NATURVÖLKER INFOHEFT DER MENSCHENRECHTSORGANISATION RETTET DIE NATURVÖLKER E.V. (RDN) HEFT NR. 81 - JUNI 2017 - 26. JAHRGANG - RETTET DIE ...

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Naturvölker
                       Infoheft der Menschenrechtsorganisation
                       Rettet die Naturvölker e.V. (RdN)
                       Heft Nr. 81 – Juni 2017 – 26. Jahrgang

   Cadmos, Krieger der Kalinago         FOTO: BERND WEGENER

Helfen Sie bitte den Kalinago im Kampf für ihr Dorf!
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Iniciativa Amotocodie: Monitoringfahrten ins Gebiet der Vorfahren

Zwei der Monitoringfahrten von 2016 führten nach Chovoreka, einem
Gebiet im Nordosten des paraguayischen Gran Chaco (Departamento
Alto Paraguay). Sie fanden unter Beteiligung dort im Urwald aufgewach-
sener Ayoreos von der Lokalgruppe der Garaygosode statt, welche die
Wege und Örtlichkeiten noch gut kannten. Die Monitorings waren in der
zweiten Jahreshälfte, im Zeitraum September – November.
Die Zone von Chovoreka ist ein Gebiet mit einem hohen Risiko der Inva-
sion durch Landbesetzer (Großraumagrarwirtschaft – Anm. d. Red.). Bei
den Kontrollfahrten haben die Ayoreos auch Demarkierungstafeln errich-
tet. Diese weisen auf die Bedeutung des Schutzes für die Führer und
dort geborenen Ayoreos hin und unbedingt zu respektieren sei.

                                           Ayoreos erneuern eine De-
                                           markierungstafel im Gebiet
                                           des Nationalparks „Defenso-
                                           res del Chaco“ beim Cerro
                                           Leon als Gebiet ihrer Vorfah-
                                           ren: ODOCUBUI
                                           Volker v. Bremen: ODOCUBUI =
                                           Sauberer Busch (d.h., dass man
                                           durch den Wald laufen kann), wo
                                           es viele (Pampas)Hasen gibt.

                                           FOTO: INICIATIVA AMOTOCODIE

Diese Fahrten und die Gebietsausschilderungen fördern die Aktivitäten
der Garaygosode und animinieren sie als Vorkämpfer der Verteidigung
ihres Gebietes und der Wiederherstellung des nachhaltigen Wissens der
Vorfahren aufzutreten.
Für 2017 wird es ein konkretes Vorhaben der Ayoreos von Alto Paragu-
ay für dieses Gebiet geben: Die Besetzung unter Beachtung ihrer traditi-
onellen Regeln. Weil man das Gebiet nicht abstrakt intellektuell schützen
kann, muss vor Ort was erfolgen. Der Schutz des Gebietes ist heute
auch von Interesse für Organisationen der 2. oder 3. Instanz, wie z.B.
der UNAP (Unión Nativa Ayoreo del Paraguay).
Der Schutz von Chovoreka beruht auf der Organisationskraft der Lokal-
gruppe, bei der die Erinnerungen an das Gebiet lebendig sind. Die Exis-
tenz des Gebietes bleibt eine Quelle zur Reflexion zwischen den Zeiten
des Lebens der traditionellen Ayoreos und ihrem Aktuellen in der er-
zwungenen Integration in der neuen Gesellschaft. Die Ayoreos müssen
ihre eigene Antwort suchen für die Bindung an ihre Gebiete, die immer
noch Quellen sind für diese Suche.

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Chovoreka: Das Luftbild zeigt noch dichten Urwald – die Frage ist: wie lange noch?

Chovoreka ist eine schöne, üppige Landschaft, voll von lebenswichtigen Ressourcen
für Ayoreos, die dort in freiwilliger Isolation leben.  FOTOS: INICIATIVA AMOTOCODIE

Miguel Lovera                                          Übersetzung: Joachim Müller

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Überleben der Kalinago Menschen: Kanuprojekt in Saint Vincent

Der Kalinago-Stamm vollendete das erste Pirogue-Kriegs-Kanu, das seit
Hunderten von Jahren in St. Vincent und den Grenadinen wieder gebaut
wurde. Das Boot wurde auf seiner ersten Meeresreise von Lowmans Bay
zum Rose Place am 21. März 2016 gestartet. Das Kanu ist 25 Fuß lang
und 3 Fuß breit, und kann bis zu 20 Krieger aufnehmen.
Das Projekt wurde durch die gemeinsame Unterstützung von Freunde
der Naturvölker, verschiedene Regierungsabteilungen von St. Vincent
und den Grenadinen und Stammesmitgliedern realisiert.

Survival of the Kalinago People: Pirogue project in Saint Vincent

02-09-2013, Projektstart: Die Baumfällung erfolgte in Zusammenarbeit mit dem
Forstamt. Tag und Nacht waren drei Männer im Wald, um das Kanu aus dem
Baumstamm grob vorzufertigen. Es waren Colin Brong (Kameramann) neben
Frankie Sutherland und Augustin Sutherland (Kanubauer).

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Das Kanu wurde von Augustin und Frankie Sutherland mit modernen Werkzeugen
und einer Steinaxt ausgehöhlt und geformt.

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Die ausgesägten Teile des Kanus dienten zum Ausbrennen.

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Das Kanu wurde dann mit Eisensteinen, Wasser und Feuer geformt.

Während das Kanu gebaut wurde, kamen Besucher, darunter die Abteilung für
Forstwirtschaft und Schulkinder, um den Prozess zu beobachten.

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“Jungfernfahrt”, 21-03-2016: Geschichtlich betrachtet, ist es das erste Pirogue-
 Kriegskanu seit mehr als 300 Jahren, dass der Kalinago-Stamm in St. Vincent
 wieder gebaut hat.

Landung in Rose Place am 21. März 2016.

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Die Krieger machten die Reise.

 Heart Beat Drummers

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Eine Rede und Trommelmusik von Heart Beat Drummers und Zimbu Brown Musik
folgten als Teil der Feier für das Kanu.

Unsere Feier mit Tanz nach Abschluss der Kanu Reise.

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Der Rauch ist von der Verbrennung des Öls / Gummis aus dem gleichen Baum,
aus dem auch das Kanu hergestellt wurde, so wie es unsere Vorfahren taten.

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Dann wurde ein Bogen- und Pfeiltanz durchgeführt.

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FOTOS: AUGUSTIN SARDO SUTHERLAND
The Canoe:
 • Length: 24 ft
 • Width: 2 ft.
 • Depth: 1 ft. 5 in.
 • Bow thickness: 6 ft. 5 in.
 • Under stern thickness: 5 ½ in.
 • Top stern thickness: 4 ½ in.
 • Rim thickness: 2 ½ inches

                                                    Augustin Sutherland

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Reise nach St. Vincent im März 2017

Inhalt meiner Reise war der Besuch der Kalinago und ihr Kampf für das
in traditioneller Bauweise errichtete traditionelle Dorf, nahe dem im Feb-
ruar eröffneten Argyle International Airport. Der Stamm hatte RdN im
vergangenen Jahr darüber informiert (s.a. Infoheft Nr. 80). Auf dem ge-
samten Archipel der Kleinen Antillen ist es das Einzige, das in derart ur-
sprünglicher Weise wieder gebaut wurde. Damit unterscheidet es sich
auch von dem Dorf, das bereits 2001 im Carib Territory auf Dominica bei
den Izulukati Wasserfällen entstand.

