Liga-Magazin - Ausgebeutet
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01/21 Preis: EUR 8 Liga-Magazin Schwerpunktthema Wo bleibt das Recht auf eine intakte Umwelt? Ausgebeutet
3 Foto / Stephan Huger Text / Barbara Helige wir die Probleme nicht innerstaatlich angehen können, sondern insbe- sondere auch die Menschenrechte länderübergreifend betrachten und E wahren müssen. Ein Beispiel: Es kann nicht sein, dass der Armut in Österreich mit Billigim- D porten begegnet wird, diese aber gleichzeitig nur durch Ausbeutung von Arbeitskräften im fernen Osten ermöglicht werden. Die Einfor- I derung von menschenrechtlicher Verantwortung im transnationalen BARBARA HELIGE Warenverkehr bzw. in weltweiten Präsidentin der Österreichischen T Produktionsstätten muss durch in- Liga für Menschenrechte, Leiterin ternationale Kooperation befördert des Bezirksgerichts Döbling, und letztlich erzwungen werden. ehemalige Präsidentin der Dazu setzt die Liga im Jahr 2021 O RichterInnenvereinigung einen inhaltlichen Schwerpunkt, siehe unter anderem den sehr inter- essanten Artikel von Ulrike Lunacek in dieser Ausgabe. Vorrangig gilt R das für eine Klimapolitik, die nicht nur das Überleben der Menschen L innerhalb der jeweils nationalen I angsam hebt sich der Schleier Grenzen im Auge haben darf. der Corona-Pandemie, Ziel muss sein, unter zunehmend der sich über unser aller schwierigen klimatischen Bedingun- Leben gelegt hat, und es gelingt gen weltweit ein menschenwürdiges A zunehmend, den Fokus wieder auf Leben zu bieten. andere wichtige Themen zu legen. Dabei wird deutlich, wie sehr sich Internationale Zusammenarbeit ist einerseits alte Schwachstellen in den ein Gebot der Stunde, das aber in L vergangenen eineinhalb Jahren oft vielen Staaten ignoriert wird. Viel noch verstärkt haben und anderer- zu oft versuchen politisch Verant- seits neue Probleme mit menschen- wortliche – besonders vor Wahlen – rechtlichen Aspekten hinzukommen. durch exzeptionellen Nationalismus politisches Kleingeld zu machen. Die Lebenssituation von Frauen hat Dabei ist vor allem die schändliche durch die Pandemie eher Rückschrit- Asyl- und Fremdenpolitik zu nennen, te hinnehmen müssen, die hohe An- die menschliche Solidarität vermis- zahl an Frauenmorden in Österreich sen lässt. Und wo Menschenwürde, bildet nur die unerträgliche Spitze wenn überhaupt, nur durch NGOs einer oft frauenverachtenden Men- geachtet wird. Dieser Weg führt auf talität ab. Auch hat sich die Schere lange Sicht zumindest in eine Sack- zwischen arm und reich in Europa gasse, wenn nicht überhaupt weiter aufgetan, ganz zu schweigen ins Verderben. von der Situation in weniger privile- gierten Ländern. Was all jene, die sich für Menschen- rechte einsetzen, nicht zulassen Auf der anderen Seite gibt es auch können. Ihnen allen ist für ihr Gewinner, die die Notsituation zu ih- Engagement, das für die Zukunft ren Gunsten nutzen konnten, sodass Hoffnung gibt, zu danken. sich das Vermögen weltweit immer stärker akkumuliert. Was heißt, dass Barbara Helige Österreichische Liga für Menschenrechte
4 3 Barbara Helige: Editorial 5 Marion Wisinger: Zu dieser Ausgabe 6 Alexander Van der Bellen: Klimakrise und Menschenrechtskrise 9 NEUES AUS DER LIGA 10 Andrea Helige: Standortbestimmung mit Generalsekretärin Angelika Watzl 14 Verena Gschweitl: Für das Menschenrecht auf Leben, Sicherheit und Gesundheit 15 Terezija Stoisits: Was wäre die Liga ohne Heinrich Neisser? 16 Maria Rösslhumer: Nie wieder Femizide in Österreich! 17 Lena Jäger: Es ist Zeit zu kämpfen! 18 Andrea Helige: Der streitbare Pionier – Interview mit Max Koch 22 Sebastian Öhner: Den Fokus auf das Kindeswohl 24 Birgit Johler/Christopher Treiblmayr: Liga-Exponate im Volkskundemuseum Graz 26 Für Akzeptanz und Anerkennung 27 SCHWERPUNKT UMWELT UND MENSCHENRECHTE 29 Marie-Lou Deron: Gibt es ein Menschenrecht auf Umweltschutz? 31 Louis-Benjamin Vaugoin: Der Globalisierungskompass 32 Klara Butz: Klimaschutz ist Menschenschutz 33 Katharina Rogenhofer: Vom Reden ins Tun 34 Remo Klinger: Klimaschutz mit Verfassungsrang 36 Ulrike Lunacek: Menschenrechte brauchen Gesetze 38 Über Eva Petrič 39 MENSCHENRECHTE IN ÖSTERREICH 40 Madeleine Müller: Und jährlich grüßt der Reformverschub 42 Sarah Vasak: Was ist erlebte Wahrheit? 44 Sebastian Öhner: Olympiade für Menschenrechte! 47 INTERNATIONALES 48 Bettina Vollath: Grenzwertig 50 Angelika Watzl: Swetlana Tichanowskaja in Wien 52 Angelika Watzl: Neues von den europäischen Ligen 53 Valerie Gruber: #brusselsnews. Liga goes international 55 NEUES AUS DER MENSCHENRECHTSSZENE 56 Hans Peter Graß: Von der Straße in den Seminarraum 58 Kurzmeldungen 60 Lesetipps 62 Nachruf Helmut Schramke CHISCHE 62 ÖSTERREI TE Impressum R M EN SC HENRECH LIGA FÜ n? ga schreibe e für die Li mentare, Möchten Si n Si e K om uns, wen iträge Wir freuen d andere Be en ts , Le serbriefe un m en an Stat em nrechtsthe zu Mensche . ion schicken die Redakt ov em be r 2021 hluss: 1. N Einsendesc liga.or.at m.wisinger@ orum se rf Betreff: Le Österreichische Liga für Menschenrechte
