Nachhaltigkeit und Digitalisierung - Mittelstand-Digital Magazin WISSENSCHAFT TRIFFT PRAXIS - Mittelstand 4.0 ...

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Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Mittelstand-Digital Magazin
WISSENSCHAFT TRIFFT PRAXIS
Ausgabe 14
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Stand: September 2020

Druck:
Medienhaus Plump GmbH
Rolandsecker Weg 33, 53619 Rheinbreitbach

ISSN (Print) 2198-8544
ISSN (Online) 2198-9362

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird möglicherweise auf die
gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und
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Mittelstand-Digital Magazin WISSENSCHAFT TRIFFT PRAXIS – Ausgabe 14

Nachhaltigkeit und Digitalisierung
Inhalt

Editorial                                                                                        3

Janpeter Beckmann, Livia El-Khawad, Felix Schumacher
Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung –
Die Trends im Kontext und die Chancen für mittelständische Unternehmen                           5

Nele Lüpkes
Nachhaltige Lernkultur im Unternehmen – Lebenslanges Lernen ermöglichen                          11

Benedikt Grosch, Stefan Seyfried, Nina Strobel, Matthias Weigold
Chancen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz im industriellen Energiemanagement             15

Sonja Riedel
Mitfahr-App für Unternehmen                                                                      21

Robin Günther
Nachhaltiges Fehlermanagement – Produktions- und Prozesskosten senken durch Digitalisierung      25

Robert Kummer, Stefan Voigt, David Zibold
Mit einem nachhaltigen, digitalen Geschäftsmodell durch die Corona-Krise – YourLocal Magdeburg   30

Susann Feuerschütz, Gerrit Neuhaus, Jan Seitz
Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor für nachhaltige Digitalisierung                             37

David Chuchra, Rafael Horn, Kevin Koke
Effiziente Gebäudeökobilanzen für Praxis und Forschung mit der Websoftware GENERIS®              42

Sina Wans, Anne-Kathrin Berg
Wegkommen vom Wegwerfen dank Circular Economy (CE)                                               48

Tarek Annan, Leonie Maier
Green Software und die Ressourceneffizienz recyclebarer IT-Schnittstellen                        52
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2   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14
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Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,

mit der Digitalisierung bieten sich zunehmend neue Innovations- und Entwicklungsmöglichkeiten für
Unternehmen. Eine dieser neuen Möglichkeiten ist die Implementierung und der Ausbau von unternehmerischen
Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Wichtig ist hierbei eine ganzheitliche Betrachtung von Nachhaltigkeit, in all ihren
Dimensionen: Ökologisch, ökonomisch und sozial. Digitale Technologien ermöglichen auf allen drei Ebenen
nachhaltige Angebote.

In dieser Ausgabe des Mittelstand-Digital Magazins möchten wir Ihnen genau diese Möglichkeiten näherbringen
– mit Umsetzungsprojekten unserer Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren aus der Praxis kleiner und mittlerer
Unternehmen.

Kreislaufwirtschaft
Was zeichnet die Kreislaufwirtschaft aus? Wie können digitale Technologien die Transformation hin zu einer
Kreislaufwirtschaft unterstützen? Und wie können kleine und mittlere Unternehmen dies für sich nutzen? In
dieser Ausgabe erhalten Sie aus den Kompetenzzentren nicht nur Antworten auf die grundlegenden Fragen und
Definitionen, sondern darüber hinaus auch einen Einblick, wie dies in mittelständischen Unternehmen erfolgreich
umgesetzt wurde.

Nachhaltige, digitale Geschäftsmodelle
Nicht nur für Krisenzeiten, wie wir sie in den vergangenen Monaten durch Corona erlebt haben, eignet sich eine
Umstellung auf digitale Geschäftsmodelle. Sie bieten auch im Bereich Nachhaltigkeit einige gewinnbringende
Handlungsmöglichkeiten. Erfahren Sie hier, wie so eine Umstellung aussehen kann und warum sie sich auch für
kleine und mittlere Unternehmen anbietet.

Unternehmens- und Lernkultur
Neben der Technologie ist noch ein weiterer Faktor erfolgskritisch, besonders in Hinblick auf die Realisierung
von nachhaltigen Maßnahmen: Die Unternehmenskultur. Welche Rolle spielt sie bei kleinen und mittleren
Unternehmen bei der Umsetzung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit? Und wie können digitale Technologien
die Lernkultur im Unternehmen nachhaltiger gestalten? Beispiele aus zwei Kompetenzzentren stellen diesen
Zusammenhang anschaulich und praxisnah dar.

Branchenübergreifend nachhaltig und digital
Wie kann ein mittelständisches Unternehmen zur Nachhaltigkeit der Mitarbeiterfahrten beitragen? Warum
braucht es per se eine nachhaltigere Software? Und wie können Nachhaltigkeit und Digitalisierung im
Energiemanagement, der Produktion oder der Baubranche einen wertvollen Beitrag leisten? Antworten auf diese
und weitere Fragen finden Sie in dieser Ausgabe des Mittelstand-Digital Magazins – anhand von praxisnahen
Beispielen aus dem Mittelstand.

Die zehn Beiträge dieser Ausgabe stehen für die Themenvielfalt der 26 Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren in ganz
Deutschland. Betrachten Sie sie als Vorgeschmack auf ihre diversen Informations- und Qualifizierungsangebote
zu diesen und weiteren Digitalisierungsthemen. Informationen über die mehr als 130 Anlaufstellen und einen
umfassenderen Einblick in die Expertise des Mittelstand-Digital-Netzwerks erhalten Sie auf www.mittelstand-
digital.de.

Ich wünsche Ihnen eine interessante und inspirierende Lektüre.

Lisa Schrade-Grytsenko
Begleitforschung Mittelstand-Digital
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4   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14
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Janpeter Beckmann, Livia El-Khawad, Felix Schumacher

Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung –
Die Trends im Kontext und die Chancen für
mittelständische Unternehmen
Wie die Digitalisierung Einfluss auf die Transfor-     Wachstumsmodell, das auf der Verfügbarkeit reich-
mation zu einer angestrebten Kreislaufwirtschaft       lich vorhandener und kostengünstiger natürlicher
nehmen kann und welche Möglichkeiten sich hier-        Ressourcen basiert, nicht zukunftsfähig ist.1 Über 90
durch für kleine und mittelständische Unterneh-        Prozent der weltweit verwendeten Rohstoffe werden
men (KMU) auftun, wird in diesem Beitrag aufge-        nach Nutzung nicht mehr in den Wirtschaftskreislauf
zeigt. Anhand konkreter Beispiele wird vorgestellt,    zurückgeführt, was zu einer massiven Übernutzung
welche neuen Produkte, Verfahrensinnovationen          der endlichen natürlichen Ressourcen unseres Plane-
und Geschäftsmodelle sich bereits durchsetzen,         ten und zur Belastung unseres Klimas führt.2
welcher Prinzipien der Kreislaufwirtschaft sie sich
bedienen und welche digitalen Werkzeuge dabei          In einer Kreislaufwirtschaft wird das Wachstum von
zum Einsatz kommen. Weitere Einblicke und Infor-       der Nutzung knapper Ressourcen entkoppelt: Dies
mationen in das Thema bietet die Website des Mit-      wird durch einschneidende Technologien und sol-
telstand 4.0-Kompetenzzentrums eStandards.             che Geschäftsmodelle ermöglicht, die auf Langle-
                                                       bigkeit, Wiederverwendung, Reparatur, Überholung,
                                                       Sanierung und Kapazitätsteilung basieren. Übersetzt
Einleitung                                             bedeutet das, dass für die Herstellung und Verwen-
                                                       dung von Produkten tendenziell weniger Ressour-
In der wissenschaftlichen und praktischen For-         cen benötigt werden. Auf volkswirtschaftlicher Ebene
schung besteht weitestgehend Konsens darüber,
dass das von den meisten Volkswirtschaften und         1 Accenture (2014).
Unternehmen in den letzten 250 Jahren favorisierte     2 Circle Economy (2018).
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6   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14

