NEW NORMAL The in marketing and communications - SWA-ASA
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Inhalt 03 Vorwort des Präsidenten 04 Ein Jahr wie kein anderes! 06 The Next Normal von Karin Frick 09 Marketingtrends und Herausforderungen 2021 von Prof. Dr. Sven Reinecke und Susanna Renner 12 Wie wird das «New Normal»? von Marcus Schögel, Mauro Gotsch und Severin Lienhard 16 New Normal in der Markenwelt von Tina Beuchler 19 Raus aus den Trainerhosen, rein in den Aufbruch. von Regula Bührer Fecker 22 Das New Normal ist tot – es lebe die Transformation von Jan-Hendrik Völker-Albert und Florence Neurauter 26 Jahresrésumé Schweizer Werbemarkt von Ueli Weber 28 SWA: Vorstand und Geschäftsstelle 29 SWA-Expertenteams 32 Schlüsselaufgaben des SWA 33 SWA: «Code of Conduct» 34 Fachverbände und Organisationen, in denen der SWA seine Mitglieder aktiv vertritt 35 Branchenverbände, mit denen der SWA im Dialog steht 36 Auf einen Blick: exklusive Mehrwerte und Vergünstigungen für SWA-Mitglieder! 40 Unsere Mitgliederliste wird immer länger. Danke für das Vertrauen! 43 Neue Mitglieder sind immer willkommen! Zehn Gründe, sich im SWA zu engagieren Unsere Gastautoren Der SWA dankt an dieser Stelle den Gastautoren, deren Meinung hier völlig unbeeinflusst zum Aus- druck kommt. Sie muss nicht notwendigerweise den Standpunkt des Verbandes wiedergeben. Impressum SWA Schweizer Werbe-Auftraggeberverband, Löwenstrasse 55, 8001 Zürich, Telefon +41 44 363 18 38, info@swa-asa.ch, www.swa-asa.ch Druck Tanner & Bosshardt AG, Basel Gestaltung Werbekontor GmbH, Basel © 2021 SWA-ASA L’édition française est disponible en PDF sur notre site internet www.swa-asa.ch 02 | SWA-Jahresbericht 2020
«Nichts ist so beständig wie der Wandel.» Das wusste schon Heraklit um 500 vor Christus. Liebe Mitglieder, sehr geehrte Damen und Herren Covid-19 hat unsere gelebte und geliebte Normalität mas- hoffe sehr, dass wir ihnen mit unseren Themen siv verändert. Mit grosser Wucht hat das Virus unser Leben, einen Beitrag zur proaktiven Transformation geben unser Wirtschaften und unsere Kommunikation in Beuge- konnten und so mitgeholfen haben, die Krise leich- haft genommen. Und leider hat diese Pandemie auch viele ter zu bewältigen. Verlierer, deren Leid uns beschäftigt und zugleich die Frage der gesellschaftlichen Solidarität in den Fokus rückt. Trotz- Für unser Jahresmeeting 2020 hatten wir das The- dem sollten wir auch die Chancen des Wandels sehen. So ma «Mensch oder Maschine» gewählt. Dass es hat Covid-19 vieles zwangstransformiert, im Guten wie im aber zu so wenig menschlichem Kontakt kommen Schlechten, vorübergehend – und teilweise wohl für immer. würde und die Maschinen und das Digitale so Die neue Realität ist anders als das Gestern, in vielen Punk- schnell vieles übernehmen würden, damit hatten ten auch anders, als wir es uns erhofft hätten. Und wie sieht wir nicht gerechnet. Sehr gerne hätten wir Sie alle das Morgen aus? Gibt es einen Weg «back to normal» oder von Angesicht zu Angesicht, ohne Masken an un- leben wir künftig in einem «New Normal»? Wahrscheinlich serem grossen Jubiläumsanlass zum 70. Geburts- ist viel Wandel gekommen, um zu bleiben. Corona ist auch tag des SWA begrüsst und mit Ihnen angestossen ein Beschleuniger: Fast schon mit Raketenschub wurde die auf unser Jubiläum, auf ein erfolgreiches SWA-Jahr Digitalisierung in beinahe allen Lebens- und Wirtschaftsbe- und auf acht neue Mitglieder. Weil das nicht so reichen auf- und ausgebaut. sein konnte, haben wir Ihnen den Jubiläumswein zum Anstossen nach Hause geschickt. Aber aufge- Zum Glück hat uns dieser Tsunami nicht ganz un- schoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Deshalb vorbereitet getroffen. So hatten wir über Anpas- freuen wir uns auf ein persönliches Treffen mit Ih- sungsbedarf schon in der Vergangenheit nachge- nen an unserem Jahresmeeting 2021 zum Thema dacht. Und wahrscheinlich sind Unternehmen, die «Mensch oder Maschine – künstliche Intelligenz in in der Vergangenheit nicht nur gedacht, sondern Marketing und Kommunikation» und auf die aktu- auch aktiv verändert und angepasst haben, besser ellen Betrachtungen des «New Normal». durch die Pandemie gekommen. Bekanntlich ist der Wandel kein Event, sondern ein Aufgabe des SWA ist es, die Interessen der Mitglie- Prozess; und so wird der Wandel weitergehen und der am Werbemarkt aktiv und nachhaltig zu vertre- Sie auch im «new normal» stark beschäftigen. Die ten und sie in Fachbereichen zu unterstützen. Aber jüngste Zeit hat uns allen gezeigt, wie wichtig ein besonders wichtig ist für uns, auch Inspiration zur verlässlicher und vertrauensvoller Partner in turbu- Zukunft im Werbemarkt zu bieten. Und was könnte lenten Zeiten ist. Mit Flexibilität, Agilität und Weit- zu den aktuellen Ereignissen besser passen als das sicht wollen wir vom SWA auch dieses Jahr an Ihrer Thema «Communication in the age of disruption», Seite stehen, Sie unterstützen und beraten und Ih- das wir 2016 an unserem Jahresmeeting und im nen ein wertvoller Partner sein. Jahresbericht zum Inhalt machten? Ein Jahr später hiess es «Always on – communication anytime and Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und anywhere» und im Jahr darauf «Advertising 2020 – bedanke mich bei Ihnen, liebe Mitglieder, für Ihr the next level». Im Fokus standen der Ausbau der Vertrauen. Meinen Kolleginnen und Kollegen im digitalen Kommunikation und das Erreichen die- Vorstand, unseren Expertenteams und speziell der ses next level. Mit «transform or die» haben wir Geschäftsstelle danke ich für die engagierte, wert- einen sehr pointierten Anstoss zur Transforma- volle und wertstiftende Zusammenarbeit. tion gegeben und unsere Mitglieder aufgefordert, nicht zurückzustehen, sondern vorauszugehen. Ich Roger Harlacher, Präsident SWA, Verwaltungsrat, Zweifel Pomy-Chips AG 03
Ein Jahr wie kein anderes! Von Roland Ehrler Das letzte Jahr hat uns alle stark gefor- Wussten Sie, dass inzwischen fast 200 Unterneh- dert, im Beruf und im Privaten. Seit dem Zweiten Weltkrieg men dem SWA angehören? Selbst im schwierigen war die Wirtschafts- und persönliche Freiheit nicht mehr letzten Jahr haben sich acht weitere werbetreiben- in diesem Ausmass betroffen. Trotzdem ist die Schweizer de Unternehmen dem Verband angeschlossen. Wir Wirtschaft und damit der Werbemarkt bisher mit einem heissen diese neuen Mitglieder im SWA willkom- blauen Auge davongekommen. Einzelne Mitglieder hat men und danken gleichzeitig allen unseren Mit- Covid-19 jedoch hart getroffen, wie zum Beispiel die Luft- gliedern für ihre Treue und ihr Engagement! Damit fahrt. Der SWA stand in diesen Zeiten seinen Mitgliedern sind und bleiben wir die starke Stimme der Werbe- zur Seite und stellte seine Services rasch von analog auf auftraggeber in der Schweiz! digital um. Und wir freuen uns alle auf das «New Normal»! Die Herausforderungen unserer Mitglieder im sich Leider gab es im letzten Jahr – trotz unseres 70-jähri- verändernden Werbe- und Medienmarkt sind