Theatertreffen der Jugend- 21. April 2018 - Berliner Festspiele
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Inhalt 2 Vorwort Christina Schulz, Leiterin Theatertreffen der Jugend 4 Bühne 6 Das Phantom von Uruk 10 Being Peer Gynt 15 CHICKS* UNITED 22 Einige Nachrichten an das All 28 SIE MÖGEN SICH 34 Erste letzte Menschen 40 DAS GIPFELTREFFEN 44 Caligula 49 Bühne Spezial 52 Nominierungen 54 Kick-off 58 Campus 61 Praxis 68 Dialog 69 Fokus 70 Spezial 74 Forum 77 Praxis 81 Dialog 82 Forum für Studierende 83 Kuratorium 84 Jury 86 Statistik 88 Bundeswettbewerbe 89 Impressum 90 Kalendarium
Vorwort Auf was beziehen sich junge Menschen, und sich fragt, was hat das eigentlich mit wenn sie Theater spielen? Die Welt da uns im Hier und Jetzt zu tun. Ins „Selbst“ draußen? Oder nur auf sich selbst? Und wagen sich auch die Spieler*innen in „Being warum eigentlich „nur“? Was hat das eine Peer Gynt“, indem sie sich fragen, welche mit dem anderen zu tun, wie beeinflussen Wesensarten von Henrik Ibsens nicht gerade sich das „Selbst“ und das „Draußen“? Jede*r sympathischem Peer Gynt vielleicht doch in von uns bewegt sich in einem (Ordnungs-) ihnen stecken und wie sie das eigentlich fin- System aus Hierarchien und Kategorisierun- den. In „CHICKS* UNITED“ wird lustvoll und gen, Fremdzuschreibungen und daraus schambefreit die konventionelle Ordnung resultierenden inneren und äußeren Konflik- in Bezug auf den weiblichen Körper gestört. ten. Es erscheint richtig, sich auf sich selbst Die Selbstbefragung wird in „Einige Nach- zu beziehen und sich in Beziehung zu der richten an das All“ herausgefordert, denn Welt zu setzen, deren „Ordnung“ wir nicht nichts scheint weniger verfügbar zu sein als ohne weiteres aus den Angeln heben kön- der immer laufende Motor der konsumori- nen. Aber wir können versuchen, sie zu entierten Unterhaltungsmaschinerie. Dass verstehen und eine Haltung zu uns selbst, selbst die Liebe politische Dimensionen be- zu anderen Menschen und zur Welt, die uns inhaltet, wird mit großem Aktualitätsbezug umgibt, zu entwickeln. Wie der Autor James in „SIE MÖGEN SICH“ bearbeitet. In „Erste Baldwin sagt: „Nicht alles lässt sich ändern, letzte Menschen“ werden Geschichten von aber nichts ändert sich von selbst.“ Dieses und über Menschen erzählt, denn nur wenn Zitat dient den Gruppen dieses Jahrgangs wir die Geschichten der Menschen erzählen als Grundlage ihrer kurzen Selbstvorstellun- und verstehen, können wir darüber verhan- gen bei der Eröffnung des Theatertreffen deln, wie wir miteinander leben wollen. der Jugend. Sie alle haben sich auf den Weg Das Verhandeln des „Selbst“ wird in „DAS gemacht. Eine sechste Klasse aus Niesky GIPFELTREFFEN“ in performativer Weise beginnt, Theater zu spielen und sich zu ver- erprobt. In „Caligula“ von Albert Camus abschieden von der Idee, es müsse ein Mär- zeigen die Spieler*innen anhand genuiner chen sein, nur weil es das ist, was man aus Mittel des Theaters, wie sich Menschen im Kindertagen so kennt, wenn das nächste geschlossenen – durch Macht geführten – Theater mindestens hundert Kilometer ent- System so verhalten, dass sie darin koexis- fernt liegt. Da gibt es ein Epos mit der Figur tieren können. Allen Stücken ist gemeinsam, Gilgamesch, zu der man in „Das Phantom dass die Lebensrealitäten der jungen Spie- von Uruk“ einen spielerischen Zugang findet ler*innen von ihnen selbst befragt werden 2
und sie nach etwas suchen, das eben doch Allen eingeladenen Ensembles, den Dele- so relevant ist, dass es auf der Bühne vor gierten der Zwischenauswahl, den jungen Publikum verhandelt werden kann und muss. Künstler*innen im Rahmenprogramm, den Denn dadurch können sich die Sichtweisen ehemaligen Teilnehmer*innen der Bundes- aller erweitern und gegebenenfalls ändern, wettbewerbe im Alumniprogramm und in auf eine Frage kann es mehr als eine Ant- der Redaktion der Festivalzeitung, den vie- wort geben. Die Theaterbühne kann so zu len Theatermacher*innen und Expert*innen einem vielstimmigen Verhandlungsort des CAMPUS- und Fachprogramms, den werden. Besucher*innen unseres Fachprogramms und der Aufführungen sage ich: Herzlich Das Theatertreffen der Jugend versteht sich willkommen! Wir freuen uns auf eine inten- als ein Lern- und Erfahrungsraum, in dem sive Woche mit Euch und Ihnen allen! möglichst viele verschiedene Perspektiven auf das Theater ihren Platz finden sollen. Neben den Aufführungen sind deshalb zum Dr. Christina Schulz CAMPUS-Programm für die jugendlichen Leiterin Theatertreffen der Jugend Spieler*innen und zum FORUM-Programm Bundeswettbewerbe der Berliner Festspiele für die Theatermacher*innen viele Expert*- innen zu unterschiedlichen Workshops und Gesprächsformaten eingeladen. Ihnen allen danke ich herzlich für ihre Arbeit, ebenso wie der Jury für ihre Auswahl und ihren wertschätzenden Blick auf die einge- reichten Arbeiten. Dem Kuratorium danke ich für die fachliche Unterstützung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die Förderung. Ein besonderer Dank gilt meinem Team und allen Kolleg* innen der Berliner Festspiele, die für das Theatertreffen der Jugend vor und hinter den Kulissen arbeiten. 3 Theatertreffen der Jugend
Das Phantom von Uruk Theater-AG Die Eleven, Friedrich-Schleiermacher- Gymnasium Niesky, in Zusammenarbeit mit KOST – Kooperation Schule und Theater in Sachsen Mit Lorena Eichler, Luisa Fräßdorf, Lina Fuhrmann, Jeremias Grabs, Luisa Grillmeyer, Emilie Hartwig, Judith Kagelmann, Elena Kark, Janneck Krause, Anne Kriebisch, Robert Rießner, Daniel Rose, Alma Schröter, Greta Sirto, Yana Staneva Kerstin Schönbrodt, Ben Graul Spielleitung Ben Graul Bühne, Kostüm, Licht und Musik Jeremias Grabs, Robert Rießner Ton Freitag, 13. April 2018, 20:00 Uhr 7 Theatertreffen der Jugend
