Hospizliche Haltung als Begegnungsressource in Krisenzeiten - Hospiz Bewegung Salzburg
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Sommer 2021 Verlagspostamt 5020 Salzburg· P.b.b. | 02Z031835M NR. 2 lebensfreude Hospizliche Haltung als Begegnungsressource in Krisenzeiten In dieser Zeit der Pandemie gab es auch im Mitarbeiter*innenteam der Hospiz-Bewegung Salzburg einen hohen Bedarf an Gespräch und Austausch über aktuelle Entwicklungen und die Verbindung unserer Hospizangebote und hospizlicher Haltung zum Zeitgeschehen. Charakteristisch dafür war die Einbindung der verschie- 1.Worin zeichnet sich die hospizliche Haltung aus? denen Funktionen und Arbeitsbereiche im Hospizteam der Wie kann sie für den Umgang mit der jetzigen Kri- Landesleitung. Zu den folgenden Fragen führten das Ge- senzeit und in Zukunft hilfreich sein? spräch: Christof S. Eisl (Geschäftsführer), Astrid Leßmann Christof: Eine hospizliche Haltung nimmt immer den (Leitung regionale Arbeit), Silvia Schilchegger (Kontaktstel- ganzen Menschen in seinem sozialen Umfeld in den Blick. le Trauer), Eva Brunner und Mai Ulrich (beide Hospiz- und Neben aller wichtigen und notwendigen Bemühungen um Palliativakademie Salzburg). körperliche Heilung oder Verhinderung eines zeitnahen Todes geht es ebenbürtig um Lebendigkeit und Lebensqua- HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
editorial senbedingtes Leid mit unseren Möglichkeiten zu lindern. Durch die Umstände der Pandemie haben wir als Individuen, aber auch als Gesellschaft erlebt, dass die Bedrohung unseres gewohnten Lebens, ja des Lebens selbst spürbar gemacht hat, was letztendliche Gewissheit ist: unsere Vergänglich- keit. Plötzlich haben „Hospizthemen“ – wie gehe ich mit meiner Endlichkeit um, wem vertraue ich mich an, was geht mir verloren, was brauche ich, um die Situation auszuhalten – Bedeutung. Vielleicht kann dieses Bewusstsein helfen, uns in Liebe Freund*innen und Förder*innen der der Trauer über die Verluste verbunden zu wis- Hospiz-Bewegung Salzburg! sen, anstatt im Konflikt um Richtig und Falsch die gesellschaftliche Kluft unterschiedlicher Mei- Die derzeitige Fokussierung der öffentlichen Wahr- nungen zu vergrößern. nehmung auf die Lebensrettung um jeden Preis erinnert an Erzählungen aus den Gründungs- Zeitgleich mit den intensiven Maßnahmen zum zeiten der Hospizbewegung. Damals wurde bei Lebensschutz und den erschwerten Bedingungen allen Fortschritten der Medizin oft hintangestellt, für Begleitung am Lebensende befassen wir uns dass Menschen sterblich und einer besonderen intensiv mit dem Verfassungsgerichtshofurteil Begleitung in der letzten Lebenszeit wert sind. zum assistierten Suizid, in dem es um selbstbe- stimmte Lebensbeendigung geht. Angesichts der War im ersten Lockdown die Hospiz- und Herausforderungen im Bereich bekommt die Palliativbegleitung großteils nicht erlaubt, Regelfinanzierung der Hospiz- und Palliativver- wurde sie nach einigen Monaten der Pandemie sorgung, auf die sich Bund, Länder und Sozial- erfreulicherweise wieder möglich. Dennoch versicherungsträger einigen müssen, noch mehr litten viele Betroffene unter Einsamkeit und Bedeutung. Immer noch können die Angebote mussten oftmals alleine sterben. Die zurück- überwiegend nur durch einen sehr hohen Spen- bleibenden An- und Zugehörigen hatten zusätz- denanteil aufrechterhalten und weiterentwickelt lich zum Verlust selbst das fehlende Abschied- werden. Mit der Bereitschaft, einander in schwe- nehmen und die Bedingungen des Sterbens ren Zeiten mit offenem Herzen zu begleiten, lei- ihrer Lieben zu betrauern. In Hospizarbeit und sten wir alle Hospizarbeit. Dafür und für Ihre Trauerbegleitung sind wir immer wieder neu wertvolle Unterstützung unserer Anliegen und gefordert, eine individualisierte Begleitung nach unserer Arbeit danken Ihnen von Herzen den Bedürfnissen der betroffenen Menschen anzubieten, uns rasch auf wechselnde Rahmen- Karl Schwaiger, Obmann bedingungen einzulassen, um zusätzliches, kri- Christof S. Eisl, Geschäftsführer 2 Juni 2021 HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
hospizliche haltung inhalt hospizliche haltung 1 Hospizliche Haltung als Begegnungsressource in Krisenzeiten 10 Assistierter Suizid – Stellungnahme kontaktstelle trauer lität für die Menschen im letzten Lebensabschnitt. Im sein. Aus meiner Sicht ist dies mindestens so wichtig 14 Wie geht es uns? Erfahrungen eines trauernden Vaters Hospiz-Bereich gilt der Satz von Cicely Saunders: „Es wie die rein fachliche Kompetenz. geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ Mai: Das größte Aha-Erlebnis von Teilnehmer*innen unserer Bildungsveranstaltungen ist ein neuer Blick- papageno Astrid: Die hospizliche Haltung zeichnet sich hier meiner Meinung nach besonders dadurch aus, dass winkel auf das Helfen und Unterstützen: Die Haltung des Begleitens lässt sich auf das Sosein der oder des Be- 20 1. Österreichischer Kinderhospiz- und Palliativtag sie sich am Lebendigen orientiert. Sie wendet sich in troffenen und der schicksalhaften Situation ein, ohne der zwischenmenschlichen Begegnung an das, was etwas am Menschen oder seiner Situation ändern oder hoffnungsvoll und zuversichtlich stimmt und dadurch haltgebend wirkt. Somit wird „der Mensch“ in der Be- gar eine Lösung anbieten zu müssen. Begleitung in diesem Sinn ist also vor allem eine Würdigung dessen, hospiz & palliativ gegnung gewürdigt und anerkannt, mit all dem, was das Leben ihn gerade fragt oder ihm als Aufgabe stellt. was ein Mensch gerade durchlebt und wie er mit seiner eigenen Situation umgeht. Diese Haltung lässt Unter- akademie 23 schiedliches neben einander gelten und das wäre auch So einfach. So anders. Silvia: Neben der Ganzheitlichkeit ist die Interpro- für die jetzige Situation erstrebenswert und erfreulich. Zoom-Erfahrung im fessionalität eines der Grundprinzipien in der Hos- Bildungsbereich. pizarbeit. Unterschiedliche Berufsgruppen nehmen Eva: In dieser Zeit der mitunter radikalen Heraus- schwer kranke, sterbende und trauernde Menschen forderungen ist der Begriff „Sicherheit“ in den Mit- auf allen vier genannten Dimensionen wahr, bündeln telpunkt gerückt. Mit unserer Grundmotivation, der ihre Kompetenzen und arbeiten auf Augenhöhe im Energie der menschlichen Begegnungsqualität, versu- Sinne von Betroffenen zusammen. Das Verbindende chen wir im Hospiz-Bereich einander zu erkennen. dabei sollte eben die hospizliche Grundhaltung, die Sicherheit könnte auch bedeuten, dass wir trotz Ein- von Empathie, Wertschätzung, etc. getragen wird, schränkungen innerlich frei bleiben– unabhängig von HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg Juni 2021 3