auch gen Jubiläums – wenig zu feiern. Nach ersten, noch die Herausforderungen des SWA. Deshalb stehen physischen Workshops im Januar mussten wir ab wir täglich mit viel Herzblut und unserer starken März alle Mitgliederaktivitäten auf digital umstel- Vernetzung für die Interessen unserer Mitglieder im len. Davon war leider ebenfalls das traditionelle Einsatz. Jahresmeeting betroffen. Immerhin konnten wir im Frühjahr mit dem Fachmagazin «persönlich» ein Hier nun ein kurzer Rückblick und Kommentar zu Sonderheft zum Jubiläum realisieren. Besonders unseren Schwerpunkten im Jahr 2020. hat uns darin die offizielle Botschaft unseres Bun- despräsidenten, Guy Parmelin, gefreut, welcher da- 1. Mehr Mehrwerte für unsere Mitglieder bei die Wichtigkeit und Bedeutung von Verbänden Als Verband verfolgen wir das Ziel, die Bedürfnisse wie dem SWA unterstrich. und Interessen unserer Mitglieder zu vertreten so- wie Mehrwerte zu schaffen. Das ist uns im letzten Digitaler Schritt vollzogen! Jahr gut gelungen. So konnten wir beispielsweise Neben den bekannten Nachteilen der digitalen unsere Mehrwertpartnerschaften weiter ausbauen. Kommunikation gibt es auch Positives zu vermel- Beliebt waren erneut unsere kostenfreien Rechts- den. So haben wir mit unseren Aktivitäten noch nie auskünfte sowie die persönliche Beratung im so viele Mitglieder auf einmal erreicht! Allein bei Agentur- und Mediamanagement. Mit dem stark unseren kostenfreien Webinaren vernetzten sich ausgebauten Angebot an Webinaren haben wir teilweise über 100 Mitglieder. Ebenso waren die so viele Mitglieder wie noch nie vernetzt und aus digitalen Treffen der sechs SWA-Fachgruppen im erster Hand über News, Trends und Best Practices letzten Jahr sehr gefragt und immer gut besucht. informiert. Damit konnten wir unseren Mitgliedern Zu diskutieren gab und gibt es in diesen ausserge- gerade in schwierigen Zeiten mit unseren Ver- wöhnlichen Zeiten mehr als genug! bandsaktivitäten und exklusiven Angeboten zur Seite stehen. Unser Verband hat damit im Jubiläumsjahr 2020 einen digitalen Schritt vollzogen. Diesen Weg 2. Mehr Transparenz entlang der digitalen werden wir in diesem Jahr fortsetzen und planen Wertschöpfungskette künftig einen Mix aus physischen und digitalen Die Investitionen in digitale Kanäle nehmen weiter Verbandsaktivitäten. Auf diese Weise können wir zu, so ebenfalls im letzten Jahr. Mit der Transpa- die Effizienz und die Effektivität unserer Dienste für renz-Initiative, welche wir vor zwei Jahren mit dem unsere Mitglieder weiter ausbauen. IAB Switzerland lanciert haben, gehen wir dabei 04 | SWA-Jahresbericht 2020
neue Wege! Es freut uns, dass sich im letzten Jahr • Mehr Transparenz entlang der ebenfalls der Verband Leading Swiss Agencies digitalen Wertschöpfungskette (LSA) dieser wichtigen und zukunftsorientierten Ini- Wie schon im vergangenen Jahr wollen wir die tiative angeschlossen hat. Damit engagieren sich lancierte Transparenz-Initiative fortsetzen. Hier er- jetzt erstmals drei Spitzenverbände der Schweizer warten wir in der Zusammenarbeit mit den beiden Kommunikationsbranche für ein gemeinsames Ziel! Partner-Verbänden (IAB und LSA) zahlreiche Fort- Davon versprechen wir uns zahlreiche Verbesse- schritte und werden weitere Initiativen starten. rungen im Digitalmarkt insbesondere im Bereich der Viewability, Brand Safety, User Experience und • Mehr Werbefreiheit und weniger im Kampf gegen Ad Fraud. staatliche Regulation Nach wie vor beeinträchtigen viele Gesetze und 3. Mehr Daten über die Mediennutzung, Verordnungen die kommerzielle Kommunika- Werbewirkung und attraktive Preise tion. Hier gilt es, mit einer starken Stimme den Trotz Lockdown und anderer Widrigkeiten sind die Druck und die Lobbyarbeit zu verstärken. Wer- Mediaforschungen der klassischen Medien aktuell beverbote wie in der Tabakbranche gilt es zu be- und glaubwürdig geblieben. Die Online-Forschung kämpfen, umso mehr als die Gefahr besteht, dass wird uns jedoch noch länger beschäftigen! Einer- diese auf zucker-, fett- und salzhaltige Produkte seits, weil sich die globalen Player nach wie vor ausgedehnt werden. Gerade in diesen Zeiten gilt nicht an nationalen Messsystemen beteiligen und es, der Wirtschaft entgegenzukommen und von andererseits, weil die neue Online-Messung durch der Politik werbefreundlichere Regeln zu fordern. die Mediapulse AG erst im Aufbau ist. Gleichzeitig nimmt der internationale Druck für eine crossme- Es gibt wieder viel zu tun im «New Normal» des diale Vergleichbarkeit der Mediengattungen zu. Die Schweizer Werbemarktes. Der SWA ist gut gerüs- Entwicklung der Mediapreise hat der SWA erneut tet für diese Herausforderungen und steht auch zusammen mit dem LSA im «Media Preis-/Leis- finanziell auf gesunden Beinen. Das gibt uns die tungsindex» untersucht. Dabei verharren die meis- notwendige Sicherheit und die Kraft, neue Themen ten «offiziellen» Mediapreise auf hohem Niveau. anzupacken. Neben den Herausforderungen durch Covid-19 set- Nun freue ich mich wieder auf viele persönliche zen wir uns für dieses Jahr folgende Schwerpunkte: und virtuelle Begegnungen. Herzlichen Dank für Ihr Vertrauen in unsere Arbeit. • Mehr Verbandsaktivitäten und Mehrwerte für Mitglieder Wir wollen den digitalen Schritt in diesem Jahr fortsetzen mit zahlreichen Angeboten an We- binaren, Events, Workshops und neuen Mehr- wertpartnern. Dies mit dem Ziel, weiterhin nahe am Tagesgeschäft unserer Mitglieder zu sein und diesen eine exklusive Plattform zu bieten. Roland Ehrler, geschäftsführender Direktor, Schweizer Werbe-Auftraggeberverband SWA 05
The Next Normal Von Karin Frick Seit einem Jahr nun beherrscht Corona Nähe – Distanz das Leben, viele Länder befinden sich im zweiten oder In den letzten Jahren standen die Zeichen auf dritten harten Lockdown und auch wenn jetzt Impfungen Verdichtung, Hochhäuser statt Einfamilienhäuser, verfügbar werden, bleibt die Situation ungewiss. Können Stadtmitte statt Agglomeration, Microliving statt wir bald zurückkehren in das alte Leben, wieder ohne Sor- Penthouse. Ökologische und ökonomische Ver- gen Freunde treffen, auswärts essen, in die Ferien fliegen nunft verlangen, dass mehr Menschen auf kleine- und uns umarmen? Oder müssen wir uns darauf einstellen, rem Raum zusammenleben. dass in Zukunft häufiger Pandemien ausbrechen und wir dauerhaft mit der Angst vor Ansteckung leben müssen? Doch die Pandemie machte physische Nähe zum Was ist das nächste Normal? Risiko und das Virus zwingt uns zum Abstandhal- ten. Damit verschieben sich die Präferenzen, statt Normal ist, was selbstverständlich ist, worüber man Kontakte zu suchen, versucht man sie zu vermei- nicht nachdenken muss, was alle tun und nicht auf- den und wählt vermehrt Wohn-, Arbeits- und Ein- fällt. Was als normal gilt, hängt auch vom Kontext kaufs-Orte, die in weniger dicht besiedelten Gebie- ab. Mit dem Flugzeug in die Ferien zu fliegen war ten abseits von Ballungszentren liegen. vor 60 Jahren ein exklusives Erlebnis, heute ist es für die Bürger von reichen