Das Ensemble über sich und die Produktion Die Spezies Die Eleven lebt ganz im Osten Engagement in das eine Theaterstück, das Deutschlands, da, wo die Sonne aufgeht es ihnen besonders angetan hatte. Es trägt und die wilden Wölfe durch die Wälder strei- den mysteriösen Titel „Das Phantom von fen. Häufig hält sie sich in der kleinen Stadt Uruk“ und es war wirklich nicht immer Niesky auf, die auch schon 275 Jahre alt ist. leicht für Die Eleven, dieses Stück umzu Dort gibt es ein Gymnasium, in dem alle setzen. Aber alle gaben ihr Bestes. Mit Hilfe Vertreter*innen dieser Spezies mit anderen der Rudelführerin Kerstin Schönbrodt, Leh- Schüler*innen lernen. Ebenso nehmen sie rerin für Deutsch und Geschichte am Gym- mit großer Begeisterung seit August 2016 an nasium, und Ben Graul, die beide ein Auge einer Theater-AG teil. Und das Theaterspie- für die kleinen oder auch manchmal großen len ist es, neben vielen einmaligen Fähigkei- Reserven haben, gelang es der Gruppe im- ten der Angehörigen dieser Art, das sie alle mer besser, die Sage von Gilgamesch – und miteinander verbindet. Die Eleven halten was diese mit ihnen zu tun hat – auf kreative jeden Dienstag eine Versammlung von und witzige Weise auf der Bühne umzu 90 Minuten ab. In dieser Zeit wird geprobt, setzen. Die beiden waren wichtig für die werden Theaterkonzepte besprochen und Spezies, damit sich alle angenommen viele interessante Spiele gespielt. Doch die fühlen, ihre Aufgaben bekommen und nie- Spiele haben auch einen wichtigen Zweck: mand „untergeht“. Sie helfen der Spezies, sich näher kennenzu- Wir freuen uns auf inspirierende und inter- lernen und das gemeinsame Spielen zu trai- essante, aufregende und anregende Tage nieren. Aber am meisten steckten sie ihr beim Theatertreffen der Jugend! Spielleitung: Ben Graul – studierte Germanistik und Kunstpädagogik an der Technischen Universität Dresden. Von 1998 – 2012 war er künstlerischer Leiter des BAFF Theater Delitzsch e.V. und von 2010 – 2013 Produktionsassistent in der Theaterakademie / Theaterpädagogik im theater junge generation in Dresden sowie an der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden. Ben Graul betreibt Feldforschung überwiegend an sächsischen Schulen im Bereich darstellendes Spiel und hat hierfür bereits Daten von über 20 Kooperationen gesammelt und ausgewertet. Seit 2017 / 18 ist er Coach beim Bundesfestival Schultheater der Länder (initiiert durch den Bundesverband Theater in Schulen). Außerdem ist er tätig in der Aus- und Weiterbildung für darstellendes Spiel, u.a. beim Club der lehrenden Bürger*innen der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden. Er hat bereits vielfach an sächsischen, nationalen und internationalen Theaterfestivals teilgenommen. „Das Phantom von Uruk“ ist seine 50. Jugendtheaterproduktion. Und Kerstin Schönbrodt – unterrichtet am Friedrich-Schleiermacher-Gymnasium Niesky die Fächer Deutsch und Geschichte. Gemeinsam mit Kolleg*innen entwickelte sie einen Lehr- plan für den fächerverbindenden Wahlgrundkurs Musiktheater in der Sekundarstufe II. Um auch jüngere Schüler*innen für das Theaterspielen zu begeistern, leitet sie jährlich das Ganztagsangebot einer Theater-AG. Seit 2016 beteiligt sich die Schule am Projekt KOST – Kooperation Schule und Theater in Sachsen. 8
Zur Auswahl – für die Jury Sebastian Mauksch Niesky, attraktive junge Kleinstadt der Puzzle für Puzzle arbeiten sich Schüler*in- Oberlausitz, nah zur polnisch-tschechischen nen und Leitungsduo durch ihre wichtigsten EU, zum Canis-Lupus-Land und zum Topics aus Gilgamesch: seine göttergleiche zentralstgelegenen Friedrich-Schleier- Macht und sein allesunterdrückender macher-Gymnasium. Also in Niska, wie die Größenwahn, der Mauerbau um Uruk, Stadt auf obersorbisch heißt, und im ehe- die Liebe zu seinem Freund Enkidu, der Tod, maligen, zweihundertjährigen Pädagogium die Trauer und der Sinn des Lebens. der Brüder-Unität, welches das Friedrich- All das wird lässig und verspielt verschnitten Schleiermacher-Gymnasium einmal davor mit 13-jähriger Durchdringung des Sujets, war, begann unter dem Label KOST – ästhetischer Jugendtheaterpraxis und, hier Kooperation Schule und Theater in Sachsen ganz wichtig, Popkultur. So werden Film-, ein kleines Schultheaterwunder. Durch diese TV- und Comiczitate wie eine präsidiale An- Kooperation von Schule und Theater in trittsrede verwendet und Nick Cave wie Sachsen kam Ben Graul als Theaterpädago- auch Madonna zum Göttergesang. Chori- ge wöchentlich aus Dresden über 100 Kilo- sches und Mikrofon-Sprechen, Maskenspiel, meter zu Frau Schönbrodt als Schulpädago- Bewegungschoreografien, Ich-Rolle und gin gefahren, um sich mit den Schüler*- Kameraansprache in Nahaufnahme – dar- innen der letztjährigen sechsten Klassen- stellende Kunst! Requisiten und Kostüme – stufe in der altehrwürdigen darstellenden bildende Kunst! Ein Tableau vivant! Eigene Kunst zu üben. Gleichsam altehrwürdig Texte der Schüler*innen aus ihrem Proben- nannten sie sich Die Eleven und sowas wie tagebuch (ein Must-have im Theaterspiel ein Märchen sollte nach der Vorstellung mit Jugendlichen) lancieren in postdramati- der Jugendlichen gespielt werden, sowas scher Manier die Selbstbefragung des mit Rollen und dem passenden Text dazu – Schultheaterspiels und der Textanalyse. doch es kam anders, es kam das Epos Diese Taktik ermöglichte auch, bei weit Gilgamesch. überlegener Spielerinnenzahl die Helden Wie ein Märchen ist dieses sehr, sehr alte zu entmannen beziehungsweise weiblich und sehr männliche Heldenepos schon, zu reflektieren. doch durch die fast 4000-jährige Über Claude Lévi-Strauss führte 1962 in seinem lieferung von Tontafeln bis zu zeitgenössi- anthropologischen Werk „Das wilde Denken“ schen Neuübersetzungen – fragmentarisch den Begriff der „Bricolage“ – Herumbasteln – verwirrend, mannigfaltig überlagert und ein. Ein Bricoleur löst ein Problem nur mit erst einmal ein sehr, sehr, sehr altes Zeugnis den ihm gerade zu Verfügung stehenden vergangener sumerischer Literatur aus Mitteln, wie MacGyver aus der gleichnami- babylonischer Zeit. Why not! gen US-Fernsehserie. In „Das Phantom Und in diesem „Warum nicht!“ liegt der von Uruk“ gelingt die Übertragung in die gelungene Spagat zwischen dem wohl heutige Teenager-Zeit. Chapeau für ältesten niedergeschriebenen Werk der eure Neuerzählung mit Popkultur und Menschheitsgeschichte und jetztzeitiger Geschichtsbewusstsein! Theaterkunst. 9 Theatertreffen der Jugend
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Being Peer Gynt nach Henrik Ibsen Familie Rangarang von c.t.201 – freies Theater Köln e. V. in Koproduktion mit dem theaterkohlenpott Herne und dem COMEDIA Theater in Köln Mit Rami Al Telawi, Hayan Amer, Sifatullah Ashori, Mohammad Barho, Jasmin Büning, Mohammad Dehaqan, Aras Faraj, Neslihan Kanbur, Ina Marie Leukel, Milena Michalak, Amir Safare, Abulrahman Salah, Alireza Sarwari, Aynur Terzi, Ali Yousef Manuel Moser Konzept und Regie Manuel Moser, Harun Çiftçi, Sibel Polat Spielleitung Katja Winke Produktionsleitung Nils Claßen Künstlerische Produktionsassistenz Maurice Angrés Ausstattung Samstag, 14. April 2018, 20:00 Uhr 11 Theatertreffen der Jugend
