Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
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MAGAZIN FÜR UNNA Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt März – April – Mai 2023 Nr. 110 FRÜHLINGSZEIT AUSSERDEM IN DIESER AUSGABE: IN SACHEN EHRENAMT • REISEERLEBNISSE MAN NEHME ... • MIT DER ZEIT GEHEN
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Editorial 2 Inhalt Liebe Leserin, lieber Leser! 3 Ohne Rollator oder Stock Um es gleich vorwegzunehmen: Wir sind zum Beuteschema kein „Herzblatt“, sondern das HERBST-Blatt, 4 Karneval in Unna ein gern gelesenes Unnaer Magazin. Wir fol- 5 Quo vadis, Ehrenamt? gen dem Prinzip, all unsere Beiträge selbst 6 Fastenzeit – Osterzeit zu erstellen und mit „viel Herz“ zu Papier zu 8 Die Kastanie vor dem Fässchen bringen. 9 Die Burg von Unna Sagt man den Herzblättern häufig nach, ihre 10 Das ist doch ganz einfach Geschichten seien bloß erfunden, so finden 11 April, April! Sie bei uns durchweg authentische Berichte. 12 Ein paar verlorene Schuhe … Also solche, die das Leben wirklich geschrie- 13 Wir machen Musik ben hat. Dabei soll, soweit möglich, das 14 Leben – erleben selbst Erlebte im Vordergrund stehen. Gestern – heute – morgen Wir kennen sie alle, diese in Arztpraxen oder 16 Man nehme …! Praktisches Kochbuch beim Friseur ausliegenden Produkte der Re- 18 Das Abendmahlsfenster in Soest genbogenpresse. Auf der Titelseite kann man 19 Holland-Hilfe schon mal folgende reißerische Überschrift 20 Nicht geflogen … und trotzdem lesen: „Prinzessin So-und-So zum zweiten gut „gelandet“ Mal schwanger – Fotobeweis“. Nur weiß die 22 Das bekannteste Westfalenlied angeblich schwanger gewordene Prinzessin 24 Mit der Zeit gehen selber noch nichts davon. In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 31.07.2022 wurde dies als Show-Schabernack Impressum bezeichnet. Herausgeberin: Kreisstadt Unna Wir bleiben uns treu, folgen nur den uns zu- Hertinger Straße 12, 59423 Unna grundeliegenden Interessen. Genießen Sie da- Internet: www.unna.de, Suchbegriff: herbstblatt rum auch diese Ausgabe wieder mit Freude. V.i.S.d.P: Dr. Bärbel Beutner Weiterhin werden wir darum bemüht sein, Internet: Marc Christopher Krug Ihnen erfreuliche Beiträge zu bieten. Bei allen Redaktion: Andrea Irslinger, Bärbel Beutner, derzeitigen Krisenerscheinungen in der Welt Benigna Blaß, Brigitte Paschedag, Franz Wiemann, Hans Borghoff, wollen wir dazu beitragen, wenigstens einen Klaus W. Busse, Klaus Thorwarth, Funken Hoffnung zu verbreiten. Wir verbin- Reinhild Giese den das gerne mit einem lieben Ostergruß. Seniorenarbeit Kreisstadt Unna: Linda Brümmer Für die Redaktion Tel.: 02303/103-687 Franz Wiemann Postanschrift: Rathausplatz 1, 59423 Unna Titelfoto: Franz Wiemann – Werse Gestaltung: Andrea Irslinger Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang Auflage: 2000 Das nächste mit der Nr. 111 erscheint im Juni 2023! Foto: Franz Wiemann
3 Unterwegs Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt Ohne Rollator oder Stock zum Beuteschema - von Hans Borghoff - Um an den Weihnachtstagen und dem Jah- mir an, mich in ein Gespräch zu verwickeln. reswechsel nicht alleine zu sein, entschloss „Was konnte die reden!“ Eine waschechte ich mich kurzfristig in die Türkei zu fliegen. Berlinerin! Sie redete ohne Punkt und Kom- Ein Fünf-Sterne-Hotel, all inklusive, wurde ma. Nun erfuhr ich, dass sie mit ihrem Mann am Mittwoch, 14.12. im Reisebüro des Ver- zum Überwintern von Anfang Dezember bis trauens gebucht. Und der Urlaub sollte am Ende Februar im Hotel war. Es war ihr dritter Montag, 19.12. in Düsseldorf starten. Das Mann. Diesen, ich habe dann darauf geach- Flugzeug hob pünktlich ab. tet, denn was würde er zu mir vielleicht sa- Da ich so kurzfristig gebucht hatte, war ich gen, sah ich nur zu den Mahlzeiten. Ansonsten der einzige Gast beim Transfer für das Hotel wäre er nur im Zimmer oder auf dem Balkon, in Side. Nach der Anmeldung im Hotel das sagte seine Frau. Später habe ich mir ge- Zimmer belegt, ausgepackt und dann Auf- dacht: Da erholt er sich wohl von seiner Frau. bruch zur Erkundung der Hotelanlage. Da- Denn selbst bei den Mahlzeiten wechselten nach habe ich mich in die Lobby gesetzt. die beiden kaum ein Wort miteinander. War ich am Strand, war die Berlinerin kurz darauf ebenfalls da. Ging ich zum Dartspiel, tauchte sie kurz darauf auch auf. Unter die- sen Umständen war ich wirklich nicht allei- ne. Aber angenehm war es nicht. Die Krone der Rederei dieser Frau war ihr Spruch, ich zitiere: „Wenn icke nich verheiratet wäre, du passt in mein Beuteschema.“ Habe mich zu den Mahlzeiten an einen Tisch für zwei Per- sonen gesetzt. Ein Kellner hat gegen ein Trinkgeld das andere Besteck dann gleich abgeräumt. Es stellte sich später heraus, alle Nach gefühlten 20 Minuten setzte sich eine anderen allein reisenden Männer im Hotel Frau zu mir und sprach mich an. Sie hätte waren an einen Gehstock oder Rollator ge- festgestellt, ich wäre ein allein reisender bunden oder sonstwie gehbehindert. Da ich Mann. Sie wäre auch alleine, Witwe und hät- ein „leidenschaftlicher“ Tanzmuffel bin, ich te etwas gegen das Alleinsein. Zum Glück kann nicht tanzen, erlahmte das Interesse an rettete mich das Abendbuffet. meiner Person mit der Zeit. Der positive As- Am anderen Tag legte ich mich am Pool auf pekt: Ich wurde noch wahrgenommen. eine Liege. Rechts von mir ein Ehepaar, links Mit dem Ehepaar, welches am ersten Tag von mir legte etwas später ein ebenfalls Al- rechts von mir am Pool lag, habe ich abends leinreisender mit Rollator sein Tuch auf die Karten und andere Spiele gespielt. Sie wer- Liege. Dann ging er wohl zum späten Früh- den es erraten, liebe Leser*innen: Wer klink- stück. Kaum war er weg, kam eine andere te sich sofort ein? Frau und fragte mich, ob das Tuch von mei- Es war schön in der Türkei, immerhin war ner Frau sei. Ich verneinte. Sie nahm das schönes Wetter: 24 bis 27 Grad! Nicht ein Tuch und legte es auf die nächste Liege und Regentag. Das Wasser im Pool hatte wie im legte sich neben mich. Nach einigen Minuten Meer 19 Grad. Das Wasser im Hallenbad so- kam der Mann zurück, stutzte, legte sich gar 23 Grad. Nun hat mich Unna wieder und dann ohne Kommentar auf die Liege mit sei- – endlich – kehrte für mich Ruhe ein. nem Tuch. Wenig später fing die Frau neben Foto: Hans Borghoff