Ländern selbstverständ- Öffentlicher Raum – privater Raum lich. Bis Anfang der Neunzigerjahre durfte man im Wenn der Zugang zum öffentlichen Raum er- Flugzeug rauchen, heute undenkbar. schwert ist, verschiebt sich das soziale Leben in private Räume, wo man hauptsächlich seinesglei- Gewohnheiten ändern sich nur sehr langsam, man chen trifft. Die Chancen, Menschen aus anderen hält sich gerne an das, was man schon immer so Gesellschaftsgruppen zu begegnen, nehmen da- gemacht hat. Es dauert meistens eine Generation durch ab und die Polarisierung zwischen verschie- oder länger, bis sich neue Verhaltensweisen in der denen Gruppierungen nimmt zu. Wer zu welchen Gesellschaft etablieren – zum Beispiel die Akzep- Räumen Zugang hat, hängt zum einen von Bezie- tanz von gleichgeschlechtlichen Ehen. Doch im hungen ab und zum anderen immer öfter auch Notfall sind Menschen anpassungsfähig und stellen vom individuellen Gesundheitszustand – kein Zu- ihr Verhalten schneller um. tritt ohne Impfung. Die Corona-Pandemie ist die grösste Krise seit dem Outdoor – indoor Zweiten Weltkrieg. Sie hat normales Leben und Ar- Die eigene Wohnung wurde in der Corona-Krise zum beiten auf der ganzen Welt fast über Nacht unmög- Lebensmittelpunkt, zu einem Ort, an dem man sich lich gemacht und uns gezwungen, unser Verhalten 24 Stunden rund um die Uhr fast ohne Unterbruch fundamental zu ändern. Wie wirkt sich das auf den aufhält. Arbeiten, Lernen, Einkaufen und Trainieren Alltag nach der Pandemie aus? Welche sozialen finden jetzt vermehrt in den eigenen vier Wänden Verschiebungen finden statt? Es gibt keine eindeu- statt, wo man sich sicher und wohlfühlt. Eine wach- tigen Antworten auf diese Fragen. Wir haben un- sende Zahl von Lieferdiensten und neue digitale tersucht, welche gesellschaftlichen Tendenzen die Dienstleistungen sorgen dafür, dass es einem an Pandemie verstärkt und welche eher schwächt. Die nichts fehlt und man die Wohnung kaum mehr ver- folgenden Gegenüberstellungen zeigen, wie sich lassen muss. Wir entwickeln uns zu einer Indoor-Spe- die Kräfteverhältnisse verändern, welche Entwick- zies, die immer weniger Zeit im Freien verbringt und lungen profitieren und welche verlieren. den direkten Kontakt mit der Aussenwelt minimiert. 06 | SWA-Jahresbericht 2020
Wenn man weniger ausgeht und Zeit ausser Haus verbringt, wird alles, was indoor passiert, wichtiger und es werden daher mehr Zeit, Aufmerksamkeit und Geld in grössere Wohnungen, Indoor-Aktivitä- ten, Home-Entertainment und Einrichtung investiert. Öffentlicher Verkehr – Privatfahrzeug In den letzten Jahren haben die meisten Mobili- tätsanbieter ihren strategischen Schwerpunkt vom Transportmittel hin zu smarten Services verscho- ben. «Nutzen statt besitzen» lautete die Devise. Nun hat die Pandemie die Begeisterung fürs Teilen und Tauschen gedämpft. Wer sich vor Ansteck- ungen schützen will, zieht das eigene Auto dem öffentlichen Verkehr vor, und wer aus der Stadt aufs Land flieht und weiterhin uneingeschränkt mobil sein will, hat oft keine andere Wahl. Im Nahverkehr ist das Fahrrad – mit oder ohne Elek- tromotor – der Gewinner der Krise, weil es für eine umweltfreundliche, ansteckungssichere und gesun- de Fortbewegung steht. High-Touch – berührungsfrei Die sinnliche Erfahrung galt bislang als der ent- scheidende Vorteil des stationären Handels, doch in Zeiten der Pandemie will man nichts anfassen, was andere schon berührt haben könnten: keine Hände, keine Türfallen, keine Druckknöpfe, kein Bargeld, Wir werden wieder Hände schütteln, kuscheln und keine Touchscreens. Dadurch wächst das Interesse küssen wollen, wenn die Pandemie vorbei ist, wer- an neuen Technologien, mit denen man berüh- den dabei jedoch vorsichtiger sein und uns besser rungsfrei interagieren kann. Beispiel: kontaktloses schützen. Viele reagieren empfindlicher auf Be- Bezahlen, Roboter, die Waren ausliefern, Türen, die rührung, Hypersensitivität und Unverträglichkeiten Bewohner durch Gesichtserkennung identifizieren, nehmen zu. smarte Sprachassistenten wie Alexa von Amazon. Während wir uns in sozialer Distanz üben, wird die Just in time – Notvorrat Beziehung zu den Maschinen intimer, da sie uns Die Konsumenten haben sich daran gewöhnt, dass nun auch sehen und hören und unsere Gefühle sie alles, was sie wünschen, jederzeit, überall und so- besser entschlüsseln können. fort bekommen können. Dann hat die Pandemie die globalen Lieferketten durchbrochen, Waren wurden Doch auch wenn Maschinen empathischer werden, knapp, die Gestelle leer und die Versorgung unsicher. wird das Bedürfnis nach Umarmungen bleiben. Unter diesen Umständen wollen sich viele Konsu- 07
The Next Normal menten und Produzenten nicht mehr darauf verlas- und unternehmerisch zu handeln. Sicherheit rückt sen, dass der globale Warenaustausch bald wieder in den Vordergrund, die Bewegungsfreiheit wird reibungslos und in Echtzeit funktioniert, und fangen eingeschränkt, wer reisen will, Zutritt zu Veranstal- an, wieder Lager zu halten und lokale Produzenten tungen oder in den Fitness-Club will, wird immer zu suchen. Wenn das Vertrauen in die globalen Lie- öfter einen Gesundheitspass brauchen. ferketten sinkt, gewinnen Lagerhaltung und lokale Wertschöpfungsnetze wieder an Bedeutung. Kon- Umgekehrt haben wir auch neue Freiheiten gewon- sumpatriotismus nimmt zu, wer die Wahl hat, will nen. Wer einen Computer mit Internetanschluss eher einheimische Produkte und ist auch bereit, hat, kann von überall aus arbeiten, studieren und dafür mehr zu bezahlen. einkaufen, unabhängig vom Wohnort. Ohne Ar- beitsweg bleibt mehr Zeit für anderes, Familie, Erlebnis – Versorgung Freunde, Sport, Gartenarbeit, alles, was wir gerne In den letzten Jahren gaben wir relativ immer we- tun oder bisher zu kurz kam. Die physische Welt niger Geld für physische Güter aus und mehr für wurde enger, doch die Möglichkeiten im digitalen Erlebnisse – Unterhaltung, Reisen, Kunst und Well- Raum haben sich erweitert, er wurde reichhaltiger, ness. Während der Pandemie rückte die Grund- vielfältiger und wird laufend noch besser. So gut, versorgung plötzlich wieder in den Vordergrund: dass künftige Generationen kaum mehr zwischen Grundnahrungs- und Reinigungsmittel, Hygiene- physischer und virtueller Realität unterscheiden artikel, Schutzeinrichtungen. Waren für den tägli- werden. Sie werden sich selbstverständlich in meh- chen Gebrauch, bequeme Kleider fürs Homeoffice reren Realitäten bewegen. statt modische Outfits für die nächste Party. Das temporäre Konsumfasten hat Spuren hinterlassen, Wie die nächste Normalität aussieht, hängt nicht viele haben gemerkt, dass man auch mit weni- nur vom Erfolg der Impfung ab, sondern vor allem ger – Schuhen, Handtaschen, Designerkleidung – vom sozioökonomischen Status. Die Armen und glücklich sein kann. Viele haben sich vorgenom- Schwachen leiden stärker unter gesundheitlichen men, auch in Zukunft weniger und bewusster zu und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise und konsumieren. Doch es gibt auch