Dominica: Im Kalinago Barana Autè wurde auch Beton (r. Foto) verbaut.
                                                                  FOTOS: B. WEGENER

St. Vincent, Kalinago Village: Der Kalinago Stamm hat mitgewirkt, dass ausschließ-
lich traditionelle Baumaterialien verwendet wurden.                 FOTO: B. WEGENER

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Im Zuge des Bauvorhabens an der Ostküste bei Argyle für den neuen
Großflughafen erfolgten archäologische Sicherungsgrabungen durch Al-
tertumswissenschaftler der Universität Leiden. Zahlreiche Artefakte be-
stätigten den Standort als einen historisch sehr bedeutsamen indiani-
schen Siedlungsplatz aus der Zeit vor Kolumbus. Aus dem Kontakt zu
Sardo, dem Chief der Kalinago und einem Besuch der Wissenschaftler
bei ihm in Montrose, wo sie das Großkanu sowie das traditionell gebaute
Cayou sahen, entstand in der Folgezeit das Projekt „Kalinago Dorf“ mit
Beteiligung der Indigenen.
Chief Sardo im März: „Im vergangenen Jahr wurde unsere Gruppe auch
gebeten, bei der Errichtung des Kariben-Dorfes am Flughafen Argyle
lnternational zu helfen. Archäologen der Fakultät für Archäologie der
Universität Leiden aus den Niederlanden, waren kontaktiert worden. Das
ursprüngliche Projekt wurde jedoch aufgegeben und unser Beitrag damit
nicht mehr nötig. Die Forstbehörde vollendete schließlich das im Bau be-
findliche Dorf.“
Seitens der Kalinago besteht der Wille, unbedingt dieses Dorf zu mana-
gen. Es gibt ihrerseits auch einen neuen Vorschlag für den Zugangsweg
über den Yambou River, den mir Sardo am 14. März nahe dem Dorf vor-
stellte: „Über eine Aufweitung des Bettes könnte man mit kleinen Kanus
zum Dorf übersetzen. Momentan gibt es jedoch keine Entscheidungen.
Es wäre aber gut, wenn die Vorstellungen Realität werden könnten. Die
Archäologen sind an diesen Ort gekommen. Es ist der Ort, wo sie die
Artefakte unserer Kultur gefunden haben, die hier in der Erde ruhten.
Das ist unsere historische Wurzel. Es ist ein kultureller Gründungsort,
denn hier haben unsere Vorfahren gesiedelt*. Der spirituelle Geist dieses
Ortes muss bewahrt werden. Wir wollen den Geist des Ortes erhalten
und den Menschen das Überleben unseres Kalinago-Stammes zeigen,
von der traditionellen Bekleidung, der Nahrung, wie man die Toten be-
grub, für Kranke sorgte und wie man Bildung betrieb, Kenntnisse vermit-
telte. Hier gehören wir hin, an diesen Platz, wo wir jetzt sind. Wir haben
Unterstützung vom Chief der Kalinago aus Dominica und der UNI Lei-
den. Wir wollen auch an die Working Group on Indigenous Populations
bei der UN nach New York schreiben.“
*Infoheft Nr. 79: St. Vincent wurde etwa um 160 n.Chr. besiedelt, bekannt als „Sa-
ladoit“-Periode. Töpferwaren dieser Epoche wurden an verschiedenen Stellen gefun-
den, primär in der Küstenebene bei Argyle (Ins & Outs of St. Vincent & The Grenadines,
2016 - Hairouna Land oft the Blessed).

St. Vincent hofft auf einen ähnlichen Tourismusboom, wie z.B. auf St.
Lucia. Dazu soll auch der nun in Betrieb befindliche Argyle Airport bei-
tragen. Dem wird wirtschaftlich alles untergeordnet. So auch die Pet-

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roglyphs Arawak Rock Carvings von Argyle, die wir 2013 noch sahen.
Der Felsen mit den Bildern war dem Flughafenbau im Wege. Sein
Standort wurde beseitigt*. Erste Direktflüge aus den USA gibt es bereits.

  Argyle-Petroglyph, 2013: Sardo ritzt die alten Gravuren nach.   FOTO: B. WEGENER

*Die Felsbilder wurden herausgesägt und befinden sich nun im Nationalmuseum in
Kingstown in der Old Carnegy Library (National Trust).

Frau Prof. Corinna Hofman, die die archäologischen Ausgrabungen leite-
te und auch am Dorf-Projekt mitwirkte, teilte RdN folgendes mit: „I know
the ministry of tourism has plans to develop the area as a top tourist lo-
cation on the island.”
Die Kalinago sprechen davon, dass der Minister dort ein “Micky Mouse,
Disneyland a la Orlando, not the culture from Kalinago” will. Das kann
und darf nicht sein. Alle Gespräche, die es bis März mit dem Minister
gab, waren ohne Ergebnis für die Kalinago. Sie brauchen deshalb drin-
gend internationale Unterstützung.
Beigefügt ist ein Brief in Englisch mit der Bitte, ihn per Mail oder per Post
nach St. Vincent & The Grenadines an den zuständigen Minister für Kul-
tur und Tourismus Cecil Mc Kie zu schicken. Danke für die Beteiligung.
                                                                  Bernd Wegener

Mailadresse: tourism@gov.vc Postadresse: Gouverment St. Vincent and the Gre-
nadines, Minister für Culture and Tourism Minister Cecil Mc Kie, 2nd floor Nis Buil-
ding, Kingstown, St. Vincent and the Grenadines

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Übersetzung des Briefes: Sehr geehrter Minister Cecil Mc Kie,
St. Vincent zeichnet aus, dass die menschliche Geschichte als Erbe sei-
ner indianischen Vergangenheit bei den meisten karibischen Nachbarn
fast völlig verschwunden ist, und zudem an offizieller Anerkennung fehlt.
St. Vincent ist einzigartig aufgrund seines nationalen Helden, dem Carib
Joseph Chatoyer und der ständigen Erinnerung an die gewaltigen kom-
plexen sozialen Umwälzungen, die hier stattfanden zwischen dem 17.
und 19. Jahrhundert. Trotz Genozid und Zwangsdeportation durch die
britische Kolonisation gelang es der indigenen Carib-Bevölkerung auf St.
Vincent zu überleben.
Die KALINAGO sind St. Vincentians Erbe. Sie sind St. Vincent and the
Grenadines indigener Stamm, welcher die Nation war, bevor die Koloni-
sierung durch die Briten stattfand. Die wenigen Abkömmlinge dieses be-
sonderen Stammes leben unter der Mehrheitsbevölkerung, halten aber
die Kultur und Traditionen ihrer Vorfahren aufrecht.
Im vergangenen Jahr wurden die Kalinago auch gebeten, bei der Errich-
tung des Kariben-Dorfes am Flughafen Argyle lnternational den nieder-
ländischen Archäologen der Universität Leiden zu helfen. Das Dorf wur-
de durch die Forstbehörde fertiggestellt.
Die Archäologen fanden bei ihren Grabungen zahlreiche Artefakte aus
der vorkolumbianischen Epoche. Für die Kalinago ist es der Ort ihrer his-
torischen Wurzel. Es ist für sie ein kultureller Gründungsort, denn hier
haben ihre Vorfahren gesiedelt. Der spirituelle Geist dieses Ortes muss
deshalb bewahrt werden. Sie wollen den Geist des Ortes erhalten und
den Bewohnern von St. Vincent und den Grenadines sowie ausländi-
schen Besuchern das Überleben ihres Kalinago-Stammes und ihre tradi-
tionelle Kultur zeigen.
Sehr geehrter Herr Minister unterstützen Sie bitte die Kalinago. Überge-
ben Sie bitte ihnen das Management für das Kalinago-Dorf. Die Kalinago
gehören an diesen Ort, denn es ist der Ort ihrer Ahnen.
Das sie dazu in der Lage sind, davon zeugt eindrucksvoll das Projekt „Pi-
rogue-War-Canoe“, das erste traditionell gebaute Großkanu, das seit
Hunderten von Jahren in St. Vincent und den Grenadinen wieder gebaut
wurde. Bis März dieses Jahres kamen 5.800 Besucher – darunter viele
Kinder und Schüler. Das Projekt wurde durch die gemeinsame Unter-
stützung von Freunde der Naturvölker, verschiedene Regierungsabtei-
lungen von St. Vincent und den Grenadines sowie Stammesmitgliedern
realisiert.
Danke.
Mit freundlichem Gruß,
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Der Weg der Kalinago ins Heute: Die Kariben kamen aus der Orinoco-
„Saladoit“-Region im heutigen Venezuela nach St. Vincent in großen Ka-
nus, die bis zu 50 Männer fassten. Sie waren keineswegs Kannibalen,
wie immer noch zu lesen ist, sondern Händler. Sie brachten ihre mit
reichhaltiger Ornamentik versehenen gewebten, gesponnenen und ge-
flochtenen Erzeugnisse (Korbwaren) als Handelsware in die Inselwelt
der Kleinen Antillen. Sie ließen sich auch dort nieder, oft für längere Zeit,
denn der Weg in ihre Heimatdörfer war weit (s.a. Sylvester H. Clauzel:
Ingenius peoples of St. Lucia).
Die Geschichte der Kariben und ihr Widerstand in den „Kariben Kriegen“
gegen die europäische Kolonisation, gezeichnet von Siegen, aber auch
von Gefangenschaft, Völkermord und Deportation bleibt für sie unver-
gessen. Ebenso wie der Neuanfang im rauen Ödland von Sandy Bay im
Inselnorden nach der Begnadigung 1797, wo ihre Hauptorte New Sandy
Bay, Owia und Fancy heutigen Tags zu finden sind. Ihre Dörfer gehören
zu den ärmsten des Inselstaates. Wer in den Norden in die Dörfer der
Kariben reist, wird das sehr schnell mitbekommen. Es erfüllt sie jedoch
mit Stolz, dass eine der beiden Arrowroot Factorys des Inselstaates bei
ihnen zu finden ist. Doch für die meisten der Indigenen bleiben nur
Fischfang und Gartenbau, um überhaupt zu Überleben.

