Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...

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Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
26. Jahrgang – Nr. 103 frühling 2022

                                                     Magazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

                                                         Offene Grenzen – nur für Ukraine-Flüchtlinge?
                                                     Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland
                                                         Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien
                                       www.frsh.de
Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
Editorial

„‘s ist Krieg“
Am 26. Februar, zwei Tage nach dem Einmarsch russischer           ren, überschlagen sie sich gleichzeitig vor Begeisterung über
Truppen in der Ukraine, kamen 5.000 Menschen auf dem              die – zwar nicht weniger zum Wehrdienst verpflichteten – hel-
Kieler Rathausplatz zusammen, um gegen diesen neuen               denhaften Soldaten der ukrainischen Verteidigungsarmee. “‘s
Krieg in Europa zu protestieren. Zu dieser Kundgebung hatten      ist leider Krieg - und ich begehre, Nicht schuld daran zu sein!“
demokratische Parteien aufgerufen. Redner*innen waren sich        Ihren Matthias Claudius haben die vorwiegend christ-unio-
weitgehend einig in der Forderung nach umgehendem Rück-           nistischen Hinterbänkler, die in dieser Stimmung mit der For-
zug der russischen Armee und Friedensverhandlungen. Ole-          derung nach umgehender Wiedereinführung der Wehrpflicht
ksandra Zapolska, eine seit 2008 in Kiel lebende Ukraine-         noch eins draufsetzen, offenbar nicht gelesen. „O Gottes Engel
rin erklärte indes, man könne nicht mit jemandem verhan-          wehre, Und rede Du darein!“
deln, der nicht bei Sinnen sei. Als Zapolska aber von der Bun-
                                                                  In Russland werden die Medien zum Verschweigen der Wirk-
desregierung die ultimative Aufnahme von Waffenlieferungen
                                                                  lichkeit des Krieges gezwungen. Im „Westen“ verliert sich der-
an die Ukraine verlangte, wurde das bei der bis dahin eher
                                                                  weil eine freie Presse nicht selten in rassistischen Attitüden.
beschaulichen Veranstaltung mit einem Beifallssturm bedacht.
                                                                  CBS News erklärte, dass die Ukraine nicht mit dem Irak oder
Schon am darauffolgenden Sonntag hat die Ampel-Koali-             Afghanistan vergleichbar sei, weil es sich um ein „europäi-
tion im Bund eine bedeutende, nein, eine historische Wende        sches“ und „zivilisiertes“ Land handele. Der ukrainische Gene-
vollzogen. Mit bedeutungsschwerem Tembre erklärt Bundes-          ralstaatsanwalt David Sakvarelidze berichtete im Interview,
kanzler Olaf Scholz im Deutschen Bundestag: „Wir müssen           es nicht ertragen zu können, wie „europäische Menschen mit
uns daher fragen: Welche Fähigkeiten besitzt Putins Russ-         blauen Augen und blonden Haaren“ täglich getötet würden.
land, und welche Fähigkeiten brauchen wir, um dieser Bedro-       Der britische Daily Telegraph findet den Krieg in der Ukra-
hung zu begegnen, heute und in der Zukunft?“ Das bisherige        ine deshalb besonders schlimm, weil die Opfer „aussehen
Mantra, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, sei obsolet.    wie wir“. Der Journalist Gabor Steingart darf unhinterfragt
Mehr noch: Mit einem Wehretat von 100 Mrd. Euro solle die         bei Hart aber Fair über Ukrainer*innen daher parlieren, die ja
Bundeswehr „befähigt“ werden. Wer in dieser Situation stille      Christen seien und zu „unserem Kulturkreis“ gehörten, warum
Betroffenheit im Bundestag erwartet hat, wurde eines Besseren     es wohl mit der Flüchtlingsaufnahme „diesmal funktioniere“.
(?) belehrt: Mit Standing Ovations feierten Regierungsfrakti-
                                                                  Solcherart mediales rassistisches Geplapper bleibt nicht fol-
onen und die der Union die größte Aufrüstung seit dem Zwei-
                                                                  genlos. Aussiedler*innen und russischstämmige oder nur
ten Weltkrieg – mit derselben Begeisterung, wie weiland am
                                                                  -sprachige Menschen erleben quasi über Nacht einen aggres-
selben Ort der Reichstag für die Kriegsanleihen.
                                                                  siven Rassismus im Alltag, am Arbeitsplatz oder auf dem
Als der digital zugeschaltete Präsident Wolodymyr Selenskyj       Schulhof. Anonyme Trolle hetzen im Netz gegen Geflüchtete
am 17. März in seiner Rede an die deutsche Regierung und die      aus Drittstaaten.
das Volk Vertretenden an die Verbrechen von SS und Wehr-
                                                                  In dieser Stimmungslage müssen die europäischen Regie-
macht in Babi Yar und anderen ukrainischen Orten erinnert
                                                                  rungen nicht fürchten, für die von ihnen beschlossene Qua-
und eingedenk dieser historischen Verantwortung im aktuel-
                                                                  lität der Anwendung der Massenzustromrichtlinie geschol-
len Krieg über diplomatische Floskeln hinausgehende wirk-
                                                                  ten zu werden. Demnach sollen nämlich geflüchtete ukraini-
liche Solidarität einfordert, klatschen die Abgeordneten und
                                                                  sche Staatsangehörige mit einer bis zu dreijährigen Aufent-
gegen zur Tagesordnung über.
                                                                  haltserlaubnis, mit Arbeitsmarktzugang, Sprachförderung und
An dieser Frage geht der Riss tief durch die Gesellschaft. Auch   der Freiheit der Wohnsitznahme gegenüber geflüchteten Dritt-
im Flüchtlingsrat herrscht Uneinigkeit darüber, ob Waffenlie-     staatenangehörigen bevorzugt behandelt werden. Für die, die
ferungen in ein Konfliktgebiet geeignete Strategien zur Befrie-   aus anderen Kriegen entkommen, z. B. aus dem Jemen, Syrien
dung sein könnten, oder ob sie nur zur Verlängerung oder          oder Süd-Sudan, gelten auch weiterhin Kasernierung, Arbeits-
sogar Eskalation des entfesselten massenweisen Mord und           verbot und soziale Isolierung im Asylregime.
Todschlags beitrügen. Letzteres erscheint in niemandes Inter-
                                                                  Unbeschadet dessen herrschen in Schleswig-Holstein
esse zu sein.
                                                                  gespannte Erwartung auf die Geflüchteten aus dem Krieg in
In den ersten 19 Tagen des Krieges sind 3 Mio. Menschen           der Ukraine. In den Kreisen und kreisfreien Städten vernetzen
geflohen, weitere 4 Mio erwartet das UNHCR im Zuge einer          sich die zuständigen Verwaltungen im Bemühen um eine gute
Verschärfung der Lage. Eine der global durchschlagendsten         Aufnahme der Schutzsuchenden mit Migrationsfachdiensten,
Kriegsfolgen der kriegsbedingt zurückgehenden russischen          Verbänden und Bürgerinitiativen. Da kommt es gut, dass auch
und ukrainischen Nahrungsmittelexporte sind laut Welter-          das Kieler Innenministerium zur Optimierung der Zusammen-
nährungsprogramm acht bis 13 Millionen mehr unterernährte         arbeit mit den zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zu einem
Menschen in 50 vollständig Getreideimport-abhängigen Staa-        Runden Tisch eingeladen hat. Die Solidarität im Land ist groß.
ten, darunter Afghanistan, Irak, Syrien, Libanon, Ägypten,        Und wer sie nach 2015 schon totgesagt hat, sieht sich landes-
Kenia und Süd-Sudan.                                              weit eines Besseren belehrt.
Während sich Medien hierzulande derweil über die Zwangs-          War da noch was? Ja! Wählen wollen wir auch. Und zwar
verpflichtungen der in der Ukraine verheizten und über den        alle!
Einsatz belogenen blutjungen russischen Rekruten echauffie-
                                                                  Martin Link                                   Kiel, 17.03.2022