                                             Natürliche               Rohstoff-
                                             Ressourcen              gewinnung
                                                  Wieder-
                          Verbrennung und        gewinnung
                            Deponierung                                                Produktion
                                                                                          und
                                                                                      Verarbeitung
                                                                Recycling von
                                           Entsorgung         Komponenten und
                                                                 Materialien

                                                           Wiederverwendung            Logistik
                                                                                     und Handel
                                                   Konsum
                                                 und Nutzung

    Abbildung 1: Schema Kreislaufwirtschaft

    ist es das Ziel, eine Steigerung von Wohlstand und                pean Green Deal vorgestellt. Dieser beinhaltet einen
    Lebensqualität mit einem sinkenden Ressourcenver-                 ehrgeizigen Fahrplan für eine klimaneutrale Kreis-
    brauch zu ermöglichen. Unternehmen konzentrieren                  laufwirtschaft. Mit Maßnahmen wie Aktionsplänen
    sich nicht mehr nur darauf, durch mehr Effizienz in               und Strategien, Investitionshilfen oder dem Emissi-
    Lieferketten, Fabriken und Betrieben mehr Volumen                 onshandel entlang des gesamten Lebenszyklus von
    zu erzielen und Kosten zu sparen. Vielmehr fokussie-              Produkten zielt der neue Aktionsplan darauf ab, die
    ren sie sich darauf, Produkte und Dienstleistungen                europäische Wirtschaft fit für eine grüne Zukunft zu
    von Grund auf neu zu überdenken und ihre Betriebe                 machen, damit die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken
    „zukunftssicher" zu machen, um sich auf unvermeidli-              sowie gleichzeitig die Umwelt zu schützen und den
    che Ressourcenengpässe vorzubereiten – bis hin zum                Verbrauchern neue Rechte zu geben. Ein ambitio-
    Nutzenversprechen für den Kunden. Dies bedeutet:                  niertes Ziel hierbei ist es, nachhaltige Produkte und
    Verschwendung zu minimieren, schrittweise Steige-                 entsprechendes Produktions- und Konsumverhalten
    rungen in der Ressourcenproduktivität zu erzielen                 in einer Vielzahl an Sektoren zur Norm zu machen.5
    und gleichzeitig das Wertangebot für den Kunden in
    Bezug auf Faktoren wie Preis, Qualität und Verfügbar-             Nach Berechnungen der Europäischen Kommission
    keit zu verbessern.3,4                                            bietet eine Kreislaufwirtschaft ein beträchtliches wirt-
                                                                      schaftliches Potenzial: So ließen sich durch Abfallver-
                                                                      meidung, Öko-Design, Energiemanagement, Wie-
    Der europäische Weg zur Kreislaufwirtschaft:                      derverwendung und ähnliche Maßnahmen pro Jahr
    Der European Green Deal                                           Nettoeinsparungen von 600 Milliarden Euro, bzw.
                                                                      acht Prozent des Jahresumsatzes aller Unternehmen
    Um auf die Herausforderung der Ressourcenüber-                    in der EU erzielen. Auch für innovative mittelständi-
    nutzung zu reagieren und die Entwicklung zu einer                 sche Unternehmen bieten sich dadurch riesige
    Kreislaufwirtschaft voranzutreiben, hat die Europäi-              Wachstumsmärkte, die im Zuge der Transformation
    sche Kommission am 11. Dezember 2019 den Euro-                    zu einer Kreislaufwirtschaft entstehen.6

    3 Accenture (2014).
    4 What is a circular economy? – Ellen MacArthur Foundation,       5 Europäische Kommission (2019).
      https://www.ellenmacarthurfoundation.org/circular-economy/      6 Dhawan, Piyush; Beckmann Janpeter Circular Economy Guide-
      concept.                                                          book for Cities.
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Nachhaltigkeit und Digitalisierung                                                                                 7

Sieben Prinzipien für eine Kreislaufwirtschaft –         6. Recycle (Rezyklierung): Wenn eine Reparatur
Innovationsspielräume für KMU                               nicht mehr möglich ist, geht es darum, so viele
                                                            Bestandteile des Produktes wie möglich wieder-
Um den Übergang zur Kreislaufwirtschaft für Unter-          zuverwerten, einschließlich Papier, Plastik, Metalle
nehmen zu verdeutlichen und allgemein greifbar zu           und Elektronikteile.
machen, können die „7Rs“ herangezogen werden,
welche in der als „kreislauf-vorbildlich" geltenden,     7. Recover (Wiedergewinnung): Ausgehend von
britischen Stadt Peterborough Verwendung finden.7           der Annahme, dass jeder Produktbestandteil, und
                                                            insbesondere Kleinstbestandteile, wie z.B. ein-
Anhand dieser sieben Prinzipien können Unterneh-            zelne Metalle, grundsätzlich noch einen Wert
men ihre Produkte und Produktionsprozesse systema-          haben kann, geht es darum, auch diesen nutzbar
tisch sowie im Hinblick auf die eigene Nutzenmehrung        zu machen.
hinterfragen und ihre eigenen Geschäftsmodelle wei-
terentwickeln. Die „7Rs" zeigen somit auch KMU neue
Aktions- und Innovationsspielräume auf. Hier eine Auf-   Digitalisierung als Ermöglichungstechnologie
listung und kurze Erläuterung der sieben R-Prinzipien
für eine Kreislaufwirtschaft.                            Der Digitalisierung fällt bei der Umsetzung der „7Rs"
                                                         eine entscheidende Rolle zu, denn digitale Technolo-
1. Rethink (Überdenken): Grundsätzliches Über-           gien können die Umsetzung nicht nur unterstützen,
   denken des Produktes und des Produktionsprozes-       sondern ermöglichen in einigen Fällen diese gar erst.
   ses, insbesondere hinsichtlich der verwendeten        Eine Untersuchung des Unternehmens- und Strate-
   Ressourcen und auch der sozialen Auswirkungen         gieberaters Accenture benennt die folgenden ein-
   entlang der Lieferkette                               schneidenden Technologien, die den Wandel zu
                                                         einer Kreislaufwirtschaft beeinflussen (werden)8:
2. Redesign (Designüberarbeitung): Mit dem Ziel
   der Erhöhung der Lebensdauer eines Produktes;         ► Mobilfunk-Technologien
   auch durch Reparierbarkeit oder Austauschbar-         ► Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M)
   keit von Komponenten
                                                         ► Cloud-Computing

3. Repurpose, Reuse and Share (Neue Verwen-              ► Soziale Netzwerke
   dungszecke und weitere Nutzungsformen): Mit           ► „Big Data"-Analysen
   dem Ziel, den Produktnutzen über seine Lebens-
   dauer hinweg zu steigern, zum Beispiel durch          ► Rückverfolgungs- und Rückführungssysteme
   gemeinschaftliche Nutzung, Second-Hand-Nut-           ► 3D-Drucken
   zung oder Weiterverwendung einzelner Kompo-
                                                         ► Modulare Konstruktionstechnik
   nenten am Ende des Lebenszyklus
                                                         ► Erweiterte Recycling-Technologien
4. Repair (Reparatur): Verbesserung der Reparatur-       ► Lebens- und materialwissenschaftliche Techno-
   möglichkeiten einerseits durch das „Redesign",           logien
   aber auch durch Informationsbereitstellung und
   Unterstützungsleistungen hierfür; sei es durch das
   herstellende Unternehmen selbst oder durch            Praxisbeispiele aus Deutschland
   andere Akteure
                                                         Im Folgenden werden zunächst Beispiele in und aus
5. Remanufacture (Wiederaufbereitung): Rück-             Deutschland sowie anschließend internationale
   nahme des Produktes am Ende des Lebenszyklus          Modelle gezeigt, wie sich auch kleine und mittelstän-
   und professionelle Aufbereitung für eine Neunut-      dische Unternehmen die R-Prinzipien schon heute
   zung, zum Beispiel durch den Austausch veralteter     zunutze machen und wie sie dabei auf digitale Tech-
   oder abgenutzter Komponenten; auch Verwen-            nologien zurückgreifen. Mit ihren neuen Produkten
   dung alternativer Geschäftsmodelle wie Leasing        und Geschäftsmodellen treiben die Unternehmen
                                                         die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft aktiv
                                                         voran. Für viele der genannten Beispiele ist eine
                                                         Übertragung auch auf andere Branchen denkbar.

