NEUROKUTANE ERKRANKUNGEN: ALTBEKANNT UND NEU ENTDECKT

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NEUROKUTANE ERKRANKUNGEN: ALTBEKANNT UND NEU ENTDECKT
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NEUROKUTANE ERKRANKUNGEN:
ALTBEKANNT UND NEU ENTDECKT
Sandra Tölle

                        Kurze Einführung                                           Eine inaktivierende Mutation in NF1, einem Tumor Sup-
                        Die Assoziation von Entwicklungsanomalien von Hirn,        pressor Gen, führt zur Fehlfunktion des RAS Inhibi-
                        Haut und Augen wurde 1932 vom Niederländer Opht-           tors Neurofibromin und durch gestörte Regulation von
                        halmologen Jan van der Hoeve1) unter dem Begriff Pha-      Zellwachstum4) zu einer Häufung von benignen und
                        komatosen zusammengefasst. Er gruppierte darunter          malignen Tumoren. NF1 kann fast jedes Organsystem
                        die Neurofibromatose, die Tuberöse Sklerose und spä-       betreffen mit einer breiten Palette an Erscheinungs-
                        ter die von Hippel-Lindau Erkrankung. Zeitgleich schlu-    formen. Die klassische Präsentation ist ein sich mo-
                        gen Paul Ivan Yakovlev und Riley H. Guthrie auf der an-    torisch langsam entwickelndes Kleinkind mit musku-
         Sandra Tölle   deren Seite des Atlantiks den Begriff Neurokutane Er-      lärer Hypotonie, leichter Trichterbrust, relativer Mak-
                        krankungen vor, geprägt durch ihre Erkenntnisse, dass      rozephalie und Café au lait Flecken. Rund 60% der
                        kongenitale Fehlbildungen des Ektoderms (Haut, Hirn,       Kinder leiden im Verlauf unter schulischen Leistungs-
                        Retina, Auge) wie bei der Neurofibromatose, der tu-        problemen und Aufmerksamkeitsdefiziten. Deutlich
     https://doi.org/
 10.35190/d2021.3.4
                        berösen Sklerose oder dem Sturge-Weber-Syndrom             seltener treten Tumoren des zentralen Nervensys-
                        klinisch häufig die Gemeinsamkeiten von Hautmani-          tems, plexiforme Neurofibrome, Knochenanomalien
                        festationen, kognitiver Beeinträchtigung und Epilep-       (Verbiegung der langen Röhrenknochen, Skoliose)
                        sie aufwiesen. Sie erkannten auch, dass die Haut ein       oder Vaskulopathien (Moyamoya Syndrom) auf. Die
                        diagnostisches Fenster zum zentralen Nervensystem          Diagnose der NF1 kann klinisch gestellt werden (vgl.
                        ist, was auch heute noch zutrifft2).                       Tabelle 1 und Abbildung 1), wobei mit Anwendung der
                                                                                   revidierten Diagnosekriterien neu auch der genetische
                             Beide Begriffe wurden im Verlauf der Jahrzehnte       Nachweis einer pathogenen NF1 Variante zählt5).
                        synonym verwendet. Heute versteht man darunter
                        eine grosse heterogene Gruppe von Erkrankungen, die        Sehbahntumoren (optic pathway glioma)
                        Haut, Auge und zentrales und peripheres Nervensys-         Ca. 15-20% der Kinder mit NF1 entwickeln einen Seh-
                        tem betreffen, wobei auch andere Organe (z.B. Herz,        bahntumor, wobei nur ca. 35% der Sehbahntumoren
                        Lungen, Nieren, Blutgefässe und Knochen) mitbetei-         progredient wachsen, Symptome verursachen und eine
                        ligt sein können3). Die beschriebenen Erkrankungen         Behandlung erfordern. NF1 assoziierte Sehbahngliome
                        kommen relativ selten vor, aber in der Summe und der       werden am häufigsten bei Kindern unter 7 Jahren (Mit-
                        häufig doch schweren Auswirkungen schon im Kin-            telwert 4,5 Jahre) gesehen6). Die Sehbahngliome kön-
                        desalter bilden sie einen relevanten Anteil im neuro-      nen entlang der gesamten Sehbahn auftreten und lo-
                        pädiatrischen Kollektiv.                                   kalisationsabhängig unterschiedliche Symptome her-
                                                                                   vorrufen. Klinische Zeichen eines Sehbahnglioms
                             Nach der Erstbeschreibung der «klassischen» Pha-      können eine Visusminderung, eine Gesichtsfeldein-
                        komatosen wie der Neurofibromatose und der Tuberö-         schränkung, ein Strabismus, ein relatives Afferenzde-
                        sen Sklerose Ende des 19. Jahrhunderts, erfolgte Ende      fizit, ein Papillenödem oder eine Protrusio bulbi sein.
                        des 20. Jahrhunderts die genetische Zuordnung und          Bei Chiasma- und Hypothalamusbeteiligung können
                        in den letzten Jahrzehnten dank grosser Fortschritte       auch endokrine Auffälligkeiten wie vorzeitige Puber-
                        in der Molekulargenetik, die Analyse der zellulären Ba-    tätszeichen oder ein Wachstumshormonmangel gese-
                        sis, der intra- und extraneuronalen Signalwege. Dies       hen werden bis hin zum sehr seltenen Masseneffekt,
                        ermöglichte ein besseres Verständnis der zugrunde-         dienzephalen Syndrom oder obstruktiven Hydro-
                        liegenden Pathogenese und letztlich die Entwicklung        zephalus. Regelmässige ophthalmologische Kontrol-
                        von neuen zielgerichteten Therapien. Im Folgenden          len sind dementsprechend wichtig und werden halb-
                        soll am Beispiel von drei neurokutanen Krankheiten         jährlich bis jährlich bis zum Alter von sechs Jahren,
                        auf die neueren Therapiemöglichkeiten eingegangen          jährlich bis zum Alter von mindestens zehn Jahren und
                        werden.                                                    alle zwei Jahre bis zum Alter von 18 Jahren empfoh-
                                                                                   len6,7). MRI Untersuchungen als Screening sind nicht
                        Neurofibromatose Typ 1 (NF1)                               indiziert, zumal die zufällige Entdeckung eines Seh-
                        Mit einer Häufigkeit von ca. 1:3000 ist die NF1 die häu-   bahntumors bei fehlenden Symptomen nur selten ei-
      Korrespondenz:    figste neurokutane, autosomal dominant vererbte Er-        nen Einfluss hat auf das Management des Patien-
        sandra.toelle   krankung. In rund 50% der Fälle ist eine Neumutation       ten8).
        @kispi.uzh.ch   verantwortlich für das Tumorprädispositionssyndrom.