2 · 4/2022 * Der Schlepper Nr. 103 * www.frsh.de
Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
Inhalt
                                     LANDTAGSWAHL 2022                      Leuchtturm des Nordens – Ein Licht am
                                                                            Ende des Horizonts
Für ein gemeinsames solidarisches Leben als                                 Shabdiz Mohammadi .......................................... 20
Normalfall
Martin Link . ....................................................... 4     Quo vadis, Abschiebungshaft?
                                                                            Axel Meixner .................................................... 23
Eine Herausforderung, der wir uns mit der
Zivilgesellschaft engagiert stellten
Thorsten Geerdts ............................................... 6                                                        FLUCHTGRÜNDE
Ein Kommunalwahlrecht für alle!                                             Syrien / Ukraine – Geteiltes Leid
Ari Kehr .............................................................. 8   Interview mit Omar Sharaf ................................ 25
Es braucht eine postmigrantische Partei                                     Afghanistan – Taliban grenzen Frauen und
Interview mit Naika Foroutan ........................... 10                 Mädchen aus
                                                                            UN-Menschenrechtsrat ................................... 28
                                       SCHLESWIG-HOLSTEIN                   Kolumbien – Eine heiße Grenze
                                                                            Yezid Arteta Dávila .......................................... 30
Viel Solidarität mit Ukraine-Flüchtlingen
Martin Link . ..................................................... 12
Faire Integration – Kooperationspartner*innen
                                                                                          EUROPÄISCHE ABSCHOTTUNGSPOLITIK
gesucht!                                                                    The real crime is the border regime!
Johanna Frank .................................................. 13         Kampagne Grenzenlose Solidarität ................... 32
Alle an Bord! – Perspektive Arbeitsmarkt                                    EU – Gar nicht erst nach Europa kommen lassen!
Mareike Röpstorff ............................................. 14          Mareike Röpstorff ............................................. 34
Familiennachzug – Ein schier undurchdringlicher                             Libyen – „Wir wollen, dass ihr unsere Geschichten
Paragraphendschungel                                                        weitertragt“
Tamanna Assad ................................................. 16          Interview mit Yambiu David ................................ 36
Wie kann wirkliche Teilhabe nachhaltig
funktionieren?                                                                                                 WILLKOMMENSKULTUR
Ludmilla Babayan .............................................. 18
                                                                            Flüchtlingssolidarität – „Vorsichtiger
Menschen stärken Menschen                                                   gesellschaftlicher Rückenwind“?
Jan Rademann . .................................................. 19        Jan Rademann . .................................................. 38

                                                                                             www.frsh.de * Der Schlepper Nr. 103 * 4/2022 · 3
Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
Landtagswahl 2022

Für ein gemeinsames
solidarisches Leben als Normalfall

                                                                                                             Blick nach vorn

Flüchtlings- und                               gute Bleibeperspektive und damit auch         senschaft bei 60 Prozent. Das bundes-
                                               die frühe Sprachförderung und Zugang          deutsche Asylregime weist dieser Ziel-
einwanderungspolitische                        zu anderen Integrationsförderangebo-          gruppe gegenüber allerdings noch immer
                                               ten zugestanden. Warum Geflüchte-             Schutz- und Versorgungsdefizite auf.
Problemanzeigen und                            ten z.B. aus Afghanistan, Äthiopien, dem
                                               Jemen, Libyen keine über 50-Prozen-
Impulse des Flüchtlingsrats                    tige Anerkennungsquote und mithin keine         Aufenthaltsbeendigungen
vor der Landtagswahl                           gute Bleibeperspektive zugesprochen           Eine normierte ordnungspolitische Fan-
                                               wird, bleibt unverständlich. Die Anwen-       tasie nimmt pauschal an, dass es in ver-
2022 für die                                   dung der EU-Massenzustromrichtlinie           meintlich sicheren Herkunftsländern
                                               bei den aus dem Krieg in der Ukraine          und Drittstaaten keine Verfolgung oder
20. Legislaturperiode.                         hierher Geflüchteten zeigt, dass es auch      anders gelagerte schutzwürdige Notlagen
                                               anders geht. Ukrainische Geflüchtete          gäbe und die Rückkehr dorthin zumut-
Im Jahr 2019 hatten nach Zahlen des Mik-       können sich niederlassen, wo sie wollen       bar sei. Die systematische Diskriminie-
rozensus 21,2 Millionen Menschen, d.h.         und bekommen eine Aufenthaltserlaubnis,       rung, z.B. von Rom*nja und anderen eth-
26 Prozent der Bevölkerung, in Deutsch-        Sprachkurs- und Arbeitmarktzungang von        nische Minderheiten auf dem Balkan, die
land einen Migrationshintergrund. In           Anfang an.                                    Überlebensnöte von Drittstaatsangehö-
Schleswig-Holstein sind 9,4 Prozent der        Am 19. Tag des Krieges wurden bis             rigen z.B. in Griechenland, Italien, Polen
Bevölkerung nichtdeutscher Staatsange-         dahin 160.000 Geflüchtete aus der Ukra-       oder Ungarn als zumutbar zu klassifizie-
hörigkeit, 17,2 Prozent haben einen Mig-       ine in Deutschland gezählt. Im Schatten       ren, wird inzwischen allerdings auch von
rationshintergrund.                            der großzügigen Aufnahmepolitik gegen-        Obergerichten – leider nicht in Schleswig-
                                               über Geflüchteten aus der Ukraine setzen      Holstein – infrage gestellt.
Über 82 Millionen Menschen befinden
sich nicht selten von durch Kolonialismus,     sich allerdings bei Einreiseversuchen von     Das Verhältnis der staatlich vollzogenen
Globalisierung und westliche Interessen-       Geflüchteten aus Drittstaaten an den          Aufenthaltsbeendigungen bewegt sich bei
durchsetzungspolitik verursachte politi-       Grenzen der EU – z.B. in Kroatien, Grie-      62 Prozent „freiwilligen“ Ausreisen, 13
sche Verfolgung und Kriegsgewalt welt-         chenland oder den spanischen Enkla-           Prozent Dublin-Rücküberstellungen und
weit auf der Flucht. 86 Prozent der welt-      ven Ceuta & Melilla und nicht zuletzt im      25 Prozent zwangsweisen Abschiebungen
weit Schutzsuchenden finden in den             Mittelmeer – opferreiche und regelmä-         in Herkunftsländer oder zur Aufnahme
Anrainerstaaten der Herkunftsländer            ßig rechtswidrige Push Backs fort. Wer es     bereite Drittstaaten.
oder in Drittstaaten im Trikont Aufnahme       von dort trotzdem hierher schafft, wird
                                               zunächst kaserniert, dabei sozial isoliert,   Bundesweit sind ca. 300.000 Personen,
– aktuell z.B. 3,7 Mio. in der Türkei, 1,7
                                               beim Zugang zu Bildung und Beschäfti-         ca. 12.000 in Schleswig-Holstein, formal
Mio. in Kolumbien und jeweils 1,4 Mio
                                               gung und bei der gesellschaftlichen Teil-     ausreisepflichtig. Gegen ihre Aufent-
in Pakistan und Uganda. Nach Berech-
                                               habe rechtlich und administrativ benach-      haltsverfestigung wirken i.d.R. die beste-
nungen der Weltbank werden bis 2050
                                               teiligt.                                      henden aufenthaltsrechtlichen Hürden
wegen der durch Industrie- und Schwel-
                                                                                             und der fehlende einwanderungspoliti-
lenländer verursachten Klimafolgen noch        Die bis dato bundesweit und in Schles-        sche Wille. Für die sogenannte „freiwil-
einmal ca. 200 Millionen Umweltflücht-         wig-Holstein um Schutz Nachsuchenden          lige Rückkehr“ und die zwangsweise Auf-
linge dazu kommen.                             sind zu fast 50 Prozent weiblich. Dieser      enthaltsbeendigung werden von Bund und
                                               Anteil wird sich durch die geflüchteten       Land erhebliche Mittel aufgewendet.
  Flüchtlingsaufnahmen                         Frauen und Kinder aus der Ukraine noch
                                               vergrößern. Der Anteil der Frauen, die im     Schleswig-Holstein kooperiert seit August
Von zuletzt 190.000 in Deutschland Asyl-       Fluchtherkunftsland und auf den Flucht-       2021 mit den Bundesländern Hamburg
antragstellenden wird nur denen aus            wegen erhebliche, regelmäßig auch sexu-       und Mecklenburg-Vorpommern beim
Syrien, Eritrea und Sudan wegen der            alisierte Gewalt erfahren haben, liegt nach   Betrieb des jährlich bis zu 18 Mio. Euro
Schutzquote von über 50 Prozent eine           Schätzungen von Fachdiensten und Wis-         teuren Abschiebungsgefängnisses mit 60

4 · 4/2022 * Der Schlepper Nr. 103 * www.frsh.de
Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
Landtagswahl 2022