7 Circular Peterborough,
  http://www.futurepeterborough.com/circular-city.       8 Accenture (2014).
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8   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14

    Der Rucksackhersteller „FOND OF"9 erprobt ein                     wie das Joint Venture von BMW und dem Entsorger
    Modell, wonach eigene Produkte nach (Erst-)Nutzung                ALBA verdeutlicht. Dieses zielt auf die Wiederaufbe-
    zurückgenommen und schließlich second-hand wei-                   reitung von Autoteilen und die Wiederverwendung
    terverkauft oder in Bestandteilen weiterverarbeitet               von Materialien ab. Hierfür wurde über die Firma
    werden. Im Optimalfall wird aus einem nicht mehr ver-             Encory eine Plattform ins Leben gerufen, welche als
    wendbaren Produkt ein neues Upcycling-Produkt                     Anlaufstelle für die Beschaffung gebrauchter Einzel-
    gemacht, d.h., dass das alte Produkt oder Teile davon,            teile dient und auch Beratungsleistungen bietet.11
    durch Weiterarbeitung aufgewertet werden (zum Bei-                Der Einsatz intelligenter IT-Lösungen für eine vollstän-
    spiel Herstellung von Gürteln, Etuis für Schreibgeräte).          dig transparente After-Sales-Lieferkette ist Kernbe-
    Wenn das Produkt nicht mehr für Upcycling genutzt                standteil der Plattform. Hierbei wird an der Schnitt-
    werden kann, wird es entsorgt. Auch so genannte                   stelle zwischen Erstausrüstern als Produzenten
    C-Ware, d.h. Produkte mit kleineren Fehlern, die nicht            modularer Konstruktionstechnik und den Entsor-
    für den Verkauf geeignet sind und vom Handel zurück-             gungs- und After-Market-Akteuren gearbeitet, indem
    gegeben werden, können für Upcycling genutzt wer-               entgegengesetzt verlaufende Wertschöpfungsketten
    den. Die Grundvoraussetzung für die Weiterverwen-                 und Materialflüsse durch Software- und Business-Intel-
    dung ist ein funktionierendes Rückverfolgungs- und                ligence-Anwendungen gestützt entwickelt, umgesetzt
    Rückführungssystem, für welches eine eindeutige                   sowie optimiert und die beteiligten Akteure gezielt
    Artikelidentifikation vonnöten ist. Hierfür wird dem              vernetzt werden. Daraus entstehen Einsparungen in
    Produkt eine GTIN (Global Trade Item Number) zuge-                Management und Verwaltung sowie bessere Nach-
    ordnet, welche möglichst in der praktischen Form                 verfolgbarkeit und Transparenz der rückgeführten
    eines EAN13-Barcodes erkennbar ist.                               Autoteile, die dann bedarfs- und möglichkeitsabhän-
                                                                      gig aufbereitet, rückgeführt und, wenn es nicht mehr
    Als Beispiel für Machine-to-Machine-Kommunika-                    anders möglich ist, umweltgerecht entsorgt werden.
    tion (M2M) zeigt das deutsche Unternehmen „Circu-
    lartree“, wie sich Kommunikationswege verändern                   Rund um den Klimaschutz führt kein Weg an der
    und Wertschöpfungsketten neu organisieren las-                    Mobilität vorbei. Die aus Frankreich stammende und
    sen.10 Mittels Blockchain-Technologien werden Infor-              inzwischen hierzulande zum Marktführer aufgestie-
    mationen über die Wertschöpfungskette abgegriffen                 gene Plattform für Mitfahrgelegenheiten „BlaBla-
    und verschlüsselt weitergegeben. Nachhaltigkeitsre-               Car"12 bietet genau dort bedarfsgerechte Lösungen.
    levante Informationen, wie zum Beispiel der CO2-                  Das Prinzip ist einfach: Wer eine Strecke mit dem
    Fussabdruck, können der Blockchain entnommen                      eigenen Auto zu fahren plant, kann diese anbieten
    werden, ohne dass sensible Informationen über die                 und Mitfahrer suchen. Der Clou: Fahrer und Mitfahrer
    Wertschöpfungskette preisgegeben werden müssen,                   geben an, wie viel sozialer Austausch auf der Fahrt
    so zum Beispiel vertrauliche Informationen zu Liefe-              erwünscht ist oder anders gesagt, ob sie sich gerne
    ranten. Der Wunsch der Verbraucher nach nachhalti-                unterhalten oder eher eine ruhige Fahrt genießen
    gen Produkten kann seitens der Produzenten so                     möchten. Somit ist BlaBlaCar mehr als nur eine Mit-
    erfüllt werden, indem diese sich die neu geschaffene              fahrgelegenheit; sie kann durch dieses gemeinsame
    Transparenz zu Nutze machen. Wenn Produzenten                     Fahren (Share) als soziales Medium gesehen wer-
    ein faires und nachhaltiges T-Shirt fertigen möchten,             den. Im Ergebnis wird die Produktnutzung des Autos
    können sie so in Erfahrung bringen, welche Erzeu-                 gesteigert und CO2-Emissionen pro Kopf gesenkt.
    gungs- und Verarbeitungsschritte Textilien bzw. Textil-
    fasern sowie andere Materialien wie z. B. Färbemittel             Ein Beispiel für die Nutzung großer Datenmengen
    gegangen sind, und gegebenenfalls ihre Lieferkette                (Big Data) ist der „Recycling-Monitor" eines Start-ups
    umstellen. Die Technologien unterstützen so den Pro-              aus Beckum.13 Zunächst findet mithilfe einer Software
    zess des Überdenkens (Rethink) und vereinfachen                   eine digitale Erfassung und Abbildung der Bewe-
    ein nachhaltigkeitsorientiertes Management durch                  gungsströme statt. Über die Auswertung und Zurver-
    die Informationsbereitstellung.                                   fügungstellung der Daten wird ein Mehrwert erzeugt,
                                                                      indem die Entsorger die Daten für den Kundendialog
    Die Entwicklung in Richtung einer Kreislaufwirtschaft             nutzen können, zum Beispiel, indem die Containerlo-
    zeigt sich auch auf unternehmensstruktureller Ebene,              gistik über eine verbesserte Standortwahl optimiert

    9 Im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards haben wir
       FOND OF bei diesem Vorhaben begleitet. Einen Projektsteck-
       brief mit Detailinformationen finden Sie hier: https://www.
       estandards-mittelstand.de/praxisprojekte/projektsteckbriefe/   11 https://encory.com/
       nachhaltigkeit-fuer-rucksaecke-bei-fond-of/                    12 https://www.blablacar.de/
    10 https://circulartree.com/                                      13 https://recyclingmonitor.de/
Nachhaltigkeit und Digitalisierung                                                                                                9

wird. Über eine angeschlossene App können darü-               Fazit
ber hinaus weitere Dienste abgerufen werden: Con-
tainerbestellung per Mausklick, eine Auftragsabwick-          Die EU stützt und flankiert mit ihrem Green Deal die
lung mit Dokumentation aller Abfallströme vom                 Entwicklung zu einer Kreislaufwirtschaft und verdeut-
Erzeuger bis zum Verwerter, eine Fahrer-App auf dem           licht mit ihrem Aktionsplan16 bereits konkret, wohin
Smartphone und eine gezielte Datenanalyse für den             die Reise geht. KMU sollten sich diese Gegebenhei-
Austausch mit den Kunden. Im Ergebnis werden so               ten bewusstmachen und die Chance nutzen, die sich
Recycling und Recover weiter vorangetrieben.                  aus der Verbindung von Kreislaufwirtschaft und Digi-
                                                              talisierung ergeben.