New Sandy Bay: Zerstörungen durch Regen im November         FOTO: B. WEGENER

                                     18
Arrowroot Factory Owia

                                                           FOTOS: BERND WEGENER

Neben den in der Factory beschäftigten Indigenen, arbeiten viele auch auf Arrowroot-
Pflanzungen. Ansonsten überwiegt Subsistenzwirtschaft (u.: Süßkartoffelfeld in Owia)

                                         19
New Sandy Bay                                              FOTO: B. WEGENER

Im letzten Census, der 2001 erhoben wurde, gab es 3.818 Menschen mit
Carib-Abstammung. So hat New Sandy Bay (2.699 Einwohner), wo über
50 % aller Menschen karibischer Abstammung leben, lediglich 11,6 Hek-
tar kommunalen Landbesitzes. Dabei ist Land integraler Bestandteil der
„Carib-Psyche“. Land ist „körperlich und geistig“ eine untrennbare Einheit
für die Gemeinschaft der Cariben (Paul Twinn, 2006). Die Carib-
Gemeinschaft braucht unbedingt mehr Zugang zu Land für landwirt-
schaftliche Zwecke.
2008 kam in dieser Angelegenheit neuer Schwung mit dem Besuch von
Carib Chief Charles Williams (Dominica). Williams schlug vor, dass die-
ses besonders durch die Übertragung ungenutzten Landes der britischen
Krone erfolgen sollte. Trotz anschließender breiter medialer Publicity
zum Vorschlag Williams tat sich nichts. Forderungen an die Regierung
auf Landrückgabe blieben ungehört. Passiert ist bis heute nichts. …
Rückblick ins frühe 19. Jahrhundert: Nach Enteignung des Caribs-
Territoriums wurde vielen hochrangigen Briten eine große Anzahl von
Ländern zugeteilt. Ein amerikanischer Royalist aus Georgia, Oberst
Thomas Browne, erhielt 6.000 Acres, die sich vom Fluss Byera im Süden
bis zum Cayo River im Norden erstreckten, darunter die Fläche von sie-
ben großen, vor kurzem gegründeten Gütern, nämlich Tourama, Orange
Hill, Waterloo, Lot 14, Rabacca, Langley Park und Mt. Bentinck Das
Land wurde ihm von seinem Freund und damaligen Gouverneur Charles
Brisbane zugesprochen.
http://www.georgetownsvgrevisited.co.uk/grand-sable.php

                                    20
Auf der historischen Karte ist der Landstrich zwischen den Flüssen
      Byera und Cayo noch als Caribs Land bezeichnet. Es war das Land,
      wohin 1797 die überlebenden Kalinago zurückgekehrt waren.

Reisenotizen, 14. März 2017: … Es ist Feiertag - Heldengedenktag! St.
Vincent feiert seinen Nationalhelden Joseph Chatoyer. Hier hoch oben,
300 m über Kingstown auf Dorsetshire Hill, dem Ort, wo der Häuptling
der Kariben 1795 im Schwertkampf mit dem britischen Mayor Alexander
Leith starb, ist es ungewohnt kalt. Graue Wolkenfronten schieben sich
vom bergigen Hinterland zur Küste. Es beginnt zu nieseln, der Wind
pfeift, unterbrochen vom Kanonendonner der Salutschüsse.

                                      21
Doch heute ist auch ein
                                             besonderer Tag. Garifu-
                                             na (früher als Black
                                             Caribs bezeichnet –
                                             Anm. d. Verf.) aus
                                             Guatemala sind gekom-
                                             men, um zu tanzen und
                                             trommeln für den be-
                                             rühmten Carib-Häuptling,
                                             aber auch für die Erinne-
                                             rung an die Zwangsde-
                                             portation ihrer Vorfahren.
Die Briten hatten sie von St. Vincent ins Exil nach Mittelamerika ge-
zwungen. …

Garifuna und Kalinago auf Dorsetshire Hill              FOTOS: B: WEGENER

…Man mag es kaum glauben. Vor einer Stunde noch in der Kälte von
Dorsetshire, nun in der drückenden Hitze von Argyle am Atlantik. Die Ka-
linago wollen mir den heiligen Ort zeigen, wo ihre Inselgeschichte be-
gann und ihr Volk hier geboren wurde. Und deshalb wurde auch be-
wusst, dieser Ort für das traditionell gebaute Kalinago Dorf gewählt. So
wie einst es ihre Vorfahren taten, nahe der Küste, denn sie lebten vom

                                         22
und mit dem Meer, das ihre Ahnen von Insel zu Insel trug, den gesamten
Bogen der Kleinen Antillen hinauf von Süd nach Nord.
Der Standort des Dorfes entspricht auch der Strategie aus der alten Zeit,
nahe an einem Süßwasserfluss, gelegen auf einer Anhöhe. Somit sicher
vor Überschwemmungen, aber auch gut für den Blick auf Land und
Meer, zumal über Letzterem auch die Feinde – darunter auch die, die
aus Europa kamen. …

                                                          Im Gegensatz
                                                          zur Hitze drau-
                                                          ßen ist es im
                                                          Innern der Häu-
                                                          ser angenehm
                                                          kühl. – Kein
                                                          Vergleich zu
                                                          den aufgeheiz-
                                                          ten Räumen
                                                          unter Wellblech.

                                                          FOTOS:
                                                          BERND WEGENER

                                   23
Im Bildvordergrund das Carbet, das große Versammlungshaus der Kariben
                                                               FOTO: B.WEGENER

Ihre Gesichter sind schwarz, rot und weiß bemalt. Geschmückt mit dem
rotbefiederten Kalinagostirnband, weißen Baumwollbändern an Armen
und Beinen, Hals und Brust umspannenden Perlenschnüren begannen
sie wie aus dem Nichts, ohne vorherige Ankündigung vor mir zu tanzen.
Ihre Füße stampfen, ihre Speere stoßen auf den harten, lehmigen Erd-
boden des Dorfplatzes, der nun auch Festplatz ist. Wind und Ozean tra-
gen ihre Laute an den Ort, wo diese Krieger der Kalinago ihrem großen
Kreistanz folgen. Keine Trommel, kein Gesang, nur das rhythmische Po-
chen der Hartholzspeere durchdringt die Geräuschkulisse der Natur. Als
sie wieder nahe bei mir sind, wird der Kreis der Tanzenden enger.
Wild gestikulierend richten sich Arme und Blicke auf den Ozean, dann
ein Schrei, wie ein Paukenschlag: „Balisù!“ Und wieder und immer wie-
der: „Balisù! Balisù!“,– Denn dort draußen im Meer kann man das Eiland
des Todes sehen. Es ist Balisù (geschrieben Baliceaux – Anm. d. Verf.),
wo die Briten an ihren karibischen Vorfahren Völkermord begingen.
Dann noch ein Aufbäumen, ein Stampfen, ein Schrei voller Kraft „Kalina-
go!“ und noch einmal und noch einmal: „Kalinago!“, gefolgt von schrillen
überschlagenden Lauten, um schließlich mit kämpferischen Posen und
Gesten die Waffen hoch zu reißen. Dann folgt Stille, nur noch der Wind
und das Meeresrauschen sind zu hören. …

                                      24
Lebensfreude und Kampfgeist: Kalinago Tribal Dance

Baliceaux liegt direkt gegenüber Argyle. Es ist die mittlere Insel.   FOTOS: B. WEGENER

Doch die Pause währt nur kurz. Kaum, dass der Tanz beendet, hallen
hölzern dröhnende Schläge über den Tanzplatz. Sardo und Cadmos
kämpfen gegeneinander mit ihren Speeren, ähnlich einem Stockkampf.
                                           25
Wuchtig prallt Hartholz auf Hartholz. Es ist Mabouya, denn aus ihm sind
diese Waffen gemacht. So überraschend und plötzlich, so unerwartet,
wie es begann, so abrupt endet es. Einen Sieger gibt es nicht. Vielmehr
ist es die Freude des gemeinsamen Kampfes, der verbindet und Genug-
tuung versprüht. …
Es war für mich ein beeindruckendes Erlebnis. Ob sie es für sich selbst
taten oder als Dank für unsere Unterstützung ihrer Kultur, habe ich nicht
hinterfragt. Im Nachhinein denke ich, es dürfte wohl beides zutreffen.