hospizliche haltung Stressoren. Wir freuen uns auf das Respektieren und wurde, haben sie die anderen einschränkenden und respektiert werden – wir bleiben einander herzlich belastenden Maßnahmen nicht als so wesentlich emp- Willkommen. funden. Zum feinen Umgang miteinander gehört es, unterschiedliche Erfahrungen einfach stehen zu las- Astrid: Wir selbst hatten in der Zeit nicht mit Covid- sen, nicht in eine Diskussion einzusteigen, die schnell Patient*innen zu tun, sondern mit Menschen, die an in die Wertung von richtig und falsch geht. Die Kultur einer Erkrankung und dem Schicksal und durchaus des Füreinander-da-Seins bedeutet: etwas ausdrücken an den Covid-bedingten Auswirkungen und Maßnah- zu können, den Schmerz zu äußern, ohne dass dem men gelitten haben. Unser Beitrag war also nicht auf etwas entgegengesetzt wird. Es gilt, das zu würdigen, Distanz zu gehen, sondern stattdessen Gastfreund- was jemand gerade empfindet, sei es die Einsamkeit, schaft aufrecht zu erhalten und die Begegnung in den die Angst, sich von jemandem nicht verabschieden zu Mittelpunkt zu stellen. Hospizlicher Zugang hieß in können, die Wut, die Niedergeschlagenheit ... Dieses diesem Zusammenhang auch: Was ist trotz aller Ein- Zulassen wirkt entlastend: mich hält jemand aus mit schränkungen möglich, anstatt zu betonen, was nicht dem, was für mich gerade schwierig ist. Im Austausch mehr möglich ist. untereinander entsteht so vieles: jemand berichtet, wird gehört, vielleicht sogar verstanden. Das bewegt oft ganz tief. „In dieser Zeit der mitunter radikalen Herausforderungen ist Silvia: Wesentlich scheint mir dabei das Verständnis der Begriff „Sicherheit“ in den für die Individualität der Trauer: Menschen haben ihr Mittelpunkt gerückt. Mit unserer eigenes Tempo und ganz individuelle Bedürfnisse, Grundmotivation, der Energie der menschlichen Begegnungsqua- mit ihrer Trauer umzugehen. Die Krisenzeit hat ge- lität, versuchen wir im Hospiz- zeigt, dass die derzeitige Situation sehr unterschied- Bereich einander zu erkennen.“ lich auf trauernde Menschen wirkt. Einerseits kann die derzeitige Situation entlastend sein, weil auch ein Eva Brunner, pädagogische gewisser Druck wegfällt: Man kann sich derzeit aus Leiterin Hospiz und Palliativ dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen ohne in Akademie Salzburg Erklärungsnot zu geraten – andererseits aber auch ein- schränkend, weil zum Beispiel Rituale fehlen. 2. Viele Menschen sind in der Krisenzeit mit Astrid: Gerade, wenn Rituale fehlen, brauchen Trau- Verlusten konfrontiert, aber auch die Gesell- ernde Räume, wo sie miteinander sein können und schaft als Ganze befindet sich in einer massiven Mitmenschen zum Austausch. Wir müssen Trauer als Verlusterfahrung und einem Trauerprozess. etwas begreifen, das zum Leben dazugehört und uns Welches Wissen ist für einen Umgang mit Trau- Verluste erst aushalten und verarbeiten lässt. Trauern ersituationen hilfreich? ist die Fähigkeit, wenn uns ein Verlust aus der Inte- Mai: „Nirgends sonst fühle ich mich so verstanden, grität, aus dem Gefühl ganz zu sein herausschleudert, wie hier,“ war die Aussage eines Trauergruppen-Teil- mit dem Verlorenen und dem Leben wieder neu in Be- nehmers. Wenn Trauernden die Möglichkeit des Aus- ziehung zu treten. Daraus kann vielleicht ein neues, tausches in ihrer schwierigen Lebenssituation geboten anderes Ganzsein entstehen. 4 Juni 2021 HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
hospizliche haltung Eva: Diese Annahme eines gemeinschaftlichen vermittelnde Illusion zum Einsturz. Ein Mensch stirbt Trauerprozesses alleine erweitert unser Wissen im oder geht und wir können nichts dagegen tun … Umgang mit Trauer. Das Anerkennen einer zeitwei- Trauernde Menschen stehen in einer Unsicherheit, se kollektiven Schwere ist einer der ersten Schritte innerlich: Werde ich es schaffen? Wird das je wieder in diesem Prozess, den wir, wie alles Trauererleben, „gut? – und äußerlich: Das Leben hat sich grundle- nicht zeitlich eingrenzen können oder sollen. Wir gend verändert und ich brauche hohe Fähigkeiten der brauchen Geduld und Mut, uns darauf einzulassen Anpassung an die neue Lebenswelt, in der ich nun und die äußeren Vorgaben mit dem selbst Erlebten, Er- stehe. Kontrollverlust bringt Suche nach Halt hervor. spürten und Erfahrenen zu verbinden. Wir alle haben Diesen Halt im verständnisvollen Dasein und Zulassen ungewohnt zeitnahe Veränderungen, die sich ganz können Trauernde in ihrem Umfeld oft nicht ausrei- unterschiedlich zeigen und anfühlen. Das Vermeiden chend erleben. So kann Halt auch in verstärkter Wer- der Bewertung der individuellen Trauersituationen tung von Richtig und Falsch, von „das gehört sich so“ schützt uns weiterhin vor Distanz. Es ist was es ist, und „das nicht“ gefunden werden, in Widerstand oder was es für mich oder mein Gegenüber auch bedeutet. Anpassung. Der Prozess der Integration des Verlustes ins „neue“ Leben dauert seine Zeit. Dies gilt auch für Christof: Zuallererst ist wieder die Haltung der Acht- die derzeitige gesellschaftliche Verlusterfahrung. Sie samkeit im Umgang mit jedem einzelnen Gegenüber braucht ihre Zeit und wir können nicht so einfach zur Wir müssen Trauer als wichtig. Wie beim Umgang mit Trauer hat jede und Tagesordnung übergehen. Nach einem Verlust sind etwas begreifen, das jeder hat einen unterschiedlichen Zugang zur Situati- wir andere Menschen. zum Leben dazugehört und on. Für die einen ist die Angst um die eigene Gesund- uns Verluste erst aushalten heit vorherrschend, andere sind in ihrer finanziellen Christof: Diese Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Le- und verarbeiten lässt. Trauern Existenz bedroht, manche reagieren mit Wut auf den benssituationen und Umgangsweisen mit Verlust und ist die Fähigkeit, wenn uns ein Verlust von grundrechtlichen und demokratischen Trauer macht es auch so schwierig als Gesellschaft Verlust aus der Integrität, aus Freiheiten, wiederum andere schätzen die Reduktion adäquat damit umzugehen und birgt die Gefahr des dem Gefühl ganz zu sein he- von Verpflichtungen und können der Zeit für ihr eige- Auseinanderdriftens oder der Polarisierung. Achtsam- rausschleudert, mit dem Verlo- nes Leben viel Positives abgewinnen. Hinter mancher keit ist daher schon im Zuhören und in der Sprache ge- renen und dem Leben wieder Trauer steht auch die Angst vor der Konfrontation mit fordert, es gilt Verständnis füreinander aufzubringen neu in Beziehung zu treten. Da- ungelebtem Leben, dem eigenen oder dem vom nahen und neu darauf zu achten, wie Zusammenhalt und raus kann vielleicht ein neues, Menschen. In dieser Krise fokussierte sich vieles zu- Gemeinschaftlichkeit in dieser Zeit wieder gefunden anderes Ganzsein entstehen.“ nächst auf die Angst vor der Erkrankung und deren und gelebt werden können. Folgen, andere „Lebens-Ängste“ gerieten gesellschaft- lich eher ins Abseits. Aber auch diese Ängste sollen 3. Was erlebst Du in Deinem beruflichen Alltag wahr- und ernstgenommen werden und bedürfen in als besonders bedeutsam im Umgang mit Men- vielen Fällen angemessener Unterstützung. schen, die derzeit unsere Hilfe und Unterstüt- zung suchen? Mai: Ein wesentliches Element von Verlusterfahrung Christof: Persönliche Begegnungen bekommen in ist das Erleben eines ultimativen Kontrollverlustes. Im Zeiten, in denen diese über einen bereits sehr langen alltäglichen Leben haben wir oft über lange Strecken Zeitraum erschwert sind, noch einen höheren Stel- das Gefühl, unser Leben quasi „im Griff“ zu haben. lenwert: „Nehmt uns nicht die Tage im Tageshospiz Ein schwerwiegender Verlust bringt diese Sicherheit weg, wo unser Leben ohnehin durch die Krankheit so HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg Juni 2021 5
