich auf die funkge- wachung sind nur einige der Beispiele. steuerte, datenbasierte Zustandsüberwachung von Bergbaumaschinen spezialisiert15. Indem wich- Für kleine und mittelständische Unternehmen bieten tige Variablen zu Abnutzung und Lebensdauer der sich die „7Rs" als ein erstes Werkzeug an, um die Ausrüstung erfasst und verarbeitet werden, können eigenen Produkte und Geschäftsmodelle zu hinter- manuelle Kontrollen und aufwändige Prüfungen fragen und Handlungsfelder für sich zu erkennen. Die reduziert werden. Im Ergebnis ist die digitale War- „7Rs" eröffnen so Aktions- und Innovationspielräume, tung nicht nur kostengünstiger, sondern hilft auch, die grundsätzlich jedem KMU offenstehen. die Lebensdauer der Maschinen zu steigern, indem Reparaturzyklen und Wiederaufbereitungsprozesse optimiert werden (Repair, Remanufacturing, Rück- verfolgungs- und Rückführungssysteme). 16 Weitergehende Informationen zum Aktionsplan stellt die Europäische Kommission hier bereit: https://ec.europa.eu/info/ 14 https://www.ncc.com/media/pressrelease/718a9977a1330f47/ strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal/actions- 15 https://www.scanimetrics.com/ being-taken-eu_de
10 Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14 Autoren Literatur Janpeter Beckmann ist von Beruf Accenture (2014). Circular Advantage. Innovative Busi- Volkswirt mit den Schwerpunkten Au- ness Models and Technologies to Create Value in a ßenwirtschaft und Entwicklungslän- World without Limits to Growth. der sowie Ressourcenökonomik. Als https://www.accenture.com/ Projektmanager befasst er sich seit t20150523t053139__w__/us-en/_acnmedia/accen- knapp zehn Jahren themenübergrei- ture/conversion-assets/dotcom/documents/global/ fend mit dem ökonomischen Nutzen pdf/strategy_6/accenture-circular-advantage-innova- von Nachhaltigkeit auf Unterneh- tive-business-models-technologies-value-growth.pdf mens- und Organisationsebene. Über die letzten Jahre sind insbesondere die Themen Kreis- Circle Economy. (2018): The Circularity Gap Report laufwirtschaft, Bioökonomie und Digitalisierung (als https://www.circularity-gap.world/ Ermöglichungstechnologie für nachhaltige Lösungen) Circular Peterborough: http://www.futurepeterborough. zu Schwerpunkten seiner Arbeit im Collaborating Cen- com/circular-city tre on Sustainable Consumption and Production gGmbH (CSCP) geworden. Dhawan, Piyush; Beckmann Janpeter: Circular Economy Guidebook for Cities - CSCP https://www.scp-centre.org/wp-content/ Livia El-Khawad studiert im letzten uploads/2019/03/Circular_Cities_Publication.pdf Semester Umweltwissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg. Der Ellen MacArthur Foundation: What is a circular eco- thematische Schwerpunkt ihres Stu- nomy? https://www.ellenmacarthurfoundation.org/ diums ist die nachhaltige Ressour- circular-economy/concept cennutzung sowie die Kreislaufwirt- Europäische Kommission (2019): Ein europäischer Grü- schaft. In ihrer Bachelorarbeit, befas- ner Deal. https://ec.europa.eu/info/strategy/priori- ste sie sich mit der deutschen Solar- ties-2019-2024/european-green-deal_de anlagenindustrie und analysierte das Potenzial, den Kreislauf innerhalb dieser Industrie zu schließen. Quellen für die Best Practices Felix Schumacher studiert an der „BlaBlaCar” https://www.blablacar.de/ Philipps-Universität Marburg im Ma- „CircularTree” https://circulartree.com/ ster Wirtschaftsgeographie und ist aktuell als Praktikant beim CSCP an- „Encory” https://encory.com/ gestellt. Dort beschäftigt er sich, ähn- „FOND OF “ http://www.fondofbags.com/ lich wie im Studium, mit nachhaltigen Wertschöpfungsketten und der Kreis- „Loop Rocks” NCC (2017) https://www.ncc.com/media/ laufwirtschaft. Zusätzlich arbeitet er pressrelease/718a9977a1330f47/ seit einigen Jahren im Bereich der Suchmaschinenoptimierung als Texter unmittelbar an „Recycling Monitor” https://recyclingmonitor.de/ einer Schnittstelle von Digitalisierung und Wirtschaft. „Scanimetrics” https://www.scanimetrics.com/ Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards unterstützt kleine und mittelständische Unterneh- men im gesamten Bundesgebiet dabei, durch Pra- xisbeispiele, Demonstratoren, Informationsveran- staltungen und den gegenseitigen Austausch die Vorteile und Anwendbarkeit der Digitalisierung mit eStandards zu verstehen. Dabei ist es auch Aufgabe des Kompetenzzentrums zu verdeutlichen, wie Digi- talisierung für mehr Nachhaltigkeit eingesetzt wer- den kann. Konkret werden Unternehmen Handlungs- möglichkeiten aufgezeigt, wie Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle nachhaltiger gestaltet wer- den und hierdurch zugleich ökonomische Vorteile erzielt werden können. Weitere Informationen zum Kompetenzzentrum finden Sie unter https://www.mittelstand-digital.de/
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 11 Nele Lüpkes Nachhaltige Lernkultur im Unternehmen – Lebenslanges Lernen ermöglichen Wenn Arbeit und Leben immer digitaler werden, müssen sich auf eine Veränderung der Qualifikations- fordert dies eine entsprechende Ausrichtung von anforderungen ihrer Mitarbeitenden einstellen, die Unternehmen auf die sich wandelnden Qualifika- für die erfolgreiche Gestaltung einer (zukünftig) digi- tions- und Informationsanforderungen von Mitar- talisierten Arbeitswelt notwendig sind.1 Es geht dabei beiterinnen und Mitarbeitern. Warum ist es für um die Befähigung der Mitarbeitenden, um neue Unternehmen zunehmend von Bedeutung, sich Problemstellungen selbstständig zu bewältigen, als lernende Organisationen zu verstehen? Wie Eigeninitiative in der Gestaltung der Arbeitsumge- können digitale Lernformate helfen, aktuelle und bung zu zeigen und nicht zuletzt die Verantwortung zukünftige Herausforderungen besser zu meis- für das eigene Handeln zu übernehmen.2 Unterneh- tern und wie kann die betriebliche Umsetzung men sind in diesem Zusammenhang gefordert, ent- einer nachhaltigen Lernkultur im Unternehmen sprechende Lernmöglichkeiten für Mitarbeiterinnen unterstützt werden? Das Mittelstand 4.0-Kompe- und Mitarbeiter zu schaffen, um individuelle Bil- tenzzentrum Hannover geht diesen Fragen nach dungsprozesse mit strukturellen Transformationspro- und zeigt am Beispiel von Erklärvideos ganz prak- zessen zu verknüpfen.3 Hieran schließt sich die Frage tisch auf, wie diese zu einer nachhaltigen Lernkul- an, wie eine solche „Bildung in einer durch digitale tur beitragen. Technik geprägten Welt“4 ausgestaltet werden kann. Das folgende Praxisbeispiel zeigt eine Perspektive auf, wie digitale Formate nachhaltiges Lernen und Anforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt einen zukunftsfähigen Umgang mit Wissen im Unter- nehmen ermöglichen und auf diese Weise die zuvor Im Zuge der Digitalisierung sind Unternehmen mit genannten Anforderungen erfüllt. einer stetigen Technologisierung, Flexibilisierung und Transformation ihrer bestehenden Prozesse und 1 Vgl. Arnold (2018), S. 11. 2 Vgl. Erpenbeck/Sauter (2016), S. 16. Strukturen konfrontiert. Hieraus resultiert ein Organi- 3 Vgl. Arnold (2018), S. 32. sations- und Arbeitswandel und Unternehmen 4 Vgl. Kerres (2016), S. 2.