andere, die das brauchen mehr Zeit, um sich zu erholen. Die Unter- Verpasste nachholen und sich «jetzt erst recht» all schiede und das Unverständnis zwischen Gewin- den Luxus leisten wollen, auf den sie während der nern und Verlierer nehmen zu, und damit auch so- Pandemie verzichten mussten. ziale Spannungen. Das schürt Angst und verstärkt das Gefühl des Bedrohtseins, das die neue Normali- Freiheit – Sicherheit tät von Arm und Reich gleichermassen prägt. Die Pandemie hat das Vertrauen in den Fortschritt erschüttert und den Glauben daran, dass Wirt- schaft und Politik bald einen Ausweg aus der Kri- se finden. Auch wenn es gelingt, mit der Impfung die Pandemie zu beenden, bleibt die Unsicherheit hoch. Verlustangst, Misstrauen, Verschwörungs- theorien, soziale Fragmentierung, Verteilkämpfe und Generationenkonflikte drücken auf die kol- lektive Stimmung. Und wenn Optimismus fehlt, sinkt auch die Bereitschaft, Risiken einzugehen Karin Frick, Lic. oec., Head Think Tank, Member of the Executive Board, GDI Gottlieb Duttweiler Institute 08 | SWA-Jahresbericht 2020
Marketingtrends und Herausforderungen 2021 Von Sven Reinecke und Susanna Renner «Wir brauchen Anbieter stehen vor der Herausforderung, einer- kein Marketing und auch keinen Verkauf mehr!» – Dieses seits jene Interessenten und Kunden abzuholen, kontroverse Zitat aus unserer Befragung zu Trends und die im Umgang mit diesen neuen Technologien Herausforderungen in Marketing und Verkauf 2021 hat wenig versiert sind, und andererseits in einer in- uns ermutigt, nachfolgend aufzuzeigen, warum Marke- formationsüberladenen Umgebung die passen- ting und Verkauf in Zukunft keinesfalls an Relevanz ein- den Inhalte den richtigen Adressaten einfach und büssen, sondern sogar an Bedeutung gewinnen werden. verständlich zu vermitteln. Hierbei ist Kreativität Das Marketing und der Verkauf sind in Zeiten der andau- jenseits der gängigen Konventionen und bewähr- ernden Corona-Krise mehr denn je gefordert. ten Konzepte gefragt. Nachdem das Jahr 2020 unseren Alltag auf eine 2. Human Touch: das menschliche Art und Weise verändert hat, wie es wohl kaum Element in die digitale Customer jemand für möglich gehalten hätte, blicken wir Experience einbinden. umso gespannter in die Zukunft. Das Institut für Gerade der B2B-Bereich mit den oftmals erklä- Marketing an der Universität St. Gallen hat da- rungsbedürftigen Produkten leidet darunter, dass her Führungskräfte aus der DACH-Region in einer haptische Erlebnisse und physische Interaktionen Umfrage gebeten, ihre Einschätzung zu relevan- durch bestehende Abstandsregeln und Zurück- ten Veränderungen im Kundenverhalten sowie haltung seitens der Kunden kaum mehr umsetzbar Trends und Herausforderungen für das Marketing sind. Die digitale Customer Experience wird orches- und den Verkauf im Jahr 2021 abzugeben. Aus triert, indem neue Angebote, wie zum Beispiel. den 436 ausgefüllten Fragebögen wurde abge- virtuelle Showrooms, als Differenzierungsmerkmal leitet, wie diese Trends die Bereiche Marketing geschaffen werden. Jedoch ersetzen diese nach und Verkauf künftig beeinflussen werden. Daraus Einschätzung der Fachexperten nur bedingt das re- konnten, basierend auf den Veränderungen im ale Erlebnis, sodass sich ein Trend hin zu hybriden Kundenverhalten, sechs zentrale Trends identifi- Lösungen entwickelt. Nur wenn Digital und Ana- ziert werden, die das Marketing und den Verkauf log nicht mehr getrennt gedacht werden, kann vor neue Herausforderungen stellen. Im Folgen- eine durchgängige Customer Experience geschaf- den stellen wir Ihnen diese im Detail vor. fen werden. Auch wenn diese Erkenntnis keines- falls neu ist, zeigt die Corona-Krise den dringen- 1. Digital Turn: Die digitale Transformation den Handlungsbedarf bei hybriden Lösungen auf. ist beim individuellen Konsumenten angekommen. Mehr denn je werden jedoch menschliche Begeg- Der Begriff Digitalisierung ist längst in unserem täg- nungen in der real-digitalen Welt geschätzt. Die lichen Sprachgebrauch verankert. Neu ist jedoch, persönliche, vertrauensvolle Beziehung gewinnt mit welcher Geschwindigkeit Konsumenten ihr di- einen neuen Stellenwert, welchen sich Unterneh- gitales Verhalten ändern und neue Technologien men durch einen authentischen und menschlichen adaptieren. Die digitale Welt erhält nicht nur durch Umgang mit ihren Kunden erarbeiten können – Online-Shopping Einzug in unseren Alltag, sondern zum Beispiel, indem sie mit gezielten, massge- auch durch die digitale Kollaboration mit Kollegen, schneiderten Kommunikationsmassnahmen ange- Anbietern und anderen Konsumenten. Die Co-Cre- sprochen werden. ation wird durch neue Technologien wie zum Bei- spiel Videochats oder Virtual Reality gefördert. Studiendesign Datenerhebung: Die standardisierte Kurzbefragung wurde im Januar 2021 über ein Online-Formular an die Mitglieder des Swiss Marketing Panels und des Management Pools vom Institut für Marketing an der Universität St. Gallen (HSG) verschickt. Datenauswertung: Die Antworten der 436 Teilnehmer wurden mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet. 09
Marketingtrends und Herausforderungen 2021 3. Die neue Basis für effizientes und 4. Agility meets Ability: situative Reaktions- erfolgreiches Marketing: Automation, fähigkeit als Kernkompetenz moderner Content- und Data-driven-Marketing. Marketingmanager. Keine Verhaltensänderung hat sich in der Umfrage Doch nicht allein die Wahl der Kanäle ist wichtig, so deutlich abgezeichnet wie diese: Konsumen- vielmehr ist das schnelle Mitgehen auf richtigen ten greifen im Verlauf der gesamten Customer Kanälen im Marketing erfolgsentscheidend. Denn Journey, von der Informationsbeschaffung über Konsumenten planen und entscheiden gerade in den Kauf bis hin zur Bewertung von Produkten, der derzeitigen volatilen Wirtschaftslage immer auf digitale Kanäle und Lösungen zurück. Nach kurzfristiger, sodass zunehmend schnellere und Einschätzung der Führungskräfte wird diese Ent- flexiblere Reaktionen seitens des Marketings und wicklung andauern, sodass auch «digitale Neu- Verkaufs gefragt sind. Dadurch werden traditio- linge» sich vermehrt in einer Online-Umgebung nelle Denkmuster im Marketing und Verkauf auf aufhalten und selbst nach der Pandemie nicht das den Kopf gestellt. Silodenken wird aufgebrochen, vorherige Level an Offline-Aktivität erreicht wer- indem agile Teams, bestehend aus Produktentwick- den wird. lung, Marketing und Verkauf, funktionsübergrei- fend zusammenarbeiten, um schneller und flexibler Die zunehmende Digitalisierung in Verbindung auf Kundenbedürfnisse reagieren zu können. mit der negativen gesamtwirtschaftlichen Ent- wicklung erhöht den Druck auf das Marketing, Mitarbeitende müssen darin befähigt werden, sich effizient und kostenbewusst zu agieren. Die in situativ an die gegebene Situation anzupassen. der digitalen Informationsflut gewonnenen Daten Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Entschei- werden immer häufiger mit KI-gestützter Soft- dungsprozesse