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 A    Mindestens 2 der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein bei einem Kind ohne Elternteil mit NF1

      • ≥ 6 Café au lait Flecken ≥ 5 mm präpuberal bzw. ≥ 15 mm postpuberal

      • Freckling (vor allem axillär und/oder inguinal)

      • ≥ 2 Neurofibrome oder ein plexiformes Neurofibrom

      • Sehbahngliom

      • ≥ 2 Irishamartome (Lisch-Knötchen) oder ≥ 2 Choroidale Anomalien

      • Typische Knochenveränderungen (Sphenoiddysplasie, anterolaterale Verbiegung der Tibia oder
        Pseudarthrose eines langen Röhrenknochens)

      • Heterozygote pathogene NF1 Variante mit einer Varianten Allelfrequenz von 50% in scheinbar
        normalem Gewebe wie Leukozyten

 B    Mindestens 1 der obigen Kriterien muss erfüllt sein, wenn das Kind einen Elternteil hat mit
      NF1 gemäss den unter A gelisteten Kriterien

Tabelle 1: Redividierte diagnostische Kriterien für Neurofibromatose Typ 1

Abbildung 1: Fotos bei Neurofibromatose Typ 1
             A Café au lait Fleck und axilläres Freckling
             B Lisch Knötchen auf blau pigmentierter Iris
             C Kutane Neurofibrome beim Erwachsenen

Behandlung                                                  Patienten mit Sehbahntumor und Chemotherapie ge-
Die heutigen Guidelines empfehlen eine Intervention         zeigt, dass 32% eine Verbesserung erzielten, 40%
nur, wenn es eine dokumentierte Verschlechterung            eine Stabilisierung und 28% eine Verschlechterung.
des Sehens oder einen radiologischen Progress gibt6).       Andere Therapiemodalitäten, die üblicherweise bei
Eine Chemotherapie mit Vincristin und Carboplatin           Hirntumoren erwogen werden, sind problematisch:
oder nur Vinblastin wird an vielen Kliniken als erster      Die Neurochirurgie ist aufgrund der Lokalisation limi-
Behandlungsschritt empfohlen mit der Aussicht auf           tiert und die Bestrahlung wird bei Kindern mit NF1 we-
Langzeittumorkontrolle. Bezogen auf die Sehleistung         gen dem Risiko von Zweittumoren und Moyamoya Syn-
wurde von Fisher et al.9) in einer Studie mit 115 NF1       drom nicht empfohlen10). Die Anwendung gezielter bio-