12 Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14 Bedarfs- Durchführung eines Bedarfsgesprächs zur Definition der Ausgangssituation analyse und Analyse des Bedarfs Erstellung eines Leitfadens zu Potenzialen und Umsetzungsoptionen Leitfaden digitaler Formate im Unternehmen Pilotprojekt Identifizierung des Erklärvideos als bedarfsgerechtes Format und Erklärvideo Umsetzung eines Lernangebotes als Pilotprojekt im Unternehmen How-To- Erstellung eines How-To-Videos zur Motivation und Befähigung Video der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens Abbildung 1: Projektablauf Digitale Weiterbildung und Wissensmanagement Praxisbeispiel: Erklärvideo bei der Kirchner als Lernangebot für alle Mitarbeitenden des Unter- Engineering Consultants GmbH nehmens und damit als Kernelement eines internen Wissensmanagements bereitzustellen. Die Kirchner Engineering Consultants GmbH hat als Ingenieursdienstleister mehrere Niederlassungen im Abbildung 1 zeigt den Projektablauf auf. Im ersten nord- und ostdeutschen Raum, sodass es eine ste- Schritt konnten die Zentrumsmitarbeitenden gemein- tige Herausforderung ist, den Mitarbeitenden an den sam mit der Kirchner GmbH das Erklärvideo als einzelnen Standorten firmenrelevante Informatio- bedarfsgerechtes und sehr verbreitetes Format iden- nen, beispielsweise zu geltenden Strukturen oder tifizieren. Viele Unternehmen nutzen Erklärvideos Prozessen, einheitlich bereitzustellen. Gemeinsam heute bereits als alleiniges digitales Lernangebot, um mit der Kirchner GmbH hat das Kompetenzzentrum Inhalte für ihre Mitarbeitenden aufzubereiten.5 Das Hannover daher eine Idee entwickelt, wie Inhalte Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hannover entwi- über digitale Formate als Teil eines internen Wissens- ckelte zunächst einen Leitfaden für die Umsetzung managements für alle Mitarbeitenden bereitgestellt eines solchen digitalen Lernangebotes und beglei- und gleichzeitig von diesen mitgestaltet werden kön- tete ein erstes Pilotprojekt zu einem beispielhaften nen. Thema im Unternehmen. Die Ergebnisse und Erfah- rungen wurden als Best-Practice-Beispiel in einem How-to-Video mit den folgenden Zielstellungen auf- Projektaufbau gearbeitet: Eine Bedarfsanalyse im Rahmen des Projekts ergab, 1. Befähigung der Mitarbeitenden zur selbstständi- dass das bestehende Wissen in der Kirchner GmbH gen Erstellung eigener digitaler Formate zu ihrem nicht länger ungleich und variabel innerhalb der ein- jeweils individuell bestehenden Expertenwissen zelnen Organisationseinheiten bestehen sollte. Ziel war es daher, das Know-how einzelner Mitarbeiterin- 2. Motivation der Mitarbeitenden zur selbstständi- nen und Mitarbeiter zentral zu erfassen und unter- gen Erstellung und Nutzung der bereitgestellten nehmensweit zugänglich zu machen. Vor diesem digitalen Formate Hintergrund sollte das bestehende Intranet genutzt werden, um die entsprechenden Inhalte über digi- tale Formate zentral als Informations- und zugleich 5 Vgl. Mmb Institut (2018), S. 7.
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 13 Nachhaltige Lernkulturen im Unternehmen nisation, was am Praxisbeispiel mit der Kirchner GmbH erfolgreich gezeigt werden konnte. Der Ein- Damit sich Unternehmen der wachsenden Kultur der satz von digitalen Formaten als Lern- und Informati- Digitalität6 anpassen und damit einhergehende onsangebot hilft dabei, die Mitarbeitenden als ent- Anforderungen bewältigen können, muss das scheidende betriebliche Akteurinnen und Akteure Verhältnis von Lernen und Arbeiten sowie von indivi- einzubinden und auf diese Weise ihre Selbstlernfä- duellem und kollektivem Know-how grundsätzlich higkeit zu fördern.11 neu gedacht werden. Die reine Wissensaneignung und der Erwerb fachlicher Kompetenzen über klas- sisch curricular organisierte Lernangebote ist nicht Nutzen für Unternehmen länger ausreichend. Vielmehr sollten – wie im Projekt mit der Kirchner