hospizliche haltung reduziert ist.“ Solche Stimmen waren zu hören, als die aus, wenn wir nichts tun können." Aus dem kleinen mögliche Schließung des Tageshospizes im Vorjahr im Satz „Wie geht es Ihnen damit, dass wir Ihnen nichts Raum stand. Glücklicherweise konnten wir während anbieten können?“ – ist Bewegung entstanden. des gesamten vergangenen Jahres diesen Lebensraum offenhalten. Besondere Nachfrage erfuhren auch die Wir sind in der Betreuung selten diejenigen, die etwas Trauergruppen, weil gerade Trauer Ausdruck und Aus- für andere regeln können, wir können aber darin un- Zustand vollständigen tausch braucht. Unsere Präsenzangebote bekommen terstützen. Wir müssen Menschen, deren Erkrankung körperlichen, seelischen für Betroffene einen hohen Stellenwert gegen das Ge- trotz aller Heilungsversuche fortschreitet, vermitteln, und sozialen Wohlbefindens fühl mit der eigenen Situation alleine gelassen zu sein dass sie deshalb keine „schlechten Patienten“, sondern und nicht nur das Freisein von und sind ein wichtiges Gegengewicht zur Isolation vollwertige, wertvolle Menschen sind; mit Cicely Krankheit oder Gebrechen.“ und Vereinsamung. Saunders gesprochen: „Wenn nichts mehr zu machen ist, gibt es noch viel zu tun.“ Definition von Gesundheit Silvia: Ein wichtiges Gegengewicht zur Verunsiche- in der Satzung der WHO rung in Verlustsituationen ist es auch, Sicherheit zu ge- Mai: Ja, dieses „Tun“, von dem Du sprichst, hat ganz währleisten: äußere Sicherheit durch einen „sicheren viele Aspekte, die sich von Aktionismus und geschäf- Ort“, sowie innere Sicherheit durch klare Informatio- tigem Handeln grundlegend unterscheiden. Es bedeu- nen in Bezug auf Unterstützungsmöglichkeiten und tet im hospizlichen Sinn zunächst einmal das Wahr- Rahmenbedingungen. Zugleich geht es auch darum, nehmen des anderen in seiner oder ihrer besonderen die Selbstwirksamkeit von Betroffenen zu stärken, Situation. Dann das Interesse am anderen, das sich indem man ihnen Zutrauen entgegenbringt. In Ge- nicht im „Ausfragen“ zeigt, sondern in einer wirklich sprächen können Trauernde oft ganz eigene Bewälti- zugewandten Haltung. Dazu gehört auch das Mich- gungsstrategien und persönliche Ressourcen ausfindig selbst-einlassen mit meiner eigenen Verlusterfahrung machen und diese dann mobilisieren. Besondere Be- und Verletzlichkeit und auch das Zulassen dessen, was deutung kommt dabei einer wertfreien Anerkennung in mir und beim anderen aus der Begegnung heraus des Erlebten zu. Dafür braucht es beim Beratenden entsteht: Gefühle, Gedanken, Sorgen und Fragen. Ei- und Begleitenden einen selbstreflektierten und kri- ne Ursache, warum wir uns mit der Trauer anderer tischen Blick auf eigene Gefühle, Vorstellungen und oft so schwertun, sie gleich wegtrösten oder wegre- Werte. den wollen, ist der Zusammenhang mit unserem ei- genen inneren Schmerz. Wenn ich diesen nicht spü- Astrid: Wenn eine Situation Verunsicherung und ren möchte, kann oder darf, werde ich dem Schmerz Ohnmacht auslöst, weiß ich, dass es sich um eine eines anderen Menschen mit Ablehnung, Ignoranz, bedeutende Situation handelt. Für den Umgang da- Bitterkeit, Härte oder völliger Aufgelöstheit begegnen. mit bedeutet es, dass diese Irritation und Hilflosigkeit Manchmal äußern Menschen „ich könnte das nicht, der Anfang eines Prozesses ist, bei dem der nächste andere begleiten, dafür bin ich viel zu sensibel. Da Schritt darin besteht, in die Begegnung damit zu fange ich selbst gleich zu weinen an.“ Sie verkennen, gehen. Wenn ich die Ohnmacht erkenne, kann eine dass sie bei ihrem eigenen inneren Schmerz gelandet Würdigung der Situation auch bedeuten, diese an- sind und der möchte zunächst einmal seinen Platz zusprechen. Ich kann mich an die Äußerung eines finden, bevor ich jenen meiner Mitmenschen aushal- Arztes mir gegenüber erinnern, der das ganz klar zum ten kann. Ausdruck gebracht hat: „Wir Ärzte halten das schlecht 6 Juni 2021 HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
hospizliche haltung 4. Was nimmst Du aus der jetzigen Zeit an wert- ist. Mir fällt dazu Dietrich Bonhoeffer ein, der zwi- voller Erfahrung mit und was lässt Du gerne zu- schen Widerstand und Ergebung unterscheidet, zwi- rück? schen den Situationen, denen wir uns zu ergeben Silvia: Offenheit und Kreativität, also Entfaltungs- haben und denen, in denen wir bewusst einen Stand- möglichkeiten wahrzunehmen und die eigene Ge- punkt beziehen und dies öffentlich machen sollten. sundheit auf allen Ebenen, nicht nur der rein körper- lichen, in den Mittelpunkt zu stellen, erscheint mir wichtig. Ich kann nur unterstützend wirken, wenn „Für mich war es eine Erfah- ich mir selbst auch wichtig bin. Diese Zeit schien rung, der Nichtplanbarkeit mit mir auch einladend dafür, sich Zeit für Weiterent- Gelassenheit begegnen zu wicklungen zu nehmen, Dinge neu zu denken, neue lernen. Mancher Druck, unter Bewältigungsstrategien und Wege zu finden und To- dem ich sonst gestanden bin, war mit einem Schlag nicht leranz in Bezug auf den Umgang mit der jetzigen Zeit mehr da, vieles ist ausgefallen, zu üben – auf Ebene der Familie, der Institution und anderes konnte verschoben der Gesellschaft werden und dennoch geht das Leben weiter.“ Mai: Für mich war es eine Erfahrung, der Nichtplan- barkeit mit Gelassenheit begegnen zu lernen. Man- Mai Ulrich, Leiterin Bildung und cher Druck, unter dem ich sonst gestanden bin, war Öffentlichkeitsarbeit mit einem Schlag nicht mehr da, vieles ist ausgefallen, anderes konnte verschoben werden und dennoch geht das Leben weiter. Und trotz aller Einschränkungen ist auch Neues, Gutes entstanden, zum Beispiel einige zielgruppenorientierte Trauergruppen. Es hängt auch Eva: Was an Erfahrungen mitgeht, wird wachsen und von mir ab, wie ich mich zur jeweiligen Situation aufkommen, da wünsche ich mir, dass ich mein Tem- stelle. Das Zurückgeworfen-Sein auf mich selbst ist in po und meine Möglichkeiten dafür zulassen kann. dieser Situation deutlicher geworden, die Brüchigkeit Das kleine, spontane „Hallo, ich denke gerade an unserer scheinbaren Sicherheit und das Aufeinander- dich…!