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 (5.) Jahreszeit 4 Karneval in Unna - von Hans Borghoff - Über Karneval ist in den frühen Jahren nichts club Unna“, der „Schuhmacher-Fachverein“, bekannt. Erst als es im Jahr 1845 in Unna der „Landwirtschaftliche Verein des Kreises“ eine Zeitung gab, gibt es Berichte über Kar- und der „Hellweger Knappenverein“. So neval in Unna. auch die beiden Tanzlehrer Osterbrauck und Erster überlieferter „Fastnachtsball mit Abend- Eichmann. Später gesellte sich dazu der „Un- essen“ fand am 21. Februar 1846 beim Wirt naer Schützenverein“, der mit einem ganzen Timmermann in der Flügelstraße statt. Bataillon ausrückte, dazu: Ein „Plasterkasten Der Pächter des Königsborner Kurbades, der wird zur Stelle sein“. Wirt A. Bloem, veranstaltete ab dem Jahr Bei der „Bürgergesellschaft“ gab es sogar 1849 regelmäßige „Unnaer Fastnachtsbälle Damensitzungen mit dem folgendem Spruch: am Soolbad“. Vorher gab es sporadische „Als bekanntes Zugmittel, von vielen Verei- Veranstaltungen. In der gezeigten Annonce nen erprobt, geben auch wir an allen unseren waren es nur Freunde und Bekannte, die sich Sitzungsabenden Freibier, wovon jeder trinken da trafen. darf, so lange ein anderer für ihn berappt.“ Die Zahl der geselligen Vereine wuchs in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Zu nennen sind z. B. die „Bürgergesellschaft zu Unna“ und die „Erholung“. Ihre Feste, das „Carnevalistische Fastnachts-Kränz- chen“ und andere Feste waren die er- sten Karnevalshöhepunkte in unserer Stadt. Am 2. März 1867 hatte das „Car- nevalistische Fastnachts-Kränzchen“ der Gesellschaft „Erholung“ folgen- des Programm: 1. Anrede des Prin- zen an seine Gesellschaft, 2. Der So- lotänzer, Posse mit Gesang, 3. Berg- A. Bloem, der Pächter des Königsborner Kurbades (Soolbad) hatte mannslied, 4. Der Fliegenfänger, So- diese Annonce im HA (01.03.1848) mehrere Male drucken lassen. loscherz, 5. Ständchen, 6. Gesangs- Bemerkenswert ist das Angebot bei schlechtem Wetter. posse. Anschließend wurde von 24 Zu dieser Zeit gab es noch Busse, die von Pferden gezogen wurden. Personen in Kostümen eine Quadrille getanzt. Im Jahr 1889 gab es zum ersten Mal einen Einen Tag später veranstaltete die „Unnaer Karnevals-Maskenzug durch die Straßen von Bürgergesellschaft“ einen Maskenball. Unna, vom Markt über die Bahnhofstraße, Das Faschingsangebot erweiterte sich in den Schäferstraße, Massener Straße bis zum Lo- folgenden Jahren. So brachte es die „Bür- kal von Franz Knieben an der Hertinger Stra- gergesellschaft“ bald auf fünf Sitzungen. ße. Immer mehr Vereine wollten an diesem när- Die „Bürgergesellschaft“ brachte im Jahr rischen Treiben teilhaben. So der „Handwer- 1891 zu diesem Anlass sogar eine eigene ker-Gesellenverein“, die „Vereinigten Hand- Zeitung mit dem Namen „Fastnachts-Zeitung werker“, die „Vereinigten Bürstenmacher“, der Bürger-Gesellschaft Unna“ heraus. Es der „Männergesangverein Unna“, der katho- konnten darin Texte und Anzeigen geschaltet lische Gesangverein „Caecilia“, der „Turn- werden. Sie waren „kostenfrei und unbezahl-
5 Aufruf Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt bar“ und nahmen Unnaer Familien, Persön- „Fidelio“. Beide Vereine verschwanden aber lichkeiten und lokale Ereignisse „aufs Korn“. sang- und klanglos, was die alten Vereine 1904 gründete sich in Unna die „Carneva- wiederum stärkte. listische Gesellschaft Rheinland“. Vier Jahre Quelle: Stadtarchiv Unna, Foto: pixabay.de später gründete sich der Carneval-Verein Quo vadis, Ehrenamt? - von Klaus W. Busse - Die Diskussion über ehrenamtliche Tä- Jeden Freitagnachmittag gibt es dort üb- tigkeit nimmt, von der Stadt anger egt, rigens Kaffee und ein Stück Kuchen gra- jetzt wieder Fahrt auf. Erfreulich ist, dass tis für Inhaber der Ehrenamtskarte NRW der Diskussion über die ehrenamtliche (erhältlich auch über die VHS). Näheres Tätigkeit nun wieder mehr Raum gege- dazu können Sie im Fässchen selber oder ben wird, nachdem zur Zeit der Corona- im Aushang am Eingang erfahren. Pandemie die Gesellschaft ziemlich stark Vielleicht ist Ihnen nicht bekannt, dass aus den Fugen geraten ist. das in der Gastronomie des Fässchens Vornehmlich waren, neben den Schulkin- tätige Personal den Service weitgehend dern, auch die Senioren von Einschrän- ehrenamtlich versieht. Freiwillige Mitar- kungen betroffen. Lernen, in Muße ver- beiter werden – nach eingehender Bera- weilen, Spiele machen und Fahrten zu pla- tung – gerne eingestellt. nen, dafür war schon seit den 80er Jahren Die Herbst-Blatt-Redaktion wiederum der Seniorentreff „Das Fässchen“ ein be- unterstützt deshalb die Aktivitäten mit liebter Treffpunkt. Das hat nun ein Ende. folgendem Aufruf: „Träumen auch Sie von Behaglichkeit und gemütlicher Atmosphäre, von lebenswerter Gemütlichkeit in einer ungestörten Gemeinschaft? Wo man nicht nur aktiv sein kann und auf ein Treffen mit Gleichgesinnten warten kann? Ein Ort, wo es einfach schön ist, wo sich auch Ihr Einsatz lohnt, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden ? Wir freuen uns auf Sie …“ Foto: Hans Borghoff
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Jahreszeiten 6 Fastenzeit – Osterzeit - von Bärbel Beutner- Unser Herbstblatt erscheint im März, und wie Torte und Eis waren tabu (Eis gab es das ist im Jahr 2023 der christliche Fasten- sowieso erst wieder im Sommer). Feste wa- monat. Karneval fällt auf den 20./21. Febru- ren zu vermeiden, auf Vergnügungen wie ar, nach Rosenmontag und Fastnachtsdiens- Kino, Theater, Zirkus sollte man verzich- tag kommt der Aschermittwoch, und dann ten. Zusätzlich sollte sich jeder noch ein beginnt (begann) die Fastenzeit bis zum persönliches „Fastenopfer“ überlegen; für Sonnabend vor Ostern. So war es jedenfalls Kinder konnte das bedeuten, dass sie in der früher. Man sollte sich so auf das Osterfest Fastenzeit mit einem Lieblingsspielzeug vorbereiten, mit der Zeit der Buße und des nicht spielten, denn „wir sollen uns abtö- Verzichts. Die Fastenzeit vor Ostern fällt in unseren Breiten in eine Zeit, in der die Winter- vorräte früher allmählich zur Neige gingen. Da war das Fasten naheliegend, denn es wuchs draußen noch nichts. In unserer Welt heute ist zu jeder Jahreszeit alles zu ha- ben. In unserem Schlaraf- fenland gibt es Sommer wie Winter Obst und Feldfrüch- te, Fleisch und hundert Brotsorten, Zuckerwaren und Delikatessen aller Art – wenn man das nötige Klein- geld hat. Ende August kann man bereits Lebkuchen, Zimtsterne und Do- ten“, wie eine Schülerin brav in der minosteine kaufen, und gleich nach Neujahr „Christenlehre“ zitierte. erscheinen die ersten Schoko-Hasen und Diese Vorschriften wurden 1966 nach dem Eier aus Krokant und Marzipan. Kein Fest Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) wird in Ruhe abgewartet. durch eine