Das Ensemble über sich und die Produktion Die Hauptfigur des Stückes von Henrik Ibsen für Szene entwickeln, besprechen und aus- ist der junge Bauernsohn Peer Gynt, der mit probieren. Wir begreifen das Theater als Lügengeschichten versucht, der Realität zu einen Raum, in dem wir mit den Zuschau- entfliehen. In Peers Fantasiewelt ist seine er*innen gemeinsam etwas erleben. Dem- heruntergekommene Behausung ein strah- entsprechend spielt der Kontakt mit dem lender Palast und seine eigene Nichts Publikum in unseren Stücken eine große nutzigkeit wird zu unglaublicher Helden Rolle. Eine vierte Wand existiert nicht, die haftigkeit. Auf der Suche nach Liebe und Spieler*innen spielen bei, für und mit dem Abenteuer findet er sich bald in einer Welt Publikum. Wir lieben das Theater und inter- von Trollen und Dämonen wieder. Danach essieren uns für klassische Stoffe, suchen bereist er die Kontinente, wird zum Sklaven- aber doch immer wieder nach neuen händler, zum Altertumsforscher und Zugängen und Übersetzungen in unsere zum Propheten. Er wird verlacht, gefeiert, Lebenswelt. Für uns ist Theater nicht primär bestohlen und bedauert und landet eine intellektuelle Auseinandersetzung. schlussendlich in einem Irrenhaus. Alt und Es ist körperlich, es schmerzt oder es verarmt kehrt Peer Gynt heim. In einer be- strengt an, es bringt einen an Grenzen, kannten Szene vergleicht sich Peer mit einer regt auf und macht glücklich – egal, ob Zwiebel, die viele Hüllen, jedoch keinen Kern man Zuschauer*in oder Spieler*in ist. aufzuweisen hat. Und doch gibt es jeman- Die Familie Rangarang ist das junge Ensem- den, der die ganze Zeit auf ihn gewartet ble des freien Kölner Theaterlabels c.t.201. hat: Solveig, die Frau, in die er sich als jun- Rangarang ist persisch und bedeutet ger Mann irgendwann einmal verliebt hatte. „kunterbunt“. Und genau so begreifen wir Die Suche Peer Gynts nach sich selbst und uns auch: als vielfältige Familie, in der je- das Durchleben aller Möglichkeiten waren de*r so sein kann, wie sie*er ist, so schräg das, was uns an dem Stoff interessiert hat. und außergewöhnlich das auch sein mag. Sind wir nicht selber alle ständig auf der Das Ensemble besteht aus 15 Jugendlichen Suche nach dem „Ich“? Wer bin ich? Wer aus fünf Ländern. Es entstand aus einer oder wie wäre ich gerne? Wie präsentiere Gruppe von Geflüchteten, die gemeinsam ich mich nach außen, gegenüber Fremden mit dem Theaterlehrer Hajo Salmen die Idee und Freund*innen? Und ist es manchmal hatten, in Bochum ein Stück aufzuführen. nicht das Beste, die Realität auszublenden Danach folgte das erste Stück in größerer und seinen Fantasien nachzuhängen? Besetzung: „His (or her) Story“, mit dem In der Beschäftigung mit dem dramati- wir es 2016 in die Zwischenauswahl des schen Text Ibsens, durch Improvisationen, Theatertreffen der Jugend schafften. das Schreiben eigener Texte, Gespräche und Seitdem erarbeiten wir jährlich ein Stück, Diskussionen entstand unser Stück „Being die nächste Premiere wird noch im Jahr Peer Gynt“. Wir arbeiten im besten Sinne 2018 stattfinden. partizipativ, indem wir gemeinsam Szene 12
Spielleitung: Manuel Moser – beendete 2007 sein Schauspielstudium und entschied sich schnell für eine Laufbahn am Theater. Es folgten Engagements am COMEDIA Theater in Köln, am Consol Theater in Gelsenkirchen, am theaterkohlenpott Herne sowie an diversen freien Bühnen in ganz Nordrhein-Westfalen. Er war 2012 für den Kölner Darstellerpreis nominiert. 2011 führte er das erste Mal Regie. Seitdem arbeitete er als Regisseur am COMEDIA Theater, am Consol Theater, an der studiobühneköln, am Badischen Staatstheater Karlsruhe, am Jungen Theater des Theater und Orchester Heidelberg, am Jungen Theater Bonn, am Jungen Nationaltheater Mannheim und am theaterkohlenpott Herne. Seine Stücke wurden für diverse Preise nominiert und immer wieder zu Festivals eingeladen. Seit 2015 ist er künst- lerischer Leiter der freien Kölner Gruppe c.t.201, die seit 25 Jahren zeitgenössische Stücke für (junge) Erwachsene produziert. Und Harun Çiftçi – arbeitet seit seiner Ausbildung zum Schauspieler an verschiedenen Büh- nen und gemeinsam mit unterschiedlichen Gruppen (u.a. COMEDIA Theater in Köln, studio- bühneköln, c.t.201). Dabei arbeitet der gebürtige Krefelder oft für und mit Jugendlichen. Mit der Produktion „TAKSI TO ISTANBUL“, die er als Schauspieler mitentwickelt hat, ist er bundesweit in Theatern zu sehen und wurde bereits zu nationalen und internationalen Festivals eingeladen. In „Being Peer Gynt“ hat er zum ersten Mal als Regisseur und Spielleiter mitgearbeitet. 13 Theatertreffen der Jugend
Zur Auswahl – für die Jury Rieke Oberländer Schon der Titel „Being Peer Gynt“ lädt uns Gesellschaftszustand durch Erzählen einzu- dazu ein, Identität als höchst lebendige schreiben. Wie Peer Gynt konstituieren wir Konstruktionsaufgabe zu begreifen. Peer uns letztlich durch Entwürfe, Umerzählun- Gynt sein – wer ist das überhaupt und wel- gen und Neuerzählungen der Biografie, che Konsequenzen hat es, er zu sein? Nun durch identitätsstrategische Bewegungen ist Peer Gynt eine literarische Figur und im jeder*jedes Einzelnen. Kontext eines Theaterstücks thematisiert Vor dem Hintergrund des diversen Ensemb- sich bei der Betrachtung von „Peer Gynt les erscheint dies als besonders kluge und sein“ der Darstellungsvorgang gleich mit: höchst emanzipatorische Setzung: Statt Wie kann ich als Schauspieler*in Peer ver- mich durch biografische Zuschreibungen körpern und wo ergibt sich in der Darstel- definieren zu lassen, kreiere ich mich durch lung eine Überschreibung der Figur mit meine Selbsterzählung. Wie ich mich erzäh- meiner Schauspieler*innenpersönlichkeit, le, bin ich. oder aber auch ein Widerstand meiner Und die gemeinsame Erzählung legt ein ho- Persönlichkeit gegen die Figur? hes Tempo vor. Mit lebendiger Spielenergie Der Titel „Being Peer Gynt“ markiert folg- und großer szenischer Varianz kommt die lich neben der Beschäftigung mit der Kons- Inszenierung leicht und trotzdem berührend truktion von Identität, dass ein Abend über daher. Oft sind es ganz einfache Bilder, die Theater zu erwarten ist, über das Geschich- durch die hohe spielerische Präzision und tenerzählen eines Ensembles auf der Bühne. die liebevolle Ausstattung eine große inhalt- Die Figuren und die Beziehungen sind Er- liche Kraft entwickeln. Die Spielhaltung ist gebnisse von szenischen Erzählhandlungen. immer kollektiv – die Gruppe unterstützt, Durch diese Vorgänge WIRD Peer. Im Erzähl- kommentiert oder reflektiert das Spiel ten, aber auch durch die Darstellung selbst. der*des Einzelnen –, manchmal anarchisch, Oft skizzenhaft und immer wieder neu, immer wieder kritisch, auf jeden Fall hu- denn in diesem Theaterabend möchten alle morvoll, oft zart. „Being Peer Gynt“ hat so einmal Peer sein. Doch wer ist denn nun viele Schichten wie Peer Gynts Zwiebel und Peer Gynt? Ein Muttersöhnchen? Ein Entfüh- in jeder Haut findet man ein Ensemble, das rer? Ein Arschloch? Ein Sklavenhändler? Ein virtuos auf der Klaviatur der Narrative spielt. Irrer? Mit großer Lust wirft sich das Ensem- Der Peer Gynt aus Henrik Ibsens Vorlage ist ble Familie Rangarang in den Stoff und