Auf der Suche nach den Arawak-Petroglyphen: Wir sind in Yambou
George und hoffen uralte Zeugnisse der indianischen Geschichte zu fin-
den. Geschaffen vor 1.500 Jahren von den Arawak, die hier vor den Ka-
linago lebten. Oberhalb von Yambou George vereinigen sich im Mar-
riaqua drei Bäche und gaben dem Gebiet, dass eigentlich ein eingestürz-
ter Vulkankrater ist, seinen Namen (abgeleitet aus den spanischen Wör-
tern `maridadje` und `agua. Es ist der Ort, wo das Wasser „heiratet“. –
Anm. d. Verf.).
Yambou ist ein altes Kalinago-Wort, und sagt, dass hier das Wasser
fließt, das des Yambou. Mit einem örtlichen Führer folgen wir dem Tal
aufwärts nach Norden. Linker Hand strömt der Yambou River wild rau-
schend in Richtung Ozean, dort wo das Kalinago Village entstand.
Rechts flankiert eine Bananenpflanzung unseren Pfad. Das Tal wird auf
der anderen Flussseite von bewaldeten Berghängen begrenzt.
                                                          FOTO: B: WEGENER

                                   26
Wir müssen den Fluss queren, auf die glatten Steine und die quirlige
Strömung achten. Hinter dem Hochufer dann ist es soweit. Mehrere gro-
ße Monolithen sind zu sehen. Einer davon trägt die alten Felsritzungen,
die unsere indianischen Freunde mit Leidenschaft nachgravieren, auch
um sie besser sichtbar werden zu lassen.
                                                        FOTOS: B: WEGENER

Wenige hundert Meter südlich finden wir einen weiteren Petroglyph. Er
zeigt runde Gesichter, eines davon mit einem großen Strahlenkranz.

                                  27
Die Felsbilder sind > 1.500 Jahre alt, südlicher Petroglyph (o.)

Detailbilder des nördlichen Petroglyphen                           FOTOS: B. WEGENER

Beide Monolithen mit ihren geritzten Felszeichnungen sind durchaus
ebenbürtig mit denen des Großsteins von Layou nahe der Karibikküste.

                                           28
Uraltes Indianerland: Yambou Valley                                FOTOS: B: WEGENER

Wie reichhaltig die Natur ist, zeigt Sardo mir beim Rückmarsch aus dem
Regenwald. Er sieht Pflanzen - darunter etliche Nutzbare -, und weiß um
ihre Bedeutung. Sei es Callaloo, das er im Wald fand, oder zwischen
Gräsern wachsende Tapioka sowie Gu-Gu-Nüsse und Mauby.

 Sardo prüft eine Pflanze, die man früher rauchte (kein wilder Tabak – Anm. d. Verf.)

                                         29
Schmackhaft: Nüsse der Gu-Gu-Palme

Callaloo-Pflanze im Regenwald. Die Pflanze wird als Suppe gekocht bzw. wie Ge-
müse zubereitet - dann geschmacklich unserem Porree ähnelnd.

                                                                FOTOS: B. WEGENER

                                       30
Frankie mit geernteten Callaloo

 li.: Callaloo als Gemüse, r.: Mauby-Rinde (+Zucker) liefert ein leicht bitteres Erfri-
 schungsgetränk                                                     FOTOS: B. WEGENER

… Die Rhizome (Wurzeln – Anm. d. Verf.) der Arrowroot schmecken
nicht nur als Mandongo - eine Speise, die zerkleinert, gewaschen, aus-
gepresst und mit etwas Zucker und Salz gewürzt - in Blätter eingewickelt
und im Erdofen gegart wird. So geschehen auch auf der feierlichen Ze-
remonie in der Lawman`s Bay zur Fertigstellung des Kanus im März ver-
gangenen Jahres. Nein, die Wurzeln der Arrowroot-Pflanze kann man
auch roh essen, denn sie schmecken sogar etwas süß. Man kann sie
aber auch zum Zähneputzen benutzen, so wie es einst die Vorfahren der
Kalinago in grauer Vorzeit taten. …

                                           31
Ernte der Arrowroot (Pfeilwurz)           Zähne reinigen   FOTOS: B. WEGENER

Inzwischen gibt es weitere Pläne. Die nächste Initiative der Kalinago ist
es, den Dokumentarfilm "The Pirogue Projekt " fertigzustellen, das die
Herstellung und Seetüchtigkeit des Kalinago Warrier Canoe zeigt. Die-
ses Video soll an Schulen und andere Bildungsinstitutionen verteilt wer-
den. Anliegen ist es, die Kinder des Inselstaates über das Erbe dieses
Landes zu bilden, das für sie auf vorherigen Generationen beruht.

                                                            Bernd Wegener

Malaysia: Aktion Unterschriften für indigenen Widerstand

Von: Rettet den Regenwald e.V. [mailto:action@regenwald.org]
Gesendet: Mittwoch, 8. Februar 2017 12:14
An: b.wegener@naturvoelker.de
Betreff: Sie kämpfen für uns alle! Bitte unterschreibt: Holzfäller raus aus
dem Wald!
Holzfäller zerstören wertvolle Wälder in der malaysischen Provinz Kelan-
tan. Die indigenen Temiar wehren sich gegen die Plünderung der Natur.

                                     32
19.2.17, Kurzes Update zur Temiarpetition. RdR hat Jef 70.000 Unter-
schriften übergeben, damit die an die entsprechenden Stellen präsen-
tiert. Das läuft dann wahrscheinlich mit Hilfe der malaysischen Anwalts-
kammer und der Presse. Presse wird Shafie organisieren, der hat da die
besten Beziehungen. Die Petition läuft weiter und hat bisher 93.000 Un-
terschriften.
                                                            Arne Salisch

Malaysia: Erntedank bei den Jah Hut in Kampung Sungai Mai

26. März 2017: Der
Schamane segnet
die Speisen und alle
zusammen danken
der Mutter Erde für
die Nahrung.

Arne Salisch
                 FOTOS: JEF

                                   33
Die Ausbeutung der Wälder Westpapuas - Kahlschlag am anderen
Ende der Welt
Das seit 1963 widerrechtlich von Indonesien besetzte Westpapua befin-
det sich seit langem im Visier zahlreicher Holz-, Rohstoff-, und Palmöl-
konzerne. Westpapua besteht aus den indonesischen Provinzen Papua
und Papua Barat, mit einer Gesamtfläche von 42.198.100 Hektar. Schon
unter Präsident Suharto (bis 2002) wurden alle Waldflächen kartiert und
in verschiedene forstwirtschaftliche Kategorien aufgeteilt. Als Waldnatur-
schutzgebiet sind lediglich 7.539.300 Hektar, als Schutzwald 11.082480
Hektar vorgesehen.
Seit 2001 wurden allerdings insgesamt 441 Lizenzen mit einer Gesamt-
fläche von 29.219.655 Hektar an internationale Investoren vergeben. Die
Lizenzen werden ohne die Einbeziehung und Zustimmung der dort an-
sässigen indigenen Gemeinschaften vergeben. Diese erhalten Kompen-
sationszahlungen, die in keinem Verhältnis zum Verlust des Landes ste-
hen und die Folgen des Landverlustes und des Raubbaus an der Natur
nicht ausgleichen. Überschwemmungen, Mangelernährung, Verlust an
traditionellen Nahrungs- und Medizinalpflanzen bis zum totalen Verlust
kultureller Identität sind die Folge.