GmbH beispielhaft umgesetzt – Struk- Über die Verknüpfung von Wissensmanagement und turen einer Lernkultur geschaffen werden, in denen Qualifizierungsangebot sowie der damit entstehen- Mitarbeitende selbstgesteuert, kontinuierlich und den Informations- und Lernumgebung haben Unter- arbeitsplatznah lernen und Kompetenzen entwickeln nehmen die Möglichkeit, ihren Mitarbeitenden ein können, die sie zur Bewältigung aktueller und zukünf- individuelles, selbstständiges und vor allem kontinu- tiger Herausforderungen befähigen.7 Unternehmen ierliches Lernen zu ermöglichen und die eigene Inno- müssen sich hierzu als lernende Organisationen ver- vations- und Zukunftsfähigkeit zu erhöhen.12 Digitale stehen und Strukturen im Arbeitsalltag schaffen, in Formate bieten die Möglichkeit für ein nachhaltiges denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum nachhal- Lernen, das flexibel und arbeitsplatznah stattfindet tigen und kontinuierlichen Lernen (Lebenslangen und damit anschlussfähig für den Transfer in die Pra- Lernen) befähigt werden. Dies gelingt insbesondere xis ist. dann, wenn Lernmöglichkeiten eigenverantwortlich und individuell gestaltet sind und das Gelernte Lernen am Arbeitsplatz: Online bereitgestellte Lern- anschlussfähig in die Praxis transferiert werden kann. einheiten sind überall abrufbar, wo Internet zur Verfü- Nur wenn sich Mitarbeitende mit erworbenem Wissen gung steht. Lernen wird damit ortsunabhängig und auseinandersetzen, es weiterentwickeln, auf Neues kann direkt in den Arbeitsprozess integriert werden. beziehen und in einen (Unternehmens-)Kontext brin- Auf diese Weise können z. B. konkrete Fragestellun- gen können, sind sie auch in der Lage, mit zukünftigen gen von Mitarbeitenden mit Hilfe von online zur Verfü- Herausforderungen flexibel umzugehen.8 gung stehenden Inhalten unmittelbar geklärt werden, beispielsweise über Lernvideos oder themenspezifi- sche unternehmensinterne Blogs. Digitales Lernen und Wissensmanagement Anschauliche Visualisierung von Abläufen: Bilder Moderne Lernkulturen im Unternehmen sind eng mit und Simulationen dienen der Veranschaulichung und der Frage verknüpft, über welche Wege Informatio- interaktiven Auseinandersetzung der Lernenden mit nen für Mitarbeitende zugänglich gemacht werden. den jeweiligen Inhalten. So dient das Abfilmen einer In einer vernetzten Welt erneuert und aktualisiert sich bestimmten Handlung, wie beispielsweise die War- das Wissen im Unternehmen ständig. Es reicht nicht tung einer Anlage, als konkrete Anleitung für andere länger, dies auf der Basis individueller Erfahrungen Mitarbeitende aus dem Unternehmen. und Erkenntnisse als subjektives Gut zu betrachten. Vielmehr gehört es nachhaltig erfasst, veröffentlicht Zentrale Bereitstellung von Lernangeboten: Digi- und geteilt.9 Unternehmen müssen daher entspre- tale Formate können intern über das Intranet oder ein chende Strukturen für eine ganzheitliche Informati- Lernmanagementsystem unternehmensweit zugäng- ons- und zugleich Lernumgebung etablieren, sodass lich gemacht werden. Die Inhalte stehen allen Mitar- individuell vorhandenes Wissen in kollektiv bereitge- beitenden zur Verfügung und können zugleich von stellte Speichermedien überführt und letztlich dem ihnen selbstständig erstellt und ergänzt werden. Digi- Unternehmen als Gesamtorganisation zur Verfügung tales Lernen fungiert somit als ein zentrales Element gestellt wird.10 Die Etablierung eines solchen Wis- des Wissensmanagements, bei dem interne Strukturen sensmanagements gilt in diesem Sinne als eine transparenter, Prozesse schlanker und ein insgesamt grundlegende Voraussetzung für eine lernende Orga- effizienteres Arbeiten und Lernen ermöglicht wird. 6 Vgl. Stadler (2016). 7 Vgl. Erpenbeck/Sauter (2016), S. 18. 8 Vgl. Schüßler (2004), S. 150. 9 Vgl. Filzmoser (2013), S. 19. 11 Vgl. Robak (2020), S. 43f. 10 Vgl. Lülfs/Wagner (2013), S. 36f. 12 Vgl. Robak (2020), S. 43f.