be- eigentlich kein Sympathieträger. Er ist ein fragt ihn stellenweise durchaus kritisch: Ein skrupelloser Lügner, angetrieben von einem Geschlechterdiskurs klingt ebenso an wie größenwahnsinnigen Drang nach Macht, die Auseinandersetzung mit der Anmaßung Reichtum und Frauen. Anders als viele einer westlichen Überlegenheitsperspektive. Romanhelden reift Peer Gynt weder Dieser wunderbar spielerische Prozess des intellektuell noch moralisch, sondern bleibt Geschichtenerzählens wird in der Inszenie- ein selbstbezogener Narzisst. In der Insze- rung ein extrem inhaltlicher: Der Abend nierung der Familie Rangarang jedoch wird schafft eine Analogie vom theatralen zum Peer durch die vielen Bewährungsproben an psychologischen Kontext. Denn genau wie den Stationen seiner Weltreise letztendlich das Theater organisiert sich auch jeder ein Mensch. Komplex, fehlbar, aber lern Mensch – seine Erfahrungen erzählend – fähig. Und am Ende des Stücks dürfen wir in Geschichten. Ins Blickfeld rücken damit alle Peer sein, eingeladen, im Kollektiv der die Anstrengung der*des Einzelnen und Familie Rangarang ebenfalls Versöhnung zu die komplexen Aushandlungsprozesse finden, so wie Ibsens Peer Gynt bei seiner zwischen allen Beteiligten bei dem Solveig. Versuch, sich in einen machtbestimmten 14
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CHICKS* UNITED CHICKS* freies performancekollektiv, Schwankhalle Bremen Von und mit Zoe Dantz, Simone Ehlen, Franziska Heitkötter, Kira Legenhausen, Frederike Peters, Lluvia Linda Ruiz Müller, Carolina Sipos, Pia zur Horst Gianna Pargätzi, Marietheres Jesse Inszenierung Laura Kallenbach Dramaturgie Hanna Lenz Bühne Henrike Schauerte Musik Timmi Davis Video Frederike Peters Bühnenassistenz Anna-Lina Roth Regieassistenz Paula Eickmann Produktionsleitung Schwankhalle Bremen Produktion Laura Méritt Externe Beratung Sonntag, 15. April 2018, 16:30 Uhr und 21:00 Uhr 17 Theatertreffen der Jugend
Das Ensemble über sich und die Produktion Willkommen zur Enthüllung des CHICKS* freies performancekollektiv vereint unsichtbaren Geschlechts! Jugendliche, Expert*innen und interdiszipli- CHICKS* sprengen die Scham und zelebrie- näre Künstler*innen unter der künstleri- ren ein Fest. Wir feiern unsere Schamlosig- schen Leitung von Marietheres Jesse und keit, wir schlagen über die Stränge. Wir fei- Gianna Pargätzi. Laura Kallenbach ist ern Frauen*, die fressen, die ficken, die viel Dramaturgin des Kollektivs. In den Zusam- wollen, die brutal sind, die das Wort ergrei- menschlüssen begeben sich CHICKS* in fen. Wir feiern verständnislose Frauen*, intensive Rechercheprozesse. Wir suchen witzige Frauen*, stille Frauen*, queere Frau- nach dem Gemeinsamen in unseren unter- en*, herrische Frauen*. „CHICKS* UNITED“ schiedlichen Lebensrealitäten, nach dem, sucht Antworten darauf, welche Form der was uns umtreibt, was wir loswerden wollen, Scham insbesondere Mädchen* und Frauen* was wir ändern wollen. CHICKS* sind gesellschaftlich gelehrt wird, wie Scham feministisch. Wir betrachten Bilder von uns kontrolliert und was wir ihr entgegen- Geschlecht und Identität in Popkultur, setzen können. Medien, Politik, persönlichem Umfeld und Geschichte als Spiegel gesellschaftlicher Textausschnitt „CHICKS* UNITED“ Machtstrukturen, die wir performativ um „Sie erzählten sich Mythen über uns. Jahr- arbeiten. In unseren Performances verknüp- hundertelang flüsterten sie sich zu, wer wir fen wir interaktive und installative Formate sind, wie sie sich uns wünschen. Sie bauten mit einem Bildertheater der Objekte und Fallen, machten Zeichnungen, entwickelten Atmosphären. CHICKS* waren mit der Geräte, erfanden Krankheiten und Therapi- Inszenierung „LANDSCHAFT mit CHICKS. en. Sie pathologisierten uns; zersetzten uns how to bleed one week a month“ (Explosi- in Einzelteile und gaben uns ihre Namen. ve! – Internationales Festival für Junges Sie machten uns mundtot; gaben sich Theater 2016, Schlachthof Bremen) zum Rechte und uns Regeln. Sie machten uns Theatertreffen der Jugend 2016 eingeladen. unsichtbar, rätselhaft und kompliziert. Sie In Bremen verwirklichen CHICKS* Projekte lehrten uns die Scham. Jetzt sind wir hier.“ mit Mädchen* und jungen Frauen*. In Zusammenarbeit mit der Schwankhalle Kira Legenhausen, Performerin, Bremen entstanden 2017 die Inszenierungen im Interview mit Radio Bremen „Gierige CHICKS*“ und „CHICKS* UNITED“. „Wenn wir aufwachsen als sogenannte Toch- Im März 2018 hatte „SOFT SKILLS gonna ter oder Frau, werden uns viele Dinge an die bite“ am Künstlerhaus Mousonturm in Hand gegeben – gesellschaftliche Normen Frankfurt am Main Premiere. und Regulative. Was macht das mit uns, wenn wir uns fragen: Wer bin ich und wer Im Probenprozess von „CHICKS* UNITED“ will ich sein? Wir sind oft zurückhaltend und begaben wir uns in einen Recherche- und es werden uns Dinge beigebracht, die wir Auseinandersetzungsprozess zu feministi- nicht sagen sollen, die tabu sind. Das spre- schen Fragestellungen, die für uns persön- chen wir an, wenn wir auf der Bühne stehen. lich wichtig sind. Wir wurden zu Expertin- Wir wollen uns nicht mehr schämen, vor nen* der weiblichen Scham und suchten allem nicht für Dinge, die an unserem Kör- nach Möglichkeiten, sie abzulegen. Wir per sind, die bei allen gleich sind. Wir wollen wurden zu Forscherinnen* für den Umgang uns nicht mehr einschränken lassen durch mit weiblicher Lust, in der Geschichte Dinge, für die wir uns schämen.“ sowie heute. Wie ist Scham gesellschaftlich 18
konstruiert? Wodurch ist diese Konstruktion ist? Warum habe ich in der Schule nur etwas historisch gewachsen und verfestigt wor- über Heterosex gelernt? Warum ist weibli- den? Welche Körperteile sind bei Mädchen* che Selbstbefriedigung ein Tabuthema? besonders stark mit Scham besetzt? Warum wurde mir nicht beigebracht, dass Wir holten den Aufklärungsunterricht nach, Frauen ejakulieren können? Wen muss ich der uns in der Schule fehlte. Wir kramten in vor der Menstruation schützen und warum? unseren eigenen Erinnerungen. Wann und Warum weiß ich nicht, dass viele Forscher wie wurde mir Scham „beigebracht“? das sogenannte weibliche Geschlechts In welchen Situationen habe ich mich ge- organ jahrhundertelang erforschen, erobern schämt und schäme mich auch heute noch? und Gebiete beanspruchen wollten?