5 Foto / Günther Pichlkostner, Stephan Huger Text / Marion Wisinger Liebe Leserinnen und Leser, Andrea Helige, bisher für die jour- nalistische Qualität der Texte ver- die bei festlichen Anlässen in antwortlich, ist nun in der Chef- Europa gespielte Hymne, die redaktion an Bord, gemeinsam himmlische Ode an die Freude, werden wir der Liga noch mehr drückt ein Lebensgefühl aus, das Schwung und inhaltliche Brisanz einem das Herz höherschlagen verleihen. Wir beide, wie auch lässt. Europa, Traumgebilde einer sämtliche anderen AutorInnen, besseren Zukunft, ein Elysium, wo arbeiten ehrenamtlich. An dieser die von irdischer Mühsal Erlösten Stelle möchte ich daher die Gele- leben. Europa, der Kontinent der genheit nutzen und allen, die mit MARION WISINGER Hoffnung, der Zuflucht, der Freude. ihrem Engagement den Bestand CHEFREDAKTEURIN Eine völlig andere Musik wird an des Liga-Magazins sichern, ganz dessen Grenzen gespielt. Entlang herzlich danken! der am griechischen Grenzfluss Evros errichteten Stahlmauern sind Wir wünschen Ihnen einen schönen Schallkanonen positioniert, die als Sommer, lesen Sie das Magazin ZUR PERSON akustische Waffe gegen Menschen unter einem schattenspendenden eingesetzt werden. Im Irak-Krieg Baum sitzend – gute Lektüre! erprobt, gegen somalische Piraten Historikerin und Autorin, und in den USA zur Zerstreuung von Mit besten Grüßen, 2009 bis 2012 Gene- Demonstrationen bereits im Einsatz, Marion Wisinger, Chefredakteurin ralsekretärin der Liga. führt der enorme Schalldruck zu Vorstandsvorsitzende des starkem Schmerz. Die EU hat seit Wiener Forums für Demo- 2015 Milliarden in Grenzschutztech- kratie und Menschenrechte, nik investiert, und das griechische Beauftragte des „Writers Digital Fort ist ein Versuchslabor in Prison“-Komitees des für den späteren Einsatz an den Österreichischen PEN-Clubs. Außengrenzen der Union. Wenn Trainerin in der politischen die „Klimaflüchtlinge“ kommen, will Erwachsenenbildung. Europa gerüstet sein. Was heute am zeitweise.at Evron Alltag ist, Hightech, Drohnen, Überwachung und Beschallung, wird auch gegen Menschen, die sich für Mit an Bord in Climate Justice stark machen, aufge- der Chefredaktion: fahren werden. Umso wichtiger sind Andrea Helige effektive Klimagesetze und vor allem Klagsrechte der Zivilgesellschaft, die eine rechtliche Handhabe gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundla- gen gewährleisten könnten. Um den Beiträgen der AutorInnen eine eindrucksvolle Bildsprache zu verleihen, haben wir die öster- reichisch-slowenische Künstlerin Eva Petrič eingeladen, diese Ausgabe zu illustrieren. „Can you swim?“ fragt sie den toten Fisch (S. 28), und der „Garden of No Man’s Land“ (S. 38) ist längst kein Garten Eden mehr, sondern bereits Lebensrealität von Millionen. Aus der Redaktion unserer Publi- kation ist Erfreuliches zu berichten:
6 Fotos / Peter Lechner, HBF GRUSSBOTSCHAFT VON BUNDESPRÄSIDENT ALEXANDER VAN DER BELLEN Klimakrise und Menschenrechtskrise I ch denke, niemand wird den Zusammenhang zwischen der globalen Erwärmung und der Gefähr- dung von fundamentalen Menschenrechten in Zweifel ziehen. Es ist nämlich klar: Die Klimakrise bedroht mehrere Menschenrechte. Politische, bürgerliche, wirtschaft- liche, soziale, kulturelle. Nach Angaben der WHO werden zwi- schen 2030 und 2050 jedes Jahr bis zu 250.000 Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben. Warum das so ist? Weil viele Menschen durch Dürre keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Weil viele Menschen durch Naturkatastrophen in ihrem Gebiet nicht mehr in Sicherheit wohnen können. Weil viele Menschen durch den steigenden Hitzestress fatale gesundheitliche Probleme be- kommen. Weil viele Menschen durch die schnellere Verbreitung von Krankheiten oder durch Mangelernährung sterben. Das ist eine traurige Liste, die sich leider noch weiter fortführen lässt. Man kann also durchaus sagen: Die Klimakrise ist auch eine Menschenrechtskrise. Das Recht auf Leben nach Artikel 3 der Men- schenrechtserklärung ist unser aller fundamentalstes Recht. Das Recht auf Gesundheit, auf Hygiene, auf Wohnen, das Recht auf Zugang zu Österreichische Liga für Menschenrechte