Demonstration für die Freiheit              FOTO: FREE WEST PAPUA CAMPAIGN

Der Widerstand der Bevölkerung gegen die Unterdrückung dauert an.
Zur Erinnerung: Seit der Besetzung durch Indonesien wurden mehr als
500.000 indigene Pauas von den Sicherheitskräften ermordet. Und das
                                    34
Leid findet kein Ende. Immer wieder werden Papuas auf der Straße er-
schossen oder in Polizeigewahrsam zu Tode gefoltert. Am 26.10.2016
beispielsweise eröffnete die Polizei das Feuer auf eine Gruppe Demonst-
ranten. Ein Mensch wurde getötet, sechs weitere schwer verletzt. Am 11.
und 12. Januar 2017 wurde der Aktivist Edison Hesegem im öffentlichen
Krankenhaus von Jayawiya zu Tode gefoltert.
Gemeinsam mit der Organisation Watch Indonesia! in Berlin und der
Weltorganisation OMCT* gegen Folter hat das Westpapua Netzwerk
(WPN) einen Menschenrechtsbericht zur Lage in Indonesien beim UN-
Menschenrechtsrat eingereicht. In einem bestimmten Verfahren, dem
Universal Periodic Review, werden die UN Mitgliedstaaten auf die Um-
setzung aller Menschenrechte überprüft. Seit 2008 und 2012 findet nun
für Indonesien 2017 ein drittes Verfahren statt. Ob das Konsequenzen
hat, mag bezweifelt werden, angesichts der wirtschaftlichen Macht Indo-
nesiens und des Interesses internationaler Konzerne an der Ausbeutung
des Landes.
RdN unterstützt das Westpapua Netzwerk und war in der Vergangenheit
auch aktiv in Westpapua tätig. Momentan ist es aufgrund der Lage dort
nicht möglich, sich direkt zu engagieren. Gemeinnützige Organisationen
und Journalisten haben keinen Zutritt und keine Arbeitsmöglichkeit dort.
Sogar der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, der SPD
Bundestagsabgeordnete Dr. Strässer, musste im Oktober 2015 unver-
richteter Dinge aus Westpapua abziehen. Er wurde während seines Be-
suches so abgeschirmt, dass er keinen Kontakt zur Opposition bekam
und sich selbst kein Bild von der Situation machen konnte.

                                                                      Arne Salisch
*Die Weltorganisation gegen Folter (OMCT; von französisch Organisation Mon-
diale contre la Torture; englisch World Organisation Against Torture), 1985 in
Genf gegründet, ist eine internationale Allianz von Nichtregierungsorganisationen die
sich dem Kampf gegen Folter, Hinrichtungen im Schnellverfahren unter Gewaltan-
wendung und andere Formen von Menschenrechtsverletzungen widmen. Die inter-
nationale Organisation gehört mit Amnesty International und Human Rights Watch zu
den einflussreichsten Nichtregierungsorganisationen und spielt eine aktive Rolle bei
den UN Human Rights Treaty Bodies und beim in Genf tätigen UN-
Menschenrechtsrat. WIKIPEDIA

Landrechte für die Hadzabe (Tansania)

Unser Partner in der Landnutzungssicherung für die Hadzabe ist das
UJAMAA COMMUNITY RESOURCE TEAM (UCRT). Nachfolgend die
Ergebnisse von 2016. Man muss wissen, dass die Hadzabe ca. 90 %

                                         35
ihres traditionellen Landes in den letzten Jahrzehnten durch fremde Zu-
wanderer, insbesondere Viehnomaden und Ackerbauern, aber auch
durch Jagdkonzessionsgebiete verloren haben. In diesen 90 % haben
sie entweder keinen Zugriff mehr oder nur noch eingeschränkten Zugang
auf ihr Stammesland.
                 KARTE: DAUDI PETERSON (HADZABE – BY THE LIGHT OF A MILLION FIRES)

           Grenze des Stammeslandes vor 50 Jahren

            Zugang zu degradierten Landressourcen, aber keine Landkontrolle

            Gegenwärtige tägliche Landkontrolle (Stand 2011 – Anm. v. RdN)

            Beschränkter Zugang zu intakten Flächen und natürlichen Ressour-
            cen, aber ohne Landkontrolle oder Besitz

Tätigkeitsbericht für die Mittel, die wir 2016 für Landrechte der
Hadzabe von FdN erhielten
Der 2015 in Angriff genommene schon lange Zeit bestehende Grenzkon-
flikt zwischen Mongo Wa Mono und Yaeda wurde endlich gelöst und die
Demarkierung (der Grenzen) zwischen Garbabi und Mongo Wa Mono
wurde umgesetzt. Dies hat Konflikte reduziert, Frieden und Harmonie in
der Nachbarschaft erhöht und damit eine Verbesserung der Wirksamkeit

                                       36
von Beweidung und Hadza-Nutzung (Jagen und Sammeln) gemäß den
CCROs* Umsetzungen.                 *Landnutzungspläne

Treffen der Verantwortlichen, um zwei Stationen von Yaeda und
Eshkesh zu beteiligen zur Umsetzung der CCROs
Treffen im Bezirksrat Mbulu: Die Tagungsagenda bestand darin, zwei
für das Yaeda-Tal geplante Aktivitäten zu erörtern; Stakeholder Treffen
für Yaeda Chini und Eshkesh Bezirke für die Durchsetzung der CCROs
Gesetze und Abschluss der Mongo Wa Mono und Garbabi Grenze Iden-
tifizierung sowie Mongo Wa Mono und Yaeda Chini Dorf Grenze Ab-
grenzung. Die Bezirksrat-Offiziere und UCRT diskutierten die Agenda
und stimmten schließlich zu, die Pläne für das Treffen sehr bald zu be-
ginnen; Sie stimmten auch zu, dass der Bezirksbeauftragte eingeladen
wurde, die Eröffnung und die Schließung des Treffens zu begehen.
Sie stimmten auch zu, dass die Grenzen für die genannten Dörfer ent-
scheidend sind, um den Dörfern zu ermöglichen, ihre Dorfgrenzen klar
zu verstehen und im Einklang mit ihren Nachbarn zu leben.
Es wurde beobachtet, dass die Teilnahme der DC von entscheidender
Bedeutung ist, da er für sich selbst die Frage der illegalen Einwanderung
und der Eingriffe von CCROs-Gebieten erleben wird, die das gesamte
Yaeda-Tal negativ beeinflussen. Die Regierung unter seiner Autorität
wird dann notwendige Maßnahmen mit ihren Kräften ergreifen, um die
illegalen Siedler wieder zu verdrängen.
Während der Diskussion schlug das Team vor, den District Commissio-
ner (DC) einzuladen, an dem Treffen in Eshkesh als Ehrengast teilzu-
nehmen. Das Distrikt Land Natural Resource und Environmental Officer
(DLNRO) und UCRT traf den DC in seinem Büro, für den gleichen
Zweck, wo er grundsätzlich zusagte, an den Sitzungen teilzunehmen.
Yaeda Valley Stake Inhaber Treffen: Das Treffen fand im Dorf Eshkesh
statt, um allen Vertretern der Dörfer zu ermöglichen, sich voll und ganz
an diesem wichtigen Treffen zu beteiligen. Das Dorf Eshkesh liegt auf
halbem Weg aller Dörfer des Yaeda-Tals, die beteiligten Dörfer, Mongo
wa Mono, Yaedachini, Eshkesh, Domanga und Endagulda. Mitglieder
des Bezirksentwicklungsausschusses und des Bezirksrats sind ebenfalls
dabei.
Die Sitzung, die am 1. Februar 2016 stattfand, wurde von allen Teilneh-
mern aus verschiedenen Ebenen gut besucht. Der DC eröffnete das
Treffen, indem er alle dazu ermutigte, frei und ohne Angst zu sprechen,
damit die Regierung und andere Stakeholder ihre Situation und ihre Sor-
gen klar verstehen und damit Lösungen gefunden werden.