im Unternehmen beschleunigt und ware verarbeitet und tragen zu einer zunehmen- vereinfacht werden. den Automatisierung des Marketings bei. Folglich können noch gezielter Inhalte platziert werden, 5. Aufgeklärt und nachhaltig: bewussterer welche für die betreffende Zielgruppe relevant Konsum durch Rückbesinnung auf sich sind. Dadurch kann mit weniger Ressourcen er- selbst und die Umwelt. höhter Output und somit mehr Effizienz erreicht Bewusster Konsum hat viele Facetten. Allen voran werden. Gerade die Wahl des richtigen Kanals ist auch im Jahr 2021 das Kundenverhalten geprägt entscheidet jedoch darüber, wie effektiv eine von ökologischen Nachhaltigkeitsüberlegungen. Massnahme am Ende ist. So gewinnen beispiels- Entsprechend ist der Trend zu beobachten, dass weise Social Media bzgl. Videobotschaften und sich Konsumenten unabhängig und umfassend Storytelling für das Marketing an Bedeutung. Dies über die Herkunft und die Ökobilanz von Produk- ist nur ein Beispiel dafür, wie sich das Marketing ten informieren. Hinzu kommt, dass durch die Co- immer mehr von traditionellen Kanälen auf digi- rona-Krise eine zunehmende Rückbesinnung auf tale Kanäle verlagert. Folglich müssen Unterneh- sich selbst, das eigene Umfeld und das eigene Land men verstärkt in den Ausbau der Digitalkompe- stattgefunden hat, welche sich nicht zuletzt in ei- tenz ihrer Mitarbeitenden investieren. ner stärkeren Nachfrage nach regionalen Erzeug- nissen widerspiegelt. Bewusster Konsum bedeutet jedoch auch, dass Konsumenten stärker abwägen, bevor sie einen Kauf tätigen und weniger impuls- artig einkaufen. Damit einhergehend informieren Abb. 1 Trends in Marketing und Verkauf 2021; Quelle: Reinecke & Renner, 2021 10 | SWA-Jahresbericht 2020
sich Konsumenten umfassender online und suchen ten verlagern nicht nur ihr Berufs-, sondern auch den digitalen Austausch mit anderen Konsumenten ihr Freizeitleben zunehmend in die eigene Woh- über Meinungsplattformen und Social Media. nung oder das eigene Haus und ziehen sich ins Private zurück: Home Delivery statt selbst vor Ort Für Unternehmen ist es ein schmaler Grat zwischen einkaufen, Streaming statt Kino. Damit einherge- wirksamer Kommunikation ihrer Nachhaltigkeits- hend fliesst mehr Haushaltsbudget in die Gestal- bestrebungen nach aussen und dem Vorwurf des tung der unmittelbaren Umgebung. Greenwashings. Entscheidend ist daher, dass Un- ternehmen glaubwürdig ihre Tätigkeiten vermitteln Die Herausforderung für das Marketing besteht und transparent machen. Dies gilt für Produkti- darin, sowohl Neu- als auch Bestandskunden trotz onswege gleichermassen wie für den Umgang mit räumlicher Distanz in ihrer neuen Lebenswelt zu Kundendaten. Nur so können sie das Vertrauen ih- erreichen und ihre veränderten Bedürfnisse pass- rer Kunden bestätigen. genau anzusprechen. Und einmal mehr gewinnen in dieser Zeit jene Unternehmen, die flexibel auf 6. Cocooning: Zu-Hause-Sein ist das die sich wandelnden Kundenbedürfnisse reagieren neue Unterwegssein. und ihren Kunden einen echten Mehrwert bieten, Weniger Mobilität und Reisen, Angst vor Anste- der über das nackte Produkt hinausgeht. ckung – der anhaltende Trend zum Arbeiten von zu Hause aus und die eingeschränkten Freizeit- Letztlich werden Marketing und Verkauf in der zu- möglichkeiten führen zu einer neuen Wertschät- nehmend digitalen Welt keinesfalls irrelevant wer- zung der eigenen vier Wände. New Work ist kein den, sondern Organisationen müssen sich in ihren abstrakter Begriff mehr, sondern in Zeiten der kundenseitigen Aktivitäten neu erfinden und es Homeoffice-Pflicht zur täglichen Realität für rund wagen, über die gängigen funktionalen Grenzen die Hälfte aller Schweizer geworden. Konsumen- hinauszudenken. Zunehmende Online-Aktivitäten Virtuelle Kollaboration in Marketing und Verkauf (Digitale) Plattformen Neue Anforderungen Social Media Digitalisierung und Kooperationen an Mitarbeitende Messbarkeit Online vor Offline Simplicity Agility meets des Marketings Datenschutz Multichannel- Ability Data-driven- Einsatz neuer Integration Flexibilisierung Marketing Marketing- Technologien Verschiebung interner Prozesse effizienz Marketingkanäle New Work Marketing Content- Trends in Home Delivery Marketing Homeoffice Automation Nutzenorientierung Marketing und Neue Verkauf 2021 Serviceleistungen Stärkeres Cocooning Gesundheitsbewusstsein Aufgeklärter Digital Customer Reise- und Transparenz Erschwerter Konsument Experience Mobilitätsverhalten Bewusster Zugang zum Kunden Regionalität Konsum Authentizität und Co-Creation Nachhaltigkeit Human Touch Glaubwürdigkeit Relevanz der Gestiegene Kundenbeziehung Kundenbewertungen Sehnsucht nach Normalität Personalisierung Vertrauen Abb. 1 Prof. Dr. Sven Reinecke, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Marketing an der Universität St. Gallen (HSG) Susanna Renner, wissenschaftliche Mitarbeiterin 11
Wie wird das «New Normal»? Von Marcus Schögel, Mauro Gotsch, Severin Lienhard werden als auch die grundsätzliche Amplitude der Ausserordentliche Umstände haben das letzte Jahr ge- Veränderungen zunimmt. prägt. Nicht nur die Gesellschaft, die Politik und die Regie- rungen, sondern auch die Wirtschaft sah sich mit unvor- Fokussiert und zusammengefasst lassen sich die hergesehenen Veränderungen konfrontiert. Während die zentralen Dimensionen der zukünftigen Dynamik anrollenden Impfungen Hoffnungen auf ein baldiges Ende auf drei Treiber reduzieren (siehe Abb. 1). Sie stehen wecken, wird die Frage nach dem Aussehen der Welt nach in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis und dem Ende der Pandemie immer relevanter. Eins ist sicher; verstärken sich dabei gegenseitig. Zur leichteren Ein- dieses sogenannte New Normal wird nicht deckungsgleich ordnung haben wir die zentralen inhaltlichen The- mit der Zeit vor Covid-19 sein. men aus markt- und kundenorientierter Sicht in der Abbildung berücksichtigt. So wird deutlich, welche Mittels einer qualitativen Befragung von 25 Experten Treiber welche Themen- und Projektschwerpunkte untersuchten wir in den letzten Monaten die Per- nachhaltig beeinflussen werden. Beispielsweise wer- spektiven von Führungskräften aus Forschung, Mar- den Themen wie Climate Change, Privacy oder Arti- keting-Management und Unternehmensberatungen ficial Intelligence verbunden sein mit regulierenden auf die Zeit nach der eigentlichen Covid-19-Krise. Entwicklungen. Dagegen sind Customer Centricity Dabei wurde rasch deutlich, dass verschiedene Fak- oder Customer Understanding immer noch unabge- toren die Veränderungen im «New Normal» vo- schlossene Themen, denen die Digitalisierung eine rantreiben werden. So missverständlich der Begriff zusätzliche Dynamik verleiht. des «New Normal» auch ist, so sehr hat er sich be- reits etabliert. Unsere Ergebnisse legen aber nahe, Für Unternehmen wird die Gestaltung des «New dass mehr an «Neuem» auf uns zukommt, als das Normal» zweifelsohne anspruchsvoll. Die oft «Normale» dominieren wird. So gehen die Experten tiefgreifenden Veränderungen, welche durch die davon aus, dass wir sowohl mehr «Brüche» erleben Pandemie notwendig wurden, bieten aber auch Customer Last Best Frontline Centricity Experience Sales «Digital» «Regional» Life «Phygital» Communication Traditional Media Segmentation «New Normal» Brand Purpose Contactless New Work Customer Understanding Interactions Corporate Digital Responsibility Privacy Artificial Intelligence Climate Change «Legal» Abb. 1 Abb. 1 Die drei Trends des «New Normal» 12 | SWA-Jahresbericht 2020