“ und die Reaktionen, die das mit sich brin- Angewiesensein. Es kann zwischen uns Menschen ei- gen kann – nehme ich mir mit. Das Schätzen, dass es ne tiefe Verbindung entstehen, wenn wir uns dessen JETZT ist und ich durchatmen darf, um mich auf einen bewusst sind, dass uns die Erfahrung von Verlust und nächsten Schritt vorzubereiten. Trauer als Menschen eint. Vielleicht gelingt es mir aus einer gewissen Distanz die Situation mit Humor und Christof: Zurücklassen möchte ich den Alarmmodus, einem Lächeln zu betrachten?! in dem wir seit einem Jahr leben. Er steht mit Bedro- hung in Verbindung. Dieser Krisenmodus sollte sobald Astrid: Im Umgang mit der Krisensituation lernen wir wie möglich wieder einem Klima des Vertrauens und uns neu kennen. Wir verändern uns im Miteinander des Zusammenhalts weichen, um den großen Heraus- und ich erlebe, dass ich die Beziehung zu manchen forderungen der Zukunft möglichst gut begegnen zu Menschen zurücklassen werde, bei denen das Äußern können. Während Social Distancing zur Zeit als Zei- von unterschiedlicher Meinung nicht mehr möglich chen der Solidarität gesehen wird, gilt es gleichzeitig HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg Juni 2021 7
hospizliche haltung zu beachten, dass gerade in Krisenzeiten der persön- Christof: In diesem Jahr ist uns noch bewusster lichen Begegnung besondere Bedeutung zukommt, geworden, wie verletzlich sowohl jedes Menschen- und die Balance zwischen Nähe und Distanz neue leben als auch unsere Gesellschaft als soziales Gefüge Bedeutsamkeit gewinnt. Technische Kommunikati- ist; wie sehr wir aufeinander angewiesen bleiben und onsmöglichkeiten wie Telefonieren oder Videokon- voneinander abhängig sind. Wir wähnen uns oft in ferenzen sind nur eine Möglichkeit in Kontakt zu einer trügerischen Sicherheit, vieles, was uns selbst- bleiben, eine „Notversion“ der Begegnung. Vieles, verständlich erschien, ist ins Wanken geraten. Dies was eine geglückte Kommunikation ausmacht, die kann uns dankbar machen und uns die Möglichkeit „Zwischentöne“, die für eine Verbindung zueinander bieten, auch die Prioritäten im Leben neu zu setzen. wichtig sind, fehlen und können nicht ersetzt werden. Manchen Menschen ist es wichtig geworden, etwas Diese Nuancen und Facetten gilt es zurückzugewin- Sinnvolles im Leben zu tun, etwa durch ehrenamt- nen. Auch das Erhebende, Freudige, das Feiern muss liches Engagement in der Hospizbegleitung. Vielleicht wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. gelingt es auch, auf einiges, dem wir gezwungener- maßen entsagen mussten, auch in Zukunft zu verzich- Eva: Ich persönlich lasse nicht große Dinge zurück. ten. „Weniger ist manchmal mehr“ verkommt dann Es sind eher Momente der Überfrachtung, der Über- nicht zur leeren Floskel, sondern kann lebensgestal- forderung durch Fremdbewertungen, die mein und tend werden: sowohl bei Verzicht auf materielle Güter, unser Leben als sicher und unsicher deklarieren und beim bewussten Wahrnehmen des Schönen rund um so einer Starre, Reduktion und Spaltung einen Nähr- uns, oder die Entscheidung welche Begegnungen oder boden bereiten.Für den Bildungsbereich sollten wir Termine wirklich wichtig sind. mutig und spezifisch sammeln, benennen und öko- nomisch aufbereiten, was die Krise aufgezeigt hat, in Astrid: Das Tragende in dieser Zeit war der Zusammen- möglichst vielen Facetten des Erlebens und Lernens. halt innerhalb unserer Teams aus haupt- und ehren- Zeitpläne, Zielvorgaben, Bewertungen müssen an die amtlich Tätigen. Wir haben uns einander zugewandt kollektiven und individuellen Ressourcen angepasst und die meisten sind dem Betrieb treu geblieben. In werden – in realisierbaren Schritten, um deren Sinn der Krise wird vieles von dem sichtbar, was wir im All- und Wert nicht zu verwässern. tag nicht so deutlich sehen. Das, was uns durchträgt, ist ein gewisses Grundvertrauen und die Hoffnung, gut Mai: Obwohl ich alles andere als ein körperbetonter durch die Situation zukommen. Gerade in der Diskus- Mensch bin, fehlt mir der spontane körperliche Kon- sion um den assistierten Suizid ist mir immer mehr be- takt, eine freundschaftliche Umarmung oder auch der wusst geworden, dass Selbstbestimmung dort, wo ich bisher so „ganz normale“ Händedruck. Er stellt für auf Hilfe angewiesen bin, nicht endet, sondern gerade mich etwas Wertvolles in der Begegnung dar: über erst anfängt. Autonomie braucht auch Resonanz. Erst die Haut, die Wärme, den Druck nehme ich manches wenn ich bedürftig werde, „muss“ ich mich klar äu- auf, was das Auge nicht wahrnehmen kann, ein erstes ßern, was mir wichtig ist, was ich will oder nicht will. Gefühl für den anderen, meine und seine bzw. ihre Selbstbestimmung macht erst dann Sinn, wenn ich Zuwendung, Freundlichkeit oder gar Herzlichkeit. Ich mich in einer Gesellschaft gut aufgehoben fühle. Ich biete nicht meine Faust oder den Ellbogen an, das hat erinnere mich an meine Nichte als sie klein war und für mich keine Qualität. Ich fände es schade, wenn immer sagte „selber machen“ und als zweiten Punkt das Händeschütteln verloren ginge. hinzufügte „mit dir“ – um diese Haltung geht es. p� 8 Juni 2021 HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
aus der hospizbewegung Hospiz-Initiative Pongau | neue Einsatzleiterin Anja Toferer aus Hüttschlag übernimmt die Einsatzleitung der Hospiz-Initiative Pongau. Mein Name ist Anja Toferer, ich bin 47 hätte. Hingabe ist seit einiger Zeit eines Hier kann ich alles, was ich mir in ver- Jahre alt und lebe mit meinem Mann meiner Lieblingswörter. Ich versuche, schiedenen Ausbildungen (Mentorin und meinen beiden Töchtern (12 und auf die Fragen des Lebens zu antwor- für logotherapeutische und existenz- 18 Jahre) in Hüttschlag. ten, diese Fragen möglichst nicht zu analytische Beratung und Begleitung bewerten und meinen inneren Wider- nach Viktor E. Frankl; Fach-Sozialbe- Das Thema Tod und Sterben beglei- stand aufzugeben, wann immer er sich treuerin für Altenarbeit) angeeignet tet mich schon sehr lange. Nach dem zeigt. So fiel mir dieses Ja zu meiner habe, zum Einsatz bringen und mit plötzlichen Unfalltod meiner Schwe- neuen Aufgabe ganz leicht. ganzem Herzen für Menschen in Aus- ster Kathrin hat es mir sehr geholfen, nahmesituationen da sein. mich intensiv mit den Büchern von Für mich war diese neue Tätigkeit von Elisabeth