Internationale Beispiele                                      Die dargestellten Beispiele verdeutlichen zum einen,
                                                              dass die Digitalisierung weltweit in vollem Gange ist
Die vom schwedischen Bauunternehmen NCC ins                   und zweitens, dass die damit verbundenen techni-
Leben gerufene Plattform „Loop Rocks“ zeigt im briti-         schen Innovationen neue Geschäftsmodelle begrün-
schen und skandinavischen Raum, wie mit Hilfe von             den lassen. Letztere können zugleich aktiv eine Kreis-
Mobilfunktechnologien Repurpose und Recycling                 laufwirtschaft befördern. Diese ist wiederum so
neue Sektoren erobern14: Die Betreiber von Baustel-           wichtig, da sie das wirtschaftliche Wachstum von der
len können Materialüberschüsse und Reste oder den             Ressourcennutzung entkoppelt und damit einen kla-
Bedarf neuer Sekundärmaterialien wie aufbereitetem            ren Nachhaltigkeitsfortschritt bedeutet, der schließ-
Beton über eine App kommunizieren. Die so erfol-              lich entscheidend zu einer langfristigen Beförderung
gende digitale Vernetzung führt zu einer Reorganisa-          und Wahrung des Wohlstands und der Lebensquali-
tion des Umgangs mit Bauresten, Abfällen und ande-            tät auf globaler Ebene beitragen kann.
ren Nebenprodukten. Die Materialflüsse zwischen
den Baustellen werden so optimiert, die Menge                 Die Beispiele verdeutlichen ferner, dass die Innovati-
ungenutzter (teurer) Reststoffe reduziert und Emissio-        onen nicht branchengebunden sein müssen, son-
nen umfassend eingespart.                                     dern übertragbar sind. Rückführungs- und Tracking-
                                                              Systeme, gemeinschaftliche Nutzung von Produkten
Die Instandhaltung von Gerätschaften, Fahrzeugen              auf Grundlage IT-gestützter Systeme, verbesserte
und zunehmend auch von Hardware gehört für viele              Wartungs- und Produktnutzungsmöglichkeiten mit-
Unternehmen zum Tagesgeschäft. Das kanadische                 hilfe funkgesteuerter, datenbasierte Zustandsüber-
Unternehmen Scanimetrics hat sich auf die funkge-             wachung sind nur einige der Beispiele.
steuerte, datenbasierte Zustandsüberwachung
von Bergbaumaschinen spezialisiert15. Indem wich-             Für kleine und mittelständische Unternehmen bieten
tige Variablen zu Abnutzung und Lebensdauer der               sich die „7Rs" als ein erstes Werkzeug an, um die
Ausrüstung erfasst und verarbeitet werden, können             eigenen Produkte und Geschäftsmodelle zu hinter-
manuelle Kontrollen und aufwändige Prüfungen                  fragen und Handlungsfelder für sich zu erkennen. Die
reduziert werden. Im Ergebnis ist die digitale War-           „7Rs" eröffnen so Aktions- und Innovationspielräume,
tung nicht nur kostengünstiger, sondern hilft auch,           die grundsätzlich jedem KMU offenstehen.
die Lebensdauer der Maschinen zu steigern, indem
Reparaturzyklen und Wiederaufbereitungsprozesse
optimiert werden (Repair, Remanufacturing, Rück-
verfolgungs- und Rückführungssysteme).

                                                              16 Weitergehende Informationen zum Aktionsplan stellt die
                                                                 Europäische Kommission hier bereit: https://ec.europa.eu/info/
14 https://www.ncc.com/media/pressrelease/718a9977a1330f47/      strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal/actions-
15 https://www.scanimetrics.com/                                 being-taken-eu_de
10   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14

     Autoren                                                       Literatur

                       Janpeter Beckmann ist von Beruf             Accenture (2014). Circular Advantage. Innovative Busi-
                       Volkswirt mit den Schwerpunkten Au-            ness Models and Technologies to Create Value in a
                       ßenwirtschaft und Entwicklungslän-             World without Limits to Growth.
                       der sowie Ressourcenökonomik. Als              https://www.accenture.com/
                       Projektmanager befasst er sich seit            t20150523t053139__w__/us-en/_acnmedia/accen-
                       knapp zehn Jahren themenübergrei-              ture/conversion-assets/dotcom/documents/global/
                       fend mit dem ökonomischen Nutzen               pdf/strategy_6/accenture-circular-advantage-innova-
                       von Nachhaltigkeit auf Unterneh-               tive-business-models-technologies-value-growth.pdf
                       mens- und Organisationsebene. Über
     die letzten Jahre sind insbesondere die Themen Kreis-         Circle Economy. (2018): The Circularity Gap Report
     laufwirtschaft, Bioökonomie und Digitalisierung (als              https://www.circularity-gap.world/
     Ermöglichungstechnologie für nachhaltige Lösungen)            Circular Peterborough: http://www.futurepeterborough.
     zu Schwerpunkten seiner Arbeit im Collaborating Cen-              com/circular-city
     tre on Sustainable Consumption and Production
     gGmbH (CSCP) geworden.                                        Dhawan, Piyush; Beckmann Janpeter: Circular Economy
                                                                     Guidebook for Cities - CSCP
                                                                     https://www.scp-centre.org/wp-content/
                      Livia El-Khawad studiert im letzten            uploads/2019/03/Circular_Cities_Publication.pdf
                      Semester Umweltwissenschaft an der
                      Leuphana Universität Lüneburg. Der           Ellen MacArthur Foundation: What is a circular eco-
                      thematische Schwerpunkt ihres Stu-               nomy? https://www.ellenmacarthurfoundation.org/
                      diums ist die nachhaltige Ressour-               circular-economy/concept
                      cennutzung sowie die Kreislaufwirt-          Europäische Kommission (2019): Ein europäischer Grü-
                      schaft. In ihrer Bachelorarbeit, befas-         ner Deal. https://ec.europa.eu/info/strategy/priori-
                      ste sie sich mit der deutschen Solar-           ties-2019-2024/european-green-deal_de
                      anlagenindustrie und analysierte das
     Potenzial, den Kreislauf innerhalb dieser Industrie zu
     schließen.                                                    Quellen für die Best Practices

                        Felix Schumacher studiert an der           „BlaBlaCar” https://www.blablacar.de/
                        Philipps-Universität Marburg im Ma-        „CircularTree” https://circulartree.com/
                        ster Wirtschaftsgeographie und ist
                        aktuell als Praktikant beim CSCP an-       „Encory” https://encory.com/
                        gestellt. Dort beschäftigt er sich, ähn-   „FOND OF “ http://www.fondofbags.com/
                        lich wie im Studium, mit nachhaltigen
                        Wertschöpfungsketten und der Kreis-        „Loop Rocks” NCC (2017) https://www.ncc.com/media/
                        laufwirtschaft. Zusätzlich arbeitet er        pressrelease/718a9977a1330f47/
                        seit einigen Jahren im Bereich der
     Suchmaschinenoptimierung als Texter unmittelbar an            „Recycling Monitor” https://recyclingmonitor.de/
     einer Schnittstelle von Digitalisierung und Wirtschaft.       „Scanimetrics” https://www.scanimetrics.com/

                                                                    Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards
                                                                    unterstützt kleine und mittelständische Unterneh-
                                                                    men im gesamten Bundesgebiet dabei, durch Pra-
                                                                    xisbeispiele, Demonstratoren, Informationsveran-
                                                                    staltungen und den gegenseitigen Austausch die
                                                                    Vorteile und Anwendbarkeit der Digitalisierung mit
                                                                    eStandards zu verstehen. Dabei ist es auch Aufgabe
                                                                    des Kompetenzzentrums zu verdeutlichen, wie Digi-
                                                                    talisierung für mehr Nachhaltigkeit eingesetzt wer-
                                                                    den kann. Konkret werden Unternehmen Handlungs-
                                                                    möglichkeiten aufgezeigt, wie Produktionsprozesse
                                                                    und Geschäftsmodelle nachhaltiger gestaltet wer-
                                                                    den und hierdurch zugleich ökonomische Vorteile
                                                                    erzielt werden können.
                                                                    Weitere Informationen zum Kompetenzzentrum
                                                                    finden Sie unter https://www.mittelstand-digital.de/
Nachhaltigkeit und Digitalisierung                                                                                  11