14 Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14 Autorin Literatur Nele Lüpkes, M. A. ist seit 2018 Mitar- Arnold, Rolf (2018). Das kompetente Unternehmen. beiterin im Mittelstand 4.0-Kompe- Pädagogische Professionalisierung als Unterneh- tenzzentrum Hannover. Als Referentin mensstrategie. Springer (Wiesbaden). für Pädagogik und Didaktik ist sie un- ter anderem für die Qualitätssiche- Erpenbeck, John; Sauter, Werner (2016). Stoppt die rung des Schulungsangebots verant- Kompetenzkatastrophe! Wege in eine neue Bil- wortlich und leitet die AG Qualifizie- dungswelt. Springer Verlag (Berlin, Heidelberg). rung im Netzwerk Mittelstand-Digital. Filzmoser, Gaby (2013). Bildungshaus 2.0. Die Verände- Vor ihrer Tätigkeit im Zentrum studierte Nele Lüpkes rung der Bildungskultur in Bildungshäusern durch Sozial- (B. A.) und Bildungswissenschaften (M. A.) an der den Einsatz digitaler Medien. ARGE Bildungshäuser Leibniz Universität Hannover. Österreich (Norderstedt). Kerres, Michael (2016). E-Learning vs. Digitalisierung der Bildung: Neues Label oder neues Paradigma. In: Hohenstein, Andreas; Wilbers, Karl (Hrsg.). Hand- buch E-Learning. Fachverlag Deutscher Wirtschafts- dienst (Köln). Lülfs, R.; Wagner, G. R. (2013). Nachhaltigkeit und orga- nisationales Lernen. Springer Gabler (Wiesbaden). Mmb Institut (2018). Weiterbildung und Digitales Lernen heute und in drei Jahren. Erklärfilme als Umsatzbringer der Stunde. Ergebnisse der 12. Trendstudie „mmb Learning Delphi“. Robak, Steffi (2020). Den Trichter auf den Kopf gestellt – Lernkulturen in einer Kultur der Digitalität. In: Jacobs, Joh. Christian; Kagermann, Henning; Spath, Dieter. Lebenslanges Lernen fördern – Gute Beispiele aus der Praxis. Acatech Diskussion. Schüßler, Ingeborg (2004). Nachhaltiges Lernen. Ein- blicke in eine Längsschnittuntersuchung unter der Kategorie „Emotionalität in Lernprozessen“. In: Report - Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 27 (1), S. 150. Stadler, Felix (2016). Kultur der Digitalität. Suhrkamp Verlag (Berlin). Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hannover unterstützt kleine und mittlere Unternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit im Kontext von Digitalisie- rung und Industrie 4.0 zu stärken. Informationsver- anstaltungen, Schulungen, Firmengespräche und Projektbegleitungen – mit diesen Angeboten macht das Zentrum Unternehmen fit für die digitale Zukunft. Zu den Themen dieses Kompetenzzentrums zählen u. a. ► Produktionsoptimierung – Daten erfassen, verarbeiten, nutzen ► Digitales Lernen und Wissensmanagement ► IT-Sicherheit und Künstliche Intelligenz ► Digitale Geschäftsmodelle www.mitunsdigital.de/
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 15 Benedikt Grosch, Stefan Seyfried, Nina Strobel, Matthias Weigold Chancen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz im industriellen Energiemanagement Der Artikel gibt einen Überblick über die Einsatz- Energiemarkt mit steigenden Energiepreisen zu rech- möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) im nen. Um den Energieverbrauch im Unternehmen industriellen Energiemanagement. Dabei liegt genau zu erfassen, zu bewerten und gezielt zu opti- der Schwerpunkt insbesondere auf praktischen mieren, haben sich digital gestützte Energiemanage- Anwendungsfällen. Am Beispiel der ETA-Fabrik, mentsysteme, beispielsweise nach ISO 50001 etab- einer Forschungsfabrik im Originalmaßstab am liert, die dazu beitragen können, die Energiekosten Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Darmstadt, von Unternehmen zu senken und damit ihre Wettbe- wird aufgezeigt, wie die Technologien im Sinne werbsfähigkeit zu stärken. eines ganzheitlichen Energiemanagements ein- setzbar sind und welche Vorteile sich daraus für Gleichzeitig werden gegenwärtig Technologien auf mittelständische Unternehmen ergeben können. Basis von KI und speziell des Maschinellen Lernens stetig weiterentwickelt und finden Einzug in die industrielle Produktion. Dazu trägt auch die zuneh- Einleitung mende Verfügbarkeit von günstiger Rechenleistung und Speicherkapazitäten bei. Dies erlaubt es, aus Die Anreize für Unternehmen, in Maßnahmen zur großen Datenmengen zuvor unbekannte Wirkzusam- Steigerung der Energieeffizienz zu investieren, stei- menhänge zu erkennen oder auf Basis vorhandener gen unter anderem aufgrund der verstärkten öffentli- Datenmodelle eine automatisierte Vorhersage chen Wahrnehmung des Klimawandels und seiner zukünftiger Energiebedarfe zu erstellen.1 ökologischen Auswirkungen. Zukünftig ist aufgrund rechtlicher Vorgaben wie einer steigenden CO2- Bepreisung und ökonomischen Entwicklungen am 1 Vgl. Metternich et al. (2019).