neue „Bußordnung“ geändert. Das war nicht immer so. In unserer Kind- Aber das Fasten gibt es in allen Religionen heit wurden Süßigkeiten frühestens vom Ni- und Kulturen. Allein der Brockhaus füllt kolaus gebracht, und vor Ostern gab es eine zwei Spalten mit diesem Thema. Fasten richtige Fastenzeit. In den 50er und 60er dient der inneren Reinigung, der Versöh- Jahren wurden in den katholischen Kirchen nung mit dem zornigen Gott, der Begeg- die Fastengebote verlesen. Erwachsene soll- nung mit dem göttlichen Geist in der Eksta- ten nur einmal täglich eine sättigende Mahl- se, es gehört zu bestimmten Ritualen und zeit zu sich nehmen, ansonsten nur kleine Feiertagen. In unserer offenen Gesellschaft Stärkungen. Fleischgenuss war drastisch erleben alle den islamischen Ramadan mit einzuschränken. Auf Tabak, Alkohol, Boh- und begehen das Fastenbrechen oft gemein- nenkaffee sollten die Erwachsenen verzich- sam. Die Vorschrift, im Ramadan von Son- ten, die Kinder auf Süßigkeiten. Genüsse nenaufgang bis Sonnenuntergang streng
7 Jahreszeiten Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt ren nun etwas Glanzvolles, das Belohnungs- system im Gehirn lief auf Hochtouren. Doch auch heute besinnen sich die Men- schen wieder auf die Fastenzeit. „Sieben Wochen ohne“, heißt die Losung. Da gibt es eine große Auswahl. Es müssen nicht Nah- rung und Genussmittel sein. Unser Herbst- Blatt-Team besichtigte eine Kirche, in der die schönste Sehenswürdigkeit, der pracht- volle Altar, in der Fastenzeit verhüllt war, „Fasten mit den Augen“. Starke Naturen lassen sieben Wochen das Auto stehen, schalten den Fernseher ab oder verzichten sogar – wenn es im Alltag möglich ist – auf das Smartphone. Warum? Der Mensch will wissen, was er schaffen und durchhalten kann. Er will aus- testen, wie weit er von irgendetwas unab- hängig werden kann. Letztlich geht es ihm um seinen freien Willen, um seine Freiheit. zu fasten, nüchtern zu bleiben, dann aber Interessant zu beobachten, dass er sich gera- ein üppiges gemeinsames Mahl zu halten, de dann freiwillig etwas auferlegt, wenn die scheint menschlicher als die siebenwöchige Vorschriften gelockert oder sogar abge- Askese im Christentum. Kinder ab acht Jah- schafft werden. ren, die gerade anfangen zu fasten, erhalten Am Ende der kirchlichen Fastenzeit steht besondere Zuwendung. Man geht mit ihnen das Osterfest, ein uraltes Frühlingsfest, das in die Stadt oder in den Zoo, sie bekommen ebenso wie die Wintersonnenwende im De- kleine Geschenke, um sie abzulenken und zember schon bei den Germanen und bei ihnen die Stunden des Hungerns zu erleich- den Römern gefeiert wurde. tern. Bei Einbruch der Dunkelheit werden Fotos: Andrea Irslinger, pixabay.de, sie mit Spezialitäten der orientalischen Kon- Radka Schöne/pixelio.de fekt-Tradition belohnt. Auch der höchste jüdische Feiertag, das Versöhnungsfest Jom Kippur, gehört wieder zu unserem Jahresrhythmus, mit einem strengen 24stündigen Fasten. Was bewegt die Menschen, sich im Verzicht zu üben und sich Opfer aufzuerlegen? Als Vorbereitung zu den großen Festen – die Adventszeit war früher ebenfalls eine Buß- und Fastenzeit – erhöhte sich dadurch die Freude des Feierns. Nach der Zeit des Verzichts ließ es sich mit gutem Gewis- sen schwelgen, die entbehrten Genüsse wa-
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Lokales 8 Die Kastanie vor dem Fässchen - von Benigna Blaß - Vor dem Senioren-Treff (Fässchen) am Kas- ration stammen, die keine Krankheiten be- tanienbrunnen stand eine schöne große Kas- kommen soll. Wir standen dabei und wun- tanie. Im Herbst 2012 fegte ein heftiger derten uns, wie schnell das ging. Sie bekam Sturm durch Unna, entwurzelte viele Bäume, ihr erstes Wasser und wir alle ein Gläschen und auch die Kastanie brach ab. Wir, die Au- Sekt. So eine interessante Pflanzaktion ha- toren des Herbst-Blattes, waren sehr traurig ben die Stadtgärtner noch nie erlebt. und baten die Stadt eine neue zu pflanzen, Nun machten wir es zu unserer Aufgabe, sie doch die Geldquellen des Gartenbauamtes wachsen zu lassen. Jeden Mittwoch, wenn ließen es nicht zu. Wir wollten aber unbe- wir uns trafen, bekam sie zwei Gießkannen dingt, dass hier wieder eine Kastanie steht. Wasser. Die Kastanie wuchs gut an, im ers- Jeder von uns schaute in seine Geldbörse und ten Jahr bekam sie ihre einzige erste Blüte. rückte etwas heraus. Es kam eine beträchtli- Nun steht sie da und wächst und wächst und che Menge zusammen. blüht jedes Jahr und macht nicht nur uns, Der Rat der Stadt war sehr erfreut. Bald sondern vielen Menschen Freude. rückten die Stadtgärtner an und pflanzten un- In der Hertingerstraße sind in jüngster Zeit sere Kastanie. Sie soll aus einer neuen Gene- viele Bäume gefällt worden. Wir, die Auto- ren des Herbst-Blattes, sind froh, dass unse- re Kastanie bleiben durfte. Auch die Stra- ßenbauarbeiter haben sie bei der Verlegung der neuen Pflastersteine sehr pfleglich be- handelt; ihr ist nichts geschehen. Die Pflanzung Die Kastanie heute Dafür möchten wir uns herzlich bedanken. Wir werden unsere Kastanie wie immer gut bewässern. Es wäre schön, wenn auch andere Men- schen die jungen Bäume pflegen würden. Erste Blüte Fotos: Benigna Blaß
9 Lokales Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt Die Burg von Unna - von Klaus Thorwarth - „Was?“, fragte ein Mann bei der Gästefüh- Während die Namen zahlreicher Ortschaften rung, als er vor dem nach 1945 glatt verputz- in unserer Region schon früher beurkundet ten Burgturm stand. „Was soll das hier Be- wurden, erhielt Unna die Stadtrechte ver- sonderes sein?“ Und er staunte nicht schlecht, mutlich erst nach 1288. Im Jahr 1405 als der Gästeführer erklärte: „Der Turm ist schenkte der Graf die Burg seinem Neffen, das älteste fertiggestellte Gebäude unserer dem Ritter von der Recke. Dieser musste das Stadt.“ Gebäude bei Bedarf für den Grafen frei hal- Um 1380 wurde er innerhalb der Stadtmau- ten, so ist es bei Willy Timm nachzulesen. ern vom Grafen Engelbert III von der Mark Der Turm mit seinen unteren drei Geschos- errichtet. Damit wurde er 187 Jahre früher sen sowie die Außenmauern des Langhauses vollendet als die Stadtkirche. Deren Neuer- stammen noch aus der Zeit der Erbauung. richtung im gotischen Baustil begann nach Weitere Veränderungen der Innenräume sind Jodocus Mattencloidt im Jahr 1322. Das Jahr heute nicht mehr erkennbar, sind aber von der Fertigstellung dieser wunderbaren Kirche Thomas Spohn ausführlich beschrieben. war erst 1567. Wie die Stadt, so hat auch die Burg eine sehr wechselvolle Geschichte. Schon allein auf- grund der vielen Nutzer. So residierte hier, zum Beispiel, im Jahr 1606 der Bürgermeis- ter Winhold von Büren. 