Nele Lüpkes

Nachhaltige Lernkultur im Unternehmen –
Lebenslanges Lernen ermöglichen
Wenn Arbeit und Leben immer digitaler werden,             müssen sich auf eine Veränderung der Qualifikations-
fordert dies eine entsprechende Ausrichtung von           anforderungen ihrer Mitarbeitenden einstellen, die
Unternehmen auf die sich wandelnden Qualifika-            für die erfolgreiche Gestaltung einer (zukünftig) digi-
tions- und Informationsanforderungen von Mitar-           talisierten Arbeitswelt notwendig sind.1 Es geht dabei
beiterinnen und Mitarbeitern. Warum ist es für            um die Befähigung der Mitarbeitenden, um neue
Unternehmen zunehmend von Bedeutung, sich                 Problemstellungen selbstständig zu bewältigen,
als lernende Organisationen zu verstehen? Wie             Eigeninitiative in der Gestaltung der Arbeitsumge-
können digitale Lernformate helfen, aktuelle und          bung zu zeigen und nicht zuletzt die Verantwortung
zukünftige Herausforderungen besser zu meis-              für das eigene Handeln zu übernehmen.2 Unterneh-
tern und wie kann die betriebliche Umsetzung              men sind in diesem Zusammenhang gefordert, ent-
einer nachhaltigen Lernkultur im Unternehmen              sprechende Lernmöglichkeiten für Mitarbeiterinnen
unterstützt werden? Das Mittelstand 4.0-Kompe-            und Mitarbeiter zu schaffen, um individuelle Bil-
tenzzentrum Hannover geht diesen Fragen nach              dungsprozesse mit strukturellen Transformationspro-
und zeigt am Beispiel von Erklärvideos ganz prak-         zessen zu verknüpfen.3 Hieran schließt sich die Frage
tisch auf, wie diese zu einer nachhaltigen Lernkul-       an, wie eine solche „Bildung in einer durch digitale
tur beitragen.                                            Technik geprägten Welt“4 ausgestaltet werden kann.
                                                          Das folgende Praxisbeispiel zeigt eine Perspektive
                                                          auf, wie digitale Formate nachhaltiges Lernen und
Anforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt           einen zukunftsfähigen Umgang mit Wissen im Unter-
                                                          nehmen ermöglichen und auf diese Weise die zuvor
Im Zuge der Digitalisierung sind Unternehmen mit          genannten Anforderungen erfüllt.
einer stetigen Technologisierung, Flexibilisierung
und Transformation ihrer bestehenden Prozesse und         1   Vgl. Arnold (2018), S. 11.
                                                          2   Vgl. Erpenbeck/Sauter (2016), S. 16.
Strukturen konfrontiert. Hieraus resultiert ein Organi-   3   Vgl. Arnold (2018), S. 32.
sations- und Arbeitswandel und Unternehmen                4   Vgl. Kerres (2016), S. 2.
12   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14

                   Bedarfs-            Durchführung eines Bedarfsgesprächs zur Definition der Ausgangssituation
                   analyse               und Analyse des Bedarfs

                                           Erstellung eines Leitfadens zu Potenzialen und Umsetzungsoptionen
                         Leitfaden
                                           digitaler Formate im Unternehmen

                        Pilotprojekt       Identifizierung des Erklärvideos als bedarfsgerechtes Format und
                        Erklärvideo        Umsetzung eines Lernangebotes als Pilotprojekt im Unternehmen

                  How-To-                 Erstellung eines How-To-Videos zur Motivation und Befähigung
                   Video               der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens

     Abbildung 1: Projektablauf Digitale Weiterbildung und Wissensmanagement

     Praxisbeispiel: Erklärvideo bei der Kirchner                     als Lernangebot für alle Mitarbeitenden des Unter-
     Engineering Consultants GmbH                                     nehmens und damit als Kernelement eines internen
                                                                      Wissensmanagements bereitzustellen.
     Die Kirchner Engineering Consultants GmbH hat als
     Ingenieursdienstleister mehrere Niederlassungen im               Abbildung 1 zeigt den Projektablauf auf. Im ersten
     nord- und ostdeutschen Raum, sodass es eine ste-                 Schritt konnten die Zentrumsmitarbeitenden gemein-
     tige Herausforderung ist, den Mitarbeitenden an den              sam mit der Kirchner GmbH das Erklärvideo als
     einzelnen Standorten firmenrelevante Informatio-                 bedarfsgerechtes und sehr verbreitetes Format iden-
     nen, beispielsweise zu geltenden Strukturen oder                 tifizieren. Viele Unternehmen nutzen Erklärvideos
     Prozessen, einheitlich bereitzustellen. Gemeinsam                heute bereits als alleiniges digitales Lernangebot, um
     mit der Kirchner GmbH hat das Kompetenzzentrum                   Inhalte für ihre Mitarbeitenden aufzubereiten.5 Das
     Hannover daher eine Idee entwickelt, wie Inhalte                 Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hannover entwi-
     über digitale Formate als Teil eines internen Wissens-           ckelte zunächst einen Leitfaden für die Umsetzung
     managements für alle Mitarbeitenden bereitgestellt               eines solchen digitalen Lernangebotes und beglei-
     und gleichzeitig von diesen mitgestaltet werden kön-             tete ein erstes Pilotprojekt zu einem beispielhaften
     nen.                                                             Thema im Unternehmen. Die Ergebnisse und Erfah-
                                                                      rungen wurden als Best-Practice-Beispiel in einem
                                                                      How-to-Video mit den folgenden Zielstellungen auf-
     Projektaufbau                                                    gearbeitet:

     Eine Bedarfsanalyse im Rahmen des Projekts ergab,                1. Befähigung der Mitarbeitenden zur selbstständi-
     dass das bestehende Wissen in der Kirchner GmbH                     gen Erstellung eigener digitaler Formate zu ihrem
     nicht länger ungleich und variabel innerhalb der ein-               jeweils individuell bestehenden Expertenwissen
     zelnen Organisationseinheiten bestehen sollte. Ziel
     war es daher, das Know-how einzelner Mitarbeiterin-              2. Motivation der Mitarbeitenden zur selbstständi-
     nen und Mitarbeiter zentral zu erfassen und unter-                  gen Erstellung und Nutzung der bereitgestellten
     nehmensweit zugänglich zu machen. Vor diesem                        digitalen Formate
     Hintergrund sollte das bestehende Intranet genutzt
     werden, um die entsprechenden Inhalte über digi-
     tale Formate zentral als Informations- und zugleich              5 Vgl. Mmb Institut (2018), S. 7.
Nachhaltigkeit und Digitalisierung                                                                                  13