das Potenzial einer Neuausrichtung auf bisher ver- Regional nachlässigte Themen. Es gilt, alte Strukturen aufzu- Der Lebensmittel-Online-Shop Farmy verdreifachte brechen und zukunftsgerichtet wiederaufzubauen, seinen Umsatz im Jahr 2020 und erzielte damit ei- um gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen. Eine nen neuen firmeninternen Rekord.7 Das Unterneh- Orientierung nach den aktuellen Megatrends ist men steht für regional und verantwortungsvoll her- dabei essenziell. gestellte Nahrungsmittel direkt «vom Produzenten nebenan».8 Digitalisierung Spätestens zu Beginn des ersten Lockdowns wur- Das Wachstum kann zum einen auf den allgemei- de klar, welche Unternehmen sich in den letzten nen Boom von E-Commerce-Anbietern während der Jahren tatsächlich mit der Digitalisierung auseinan- Corona-Pandemie zurückgeführt werden. Daneben dergesetzt hatten und welche Unternehmen das trug aber auch eine durch die Pandemie akzentu- Thema als Buzzword abgetan haben. Das Urteil: ierte Entwicklung massgeblich zum Wachstum bei: Viele Unternehmen sahen sich trotz jahrelanger der Wunsch der Kunden nach Regionalität. Eine Vorbereitung mit dramatischen Hürden konfron- Untersuchung der auf Nachhaltigkeit spezialisierten tiert – dezentrales Arbeiten, Verlust der physischen Organisation «Utopia» brachte bereits im April 2020 Präsenz und die allgemein gesteigerte Erwartung zutage, dass Regionalität durch die Pandemie stark von Konsumenten bezüglich Reaktionszeit. Es ist an Bedeutung gewinnt.9 Die Resultate der Umfra- gerade auch diese neue Erwartungshaltung der ge wurden wenige Monate später durch Verkaufs- Konsumenten, welche auch nach Corona den Er- zahlen in der Schweiz bestätigt. So hat die Migros folg am Markt diktieren wird.1 beispielsweise in der Region Ostschweiz 8% mehr regionale Produkte verkauft als in Vorjahren. Insbe- Dementsprechend werden nach der Krise vorallem sondere Sortimentsbereiche wie Molkerei, Blumen die Themen an Relevanz behalten, welche sich be- oder Früchte und Gemüse profitierten davon.10 reits zuvor als fordernd erwiesen haben. Die Dyna- mik digitaler Kommunikations- und Vertriebskanäle Diese Regionalisierung ist nicht nur für den Einzel- mit schwankenden Nutzerzahlen2, die Akquisition handel eine Chance, sondern bietet auch Produzen- von Unternehmenswissen in den Bereichen IT, Da- ten eine neue Möglichkeit, sich direkt für den Kun- tenschutz und Analytics3 und schliesslich die kun- den zu öffnen. So wuchs in der Pandemie die Anzahl denzentrierte Ausrichtung all dieser Bemühungen4. von Direktverkäufen von Bauernhöfen enorm. In den Spitzenmonaten von 2020 wurde bis zu vier Mal so Dabei wird die Unterscheidung in Off- und Online viel Umsatz generiert wie in früheren Jahren. Nach endgültig obsolet. Digitale Plattformen und direk- dem anfänglichen Boom hat sich das Wachstum te Kundenzugänge werden ihre Relevanz ausbau- auf geschätzt den doppelten Umsatz im Vergleich en können.5 Damit verstärkt sich der Druck auf zu den Vorjahren eingependelt. Es ist davon auszu- die traditionellen Handels- und Verkaufsformen gehen, dass dies die nächsten Jahre anhält.11 noch weiter. Wenngleich bisher immer wieder die Schwierigkeiten eines Omnichannel-Marketings Der Trend hin zu mehr Regionalität beschränkt sich hervorgehoben wurden, so werden gerade solche auch nicht nur auf den mitteleuropäischen Raum, vielseitigen Ansätze dann eine Notwendigkeit, die sondern scheint in vielen Märkten an Attraktivität Führungskräfte und Unternehmen massgeblich for- zu gewinnen. Eine kürzlich veröffentlichte Untersu- dern werden.6 chung der Unternehmensberatung McKinsey hebt 13
Wie wird das «New Normal»? hervor, dass für grosse Konsumgüterhersteller der möglich sind. Geht man davon aus, dass die He- Aufbau von lokalen Erfolgsmodellen zentral ist. rausforderungen des Klimawandels, der Digitalisie- Anstatt sich ausschliesslich auf globale «One size rung sowie des veränderten (disruptiven) Wettbe- fits all»-Modelle zu verlassen, sind lokale Ansätze werbs wohl kaum abnehmen werden, so werden mit lokalen Talenten die Erfolg versprechende Op- uns staatliche Lenkungsmassnahmen in Marketing, tion für die Zukunft.12 Auch jenseits der klassischen Kommunikation und Verkauf entsprechend stärker Konsumgütermärkte sind regionale Ansätze zu er- begleiten. Vor allem in den Industrienationen soll- kennen. So lancierte das Medienhaus CH Media te man sich vermehrt auf staatliche Eingriffe in drei 750 Gemeindeseiten im Januar 2021 in der gesam- Bereichen einstellen: Umwelt-, Markt- bzw. Wett- ten Schweiz. Auf diesen Seiten sind nicht nur jour- bewerbs- bzw. Datenschutzregulationen werden nalistische Inhalte, sondern auch Informationen der uns nachhaltig beschäftigen. Gemeinden oder lokalen Vereine zu finden.13 Die weitreichendsten Folgen werden die Krisenplä- Legal ne zur Abwendung des Klimawandels haben. Die Die Pandemie führte uns deutlich vor Augen, wel- EU hat bereits im Mai letzten Jahres verkündigt, che staatlichen Eingriffe in Ausnahmesituationen dass der Aufbauplan nach der Corona-Pandemie 14 | SWA-Jahresbericht 2020
mit vermehrten Investitionen in grüne Technolo- Literaturverzeichnis gien und strengeren Regulationen einhergehen 1 LaBerge, L., O’Toole, C., Schneider, J., and Smaje, K. wird.14 Gleichzeitig zeigte eine aktuelle Umfrage How COVID-19 has pushed companies over the zu den Umweltzielen des US-Präsidenten Biden, technology tipping point – and transformed business forever. McKinsey. McKinsey Survey (2020). dass die Mehrheit der Amerikaner «akzeptiert hat, 2 Shah, D., Rust, R. T., Parasuraman, A., Staelin, R., and dass der freie Markt alleine diese Probleme nicht Day, G. S. The Path to Customer Centricity (2006). lösen wird».15 3 Kayworth, T., et al. What is a Chief Privacy Officer? An Analysis Based on Mintzberg’s Taxonomy of Managerial Roles (2005). Die Pandemie eröffnete nicht nur einen Diskurs zu 4 Lee, J.-Y., and Day, G. S. Designing Customer-Centric Umweltschutz: Zu den Gewinnern der Pandemie Organization Structures: Toward the Fluid Marketing. gehörten Technologieunternehmen wie Amazon, In: Handbook on Customer Centricity – Strategies for Building a Customer-Centric Organization (eds. Google und Facebook.16 Das rasante Wachstum Palmatier, R. W., Moorman, C., and Lee, J.