Haftplätzen in Glückstadt. Der Europäi-      rende Beschäftigungspraxis in der Wirt-          von relevantem Umfang, auch mit Blick
sche Gerichtshof hat am 10. März 2022        schaft, insbesondere der Tendenzbetriebe,        auf die an Europas Rändern Gestrande-
(AZ: C-519/20) eingefordert, dass eine       nicht justiziabel. Fachverbände fordern          ten, initiativ werden.
Abschiebungshafteinrichtung „nicht einer     schon lange eine Modernisierung des AGG.
                                                                                              Die Landesregierung wird Bleibepers-
Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung
                                             Die zivilgesellschaftliche Antidiskriminie-      pektiven garantieren und den Spurwech-
gleichkommt“. Ob die Hochsicherheits-
                                             rungsarbeit wird allerdings in SH durch          sel für alle ermöglichen! Sie wird für alle
infrastruktur des Glückstädter Gefängnis-
                                             das Land nicht gefördert. Eine Regelung          Geflüchteten – egal woher sie kommen
ses diesem Anspruch gerecht wird, darf
                                             für ein Verbandsklagerecht, die instituti-       – auf Erleichterungen bei der Einwande-
bezweifelt werden.
                                             onelle Förderung behördenunabhängigen            rung, großzügiges Bleiberecht und erleich-
                                             Beistands und Beratung sowie ein Landes-         terte Einbürgerungen abstellen.
  Einwanderungsbedarfe                       antidiskriminierungsgesetz fehlen.               Die Landesregierung wird Diskriminie-
Gleichzeitig besteht in Deutschland laut                                                      rungsschutz normieren! Sie wird mit dem
Bundesagentur für Arbeit ein Bedarf von        Visionen                                       Ziel einer diversen Einwanderungsgesell-
jährlich 400.000 in den Arbeitsmarkt Ein-                                                     schaft Antirassismus, Antidiskriminierung
                                             Die Landesregierung wird niemanden in            und die Förderung des gesellschaftlichen
wandernden. 2035 werden ohne eine for-
                                             aufenthaltsrechtlich und sozial noch so          Zusammenhalts zur Querschnittaufgabe
cierte Einwanderung und systematische
                                             prekärer Lage die zustehende Rechts-             einer guten Regierungs- und Verwaltungs-
Arbeitsmarktintegration der nichtdeut-
                                             dienstleistung verweigern. Sie wird lan-         praxis erheben. Ein Landesantidiskriminie-
schen Inländer 180.000 Beschäftigte auf
                                             desweit zugängliche                                               rungsgesetz wird geschaf-
dem schleswig-holsteinischen Arbeits-
                                             Rechtsberatungsange-                                              fen und zivilgesellschaft-
markt fehlen. Das Institut für Arbeits-
                                             bote für Geflüchtete in                                           liche Beratungs- und
marktforschung (IAB) erklärt, dass im
                                             behördenunabhängiger                                              Unterstützungsangebote
Bundesland schon bis 2025 die Zahl der
                                             Trägerschaft fördern.                                             werden gestärkt.
Erwerbspersonen um rund 70.000 (-9,5
Prozent) zurückgehen wird, bis 2050          Die Landesregierung                                              Die Landesregierung wird
sogar um bis zu 30 Prozent.                  wird zivilgesellschaftli-                                        das ihr mögliche tun, um
                                             che Angebote zur Ver-                                            die Solidarität in der Ein-
Dass also der Staat weiterhin viel Geld
                                             besserung des Schut-                                             wanderungsgesellschaft
und exekutive Potenz für die Aufenthalts-
                                             zes von weiblichen                                               zu stärken! Die Landes-
beendigung hier i.d.R. gut sozial vernetzt
                                             Asylsuchenden und                                                politik wird die Expertise
lebender Menschen ausgibt, anstatt es in
                                             unbegleiteten minder-                                            der Zivilgesellschaft, ihrer
ihre sprachliche, Bildungs- und arbeits-
                                             jährigen Kindern in                              Fachdienste, Bürgerinitiativen und Selb-
marktliche Förderung zu investieren, ist
                                             zentraler wie dezentraler Unterbringung          storganisationen, wertschätzen. Im Zuge
humanitär und auch volkswirtschaftlich
                                             fördern.                                         eines rechtverstandenen einwanderungs-
fragwürdig.
                                             Die Landesregierung wird den Paradig-            politischen Subsidiaritätsprinzips sollen
Doch etwa 20 Prozent der autochthonen                                                         Selbstorganisationen insbesondere im
                                             menwechsel weg von einer auf Aufent-
Bevölkerung in Deutschland sind getra-                                                        ländlichen Raum gestärkt werden.
                                             haltsbeendigung angelegten Politik vollzie-
gen von rechtsextremistischen und ras-
                                             hen. Sie wird die Politik und das Verwal-        Dass sich auch das parlamentarische
sistischen Überzeugungen. Tatbestände
                                             tungshandeln stattdessen auf eine syste-         System in der Einwanderungsgesellschaft
richten sich mit regelmäßiger Hass- und
                                             matisch nachhaltige Integration der noch         interkulturell weiterentwickeln muss,
Angriffskriminalität gegen Migrant*innen,
                                             Aufenthaltsungesicherten ausrichten.             ist eine zentrale Bedingung für eine par-
vermeintlich Nichtdeutsche sowie reli-
giöse und andere Minderheiten. Der           Die Landesunterkunft für Ausreisepflich-         tizipative Parteiendemokratie. Die Par-
Lebensalltag von People of Color ist         tige (LukA) und das Abschiebungsgefäng-          teien werden am Migrant*innenanteil in
gekennzeichnet durch alltägliche Diskri-     nis Glückstadt werden ersatzlos geschlos-        der Bevölkerung orientierte Quoten bei
minierungen und strukturelle Ausgren-        sen. Auf die Inanspruchnahme von                 der Besetzung von Personalstellen, Funk-
zungen.                                      Abschiebungshaft oder Abschiebungsge-            tionen, Aufstellungen von Kandidat*innen
                                             wahrsam qua Amtshilfe in anderen Bun-            und aussichtsreichen Listenplätzen ein-
                                             desländern wird verzichtet.                      führen.
  Diskriminierung                                                                             Wenn diese Visionen in der 20. Legisla-
                                             Die Landesregierung wird gegenüber
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes                                                     turperiode Realpolitik werden, sind wir
                                             dem Bund mit einer Gesetzesinitiative
konstatiert 2020 eine Zunahme der Bera-                                                       einer Einwanderungsgesellschaft, in der
                                             zur Streichung des grundrechtswidrigen
tungsanfragen ethnisch diskriminierter                                                        ein gemeinsames solidarisches Leben den
                                             Asylbewerberleistungsgesetzes vorstellig
Personen, darunter zahlreiche Geflüch-                                                        Normalfall bildet, ein gutes Stück näher-
                                             werden. Bis dahin wird auf die Förderung
tete, um 10 Prozent. Die bundesdeut-                                                          gekommen.
                                             der Ausreisebereitschaft im Zuge des aus-
sche Rechtsumsetzung der Anforderun-         länderamtlichen Verwaltungshandelns
gen aus der EU-Antidiskriminierungsricht-    mithilfe von verfassungswidrigen Kürzun-         Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. besteht
linie im Zuge des Allgemeinen Gleichbe-      gen oder Streichungen des Existenzmini-          seit 1991. Mehr Informationen über die laufende
handlungsgesetzes (AGG) war von Beginn       mums vollständig verzichtet.                     Arbeit des Vereins, die landesweit bestehenden
an defizitär. Danach sind normierte und                                                       Netzwerke und unsere politischen Erwartungen gibt
                                             Die Landesregierung wird durch regelmä-          es im Internet: www.frsh.de
strukturelle Diskriminierungen öffentli-
cher Stellen ebenso wie die diskriminie-     ßige eigenständige Aufnahmeprogramme

                                                                                           www.frsh.de * Der Schlepper Nr. 103 * 4/2022 · 5
Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
Landtagswahl 2022

„Eine Herausforderung, der wir uns mit der
Zivilgesellschaft engagiert stellten“

Torsten Geerdts                                                                                 Blick zurück nach vorn