7 Alle Projekte, die bereits am Laufen sind, zeigen uns dabei, dass Veränderung möglich ist. Wir müssen nur darauf achten, dass wir als Welt- Gemeinschaft agieren. sauberem Wasser – alle diese besinnen, die uns auch im Kampf tiativen arbeiten daran, Lösungen Rechte sind durch die Klimakrise gegen die Corona-Pandemie umzusetzen. Wo wir damit genau noch mehr in Gefahr geraten. helfen. Die Klimakrise ist eine noch stehen? Diese Frage wird bei der Durch unsere Nutzung fossiler viel größere globale Herausfor- nächsten Weltklimakonferenz Brennstoffe, durch Massentier- derung. Auch hier werden wir nur in Glasgow ganz oben auf der haltung und die rücksichtslose mit gemeinsamen Anstrengungen Agenda der Staatengemeinschaft Ausbeutung der Ressourcen auf herauskommen. Wir sitzen alle im stehen. unserem Planeten. selben Boot. Alle Projekte, die bereits am Laufen Im letzten Jahr hatten wir mit der Genau darum ist es auch so wichtig, sind, zeigen uns dabei, dass Verän- Corona-Pandemie eine große welt- dass wir alle in dieselbe Richtung derung möglich ist. Wir müssen weite Herausforderung zu meistern. steuern. Einen Kompass haben wir nur darauf achten, dass wir als Wir haben in Österreich und Euro- ja: Den Klimavertrag von Paris, in Welt-Gemeinschaft agieren. Denn pa die Pandemie eindämmen kön- dem wir uns ambitionierte Ziele wir alle haben etwas gemeinsam: nen. Impfstoffe wurden entwickelt, gesteckt haben. Trotzdem heißt es Wir sind alle Bewohner dieses Tests organisiert, die Menschen jetzt: Rasch handeln! Und das am wundervollen Planeten. Schauen haben zusammengehalten. In ande- besten auf einer globalen Ebene. wir, dass unser Zuhause noch lange ren Teilen der Welt wütet sie noch. Dass es doch schon „kurz vor lebenswert bleibt – und zwar für Hier ist noch viel zu tun. knapp“ ist, haben inzwischen viele alle seine Bewohnerinnen und Menschen auf der Welt erkannt Bewohner. Trotzdem müssen wir unsere Augen und begonnen, aktiv etwas gegen auch wieder auf die Klimakrise die Krise zu tun. Schon unzählige Alexander Van der Bellen richten – und uns auf jene Stärken Länder, Regionen, Städte und Ini- Bundespräsident Österreichische Liga für Menschenrechte
Bezahlte Anzeige 24-h Frauennotruf 01 71 71 9 24-h Frauenhaus-Notruf 05 77 22 Du fühlst dich zerbrochen? Häusliche Gewalt ist nicht deine Schuld. Wenn dein Partner oder Ex-Partner dich bedroht, schlägt oder mit Nachrichten über das Smartphone abwertet: Du bist nicht allein! Wenn du von häuslicher Gewalt betroffen bist, ruf an. Wenn du Hilfe in einer Notsituation brauchst, ruf an. Wenn du eine Gewalttat wahrnimmst, ruf an. Wir lassen Gewalt an Frauen nicht so stehen! Die Notrufnummern der Stadt Wien sind rund um die Uhr für dich da! wienkuemmerts.wien.gv.at
10 Fotos / Stephan Huger Interview / Andrea Helige Was kann die Liga für die Menschenrechte tun? D iese Frage zu beantwor- haftberatung alles gemacht. Meine ten wird eine der Aufga- Hauptaufgabe war, den Menschen ben von Angelika Watzl zu erklären, warum ein Bescheid ne- sein. Wir freuen uns, sie gativ ist und wie die Chancen eines quasi als Idealbesetzung „Manche sagen, Rechtsmittels stehen. Wie man sich für den Job der Generalsekretärin was gibt es in vorstellen kann, ist es nicht leicht, der Liga gewonnen zu haben. Denn jemandem zu vermitteln, dass sein neben ihrer wissenschaftlichen Ex- Österreich groß- Ansuchen abschlägig beurteilt wor- pertise bringt sie auch ein hohes den ist. Das ist schon grundsätzlich Maß an praktischer Erfahrung in artig zu meckern nicht einfach, in einer anderen Spra- aktiver Menschenrechtsarbeit ein. Eine Kombination an Know-how, an den Menschen- che natürlich noch schwieriger. Es ist sehr wichtig, dass man sich den wie man sie nur ganz selten findet. rechten – diesen Menschen verständlich macht. Denn die Situation ist für sie oft nicht so Leuten empfehle aussichtslos, wie man denkt. Sie haben einen Wechsel des Arbeitsplatzes vorgenommen, der ich, unseren nicht gerade alltäglich ist. Vor Befund zu Inwiefern? einem Jahr haben Sie noch in Von den erstinstanzlichen negativen Traiskirchen Menschen auf der lesen.“ Bescheiden werden immerhin 43 Flucht rechtlich beraten, heute Prozent aufgehoben. Das ist aber sind Sie im Generalsekretariat ANGELIKA WATZL zu wenig bekannt. Und das ist der der Liga mit strategischen und Grund, warum die unabhängige organisatorischen Aufgaben be- Rechtsberatung so unheimlich wich- traut. Wie ist es dazu gekommen? tig ist, weil man fast die Hälfte der Ich stand nach dem Studium wie so Bescheide erfolgreich bekämpfen viele vor der schwierigen Frage, für kann. Selbstverständlich macht es welchen Weg ich mich entscheiden da Sinn, Beschwerde einzulegen. Für sollte. Natürlich wollte ich das mich bei der ARGE Rechtsberatung mich war dabei schon sehr positiv, Wissen, das ich bei meinen Studien- beworben und bei der Volkshilfe in die Menschen zumindest juristisch richtungen – Jus und Internationale Wien begonnen. unterstützen zu können. Ich habe Entwicklungen – erworben hatte, aber auch gesehen, dass sie so viel auch nützen. Und ich hatte das mehr brauchen, Sozialberatung, große Glück, dass zu dieser Zeit Was haben Sie dort konkret psychologische Beratung etc. eine staatliche unabhängige Rechts- gemacht? beratung für gewisse Stufen des Am Anfang waren meine Aufgaben Asylverfahrens für Menschen auf der vielfältig, da habe ich von polizeili- Und der nächste Schritt war Flucht eingerichtet wurde. Ich habe chen Erstbefragungen bis zu Schub- Traiskirchen? Österreichische Liga für Menschenrechte