Nachhaltige Lernkulturen im Unternehmen                   nisation, was am Praxisbeispiel mit der Kirchner
                                                          GmbH erfolgreich gezeigt werden konnte. Der Ein-
Damit sich Unternehmen der wachsenden Kultur der          satz von digitalen Formaten als Lern- und Informati-
Digitalität6 anpassen und damit einhergehende             onsangebot hilft dabei, die Mitarbeitenden als ent-
Anforderungen bewältigen können, muss das                 scheidende betriebliche Akteurinnen und Akteure
Verhältnis von Lernen und Arbeiten sowie von indivi-      einzubinden und auf diese Weise ihre Selbstlernfä-
duellem und kollektivem Know-how grundsätzlich            higkeit zu fördern.11
neu gedacht werden. Die reine Wissensaneignung
und der Erwerb fachlicher Kompetenzen über klas-
sisch curricular organisierte Lernangebote ist nicht      Nutzen für Unternehmen
länger ausreichend. Vielmehr sollten – wie im Projekt
mit der Kirchner GmbH beispielhaft umgesetzt – Struk-     Über die Verknüpfung von Wissensmanagement und
turen einer Lernkultur geschaffen werden, in denen        Qualifizierungsangebot sowie der damit entstehen-
Mitarbeitende selbstgesteuert, kontinuierlich und         den Informations- und Lernumgebung haben Unter-
arbeitsplatznah lernen und Kompetenzen entwickeln         nehmen die Möglichkeit, ihren Mitarbeitenden ein
können, die sie zur Bewältigung aktueller und zukünf-     individuelles, selbstständiges und vor allem kontinu-
tiger Herausforderungen befähigen.7 Unternehmen           ierliches Lernen zu ermöglichen und die eigene Inno-
müssen sich hierzu als lernende Organisationen ver-       vations- und Zukunftsfähigkeit zu erhöhen.12 Digitale
stehen und Strukturen im Arbeitsalltag schaffen, in       Formate bieten die Möglichkeit für ein nachhaltiges
denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum nachhal-       Lernen, das flexibel und arbeitsplatznah stattfindet
tigen und kontinuierlichen Lernen (Lebenslangen           und damit anschlussfähig für den Transfer in die Pra-
Lernen) befähigt werden. Dies gelingt insbesondere        xis ist.
dann, wenn Lernmöglichkeiten eigenverantwortlich
und individuell gestaltet sind und das Gelernte           Lernen am Arbeitsplatz: Online bereitgestellte Lern-
anschlussfähig in die Praxis transferiert werden kann.    einheiten sind überall abrufbar, wo Internet zur Verfü-
Nur wenn sich Mitarbeitende mit erworbenem Wissen         gung steht. Lernen wird damit ortsunabhängig und
auseinandersetzen, es weiterentwickeln, auf Neues         kann direkt in den Arbeitsprozess integriert werden.
beziehen und in einen (Unternehmens-)Kontext brin-        Auf diese Weise können z. B. konkrete Fragestellun-
gen können, sind sie auch in der Lage, mit zukünftigen    gen von Mitarbeitenden mit Hilfe von online zur Verfü-
Herausforderungen flexibel umzugehen.8                    gung stehenden Inhalten unmittelbar geklärt werden,
                                                          beispielsweise über Lernvideos oder themenspezifi-
                                                          sche unternehmensinterne Blogs.
Digitales Lernen und Wissensmanagement
                                                          Anschauliche Visualisierung von Abläufen: Bilder
Moderne Lernkulturen im Unternehmen sind eng mit          und Simulationen dienen der Veranschaulichung und
der Frage verknüpft, über welche Wege Informatio-         interaktiven Auseinandersetzung der Lernenden mit
nen für Mitarbeitende zugänglich gemacht werden.          den jeweiligen Inhalten. So dient das Abfilmen einer
In einer vernetzten Welt erneuert und aktualisiert sich   bestimmten Handlung, wie beispielsweise die War-
das Wissen im Unternehmen ständig. Es reicht nicht        tung einer Anlage, als konkrete Anleitung für andere
länger, dies auf der Basis individueller Erfahrungen      Mitarbeitende aus dem Unternehmen.
und Erkenntnisse als subjektives Gut zu betrachten.
Vielmehr gehört es nachhaltig erfasst, veröffentlicht     Zentrale Bereitstellung von Lernangeboten: Digi-
und geteilt.9 Unternehmen müssen daher entspre-           tale Formate können intern über das Intranet oder ein
chende Strukturen für eine ganzheitliche Informati-       Lernmanagementsystem unternehmensweit zugäng-
ons- und zugleich Lernumgebung etablieren, sodass         lich gemacht werden. Die Inhalte stehen allen Mitar-
individuell vorhandenes Wissen in kollektiv bereitge-     beitenden zur Verfügung und können zugleich von
stellte Speichermedien überführt und letztlich dem        ihnen selbstständig erstellt und ergänzt werden. Digi-
Unternehmen als Gesamtorganisation zur Verfügung          tales Lernen fungiert somit als ein zentrales Element
gestellt wird.10 Die Etablierung eines solchen Wis-       des Wissensmanagements, bei dem interne Strukturen
sensmanagements gilt in diesem Sinne als eine             transparenter, Prozesse schlanker und ein insgesamt
grundlegende Voraussetzung für eine lernende Orga-        effizienteres Arbeiten und Lernen ermöglicht wird.

6    Vgl. Stadler (2016).
7    Vgl. Erpenbeck/Sauter (2016), S. 18.
8    Vgl. Schüßler (2004), S. 150.
9    Vgl. Filzmoser (2013), S. 19.                        11 Vgl. Robak (2020), S. 43f.
10   Vgl. Lülfs/Wagner (2013), S. 36f.                    12 Vgl. Robak (2020), S. 43f.
14   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14

     Autorin                                                      Literatur

                        Nele Lüpkes, M. A. ist seit 2018 Mitar-   Arnold, Rolf (2018). Das kompetente Unternehmen.
                        beiterin im Mittelstand 4.0-Kompe-           Pädagogische Professionalisierung als Unterneh-
                        tenzzentrum Hannover. Als Referentin         mensstrategie. Springer (Wiesbaden).
                        für Pädagogik und Didaktik ist sie un-
                        ter anderem für die Qualitätssiche-       Erpenbeck, John; Sauter, Werner (2016). Stoppt die
                        rung des Schulungsangebots verant-           Kompetenzkatastrophe! Wege in eine neue Bil-
                        wortlich und leitet die AG Qualifizie-       dungswelt. Springer Verlag (Berlin, Heidelberg).
                        rung im Netzwerk Mittelstand-Digital.     Filzmoser, Gaby (2013). Bildungshaus 2.0. Die Verände-
     Vor ihrer Tätigkeit im Zentrum studierte Nele Lüpkes             rung der Bildungskultur in Bildungshäusern durch
     Sozial- (B. A.) und Bildungswissenschaften (M. A.) an der        den Einsatz digitaler Medien. ARGE Bildungshäuser
     Leibniz Universität Hannover.                                    Österreich (Norderstedt).
                                                                  Kerres, Michael (2016). E-Learning vs. Digitalisierung
                                                                     der Bildung: Neues Label oder neues Paradigma.
                                                                     In: Hohenstein, Andreas; Wilbers, Karl (Hrsg.). Hand-
                                                                     buch E-Learning. Fachverlag Deutscher Wirtschafts-
                                                                     dienst (Köln).
                                                                  Lülfs, R.; Wagner, G. R. (2013). Nachhaltigkeit und orga-
                                                                      nisationales Lernen. Springer Gabler (Wiesbaden).
                                                                  Mmb Institut (2018). Weiterbildung und Digitales Lernen
                                                                    heute und in drei Jahren.
                                                                  Erklärfilme als Umsatzbringer der Stunde. Ergebnisse
                                                                     der 12. Trendstudie „mmb Learning Delphi“.
                                                                  Robak, Steffi (2020). Den Trichter auf den Kopf gestellt –
                                                                     Lernkulturen in einer Kultur der Digitalität. In:
                                                                     Jacobs, Joh. Christian; Kagermann, Henning; Spath,
                                                                     Dieter. Lebenslanges Lernen fördern – Gute Beispiele
                                                                     aus der Praxis. Acatech Diskussion.
                                                                  Schüßler, Ingeborg (2004). Nachhaltiges Lernen. Ein-
                                                                     blicke in eine Längsschnittuntersuchung unter der
                                                                     Kategorie „Emotionalität in Lernprozessen“. In:
                                                                     Report - Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 27
                                                                     (1), S. 150.
                                                                  Stadler, Felix (2016). Kultur der Digitalität. Suhrkamp
                                                                     Verlag (Berlin).

      Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hannover
      unterstützt kleine und mittlere Unternehmen, ihre
      Wettbewerbsfähigkeit im Kontext von Digitalisie-
      rung und Industrie 4.0 zu stärken. Informationsver-
      anstaltungen, Schulungen, Firmengespräche und
      Projektbegleitungen – mit diesen Angeboten macht
      das Zentrum Unternehmen fit für die digitale
      Zukunft.