Anlässlich einer                               Sie erwarten sicherlich ein paar konkrete    politische Wunder geschah, dass ausge-
                                               Aussagen oder Ausblicke zur derzeitigen      rechnet ein als sehr konservativ beschrie-
Veranstaltung zum                              Migrationspolitik in Schleswig-Holstein      bener Bundesminister ein Fachkräfteein-
                                               und zur Umsetzung des Koalitionsvertra-      wanderungsgesetz in kurzer Frist vor-
30-jährigen Bestehen                           ges im Bund. Ich werde Sie da nicht ent-     legte, dessen Wirkungen wir bis heute
                                               täuschen.                                    pandemiebedingt nicht wirklich beurtei-
des Flüchtlingsrats                                                                         len können. Aber die Erkenntnis war und
                                               Nun der Blick nach vorn, der sich nicht
Schleswig-Holstein richtete                    ausschließlich mit dem Koalitionsver-
                                                                                            ist in der Jamaika-Koalition bei allen Betei-
                                                                                            ligen gewachsen, dass gerade in diesem
                                               trag im Bund auseinandersetzen wird.
Integrationsstaatssekretär                     Der Flüchtlingsrat hat den migrationspo-
                                                                                            Bereich der legalen Einwanderung noch
                                                                                            viele Lücken geschlossen und Widersprü-
Torsten Geerdts am                             litischen Teil des Ampel- Koalitionsver-
                                                                                            che aufgelöst werden müssen.
                                               trages schnell kommentiert. Unter der
Weltmenschenrechtstag im                       Überschrift „Innovationen bei der Flücht-
                                               lingsintegration versus Kontinuität bei        Bleiberechts- und Abschiebe-
Dezember 2021 den Blick                        der Aufenthaltsbeendigung“ (https://bit.       stoppregelung kombinieren
                                               ly/3I3l5CU). Dieser schlaglichtartigen
zurück nach vorn auf die                       Bewertung kann ich durchaus zustim-          Wir haben uns in der Jamaika-Koali-
schleswig-holsteinische                        men. Ich sehe an vielen Stellen im Koali-    tion sehr häufig über das Thema der
                                               tionsvertrag einen Paradigmenwechsel,        Sicherheitslage in Afghanistan und Blei-
Flüchtlings- und                               Sie nennen das Innovationen, dem ich und     berechte für Afghaninnen und Afgha-
                                               weite Teile der hiesigen Jamaika-Koalition   nen ausgetauscht. Durchaus kontrovers,
Migrationspolitik.                             viel abgewinnen können. Einige Ansätze       aber immer konsequent vor dem Hin-
                                               der Ampel machen sich sogar Gedanken         tergrund geltenden Rechts. Dabei ent-
                                               oder praktisches Handeln in Schleswig-       stand der Gedanke durch einen Beschluss
                                               Holstein zu eigen.                           der Innenministerkonferenz, Bleiberechte
                                                                                            und eine generelle Abschiebestopprege-
                                               Die neue Bundesregierung hat sich im         lung zu kombinieren mit der Möglichkeit,
                                               migrationspolitischen Teil viel vorgenom-    sich weiter zu integrieren um ein festes
                                               men. Ich zitiere: „Wir streben ein in sich   Bleiberecht zu bekommen. Es gab schon
                                               stimmiges, widerspruchsfreies Einwande-      innerhalb der Jamaika-Koalition Vorbe-
                                               rungsrecht an, dass anwenderfreundlich       halte, und Gespräche mit anderen Län-
                                               und systematisiert idealerweise in einem     dern verhießen wenig bis keine Zustim-
                                               Einwanderungs- und Aufenthaltsgesetz-        mung. Nun sehen wir im Ampel-Koali-
                                               buch zusammengefasst wird.“                  tionsvertrag eine schöne neue Begriff-
                                               Vielleicht ist auch diesem Kreis gar nicht   lichkeit: Innenministerin Faeser wird ein
                                               so bewusst, dass mit der Stimme Schles-      Chancen-Aufenthaltsrecht schaffen.
                                               wig-Holsteins die Integrationsminister-      Zitat: „Menschen, die am 1. Januar 2022
                                               konferenz schon vor fast vier Jahren eine    seit fünf Jahren in Deutschland leben,
                                               Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die [unter     nicht straffällig geworden sind und sich
                                               Vorsitz Nordrhein-Westfalens und Schles-     zur freiheitlichen demokratischen Grund-
                                               wig-Holsteins] Vorstellungen zu so einem     ordnung bekennen, sollen eine einjäh-
                                               umfassenden gesetzgeberischen Ansatz         rige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhal-
                                               entwickeln sollte.                           ten können, um in dieser Zeit die übrigen
                                               Über einen Zwischenbericht sind wir          Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu
                                               nicht hinausgekommen, weil dann das          erfüllen (insbesondere Lebensunterhalts-

6 · 4/2022 * Der Schlepper Nr. 103 * www.frsh.de
Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
Landtagswahl 2022

sicherung und Identitätsnachweis gemäß        Unser Landesamt übernimmt eine aktive             Wesentliche Impulse,
§§ 25 a und b AufenthG).“                     Rolle in der Zuwanderung bei dem noch             die gehört werden
                                              weiter zu etablierenden Thema Fachkräf-
Das ist genau der gleiche Gedanke, den        teeinwanderung. An diesem erfolgrei-            Ich weiß, dass der Flüchtlingsrat Schles-
wir zum Umgang mit den Schutzsuchen-          chen Konzept, mit allen baulichen Verän-        wig-Holstein die Arbeit jeder Landes-
den aus Afghanistan hatten. Die Innenmi-      derungen, die wir vorhaben, sollten wir         oder Bundesregierung aufmerksam und
nisterkonferenz hat sich ebenfalls in der     in Schleswig-Holstein unbedingt festhal-        kritisch begleiten wird. Wenn Sie im
vergangenen Woche zur Lage in Afgha-          ten. Denn das alles organisierten wir aus       Flüchtlingsrat zurück blicken auf die letz-
nistan geäußert. Wir sind gespannt auf die    eigenem Anspruch, nicht weil uns das ein        ten 30 Jahre und vielleicht, weil es so nahe
Umsetzung dieser Vorhaben im Koaliti-         sogenanntes AnkER-Konzept des Bundes            liegt, auch besonders auf die letzten vier
onsvertrag des Bundes und werden ver-         vorgab.                                         Jahre, dann können Sie vielleicht auch mit
suchen, die in Schleswig-Holstein vorhan-                                                     klammheimlichem Stolz anerkennen, dass
dene Expertise in diese Umsetzung einzu-                                                      Ihre Impulse zu vielen Themen der Mig-
bringen.                                        Landesaufnahme-                               rationspolitik nie ungehört blieben, son-
Aus diesen beiden Beispielen mögen Sie          programm 500                                  dern in manchen Bereichen wesentliche
entnehmen, dass Frau Sütterlin-Waack,                                                         Impulse für unsere gemeinsame Anstren-
                                              Bei allen unterschiedlichen Auffassungen        gung lieferten.
gestützt durch unsere Erfahrungen in          zu dem was Flüchtlingsschutz in einem
einer Jamaika-Koalition, die zum Teil sehr    Blick nach vorn ausmachen sollte und was        Nein, für die Jamaika-Koalition war, um
scharfe und spontan geäußerte Kritik am       noch zu besprechen sein wird, sollten           Minister a.D. Seehofer zu zitieren, die
Ampel-Koalitionsvertrag aus der CDU/          wir eines festhalten: Für jede Regierung        Migration nie die Mutter aller Probleme,
CSU Bundestagsfraktion nicht teilen kann.     in Deutschland, sei es im Bund oder sei         sondern eine Herausforderung, der wir
                                              es in Schleswig-Holstein, muss der Kampf        uns jedenfalls in Schleswig-Holstein mit
                                              gegen Rassismus und Diskriminierung und         der Zivilgesellschaft engagiert stellten und
  Kontroverse                                 für humanitären Flüchtlingsschutz, das ist      zu guten, sehr vorzeigbaren Ergebnis-
  Abschiebungspolitik                         ein menschenrechtliches Gebot, höchste          sen kamen. Ich bin mir gewiss, dass dieser
Nur der Vollständigkeit halber sei dann       Priorität haben.                                Ansatz weder heute noch in den kom-
allerdings hinzugefügt: Genauso wenig                                                         menden Jahren ein anderer sein wird.
können wir die scharfe Kritik [des Flücht-
                                                Und deswegen zum
lingsrats] an der von Ihnen sogenannten
„Abschiebungspolitik“ teilen. Ich denke,        Abschluss meines Blickes
                                                                                              Torsten Geerdts, CDU, ist Integrationsstaatssekretär
unsere Positionen dazu sind hinlänglich         zurück und nach vorn:                         im Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integ-
bekannt: Es kann kein Bleiberecht für                                                         ration und Gleichstellung Schleswig-Holstein.
                                              Eines meiner persönlichen Highlights im         Der vollständige Redetext ist online unter:
alle geben. Ausreiseverpflichtungen nach      Innen- und Integrationsministerium ist          bit.ly/3tfW17p
langen erfolglos beschrittenen Rechts-        das Landesaufnahmeprogramm für 500
wegen müssen konsequent durchgesetzt          Frauen, Kinder und weitere Verwandte,
werden. Bei Vorrang der freiwilligen Aus-     das wir mit einer gemeinsamen Anstren-
reise ist Abschiebehaft das allerletzte       gung des Schleswig-Holsteinischen Land-
Mittel zur Durchsetzung dieses staatlichen    tages mit dem vorerst letzten Flug, der
Anspruchs.                                    [Anfang Dezember 2021] in Frankfurt
Und noch ein für uns wesentlicher Punkt:      gelandet ist, zu einem glücklichen Ende
Ich scheue mich nicht an dieser Stelle        und Anfang für ein Leben in Sicherheit
unser Landeskonzept der Aufnahme von          und Würde gebracht haben.
Flüchtlingen in unseren Landesunter-          Dieses Landesaufnahmeprogramm ist bei-
künften als gelungen und zielführend zu       spielgebend für viele Länder, die nach
bewerten. Auch hier gibt es einige unter-     uns kamen und in ihren Koalitionsver-
schiedliche Vorstellungen bei Flüchtlings-    trägen Ähnliches vereinbarten. Auch das
rat und Innenministerium, die man nicht       Thema „Aufnahmeprogramm“ finden wir
klein reden kann.                             im Ampel-Koalitionsvertrag wieder. Das
Ich will in Erinnerung rufen: Wir brauch-     ist gut so.
ten nicht das sehr umstrittene sogenannte     Und das zweite: [Am Weltmenschen-
AnkER-Konzept des Bundes, um unser            rechtstag] hat Ministerin Sütterlin-Waack
Landesamt zusammen mit der Bundes-            die [schleswig-holsteinische] Landesauf-
amt Außenstelle in ihrer Arbeit für Flücht-   nahmeanordnung für syrische Familien
linge zusammenzuführen. Mit hohem             aus dem Jahre 2013 zum 14ten mal ver-
Betreuungsaufwand, mit einem bundes-          längert. Bremen ist gerade dazugekom-
weit anerkannten ärztlichen Dienst –          men. Jetzt sind es immerhin, oder nur – je
Schleswig-Holstein hat nach wie vor die       nach Betrachtung – fünf Länder die wei-
höchste Impfrate bei den uns zugewiese-       terhin dabei sind, ein kleines, aber feines
nen Flüchtlingen – und bei der guten Ver-     Zeichen der Humanität zu setzen.
netzung mit den Kommunen, die sozusa-
gen Standort Städte und Gemeinden sind.