“ Wann möchte ich mir selbst mehr Macht zusprechen? In welchen Momenten möchte „CHICKS* UNITED“ entstand in Kooperation ich meine eigene Scham ablegen, wie mit der Schwankhalle Bremen, dem thealit möchte ich sie bekämpfen und wie kann Frauen.Kultur.Labor. und dem Gewitter ich lustvoll mit schambesetzten Themen ziegen e. V. und wurde gefördert durch das auf der Bühne umgehen? Projekt Jugend ins Zentrum der Bundes vereinigung Soziokultureller Zentren e. V. Textausschnitt CHICKS* UNITED im Rahmen des Programms Kultur macht „Warum weiß ich nicht, dass das Jungfern- stark. Bündnisse für Bildung des Bundes häutchen eine Illusion ist? Dass es erfunden ministeriums für Bildung und Forschung. wurde, um die weibliche Lust zu kontrollie- ren? Warum hat mir niemand gesagt, dass Sex nicht mit Penetration gleichzusetzen Spielleitung: Gianna Pargätzi – geboren 1987. Lebt in Gießen und Hamburg. 2013 schloss sie ihr Studium der Szenischen Künste an der Universität Hildesheim ab. Sie arbeitet als freie Performance- und Theatermacherin. Außerdem studiert sie den Master Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Als Regisseurin arbeitet sie in verschiedenen Kollaborationen, vor allem im CHICKS* freies performancekollektiv. Und Marietheres Jesse – geboren 1990. Lebt in Berlin. Sie ist freie Theatermacherin in Projek- ten für und mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Als Regisseurin arbeitet sie in verschiedenen Kollaborationen, vor allem im CHICKS* freies performancekollektiv. Mit dem Kindertheaterkollektiv KLUB KIRSCHROT realisiert sie performative Inszenierungen in Laut- und Gebärdensprache, zuletzt die „Republik der Taschendiebe“ am Theater Freiburg. 2015 schloss Jesse ihr Studium der Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis an der Universität Hildesheim ab. Und Laura Kallenbach – geboren 1988. Ist Theatermacherin und -wissenschaftlerin. Von 2010 bis 2013 war sie Regieassistentin am Theater an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin und führte erstmals Regie. Derzeit schließt sie ihren Master an der Universität Hildesheim ab und arbeitet als Dramaturgin und Theatermacherin mit unterschiedlichen Künstler*innen und Formaten der Freien Szene – zuletzt „OFF the record“ (2016) mit Anna Döge, „STADT: RAUM:WIR“ (2017) mit Tatjana Kautsch und als Dramaturgin im CHICKS* freies performancekollektiv. Seit 2018 ist sie Jurymitglied des Bundestreffens Jugendclubs an Theatern. 19 Theatertreffen der Jugend
Zur Auswahl – für die Jury von Carmen Grünwald-Waack Kleiner Exkurs: Vor 46 Jahren entsandte die scheint. Ein Mensch, dessen Geschlechts- NASA mit der Raumsonde Pioneer 10 eine – merkmale unvollständig abgebildet, ge- in eine Aluminiumplakette eingravierte – zeichnet und benannt werden. Genauso, Abbildung zweier nackter Menschen: eine wie es in Zeitungen und diversen Zeitschrif- Frau und ein Mann. Beide sind mit einfa- ten, im Kino, in Biologiebüchern für Schule chen schwarzen Linien skizziert. Die äuße- und Alltag, in Werbung, in Interviews, inner- ren Geschlechtsorgane des Mannes sind halb wissenschaftlicher Überlegungen und präzise abgebildet, die äußeren Ge- auf YouTube immer und immer wieder ge- schlechtsorgane der Frau nicht. Dieses Bild tan wurde und getan wird. Das weibliche nun also wurde ins All geschickt, in der Geschlechtsorgan wird als Auslöser von Hoffnung, dass möglicherweise außerirdi- Scham betrachtet. Es wird sogar „Scham“ sche Intelligenz es irgendwann finden würde genannt. und verstehen könnte, wie es auf der Erde Dieses in Aluminium eingravierte Bild wurde so zuginge. Sollte diese Abbildung also stell- ins All geschickt. Und hier endet der Exkurs. vertretend stehen für die gängige Version Denn eigentlich soll es hier gar nicht um des menschlichen Lebens? Nicht nur, dass Raumfahrt gehen, sondern um eine Reise in dabei ein ausschließlich paarweises System einen verdunkelten Ausstellungs- und Thea- vorgestellt wird, in dem die biologischen terraum. Es geht nicht um Planeten und Geschlechter von Mann und Frau als Norm Plejaden, sondern um kleine private Inseln. vorausgesetzt werden, darüber hinaus wird Es geht nicht um potenzielle Außerirdische, das weibliche Geschlechtsorgan als Leer- sondern um uns, die wir den Theaterraum stelle markiert. besuchen und eingeladen werden in eine Wurde dieses Bild ins All geschickt, ohne besondere Welt. Es geht nicht um die NASA, dass darüber nachgedacht wurde, dass sondern um CHICKS*. Es geht nicht um auch die weiblichen äußeren Geschlechts Expansion, sondern vielmehr auch um organe abbildungsfähig sind? Ein einfacher Kontraktion. Es geht mal nicht um die Re- kleiner Strich, begonnen an der Stelle, an präsentation eines männlich dominierten der die Oberschenkel zusammentreffen, Herrschaftssystems, sondern um Multipers- senkrecht nach oben, hätte doch ausge- pektivität in einem lustvollen Prozess. reicht, die Vulva der Frau zumindest anzu- Es geht nicht um Perfektion, sondern auch deuten. Darstellungen aus der Steinzeit oder um Unvollkommenheit. Es geht auch um Antike hätten sogar zahlreiche weitaus Schmerz und um Scham. Und es geht ums explizitere Vorlagen für die Darstellung der Prinzip und deshalb gibt es auch den langen Vulva geboten … Exkurs am Anfang des Textes. Denn wenn Aber nein. Dieses Bild wurde ins All geschickt. die CHICKS* eine Nachricht ins All schicken Ein Mann und ein geschlechtsloser Mensch. würden, dann wäre das keine zweidimensio- Ein Mensch, der etwas Geheimes und Uner- nale, auf eine Aluminiumplakette gepresste, forschtes, etwas nicht Darstellbares oder unvollständige Skizze, sondern es hätte viel- gar Unwichtiges anstelle eines zu benen- leicht eher etwas mit in Beuteln verpackter, nenden weiblichen Genitals zu haben mit der Substanz von Wackelpudding 20
vergleichbarer, in verschiedenen Rottönen Stück. Ein Stück zum Lachen und zum schimmernder, schleimiger Flüssigkeit zu laut Singen. Ein freches Stück. Ein nach- tun. Vielleicht. Vielleicht aber wäre es auch denkliches Stück. Ein Stück, das auch dort eher mit langen blonden, leicht gewellten anfängt, wo von der Torte nichts mehr Haaren bestückt, organisch, wabernd, übrig ist. Ein Stück zumindest, das ihr wohl schimmernd oder schrumpelig. Vielleicht nicht einfach ansehen könnt, ihr werdet es wäre es auch eine Kiwi oder die Aufnahme vielmehr erleben. eines vielstimmigen Chores. (Was dieser Aufgepasst: Den Spielerinnen* ist auch Ana- sänge, verrate ich hier noch nicht.) tomie sehr wichtig. Die äußeren Schamlip- Bevor hier aber irgendetwas ins All ge- pen ebenso wie die Kapuze der Klitoris, die schickt wird, werden wir erst mal eingela- Perle oder das Klitoris-Bändchen. Es emp- den. Wir werden eingeladen in eine Ausstel- fiehlt sich, vor dem Besuch der Vorstellung lung, zu einer Show, zu einem Ritual, zu nochmal einen Blick auf die eigene Vulva einem Fest, zu einer Diskussionsveranstal- zu werfen! tung, eingeladen in ein weibliches Kollektiv. Eingeladen werden wir in sehr intime Schambereiche. Die Erfahrung anderer wird zur Grundlage eines Settings für unsere eigene Erfahrung. Uns werden Mechanis- men, Verhaltenskodizes