1807 erwarb die Be- sitzung der Justizkommissar Wiethaus. Da- mals standen neben dem Turm eine große Scheune, ein Baumgarten, ein Kräutergarten und eine Ölmühle. Für das Jahr 1783 führt Thomas Spohn folgende Bewohner auf: Schäfer Maas mit 7 Personen, eine Kuh und 40 Schafe. Unna war eben eine Ackerbürgerstadt. Dann ging 1929 der Komplex an die Stadt Unna über und wurde einige Jahre lang als Klaus Basner meint, die Burg habe wohl an- Bürgermeisterwohnung genutzt. 1936 zog fangs zu Wohnzwecken für einen Bevoll- das Heimatmuseum, unser heutiges Hellweg mächtigten des Grafen gedient, dem auch die Museum, hier ein. Aufsicht über das Salzwerk in Brockhausen, 1952 wurden an der Massener Straße zahl- heute Königsborn, unterstand. reiche Gold-Münzen aus der Hansezeit aus- Der Stadtführer erinnerte daran, dass das gegraben. Es ist das Verdienst des Muse- Jahr 1288 eine wichtige Zeitenwende in un- umsleiters Otto Kettling und des Juweliers serer Region eingeläutet habe. Da nämlich Werner Brinkmann: Der von den Findern wurden die Truppen des Kölner Erzbischofs stark verstreute Schatz wurde in mehreren in der „Schlacht von Worringen“ vernich- Jahren nach Unna in das Museum zurückge- tend geschlagen. Erst danach konnten in führt. Er ist die Attraktion des „Hellweg Mu- Deutschland nach italienischem Vorbild seums“, das durch den Goldschatz überregi- Städte entstehen. Sie waren durch Stadtmau- onale Bedeutung bekam. Jetzt liegt er sicher ern gesichert und erhielten vom Landesherrn im Burgturm hinter dicken Mauern. wichtige Rechte. Die bis dahin unfreien Quellen: Willy Timm: Geschichte der Stadt Unna, Menschen drängten in die Städte nach dem Klaus Basner: Unna – Historisches Porträt einer Stadt, Thomas Spohn: Aspekte kleinstädtischen Lebens Motto: Stadtluft macht frei. im 18. Jahrhundert; Foto: Franz Wiemann
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Meinung 10 Das ist doch ganz einfach - von Anne Nühm - Immer wieder hört Anne diesen Spruch, sogar digital den Weg der bestellten Schuhe wenn es um eine Internetbestellung geht: verfolgen, bis es abends schellte und der Aus dem riesigen Bildmaterial eine Aus- Bote ihr das Paket übergab. wahl treffen, Kontaktdaten eingeben und Dann kam die erste Enttäuschung. Die Far- dann die Bestätigungstaste drücken. Alles be und die Passform entsprachen nicht An- Andere läuft dann von selbst. nes Vorstellungen. Es stand schnell fest, dass sie die Schuhe zurückgeben wollte. Für Einen trüben Sonntagnachmittag hat Anne die entsprechende Vorgehensweise der genutzt und das digitale Angebot ihrer Lieb- Rückgabe gab es klärende Hinweise. Um lingsschuhmarke durchgesehen. Und tat- die in der Nähe ihres Wohnortes günstige sächlich, einer der Sandaletten entsprach Anlaufstelle zu erfahren, hatte Anne ihren sofort ihrem Geschmack. Aber den Weg Standort bekannt zu geben. Am nächsten Morgen machte sie sich auf den Weg nach Kamen. Am Markt 2 sollte sie die Lieferung wieder abgeben können. Leider war das aber nicht möglich. Denn anstelle vor einer UPS- Warenannahmestelle stand Anne vor einer Pizzeria. Jetzt war guter Rat teuer. Zwei Männer bestätigten ihr, dass das Haus tatsäch- lich der angegebenen Ad- resse entsprach. Eine Er- klärung konnten sie aber nicht geben. Daraufhin ging Anne in die daneben über den Warenkorb wählte sie auf Grund liegende Apotheke. Die Angestellten gaben ihrer Skepsis nicht. Sie druckte die Abbil- mit erstaunten Gesichtern den Rat, es im dung aus und suchte am nächsten Tag ein gegenüberliegenden Kiosk zu versuchen. Schuhgeschäft auf. Dort erfuhr sie, dass die Da dieser aber erst vor drei Wochen eine Modelle Ende des Monats geliefert werden Neueröffnung gefeiert hatte, konnte der würden. Anne war bereit, sich zu gedulden. neue Pächter auch nicht weiter helfen. Dort Trotz mehrfacher Nachfrage kam es aber wurde Anne auf ein Damenoberbeklei- nicht zum Kauf. dungsgeschäft hingewiesen, dessen Verkäu- Deshalb nahm sie ihren Mut zusammen und ferin eine ortskundige Fachfrau sei, die sich wagte sich doch mal an eine Internetbestel- bestimmt auskennen würde. Aber auch dort lung heran. Bingo, sie schien alles richtig sah Anne lediglich in ein erstauntes Gesicht. gemacht zu haben. Denn wenige Augenbli- „Vielleicht arbeitet das Bettengeschäft in cke nach dem Klick wurde die Bestellung der nächsten Querstraße mit der UPS zu- bestätigt und der Liefertermin bekanntgege- sammen. Versuchen Sie es dort einmal“ war ben. An dem vorgesehenen Tag konnte sie der nächste Tipp, dem Anne nachging. Aber
11 Meinung Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt auch der führte nicht dazu, dass die Schuhe er sich nicht. „Ohne diesen Code kann ich endlich wieder zurückgegeben werden konn- die Schuhe nicht zurücknehmen“, teilte die ten. Mitarbeiterin mit. Sie bat ihren Kollegen um Langsam machten sich Sorgen breit. Doch Hilfe, die er aber auch nicht leisten konnte. dann wendete sich das Blatt. In der Nähe Werde ich diese Schuhe denn überhaupt des Bettengeschäftes, in dem Anne eben- nicht mehr los, schoss es Anne durch den falls eine Absage erhalten hatte, hatte die Kopf. Doch dann gelang es der netten Dame Verbraucherzentrale Kamen eine Filiale plötzlich doch, den Code zu öffnen. „Wie eingerichtet. Die Fachleute dort konnten be- haben Sie das denn geschafft?“ war Annes stimmt weiterhelfen. Nach dem sich das ers- freudige Reaktion. „Ich habe den Hinweis ten Erstaunen gelegt hatte, kam eine der Inhalt öffnen gesehen“, war ihre Antwort. Angestellten auf die Idee, die Internetseite Jetzt war es endlich soweit. Anne hatte das der UPS zu öffnen. Sie erhielt den Hinweis Ziel erreicht, konnte die Bestellung wieder auf ein Haushaltswarengeschäft in der In- abgeben und fuhr total erleichtert nach Hau- nenstadt. Dort angekommen, wurde nach se. Sie wird es sich nach dieser Erfahrung dem sog. Rückgabecode gefragt, der Anne mehrfach überlegen, noch einmal eine Inter- auf ihrem Smartphone zugeschickt worden netbestellung aufzugeben, die angeblich war. Ganz klein war er auf dem Dialogfens- ganz einfach sein soll. ter ihres Handys zu sehen. Aber öffnen ließ Foto: pixabay.de April, April! - von Hans Borghoff - Ein altes Sprichwort besagt: „Am 1. April Aber woher kommt dieser „Brauch“? schickt man die Narren hin, wohin man Er könnte von den Römern stammen. will.“ Es macht wohl vielen Menschen Bei ihnen gab es Narrenfeste, die zu Eh- Spaß, anderen Menschen etwas weiszu- ren des Romulus gefeiert wurden. Ein machen und sie so in die Irre zu leiten. weiteres Beispiel könnte aus der Karwo- Man freut sich darauf, wenn der andere che stammen: von Pontius bis Pilatus z. B. einen vergeblichen Gang getan hat. laufen. Wer hat es nicht schon selbst erlebt? Kommt dieser Brauch gar von den Hin- dus? Sie schicken sich zur allgemeinen Heiterkeit unter angeblicher Wichtigkeit oder zu zwecklosen Dienstleistungen hin und her. Nebenbei: Am nächsten Tag beginnt bei ihnen das neue Jahr. Bei den Griechen war es ähnlich. Nur band man demjenigen die Augen zu. Aus diesem Spiel hat sich bei uns das Blindekuhspiel entwickelt. Foto: Henrik Gerold Vogel/pixelio.de