                                   37
Mbulu District Commissioner Dr. Michael Kadege (stehend) in Eshkesh
Die Treffen, wurden von UCRT genutzt, um allen Stakeholder-
Aktivitäten, die 2015 durchgeführt wurden, und auch bisherige Aktivitäten
von 2016 zu präsentieren. Die wichtigste Errungenschaften ist, sicherzu-
stellen, dass die Yaeda Tal Gemeinden Rechte an ihrem Land haben
und damit sicheres Land für Ihre Lebensbedingungen. Es ging zudem
um relevante Politik und Gesetze der lokalen Regierung, zum Schutz
von Land und Tierwelt. UCRT erleichterte es damit den Dörfern, Dorf-
Land-Zertifikate zu erhalten. Anfangs werden einfache Skizzen-Karten
erstellt, die zeigen, wie die Menschen ihre Ländereien nutzten. Nachdem
die anfängliche Landnutzungsplanung durchgeführt ist, wurde ein forma-
lerer Plan erstellt und Dorfgesetze als Ergänzung geschrieben und fest-
gelegt. Mit diesen gesamten Grundlagen unterstützte dann UCRT die
Gemeinden, um Zertifikate der gemeinschaftlichen üblichen Befreiungs-
recht (CCROs) zu beantragen. Damit können die Dörfer dann zusätzlich
profitieren von Kohlenstoff-Zahlungen für die Erhaltung ihrer Wälder in
Zusammenarbeit mit Carbon Tansania.
Durch die CCROs besteht eine wirksame Waffe gegen illegalen Einwan-
derer, denn dies ist die große Herausforderung im gesamten Yaeda-Tal.
Bedenken, die von den Dorfbewohnern erhoben wurden:
  - Die Mitglieder der Gemeinschaft sagten, dass die Frage der Ein-
    griffe zum Teil durch unverantwortliche Führer verursacht werden,
    die bestochen werden und ihnen erlauben, in CCROs benannten
    Gebieten ohne rechtliche Genehmigung zu siedeln, die Sache
    wurde besonders im Domanga-Dorf heiß, wo mehr als 20 Eindring-
    linge gemeldet wurden, um in Weide-CCROs Bereiche zu siedeln.
    Die Mitglieder aus dem Domanga-Dorf nannten einige Beispiele,
    wobei einer der Teilnehmer sagte, dass er von einem Einwanderer
    aufgesucht wurde, der versuchte, ihn zu bestechen und er ihm er-
    laube, weiterhin im CCRO-Gebiet zu leben.

                                       38
- Yaeda Dorf Vertreter sagte, dass die Situation in Yaeda Chini ein
     bisschen besser sei im Vergleich zu der von Domanga, außer in
     einem Zwischenfall, wo die Dorfführung versuchte, die illegalen
     Menschen, die im Weide-CCRO-Bereich waren, zu vertreiben. Die
     Eindringlinge verweigerten dies und nahmen ihre traditionellen
     Waffen zur Konfrontation. Diese Leute weigern sich immer noch,
     wegzugehen, aber das Dorf unternimmt nun andere anwendbare
     Maßnahmen, um sie bald heraus zu beordern. Wenn dies nicht
     klappen sollte, und sie sich immer noch weigern, wird es dem DC
     für weitere Aktionen gemeldet.
Nachdem die Dorfbewohner ihre Bedenken über Landangriffe und illega-
le Siedlungen im CCRO-Gebiet vortrugen, sagte der DC, dass die Regie-
rung keinen Akt der illegalen Abwicklung in den für die verschiedenen
Nutzungen vorgesehenen Gebieten - insbesondere die Landwirtschaft -
tolerieren wird. Er befahl allen mit illegaler Siedlung Beteiligten freiwillig
innerhalb von zwei Wochen zu handeln. Falls dies scheitern sollte, wird
die Regierung ernsthafte Maßnahmen nach den Gesetzen ergreifen. Er
drängte die örtlichen Führer zu berichten und ihm die Namen derer vor-
zulegen, die sich weigern, aus dem Gebiet zu gehen.

Finale der Grenzfestlegungen der Dörfer Mongo Wa Mono gegen
Garbabi und Yaeda Chini versus Mongo Wa Mono.
Mongo wa Mono gegen Garbabi Grenzkonflikt: Das Treffen war die
Identifizierung der Grenze zwischen den beiden Dörfern, die seit langem
in Konflikt geraten ist. Der Konflikt wurde zum Teil durch zwei registrierte
Karten verursacht, die sich gegenseitig überlappen und widersprechen.
Der Umfrageplan und die Registrierung der beiden Karten wurden vom
Ministerium für Landumfrage und Kartenabteilung durchgeführt, daher
sind beide Karten gültig und legal.
Dies ist ein Eckpfeiler des Konflikts, der es schwierig macht zu entschei-
den, welche Karte legal ist und auf welcher Grundlage.
UCRT und Bezirksbeamter, die die Vermittler waren, um den Konflikt zu
beenden, schlugen vor, dass die beiden Dörfer einverstanden sind, das
Konfliktgebiet zwischen zwei Dörfern zu teilen. Die Vermittler beschrei-
ben, dass die Vorteile, die die Gemeinschaft bekommen wird, folgende
sind:
   - Konflikte werden reduziert und Frieden und Harmonie in der Nach-
      barschaft erhöht
   - Wiederherstellung der natürlichen Vegetation und damit des Um-
      weltschutzes.
Die gemeinsame Sitzung war eine Fortsetzung der bisherigen Sitzungen
in den Dorfräten, die in den jeweiligen Dörfern stattfanden. Das Treffen

                                      39
begann mit den Mitgliedern, die sich bereit erklärten, die Führer des Tref-
fens zu wählen, in dem sie dem Yaeda Chini-Ratsvorsitzenden zuge-
stimmt hatten, um das Treffen zu führen und WEO für Garbabi, die den
Sitzungssekretär stellten.

           UCRT Officer (stehend) beim gemeinsamen Dorfrat Treffen
           zwischen Garbabi und Mongo Wa Mono im Konfliktgebiet.

Es war ein Austausch mit heißen Wortgefechten beider Seiten, wobei
jeder behauptete, dass die andere Seite beim Erstellen der Karte Fehler
machte. Es wurden mehrere Fragen von den Dörfern Vertreter insbe-
sondere von Angehörigen des Mongo Wa Mono Dorfes aufgeworfen,
zum Beispiel: Wer führte die Umfrage und wer erstellte die Karte?
In einem Punkt behauptete Mongo wa Mono, dass die Bezirksbeamten
der Garbabi-Seite geholfen haben, die Karte zu bekommen, die Garbabi-
Dörfer ermöglicht, auf Kosten von Mongo wa Mono zu profitieren. Es
schien dass keine Anzeichen für einen konstruktiven Konsens bestehen
und es bestand die Gefahr, in einem Deadlock zu enden.
Bei der Beantwortung der Behauptungen und Fragen reagierte das Dis-
triktpersonal, dass nicht sie es seien, die die Umfrage und die Registrie-
rung der Garbabi-Karte gemacht haben, deshalb sind sie nicht für ir-
gendwelche falschen Taten verantwortlich. Sie erinnerten die Dorfbe-
wohner, dass jede registrierte Karte legal ist. Aber wenn eine Situation
wie diese entsteht, dann gilt die neueste Version der registrierten Karte.
UCRT-Vermittler sagten den Vertretern der beiden Dörfer, dass die ein-
zige Lösung ist, dass beide Dorfregierungen zusammen sitzen und be-
schließen, dieses Problem ein für alle Mal zu lösen.

                                     40
Mongo Wa Mono Dorfkarte stammt aus den 1990er Jahren im Vergleich
zu der von Garbabi, die im Jahr 2005 registriert wurde. Anscheinend wird
dies nachteilig Mongo Wa Mono beeinflussen, wenn weiter so verfahren
wird. Nach dieser Klärung beruhigten sich die Mitglieder beider Dörfer
und gaben den Moderatoren eine Chance zu den Ratschlägen, die sie
angeboten hatten. Nach langem Gespräch stimmten beide Dörfer
schließlich zu, das Konfliktgebiet zwischen zwei Dörfern zu teilen und
dass das Gebiet abgegrenzt werden sollte. Die Abgrenzung einiger Flä-
chen wurde erledigt, aber es ist noch nicht abgeschlossen.