11 Ich habe dann zur Diakonie nach Vertretung der unbegleiteten INTERVIEW Traiskirchen gewechselt. Meine minderjährigen Flüchtlinge, die in Aufgaben wurden dort spezifischer: der Erstaufnahmestelle Ost unter- Ich habe Beschwerdegespräche gebracht waren. Zuletzt war ich geführt und Rechtsmittel verfasst, sowohl Leiterin des UMF-Teams als Klient*innen auf ihre Einvernahme auch stellvertretende Leiterin der vorbereitet, Beratungen in Justizan- gesamten Beratungsstelle. Das war stalten durchgeführt, war interne einerseits eine spannende, anderer- Ansprechperson für Fälle, in denen seits auch tragische Zeit. Es ist eine unsere Klient*innen Opfer von schreckliche Situation für Kinder, Menschenhandel geworden sind. ohne Eltern in einem fremden Land Mein größter Schwerpunkt war zu sein. Und trotzdem werden sie schlussendlich die gesetzliche von den Behörden überhaupt nicht so behandelt, wie man Kinder be- handeln muss, die allein sind und für deren Schutz wir zuständig sind. Wie kam es dann zum Wechsel in die Liga? Ursprünglich habe ich durchaus erwogen, den Betriebsübergang in die neugeschaffene BBU, die Bundesagentur für Betreuung und Unterstützungsleistungen, mitzu- machen. Ich habe mich dann aber doch entschlossen, dort aufzuhören – einfach weil mich nach so langer Zeit die Arbeit hier in der Liga mehr gereizt hat. Nach acht Jahren in der aktiven Flüchtlingsbetreuung wollte ich etwas Neues anfangen, was auch mit Menschenrechten zu tun hatte. Und wo ich wusste, dass ich meine Erfahrungen einbringen kann. Ich kannte die Liga ja bereits als Vor- standsmitglied und wusste, dass sie sich mit einer Vielfalt von Themen befasst. Können Sie das präzisieren? Wie schon in unserem Namen ausgedrückt, fokussieren wir uns auf Menschenrechtsarbeit in Österreich. Hier ist unsere wichtigste Aufgabe, die Menschenrechtslage im Land zu beobachten und am Ende jedes Jahres einen Befund zu erstellen, wie sich diese Situation gerade darstellt. Manche sagen natürlich, was gibt es in Österreich großartig zu meckern an den Menschenrechten – aber diesen Leuten empfehle ich, unseren Befund zu lesen. Natürlich gibt es in Österreich in Bezug auf Menschen- Österreichische Liga für Menschenrechte
12 rechtsschutz ein höheres Niveau als Welche Ziele haben Sie sich in vielerorts, trotzdem existieren Bau- Ihrer neuen Position gesetzt? stellen mit zahlreichen Betroffenen, Ich möchte die Liga gern bekannter die unsere Hilfe brauchen. Und machen. Die Österreichische Liga denen möchten wir einfach eine für Menschenrechte ist so eine Bei der Liga Stimme geben. tolle Organisation mit einer langen sollte man auto- Tradition, die „unter Kennern“ auch Ein Asset der Liga ist auch, dass einen hohen Stellenwert genießt. Ich matisch assoziie- wir uns nicht auf einen Bereich möchte diesen Kreis erweitern und spezialisiert haben. Ich bin über- einer breiteren Öffentlichkeit näher- ren: Die sind die zeugt davon, dass es sehr wertvoll ist, eine Organisation zu sein, die bringen, dass wir sehr lebendig sind und, was Menschenrechte betrifft, Menschenrechts- einen größeren Überblick über das ein Auge haben auf Österreich. experten. „Feld“ Menschenrechte hat. So können wir uns sowohl zu aktuellen Es ist vielleicht ein bisschen vermes- ANGELIKA WATZL Themen gezielt äußern als auch sen, aber man muss sich die Ziele eine Art „Vernetzungsplattform“ hoch setzen: Bei Greenpeace weiß darstellen. Zuletzt konnten wir dies man, die schützen die Umwelt. Bei beim Universal Periodic Review Amnesty weiß man, die befreien die (UPR) unter Beweis stellen, als wir Gefangenen. Bei der Liga sollte man eine gemeinsame Stellungnahme automatisch assoziieren: Die sind von über 250 NGOs koordiniert und Menschenrechtsexperten. dem Menschenrechtsrat der UNO in Genf übermittelt haben. Und da ist mir ganz wichtig, dass nicht die Ressourcen, uns jenseits wir dabei auch über den Tellerrand der heimischen Grenzen großartig Wir greifen in unserer Arbeit auf hinausschauen. Natürlich haben wir zu engagieren. Aber wir haben sehr die vielfältige Expertise unserer Vorstandsmitglieder zurück und nehmen unter anderem auch zu Gesetzesentwürfen Stellung. Das ist eine probate Möglichkeit, auf den