und subtile Gesten präsentiert. Darüber werden ganz perfide Macht- und Kommunikationsstrategien offengelegt: Ein provozierender Blick, eine aufrechte Körperhaltung, verschränkte Arme, das Kauen eines Kaugummis mit offenem Mund, ein allgemein unhinterfrag- tes Handeln und weitere. Aus einer installa- tiven wird eine konfrontative Situation ent- wickelt, die sich in eine interaktive Situation verwandelt. Mühelos geleiten die Perfor- Bitte unbedingt einzeichnen: Was wäre eine merinnen* das Publikum von einem in den adäquate Abbildung der Vulva? Kopien eurer nächsten Teil. Skizzen nimmt die Festivalzeitung sicher Ein Stück zum Schmunzeln, zum Lernen, gerne entgegen, um sie weiter zu zum Schämen, ein Stück, das Mut macht, veröffentlichen … sich mit anderen zusammenzutun und die Schulbiologiebücher zu revolutionieren, ein Ein paar Tipps zum Weiterlesen: Liv Strömquist: „Der Ursprung der Welt“; Stück, das wütend macht, eines, das ein- Dr. Laura Méritt: „Frauenkörper neu gesehen. lädt, ein Stück, das feiert, was lange Zeit Ein illustriertes Handbuch“; unterdrückt und unsichtbar gemacht wer- Mithu M. Sanyal: „Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“; den sollte: die Vulva. Endlich ein mutiges Margarete Stokowski: „Untenrum frei“ 21 Theatertreffen der Jugend
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Einige Nachrichten an das All nach Wolfram Lotz Theaterjugendclub „Sorry, eh!“, Schauspiel Leipzig Mit Franz Victor Blumstock, Rafael Funke, Julian Gutmann, Vera Gutmann, Wiebke Jakubicka-Yervis, Dana Koganova, Charlotte Kremberg, Lea Mergell, Ronja Oehler, Hanna Pleßow, Ronja Rath, Willi Reimann, Giulia Roediger, Sarah Schmidt, Philip Schroeder, Marie Schulte-Werning, Paul Spiering, Alexandr Sterlev, Hugo Tiedje, Arina Toni, Undine Unger Yves Hinrichs Regie und Bühne Jana Rath Choreographie Undine Unger Musikalische Leitung Kai Schadeberg, Max Vincent Schulze Video Ralf Riechert Licht Udo Schulze Ton Jens Glanze Inspizienz Bella Enderlein Regieassistenz Katrin Kluge Maske Sebastian Hubel Requisite Joris Walleneit Bühnenmeister Montag, 16. April 2018, 20:00 Uhr 23 Theatertreffen der Jugend
Das Ensemble über sich und die Produktion Der Jugendclub des Schauspiel Leipzig Etwas, das die Dinge als Zeugnis ihrer Exis- beschäftigte sich seit Spielzeitbeginn tenz überdauert. Vielleicht können in das 2016 / 17 mit den Fragen: Was läuft falsch All gesendete Nachrichten eine Lösung sein? auf unserem Planeten und mit uns, Homo Doch was für eine Nachricht ist wertvoll Sapiens? Warum ist das Zusammenleben, genug, um als Essenz menschlichen Seins besonders das friedlich respektvolle, nach zu gelten? wie vor ein großes Problem? Was beinhaltet Diesen und anderen Fragen sind wir mit eine ausgewogene, möglichst objektive dem Jugendclub „Sorry, eh!“ am Schau- Kommunikation in verschiedenen sozialen spiel Leipzig mit dem Stück von Wolfram Medien? Falls es sie überhaupt gibt, wie soll Lotz „Einige Nachrichten an das All“ nach- das aussehen? Bei unserer Recherche inner- gegangen. Wie auch in den bisherigen Pro- halb der Gegenwartsdramatik stießen wir duktionen des Jugendclubs wollten wir allen auf „Einige Nachrichten an das All“ von 21 Mitgliedern ermöglichen, spielerisch und Wolfram Lotz und sahen darin eine Vielzahl möglichst über die gesamte Stückdauer hin- unserer Fragen auf dramatische Weise weg mitzuwirken. So sollte der Umgang mit widergespiegelt. Gerade der zynische und dem Text durch möglichst viele spielerische sarkastische Blick auf unsere (Medien-)Welt Ideen und Entwürfe, choreografische Ele- sowie die kontroverse Auseinandersetzung mente sowie die musikalische Begleitung mit verschiedenen theatralen Mitteln weck- durch eine Live-Band geprägt sein. te unser Interesse. Wie kompatibel sind meine Lebensentwürfe als Individuum mit Mit dem Beginn der neuen Spielzeit im Sep- einem System, mit einer Gesellschaft, die tember 2013, nach dem Intendantenwechsel sich zunehmend über „soziale“ Netzwerke am Schauspielhaus Leipzig, gründete sich definiert und austauscht? Was sind schein- auch der Theaterjugendclub neu und setzt bar ästhetische und moralische Grenzen sich seitdem aus Jugendlichen verschiede- in medialer und zwischenmenschlicher nen Alters und unterschiedlicher Herkunft Kommunikation? Wie verhält sich das alles mit oder ohne Spielerfahrungen zusammen. in einer Auseinandersetzung von und mit Es finden keine Castings statt. Kurz: Der jungen Menschen im Theater? Jugendclub steht allen offen, die mit Spiel- Weltraumschrott ist sicherlich eine allum- freude, Neugier, Lust und Engagement beim fassende Metapher für unser heutiges gemeinsamen TheaterSpielenEntdecken- (Ver-)Wertungssytem. Oder doch nicht? Stückentwickeln am Start sind. Natürlich Es sind Figuren, die nach dem Sinn des schließt das gemeinsame Aktionen, Lebens suchen, um sich gegen das Gefühl Flashmobs, Vorstellungsbesuche, Proben innerer Leere zu wehren. Figuren, die aufbe- wochenenden und Feiern mit ein. Aktuell gehren, wiedergeboren werden oder von umfasst der Jugendclub „Sorry, eh!“ den Toten auferstehen, um etwas zu finden, 21 Mitglieder. Nach einer etwas länger für das es sich zu leben lohnt. Etwas, das dauernden Namensfindungsphase kamen ihnen eine Berechtigung gibt, zu existieren. wir schließlich gemeinsam auf die für uns 24
gruppenrelevante Formulierung „Sorry, eh!“, Produktionsessen :). Neben unserem all welche auch gern immer wieder zum Aus- jährlichen Weihnachtsmarktsingen und druck unterschiedlicher Tagesstimmungen Schrottwichteln sind ausgiebige Workshops während der wöchentlichen Treffen ver in den Schulferien genauso im Gruppen wendet wird. Neben den obligatorischen findungsprozess angesagt wie gemeinsa- wöchentlichen Treffen kam es während der mes Diskutieren, Auswerten langer Proben- Probenphase zu „Einige Nachrichten an tage oder die scheinbar endlosen Stunden das All“ von Oktober 2016 bis Februar 2017 des Suchens, Lesens und Austauschens auch zu mehreren ganztägigen Proben von Theaterstücken, Stoffen und Themen, sowie zu langen Probenwochenenden – die uns beschäftigen. mit dem für alle Beteiligten wichtigen Spielleitung: Yves Hinrichs – Schauspieler, studierte zunächst an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig, wo er seit 2008 auch Gastdozent ist. Mehrjährige Engagements am Badischen Staatstheater Karlsruhe, am Neuen Theater Halle, am Schauspielhaus Chemnitz und seit der Spielzeit 2013 am Schauspiel Leipzig. Erste ge- meinsame Projekte mit Jugendlichen am Neuen Theater Halle. Am Schauspiel Chemnitz leitete er von 2008 – 2013 den Theaterjugendclub Die KarateMilchTiger und wurde mit mehreren Produktionen zum Bundestreffen Jugendclubs an Theatern und zum Theatertref- fen der Jugend eingeladen. Im Rahmen des Festivals Schüler spielen Sturm und Drang 2010 in Ludwigsburg wurde „Revolution Reloaded“, eine Produktion des Jugendclubs am Schau- spielhaus Chemnitz, für den 3sat / ZDF-Theaterkanal aufgezeichnet. Die gemeinsame Insze- nierung „Reiher“ von Simon Stephens mit Mitgliedern des Jugendclubs und des Schauspiel ensembles am Schauspielhaus Chemnitz erhielt 2013 den 26. Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin. Als Gastregisseur arbeitet er u.a. am Theater Oberhausen, am Jungen Schauspiel des Staatsschauspiels Hannover und am Jugendtheater im Stellwerk Weimar. Yves Hinrichs leitet seit der Spielzeit 2013 / 14 am Schauspiel Leipzig den Theaterjugendclub „Sorry, eh!“ und ist als Regisseur in Produktionen mit Jugendlichen und Schauspieler*innen tätig. Choreografische Leitung: Jana Rath – lebt und arbeitet in Leipzig als Tänzerin, Choreografin und Dozentin für zeitgenössischen Tanz. Ihr Studium absolvierte sie an der Palucca Hoch- schule für Tanz Dresden. Sie wirkte in zahlreichen Produktionen in Leipzig mit, u.a. bei Heike Hennig, Martina La Bonté, Steffen Fuchs oder WarRug, bis sie 2007 die compagnie mint rotundschwarz gründete, die mit Stücken wie „6097“, „Big Bodies“ oder „Twix“ im LOFFT in Leipzig zu sehen war. Ihre Bewegungstechnik ist geprägt von Hip-Hop, Gaga Dance und organic movements. Jana Rath ist am Schauspiel Leipzig als Choreografin tätig, u.a. in mehrjähriger künstlerischer Zusammenarbeit mit Yves Hinrichs. Musikalische Leitung: Undine Unger – studiert an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig und der Universität Leipzig Musik und Französisch. Von 2008 – 2013 war sie Mitglied des Chemnitzer Theaterjugendclubs Die KarateMilchTiger, welcher zu mehreren Jugendtheaterfestivals eingeladen wurde. Seit 2014 Gründungsmit- glied sowie musikalische und organisatorische Leiterin der Jugendinitiative KarateMilchTiger unplugged. Sie übernahm die musikalische Leitung bei mehreren Theaterproduktionen u.a. am Schauspielhaus Chemnitz, Staatstheater Hannover, Stellwerk Weimar und Schau- spiel Leipzig. 25 Theatertreffen der Jugend
Zur Auswahl – für die Jury von Ilias Botseas Gehe jetzt an einen ruhigen Ort, an dem darüber nachgedacht, dass du es gerade du ungestört bist, lege dieses Heft beiseite geschafft hast, ein paar Sekunden an und schaue in den Himmel, auf eine weiße nichts zu denken. Vielleicht hast du es auch Wand oder einfach in die Luft. Bleibe eine von Anfang an sein lassen oder nach ein Weile so. Egal ob fünf, zehn oder zwanzig paar Minuten abgebrochen, weil du dich Minuten und lass dich nicht von Bewegun- gelangweilt hast oder wissen wolltest, wie gen, Geräuschen oder Gerüchen ablenken. es weitergeht. Es ist gewiss nichts Neues, haben wir doch alle schon im Bett oder Fertig? in der Wanne gelegen und an die Decke gestarrt und alles hinterfragt. Wir haben „Nur keine Leere aufkommen lassen!“ bestimmt alle schon einmal genervt festge- stellt, die Kopfhörer zu Hause vergessen zu Das ist das Motto des Abends. Es ist das haben, sodass auf dem Weg zur Schule, Motto des Abends, weil es das Motto des Uni, Arbeit keine Musik gehört werden kann. Lebens ist. Denn wenn wir sie zulassen, Also packen wir das Smartphone aus wenn wir die Leere aufkommen lassen, und surfen, scrollen, twittern, gehen auf dann bleibt vermutlich nur die Angst. Die Instagram oder schauen Videos mit süßen Angst vor dem Tod, die Angst vor dem ewi- Haustieren an. Wir kommen wieder nach gen Nichts – der endlosen Leere, die zurück- Hause und wissen nicht, was wir machen bleibt, wenn es nicht mehr um das jetzige sollen. Mit ebendiesem Drang, die Leere Jetzt geht, sondern um ein künftiges Jetzt, durch lückenfüllende Unterhaltung zu ver- ein Jetzt ohne uns. Die Angst vor dieser drängen, setzt sich das Ensemble des Thea- Angst, die Angst, über diese Angst terjugendclubs „Sorry, eh!“ anhand von nachzudenken. Wolfram Lotz‘ Stück „Einige Nachrichten an das All“ auseinander und führt uns mit Wenn du jetzt wieder das Heft aufhebst, viel Humor durch den Abend. erwartest du möglicherweise eine Antwort auf die Frage, was du hättest fühlen, den- „Wir fangen mit Sportaerobik an, wir spielen ken oder erkennen sollen, wirst aber dahin- Golf und Indiaca, wir machen Wildwasser- gehend enttäuscht werden. Vielleicht hast rafting, Breakdance, Blitzschach, Skate- du über dein Leben und deinen Platz im boarding, Minigolf, Windsurfen, Baum- Universum nachgedacht oder einfach nur stammwerfen, Curling, Squash, Ponyreiten, den Wind gefühlt, deine Atmung wahrge- Freeclimbing, Öl-Ringkampf und Pétanque. nommen, dich hier und da gekratzt, Taubenschießen, Wokrodeln, Wasserball, 26
Downhill-Radfahren, Garde- und Schautanz, Discokugel runter, LED-Wand an! Stierkampf, Tipp-Kick, Bogenschießen, Sie lassen nicht locker, jedoch übertönt sie Rhönradturnen. Wir waren in einer Hard die mitreißende Live-Musik. Sie verzweifeln. rock-Coverband, in einem Modellbauverein, Zwischen den vielen Szenen erinnern uns die bei einem freien Radio, in einem deutsch- Spieler*innen an den Unterhaltungsgedan- türkischen Freundschaftsverein, bei der ken und lassen im Verlauf des Stücks die Jungen Union und bei den Jusos“, schallt es eine oder andere Frage aufkommen, liefern im Chor bis in die letzten Reihen des Publi- jedoch keine Antwort, machen es nicht kums. Die Spieler*innen übernehmen die leicht. Aufgabe des LdF (Leiter des Fortgangs): Unterhaltung. Keine Leere aufkommen las- Die Zuschauer*innen werden sich nach die- sen! Sie tragen Neoprenanzüge und gleiten sem Abend möglicherweise dabei ertappen, mit scheinbarer Leichtigkeit über das mons- über ihr Dasein nachzudenken – ob „alles, tröse Wasserbecken, das einen großen Teil was da ist, verschwindet, ob sich der Raum der Bühne ausmacht. Mit großer Spielkraft um einen herum ausdehnt und sich alles und Präzision lassen sie eindrucksvolle Bilder immer weiter von einem entfernt.“ „Aber sie entstehen und ziehen die Zuschauer*innen können ja auch nichts anderes als da sein.“ in ihren Bann. Es wird eine große Show ge- liefert, zu welcher mediale und historische Persönlichkeiten eingeladen sind, die ihre Nachrichten mit Hilfe einer Satellitenschüs- sel in das All hinaussenden. Talkshow-Gäste, Politiker*innen, bereits tote Forscher*innen und Autor*innen, völlig egal. Die Leere darf nicht aufkommen. Was macht den Men- schen aus? Ein Wort pro Nachricht, denn die Empfänger*innen werden Schwierigkeiten haben, unsere Sprache zu entschlüsseln. Zwei etwas bizarre, aus dem Rahmen fal- lende Männer wollen – einen Sinn suchend – zusammen ein Kind haben und stören die Struktur des LdF. Egal. Weg! Unterhaltung! Doch sie kommen immer wieder und wollen das Kind. Keine Leere aufkommen lassen! 27 Theatertreffen der Jugend