Kübler-Ross zu beschäftigen Beginn an von einem Gefühl des „nach Gerade in der heutigen Zeit ist es mir – und so kam ich unweigerlich auf die Hause Kommens“ begleitet. Auch wenn ein Anliegen, Menschlichkeit und Hospizbewegung. Ich hatte das drin- ich meine Ausbildung für Lebens-, Ster- Wärme zu verbreiten. Das Anliegen gende Bedürfnis, mich mehr und mehr be- und Trauerbegleitung bereits im der Hospizbewegung, Menschen ein in die Thematik zu vertiefen. – Das ist Jahr 2003 absolviert habe und nur kurz Leben in Würde – selbstbestimmt bis wohl meine ureigene Herangehens- ehrenamtlich in der Hospiz-Bewegung zuletzt – zu ermöglichen, entspricht weise, Dinge zu verarbeiten und mit Salzburg tätig war, gehörte der Hos- genau meiner Haltung. Auch dass der Schwerem umzugehen. pizgedanke immer ganz wesentlich Tod wieder seinen Platz in unserem zu meinem Leben. Umso dankbarer Leben und unserer Gesellschaft be- Das Angebot, mich als Einsatzleiterin bin ich nun, dass ich hauptamtlich in kommt, finde ich wichtig. Wenn ich des Mobilen Hospizteams Pongau in der Hospiz-Bewegung Salzburg mit- ein kleines Stück dazu beitragen kann, Bischofshofen zu bewerben, ist mir arbeiten darf und Menschen, die teils dass jemand für sich selbst und seine ganz unerwartet „zugeflogen“ – und vor sehr großen Herausforderungen Angehörigen Wege findet, die sich ich habe spontan Ja gesagt, obwohl ich stehen, auf ihrem Lebensweg begleiten sinnvoll anfühlen, freue ich mich. p eigentlich ganz andere Pläne gehabt kann. +++ Eventuell weitere Tickets erhältlich +++ Benefizkonzert zugunsten der Hospiz-Bewegung Salzburg Aufgrund der angekündigten, bis Redaktionsschluss aber noch nicht bestätigten Regelung ist es sehr wahrscheinlich, dass ab Anfang Juli 2021 sämtliche BEETHOVEN Beschränkungen für Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen aufgehoben werden. SINFONIE NR. 3 „EROICA“, ES-DUR, OP. 55 KLAVIERKONZERT NR. 1, C-DUR, OP. 15 Somit wären noch Tickets für das Benefizkonzert zugunsten der Hospiz- Bewegung Salzburg am Samstag, 10. Juli 2021 verfügbar – Aktuelles unter: www.philharmoniesalzburg.at bzw. tickets@philharmoniesalzburg.at +++ Elias Keller gewinnt »Goldene Note +++ ELISABETH FUCHS Elias Keller (13) hat den diesjährigen Musikförderpreis „Goldene Note“ in der ELIAS KELLER, KLAVIER PHILHARMONIE SALZBURG Kategorie Klavier gewonnen. Die Besucher*innen des diesjährigen Benefizkonzerts 10. JULI 2021 20:00 UHR · EUROPASAAL, KONGRESSHAUS SALZBURG können ihn live erleben: Gemeinsam mit der Philharmonie Salzburg unter Leitung HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg von Elisabeth Fuchs wird er als Solist beim Benefizkonzert auftreten.
hospizliche haltung Assistierter Suizid: Gemeinsame Stellungnahme des Dachverbands Hospiz Österreich und der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG) Hospiz und Palliative Care stehen für das Prinzip eines würdevollen und lebenswerten Lebens bis zum Lebens- ende durch aktive und umfassende Betreuung und Begleitung. Hoher Respekt vor dem Selbstbestimmungs- recht jedes Menschen leitet uns bei den nachfolgend ausgeführten Positionen, mit denen wir unsere Haltung konkretisieren. I m Zusammenhang mit der Neugestaltung des bensbedrohlichen Erkrankung und ihrer Zu- und An- § 78 StGB bzw. einer künftigen Regelung zum Thema gehörigen zu verbessern und sie bei den vielfältigen assistierter Suizid ist es aus unserer Sicht unverzicht- Problemen, die damit einhergehen, zu unterstützen. bar, dass einige grundlegende Prinzipien sichergestellt Leiden soll vorgebeugt und gelindert werden, insbe- werden: sondere durch frühzeitige Erkennung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Belastungen körper- Rahmenbedingungen für einen Tod in Würde licher, psychosozialer und spiritueller Natur. und Sicherheit • Schutz vulnerabler Gruppen Was die Hospiz- und Palliativversorgung kann • Verhinderung von Missbrauch Eine adäquate Betreuung, Behandlung und Begleitung • Freiheit von Zwang bei der Entscheidung über das erfordern ein vielfältiges Angebot in einem System ab- eigene Lebensende gestufter Versorgung, um die richtigen Patienten zur • Freiheit von Zwang und Sicherheit für das Gesund- richtigen Zeit am richtigen Ort zu versorgen. Palliative heitspersonal Grundversorgung soll in allen Einrichtungen des Ge- sundheits- und Sozialwesens geleistet werden. Spezi- Allgemeine Anmerkungen alisierte Hospiz- und Palliativversorgung stellt darüber Von Respekt und Wertschätzung getragen, ist es das hinaus in komplexen Situationen und bei schwierigen Ziel der Hospiz- und Palliativversorgung, die Lebens- Fragestellungen zusätzliche interprofessionelle Ange- qualität von Patientinnen und Patienten mit einer le- bote zur Verfügung, die auf individuelle und unter- 10 Juni 2021 HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
hospizliche haltung schiedliche Bedarfs- und Bedürfnislagen abgestimmt nenvertretung müssen verstärkt im Bewusstsein der sind. Die Grundhaltung der Hospiz- und Palliative Bevölkerung verankert und einfach zugängig gemacht Care auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung und werden. Die Umsetzung des Vorsorgedialogs (im Sinne der Gesellschaft zu integrieren ist ein zentrales Anlie- des Advance Care Planning) muss im mobilen Bereich gen. und in Einrichtungen stationärer Betreuung finanziert werden. Was wir in der Versorgung von Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen brauchen Ein Basiswissen zu Hospiz und Palliative Care muss Die langjährige Forderung, die Hospiz- und Palliativ- in den Grundausbildungen aller Gesundheits- und Be- versorgung mit adäquaten Ressourcen auszustatten, treuungsberufe und sozial-spirituellen Berufe integriert Von Respekt und Wert- gewinnt mit Blick auf die künftige Möglichkeit des sein, dazu sollen spezialisierte Ausbildungsprogramme schätzung getragen, assistierten Suizids zusätzlich an Dringlichkeit und verstärkt von der öffentlichen Hand gefördert werden. ist es das Ziel der Hospiz- und Brisanz. Die aktuell zu konstatierende Mangelversor- Die umfassende Integration von Hospizkultur und Pal- Palliativversorgung, die Le- gung auf diesem Gebiet kann das Risiko bergen, dass liative Care in Einrichtungen der Seniorenbetreuung, bensqualität von Patientinnen Menschen sich der Option des assistierten Suizids zu- Pflege und Geriatrie und Versorgungseinrichtungen für und Patienten mit einer lebens- wenden, weil keine angemessene Hospiz- und Pallia- Menschen mit Behinderung muss gestärkt werden. bedrohlichen Erkrankung und tivversorgung zur Verfügung steht. ihrer Zu- und Angehörigen zu Darüber hinaus sollte Wissen über Hospiz und Palli- verbessern und sie bei den viel- Daher muss aus unserer Sicht jetzt mehr denn je si- ative Care schon in der schulischen Ausbildung Platz fältigen Problemen, die damit chergestellt werden, dass Jede und Jeder, die oder der finden, zum Beispiel im Rahmen eines Ethik- oder einhergehen, zu unterstützen.