FIDH – FÉDÉRATION INTERNATIONALE Gesetzwerdungsprozess einzuwirken DES LIGUES DES DROITS DE L’HOMME und macht unsere Position sichtbar; zuletzt etwa beim Informations- Auf Betreiben der französischen und der deutschen Menschen- freiheitsgesetz. rechtsliga und mit Unterstützung von weiteren europäischen Ligen wurde 1922 die FIDH als erste internationale Organisation Ich strebe auch eine stärkere Ein- zur Verteidigung der Menschenrechte gegründet. Ihr Sitz ist seit bindung jüngerer Mitglieder an, ihrer Gründung Paris. weshalb wir gerade ein Konzept Die FIDH hat Beraterstatus beim UNO-Menschenrechtsrat, bei entwickeln, wie wir an Menschen- der UNESCO, beim Europarat und Beobachterstatus bei der rechtsarbeit interessierte junge Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Leute und Studierende an unserer Völker. Im Menschenrechtssystem der UNO setzt sich die FIDH Arbeit teilhaben lassen können und weltweit für eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft ein. ihnen die Möglichkeit geben, sich Die FIDH zählt 184 Menschenrechtsorganisationen aus 112 Staaten aller Kontinente zu ihren Mitgliedern. Präsident ist der einzubringen. Grieche Dimitris Christopoulos. Zwei Mal jährlich geben wir das Die FIDH setzt bei ihrer Arbeit im Verbund mit den Mitgliedsor- Liga-Magazin mit grundlegenden ganisationen folgende Schwerpunkte: und aktuellen menschenrechtlichen > Verteidigung von MenschenrechtsaktivistInnen Themen heraus. Und wir möchten > Migrationsrechte auch andere Menschenrechtsakteure > LGBTI-Rechte in ihrer Arbeit bestärken – dies tun > Internationales Recht wir, indem wir jedes Jahr einer > Globalisierung und Menschenrechte besonders verdienstreichen Person > Todesstrafe den Menschenrechtspreis der > Terrorismus, Überwachung und Menschenrechte Liga verleihen. Österreichische Liga für Menschenrechte
13 INTERVIEW ZUR PERSON wohl die Gelegenheit, uns über die Angelika Watzl Grenzen hinaus zu vernetzen. Die Liga ist beispielsweise das einzige Geboren in Wien. österreichische Mitglied der FIDH, Studium der Rechtswis- der International Federation for senschaften, Vertiefung im Human Rights, die auch international Bereich „Grund- und Men- einen hohen Stellenwert hat. Sie schenrechte“ sowie „Recht arbeitet mit großen „Playern“ wie der Internationalen Bezie- beispielsweise der Europäischen hungen“ und „Internatio- Kommission zusammen und hier nale Entwicklung“ in Wien liegt das Potenzial für echte Ver- und Fribourg (Schweiz), änderung, wenn man unter jenen Diplomarbeit zum Thema ist, die profunde Antworten und Beschwerdemechanismus Vorschläge liefern. der OECD. Im Rahmen meh- rerer Auslandsaufenthalte Bis jetzt konnten wir aus Ressour- erwarb sie Fremdsprachen- cengründen nicht viel mitwirken. kenntnisse in Englisch und Das Asset ist aber, dass wir das Französisch. gar nicht müssen, sondern dass Nach Erfahrung u.a. bei der die Aufgabe der Liga darin liegen Ständigen Österreichischen kann, eine Brückenfunktion hin zur Vertretung in Genf und beim FIDH zu übernehmen und so die Flüchtlingshochkommissariat zivilgesellschaftliche Kooperation (UNHCR) in Wien absol- mit der europäischen und inter- vierte sie das Gerichtsjahr nationalen Ebene zu fördern. und war anschließend Wenn uns das gelingt, würde mich von 2012 bis 2020 für die das sehr freuen. ARGE Rechtsberatung in Traiskirchen tätig. Zuerst als Das heißt, Sie wollen sich vor Beraterin und gesetzliche allem nach außen noch mehr Vertreterin für unbegleitete vernetzen? minderjährige Flüchtlinge, danach als Leiterin des Eine Schnittstelle ins Internationale, UMF-Teams und stellvertre- ins Europäische zu sein, das wäre tende Einrichtungsleiterin eine verdienstvolle Aufgabe für die der Beratungsstelle. Liga. Denn ich bin sicher, dass sich Seit 2012 ist sie Mitglied im unsere Politik in Zukunft mehr auf Vorstand der Österreichi- die europäische Ebene verlagern schen Liga für Menschen- wird. Die EU muss sich gegenüber rechte. Mit Jänner 2021 hat den USA, China und Russland posi- Angelika Watzl das General- tionieren. Und da müssen wir jede sekretariat übernommen. Gelegenheit nützen, wo wir uns und unsere Stimme einbringen können. Österreichische Liga für Menschenrechte