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SIE MÖGEN SICH Theatergruppe OHNE IST SCHÖNER, Werkstattmacher e. V., Leipzig Mit Charlotte Kremberg, Elisa Ludwig Demonstrant*innen im Video Lukas Lindig, Jan Lindner, Nils Matzka, Lea Mergell, Luisa Paul, Leo Röcker, Hannah Spielvogel, Christian Strobl, Josephine von Blütenstaub, Manuel Wagner Paul Spiering, Rebecca De Toro Choreografie Lea Mergell Bühne Luisa Paul Kostüm Vincent Schulze Video Nils Matzka Regie Arne Herrmann Assistenz Hannah Spielvogel, Alexandr Sterlev Dramaturgie Manuel Wagner, Maria Wendland Werkstattmacher*in Dienstag, 17. April 2018, 20:00 Uhr 29 Theatertreffen der Jugend
Das Ensemble über sich und die Produktion 2016. Irgendeine Party, in irgendeinem dieser Geschichte und einem Textentwurf in Wohnheim. Sie sehen sich, sie gehen aufein- der Hand Mitstreiter*innen für die Inszenie- ander zu, sie mögen sich. Sie lernen sich rung suchte. Aus der Dynamik dieser Ge- kennen, verbringen den Abend miteinander schichte einer 16-Jährigen heraus versuchte und die Nacht und die darauf folgende er, eine Erzählsituation auf der Bühne zu auch. Sie sind 16 und 20. schaffen, die innerhalb einer persönlichen Sie erzählen von Vätern, die ausländerfeind- Geschichte zweier Jugendlicher den politi- liche Reden schwingen oder vor lauter Ar- schen Aspekten unseres Zusammenlebens beit den Kopf verloren haben. Sie erzählen nachspürt. Das Ensemble von „SIE MÖGEN von Müttern, die sich depressiv in ihrer Woh- SICH“ hat sich ab dem Moment sehr orga- nung verschanzen, weil sie den Hass auf der nisch zusammengefunden, als es mit der Straße nicht ertragen. Über der Stadt krei- Werkstattbühne des LOFFT einen Spielort sen die Helikopter, auf der Straße werden und einen Premierentermin gab. Die Gruppe Steine geschmissen – und ihre Eltern stam- setzt sich fast komplett aus (Ex-)Mitglieder*- men aus verfeindeten Lagern. Sie aber, sie innen des Jugendclubs „Sorry, eh!“ (Schau- wollen zusammen sein, sie wollen kämpfen, spiel Leipzig) zusammen. Man kann sagen, sich auflehnen gegen ScheißGIDA und die „SIE MÖGEN SICH“ ist unsere erste eigen- ganzen Faschos. Denn Gewalt bekommt, ständige Arbeit ohne professionelle Anlei- wer Gewalt verdient … Ist das wirklich so tung, weil wir sehen wollten, was dabei einfach? rauskommt, wenn wir auf eigene Faust unterwegs sind. Für viele von uns war das „DAS IST NICHT DIE WELT DIE WIR FÜR Stück ein erstes Mal – erstes Mal Hauptrolle, UNS WOLLEN erstes Mal Bühne, erstes Mal Regie, … DAS IST NICHT DIE WELT DIE WIR UNS und dennoch brachten wir alle ein gutes TÄGLICH VERSPRECHEN“ Päckchen erlebte Theaterzeit in das Stück mit ein. „SIE MÖGEN SICH“ ist vielleicht eine Liebes- geschichte über SIE und IHN, vielleicht aber Die beiden Spielerinnen kamen erst kurz vor auch ein Versuch der Nähe in einem Land, Probenbeginn zu uns, da die eigentlich ge- das zerrissener nicht sein könnte – oder aber plante Besetzung abgesprungen war. Die eine Suche nach der Ursache für das betäu- Besetzung des ER / SIE-Pärchens mit Charly bende Gefühl der Machtlosigkeit, wenn sich und Elisa – zwei Frauen – war einerseits aus die Ereignisse überschlagen. der Not heraus geboren, gab uns aber auch die Möglichkeit, die Figuren in einem ande- Der Plot von „SIE MÖGEN SICH“ basiert lose ren Licht zu betrachten: nicht nur als ER auf einer wahren Begebenheit. Initiiert wur- und SIE, sondern vielmehr als Verkörperun- de das Projekt von Nils Matzka, der mit gen zweier völlig unterschiedlicher 30
Handlungsstrategien in Zeiten politischer die wir so nicht erlebt haben und die den- Ausschreitungen. In diesem Sinne klopften noch so direkt etwas mit uns zu tun hat? wir nicht nur den Textentwurf in den Proben Dazu wurde getanzt, gesungen, gestaltet, gnadenlos ab, wir beschäftigten uns auch geschneidert, gefilmt, geschnitten, grup- in Gesprächen intensiv mit uns als politi- pengekuschelt – eben alles, was dazugehört, schen Subjekten. Wie fühlen wir? Wie füh- um eine dieser Geschichten, die das Leben ren wir Beziehungen? Wie verhalten wir uns, uns zuspült, auf die Bühne zu bringen. wenn wir wütend sind? Und natürlich Dabei wurden schon mal WG-Zimmer zu tauschten wir Demo-Erfahrungen miteinan- Filmstudios und Schreibtische zu Schneide- der aus. Der wichtigste Aspekt unserer Ar- reien. Das Stück ist ein Herzensprojekt für beit war allerdings die Echtheit, die wir mit uns alle und von uns allen geworden, nicht unserem Stück anstrebten. All die persönli- zuletzt, weil eben sehr viel Herzblut darin chen Erinnerungen, Stimmungen, Meinun- steckt und wir dabei alle ein kleines Stück gen, die in Gesprächen zutage traten, ver- über uns hinauswachsen konnten. suchten wir in Impro-Spielen direkt auf die Bühne zu bringen. Vor allem gegen Ende der „SIE MÖGEN SICH“ ist als Produktion des Probenphase spielten wir immer wieder Sze- Werkstattmacher e.V. auf der Werkstatt- nen aus unserem eigenen Leben, Gewalt-, bühne des LOFFT in Leipzig entstanden – Streit- und Liebeserfahrungen nach, um sie einem Format für Nachwuchsprojekte, bei in Bezug zum Stück zu setzen. Gerade aber dem man sich mit Performance-Ideen oder der politische Aspekt, die Rückschau auf Stücktexten für mindestens drei Auffüh- das Jahr 2016, wurde uns als Leipziger rungstermine bewerben kann, Budget, Zeug*innen von beinahe wöchentlichen dramaturgische Betreuung und künstleri- Randalen, egal ob von links oder rechts, sche Freiheit inklusive. immer wichtiger. Die große Frage war: Wie nah können wir einer Geschichte kommen, Spielleitung: Nils Matzka – 1991 in Hamburg geboren, ist in Wien aufgewachsen, in Baden- Württemberg groß geworden, schreibt, seit er elf ist. Mit 16 die erste Bühnenerfahrung in der Theater-AG Münsingen. Seit 2012 Auftritte auf und Moderation von Lese- und Poetry- Slambühnen, festes Mitglied der Lesebühnen Kunstloses Brot und Pinzette vs. Kneifzange, 2015 Leipziger Slam-Stadtmeister. Während seiner Erzieher*innenausbildung spielte er immer wieder in Theaterjugendclubs, zuletzt bei „Sorry, eh!“ am Schauspiel Leipzig (Insze- nierung „Wunderland“ nach Gesine Danckwart, u.a. eingeladen zum Theatertreffen der Jugend). Zudem Regieassistenz und Dramaturgie in verschiedenen Projekten der Leipziger Off-Szene sowie Theaterpädagogik (z.B. in der KAOS-Kulturwerkstatt Leipzig-Lindenau). Sein erster Stücktext „NIE WIEDER SCHÖN“ wurde 2017 in der KAOS-Kulturwerkstatt unter der Regie von Lisa Wilfert uraufgeführt. Sein zweites Stück „SIE MÖGEN SICH“ ist zugleich seine erste Regiearbeit (Uraufführung: Werkstattbühne des LOFFT, Oktober 2017). 31 Theatertreffen der Jugend
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