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Gedanken 12 Ein Paar verlorene Schuhe ... - von Franz Wiemann - Wer verliert denn schon einen einzelnen Pumps sind ganz sicher nicht die bequemsten Schuh? Und dann auch noch einen Tanz- Reiseschuhe. Vielleicht hat sie sie ja gerade schuh? Dieser Gedanke kreiste mir am Mor- deswegen weggeworfen!? gen des 30. April vergangenen Jahres durch Und dennoch stellte sich mir die Frage nach den Kopf. Und dann auch noch nur wenige dem Grund dieser nicht gerade sehr ange- Stunden vor dem „Tanz in den Mai“ (!) Ich messenen Art der Entsorgung: Hat sich die war mit dem Fahrrad in der Innenstadt unter- Besitzerin unter Umständen voller Wut der wegs, als ich ganz unerwartet einen einzel- Schuhe entledigt, sie einfach so aus dem Au- nen Damenschuh vor mir liegen sah. Hatte tofenster geworfen? Eventuell als Ausdruck ich etwa von der neuen Version vom der Enttäuschung über eine Absage zum Aschenputtel, der mit so viel Lei- „Tanz in den Mai“? Dabei wird denschaft tanzenden Märchen- Schuhen ja auch schon mal figur, nichts mitbekom- eine leicht erotisch wirken- men? de Bedeutung beigemes- Ganz um Nachhaltig- sen. Ich denke zum Bei- keit bedacht, räumte spiel an die „verkrüp- ich den Schuh zu- pelten Füße“ so man- nächst mal von der cher Chinesin. Dies Fahrbahn. Zu meiner beschrieb in den 30er Verblüffung fand ich und 40er Jahren ganz nur wenige Meter vortrefflich die ameri- davon entfernt den kanische, lange in Chi- zweiten Schuh. Beide na lebende Schriftstelle- waren noch in sehr gu- rin Pearl S. Buck in ihren tem Zustand: Es handelte China-Romanen. Insbeson- sich um Pumps mit kaum ab- dere sind es Pumps, die die genutzter Sohle, Schuhgröße 42. Ausstrahlungskraft so mancher Diese Dame lebt aber auf großem Fuß, Varieté-Tänzerin oder auch Prima Ballerina war mein zweiter Gedanke. in ihrer Wirkung auf Männer verstärken hilft. Dass dieser Fund eher keinen hohen Mittei- Kann das eventuell auch ein Grund dafür lungswert für die Öffentlichkeit haben wür- sein, dass viele Frauen in ihre Schuhe regel- de, war mir schnell bewusst. Ganz getreu recht vernarrt sind? So ganz schnell trennt dem Motto: Was juckt es uns denn schon, man sich nicht von ein paar schicken Schu- wenn im entfernten China ein Sack Reis um- hen, bildete ich mir ein. fällt? Und dennoch kreisten weitere verrück- Ich hielt es übrigens nicht für erforderlich, te Gedanken in meinem Kopf, zum Beispiel die Schuhe zum Fundbüro zu bringen. Für folgender Art: jederman(n)* und frau platzierte ich sie gut Kann man solch ein Paar Schuhe etwa als sichtbar auf einer angrenzenden Mauer (s. „herrenlose Damenschuhe“ bezeichnen? Aber Foto). Und nur einen Tag später hatte sie so ganz gendergerecht klingt diese Formulie- auch schon jemand an sich genommen, wie rung nicht. Weitere, ähnlich lustige Gedan- ich feststellen konnte. ken schwirrten mir im Kopf herum. Hat die Na ja, dachte ich mir so: „Wem der Schuh Dame etwa, frei nach Joseph von Eichen- passt, der zieht ihn sich auch an“. Und dann dorff, „Mich brennt‘s in meinen Reise- setzten so langsam meine Gedankengänge aus. schuh‘n“ vor sich hin gesummt? Quatsch: Foto: Franz Wiemann
13 Kultur Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt Wir machen Musik - Gastbeitrag von Martina Hitzler - Drei Gitarren standen in unserer Wohnung ben hauptsächlich projektbezogen und auf herum und wurden von einer Ecke in die an- einen Termin hinarbeitend. Die Proben fin- dere geräumt: eine ganz alte Konzertgitarre, den in dieser Phase dann relativ regelmäßig auf der ich damals mit sechs Jahren angefan- einmal die Woche statt, manchmal auch am gen habe, zu spielen und Unterricht bekam. Wochenende. Darüber hinaus gönnen wir Es war eine Gitarre von meinem Vater aus uns auch kreative Pausen, da wir alle noch den 50gern, die ich heute noch immer aufbe- anderweitig beruflich oder ehrenamtlich, wahre und ab und an einmal anklingen lasse. auch musikalisch, eingebunden sind. Dann meine eigene Konzertgitarre, auch Die Besetzung hat sich in den Jahren immer schon ca. 40 Jahre alt mit breitem Bund für wieder geändert: Es kamen Musiker und die noch ungeschickten Kinderfinger, die ich mitt- lerweile verschenkt habe, und eine Westerngitarre, deren Stahlseiten mir in die Fingerkuppen schnit- ten. Die ließ ich erst recht stehen. Ich hatte so lange gar nicht mehr gespielt, legte die Gitarren immer wie- der zur Seite und fand einfach keinen Neuan- fang. Dann traute ich mich 2012 einfach mal einen Aufruf zum gemeinsa- men Gitarrenspiel in un- seren evangelischen Gemeindebrief zu set- Musikerinnen mit verschiedensten Instru- zen. Ich dachte mir, dass ich sicherlich nicht menten, nicht nur Gitarren, hinzu und andere der einzige Mensch sein konnte, der seit Jah- gingen wieder. Manchmal waren wir auch ren das eigene Instrument nicht mehr genutzt nur für ein Konzert zusammen – Gitarren, hatte und vielleicht doch Spaß an einem Bass, Percussion, Querflöte, Saxophon und Neuanfang haben könnte. Es dauerte eine E-Piano/Klavier. Ein stabiler Kern aus vier Weile, bis sich ein oder zwei Personen mel- bis fünf Instrumentalist*innen hat sich im deten. Im kleinen Kreis begannen wir seit- Laufe der Jahre herauskristallisiert. Neue dem als Projektkreis Musik in der Ev. Kir- Mitspieler und Mitspielerinnen sind weiter- chengemeinde Unna-Hemmerde zu proben. hin herzlich willkommen. Das ist mittlerweile über zehn Jahre her. Abhängig davon, wie die Gruppe zusam- Es ist nicht einfach, eine kleine Band zusam- mengesetzt ist, spielen wir unterschiedliche men zu stellen und die Musiker und Musike- Genre: Jazz, Blues, Soul, Rock, Folk, Pop. rinnen dauerhaft beieinander zu halten. Was Wir begleiten auch kirchliche Veranstaltun- von Anfang an deutlich wurde, dass es sich gen mit Neuen Geistliche Liedern, Worship- wirklich um einen „Projektkreis“ handeln Music und Gospel Songs. würde, das bedeutet: wir treffen uns und pro- Foto: Frank Richard .