14 AUS DER Fotos / Carolin Bohn (Porträt) LLE LA DESSTE N Text / Verena Gschweitl R M A R K STEIE Für das Menschenrecht auf DIE AUTORIN Leben, Sicherheit und Gesundheit Verena Gschweitl Juristin und Mediatorin, PETITION ZUR SCHLIESSUNG DES AKW KRŠKO derzeit Doktoratsstudium der Rechtswissenschaften E an der Universität Graz, in Ereignis, das uns wortwört- Doch es besteht Grund zur Sorge, Forschungsschwerpunkt: lich wachrütteln sollte: Am dass für die neuerliche Überprüfung „Appropriate Dispute 29. Dezember 2020 erschüt- der Erdbebensicherheit alte Daten Resolution“. terte ein Erdbeben der Stärke 6,4 in verwendet werden, die Prüfung „nur Kroatien nicht nur die unmittelbare auf dem Papier“ stattfindet. Obwohl Umgebung, sondern auch Slowenien von slowenischer Seite versucht wird und Österreich. Sieben Menschen zu besänftigen,8 erkennt der Geo- Gleichzeitig rufen wir zur Unterstüt- verloren ihr Leben.1 Das Atomkraft- loge Dr. Roman Lahodynsky großes zung der Petition von Global 2000 werk Krško befindet sich nur 85 km Gefahrenpotenzial. Der Standort zur Abschaltung des AKW Krško auf: vom Epizentrum des Bebens und Krško sei europaweit am stärksten global2000.at/stopp-akw-krsko 76 km von Graz entfernt. Aufgrund von Erdbeben betroffen, das Risiko der Erschütterungen wurde das höher als bei der Errichtung in Kraftwerk zwar automatisch herunter- den 1970er-Jahren angenommen. Zum Abschluss ein Hinweis gefahren und nicht beschädigt,2 trotz- Zusätzlich sei die mit zunehmendem Ligaseminar für die Steiermark: dem bleibt die Frage: Was könnte Alter des Kraftwerkes erhöhte Retzhof, Freitag,15. Oktober 2021, beim nächsten Erdbeben passieren? Störanfälligkeit zu berücksichtigen. 18 Uhr, bis Samstag/Sonntag. Das AKW müsse daher unverzüglich Themen: Krško, Gründung einer Ursprünglich sollte der Betrieb abgeschaltet werden.9 steirischen Jungen Liga, Unterstüt- des Kraftwerkes 2023 eingestellt zung der Galizischen Liga. Sonntag werden. Nun sind jedoch eine Ver- Die Österreichische Liga für Men- Ligawanderung im Weinland. längerung der Laufzeit bis 2043 und schenrechte sieht bei Weiterbetrieb Anmeldung: d.dragaric@gmail.com der Bau eines zweiten Reaktorblocks des Kraftwerkes die Menschenrechte geplant.3 Im Umweltausschuss des auf Leben, Sicherheit und Gesund- 1) h ttps://www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/news/ österreichischen Nationalrates heit (Art. 3 AEMR, Art. 2 EMRK, erdbeben-im-dezember-2020 (abgerufen am wurde im März einstimmig ein Art. 12 UN-Sozialpakt) von Millionen 14.05.2021). Entschließungsantrag gegen die in Europa lebenden Menschen hoch- 2) „ Krško und die Angst vor einem zweiten Fukushi- Betriebsverlängerung und Erweite- gradig gefährdet. ma“, Kleine Zeitung vom 11.03.2021; Kleine Zei- rung des Kraftwerkes eingebracht.4 tung vom 29.12.2020, https://www.kleinezeitung. at/international/5916795/Erdbeben-in-Kroati- Auch Politiker_innen in Kärnten und en_Kernkraftwerk-in-Krsko-abgeschaltet (abgerufen der Steiermark5 sowie die NGO Wir fordern daher am 14.05.2021) Global 2000 setzen sich unermüdlich - die Schließung des Atomkraft- 3) h ttps://kaernten.orf.at/v2/news/stories/2722526/ gegen einen Weiterbetrieb ein.6 Ein werkes Krško, (abgerufen am 14.05.2021) Meilenstein wurde bisher zumindest - keinen zweiten Reaktor in Krško, 4) h ttps://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2021/ PK0369/#XXVII_NRSITZ_00091 (abgerufen am erreicht. Vor Verlängerung der - die Erarbeitung eines gemeinsamen 14.05.2021) Zulassung muss eine grenzüber- Stromkonzeptes durch Österreich, 5) h ttps://www.infrastruktur.steiermark.at/cms/ schreitende Umweltverträglich- Slowenien und Kroatien, das den beitrag/12636496/139306480/ (abgerufen am keitsprüfung durchgeführt werden.7 Atomstrom ersetzt. 14.05.2021) 6) h ttps://www.global2000.at/publikationen/ akw-krsko-erdbebengefaehrdung (abgerufen am 14.05.2021) 7) h ttps://kaernten.orf.at/stories/3094205/ (abgerufen am 14.05.2021) 8) h ttps://www.derstandard.at/story/2000125018911/ slowenien-betont-erdbebensicherheitdes-atom- kraftwerks-krsko (abgerufen am 14.05.2021) 9) h ttps://www.global2000.at/publikationen/ akw-krsko-erdbebengefaehrdung (abgerufen am 14.05.2021) Gründung der Galizischen Liga im Sacher in Graz Österreichische Liga für Menschenrechte
15 Fotos / Parlamentsdirektion_Bildagentur Zolles KG_Mike Ranz Text / Terezija Stoisits Was wäre die Liga ohne Heinrich Neisser? Lieber Heinrich Neisser! nicht bitten, sondern nur fragen – A und du bist schon im Einsatz, egal, ls du am 25. November 1996 wo wir dich mit unserem Ansinnen bei der 35. ordentlichen gerade erreichen. Und das, obwohl Generalversammlung der du nach wie vor bei zahlreichen wei- Österreichischen Liga für Menschen- teren Organisationen aktiv bist. rechte zum Vizepräsidenten der Liga gewählt wurdest (Präsident wurde Ob es die verbrieften und immer damals der legendäre langjährige noch unvollständig erfüllten Rechte Präsident des Österreichischen der österreichischen Volksgruppen Rechtsanwaltskammertages, Walter oder die lange Zeit fehlenden glei- Schuppich), war ich junge grüne Ab- chen Rechte von gleichgeschlecht- geordnete zum Nationalrat und du lichen Menschen sind, ob es um die Zweiter Präsident des Nationalrates. „Europäisierung der