Yaeda Chini vs Mongo Wa Mono: Die Sitzung fand mit Vertretern bei-
der Dörfer, die zur Identifizierung und Abgrenzung ihrer Grenze bestimmt
waren, statt. Die gebildete Versammlung beschloss, dass nach einer Sit-
zung im vergangenen Jahr, die Mitglieder der Dorfräte beteiligt werden
um die Grenzpunkte ihrer Dörfer festzulegen, zumal es jetzt höchste Zeit
sei, es umzusetzen. Dafür sind Baken auf der Grenze zu errichten, so
wie entschieden wurde.
Am folgenden Tag ging das Team aus Dörfern, Bezirksrat und UCRT zur
Grenze im Gebiet namens Jabonoga und begann die Abgrenzung und
Aushebung der Löcher für die Grenzmarkierungen. Die Arbeit wurde
endlich erfolgreich abgeschlossen.

   Mitglieder von beiden Dörfer stellen Baken auf vereinbarter Dorfgrenze fest.

  Lilian Cuthbert Mono
(UCRT Program Manager)

                                        41
Konflikt in Brasilien: Farmer hacken Ureinwohnern die Hände ab
02.05.2017, 16:15 Uhr | dpa, gin
Zuletzt wehrten sie sich mit Pfeil und Bogen gegen Tränengas, als
sie vor dem Kongress in Brasilia protestierten. Ureinwohner
in Brasilien fühlen sich durch Holzfäller und Farmer bedroht - nun
eskalierte die Situation dramatisch.
Im Nordosten des Landes sind 13 Mitglieder der Gamela-Gemeinschaft
zum Teil schwer verletzt worden, wie der Missionsrat der Bischofskonfe-
renz (CIMI) mitteilte. Zwei Männern seien die Hände abgetrennt worden,
fünf seien von Schüssen getroffen worden. Die Indigenas hatten eine
Gegend wieder besetzt, die zu ihren Ländereien gehöre, nachdem
die Regierung ihre Forderungen ignoriert habe.
In der Region kämpfen auch die Ka'apor-Indigenas mit Banden, die ille-
gal in ihr riesiges Gebiet eindringen, um tropische Hölzer für den Export
nach Europa zu schlagen. Rund 2000 Ka'apor gibt es noch, ihr Land ist
sechs Mal so groß wie Berlin - diese Dimensionen zeigen, wie schwer
ein Schutz ohne staatliche Hilfe ist.
Indigene Gemeinden beklagen, dass unter der rechtskonservativen Re-
gierung von Präsident Michel Temer der Schutz aufgeweicht werde - das
Holz in den Gegenden ist lukrativ. Zudem kommt es zu Ermordungen
und Vertreibungen, um neue Flächen für Soja zu erschließen, das welt-
weit zu Tierfutter verarbeitet wird, um den wachsenden Fleischkonsum
zu bedienen.
Ureinwohner werden immer wieder Mordopfer: Vergangene Woche
war es beim Protest Tausender Indigenas vor dem Kongress in Brasilia
zu Ausschreitungen gekommen. Die Polizei setzte Pfefferspray und Trä-
nengas ein, die Demonstranten wehrten sich mit Pfeil und Bogen. "Wir
leiden jeden Tag, und wenn wir hierhin kommen, um mit dem Staat zu
verhandeln, passiert das", kommentierte eine Wortführerin der Demonst-
ranten, Angela Katxuyana, die Eskalation.

Zuvor waren am 22. April im südlichen Bundesstaat Mato Grosso neun
Menschen in einer abgelegenen Gegend durch Schüsse und Messersti-
che ermordet worden. Hier gibt es den Verdacht, dass Großgrundbesit-
zer Killer angeheuert haben könnten. Gerade an der südlichen Grenze
des Amazonasgebiets sei die Lage so schlimm wie seit 20, 30 Jahren
nicht mehr, sagte der Experte der Umweltstiftung WWF, Roberto Maldo-
nado.
http://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_81053390/konflikt-in-
brasilien-farmer-hacken-indianern-die-haende-ab.html?ml

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BRASILIEN - Mit Pfeil und Bogen gegen die Auslöschung
VON PHILIPP LICHTERBECK am 3. Mai 2017
Ureinwohner aus ganz Brasilien haben in der Hauptstadt Brasilia das
Parlament gestürmt. Die Regierung von Präsident Michel Temer will den
Schutz der Reservate aufheben, um sie für die Landwirtschaft nutzbar zu
machen. Unausgewogener könnte der Konflikt kaum sein.

Mehrere Tausend halbnackte Ureinwohner waren aus ganz Brasilien in
die Hauptstadt gekommen, sie trugen Federn und Kriegsbemalung und
attackierten mit Pfeilen, Speeren und lautem Geheul den brasilianischen
Kongress, einen massiven Betonbau. Militärpolizisten in schwarzgrauer
Kampfmontur traten ihnen entgegen, feuerten Tränengasgranaten,
Gummigeschosse und sogenannte Bomben mit erzieherischem Effekt,
die mit ohrenbetäubendem Lärm explodieren. Dennoch gelang es den
Ureinwohnern, Parlament und Senat zu stürmen, in denen Angestellte
und Funktionsträger in dunklen Anzügen hektisch durcheinanderliefen.
Am Ende wurden vier Indigene festgenommen und eine Indigene ver-
letzt.
Selbstverteidigung der Ureinwohner: Es war nicht das erste Mal, dass
Brasilia Schauplatz einer solch epischen Auseinandersetzung wurde. Auf
Fotos sieht es dann immer so aus, als ob die Ureinwohner der brasiliani-
schen Regierung den Krieg erklärt hätten. In Wirklichkeit ist es anders-
herum. Es handelt sich um Selbstverteidigung. Die brasilianische Regie-
rung führt seit Jahren einen mehr oder minder versteckten Feldzug ge-
gen die Ureinwohner des Landes und ihren Lebensraum.
Das war schon unter der linken Technokratin Dilma Rousseff so, die sich
in ihrer Amtszeit nur ein einziges Mal mit Indio-Vertretern getroffen hatte.
Sie und ihr Vorgänger Lula da Silva waren es, die den umstrittenen Bau
des Staudamms von Belo Monte durchsetzten, der nun große Urwaldge-
biete überflutet und den Xingu-Fluss enorm beeinträchtigt, Lebensraum
verschiedener indigener Völker. Mit der neuen, konservativen Regierung
von Präsident Michel Temer hat sich der Angriff auf die Indios nun noch
einmal radikalisiert und brutalisiert.
Gewalt gegen Indios nimmt zu: Für Temer hat das Wirtschaftswachs-
tum offenbar oberste Priorität, koste es, was es wolle. Zu diesem Zweck
soll der Schutz für Indio-Reservate aufgeweicht werden. Deren Flächen
werden von Großbauern, Minenkonzernen und Holzunternehmen be-
gehrt. Zwar sind die Reservate auf dem Papier streng geschützt. Aber in
der Realität werden ihre Grenzen schon seit Jahren systematisch ver-
letzt, weil in den abgelegenen Gebieten des Riesenlandes Brasilien ei-
gene Gesetze herrschen. Holzfäller, Goldsucher und Jäger dringen un-