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Erinnerung 14 Leben – erleben Gestern – heute – morgen - Verfasser der Redaktion bekannt - Es war ein wunderschöner Maientag. Im In der Dorfmitte stand eine Wasserpumpe Krankenhaus in der Kleinstadt Neuwedell für die Wasserentnahme der Dorfbewohner. in der Neumark stand meine Geburt bevor. Für uns Kinder gab es in den warmen Mo- Ich sehnte mich danach, endlich das Licht naten ein besonderes Erlebnis: Wir durften der Welt zu erblicken. Es war am 21.05. im die Gänse zum nahe gelegenen See treiben. olympischen Jahr 1936. 1939 war ein einschneidendes Jahr. Mein Mein weiteres junges Leben spielte sich Vater wurde zur Wehrmacht eingezogen. Er dann in Augustwalde ab, wo mein Vater als hatte dort ausschließlich mit der Feldpost zu Landbriefträger bei der Deutschen Reichs- tun. Nach Kriegsende kehrte er bereits 1947 post beschäftigt war. Er besaß ein Dienst- aus der Gefangenschaft zurück. motorrad, um das weitläufige Kreisgebiet Die ganze Sippe wohnte in der näheren Um- mit Post zu versorgen. Meine Mutter war gebung. Ich besuchte sie öfters in Marien- Hausfrau. In der Erntezeit war sie, wie all walde, einem Nachbarort. Als ich zum die anderen Frauen im Dorf auch, auf dem Bahnhof ging, sah ich auf der Hauptstraße großen Gutshof beschäftigt. Als Entlohnung viele Panzer stehen. Zuhause selbst saß die gab es Naturalien. Man konnte wählen zwi- ganze Sippschaft bei meiner Lieblingstante schen Korngut, Kartoffeln oder Rüben. Ei- versammelt. Sie hätten die ersten Russen nige Bewohner hatten im Hinterhof einen auf Panjewagen durch das Dorf fahren se- Stall. Als Mitbewohner gehörten ein Schwein, hen. Es war der 1. Februar 1945. Draußen Gänse und Hühner zu diesem Haushalt. Gewehrschüsse. Plötzlich standen mehrere
15 Erinnerung Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt Russen im Raum. Keiner konnte sie verste- an der Zeit, mit der Wahrheit herauszurü- hen. Sie durchsuchten die Zimmer. Alle cken. Was heißt Wahrheit? Der Enkel mei- Frauen in diesem Raum wurden geschändet. ner Tante erklärte, dass meine Mutter nicht Man versuchte das Wertvollste seiner Habe meine leibliche Mutter wäre, sondern mich zu verstecken. In Rucksäcken, in Decken- als ein Waisenkind aus dem damaligen knäueln. Krankenhaus in Neuwedell adoptiert hätte. Nach dem Durchzug der Russen kamen pol- Sehr merkwürdig. Alle Verwandten wussten nische Verwaltungsbeamte und machten es. Sie haben mir alles auch nach dem Tod den Ausweis, die Kennkarte der Deutschen, meiner Mutter verschwiegen. Nur einer mit roter Farbe unkenntlich. Das bedeutete, konnte und wollte nicht länger schweigen. den Ort und die Heimat unverzüglich zu Wo nun suchen? Das war jetzt mein ernst- verlassen. haftes Anliegen. Eine Quelle war der jährli- Alle packten die notwendigen tragbaren Sa- che stattfindende Heimattreff in Wunstorf. chen und gingen zum Bahnhof. Wann kommt Reihum suchte ich an den vielen Tischen in ein Zug? Langes Warten. Endlich. Zwei Lo- Gesprächen meine Herkunft herauszufinden. komotiven zogen und schoben mittig einen Es gab vage Vermutungen. Die eine war zu- gepanzerten Waggon. Darin waren bereits mindest denkbar. Das ehemalige Großgut hat- aufgenommene Flüchtlinge. Schnell weiter te im Sommer einen großen Bedarf an Ar- Richtung Arnswalde. Beide Loks waren beitskräften für das Einbringen der Ernte. durch Beschuss während der Fahrt nicht Es wäre deshalb nicht verwunderlich, wenn mehr fahrbereit. Umstieg in einen Güterzug. eine Frau aus Polen oder aus Russland Ziel: Frankfurt an der Oder. Umsteigen und (Ukraine) meine leibliche Mutter gewesen Weiterfahrt nach Wolgast. Von dort weiter sein könnte. Aber wer war mein Vater? Bis in den Ortsteil Buddenhagen. Ein ehemali- auf den Gutsbesitzer waren alle Männer im ges Kriegsgefangenenlager war für alle an- Krieg. Die Bewirtschaftung des Gutes kommenden Flüchtlinge die erste feste Un- musste zwangsläufig durch die weiblichen terkunft. Die erste warme Mahlzeit war eine Ortsbewohner geleistet werden, damit sie Rübensuppe. Anspruch auf eine Deputatsversorgung hat- Die Sippe teilte sich jetzt auf. Einen Teil ten. verschlug es nach Thüringen, andere zog es So bleibt mir, meiner Frau, meinen Kindern nach Ostfriesland. Und ich landete mit mei- und Enkelkindern nur die Erkenntnis, dass ner Mutter, Tante Emma und Tante Hanna es in meinem Leben eine große Lücke gab (Johanna) in Bockum-Hövel. Aber, ach, der und weiterhin gibt. Ich hatte eine sorgen- Zug hielt nur kurz, zu kurz um auszustei- freie und wunderschöne Kindheit. Mehr gen; er fuhr weiter mit mir. In Münster wur- noch, meine Herz-Mutter war immer für de ich von der Bahnhofsmission wahrge- mich da. Eine behütete Kindheit bis zur nommen. Die Familie kam wieder zusam- Ausweisung durch polnische Behörden. men. Meine Tante zog es nach Fritzlar. Meine Kinder und Enkelkinder kennen mei- Mein Onkel fand dort beim Bauern Unter- nen Lebensverlauf. Die fotografische Hin- kunft und Arbeit als Schweißer. terlassenschaft sorgt dafür, dass die Vergan- Für mich begann ein neuer Lebensabschnitt: genheit und die Erinnerung an ein Stück Schule, Bergmannslehre/knappe und an- Heimaterde haften bleiben. schließend 1956 zur Bundeswehr. Diese Erzählung hat einen Verfasser, der im Dann kam mein 50. Geburtstag. Viele Gäste Raum Unna eine andere Heimat gefunden waren da. Natürlich auch die Verwandt- hat. schaft. Ein Angehöriger aus der Verwandt- Jeder Morgen ist Zukunft. schaft bat ums Wort. Er erklärte, es sei nun Foto: Andrea Irslinger
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Berühmte Frauen 16 Man nehme …! Praktisches Kochbuch - von Brigitte Paschedag - Nein, eine große Wissenschaftlerin, die ei- Hier zwei Originaltexte: ne wichtige Entdeckung gemacht hat, war sie nicht! Sie hat auch nichts erfunden! „1 Regeln beim Kochen der Gemüse Aber sie war eine wichtige Frau des 19. Alle Gemüse sollen gut gewaschen, ge- Jahrhunderts aus unserer Region: Henriette schnitten und gleich zu Feuer gesetzt wer- Davidis. den, dürfen aber nicht zulange im Wasser liegen. Kartoffeln machen hier eine Aus- nahme. Gemüse, die man vorher in Butter anziehen lässt, werden eher gar als solche, die man im Wasser zu Feuer bringt. 41 Gefüllte Gurken Hierzu wählt man große Gurken, schält und schneidet sie bis zur Mitte der Länge nach ein, nimmt das Kernhaus mit einem Löffel heraus, läßt sie in gesalzenem Was- ser mit Essig einige Male aufkochen, thut sie darauf in kaltes Wasser und füllt sie mit einer Kalbfleisch-Farce. Dann werden die Gurken zusammen gedrückt, mit einem Fa- den dicht umwunden, in Fleischbrühe, But- ter mit Muskat gahr gekocht und vor dem Anrichten etwas gestoßener Zwieback da- ran geben ...“ Geboren wurde Johanna Friederike Hen- riette Katharina Davidis am 1. März 1801 in Wengern (heute Witten/Wetter). Ihre El- tern waren Maria Katharina Davidis, geb. Litthauer, und der Pfarrer Ernst Heinrich Davidis. Henriette war ihr 10. Kind. Nachschlagewerke nennen Henriette Davi- dis eine „bedeutende Herausgeberin von Kochbüchern“ Das bekannteste ist wohl ihr „Praktisches Kochbuch“, Es erschien 1845, gehörte zeitweilig zur Grundausstattung bürgerlicher Haushalte und war ein belieb- tes Hochzeitsgeschenk. Es enthielt „zu- verlässige und selbstgeprüfte Recepte der gewöhnlichen und feineren Küche“.