“ dies benötigt, Zugang zu Hospiz- und Palliativversor- Religionsunterrichtes oder durch das Projekt „Hospiz gung hat – leistbar, flächendeckend, unabhängig vom macht Schule“. Wohnsitz, rund um die Uhr. Verstärkte Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit sol- Alle Einrichtungen der abgestuften spezialisierten len dabei unterstützen, Menschen über Betreuung am Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich müssen Lebensende zu informieren und ihnen die Angst vor durch die öffentliche Hand voll finanziert werden. Abhängigkeit, Autonomieverlust und Leid zu nehmen. Zugleich müssen Maßnahmen der Suizidprävention ausgebaut und mit ausreichenden Mitteln ausgestat- tet werden. Mit Blick auf das genannte Risiko durch Wichtige Überlegungen zu einer Regulierung Mangelversorgung müssen auch Angebote und Ein- des assistierten Suizids aus Sicht von Hospiz richtungen zur Betreuung und Versorgung alter Men- und Palliative Care schen, von Menschen mit Behinderung und der Unter- Bei der rechtlichen Ausgestaltung einer Option zum stützung für pflegende Angehörige ausgebaut und mit assistierten Suizid, wie sie Regierung und Gesetzgeber ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden. planen, sind aus der Sicht von Hospiz und Palliative Care einige Eckpunkte zentral: Bereits bestehende Möglichkeiten zur Wahrung der • Ziel einer Regulierung ist es, assistierten Suizid für Autonomie am Lebensende wie die Errichtung einer bestimmte Personen und unter bestimmten Bedin- Patientinnen- und Patientenverfügung, einer Vorsor- gungen straffrei zu stellen. Es soll keinen durchsetz- gevollmacht oder die Möglichkeit einer Erwachse- baren Rechtsanspruch auf assistierten Suizid geben. HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg Juni 2021 11
hospizliche haltung • Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass eine Be- • Erledigung der Dokumentations- und Meldepflich- reicherung durch die Assistenz zum Suizid ausge- ten schlossen wird. • Suizidassistenz soll nicht auf Wiederholung aus- • Um die Möglichkeit des assistierten Suizids in An- gelegt sein. spruch nehmen zu können, muss die betroffene Per- son zum Zeitpunkt der Willensäußerung ebenso wie Begleitende Personen, die nicht bei der Verabreichung zum Zeitpunkt der Durchführung: des Medikaments assistieren, bleiben immer straffrei, • volljährig sein und auch wenn die assistierende Person nicht die Kriterien • entscheidungs- und urteilsfähig sein und der Straffreiheit erfüllen sollte. • einen Hauptwohnsitz in Österreich haben und • an einer diagnostizierten, chronisch fortschreiten- • Assistierter Suizid ist keine Aufgabe des öffentlichen den oder weit fortgeschrittenen Erkrankung mit Gesundheits-, Sozial- und Pflegewesens und keine Auf- begrenzter Lebensdauer leiden und gabe der Hospiz- und Palliativversorgung. Vielmehr • die Entscheidung unbeeinflusst von Dritten und sind in allen Bundesländern – auf bundesweit einheit- sozialem Druck treffen und licher Basis – Koordinationsstellen einzurichten, die • nicht an einer die Autonomie beschränkenden dafür Sorge zu tragen haben, psychischen Erkrankung leiden, wie zum Bei- • dass unabdingbare Voraussetzungen für den assis- spiel einer behandelbaren Depression oder einer tierten Suizid, wie die Feststellung der Entschei- akuten Suizidalität. dungs- und Urteilsfähigkeit der suizidwilligen Per- son oder das Fehlen von Beeinflussung und Druck • Eine Sterbeverfügung im Sinne einer Festlegung auf durch Dritte durch entsprechende Mechanismen einen assistierten Suizid zu einem unbestimmten überprüft werden, Zeitpunkt in der Zukunft muss ausgeschlossen wer- • dass von suizidwilligen Personen Beratungsange- den, da es zum späteren Zeitpunkt zu einer Kollisi- bote im Bereich Palliative Care, Psychiatrie sowie on des natürlichen Willens mit dem vorausverfügten Sozialarbeit in Anspruch genommen werden kön- Willen kommen kann. nen, • Eine assistierende Person (also eine Person, die • dass alle Verfahrensschritte rund um einen assis- Handreichungen bei der Verabreichung des Medi- tierten Suizid im Detail dokumentiert werden, kamentes leistet) muss folgende Voraussetzungen • dass die Voraussetzungen für Begleitforschung ge- erfüllen, damit der assistierte Suizid straffrei ist: schaffen werden. • Volljährigkeit • Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit • Keine Einrichtung im Gesundheits-, Sozial- und Pfle- • Bereitschaft zur Hilfeleistung aus eigenem, schrift- gewesen soll zu Aktivitäten im Zusammenhang mit lich festgelegten Willen assistiertem Suizid verpflichtet werden, ebenso we- • Anwesenheit während des gesamten Prozesses bis nig individuelle Angehörige von Gesundheits- und zum Eintritt des Todes Sozialberufen. • Veranlassung medizinischer Maßnahmen bzw. • Die künftige Regelung muss, wie dies auch der Beiziehung medizinischer Unterstützung im Fall Verfassungsgerichtshof angesprochen hat, berück- von Komplikationen sichtigen, dass Entscheidungen zum Lebensende auch durch soziale und ökonomische Umstände 12 Juni 2021 HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
aus der hospizbewegung beeinflusst werden. Daher müssen Maßnahmen zur Hospiz-Initiative Tennengau | scheidende Einsatzleiterin Verhinderung von Missbrauch vorgesehen werden, insbesondere im Hinblick auf das Risiko möglicher Birgit Rettenbacher beendete mit 7. Juni 2021 nach beinahe zehn Jahren ihre Entscheidungen zum Suizid unter dem Einfluss Aufgabe als Einsatzleiterin der Hospiz-Initiative Tennengau. Dritter. Zum Zweck der Missbrauchsvorbeugung sind daher sowohl Mechanismen der prospektiven Birgit Rettenbacher hatte zuvor ein Jahr ehrenamtlich im Tennengauer Team ge- als auch der retrospektiven Kontrolle (auf der Basis arbeitet und nahm die Begeisterung für lebendige Hospizarbeit auch in ihre Leitungs- einer detaillierten Dokumentation) vorzusehen. funktion der Hospizteams mit, die sie von Christl Mitterlechner im Oktober 2011 übernahm. So setzte sie sich intensiv für die Begleitung von Menschen in der letzten Diese Eckpunkte sind aus der Perspektive von Hospiz Lebensphase ein, um ihnen ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechend Beglei- und Palliative Care zentrale Elemente einer künftigen tung und Betreuung in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen. Regulierung des assistierten Suizids. Die Einführung einer Möglichkeit des assistierten Suizids, bevor eine Die Zusammenarbeit mit dem Landesklinikum Hallein und besonders