                                                                                           www.frsh.de * Der Schlepper Nr. 103 * 4/2022 · 7
Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
Landtagswahl 2022

Ein Kommunalwahlrecht für alle!

Ari Kehr                                                                  Forderungen in Schleswig-Holstein –
                                                                                  Erfahrungen in der Schweiz

Vorhandener Wohlstand                          Ein Kommunalwahlrecht für alle. Das            steht zwar nicht in Art. 20 Abs. 2 GG,
                                               ist die Forderung im Antrag der Partei         aber es wurde so interpretiert.
und Arbeitsplätze. Das                         SSW an die Regierung in Schleswig-Hol-
                                               stein. Aber auch ein Wahlrecht für EU-         Mit Blick auf andere europäische Länder
scheint eine Mehrheit von                      Bürger*innen auf Landesebene fordert           zeigt sich, dass einige europäische Staa-
                                               die SPD. Mit ihren Anträgen fordern SSW        ten bereits ein Kommunalwahlrecht für
Schweizer Wähler*innen                         und SPD daher eine Bundesratsinitia-           Nicht-EU-Bürger*innen eingeführt haben.
                                                                                              Dabei ist aber nur Irland wirklich prag-
für das kommunale                              tive. Die Initiative soll bewirken, dass das
                                                                                              matisch und inklusiv. Denn das kommu-
                                               Grundgesetz ein Kommunalwahlrecht für
Wahlrecht von Nicht-                           Nicht-EU-Bürger*innen möglich macht            nale Wahlrecht ist hier nicht an die Staats-
                                               (SSW-Antrag). Der Antrag der SPD sieht         bürgerschaft, sondern an das Wohn-
Staatsbürger*innen                             zusätzlich eine Ausweitung des Wahl-           recht geknüpft. Bereits nach sechs Mona-
                                               rechts von EU-Bürger*innen auf die Land-       ten Aufenthalt gilt das aktive und passive
stimmen zu lassen.                             tagswahl vor.                                  Wahlrecht.
Dies und weitere                               Die Forderung nach einem Kommunal-
Ergebnisse nennt eine                          wahlrecht für alle ist dabei alles andere        Schweizerische Motive
                                               als neu (jedoch dringender denn je).
                                                                                              Was bewegt eine Mehrheit von Schwei-
Studie von 2021.                               Denn bereits vor über 30 Jahren stand im
                                                                                              zer Wähler*innen dazu für das Wahlrecht
                                               Schleswig-Holsteinischen Landtag diese
                                                                                              von Nicht-Staatsbürger*innen zu stim-
                                               Forderung zur
                                                                                                                  men oder was lässt
                                               Debatte. Damals
                                                                                                                  sie dagegen stim-
                                               hatten Stimmen
                                                                                                                  men? Eine statisti-
                                               von SPD und SSW
                                                                                                                  sche Studie aus der
                                               am 14. Februar
                                                                                                                  Schweiz hat sich die
                                               1989 das Kom-
                                                                                                                  Situation zwischen
                                               munalwahlrecht
                                                                                                                  1996 und 2016 ange-
                                               für Ausländer ein-
                                                                                                                  schaut.
                                               geführt. Aller-
                                               dings beschränkte                                                    Dabei stellen
                                               sich das Wahlrecht                                                   die Forschenden
                                               auf dänische, iri-                                                   zunächst einmal fest,
                                               sche, niederlän-                                                     dass eine Erwei-
                                               dische, norwegi-                                                     terung des Wahl-
                                               sche, schwedische                                                    rechts verschiedene
                                               und schweizerische Staatsangehörige.           Vorteile mit sich bringt. Zu den Vortei-
                                               Die heutigen Anträge sollen Nicht-EU-          len gehört, dass (1) der Größe und Quali-
                                               Bürger*innen und Staatenlose mit in das        tät der Informationen über politische Pro-
                                               Kommunalwahlrecht einschließen, denn           bleme eine Verbesserung wiederfährt. (2)
                                               das Urteil des Bundesverfassungsgerichts       Die Legitimität, also die Rechtmäßigkeit,
                                               (BVerfG) vom 31. Oktober 1990 machte           von politischen Entscheidungen gestärkt
                                               das Kommunalwahlrecht für Ausländer            wird und (3) der Anreiz für Medien über
                                               in Schleswig-Holstein (und Hamburg)            politische Themen zu berichten sich ver-
                                               zunichte. Laut Argumentation des BVerfG        größert. (4) Zuletzt nennen sie eine Ver-
                                               gehe der Wähler*innenwille vom „deut-          stärkung der politischen Integration von
                                               schen Volke“ aus. Der Begriff „deutsch“        Nicht-Staatsbürger*innen.

8 · 4/2022 * Der Schlepper Nr. 103 * www.frsh.de
Offene Grenzen - nur für Ukraine-Flüchtlinge? Steht zur Wahl: Schleswig-Holstein Einwanderungsland Geteiltes Leid: Syrien, Afghanistan, Kolumbien ...
Landtagswahl 2022