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gestraft in die Reservate ein; und Großbauern schicken ihre Pistole-
ros, die von Lokalpolitikern und der Polizei unterstützt und gedeckt wer-
den, gegen die Indios los.
Die Realität ist also: Gesetzlosigkeit, Mord und Totschlag. Im Jahr 2015
wurden in Brasilien nach Zählung des katholischen Indigenen Missions-
rats (Cimi) knapp 140 Ureinwohner umgebracht. Es ist ein Anstieg um
130 Prozent im Vergleich zu 2013. Vieles weist also auf eine Verschär-
fung der Landkonflikte hin, was mit der schweren Wirtschaftskrise Brasi-
liens zu tun haben mag. Ein Beispiel ist der Angriff auf Indios vom
Stamm der Gamela im nordöstlichen Bundesstaat Maranhao. Die Urein-
wohner besetzten eine Rinderfarm, deren Land sie für sich beanspru-
chen. Dann kamen betrunkene Männer und eröffneten das Feuer, ver-
letzten fünf Indios schwer, darunter auch ihren Anführer. Acht weitere
Indios wurden mit Macheten zugerichtet.
Brasilianische Politiker vom Rassismus geprägt: Wie die brasiliani-
sche Politik mit solchen Ereignissen umgeht, zeigte die Reaktion des
Abgeordneten Aluisio Guimaraes Mendes, der Maranhao im Parlament
vertritt. Er beschimpfte die Gamela als „Aufrührer“. Andere Politiker in
Brasilia – häufig sind sie selbst Großgrundbesitzer – brüllen in Debatten
schon mal: „Indigene auf meinem Land? Nur über meine Leiche!“ Der
Abgeordnete Jair Bolsonaro, bekannt für rassistische, homophobe und
sexistische Sprüche, bezeichnete die Ureinwohner sogar als „stinkende
Arme in Freiluftzoos“, die das Land Millionen kosteten. Bolsonaro will
2018 zur Präsidentschaftswahl antreten, in Umfragen liegt er an zweiter
Stelle. Und die Justiz? Der Richter Gilmar Mendes vom Obersten Ge-
richtshof Brasiliens ironisierte: „Sollen wir den Indios auch noch die Co-
pacabana zurückgeben?“
In solch einem Klima fordern die Indigenen nun nicht mehr oder weniger
als den Schutz ihrer garantierten Territorien sowie die Stärkung der Nati-
onalen Indio Stiftung FUNAI. Die FUNAI ist zuständig für die Verwaltung
der Reservate. Und obwohl sie in der Geschichte schon zum Instrument
korrupter Chefs geworden ist (etwa von Romero Juca, aktuell Parteivor-
sitzender von Präsident Temers PMDB), ist sie die einzige Institution ge-
blieben, die die Interessen der Indios in Brasilia vertritt.
Agrarindustrie drängt auf Schutzgebiete: Genau diese Institution will
Temer nun anscheinend schwächen. Von innen heraus. Zunächst wollte
er einen Armeegeneral zum neuen FUNAI-Chef machen, der die Militär-
diktatur verteidigt hatte. Dann wurden zwei evangelikale Pastoren vorge-
schlagen. Nun liegt die Ernennung des neuen FUNAI-Vorsitzenden bei
Justizminister Osmar Serraglio. Doch der ist ein Mann der Agrarindust-
rie, die aggressiv auf eine Öffnung der Schutzgebiete drängt. Serraglio
hat sich noch kein einziges Mal mit Vertretern der Indios getroffen, aber

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Lobbyisten der Agrarwirtschaft gehen bei ihm ein und aus. So verwun-
derte sein Beitrag zur Diskussion um die Reservate wenig: „Land allein
füllt keine Mägen.“ Es ist die alte Behauptung, dass die faulen Indios auf
ihren Flächen nichts produzierten. Mit rund 900.000 Menschen stellen
sie nur 0,4 Prozent der brasilianischen Bevölkerung. Ihre Reservate
nehmen jedoch 12,5 Prozent der Landesfläche ein, den Großteil davon
in der Amazonasregion. Dass dies vergeudete Territorien seien, ist ein
häufig wiederholtes Argument.
Die Idee, dass der Amazonaswald, den die Indios wie sonst niemand
bewahren, einen unschätzbaren Reichtum an sich darstellt, will nicht in
die Köpfe der allermeisten brasilianischen Politiker. Sie denken in dem
alten Paradigma, dass Umweltschutz nur das Wirtschaftswachstum be-
hindere. Natürlich stecken auch handfeste Interessen dahinter. So wur-
de Osmar Serraglios' Wahlkampf von der Agrarindustrie mitfinanziert.
Sie will ihre gigantischen Soja-Monokulturen ausweiten und neue Flä-
chen für die Rinderzucht schaffen. In Brasilien wurden bereits 275 Millio-
nen Hektar für die Landwirtschaft entwaldet. Es ist eine Fläche von der
Größe Argentiniens.
Unkontaktierten Völkern droht Auslöschung: Die FUNAI ist tot, kom-
mentieren nun Indio-Führer die Situation der Behörde. Rund 400 Stellen
innerhalb der FUNAI hat die Regierung Temer abgeschafft. Darunter
auch die Posten für den Schutz sogenannter unkontaktierter Völker. Das
sind isolierte Stammesverbände im Amazonaswald, die bisher so gut wie
keinen Kontakt mit der Außenwelt hatten. Diesen Gruppen droht die Aus-
löschung, weil Holzfäller, Minenkonzerne, Erdölfirmen, Jäger und Gold-
sucher in ihre Territorien eindringen, Krankheiten einschleppen und Jagd
auf sie machen.
Die Repräsentanten der rund 100 Stämme, die vergangene Woche in
Brasilia zum Protest zusammenkamen, überreichten der Regierung denn
auch ein Dokument, das sich dramatisch liest: „Wir klagen den schwers-
ten Angriff auf die Rechte der indigenen Völker seit der Verfassung von
1988 an“, heißt es darin. „Er wird orchestriert von den drei Gewalten der
Republik in Verbindung mit nationalen und internationalen Wirtschafts-
oligarchien, die unsere angestammten Territorien besetzen und ausbeu-
ten wollen und dabei die Natur zerstören, die essenziell ist für das Leben
und Wohlergehen der Menschheit und in der unser kulturelles Erbe liegt,
das wir seit tausenden Jahren bewahren.“
Präsident Temer ohne demokratisches Mandat: Eine Einladung zu
Kaffeetrinken und Fototermin von Justizminister Serraglio lehnten die In-
dios ab. „Es würde all das legitimieren, was diese Regierung gegen uns
tut“, sagte Kreta Kaingang von der Ethnie der Kaingang aus dem süd-

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brasilianischen Bundesstaat Parana. „Die Kriminalisierung unserer Füh-
rer und den Genozid an unseren Völkern.“
Für seine feindliche Politik gegenüber den Indigenen und der Umwelt
besitzt Brasiliens Präsident Temer kein demokratisches Mandat. Er ist
über die dubiose Absetzung der gewählten Präsidentin Dilma Rousseff
an die Macht gelangt und steht ebenso wie acht seiner Minister unter
Korruptionsverdacht.
Zu diesen zählt auch Brasiliens Landwirtschaftsminister Blairo Maggi. Er
ist der größte Sojabauer der Welt, hat ein Vermögen von fast einer Milli-
arde Dollar und sitzt an einer weiteren Schlüsselstelle, wenn es um die
Zukunft der Ureinwohner geht. Als Träger der Goldenen Kettensäge
2005, einem Anti-Preis, den Greenpeace an die größten Waldvernichter
vergibt, hält er die Debatte für „ideologisiert“. Er machte einen Vorschlag,
der zunächst vernünftig klingt. Denn wenn immer der Staat in Brasilien
ein neues Indio-Reservat ausweist, werden die vermeintlichen Besitzer
nicht dafür entschädigt, weil der Staat davon ausgeht, dass das Land
ihm gehört. Maggi möchte nun Entschädigungszahlungen einführen, um
Druck aus der Debatte zu nehmen. In der Praxis aber hieße es, die ille-
gale Landnahme durch Großgrundbesitzer und Landtitelfälschung mit
Millionen Reais an Steuergeldern zu belohnen. Männer wie Maggi selbst
würden enorm profitieren.
Wirtschaft und Politik arbeiten Hand in Hand: Ein anderer Vorschlag,
der derzeit diskutiert wird, ist der Verfassungszusatz PEC 215. Mit ihm
soll die Verantwortung für die Indio-Reservate von der FUNAI auf den
Kongress übertragen werden. Brasiliens Ureinwohner wären dann auf
Gedeih und Verderb den Interessen der Parlamentarier ausgeliefert.
Diese stehen zurzeit mehrheitlich der Agrarindustrie, evangelikalen Kir-
chen und Minenkonzernen nahe, die ihre Wahlkämpfe mitfinanzierten.
Vergangenes Jahr wurde PEC 215 bereits von einer Parlamentskom-
mission durchgewunken. Käme der Verfassungszusatz durch, „wäre dies
eine Verletzung unserer Rechte“, sagte der bekannte Indio-Führer Raoni
Metuktire Kayapo. Er war offenbar bemüht, gemäßigte Worte zu finden.
Tatsächlich wäre PEC 215 das Ende der FUNAI. Es würde Brasiliens
Ureinwohner den Angriffen von Holzfällern, Großbauern und Minenkon-
zernen aussetzen. Und es würde die Zerstörung des Amazonaswaldes
noch weiter beschleunigen.
http://cicero.de/weltbuehne/brasilien-Mit-Pfeil-und-Bogen-gegen-die-Ausloeschung

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