16 Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14 Auf KI-Technologien basierende Systeme werden in Produktionssystem als auch die Steuerung und Rege- Zukunft vermehrt für das industrielle Energiema- lung von einzelnen Komponenten bis hin zu gesam- nagement genutzt. Sie ermöglichen es, die typischer- ten Fabriksystemen. Einige dieser Anwendungs- weise komplexen Wirkzusammenhänge industrieller fälle sollen im Folgenden vorgestellt werden. Für die Energiesysteme zu modellieren und diese Systeme zukünftige Anwendung muss berücksichtigt werden, mit neuartigen Verfahren zu optimieren. Die Einsatz- dass mit der Übertragung von Kontrolle an einen KI- szenarien sind vielfältig: Sie reichen von der Prog- Agenten auch ethische und rechtliche Anforderun- nose zukünftiger Energieverbräuche, über das sen- gen an den KI-Agenten einhergehen, die eine ver- sorreduzierte Monitoring der Verbräuche mithilfe trauensvolle Zusammenarbeit mit solchen Systemen virtueller Messstellen, die energieadaptive Produkti- erlauben. Die Erarbeitung von Zertifizierungen, wel- onsplanung und optimierte Betriebsplanung von che dies gewährleisten, sind Gegenstand aktueller Energieversorgungssystemen bis hin zu Bilddaten- Forschungsaktivitäten.2 auswertung und Assistenzsystemen zur Identifikation beziehungsweise Auswahl von Energieeffizienzmaß- Virtuelle Messstellen: nahmen. Durch die gesetzliche Verpflichtung von Unterneh- Der Einsatz derartiger Technologien kann die men zur Zertifizierung nach ISO 50001 oder zur Beschäftigten im Energiemanagement eines Unter- Durchführung von Energieaudits, wird es notwen- nehmens unterstützen, da herkömmliche Ansätze dig, mehr Energiedaten zu erheben. Dies bietet wie- stets interdisziplinäres Expertenwissen erfordern. derum die Möglichkeit, neue Effizienzmaßnahmen Dieses ist jedoch insbesondere in kleinen und mittle- zu identifizieren und umzusetzen. Jede Anlage und ren Unternehmen nur selten verfügbar. Hier können Maschine mit entsprechender Messtechnik auszu- Systeme eine Entlastung bieten, die automatisiert rüsten, ist jedoch teuer und aufwändig. Gleichzeitig versuchen, ein vorgegebenes Ziel, wie beispiels- bieten temporäre Messungen nur eingeschränkt Ein- weise eine Steigerung der Energieeffizienz, zu errei- blick in das Verbrauchsgeschehen. Zustandsbasierte chen. Im Hinblick auf KI spricht man dabei auch von Messstellen, wie sie in der ETA-Fabrik entwickelt wer- KI-Agenten, die durch ihre Interaktion mit der Umwelt den, können dabei Abhilfe schaffen.3 lernen und Wege zur Zielerreichung finden. Bei- spielsweise kann ein solcher KI-Agent durch die Anla- Zunächst wird dafür eine temporäre Messung des genregelung eine Betriebsweise anstreben, die Energieverbrauchs durchgeführt und gleichzeitig einen möglichst geringen Energieverbrauch nach werden verfügbare Zustandssignale aufgezeichnet sich zieht. Alternativ könnte der Begriff Agent auch – beispielsweise, welche Aggregate einer Maschine für eine Anwendung stehen, die sinnvolle Energieef- zu welchem Zeitpunkt eingeschaltet waren. Mit die- fizienzmaßnahmen für ein zu optimierendes System sen Daten kann ein Agent angelernt werden, der vorschlägt. dann basierend auf den Zustandssignalen den Ener- gieverbrauch schätzt. Nachdem die Messung ein- KI-Agenten können direkt im Anwendungsfeld beim mal durchgeführt wurde, werden somit lediglich die einsetzenden Unternehmen entwickelt bzw. für den einfach verfügbaren Zustandsinformationen benö- speziellen Anwendungsfall angelernt werden. Da die tigt. Dafür kommen Maschinenvariablen in Frage, die