österreichischen Politik“ oder um Menschenrechte Ich kannte dich bereits als rhetorisch und unternehmerische Verantwor- perfekten, scharfzüngigen Redner, tung geht – du nimmst dazu klare der mir in meiner ersten Legislatur- Positionen im Namen der Liga ein. periode im Parlament mit seinen ex- Ein ganz besonders wichtiges An- zellenten Reden als Klubobmann der liegen für dich (und natürlich für die ÖVP großen Respekt einflößte und Liga) sind Grund- und Freiheitsrech- Bewunderung auslöste. Es vergingen te, die „Kernzone von Demokratie Deshalb, lieber Heini, wünschen wir nur ein paar Jahre, und ich wurde und Rechtsstaatlichkeit“, wie du sie dir alles, alles Gute zum halbrunden 2001 neben dir ebenfalls Vizepräsi- nennst, und deine stetige Beobach- Geburtstag und noch viele erfüllte, dentin der Liga für Menschenrechte. tung und kritische Warnung vor den produktive Jahre voll Gesundheit Welche Freude und Auszeichnung Versuchen, diese einzuschränken. und Unternehmungsgeist. für mich, nunmehr 21 Jahre mit dir gemeinsam dem engeren Vorstand Was wäre die Liga ohne Heinrich Du bist der Präsident unserer der Liga angehören zu dürfen. Neisser? Darauf gibt es eine Herzen. klare Antwort: ärmer und weniger Aus Präsident Professor Doktor bedeutend. Terezija Stoisits Neisser wurde für mich Heini Neisser. Seither begleitet uns nicht mehr der natürliche Spalt zwischen Regierung und Opposition, sondern die Freude über die gemeinsame Arbeit für die älteste österreichische Menschen- rechtsorganisation, unsere Liga. Und diese verdankt dir soooo viel. BUCHTIPP Dich charakterisieren nicht nur dein brillanter Geist und dein enormes in- Helmut Reinalter (Hg.): Menschenwürde, Menschen- tellektuelles Potenzial, sondern auch recht und Menschenpflicht heute. Zum 85. Geburts- dein legendärer Charme und die tag von Heinrich Neisser. Austria: Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär. LIT Verlag, Wien 2021. Bereitschaft, immer wenn wir dich für die Liga als Denker und Formulierer brauchen, da zu sein. Man muss dich Österreichische Liga für Menschenrechte
16 Foto / JumpStory, Liga (Porträt) Text / Maria Rösslhumer Nie wieder Femizide in Österreich! J eder Mord an einer Frau ist Man liest noch immer in den Zeitun- Es braucht die Umsetzung der einer zu viel. Wir hatten Mitte gen von einem „Beziehungsstreit“, Fallkonferenzen bei Hochrisiko- Mai bereits den 14. Femizid im obwohl es sich um einen Mord an situationen. Jahr 2021. Die Morde haben sich einer Frau handelt. Gewalt wird ge- bereits vor der Corona-Pandemie duldet und heruntergespielt. Es braucht Personenschutz für verdoppelt. Im Jahr 2014 hatten wir gewaltbetroffene Frauen und deren 19 Frauenmorde und 2018 bereits Nicht einmal hohe Politiker, die Kinder in Gefährdungssituationen. 41. Österreich ist somit EU-weit auf- Frauen beschimpfen – Stichwort fällig, weil es bei uns mehr Frauen- „widerwärtiges Luder“ – müssen in morde als Morde an Männern gene- Österreich mit Konsequenzen rech- rell gibt, und das, obwohl wir gute nen und zurücktreten. Gesetze und Maßnahmen haben und lange Jahre international Vorbild im Gewalttäter sind Wiederholungs- Opfer- und Gewaltschutz waren. täter. Und Gewalttäter und Mörder sind meist bereits mehrfach auffällig, Die Gründe dafür sind vielfältig. Mit polizei- oder sogar justizbekannt, der Wirtschaftskrise 2008 hat die dennoch werden sie oft nicht zur schwere Gewalt an Frauen spürbar Verantwortung und Rechenschaft zugenommen. Seit damals bemerken gezogen. Oft werden sie nur auf wir in den Frauenhäusern und in freiem Fuß angezeigt, es wird keine DIE AUTORIN den Gewaltschutzeinrichtungen, Gefährlichkeitsprognose gemacht dass immer mehr Frauen und Kinder oder zu wenig Beweissicherung in Hochrisikosituationen geraten. durchgeführt. Viele Anzeigen (70%) Maria Rösslhumer Weitere Gründe sind auch der werden eingestellt, anstatt noch Rechtsruck in Österreich sowie die mehr Beweise zu ermitteln, alle Politikwissenschafterin, Verrohung im Diskurs und in der ärztlichen Befunde, Fakten, Taten Geschäftsführerin des Ver- Sprache. Verbale Gewalt an Frauen zu sammeln und alle ZeugInnen eins Autonome Öster- nimmt tagtäglich zu. Besonders einzuvernehmen. reichische Frauenhäuser spürbar ist dies im Internet. Frauen (AÖF), Leiterin der Frauen- werden auf das Wüsteste beschimpft Auch im Strafverfahren werden viele helpline gegen Gewalt, Vor- und sexuell angegriffen. Täter freigesprochen und nicht oder standsmitglied des österrei- kaum verurteilt. Die Justiz ist zu chischen Frauenrings.1997 Beinahe jede dritte Frau ist mit Hass wenig geschult und sensibilisiert. Es bis 2017 Geschäftsführerin im Netz, mit Cybergewalt konfron- braucht verpflichtende Schulungen des europäischen Netzwerks tiert. Vom Alltagssexismus zur und Fortbildungen für die Justiz und WAVE (Women Against körperlichen Gewalt ist es aber nur alle Behörden, die mit Opfern und Violence Europe). Men- ein kurzer Weg. Gewalttätern zu tun haben. schenrechtspreisträgerin der Liga für Menschenrechte Ein weiterer Grund ist die Verharmlo- Es braucht enge Zusammenarbeit 2020. sung der Gewalt an Frauen durch die und Kooperation mit den Behörden aoef.at Politik und Behörden und Medien. und Opferschutzeinrichtungen. Österreichische Liga für Menschenrechte