17 Berühmte Frauen Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt Heute werden ihre Rezepte teilweise kri- Titel geändert. Es sollte bei kleinen Mäd- tisch gesehen, weil die Gerichte für den chen „den Sinn für Häuslichkeit und Wirt- heutigen Geschmack häufig zu viel Fett schaftlichkeit wecken“. enthalten. Der Beruf der Jungfrau Als sie 1876 starb, erschien bereits die 21. Wie schon der Titel andeutet, verstand Auflage. Während sie ihre Bücher schrieb, Henriette Davidis die Haushaltsführung als arbeitete sie als Erzieherin, Hauslehrerin einen Beruf, den man erlernen musste. Die und Gouvernante bei verschiedenen Fami- Vorbereitung auf diesen Beruf sollte das lien und an einer „Mädchenarbeitsschule“. Buch den unverheirateten Frauen ermögli- Henriette blieb unverheiratet. Zwei Heirats- chen. kandidaten starben während der Verlo- bungszeit. Die Hausfrau Mit dem Erstarken des Bürgertums wäh- Hier geht es nicht um das Kochen, sondern rend der Industrialisierung wandelte sich um Fragen der Einrichtung, Arbeiten im auch die Kochkultur. In der in dieser Zeit Haushalt und um das Verhältnis zu den entstehenden Kleinfamilie stand die Frau Dienstboten. im Mittelpunkt. Viele nutzten das „Praktische Kochbuch“ daher als Bil- dungs- und Lehrbuch. Im Vorwort nannte die Autorin die vier Anforde- rungen an die Hausfrau: „Reinheit, Sparsamkeit, Achtsamkeit und Überle- gung“. Henriette Davidis galt als Au- torität auf dem Gebiet der Haushalts- führung. So ganz nebenbei machte sie auch Werbung für verschiedene Pro- dukte, z. B. Agar-Agar und „Liebig‘s Fleischextrakt“, was dazu führte, dass die Firmen auf den Verpackungen ih- ren Namen und ihr Portrait druckten. Ob sie dafür eine Vergütung erhielt, ist nicht bekannt. Zum 25. Jubiläum ihres Kochbuchs, das vielfach überarbeitet und sogar übersetzt wurde, erhielt sie zahlreiche Glückwünsche. Im Laufe der Nach Henriette Davidis sind heute Schulen Zeit erschienen weitere Bücher, u. a. 1850 und andere Einrichtungen benannt. Sie „Puppenköchin Anna“, ein Kochbuch „für starb am 3. August 1876 in Dortmund. Ihr kleine, herzige Mädchen, welche gern le- Grabstein befindet sich auf dem dortigen sen, schreiben und stricken und ganz folg- Ostfriedhof. Im Widerlager der Eisenbahn- sam sind“. Darüber hinaus verfasste sie die brücke der Elbscheidebahn in Wengern be- Schriften „Der Beruf der Jungfrau“ und findet sich eine Herdplatte aus dem Haus „Die Hausfrau“ und viele andere. ihrer Eltern als Gedenktafel. Das Haus wurde für den Bau der Brücke abgerissen. Puppenköchin Anna Ihre Anweisung „Man nehme ...“ wurde zu Dem Buch ging ein „Kochbüchlein“ vo- einem geflügelten Wort. raus. Später wurde es dann ergänzt und der Fotos: wikipedia.de, Ulla Lönne-Wiemann
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Heimatkunde 18 Das Abendmahlsfenster in Soest - von Klaus Thorwarth - Der Handwerksmeister sah in das Buch des Brot und statt Wein westfälisches Bier und mittelalterlichen Wanderburschen und mein- Schnaps. te: „Was, du willst in Soest gewesen sein. Jesus hat den Jüngern gerade berichtet, Dann beschreibe mir, was du in dem be- dass ihn einer von ihnen verraten wird. rühmten Glasfenster in der Wiesen-Kirche Sehr unterschiedlich ist die Reaktion der gesehen hast.“ Und dann hörte er, was den Jünger auf die erschreckende Nachricht. Wandersmann in dieser ungewöhnlichen Man kann es an den Gesichtern und den Glasmalerei in der „heimlichen Hauptstadt Gebärden ablesen. Vor dem Tisch entdeckt Westfalens“ beeindruckt hatte. man Judas mit dem Geldbeutel voller Sil- Keine der vielen Stadtführungen durch So- berlinge. So vermittelt das Glasbild den est versäumt es heute, zu diesem unge- Menschen jener Zeit, die meist Analphabe- wöhnlichen Westfälischen Abendmahl zu ten waren, einen wesentlichen Moment der führen. Um das Jahr 1500 wurde es von Geschichte des Neuen Testamentes. einem unbekannten Künstler geschaffen. Das Westfälische Abendmahl ist wohl Es zeigt am langen Abendmahlstisch Jesus nicht das bedeutendste Kunstwerk der an mit seinen zwölf Jüngern. Vor ihm Johan- Kunst so überreichen Stadt, gewiss aber nes, sein Lieblingsjünger. Neben der kirch- das Berühmteste. In der vielseitigen Litera- lichen Aussage erkennen die Betrachter tur von Soest findet man auch einiges zu viel Weltliches: Speisen und Getränke aus dem berühmten Abendmahlsbild. Westfalen! Typische Soester Spezialitäten: Einen Text „Soest – die heimliche Hauptstadt Westfalens“ Schweinskopf, Schinken und Pumpernickel- können Sie anfordern unter „Klaus.Thorwarth@arcor.de
19 Geschichte Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt Holland-Hilfe - von Hans Borghoff - In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Feb- zeichnen. In Richtung Fröndenberg und ruar 1953 traf eine schwere Orkan- und Über- Langschede war selbst mit Kraftfahrzeugen schwemmungskatastrophe Westeuropa, be- über den Haarstrang kein Durchkommen sonders die Provinz Zeeland in Südholland. möglich. Ein Orkan mit einer gleichzeitigen Springflut Am Freitag den 6. Februar stand ein Aufruf traf auf die Deiche. Die Deiche konnten dem der Stadt Unna im Hellweger Anzeiger: Wind und den Wassermassen mit der Zeit „Holland-Hilfe der Stadt Unna“. Die Stadt- nicht standhalten. Eine normale Flut war 80 vertretung, die Stadtverwaltung, die Parteien cm hoch, diese war SPD, FDP und CDU aber mit bis zu 5,25 m sowie der Caritasver- zu hoch. Windstärke 9, band, die Innere Missi- Böen bis zu 140 km/h, on, die Arbeiterwohl- und das über 20 Stun- fahrt und das DRK den lang, das war zu- schlossen sich diesem viel für die Deiche. An Aufruf an. Plakate einigen Stellen bra- wurden in der Stadt chen die Deiche in ei- aufgehängt. Bei der ner Länge bis zu 100 Städtischen Sparkasse Metern. Verteilt auf wurde ein Sonderkonto eine Länge von 187 mit der Nummer 7000 Kilometern. Autos wur- unter „Holland-Hilfe“ den ohne und auch mit eingerichtet. Innerhalb ihren Insassen wie einer Woche kamen Spielzeuge von den 6.130 DM zusammen. Wassermassen wegge- Das DRK in Deutsch- trieben. Telefonverbin- land sammelte ca. dungen brachen ab, 600.000 Mark ein, wo- was die Hilfskoordina- von alleine Unna mit tionen erheblich behin- etwas mehr als 1% der derte. Das Wasser Gesamtsumme spende- drang bis zu 60 Kilo- te. Sachspenden wur- meter ins Landesinne- den abgegeben und zu re. Bis zu 175.000 ha Land wurden über- einer Sammelstelle in Düsseldorf gefahren. schwemmt, was ca. 300.000 Menschen sehr Der Aufruf, Kinder aufzunehmen, fand gro- in Not brachte. Dazu kam der Salzgehalt des ßen Anklang. In Unna gab es 137, in Frön- Wassers, der die Böden für lange Zeit un- denberg 43 und im übrigen Kreis Unna 115 fruchtbar machte. Offiziell waren 1835 Tote Aufnahmeangebote. Mädchen wurden bei in den Niederlanden anschließend zu bekla- den Anträgen eher bevorzugt als Jungen. gen. Diese Aufnahmeangebote kamen aber nicht Am Morgen des 2. Februar rief die Nieder- zum Tragen, da die Kinder aus den Über- ländische Regierung dann den Notstand aus. schwemmungsgebieten im eigenen Land un- Wie stark der Orkan selbst weiter über Land tergebracht wurden. Vielleicht waren auch war, bekam selbst der Hellweg-Kreis zu spü- sprachliche Probleme dafür ausschlagge- ren. Hatte doch der Zugverkehr im Bahnhof bend. Unna bis zu 4 Stunden Verspätung zu ver- Quellen: Stadtarchiv Unna, Hellweger Anzeiger, Internet