-Y., 2019). dieser datengetriebenen Unternehmen entflammte 5 Van Dijck, J., Nieborg, D., and Poell, T. Reframing die seit Jahren geführte Debatte über den Auf- platform power. Internet Policy Rev. 1–18 (2019). bruch von Monopolisten erneut. Mit dem neu ge- 6 Teixeira, G. A., da Silva, M. M., and Pereira, R. The Critical Success Factors of GDPR Implementation: wählten Kongress in den USA ist dies zum ersten a Systematic Literature Review (2020). Mal eine reale Chance.17 Auch in Europa greifen 7 Handel Heute. Farmy mit Umsatzrekord in 2020. die Wettbewerbsbehörden öfters ein – sei es, um Handel Heute (2021). 8 Farmy. About Us. Farmy (2021). die Marktmacht von Google zu untersuchen18 oder 9 Gebhard, M. Utopia-Studie: Corona-Krise stärkt die um Verdrängungswettbewerb einzudämmen – Relevanz von Nachhaltigkeit. Utopia (2020). siehe zum Beispiel Fußnote 19. Langsam, aber 10 Die Ostschweiz. Regionale Produkte im Trend. sicher werden alte Anliegen der «Corporate Social Die Ostschweiz (2020). Responsibility» mit dem Rückhalt der Bevölkerung 11 Mühlemann, S. Run auf Hofläden hält noch immer an. SRF (2020). ins Gesetz übertragen – vorausschauende Marke- 12 Kopka, U., Little, E., Moulton, J., Schmutzler, R., and teers sollten sich dementsprechend früher anstatt Simon, P. What got us here won’t get us there: A new später mit den möglichen Themen aus kommen- model for the consumer goods industry. McKinsey White Paper (2020). den Legislaturperioden auseinandersetzen. 13 Persönlich. Zeitungs-Newsportale sind nun kosten- pflichtig. Persönlich (2021). Zusammenfassend muss noch darauf hingewie- 14 European Commission. Europe’s moment: Repair and prepare for the next generation. EU Press Release sen werden, dass die geschilderten Entwicklungen (2020). nicht als Prognosen zu verstehen sind. Es han- 15 Schwartz, J. Climate Change Survey: Majority of Voters delt sich um einzelne Indikatoren, welche eine Support Initiatives – The New York Times. The New York Times (2021). bestimmte Richtung nahelegen. Es bleibt bei der 16 Graham, M. Google, Facebook, other online ad giants Tatsache, dass wir die Zukunft nicht vorhersagen will see blowout Q4: Analysts. CNBC (2021). können, uns aber auf zentrale Veränderungen vor- 17 Kang, C., and McCabe, D. House Lawmakers Condemn bereiten sollten. Oder wie der amerikanische Men- Big Tech’s ‘Monopoly Power’ and Urge Their Breakups – The New York Times (2020). schenrechtsaktivist Malcolm X sagte: «The future 18 Coulter, M. Google faces fresh antitrust probes in belongs to those who prepare for it today.» Europe over data and ads – Business Insider (2021). 19 Chee, F. Y. Qualcomm loses fight against EU antitrust regulators’ data demand. Reuters (2021). Prof. Dr. Marcus Schögel, Institut für Marketing an der Universität St. Gallen und Leiter des neukonzipierten Masters in Marketing Manage- ment, Mauro Gotsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marketing der Universität St. Gallen, Severin Lienhard, wissenschaft- licher Mitarbeiter am Institut für Marketing der Universität St. Gallen 15
New Normal in der Markenwelt Von Tina Beuchler Nestlé hat in seiner Kommunikation Die veränderten Lebensumstände zeigen auch frühzeitig auf die neuen Herausforderungen durch Corona Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten. Die Men- reagiert. Die Zusammenarbeit mit den einzelnen Märkten, schen kochen und essen mehr zu Hause. Sie kaufen Agenturen und Partnern wurde angepasst, Werbeetats auch mehr von zu Hause aus ein: Zahlreiche Untersu- und Inhalte der Botschaften wurden neu justiert. Das chungen belegen die durch die Krise wachsende Ziel: die Menschen weltweit in dieser schwierigen Zeit zu Akzeptanz des E-Commerce. Selbst ältere Ziel- unterstützen. gruppen, die bislang eher im Internet zurückhal- tend agierten, lernten in der Krise die Vorteile des Online-Shoppings zu schätzen, um auch während des Lockdowns alles Notwendige einkaufen zu können. Je nach Branche ergeben sich damit hohe Zuwachsraten. Während krisenbedingt die Online- Käufe in den Bereichen Touristik und Mode welt- weit sanken, nahmen sie beispielsweise im Bereich Lebensmittel oder Sportartikel deutlich zu.1 Auf alle diese Veränderungen hat Nestlé frühzei- tig und verantwortungsvoll reagiert. Als Hersteller zahlreicher Markenprodukte arbeiteten wir mit Hochdruck daran, die Versorgung sicherzustellen und gleichzeitig die Gesundheit aller Mitarbeiter zu schützen. Wir führten zusätzliche Sicherheits- Noch ist unklar, wie lange uns die Pandemie beglei- massnahmen in unseren Fabriken, Büros und Ver- ten wird. Allerdings steht fest, dass die Corona-Kri- triebszentren ein. Alle unsere Standorte wurden se Wirtschaft und Gesellschaft in vielen Punkten so ausgestattet, dass sie allen, die am Arbeitsplatz weltweit verändert hat. Viele Menschen stehen vor physisch anwesend sein müssen, die sichersten einer ungewissen Zukunft. Arbeitsbedingungen bieten. Wir ermutigten un- sere Büroangestellten, wann immer möglich von Auch das Verhalten der Menschen hat sich verän- zu Hause aus zu arbeiten und vorhandene Tech- dert. Sie halten Abstand voneinander, üben sich in nologien und virtuelle Kommunikationskanäle zu Rücksicht und tragen Schutzmasken. Und sie nut- nutzen. Mit unseren Lieferketten-, Vertriebs- und zen Medien anders. So ist zum Beispiel die Nut- Einzelhandelspartnern vereinbarten wir geeignete zung der Online-Medien stark angestiegen, was Schutzmassnahmen, um die Nachfrage nach unse- eng mit den weltweiten Ausgangsbeschränkungen ren Produkten bewältigen zu können. Unser Ver- in Zusammenhang steht. Die Menschen verbrin- sprechen an unsere Kunden lautete: Wir arbeiten gen mehr Zeit auf Social Media und pflegen ihre unermüdlich daran, die weltweite Versorgung mit Kontakte über Nachrichtendienste und Video Con- unseren Produkten zu sichern. ferencing. Streaminganbieter berichten von hohen Abrufzahlen, aber auch die klassischen Fernseh- Auch für die Media- und Marketingkommunika- sender oder die Computerspiel-Branche profitieren tion haben wir für alle unsere Märkte frühzeitig von der Tatsache, dass die Menschen viel mehr Zeit Guidelines erstellt, um für die neuen Herausforde- zu Hause verbringen als noch einige Monate zuvor. rungen global bestens aufgestellt zu sein. Das betraf 1 Quelle: ContentSquare, Oktober 2020. 16 | SWA-Jahresbericht 2020