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      logischer Therapien bekommt mit der Entschlüsselung       (NCI) natural-history study, bei welchen die meisten
      der zellulären Pathways einen zunehmenden Stellen-        Patienten einen Progress des Tumors zeigten.
      wert. Neuere Daten aus präklinischen Modellen haben
      die Überaktivierung des MAPK/ERK/MEK Pathway als          Tuberöse Sklerose Complex (TSC)
      direkte Konsequenz des NF1 assoziierten Funktions-        Die TSC ist eine Multisystemerkrankung mit sehr un-
      verlustes von Neurofibromin bestätigt11). In der Folge    terschiedlicher Ausprägung. Die Häufigkeit der auto-
      wurden Studien mit Inhibitoren des Mitogen-activa-        somal dominanten Erkrankung wird auf ca. 1:6000
      ted protein kinase (MAPK) Weges durchgeführt. Eine        -1:10000 geschätzt. Die Mehrheit der Fälle weist eine
      kürzlich publizierte Phase-II-Studie mit dem MEK-In-      Neumutation auf: Im TSC1 (auf Chromosom 9q34)
      hibitor Selumetinib hat bei Patienten mit Rezidiven       oder TSC2 (auf Chromosom 16p13) Gen. Die jeweili-
      von Low grade Gliomen (inkl. Sehbahntumoren) in 40%       gen Genprodukte Hamartin bzw. Tuberin sind wich-
      der Fälle ein klares Ansprechen gezeigt12). Nebst Selu-   tige Regulatoren des mTORC1-Pathway (mammalian
      metinib sind weitere MEK-Inhibitoren in Studien in Er-    Target of Rapamycin). Die TSC Mutation führt zur ab-
      probung. In einer Phase-II-Studie mit Kindern und NF1     normen Aktivierung dieses mTORC1 Pathway und so
      assoziierten low grade Gliomen hat der mTOR-Inhibi-       zu unkontrollierter Zellproliferation und Wachstum
      tor Everolimus ebenfalls gute Resultate gezeigt13).       von Tumoren in vielen Organsystemen. Für die Diag-
                                                                nose ausreichend ist der isolierte Nachweis einer pa-
      Plexiforme Neurofibrome                                   thogenen Mutation im TSC1 oder TSC2. Im klinischen
      Die plexiformen Neurofibrome sind angeborene Tu-          Alltag sind es die Haupt- und Nebenmerkmale (Ta-
      moren, die sich netzartig entlang peripherer Nerven       belle 2), die zur sicheren oder möglichen Diagnose
      ausbreiten und keine Wachstumsgrenzen respektie-          TSC führen und in der Regel eine Mutationssuche
      ren. Sie führen dadurch zu Funktionseinbussen,            nach sich ziehen15). Ein negativer Mutationsnachweis
      Schmerzen, Entstellung mit verringerter Lebensqua-        schliesst eine TSC nicht aus. Heutzutage wird nicht
      lität und bei entsprechender Lokalisation auch zur        selten bereits pränatal oder neonatal die Verdachts-
      Verlegung von Atemwegen. Gross et al.14) haben 2020       diagnose TSC aufgrund multipler kardialer Rhab-
      in einer Phase-II-Studie mit 50 Kindern und inoperab-     domyome gestellt, die im fetalen Ultraschall entdeckt
      len plexiformen Neurofibromen gezeigt, dass mit dem       werden. Früher war es meist im Säuglings- und Klein-
      MEK-Inhibitor Selumetinib in der Mehrheit der Patien-     kindalter der Fall, wenn die Kombination einer Epilep-
      ten eine Tumorvolumenreduktion resultierte mit kli-       sie (häufig infantile Spasmen) mit weissen Hautfle-
      nisch relevantem Benefit z.B. hinsichtlich der Schmer-    cken gefunden wurde. Noch heute sind die verschie-
      zen. Das Schrumpfen der Tumore und das fehlende           denen Hautmanifestationen (Angiofibrome im
      Tumorwachstum unter dieser Therapie steht in Kon-         Gesichtsbereich, fibröse Stirnplaque oder Shagreen
      trast zu den Befunden der National Cancer Institute       Patch) pathognomonisch und sollten an die TSC den-