Der Umsetzung des Wahlrechts für alle       Migrant*innenfeindliche Einstellungen, der
auf kommunaler Ebene stehen aber            Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt und
Machtinteressen im Weg. So zeigt die        ein ökonomischer Abschwung werden
statistische Analyse der Studie, dass       auch in anderen Studien in einem Zusam-
die Feindseligkeit gegenüber Nicht-         menhang gebracht. Dabei besteht m. E.
Staatsbürger*innen wächst, wenn sich die    allerdings das Risiko, dass Rassismus in
Gruppe von Nicht-Staatsbürger*innen         unserer Leistungsgesellschaft und dessen
vergrößert. Die Angst vor dem vermeint-     Feindlichkeit gegenüber Armen zum Pro-
lichen Verlust der eigenen kulturellen      blem „der Armen“ gemacht wird. Von
Identität und der ökonomischen Privile-     den tatsächlichen Ursachen für Rassismus,
gien wird dann größer. Fast immer benut-    wie zum Beispiel eine von nicht von Ras-
zen rechts-faschistische Parteien genau     sismus und/oder Klassismus Betroffenen
diese Ängste, um auf Stimmenfang zu         durchgesetzte und fortgesetzte Dumping-
gehen.                                      lohn-Politik, wird somit abgelenkt.
Weitere Ergebnisse der Studie sind, dass    Was allerdings die mehrheitliche Bereit-
genau wie bei der Einführung des Frau-      schaft zu begünstigen scheint, ist die
enwahlrechts, (1) die französisch-spra-     Größe der sozialdemokratischen Partei.
chigen Kantone die Ersten waren, die ein    Laut Studie ist sie in der Schweiz die am
Wahlrecht für Nicht-Staatsbürger*innen      weitesten links positionierte Partei. Je ein
einführten. (2) Ein Fortschrittsglaube      Prozent Zuwachs der sozialdemokrati-
nicht angemessen ist, denn der mehr-        schen Partei, wächst die mehrheitliche
heitliche Wille ein Wahlrecht für Nicht-    Bereitschaft das Wahlrecht zu erweitern
Staatsbürger*innen einzuführen folgt        um 0,3 Prozent. Demgegenüber stünden
keinem positivem Zeittrend. (3) Insbe-      wiederum Pensionäre, bei denen davon
sondere dann nicht, wenn, wie die Studie    ausgegangen wird, dass sie aufgrund einer
zeigt, der mehrheitliche Wille ein Wahl-    mehrheitlich konservativeren Einstellung
recht für Nicht-Staatsbürger*innen einzu-   die Bereitschaft wieder zum Sinken brin-
führen dann sinkt, wenn die Gruppe der      gen.
Nicht-Staatsbürger*innen zunimmt.
                                            Der generelle Ausblick der Studie ist,
                                            dass die Bereitschaft das Wahlrecht auch
  Zusammensetzung                           für Nicht-Staatsbürger*innen zu schaf-
  der Wähler*innenschaft                    fen, dann wächst, wenn die Konjunktur
                                            positiv ist und Erwerbszahlen hoch sind.
Im Untersuchungszeitraum der Studie         Sie empfehlen für weitere Studien die
hat sich der Anteil der Nicht-Schweizer-    Berücksichtigung von individuellen Daten
Staatsbürger*innen von 17,43 % auf 24,6     der Wähler*innenschaft, um bessere Aus-
% vergrößert. Somit ist laut Forschen-      sagen über diskriminierende Motive zu
den davon auszugehen, dass die mehr-        erhalten.
heitliche Bereitschaft das Wahlrecht für
alle auf kommunaler Ebene einzufüh-         Studie: Koukal et. al (2021): Enfranchising
ren, gesunken ist. Laut Studie gehört       non-citizens: What drives natives‘ willing-
zur gesunkenen Bereitschaft die kultu-      ness to share power. Journal of Compara-
relle „Verschiedenheit“ (Sprache, Reli-     tive Economics 49 (1088 – 1108).
gion, Einkommen) und die damit ange-        Weitere Quellen: FES-Papier (2008): Das
nommene vermeintlich schlechtere Ver-       kommunale Ausländerwahlrecht im euro-
einbarkeit zwischen den Kulturen von        päischen Vergleich. Werner T. Bauer.
Schweizer Staatsbürger*innen und Nicht-     Österreichische Gesellschaft für Politikbe-
Staatsbürger*innen. Inwieweit dies auch     ratung und Politikentwicklung (ÖGPP).
Diskriminierungen gegenüber Nicht-
Staatsbürger*innen in der Schweiz bedeu-
tet, können die Forschenden jedoch nicht
                                            Ari Kehr ist Projektleitung im Projekt „Neue Heimat
sagen.                                      – Räume für Begegnung und interkulturelles Han-
Wozu sie allerdings doch Aussagen tref-     deln“ beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
fen, ist über den Zusammenhang von der
Erwerbslosenquote und der mehrheitli-
chen Bereitschaft das Wahlrecht zu erwei-
tern. Wächst die Erwerbslosenquote,
geht laut ihren Berechnungen die mehr-
heitliche Bereitschaft zur Ausweitung des
Wahlrechts auf Nicht-Staatsbürger*innen
zurück.

                                                                                                  www.frsh.de * Der Schlepper Nr. 103 * 4/2022 · 9
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Landtagswahl 2022

„Es braucht eine postmigrantische Partei“

Naika Foroutan                                       Droht den demokratischen Parteien Konkurrenz?

Die Themen Migration                           Frau Foroutan, welche Rolle spielen die      könnte damit von großer Bedeutung für
                                               Themen Migration und Integration im          das Wahlergebnis sein. Und die Bedeu-
und Teilhabe finden                            aktuellen Wahlkampf?                         tung dieser Bevölkerungsgruppe wird
                                                                                            noch wachsen: Bei den Wähler*innen von
sich kaum in den Wahl-                         Naika Foroutan: Praktisch keine. Schauen
                                                                                            morgen, bei Jugendlichen und Schulkin-
                                               Sie in die Wahlprogramme der Parteien:
                                                                                            dern, machen sie bereits rund 40 Prozent
programmen der meisten                         Das Thema Migration ist inzwischen fast
                                                                                            aus. Es braucht eine neue postmigranti-
                                               verschwunden. Die Parteien denken
Parteien. Es sei Zeit für eine                 offenbar, dass es keine große Bedeutung
                                                                                            sche Partei, die diese Menschen direkt
                                                                                            anspricht.
                                               in der kommenden Legislaturperiode
neue, postmigrantische                         haben wird, weil die Einwanderungs- und
Partei, sagt die Migrations-                   Asylzahlen im Verhältnis zur letzten Bun-    Wähler*innen mit Migrationshinter-
                                               destagswahl stark nach unten gegangen        grund sind allerdings keine homo-
forscherin Naika Foroutan                      sind. Dabei verkennen sie, dass Migration    gene Gruppe. Wie könnte eine ein-
                                               neben Klima und Digitalisierung das zen-     zige Partei die Interessen von EU-
im Interview mit Fabio                         trale Thema des kommenden Jahrzehnts         Arbeitsmigrant*innen, Geflüchteten,
                                               bleiben wird. Wenn das Thema doch            Spätaussiedler*innen und ehemaligen
Ghelli.                                        angesprochen wird, geht es meistens um       Gastarbeiter*innen und die der späte-
                                               Sicherheit, Abwehr oder Regulierung –        ren Generationen vertreten?
                                               nicht um ein plurales Miteinander, das
                                                                                            Klar haben diese Menschen unterschied-
                                               auf die Teilhabe der Menschen mit soge-
                                                                                            liche Bedarfe. Sie sind keineswegs eine
                                               nanntem Migrationshintergrund setzt.
                                                                                            homogene Gruppe – ihre Schicht, Berufe,
                                               Im Wahlkampf wird deutlich, dass keine
                                                                                            Religion oder politischen Positionen sind
                                               Partei Migrant*innen und ihre Nachkom-
                                                                                            teilweise sehr unterschiedlich. Sie haben
                                               men aktiv anspricht.
                                                                                            aber auch viel gemeinsam: Der Wer-
                                                                                            degang ihrer Kinder ist bewiesenerma-
                                               Warum interessieren sich die Parteien        ßen steiniger als der von Deutschen ohne
                                               so wenig für das Thema?                      Migrationshintergrund. Viele von ihnen
                                                                                            haben – unabhängig von ihrer Herkunft
                                               Parteien, die proaktiv mit dem Thema
                                                                                            – Formen von Diskriminierung erlebt.
                                               Migration für sich werben, verlieren dabei
                                                                                            Menschen mit einer Einwanderungsge-
                                               in der Regel Wähler*innenstimmen. Die
                                                                                            schichte sind zudem viel zu selten an poli-
                                               einzigen Parteien, die es für Wahlzwe-
                                                                                            tischen Entscheidungen beteiligt: Bei der
                                               cke nutzen können, sind die, die ganz klar
                                                                                            letzten Bundestagswahl hatten lediglich
                                               gegen Einwanderung sind. Es ist also nicht
                                                                                            11 Prozent der Abgeordneten einen soge-
                                               verwunderlich, dass die meisten Par-
                                                                                            nannten Migrationshintergrund. In der
                                               teien das Thema nur nebenbei erwäh-
                                                                                            Gesamtbevölkerung sind es mehr als 26
                                               nen. Ob aus Wahltaktik oder Desinter-
                                                                                            Prozent der Menschen.
                                               esse, das Ergebnis ist das Gleiche: Men-
                                               schen mit einer Einwanderungsgeschichte
                                               werden als Randgruppe behandelt, um          Bildungschancen, Diskriminierung,
                                               deren Stimmen zu kämpfen es sich nicht       politische Teilhabe – das wären also
                                               lohne. Dabei umfasst die Gruppe der          Themen für die Partei. Was noch?
                                               Wähler*innen mit einem sogenannten
                                                                                            Abgesehen von diesen Themen könnte
                                               Migrationshintergrund über zehn Pro-
                                                                                            die Partei vor allem eine taktische Rolle
                                               zent der gesamten Wählerschaft und
                                                                                            spielen.