      Zu den Themen dieses Kompetenzzentrums zählen
      u. a.
      ► Produktionsoptimierung – Daten erfassen,
          verarbeiten, nutzen
      ► Digitales Lernen und Wissensmanagement
      ► IT-Sicherheit und Künstliche Intelligenz
      ► Digitale Geschäftsmodelle

      www.mitunsdigital.de/
Nachhaltigkeit und Digitalisierung                                                                                15

Benedikt Grosch, Stefan Seyfried, Nina Strobel, Matthias Weigold

Chancen durch den Einsatz
Künstlicher Intelligenz im industriellen
Energiemanagement
Der Artikel gibt einen Überblick über die Einsatz-          Energiemarkt mit steigenden Energiepreisen zu rech-
möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) im           nen. Um den Energieverbrauch im Unternehmen
industriellen Energiemanagement. Dabei liegt                genau zu erfassen, zu bewerten und gezielt zu opti-
der Schwerpunkt insbesondere auf praktischen                mieren, haben sich digital gestützte Energiemanage-
Anwendungsfällen. Am Beispiel der ETA-Fabrik,               mentsysteme, beispielsweise nach ISO 50001 etab-
einer Forschungsfabrik im Originalmaßstab am                liert, die dazu beitragen können, die Energiekosten
Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Darmstadt,                 von Unternehmen zu senken und damit ihre Wettbe-
wird aufgezeigt, wie die Technologien im Sinne              werbsfähigkeit zu stärken.
eines ganzheitlichen Energiemanagements ein-
setzbar sind und welche Vorteile sich daraus für            Gleichzeitig werden gegenwärtig Technologien auf
mittelständische Unternehmen ergeben können.                Basis von KI und speziell des Maschinellen Lernens
                                                            stetig weiterentwickelt und finden Einzug in die
                                                            industrielle Produktion. Dazu trägt auch die zuneh-
Einleitung                                                  mende Verfügbarkeit von günstiger Rechenleistung
                                                            und Speicherkapazitäten bei. Dies erlaubt es, aus
Die Anreize für Unternehmen, in Maßnahmen zur               großen Datenmengen zuvor unbekannte Wirkzusam-
Steigerung der Energieeffizienz zu investieren, stei-       menhänge zu erkennen oder auf Basis vorhandener
gen unter anderem aufgrund der verstärkten öffentli-        Datenmodelle eine automatisierte Vorhersage
chen Wahrnehmung des Klimawandels und seiner                zukünftiger Energiebedarfe zu erstellen.1
ökologischen Auswirkungen. Zukünftig ist aufgrund
rechtlicher Vorgaben wie einer steigenden CO2-
Bepreisung und ökonomischen Entwicklungen am                1 Vgl. Metternich et al. (2019).
16   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14

     Auf KI-Technologien basierende Systeme werden in        Produktionssystem als auch die Steuerung und Rege-
     Zukunft vermehrt für das industrielle Energiema-        lung von einzelnen Komponenten bis hin zu gesam-
     nagement genutzt. Sie ermöglichen es, die typischer-    ten Fabriksystemen. Einige dieser Anwendungs-
     weise komplexen Wirkzusammenhänge industrieller         fälle sollen im Folgenden vorgestellt werden. Für die
     Energiesysteme zu modellieren und diese Systeme         zukünftige Anwendung muss berücksichtigt werden,
     mit neuartigen Verfahren zu optimieren. Die Einsatz-    dass mit der Übertragung von Kontrolle an einen KI-
     szenarien sind vielfältig: Sie reichen von der Prog-    Agenten auch ethische und rechtliche Anforderun-
     nose zukünftiger Energieverbräuche, über das sen-       gen an den KI-Agenten einhergehen, die eine ver-
     sorreduzierte Monitoring der Verbräuche mithilfe        trauensvolle Zusammenarbeit mit solchen Systemen
     virtueller Messstellen, die energieadaptive Produkti-   erlauben. Die Erarbeitung von Zertifizierungen, wel-
     onsplanung und optimierte Betriebsplanung von           che dies gewährleisten, sind Gegenstand aktueller
     Energieversorgungssystemen bis hin zu Bilddaten-        Forschungsaktivitäten.2
     auswertung und Assistenzsystemen zur Identifikation
     beziehungsweise Auswahl von Energieeffizienzmaß-        Virtuelle Messstellen:
     nahmen.
                                                             Durch die gesetzliche Verpflichtung von Unterneh-
     Der Einsatz derartiger Technologien kann die            men zur Zertifizierung nach ISO 50001 oder zur
     Beschäftigten im Energiemanagement eines Unter-         Durchführung von Energieaudits, wird es notwen-
     nehmens unterstützen, da herkömmliche Ansätze           dig, mehr Energiedaten zu erheben. Dies bietet wie-
     stets interdisziplinäres Expertenwissen erfordern.      derum die Möglichkeit, neue Effizienzmaßnahmen
     Dieses ist jedoch insbesondere in kleinen und mittle-   zu identifizieren und umzusetzen. Jede Anlage und
     ren Unternehmen nur selten verfügbar. Hier können       Maschine mit entsprechender Messtechnik auszu-
     Systeme eine Entlastung bieten, die automatisiert       rüsten, ist jedoch teuer und aufwändig. Gleichzeitig
     versuchen, ein vorgegebenes Ziel, wie beispiels-        bieten temporäre Messungen nur eingeschränkt Ein-
     weise eine Steigerung der Energieeffizienz, zu errei-   blick in das Verbrauchsgeschehen. Zustandsbasierte
     chen. Im Hinblick auf KI spricht man dabei auch von     Messstellen, wie sie in der ETA-Fabrik entwickelt wer-
     KI-Agenten, die durch ihre Interaktion mit der Umwelt   den, können dabei Abhilfe schaffen.3
     lernen und Wege zur Zielerreichung finden. Bei-
     spielsweise kann ein solcher KI-Agent durch die Anla-   Zunächst wird dafür eine temporäre Messung des
     genregelung eine Betriebsweise anstreben, die           Energieverbrauchs durchgeführt und gleichzeitig
     einen möglichst geringen Energieverbrauch nach          werden verfügbare Zustandssignale aufgezeichnet
     sich zieht. Alternativ könnte der Begriff Agent auch    – beispielsweise, welche Aggregate einer Maschine
     für eine Anwendung stehen, die sinnvolle Energieef-     zu welchem Zeitpunkt eingeschaltet waren. Mit die-
     fizienzmaßnahmen für ein zu optimierendes System        sen Daten kann ein Agent angelernt werden, der
     vorschlägt.                                             dann basierend auf den Zustandssignalen den Ener-
                                                             gieverbrauch schätzt. Nachdem die Messung ein-
     KI-Agenten können direkt im Anwendungsfeld beim         mal durchgeführt wurde, werden somit lediglich die
     einsetzenden Unternehmen entwickelt bzw. für den        einfach verfügbaren Zustandsinformationen benö-
     speziellen Anwendungsfall angelernt werden. Da die      tigt. Dafür kommen Maschinenvariablen in Frage, die
     Entwicklung solcher Modelle allerdings in der Regel     auch für die Statusanzeigen in Produktionsleitsyste-
     technische Expertise im Bereich der KI voraussetzt,     men genutzt werden.
     liegt gerade für den Mittelstand ein großes Potenzial
     in KI-Agenten, die der Hardware-Hersteller für das      Bild- und Messdatenauswertung:
     entsprechende System mitliefert und die nur noch
     auf den speziellen Anwendungsfall transferiert wer-     Die vermutlich häufigste Anwendung von KI in der
     den müssen.                                             Produktion ist die Bild- und Messdatenauswertung,
                                                             wie sie in der Qualitätsüberwachung zum Einsatz
                                                             kommt. Dabei kann zum Beispiel die Produktionsqua-
     Anwendungen in der Industrie                            lität mithilfe von Kameras überwacht werden. Ein KI-
                                                             Agent identifiziert auf Basis der Kamerabilder mög-
     In der ETA-Fabrik, einer Forschungsfabrik am Mittel-    liche Fehler und diese können von Mitarbeitenden
     stand 4.0 Kompetenzzentrum Darmstadt, werden KI-        geprüft und ausgebessert werden. Ähnliche Anwen-
     Systeme aller Autonomiegrade entwickelt, um einen       dungen könnten auch im Energiemanagement
     Beitrag zur CO2-freien Produktion der Zukunft zu
     leisten. Die erforschten Anwendungen umfassen           2 Vgl. Cremers et al. (2019).
     sowohl die Erfassung von Energiedaten aus dem           3 Vgl. Sossenheimer et al. (2019).
Nachhaltigkeit und Digitalisierung                                                                                   17