       Der Nachweis einer pathogenen TSC1 oder TSC2 Mutation aus nicht betroffenem Gewebe
       ist ausreichend für die definitive Diagnosestellung

       Hauptkriterien                                           Nebenkriterien

       ≥3 hypomelatonische Flecken                              Konfettiflecken der Haut

       ≥3 Angiofibrome oder Stirnplaque                         >3 Zahnschmelzdefekte

       ≥2 unguale Fibrome                                       ≥2 Intraorale Fibrome

       Shagreen Patch                                           Unpigmentierter Fleck der Retina

       Hamartome der Retina                                     Multiple Nierenzysten

       ≥3 kortikale Dysplasien (Tuber, Migrationslinien         Nichtrenale Hamartome
       der weissen Substanz)

       Subependymale Gliaknoten

       Riesenzellastrozytom

       Kardiale Rhabdomyome

       Lymphangioleiomyomatose der Lunge (LAM)*

       ≥2 Angiomyolipome der Niere*

       Definitive Diagnose                                      Mögliche Diagnose
       2 Hauptkriterien oder 1 Hauptkriterium                   1 Hauptkriterium oder ≥ 2 Nebenkriterien
       und ≥ 2 Nebenkriterien

      * Die Kombination LAM und Angiomyolipome ohne andere Zeichen erfüllt nicht die Anforderungen
        für eine definitive Diagnose.

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ken lassen und zur Überweisung an ein spezialisier-    ten Therapie geforscht werden, die nicht nur beste-
tes Zentrum führen (Abbildung 2). Ein multidiszipli-   hende Symptome lindert, sondern nach Möglichkeit
näres Team ist angesichts der sehr variablen Organ-    deren Entstehung verhindern soll. Rapamycin (Siroli-
beteiligung erforderlich. Neben den dermatologischen   mus) und das Analogon Everolimus hemmen die
Befunden sind es Manifestationen im ZNS (Epilepsie,    mTORC1 Aktivität und führen dadurch zur Kontrolle
Entwicklungsstörung, Riesenzellastrozytom, psychi-     von unerwünschten Zellproliferation und Wachstum.
atrische Störungen), Herz (Rhabdomyome), Nieren        In Studien, EXIST-119) und EXIST-220), wurde gezeigt,
(Angiomyolipome, Zysten), Lungen (Lymphangiolei-       dass mit Everolimus Riesenzellastrozytome des Hirns
omyomatose LAM), Augen (retinale Hamartome),           und Angiomyolipome der Nieren kleiner wurden und
Zähne, Knochen und seltener auch in anderen Bau-       sich die Lungenfunktion bei LAM stabilisierte. So zeig-
chorganen, die lebenslang kontrolliert und behandelt   ten mindestens die Hälfte der Patienten eine Volu-
werden müssen. Ca. 20% der Patienten, meist Kin-       menreduktion ihres Riesenzellastrozytoms von > 50%.
der oder Jugendliche, entwickeln ein Riesenzellast-    Erwähnenswert ist allerdings die Tatsache, dass nach
rozytom im Bereich des Foramen Monroi, welches bei     Absetzen des mTOR-Inhibitors das Tumorwachstum
progredientem Wachstum zu einem obstruktiven Hy-       wieder beginnt und darum eine Langzeitbehandlung,
drocephalus führen kann16). Rund 80% der Patienten     eventuell sogar lebenslang, nötig ist. Dementspre-
leiden an Angiomyolipomen, die bei zunehmendem         chend ist auch eine neurochirurgische Resektion eine
Wachstum mit einer Blutung akut symptomatisch          zu diskutierende Option und die Therapieentschei-
werden können und langfristig zur Niereninsuffizienz   dung ist in den Gesamtkontext, unter Berücksichti-
führen17). Für die Überwachung und interdisziplinäre   gung anderer TSC assoziierten Organmanifestatio-
Behandlung betroffener TSC Patienten existieren in-    nen, zu stellen.
ternational breit abgestützte Empfehlungen18).
                                                            Ca. 85% der TSC Patienten leiden an einer Epilep-
Behandlung                                             sie, die in der Mehrheit pharmakoresistent ist21). In der
In den letzten Jahren konnte durch das Verständnis     EXIST-3 Studie22) wurde an mehrheitlich pädiatrischen
der molekularbiologischen Vorgänge an einer geziel-    Patienten gezeigt, dass mit Everolimus auch pharma-