Entwicklung solcher Modelle allerdings in der Regel auch für die Statusanzeigen in Produktionsleitsyste- technische Expertise im Bereich der KI voraussetzt, men genutzt werden. liegt gerade für den Mittelstand ein großes Potenzial in KI-Agenten, die der Hardware-Hersteller für das Bild- und Messdatenauswertung: entsprechende System mitliefert und die nur noch auf den speziellen Anwendungsfall transferiert wer- Die vermutlich häufigste Anwendung von KI in der den müssen. Produktion ist die Bild- und Messdatenauswertung, wie sie in der Qualitätsüberwachung zum Einsatz kommt. Dabei kann zum Beispiel die Produktionsqua- Anwendungen in der Industrie lität mithilfe von Kameras überwacht werden. Ein KI- Agent identifiziert auf Basis der Kamerabilder mög- In der ETA-Fabrik, einer Forschungsfabrik am Mittel- liche Fehler und diese können von Mitarbeitenden stand 4.0 Kompetenzzentrum Darmstadt, werden KI- geprüft und ausgebessert werden. Ähnliche Anwen- Systeme aller Autonomiegrade entwickelt, um einen dungen könnten auch im Energiemanagement Beitrag zur CO2-freien Produktion der Zukunft zu leisten. Die erforschten Anwendungen umfassen 2 Vgl. Cremers et al. (2019). sowohl die Erfassung von Energiedaten aus dem 3 Vgl. Sossenheimer et al. (2019).
Nachhaltigkeit und Digitalisierung 17 Abbildung 1: Detektion der Positionen von Personen in der Abbildung 2: Datenfluss und Anwendungen für KI ETA-Fabrik auf Basis von Wärmebildkameraaufnahmen zum Einsatz kommen. Denkbar wäre beispielweise Versorgungstechnik. Um den KI-Agenten zu trainie- eine bedarfsgerechte Lüftungssteuerung oder eine ren, werden dabei Daten aus einem ausreichend lan- Beleuchtungssteuerung mithilfe von Wärmebildka- gen Zeitraum benötigt, die möglichst alle Betriebs- meras, wie sie aktuell in der ETA-Fabrik erprobt wird. fälle abdecken. So wird ein ausreichend genaues Abbildung 1 zeigt ein Wärmebild der ETA-Fabrik, Ergebnis erzielt.4 In Abbildung 2 ist der Datenfluss auf dem die Positionen von Personen in der Fabrik- mit einer integrierten Kurzfrist-Prognose aufgezeigt. halle automatisch mithilfe eines neuronalen Netzes Zunächst werden mithilfe von physischer oder virtu- erkannt werden. Entsprechend dieser Daten erfolgt eller Sensorik (s. oben) Daten erfasst. Diese Daten eine automatisierte Regelung der Beleuchtung. werden vorverarbeitet und dabei aufbereitet. Bei- spielsweise werden Fehlstellen und Ausreißer korri- Kurzfrist-Prognosen: giert. Daraufhin erfolgt eine Prognose mithilfe eines KI-Agenten, deren Ergebnisse in die Regelung und In einigen Fällen ist es interessant zu erfahren, wie sich Steuerung von Anlagen einfließen können – bei- ein System in der näheren Zukunft verhalten wird. Ein spielsweise zur Lastspitzenreduktion. typischer Anwendungsfall ist die Lastspitzenreduk- tion. Da die Leistungskosten für Strom signifikant stei- Vorschlagswesen für Energieeffizienzmaßnahmen: gen, wenn eine hohe Lastspitze erzeugt wird, möch- ten Unternehmen diese möglichst vermeiden. Dabei Auf ähnliche Art und Weise ist es auch denkbar, dass kann eine Prognose helfen, die abschätzt, wie sich KI-Agenten Energieeffizienzmaßnahmen vorschla- der Leistungsverlauf in den kommenden 15 Minuten gen. Dies ist ein Thema, das in der ETA-Fabrik in verhalten wird. Sobald eine Spitze festgestellt wird, Zukunft näher untersucht werden soll. Bisher werden kann dann regelnd eingegriffen werden und bei- Effizienzmaßnahmen zumeist von professionellen spielweise das Einschalten einer weiteren Last ver- Energieberatern vorgeschlagen oder im Unterneh- zögert werden. Unternehmen