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Reiseerlebnis 20 Nicht geflogen … und trotzdem gut „gelandet“ - von Franz Wiemann - Was war passiert? Anfang Juli 2022 schien cherheit. Aber wir hatten ja keinen Flug es so, dass für uns eine schon länger ge- nach Mallorca gebucht, trösteten wir uns. plante Reise nach Stockholm endlich Wirk- Vier Tage vor dem Abflug lagen uns sogar lichkeit werden könnte. Die durch die Pan- schon die Boarding Cards vor. Da geht demie bedingten Ausfälle in den beiden schon nichts mehr schief, bildeten wir uns vorausgegangenen Jahren waren bald ver- ein. gessen. Dieses Mal schien endlich alles Dann der Paukenschlag! Knapp 24 Stunden nach Plan zu verlaufen: Abflug am 4. Juli vor dem Abflug erreichte uns die Mittei- ab Köln-Bonn, Hotel und der Transfer - lung: Der Flug fällt aus! Die gleichzeitig alles war in Eigenregie gebucht. Voller Op- angebotene Umbuchung für einen Flug timismus hatten wir auch noch 14 Tage vor nach Stockholm – er würde „nur“ sechs dem Abflug brieflich Kontakt zu einem Stunden später erfolgen – wollten wir nicht ehemaligen Studienkollegen, der jetzt in wahrnehmen. Konnten wir uns doch aus- Schweden wohnt, aufgenommen. Per malen, dass wir stark verspätet weit nach Google-Suchmaschine fanden wir seine Mitternacht ankommen würden. Noch zu- Anschrift und erfuhren, dass er, beruflich sätzlich machte uns die Ungewissheit zu bedingt, inzwischen nach Uppsala gezogen schaffen, wie denn der Transfer vom Flug- ist. Allerdings hatten wir auch schon 40 hafen bis in die Innenstadt Stockholms er- Jahre lang nichts mehr voneinander gehört. folgen sollte. Womöglich kämen wir erst Wie würde er wohl auf unsere Kontaktsu- morgens zwischen zwei und drei Uhr an che reagieren? unserem Hotel an. Nicht mit uns! Mit viel Im Frühsommer häuften sich plötzlich die Glück gelang es uns, das reservierte Hotel- Meldungen über ausfallende Flüge. In den zimmer noch so rechtzeitig zu stornieren, Medien wurde von überlangen Warte- dass keine Buchungsgebühren anfielen. schlangen im Sicherheitsbereich der Flug- Und von Freund Hermann war aus Schwe- häfen berichtet. Zusätzlich setzte mit dem den auch noch keine Nachricht eingetrof- Beginn der Sommerferien in NRW ein fen! wahrer Ansturm auf die begehrten Reise- Aber saßen wir nicht buchstäblich auf fer- ziele im Süden ein. Das sorgte für Unsi- tig gepackten Koffern? Die Reiselust hatte
21 Reiseerlebnis Nr. 110 03.2023 Herbst-Blatt uns längst ergriffen. Wohin könnte uns eine Mittelgebirge: Man ist fast immer mit ei- Ersatzreise führen?, überlegten wir. Auf nem Bein in Tschechien. keinen Fall ein Ziel in den Süden ansteu- Last, but not least, dann die mehr als tau- ern. Denn wir hörten immer schrecklichere sendjährige Stadt Naumburg (Saale), wo Meldungen von den Flughäfen. wir liebend gerne länger geblieben wären. Wir wollten doch immer schon mal nach Hatten wir uns im Jahr zuvor in Halle die Görlitz und auch nach Wörlitz. Zudem war Ausstellung über die berühmte Himmels- das fürstliche Dessau-Wörlitzer Garten- scheibe von Nebra angesehen, so radelten reich, UNESCO Weltkulturerbe, mit dem wir jetzt zum Fundort derselben: 28 km im- Auto gut zu errei- mer der Unstrut fluss- chen. Schnell waren aufwärts folgend. Die im Internet die Zim- Besichtigung des mer gebucht, und wir Doms zu Naumburg beschlossen, die Fahr- wurde auf dieser Rei- räder mitzunehmen. se zum eigentlichen Zusätzlich fassten wir Höhepunkt: das spät- auch noch Zittau mittelalterliche En- (Lausitz) und Naum- semble der 12 goti- burg (Saale) als wei- schen Steinplastiken tere attraktive Ziele und mittendrin die ins Auge. berühmt gewordene Endlich ging es los. Stifterfigur von Uta. Zwar einen Tag spä- Das hatte was! ter als gedacht, aber Beeindruckt verlie- wir hatten ja ein neu- ßen wir nach zwei es Ziel. Dessau und Stunden den Dom, das Bauhaus-Museum als plötzlich das Han- sowie das oben er- dy klingelte: „Seid wähnte Gartenreich ihr noch in Schwe- erkundeten wir haupt- den?“. Ein Auf- sächlich mit dem schrei: „Hermann!!“ Fahrrad. Auf der Er hätte gerade erst Weiterfahrt nach Os- unseren Brief gele- ten legten wir einen sen, teilte er uns mit. Zwischenstopp in der Wir berichteten ihm sehenswerten Stadt Grimma ein, im schö- von den vielen Umständen, die zu dieser nen Tal der Mulde in Sachsen gelegen. Ziel „Ersatz“-Reise in die neuen Bundesländer Nummer 3 wurde die wie ein Museum her- geführt hatten. Und wir versprachen ihm ausgeputzte Stadt Görlitz: sie war uns mehr quasi auf die Hand, im kommenden Jahr als nur vier Übernachtungen wert. Unver- die Reise nach Stockholm erneut in Angriff gessen in Erinnerung wird uns die knapp zu nehmen. Dann aber mit verlängertem 50 km lange Radtour nach Zittau bleiben, Aufenthalt in Uppsala … zur Zeit der Mit- immer an der Neiße entlang durch die na- sommernacht im Juni. Wir freuen uns hezu unberührte Flusslandschaft. Es gab schon darauf! dort einen weiteren erlebnisreichen Aufent- Fotos: Franz Wiemann halt mit zwei Wanderungen im Zittauer
Herbst-Blatt Nr. 110 03.2023 Historie 22 Das bekannteste Westfalenlied - von Klaus Thorwarth und Franz Wiemann - Mit diesem Text wollen wir einen längeren, net, um Ihnen etwas typisch Westfälisches über mehrere Herbst-Blatt Ausgaben sich vor Augen zu führen. Zudem sind sie schnell erstreckenden Zyklus über Westfalen begin- mit dem Auto zu erreichen. nen. Die Größe und Entwicklung dieses einstmals als Herzogtum bekannten land- Beginnen wollen wir mit dem fast in Verges- schaftlichen Raumes füllt inzwischen zig senheit geratenen Westfalenlied, sozusagen Bände der Geschichtswissenschaften. Aber eine Hymne auf Westfalens Schönheit und keine Angst: Wir wollen uns auf nur wenige, Einzigartigkeit. Es gibt zig solcher landes- noch heute wahrzunehmende Spuren kon- typischer Hymnen – am bekanntesten sind zentrieren. Es geht darum, Personen von Ihnen vielleicht das Lied von den Ostseewel- großer Bedeutung zu würdigen und pracht- len, wahlweise auch Nordseewellen, oder die volle Burgen bzw. Schlösser vorzustellen, Bayernhymne. Natürlich gibt es darüber hin- die in unserer unmittelbaren Umgebung lie- aus noch Tausende alter deutscher Volkslie- gen. der, die heute in Vergessenheit zu geraten Zum Teil flechten wir Besuchertipps mit ein drohen. Leider werden wir ja regelrecht und verbinden das auch schon mal mit der überschwemmt von englischsprachigen oder Empfehlung, einen Tagesausflug dorthin zu auch sonst wenig verständlichen Songs und unternehmen. Als solche eignen sich, nach Musiktiteln in den Musiksendungen der unserer Vorstellung, beispielsweise das Rundfunkanstalten. Es existiert ein für den Jagdschloss Herdringen bei Neheim/Arns- Laien kaum noch überschaubares Kulturgut. berg; das Schloss Wocklum in Balve; die Eine gute Übersicht könnte Ihnen evtl. das Wasserburg Werdringen, unweit des Heng- Freiburger Volksliederarchiv mit seinen zu steysees auf Hagener Stadtgebiet gelegen, Tausenden gespeicherten Dokumenten über sowie die Burg V ischering in Lüdinghausen. das Deutsche Volkslied liefern. Aber darum Diese Ziele halten wir für besonders geeig- geht es in diesem Text vorrangig nicht.
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