beispielsweise die Fragen, in welche Werbemedien lung schon länger. Seit Jahren bemühen wir uns, wir investieren sollten, wie wir die Zusammenar- die Kundenkontakte zu personalisieren, und nutzen beit mit unseren Agenturen und Partnern weiterhin dazu von Jahr zu Jahr mehr digitale Kanäle, darunter reibungslos abwickeln können und wie wir unsere Digital Video, Social Media, Connected TV oder Di- ohnehin hohen Anforderungen an Brand Safety un- gital Audio. Deutlich wird dies an der Verschiebung ter diesen erschwerten Bedingungen gewährleisten unserer Werbeetats. So lag unser Digital Media können. Denn: Gerade in schwierigen Zeiten wie Share, gemessen an den gesamten Werbeausgaben einer Pandemie müssen wir den Verbrauchern zei- in 2019 bei 41%. 2020 sind wir weltweit gerechnet gen, dass wir mit unseren rund 2’000 Marken zu bei einem Anteil von 47% angekommen. ihnen stehen und unsere Produktversprechen auch in Krisenzeiten einlösen. Nicht nur das. Unser Anlie- Auch die Inhalte der Kommunikation haben wir an gen war es auch, mit unseren Kunden zu kommu- die veränderte Wirklichkeit angepasst. Die unsicheren nizieren, ihre Sorgen zu verstehen und ihnen – wo Umstände, die Sorge um die Gesundheit der Men- immer möglich – den Alltag zu erleichtern: mit pas- schen verlangten weltweit eine einfühlsame Anspra- senden Produkten, hilfreichem Content, wie zum che. Die Marken von Nestlé, so die Botschaft, unter- Beispiel Rezeptvorschlägen für das tägliche Kochen stützen die Menschen auf ihrem Weg durch die Krise. zu Hause, und relevanten Botschaften. Die grossen Herausforderungen im Bereich Media Unsere Guiding-Principles lassen sich am besten und Marketing konnten wir nur bewältigen, indem unter dem Motto «CARES» zusammenfassen, wo- wir die Kommunikation der Märkte untereinander bei jeder Grossbuchstabe einen wesentlichen Be- und mit unseren Partnern intensivierten. Denn in reich bezeichnet: Collaborative, Agile, Realistic, Em- vielen Märkten nahm die Krise einen unterschied- pathic and Selective. Damit wird unser Vorhaben lichen Verlauf, womit Inhalte und Spendings indi- beschrieben, eng mit allen unseren Stakeholdern viduell angepasst werden mussten. Das erforderte und Kunden zusammenzuarbeiten, jederzeit flexi- eine neue Agilität, die durch die Tatsache nicht bel auf veränderte Marktsituationen eingehen zu leichter wurde, dass unsere Mitarbeiter weltweit können, in der Mediakommunikation authentisch aus dem Homeoffice agierten. Statt persönlicher zu agieren, den Menschen empathisch zu begeg- Meetings wurden die Absprachen auf Mails und nen und unsere Werbeausgaben auf jene Kanäle virtuelle Konferenzen verlagert – mit allen Konse- zu konzentrieren, die für unsere Kunden aktuell die quenzen. Da bei Nestlé auf Geschäftsreisen frühzei- höchste Relevanz besitzen. tig verzichtet wurde, müssen Mitarbeiter schon mal mitten in der Nacht aufstehen, um an einem Pitch Das bedeutet: Wir folgen unseren Kunden zu den in Asien oder den USA per Videokonferenz teilneh- Medien, die sie während der Corona-Krise auch men zu können. Insgesamt hat sich das bereits im intensiv nutzen, in Richtung Online. Die Prognose Jahr 2018 etablierte «Nestlé Global Media Council», zu den weltweiten Werbeausgaben von Zenith Me- unser internes Media-Communication-Leadership- dia skizziert diese Wanderbewegung anschaulich. Netzwerk mit den grössten Ländern, bewährt, das Danach sanken im Jahr 2020 die Ad Spendings für wir inzwischen auf virtuell umgestellt haben. klassische Medienkanäle wie Fernsehen, Radio, Print, Out of Home und Kino. Im Gegenzug stiegen Jetzt stellt sich die Frage, was von den Verände- die Investitionen in digitale Kanäle weltweit (plus rungen Bestand hat, wenn die Pandemie bewältigt 1,4%). Bei Nestlé begleiteten wir diese Entwick- ist. Wie sieht das New Normal in Marketing und 17
New Normal in der Markenwelt Kommunikation aus, wenn Gesellschaft und Wirt- anderem Creative/Content, Data, Procurement, schaft wieder in einen geregelten Alltag übergehen Marktforschung, Sustainability, globale und län- und niemand mehr eine Ansteckung fürchten muss? derspezifische Media- und Digitalabteilungen) und mit unseren Marktpartnern weiter aus. Für 2021 ha- Die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, werden viele ben wir uns sehr viel vorgenommen, unter anderem Unternehmen beibehalten, darüber wurde inzwi- die weltweite Einführung eines überarbeiteten Mar- schen intensiv diskutiert. Auch über die Vermutung, ketingframeworks «Brand Building the Nestlé Way» dass Geschäftsreisen noch lange durch virtuelle Version 4.0. Meetings substituiert werden. Es ist auch unwahr- scheinlich, dass sich der Medienkonsum wieder auf Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Wer- alte Gewohnheiten zurückverlagert. Zwar werden bungtreibenden ihre Kampagnen intensiver tra- Kinos wieder öffnen und die wachsende Mobi- cken, denn bei vielen hat die Krise zu einer Kürzung lität in den Städten wird dafür sorgen, dass der der Etats geführt, weshalb die Anforderungen an Out-of-Home-Bereich wieder zunehmend gefragt die Performance der Kampagnen zunehmen wer- werden wird. Doch letztendlich wird Corona der den. Und die Inhalte: Auch hier zeigen Studien, dass Digitalisierung der Medienlandschaft einen Schub viele Verbraucher nachdenklicher geworden sind. verleihen. Ältere Zielgruppen haben zwischenzeit- Ihr Konsum wird künftig vermehrt von Nachhaltig- lich die Vorteile der digitalen Kommunikation ent- keitsaspekten geprägt sein. Diese Veränderungen deckt und werden sie nicht wieder aufgeben. Das werden wir mit unseren Produkten und in unseren Gleiche gilt für E-Commerce. Mit Sicherheit wird Werbebotschaften noch stärker aufgreifen. Und der stationäre Handel einen Teil seiner verlorenen nicht zuletzt: In einigen europäischen Ländern ha- Umsätze zurückerobern, aber eben nicht alle. Viele ben im Bereich der Konsumgüterindustrie Marken- Verbraucher haben sich an den Komfort einer On- produkte Marktanteile gewonnen, kleine, unbe- line-Bestellung gewöhnt und werden diesen nicht kanntere oder Handelsmarken hingegen verloren. mehr missen wollen. Die Menschen sind mit den Produkten seit Jahren vertraut und schätzen ihre Qualität, gleichzeitig hat Damit wird sich auch der Werbemarkt verändern. die Krise die Bereitschaft zu Experimenten mit un- Zenith prognostiziert für das laufende Jahr 2021 sicherem Ausgang gedämpft – auch das ein Trend, ein weltweites Wachstum der Werbeausgaben um der sich 2021 verstärken könnte. 5,6%. Davon werden vor allem digitale Kanäle pro- fitieren. Damit wird der Anteil an programmatisch Das New Normal wird aber nicht nur durch Ent- ausgesteuerten und personalisierten Kampagnen wicklungen geprägt sein, die durch Corona aus- steigen, weshalb es für viele Unternehmen wichtig gelöst wurden. Sondern auch durch Herausforde- werden wird, entsprechende Expertise inhouse auf- rungen, mit denen sich unsere Branche ohnehin zubauen. Bei Nestlé stärken wir zum Beispiel unsere hätte auseinandersetzen müssen. Eine der grössten Ad Operations (unter anderem Naming Convention, dürfte die «cookielose» Werbewelt sein, die auf Ad Verification), forcieren die Bereiche Data & uns zukommt und für die wir Alternativen finden Audience Technologie, Search und Digital Media müssen. Denn sie darf nicht dazu führen, dass die Acceleration, erhöhen das Controlling und inten- Performance unserer Kampagnen abnimmt oder sivieren unser Agenturmanagement sowie unsere dass sich die Machtverhältnisse zugunsten grosser digitalen Partnerschaften. Wir bauen unsere Zu- Marktplayer weiter verschieben werden. Aber auch sammenarbeit zwischen den internen Teams (unter dieses Problem werden wir angehen und lösen. Tina Beuchler, Global Head of Media & Agency Operations, Société des Produits Nestlé S.A. 18 | SWA-Jahresbericht 2020
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