Abbildung 1: Detektion der Positionen von Personen in der    Abbildung 2: Datenfluss und Anwendungen für KI
ETA-Fabrik auf Basis von Wärmebildkameraaufnahmen

zum Einsatz kommen. Denkbar wäre beispielweise               Versorgungstechnik. Um den KI-Agenten zu trainie-
eine bedarfsgerechte Lüftungssteuerung oder eine             ren, werden dabei Daten aus einem ausreichend lan-
Beleuchtungssteuerung mithilfe von Wärmebildka-              gen Zeitraum benötigt, die möglichst alle Betriebs-
meras, wie sie aktuell in der ETA-Fabrik erprobt wird.       fälle abdecken. So wird ein ausreichend genaues
Abbildung 1 zeigt ein Wärmebild der ETA-Fabrik,              Ergebnis erzielt.4 In Abbildung 2 ist der Datenfluss
auf dem die Positionen von Personen in der Fabrik-           mit einer integrierten Kurzfrist-Prognose aufgezeigt.
halle automatisch mithilfe eines neuronalen Netzes           Zunächst werden mithilfe von physischer oder virtu-
erkannt werden. Entsprechend dieser Daten erfolgt            eller Sensorik (s. oben) Daten erfasst. Diese Daten
eine automatisierte Regelung der Beleuchtung.                werden vorverarbeitet und dabei aufbereitet. Bei-
                                                             spielsweise werden Fehlstellen und Ausreißer korri-
Kurzfrist-Prognosen:                                         giert. Daraufhin erfolgt eine Prognose mithilfe eines
                                                             KI-Agenten, deren Ergebnisse in die Regelung und
In einigen Fällen ist es interessant zu erfahren, wie sich   Steuerung von Anlagen einfließen können – bei-
ein System in der näheren Zukunft verhalten wird. Ein        spielsweise zur Lastspitzenreduktion.
typischer Anwendungsfall ist die Lastspitzenreduk-
tion. Da die Leistungskosten für Strom signifikant stei-     Vorschlagswesen für Energieeffizienzmaßnahmen:
gen, wenn eine hohe Lastspitze erzeugt wird, möch-
ten Unternehmen diese möglichst vermeiden. Dabei             Auf ähnliche Art und Weise ist es auch denkbar, dass
kann eine Prognose helfen, die abschätzt, wie sich           KI-Agenten Energieeffizienzmaßnahmen vorschla-
der Leistungsverlauf in den kommenden 15 Minuten             gen. Dies ist ein Thema, das in der ETA-Fabrik in
verhalten wird. Sobald eine Spitze festgestellt wird,        Zukunft näher untersucht werden soll. Bisher werden
kann dann regelnd eingegriffen werden und bei-               Effizienzmaßnahmen zumeist von professionellen
spielweise das Einschalten einer weiteren Last ver-          Energieberatern vorgeschlagen oder im Unterneh-
zögert werden. Unternehmen können somit Kosten               men durch das Energiemanagement erarbeitet.
sparen. Gleichzeitig wird damit auch das Stromnetz           Einige bewährte Maßnahmen sind dabei besonders
gestützt, da weniger Regelleistung benötigt wird.            beliebt und werden häufig umgesetzt. Es gibt jedoch
                                                             oftmals weitere Maßnahmen, die weniger bekannt
In der ETA-Fabrik werden Modelle entwickelt, um sol-         sind. Um auch solche Maßnahmen stärker ins
che Vorhersagen zu optimieren. Dabei werden ver-             Bewusstsein zu rücken und die wirtschaftliche und
schiedenste Parameter berücksichtigt, um ein mög-            energetische Bewertung im Unternehmenskontext zu
lichst aussagekräftiges Bild zu erhalten, wie sich           erleichtern, kann ein Vorschlagssystem nützlich sein.
die Fabrik in den kommenden 15 Minuten verhal-
ten wird. Dazu gehören neben Wettervorhersagen
auch Daten aus dem Produktionssystem und der                 4 Vgl. Walther et al. (2019).
18   Mittelstand-Digital Magazin | Ausgabe 14

     Abbildung 3: Betriebsszenarien der energieflexiblen Fabrik nach Verfügbarkeit erneuerbarer Energieträger

     Ein solches System nutzt eine Datenbasis von vorhan-             Die energieflexible Fabrik lässt sich nur erreichen,
     denen Energiedaten und daraus resultierenden Effi-               wenn das gesamte Fabriksystem, bestehend aus Ver-
     zienzmaßnahmen, die beispielsweise in der For-                   sorgungstechnik und Produktion, annähernd optimal
     schung identifiziert werden. Darauf basierend können             betrieben wird. Dabei sind die äußeren Bedingun-
     dann die Energiedatenverläufe anderer Unterneh-                  gen, wie die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien
     men oder Maschinen analysiert und bewertet wer-                  ebenso zu berücksichtigen wie die Eigenschaften der
     den. Der KI-Agent kann daraus ableiten, welche Maß-              unterschiedlichen Maschinen und Anlagen. Dement-
     nahmen auf die untersuchten Maschinen und                        sprechend werden für einen optimalen Betrieb sehr
     Unternehmen übertragbar wären.                                   viele Vorgabewerte berechnet. Das daraus resultie-
                                                                      rende mathematische Problem ist also sehr komplex
     Energieflexibler Fabrikbetrieb:                                  und schwer lösbar. Auch dies ist ein gutes Einsatzge-
                                                                      biet für KI-Agenten. Die Agenten können lernen, den
     Auf dem Weg zur CO2-freien Fabrik muss neben der                 Einfluss äußerer Faktoren auf den Fabrikbetrieb zu
     Steigerung der Energieeffizienz untersucht werden,               bewerten. Durch die Nutzung von Informationen
     wie eine bessere Ausnutzung erneuerbarer Energie-                über Bedarfe und Anlagen können sie die Fabrikanla-
     träger im Fabrikbetrieb möglich ist. Herausfordernd              gen optimal steuern.
     ist dabei, dass diese Energieträger oftmals nicht plan-
     bar verfügbar sind, sondern Energie schwankend                   In der ETA-Fabrik werden sowohl Verfahren für die
     bereitstellen; beispielsweise abhängig von den herr-             Steuerung der Versorgungstechnik als auch für den
     schenden Wetterbedingungen. Um eine optimale                     Betrieb der Produktion entwickelt. In beiden Fällen
     Ausnutzung zu erreichen und möglichst wenig auf                  werden verschiedene Ansätze verfolgt. Beispielweise
     konventionelle Brennstoffe zurückzugreifen, muss                 kann die Versorgungstechnik mithilfe eines KI-basier-
     die Fabrik daher auf die Erzeugungsschwankungen                  ten Reglers betrieben werden. Dieser kann, je nach
     reagieren. Dies wird als Energieflexibilität bezeich-            Aufbau des Systems und Rahmenbedingungen bis
     net. Eine Übersicht möglicher Optionen für den                   zu 20 % des Energiebedarfs einsparen.5 Der Regler
     Betrieb bei hohem und niedrigem Anteil erneuerba-                nimmt Daten aus dem Versorgungssystem und der
     rer Energien im Stromnetz ist in Abbildung 3 darge-
     stellt.                                                          5 Vgl. Panten (2019).
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