mit der dortigen Vollversorgung im Bereich Hospiz und Palliative Care Palliativstation war ihr ein großes Anliegen. Sie initiierte hospizliche Entlastung und sichergestellt ist, birgt aus unserer Sicht das große Ri- Unterstützung von Patient*innen im Krankenhaus, in Seniorenhäusern und zu Hause. siko, dass Menschen sich nur aufgrund inadäquater Auch trauernde Menschen der Region fanden bei ihr ein offenes Ohr. So baute sie eine Betreuungs- und Behandlungsangebote für den assis- offene Trauergruppe in Hallein auf und koordinierte Begleitungen durch ehrenamtlich tierten Suizid entscheiden, nicht aus freien Stücken. tätige Trauerbegleiter*innen. Das gilt es zu verhindern. Birgit Rettenbacher wurde für ihre einfühlsamen Begleitgespräche von schwerkranken Hospiz- und Palliativversorgung bleiben im Interesse Menschen und deren Angehörigen außerordentlich geschätzt, ihre Teammitglieder eines menschenwürdigen Lebensendes unverzichtbar. fanden in ihr und ihrer hohen Leitungskompetenz und Anleitung eine wichtige Stütze. Wichtig war ihr auch die Vernetzung mit anderen Organisationen und Diensten im Sin- Waltraud Klasnic ne aller Betroffener. Nun wendet sie sich anderen wichtigen Lebensaufgaben zu. Präsidentin Dachverband Hospiz Österreich Wir danken Birgit herzlich für ihre Lebensfreude und die wertvollen in der Hospiz- Dr. Dietmar Weixler MSc (palliative care) Bewegung Salzburg geleisteten Dienste und wünschen ihr für den weiteren Lebensweg Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft alles Gute und viel Erfolg! Die Stellungnahme wurde von der Arbeitsgruppe aus dem Dachverband Hospiz Österreich und der Öster- reichischen Palliativgesellschaft (OPG) am 13.4.2021 erarbeitet: MMag. Christof Eisl, Dr. Christina Grebe MSc, Waltraud Klasnic, Priv. Doz. Dr. Gudrun Kreye, Univ. Prof. Dr. Rudolf Likar MSc, Dr. Veronika Mosich MSc, Mag. Werner Mühlböck MBA, Mag. Leena Pelt- tari MSc, DSA Bettina Pußwald, MSM, Sonja Thalin- ger MSc, Manuela Wasl MSc, Univ. Prof. Dr. Herbert Watzke, Dr. Dietmar Weixler MSc, Dr. Karin Zoufal HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg Juni 2021 13
kontaktstelle trauer Wie geht es uns? Erfahrungen eines trauernden Vaters. „Wie geht’s dir?“ Die typische Begrüßungsfloskel, hängt mir echt zum Hals raus! Das Gegenüber erwartet natürlich ein „Super“. Antwortet man mit „beschissen“ schaut das Gegenüber meist entgeistert und es fehlen ihm oder ihr die Worte. Wenige wissen darauf etwas zu sagen. Aber warum auch? S ich „beschissen zu fühlen“, war bis zum Tod un- Früher denke. Wenig Zeit, wo ich mich richtig wohl- serer Tochter Flora auch mir ein kaum bekannter fühlen kann. Gemütszustand! Ich genoss das Leben, ich genoss die innige Zeit mit meiner Tochter, genoss die Zwei- Unsere Flora ist am 18. März 2020 gegangen, wir samkeit mit meiner Frau, die Zeit mit meinen Freun- wissen bis heute nicht warum. Plötzlicher Kindstod! den, genoss die Zeit mit meiner gesamten Familie Es war der schrecklichste Tag in meinem Leben! Mit- und einfach das ganze Drumherum – alles war für ten in der Nacht einfach von uns gegangen. Flora mich perfekt. lag leblos im Bett, die Reanimationsversuche blieben erfolglos, auch das rasch eingetroffene Notarztteam Seit dem unsere Tochter gegangen ist, hat sich alles konnte nichts mehr machen. Die ersten Stunden ver- geändert! Ich kenne leider nur noch wenige schö- brachte ich im Schock, mit im Nachhinein betrach- ne Momente, wenige Augenblicke, wo ich nicht an tet unglaublichen Gedanken: „Wir machen eine neue 14 Juni 2021 HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
kontaktstelle trauer Flora!“ Diese Gedanken hielten sich mehrere Tage bis teilen darf, ohne missverstanden zu werden. Und ich endlich begriff, dass mir niemand meine Tochter Gleichzeitig auch die Schmerzen des Gegenübers zurückbringen kann. Das lustige, unkomplizierte und wahrzunehmen und zu verstehen. Daraus zu schlie- lebensfrohe Mädchen, mit dem ich die schönsten 20 ßen, dass es auch „andere“ gibt! Menschen, die auch Monate meines Lebens verbringen durfte, ist weg. von heute auf morgen in einer Welt ohne Perspektive stehen und nicht wissen, wies weitergehen soll. Am Morgen von Floras Tod waren dann die Anrufe bei der Familie, bei Mama und Papa, bei Bruder und Wir suchten uns eine Therapeutin. Die Gespräche, Schwester und bei unseren Freunden. Alle haben die aufgrund Coronalockdown online stattfinden freundlich abgehoben, „Hallo Stefan, wie geht’s?“ mussten, taten zwar gut, gaben mir aber auch keine Woher sollten sie auch wissen, was passiert ist!? wirkliche Befriedigung, nicht das Gefühl verstanden Nach der schrecklichen Nachricht waren alle scho- zu werden. Wir suchten nach einer Trauergruppe, ckiert, begriffen nicht, was diese Nachricht eigent- fanden aber nur Kontakte von stillgelegten Gruppen. lich bedeutet. Die über alles geliebte Enkelin, Nichte, Meine Frau rief schlussendlich bei der Kontaktstelle Vor allem in den ersten Cousine, Freundin … nicht mehr da! Alle in unserem Trauer an, ob es irgendwo eine aktive Trauergruppe Wochen bekamen wir Umfeld hatten das liebenswürdige Mädchen in ihr für betroffene Eltern gäbe. Mai Ulrich begab sich als von vielen Seiten Unterstüt- Herz geschlossen. Leiterin auf die Suche, aber ebenso erfolglos. zung: Familie, Freunde, Nach- barn versuchten uns etwas In den ersten Tagen nach Floras Tod waren meine Dies gab ihr die Initialzündung für die Gründung Gutes zu tun, uns abzulenken. Frau und ich einfach nur abwesend! Abwesend von einer eigenen Trauergruppe für Eltern, deren Kind Sie kamen auf Besuch, stellten der ganzen Welt. Der Welt, in der wir uns immer so verstorben ist, für „unsere“ Trauergruppe. „Leider“ uns Essen vor die Tür oder rie- wohl gefühlt hatten. Jener Welt, die wir uns in den fanden sich mehrere Pärchen, die ihr Kind verloren fen uns an. Jede Anteilnahme mehr als 20 Jahren Gemeinsamkeit geschaffen ha- haben (mit „leider“ möchte ich ausdrücken, dass ich gab uns ein wenig Kraft, selbst ben. Plötzlich ohne Inhalt, ohne Zukunft, ohne Sinn. niemandem solch einen Verlust auferlegen würde, die Kondolenzschreiben über ich aber froh bin, dass es diese Menschen in unserer die Onlineplattform des Bestat- Vor allem in den ersten Wochen bekamen wir von Gruppe gibt). tungsunternehmens gaben mir vielen Seiten Unterstützung: Familie, Freunde, Nach- ein wenig das Gefühl, dass wir barn versuchten uns etwas Gutes zu tun, uns abzu- Wir sind nun fünf Paare, die etwas gemeinsam ha- in unserer Trauer nicht allein lenken. Sie kamen auf Besuch, stellten uns Essen vor ben, zehn Menschen, die etwas gemeinsam teilen: sind.“ die Tür oder riefen uns an. Jede Anteilnahme gab uns den Verlust eines Kindes. Egal wie alt das Kind war, ein wenig Kraft, selbst die Kondolenzschreiben über egal wie viel Zeit man mit dem Kind verbringen durf- die Onlineplattform des Bestattungsunternehmens te, egal was man alles durchstehen musste: die Trau- gaben mir ein wenig das Gefühl, dass wir in unserer er sitzt bei jeder und jedem in unserer Gruppe tief, Trauer nicht allein sind. die Gefühle, Gedanken und Erfahrungen mit dem jeweiligen Umfeld ähneln sich. In den vielen gut gemeinten Versuchen uns zu un- terstützen, die Trauer zu lindern, uns aufzuheitern Der Austausch in der Gruppe hilft mir in meiner fehlte mir aber etwas Wesentliches: ein Gegenüber, Trauerbewältigung! Ich merke, dass ich nicht allein das ähnliches erfahren musste, ein Gegenüber mit bin mit meinen Gefühlen, auch andere müssen die- dem ich mich wirklich austauschen kann, Gefühle sen Weg gehen. Die Bestätigung, dass auch andere HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg Juni 2021 15