Abbildung 2: Fotos bei Tuberöser Sklerose
             A Angiofibrome an Wangen, Nase und Kinn
             B Fibröse Stirnplaque links
             C Multiple hypomelanotische Flecken
             D Shagreen Patch lumbal

                   Vol. 32 | 3-2021                                                                               17
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      koresistente Epilepsiepatienten bezüglich ihrer Anfälle   im Blut gesucht werden. Ein fehlender Mutationsnach-
      eine Verbesserung erzielen konnten. Der Anteil Pati-      weis schliesst die Diagnose eines PROS nicht aus.
      enten mit > 50% Reduktion der Anfallsfrequenz lag
      bei 40% in der Gruppe mit hochdosiertem Everolimus        Megalencephaly-capillary Malformation
      gegenüber 15.1% in der Placebogruppe. Das Präparat        Syndrom (MCAP)
      wird nebst den bereits genannten Indikationen bei TSC     Das MCAP ist ein Vertreter dieser PROS Gruppe, wel-
      Patienten auch für weitere TSC assoziierte Krankheits-    ches uns im Alltag der neurokutanen Sprechstunde
      manifestationen erfolgreich eingesetzt: Schon im Neu-     wiederholt begegnet und möglicherweise unterdiag-
      geborenenalter bei grossen Rhabdomyomen des Her-          nostiziert ist. Die Betroffenen haben einen dispropor-
      zens, um eine kardiochirurgische Intervention abzu-       tional grossen bis sehr grossen Kopf und kapilläre
      wenden und im Kindesalter topisch auf die von             Fehlbildungen auf der Haut, gehäuft ein asymmetri-
      Angiofibromen betroffene Gesichtshaut. Zusammen-          sches Wachstum von Gliedmassen und eine Bindege-
      gefasst ist es das Ziel der Behandlung mit einem          websauffälligkeit mit Laxizität. Relativ charakteris-
      mTOR-Inhibitor, die Grösse und Anzahl der Tumoren         tisch ist eine faziale kapilläre Malformation der Ge-
      bei TSC Patienten zu verringern oder zumindest zu         sichtsmittellinie (Abbildung 3). Ein Teil der Patienten
      stabilisieren. Eine neue Multizenterstudie ist geplant,   hat zusätzliche ZNS-Fehlbildungen wie Polymikrogy-
      um zu untersuchen, ob die prophylaktische Gabe von        rien oder eine Hemimegalenzephalie mit dem Risiko
      Sirolimus (Behandlungsbeginn vor dem Alter von 4          von Entwicklungsstörungen und Epilepsien. Das sehr
      Monaten) eine Reduktion neuropsychologischer Defi-        rasche Kopfwachstum in den ersten Lebensjahren mit
      zite zur Folge hat.                                       den typischerweise relativ weiten Seitenventrikeln in
                                                                der Bildgebung muss sorgfältig, auch mittels MRI, kon-
      Erkrankungen durch genetische Mosaike                     trolliert und interpretiert werden, um einerseits nicht
      Verschiedene Entwicklungsstörungen und neuro-             unnötig einen Shunt zu implantieren, und andererseits
      kutane Erkrankungen sind durch Neumutationen ver-         die seltene Komplikation einer Kleinhirnherniation mit
      ursacht, die erst nach der Befruchtung (postzygo-         Entwicklung eines obstruktiven Hydrozephalus, nicht
      tisch) auftreten. Man spricht dann auch von sogenannt     zu verpassen. Kopfumfänge von 55-58 cm im Alter
      «somatischen» Mutationen. Solche Mutationen haben         von zwei Jahren sind keine Seltenheit. Auch beim
      zur Folge, dass der Organismus aus genetisch unter-       MCAP ist eine somatische PIK3CA Mutation zugrun-
      schiedlichen Zellpopulationen besteht24). Obschon         deliegend, wobei hier gelegentlich der Mutationsnach-
      zahlreiche Mosaikerkrankungen seit vielen Jahren als      weis auch im Blut und nicht nur in betroffener Haut
      klinische Entitäten bekannt waren, wurde deren zu-        gelingt. Der Mutationsnachweis ist wichtig wegen der
      grunde liegende genetische Ursache erst in den letz-      neuen zielgerichteten Therapiemöglichkeiten. Alpeli-