10 · 4/2022 * Der Schlepper Nr. 103 * www.frsh.de
Landtagswahl 2022

Eine neue Partei könnte die etablierten
Parteien dazu motivieren, Migrant*innen                 Gemeinsamer Aufruf
als Wählerschaft endlich stärker wahrzu-
nehmen und sie auch aktiv zu umwerben.
Nur eine Partei, die auf das Thema Mig-
ration ihren Schwerpunkt legt und eine
                                                                    Solidarität kennt keine
offensive Interessenvertretung und Iden-
titätspolitik vertritt, kann Migration ins
                                                                         Nationalität!
Zentrum politischer Debatten rücken.
                                                          Aufnahmebedingungen für alle Schutzsuchenden verbessern
Haben Sie keine Sorge, dass der Kon-
flikt mit anderen Parteien dadurch                      Flüchtlingsräte und PRO ASYL fordern Abschaffung des Asylbewerber-
eskalieren könnte?                                      leistungsgesetzes, freie Wohnortwahl und dezentrale Unterbringung für
Eine Eskalation gab es schon. Der feind-                alle Geflüchteten.
selige Ton, den die AfD bei den Flucht-                 Bei ihrer gemeinsamen Konferenz am 11.März in Stuttgart haben die Landes-
Debatten eingeschlagen hat, die Hetze                   flüchtlingsräte und PRO ASYL sich intensiv mit den aktuellen Bedingungen
gegen Politiker*innen und Vertreter*innen               geflüchteter Menschen in Deutschland auseinandergesetzt. Insbesondere der
zivilgesellschaftlicher Organisationen,                 brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zwingt mehrere Millionen Men-
das alles gibt es schon. Die Polarisie-                 schen zur Flucht.
rung ist schon da, dafür braucht es keine
Migrant*innen-Partei.                                   Wir begrüßen, dass Menschen, die aus der Ukraine fliehen, jetzt visumsfrei in
                                                        Deutschland einreisen dürfen und hier großzügig aufgenommen werden. Mit
                                                        dem „vorübergehenden Schutz“ nach §24 AufenthG erhalten sie unkompliziert
Wenn sich Menschen mit Einwande-                        eine Aufenthaltserlaubnis, können ihren Wohnort frei wählen und unterliegen
rungsgeschichte als Partei organisieren                 keinem Arbeitsverbot. Dies wäre unter den Bedingungen des Asylverfahrens,
– heißt das nicht, dass sie in Konflikt                 das auf Kontrolle und Abschreckung basiert, nicht möglich gewesen.
mit der Mehrheitsgesellschaft treten?
                                                        Aktuell sieht man den politischen Willen, Aufnahmebedingungen für Geflüchtete
Nein. Ungleichheit und Diskriminie-                     zu verbessern. Das sollte nun für alle Schutzsuchenden gelten: „Das diskrimi-
rung sind Themen, die nicht nur Perso-                  nierende Asylbewerberleistungsgesetz, die Zuweisung in Kommunen gegen den
nen mit Einwanderungsgeschichte bewe-                   Wunsch der Betroffenen und die langfristige Unterbringung in Lagern sind nie-
gen. Und übrigens: Nicht nur Perso-                     mandem zuzumuten. Solche Gängelungen müssen endlich für alle Geflüchteten
nen mit Migrationshintergrund fühlen                    abgeschafft werden!“, erklärt Mara Hasenjürgen vom Flüchtlingsrat Branden-
sich von diesen Fragen angesprochen.                    burg. Die Unterbringung in Massenunterkünften darf nur vorübergehend sein.
Auch ihre Freunde, Partnerinnen, Nach-                  Länder und Landkreise müssen sich jetzt vermehrt um dezentrale Unterbrin-
barn oder Berufskolleginnen sind schon                  gung bemühen, um gesellschaftliche Teilhabe für alle Geflüchteten von Beginn an
lange in die migrantische Frage invol-                  zu ermöglichen.
viert und wären dementsprechend auch
potenzielle Wähler*innen. Es sollte also                Flüchtlingsräte und PRO ASYL stehen an der Seite diverser migrantischer Selb-
eine Partei sein, die attraktiv für all die-            storganisationen, die die ungleiche Behandlung Schutzsuchender scharf kritisie-
jenigen ist, die sich aus unterschiedlichen             ren. Rassistische Vorfälle an den Grenzen, Teile der Medienberichterstattung
Gründen ausgeschlossen und marginali-                   und die geltende Rechts- und Verordnungslage zeigen die Unterscheidung auf,
siert fühlen und sich alliieren wollen, um              die Menschen auf der Flucht erfahren müssen. Zentral ist jetzt, dass die Bundes-
mehr Kraft zu haben: People of Colour,                  regierung ihre Spielräume in der Umsetzung des EU-Ratsbeschlusses nutzt. Alle
sozial benachteiligte Personen, Mitglie-                Menschen, die aus der Ukraine fliehen, müssen die Aufenthaltserlaubnis nach
der der LGBTQ+-Community und eben                       §24 Aufenthaltsgesetz erhalten, auch wenn sie nicht explizit in der EU-Richtlinie
ihre politischen und affektiven Partner in              2001/55/EG genannt sind.
der Gesellschaft. Wenn die Gleichheits-                 „Selektive Solidarität ist keine. Es spielt keine Rolle, welche Nationalität oder
frage für Migrant*innen und ihre Nach-                  Hautfarbe Menschen haben, die hier Schutz suchen. Wir sind verpflichtet, allen
kommen verhandelt wird, ist diese nicht                 Schutzsuchenden unsere volle Unterstützung zukommen zu lassen. Ob Men-
isoliert zu betrachten, sondern sie betrifft            schen vor Bomben oder Hunger fliehen, darf keinen Einfluss auf unsere Aufnah-
auch andere Bereiche.                                   mebereitschaft haben“, stellt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat
                                                        klar.
Prof. Dr. Naika Foroutan ist Professorin für Integra-   Selbstorganisierte Kämpfe von Migrant*innen, besonders seit dem langen
tionsforschung und Gesellschaftspolitik an der Hum-
boldt-Universität zu Berlin, Gründungsvorstand des      Sommer der Migration 2015/16, aber auch die unzähligen Vereine und Organi-
Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrati-       sationen, die Geflüchtete seit Jahren unterstützen, haben die Grundlagen gelegt,
onsforschung (DeZIM) e.V. und Direktorin des Ber-       auf der aktuelle Formen der Solidarität aufbauen können. Trotz der Katastro-
liner Instituts für empirische Integrations- und Mig-
rationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universi-
                                                        phe in der Ukraine darf die Not der Menschen in Ländern wie Libyen, Belarus,
tät zu Berlin. Das hier gekürzte Interview erschien     Jemen, Syrien, Äthiopien, Nigeria oder Afghanistan nicht vergessen werden.
zuerst beim Mediendienst Integration:
www.mediendienst-integration.de                         Stuttgart, 11.3.2022

                                                                                             www.frsh.de * Der Schlepper Nr. 103 * 4/2022 · 11
Schleswig-Holstein

Viel Solidarität

Martin Link                                                     In Schleswig-Holstein werden zahlreiche
                                                              Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen

Seit dem 24. Februar                           Zahl tatsächlich höher ist. Schleswig-Hol-   len und zivilgesellschaftliche Akteur*innen
                                               stein bereitet sich derweil auf größere      in den Kreisen und kreisfreien Städten
herrscht Krieg in Europa.                      Zugangszahlen vor und schafft Ressourcen     Schleswig-Holsteins eingestellt und regel-
                                               für die Aufnahme und Begleitung der vor      mäßig aktualisiert: https://www.frsh.de/
Lang angekündigt hat                           allem Frauen, Jugendlichen und Kinder.       artikel/ukraine-informationen/
                                               Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren
die russische Armee ihren                      dürfen nicht aus der Ukraine ausreisen
                                                                                            Das Ministerium für Inneres, ländliche
                                                                                            Räume, Integration und Gleichstel-
Überfall auf die Ukraine                       und werden – soweit sie nicht freiwillig
                                                                                            lung Schleswig-Holstein (MILIGSH) hat
                                               bereit sind – für den Kriegsdienst zwangs-
                                                                                            eine Info-WebSeite mit vielfältigen Infor-
wahr gemacht.                                  verpflichtet.
                                                                                            mationen für Geflüchtete aus der Ukraine
                                               Die Bereitschaft in der Bevölkerung hier-    und die Beratungs- und Unterstützungs-
Die Vereinten Nationen rechnen mit             zulande, den Geflüchteten mit Solidarität,   szene online freigeschaltet www.schles-
vielen Millionen Menschen, die aus der         tatkräftiger und materieller Unterstützung   wig-holstein.de/ukraine, die ebenfalls
Ukraine in andere europäische Länder           das Ankommen zu erleichtern, Trost und       regelmäßig aktualisiert wird.
flüchten. Um den Ansturm zu bewälti-           Orientierung zu geben und in diesem Pro-
                                                                                            Mit Fragen und Hinweisen zum Thema
gen hat der Europäische Rat ganz tief in       zess zu begleiten, ist groß. In den Krei-
                                                                                            Aufnahme von Ukrainer*innen im Bun-
die bisher geflissentlich verschmähten Ins-    sen vernetzen sich öffentliche Stellen mit
                                                                                            desland können sich Interessierte an das
trumente einer großzügigen Aufnahme            Fachdiensten der Verbände und mit Bür-
                                                                                            MILIGSH über eine Kontaktmail-Adresse
von Geflüchteten gegriffen. Seit 2001          gerinitiativen. Auch auf Landesebene hat
                                                                                            Flucht-Ukraine@im.landsh.de und eine
gibt es die Massenzustromrichtlinie der        sich das Innenministerium mit zivilgesell-
                                                                                            Telefon-Hotline 0431 988-3369 wenden.
EU, die am 3. März erstmalig zur Anwen-        schaftlichen Akteur*innen kurzgeschlos-
dung gekommen ist – und die leider einer       sen.                                         Der Landeszuwanderungsbeauftragte
Ungleichbehandlung zwischen ukraini-                                                        Schleswig-Holstein informiert auf seiner
schen Staatsangehörigen und genauso aus                                                     Web-Seite über rechtliche und andere
der Ukraine fliehenden Drittstaatenange-            Informationsangebote                    Fragen im Kontext der in Deutschland
hörigen Vorschub leistet.                      Die Rechtsberatung für Geflüchtete beim      und in Schleswig-Holstein schutzsuchen-
                                               Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein            den Menschen aus der Ukraine: https://
Das inzwischen sozialdemokratisch                                                           www.landtag.ltsh.de/beauftragte/fb/
geführte Bundesinnenministerium hat            steht auch den aus der Ukraine Geflüch-
                                               teten und ihren Unterstützer*innen offen:    ukraine/
indes am 5. März Länderhinweise zur
Umsetzung des EU-Ratsbeschlusses her-          Kontakt per eMail beratung@frsh.de oder      Der Flüchtlingsrat sammelt Informatio-
ausgegeben, die gleichwohl die Möglich-        telefonisch: 0431-734 900.                   nen über die landesweit für – egal woher
keit der unterschiedslosen Aufenthaltsre-      Der Flüchtlingsrat gibt auf seiner Home-     – neu ankommenden Geflüchteten in den
gelungen und von Integrationszugängen          page Informationen für aus der Ukra-         Kreisen und kreisfreien Städten vorhan-
für fast alle aus der Ukraine Geflüchteten     ine Geflüchtete und die sie Unterstützen-    denen Angebote öffentlicher Stellen, Ver-
schafft. Wie das in den Ländern – respek-      den. Die Seite hält Informationen über       bände und engagierten Initiativen und ist
tive hier in Schleswig-Holstein – umge-        Beratungsangebote, die relevante Rechts-     dankbar für solcherlei Hinweise an:
setzt werden wird, steht aufmerksam zu         und Verordnungslage von Bund und Län-        westkueste.ahoi@frsh.de
beobachten.                                    dern auf, informiert über Aufnahme- und
Mitte März waren in Deutschland                Unterbringungsfragen, enthält Verlinkun-     Martin Link arbeitet beim Flüchtlingsrat Schleswig-
geschätzt 160.000 Geflüchtete ange-            gen zu Seiten Dritter mit Nachrichten        Holstein e.V. www.frsh.de
kommen. Weil Ukrainer*innen visums-            über die Situation an den Grenzen und
frei einreisen können und nicht in Erstauf-    auf den Fluchtwegen. Regelmäßig werden
nahmeeinrichtungen wohn- und melde-            hier auch Informationen und Kontakt-
pflichtig sind, ist anzunehmen, dass diese     daten über zuständige öffentliche Stel-

12 · 4/2022 * Der Schlepper Nr. 103 * www.frsh.de
Schleswig-Holstein

Kooperationspartner*innen gesucht!

Johanna Frank                            Informationsveranstaltungen für von prekärer
                                        Beschäftigung in Schleswig-Holstein Betroffene

Das IQ-Projekt Faire           Die Projekte „Faire Integration“, im         Bisher konnten wir unsere Informations-
                               Rahmen des Förderprogramms „Integ-           veranstaltungen in deutscher Sprache mit
Integration bietet an,         ration durch Qualifizierung“ des BMAS,       gleichzeitiger Übersetzung ins Englische
                               sind bundesweite Beratungs- und Infor-       oder Arabische anbieten. Seit dem 01.
dezentral im Bundesland        mationsprojekte für Migrant*innen, Zuge-     Februar dieses Jahres dürfen wir nun eine
                               wanderte und Drittstaatsangehörige. Auf      neue Kollegin bei uns im Team begrüßen,
für (potentiell) Betroffene    Landesebene ist „IQ Schleswig-Holstein       Frau Elaham Vatankhah. Sie übernimmt
prekärer Arbeitsverhältnisse   – Faire Integration“ beim Antidiskriminie-   die Beratung in den Sprachen Farsi und
                               rungsverband Schleswig-Holstein (advsh)      Dari. Wir sind sehr glücklich über diesen
niedrigschwellige Informa-     e.V. angesiedelt.                            Zuwachs und freuen uns darüber, nun
                                                                            auch unsere Informationsveranstaltungen
tionsveranstaltungen, in       Unser Beratungsangebot umfasst arbeits-      mit zusätzlicher Übersetzung in Farsi und
                               und sozialrechtliche Themen, die             Dari anbieten zu können.
denen über die wichtigsten     direkt mit dem Beschäftigungsverhält-
                                                                            Auch wir haben unsere Formate den
Standards und Rechte im        nis zusammenhängen, z.B. Lohn, Arbeits-
                                                                            herrschenden Umständen angepasst,
                               zeit, Urlaub, Kündigung usw. Es können
                                                                            so dass wir die Veranstaltungen sowohl
Arbeitsleben informiert        sowohl Personen, die sich bereits in
                                                                            in Präsenz als auch digital durchführen
                               Arbeit, Ausbildung oder Praktikum befin-
wird, durchzuführen.           den, Rat zu konkreten Fragestellungen
                                                                            können.
                               erhalten, als auch solche Menschen, die      Wenn Interesse an der gemeinsamen
                               sich präventiv über Arbeitsrechte und        Durchführung einer Informationsver-
                               -pflichten informieren möchten. Wir sind     anstaltung besteht, dann freuen wir uns
                               ein juristisch ausgebildetes Team und        über eine Rückmeldung.
                               unterstützen die Ratsuchenden, sich (prä-
                               ventiv) vor Ausbeutung und Benachtei-
                                                                            Johanna Frank ist Juristin und Projektleiterin von
                               ligung zu schützen und sich dagegen zur      Faire Integration beim Antidiskriminierungsverband
                               Wehr zu setzen.                              Schleswig-Holstein e.V., Tel: 0431-696 684 55,
                                                                            fi-beratung@advsh.de, www.advsh.de
                               Da die Kenntnis über die eigenen Rechte
                               und Pflichten im Arbeitsverhältnis ein
                               essentieller Grundstein ist, um sich auf
                               dem Arbeitsmarkt sicher bewegen zu
                               können und prekäre Arbeitsbedingungen
                               zu erkennen, bieten wir entsprechende
                               kostenfreie Informationsveranstaltungen
                               an. Diese passen wir gern an die jeweili-
                               gen Bedürfnisse der Gruppe an. Wir star-
                               ten meist mit einer Übersicht über die
                               Grundlagen und erweitern unsere Inhalte
                               gern um speziellere Themen wie bei-
                               spielsweise Leiharbeit, Minijob, Ausbil-
                               dung. Das Grundverständnis über die gel-
                               tenden Regeln und Rechte ist Grund-
                               lage dafür, prekäre Beschäftigungsbedin-
                               gungen zu überwinden und gute Arbeit in
                               Deutschland zu finden.

                                                                       www.frsh.de * Der Schlepper Nr. 103 * 4/2022 · 13
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