kontaktstelle trauer so empfinden, gibt mir Kraft. Kraft, wieder nach vor- gehe, wird mir dann meist bewusst, dass etwas raus ne zu sehen, das Vergangene aber nicht zu verges- muss, der innere Druck abgelassen gehört. Und sen. Mitzunehmen in eine neue Zukunft und darauf in der Runde, in unserem behüteten Sesselkreis, aufzubauen, auch wenn es schwer fällt. fühle ich mich dann plötzlich wohl, aufgehoben un- ter „Gleichgesinnten“ die mich verstehen. Ich darf Wir sind unterschiedliche Menschen in der Trau- gleichzeitig die Gefühle der Anderen wahrnehmen ergruppe, wir haben unterschiedliche Bedürfnisse, und merke, dass es nicht nur mir so beschissen geht. unterschiedliche Spiritualität, alle sind wir unter- schiedliche Individuen. Aber eines eint uns: der Ein einziges Mal habe ich an einem Treffen teilge- Tod unserer Kinder. Und darüber zu sprechen, das nommen, wo ich bei der Hinfahrt das Gefühl hatte, dass ich an diesem Abend nichts sagen möchte bzw. nicht das Bedürfnis verspürte mich auszutauschen. „Auch jetzt spüre ich noch Während des Zuhörens in der Gruppe empfand ich die tägliche Last, die jeden jedoch, dass auch ich etwas loswerden möchte und Tag mehr wird, aber im es sprudelte aus mir heraus. Die aufgestauten Ge- Bewusstsein, dass ich mich danken der letzten Tage mussten raus, danach fühlte ab und an davon auch wieder ich mich erleichtert, freier, gelöst. Gelöst von einer lösen darf, lässt mich nach schweren Last, die ich über Tage tragen musste. vorne blicken.“ Auch jetzt spüre ich noch die tägliche Last, die jeden Tag mehr wird, aber im Bewusstsein, dass ich mich ab und an davon auch wieder lösen darf, lässt mich nach vorne blicken. Wie es mir wirklich geht, das kann ich in der Trauer- gruppe mitteilen. Ich danke der Trauergruppe, dass es jeden Einzelnen von euch gibt, dass ihr mir zu- Erlebte gemeinsam zu teilen, die eigenen tiefsten hört, dass ihr eure Gefühle so ehrlich teilt und ich so- Gefühle der Gruppe mitteilen zu dürfen und vor mit merke, dass wir nicht allein sind! Niemand sollte allem ehrlich und respektvoll einander zu begegnen, solche Erfahrungen machen wie wir, doch wünsche das schätze ich an unserer Trauergruppe. Und ich ich allen die es benötigen, eine vergleichbare Gebor- denke auch alle anderen. Meist kommen alle bei un- genheit! p seren dreiwöchigen Treffen, es braucht schon einen triftigen Grund, dass wer fehlt. Stefan Zenz Auch wenn es manchmal schwer fällt hinzugehen! Ich habe oft schon am Vorabend von unseren Tref- fen das Gefühl, eigentlich nicht hingehen zu wollen, mich nicht mit der Realität auseinandersetzen zu wollen, nicht meine Gefühle nach außen zu tragen. Je mehr ich dann darüber nachdenke und in mich 16 Juni 2021 HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg
buchvorstellung Gemeinsam durch tiefste Trauer gehen und wieder ins Leben finden Als Elternpaar ein Kind zu verlieren, bedeutet mutmaßlich, die größtmögliche Katastrophe zu erleben. Nach dem Unfalltod ihres Sohnes Simon sind Roland und Christa Kachler gemeinsam durch diese Schmerzerfahrung hindurchgegangen. Als Theologe und Psychotherapeut bzw. als Sozialpädagogin haben sie sich intensiv nicht nur mit der ei- genen Trauererfahrung auseinandergesetzt, sondern darüber hinaus eine Vielzahl von Eltern mit gleichem Schicksal befragt. Die persönlichen Erfahrungen während der ersten, intensiven Jahre des Trauerns und die erhobenen Befunde haben sie in einem „Paarbuch für trauernde Eltern“ niedergeschrieben. Entstanden ist ein einfühlsames, bewegendes Doku- ment: die Erfahrung des unsagbar tiefen Verlusts, Roland Kachler und die Sorge um den Fortbestand der eigenen Bezie- Christa Majer-Kachler: hung, die jeweils unterschiedliche Form des Trauerns Gemeinsam trauern – und vor allem die langsame, zunächst kaum vorstell- gemeinsam weiter lieben. bare Einübung eines Lebens, in dem das verstor- Das Paarbuch für trauernde bene Kind den ihm angemessenen Platz innehat und Eltern. in dem nach und nach die Paarbeziehung, die Rolle als Eltern und das Zusammensein mit Verwandten Kreuz-Verlag, 2013 und Freunden wider Platz greift, wird in zehn Kapiteln 220 Seiten beschrieben. Auch wenn jeder Trauerprozess als ISBN 978-3-451-61171-1 persönliche Erfahrung durchlebt und durchlitten wer- Euro 17,50 den muss, so ist das Wissen um dessen (möglichen) Verlauf und um die Möglichkeiten der aufmerksamen, fürsorglichen Begleitung eine unschätzbare Stütze: Neben detaillierten Beschreibungen der persönlichen Trauererfahrung als Mutter und Vater bzw. als Partner*in geben die Kapitel Einblick in die Wucht des immer wieder neu aufbrechenden Schmerzes, eingestreute „Impulse“ aber auch Hilfestellung zur schrittweisen Bewältigung des Prozesses. Der Ansatz des „Komplementären Trauerns“ steht im Zentrum des Buches und wird als „neuer und hilfreicher Ansatz für trauernde Paare“ ausführlich erläutert (S. 93ff.). Redende und handelnde, extro- und introvertierte, emotionale und rationale sowie spirituelle und diesseitsorientierte Trauer werden als gleich- wertige, sich vielfach ergänzende, oft einander bedingende Formen beschrieben. Breiter Raum wird aber auch „dem Weg zurück zur Partnerschaft“ (S. 112ff.) und der Beziehung zu anderen (etwa auch in Selbsthilfegruppen) eingeräumt, und nicht zuletzt wird auch das Thema Sexualität angesprochen. Im letzten Abschnitt werden der Fragebogen und die wichtigsten Befunde der Auswertung dargestellt. Ein Detail daraus: „Selbsthilfegruppen Betroffener, Trauerbegleitung und psychotherapeuti- sche Begleitung werden durchweg als sehr hilfreich beschrieben. Paare sollten also solche Hilfen – mög- lichst gemeinsam – in Anspruch nehmen.“ (S. 217) Walter Spielmann HOSPIZ BEWEGUNG Salzburg Juni 2021 17
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