können somit Kosten men durch das Energiemanagement erarbeitet. sparen. Gleichzeitig wird damit auch das Stromnetz Einige bewährte Maßnahmen sind dabei besonders gestützt, da weniger Regelleistung benötigt wird. beliebt und werden häufig umgesetzt. Es gibt jedoch oftmals weitere Maßnahmen, die weniger bekannt In der ETA-Fabrik werden Modelle entwickelt, um sol- sind. Um auch solche Maßnahmen stärker ins che Vorhersagen zu optimieren. Dabei werden ver- Bewusstsein zu rücken und die wirtschaftliche und schiedenste Parameter berücksichtigt, um ein mög- energetische Bewertung im Unternehmenskontext zu lichst aussagekräftiges Bild zu erhalten, wie sich erleichtern, kann ein Vorschlagssystem nützlich sein. die Fabrik in den kommenden 15 Minuten verhal- ten wird. Dazu gehören neben Wettervorhersagen auch Daten aus dem Produktionssystem und der 4 Vgl. Walther et al. (2019).
18 Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14 Abbildung 3: Betriebsszenarien der energieflexiblen Fabrik nach Verfügbarkeit erneuerbarer Energieträger Ein solches System nutzt eine Datenbasis von vorhan- Die energieflexible Fabrik lässt sich nur erreichen, denen Energiedaten und daraus resultierenden Effi- wenn das gesamte Fabriksystem, bestehend aus Ver- zienzmaßnahmen, die beispielsweise in der For- sorgungstechnik und Produktion, annähernd optimal schung identifiziert werden. Darauf basierend können betrieben wird. Dabei sind die äußeren Bedingun- dann die Energiedatenverläufe anderer Unterneh- gen, wie die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien men oder Maschinen analysiert und bewertet wer- ebenso zu berücksichtigen wie die Eigenschaften der den. Der KI-Agent kann daraus ableiten, welche Maß- unterschiedlichen Maschinen und Anlagen. Dement- nahmen auf die untersuchten Maschinen und sprechend werden für einen optimalen Betrieb sehr Unternehmen übertragbar wären. viele Vorgabewerte berechnet. Das daraus resultie- rende mathematische Problem ist also sehr komplex Energieflexibler Fabrikbetrieb: und schwer lösbar. Auch dies ist ein gutes Einsatzge- biet für KI-Agenten. Die Agenten können lernen, den Auf dem Weg zur CO2-freien Fabrik muss neben der Einfluss äußerer Faktoren auf den Fabrikbetrieb zu Steigerung der Energieeffizienz untersucht werden, bewerten. Durch die Nutzung von Informationen wie eine bessere Ausnutzung erneuerbarer Energie- über Bedarfe und Anlagen können sie die Fabrikanla- träger im Fabrikbetrieb möglich ist. Herausfordernd gen optimal steuern. ist dabei, dass diese Energieträger oftmals nicht plan- bar verfügbar sind, sondern Energie schwankend In der ETA-Fabrik werden sowohl Verfahren für die bereitstellen; beispielsweise abhängig von den herr- Steuerung der Versorgungstechnik als auch für den schenden Wetterbedingungen. Um eine optimale Betrieb der Produktion entwickelt. In beiden Fällen Ausnutzung zu erreichen und möglichst wenig auf werden verschiedene Ansätze verfolgt. Beispielweise konventionelle Brennstoffe zurückzugreifen, muss kann die Versorgungstechnik mithilfe eines KI-basier- die Fabrik daher auf die Erzeugungsschwankungen ten Reglers betrieben werden. Dieser kann, je nach reagieren. Dies wird als Energieflexibilität bezeich- Aufbau des Systems und Rahmenbedingungen bis net. Eine Übersicht möglicher Optionen für den zu 20 % des Energiebedarfs einsparen.5 Der Regler Betrieb bei hohem und niedrigem Anteil erneuerba- nimmt Daten aus dem Versorgungssystem und der rer Energien im Stromnetz ist in Abbildung 3 darge- stellt. 5 Vgl. Panten (2019).
Sie können auch lesen