      ten Jahren mit Hilfe der Hochdurchsatzsequenzierung       sib (BYL719), ein PIK3CA-Inhibitor, hat in einer Studie
      (Next Generation Sequencing, NGS) entdeckt. Ein gu-       mit PROS Spektrum Patienten27) zu bemerkenswerten
      tes Beispiel dafür ist das sporadisch auftretende Stur-   Verbesserungen geführt: Rückgang der kapillären Mal-
      ge-Weber-Syndrom, das wie eingangs erwähnt zu den         formation und epidermalen Naevi, Verbesserung der
      ersten beschriebenen neurokutanen Syndromen ge-           Skoliose, Beendigung einer chronischen gastrointes-
      hörte, bei dem aber erst 2013 die dafür ursächliche       tinalen Blutung. Weitere Resultate aus Studien mit Al-
      somatische Mutation im GNAQ Gen in betroffenem            pelisib und betroffenen Kindern und Jugendlichen wer-
      Gewebe nachgewiesen wurde25). Damit wurde eine seit       den bald erwartet.
      langem bestehende Hypothese, die der Mosaikerkran-
      kung, bestätigt. Für die genetische Beratung der El-      Schlussbemerkung
      tern verändert der Nachweis einer somatischen Muta-       Der Pädiaterin und dem Pädiater wird eine wichtige
      tion die Ausgangslage erheblich, besteht doch in die-     Rolle zuteil im frühen Erkennen der Verdachtsdiag-
      sem Fall bei weiteren Kindern kein erhöhtes Wieder-       nose aufgrund der klinischen Symptome und dem Zu-
      holungsrisiko für die gleiche Erkrankung.                 weisen an ein erfahrenes Zentrum. Die Entwicklung
                                                                der letzten Jahre mit verbesserten diagnostischen
           Vaskuläre Fehlbildungen können assoziiert sein mit   und vor allem therapeutischen Möglichkeiten macht
      einer breiten Palette von kutanen, neurologischen oder    die multidisziplinäre Betreuung dieser Patienten umso
      muskuloskelettalen Befunden. Historisch sind zahlrei-     wichtiger. Dank: Ich bedanke mich bei Kindern und El-
      che Syndrome mit Eigennamen (wie Klippel-Trén-            tern für die Erlaubnis zur Publikation der Fotos und
      aunay-Syndrom) oder Akronymen (wie CLOVES Syn-            bei Lisa Weibel, Martin Theiler und Eugen Boltshau-
      drom) und zum Teil überlappenden Phänotypen be-           ser für die Mithilfe im Bereitstellen von Bildmaterial.
      schrieben worden. Die Entdeckung somatischer
      aktivierender Mutationen im PIK3CA Gen hat dann die       Für das Literaturverzeichnis verweisen wir auf
      zugrundeliegende Ursache verschiedener klinisch de-       unsere Online Version des Artikels.
      finierter Phänotypen geklärt. Für diese Syndrome mit
      der Kombination von vaskulären Fehlbildungen und
      segmentalen/fokalen Hypertrophien wurde der neue
      Überbegriff PROS für PIK3CA-Related Overgrowth
      Spectrum geschaffen26). Der Mutationsnachweis ist
      allerdings wegen des Mosaiks nicht einfach und es
      muss mit modernen Technologien (NGS) primär in be-
      troffenem Gewebe (häufig in Fibroblasten) und nicht

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Fortbildung

Abbildung 3: Fotos und MRI Bild bei Megalencephaly-capillary Malformation Syndrom
             A Ausgedehnte livide kapilläre Malformation sowie Hypertrophie des linken Armes
             B Hypertrophie linke Gesichtshälfte
             C Asymmetrisches Körperwachstum mit Hypertrophie rechtes Bein
             D Kapilläre Malformation Unterlippe
             E Hemimegalenzephalie links passend zur Gesichtsasymmetrie Bild B
             F Makrodaktylie der 2. Zehe

Autorin

Dr. med. Sandra Tölle, Abteilung Neuropädiatrie, Universitäts-Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung, Zürich

Die Autorin hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang
mit diesem Beitrag deklariert.

                   Vol. 32 | 3-2021                                                                            19
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