17 Text / Lena Jäger Es ist Zeit DIE AUTORIN Diskriminierung und Mehrfachdis- kriminierung Betroffenen ist. Frauen und beispielsweise Menschen mit zu kämpfen! Lena Jäger Behinderungen sowie Personen ohne Staatsbürger:innenschaft sind die großen Verlierer:innen der STILLSTAND HEISST Obfrau und eine der Initiatorin- Krise. Das ist nicht das erste Mal so, nen des Frauen*Volksbegeh- sondern ein pathologisches Kennzei- RÜCKSCHRITT rens 2.0, das von fast einer chen des Patriarchats. halben Million Österreicher:in- nen unterschrieben wurde. E Unsere Antwort darauf: Wir kämpfen nde 2016, am Boden eines Sie ist in der politischen weiter für ein gutes Leben für alle, Wohnzimmers in Wien, zieht Kommunikation tätig und das setzt die Gleichwertigkeit aller eine Gruppe von Frauen Abteilungsleiterin im Bun- voraus. Wir bilden Allianzen, suchen Bilanz: Was nutzt es uns, dass sich desministerium für Soziales, das Gespräch mit jenen, die Fragen laut Bundes-Verfassungsgesetz Gesundheit, Pflege und haben, und widersprechen denen, Art. 7 Abs. 2 „Bund und Länder zur Konsumentenschutz. die im Namen des Feminismus rassis- tatsächlichen Gleichstellung beken- tische Vorurteile und Ressentiments nen“1, wenn wir tatsächlich weniger auf Grund der sozialen Herkunft Lohn erhalten als männliche Kolle- schüren. Aufgeben ist keine Option. gen, in Bewerbungsgesprächen nach freiheit und echte Gleichwertigkeit Familienplanung gefragt werden und – nicht nur von Frauen und Männern, frauenvolksbegehren.at bei Schwangerschaft im Kreise der sondern aller Geschlechter – werden. lieben Verwandten hören, dass vor uns nun das wahre Glück liege. Ob- Wir treten an für echte Selbstbestim- 1) RIS – Bundes-Verfassungsgesetz Art. 7 – Bundes- wohl seit mehr als einem Jahrzehnt mung, echte Sicherheit und echte recht konsolidiert, tagesaktuelle Fassung mehr Frauen studieren und erfolg- Chancengleichheit und schnell fin- (bka.gv.at) reicher abschließen, kommen sie in den wir neben müdem Lächeln und 2) Zitiert aus: Parlamentskorrespondenz Nr. 1476 den Führungsetagen selten an. Nach der Prophezeiung des Scheiterns vom 11.12.2018. Frauenvolksbegehren: Ganz oben auf der politischen Tagesordnung (PK-Nr. den großen Errungenschaften der breite Unterstützung. Unsere Bewe- 1476/2018) (parlament.gv.at) Frauenbewegung in den 70er- und gung wächst bundesweit. Fast eine 3) Unseren Forderungen ist neben einer Präambel 80er-Jahren herrscht nun Stillstand, halbe Million Staatsbürger:innen auch ein Zitat Johanna Dohnals vorangestellt. Es das heißt am Ende Rückschritt. Das unterschreiben das Frauen*Volks- lautet: „Ich denke, es ist Zeit, daran zu erinnern: zeigt sich international ganz deutlich. begehren. Unter großer öffentlicher Die Vision des Feminismus ist nicht eine ,weibliche Zukunft’. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Unter #backlash machen Frauen und Anteilnahme werden unsere Forde- Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhält- marginalisierte Minderheiten auf rungen 2019 im Parlament während nisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeits- wachsende Missstände aufmerksam. einer türkis-blauen Regierung wahn.“ forderungen-folder-fvb-web-rotated.pdf (frauenvolksbegehren.at) „enderledigt“. In der Parlaments- Statt Gleichberechtigung ist der korrespondenz heißt es dazu: „Einig Konservativismus am Vormarsch. Der waren sich die Abgeordneten über alte weiße Mann – das Patriarchat die Wichtigkeit und Bedeutung, die – solidarisiert sich international und Anliegen des Volksbegehrens zu dis- greift mühsam erkämpfte Rechte an. kutieren. In den einzelnen Punkten Das passiert im Namen angeblicher gab es jedoch zwischen Koalition Wahlfreiheit und mit den Stimmen und Opposition deutliche Meinungs- BUCHTIPP von Frauen, die in Blogs, Büchern, verschiedenheiten.“2 Kolumnen und vermeintlich seriösen Fernsehdiskussionen gebetsmühlen- An unserer Vision einer mensch- Magdalena artig wiederholen, dass ihr einziger lichen Zukunft im Sinne Johanna Baran-Szoltys Feind der Feminismus sei. Angeblich Dohnals3 hat sich auch jetzt, fünf und Christian zerstöre er Ehen, entstelle die Spra- Jahre später, nichts geändert! Im Berger (Hg.): Über che und wolle Mütter abschaffen. Gegenteil, gerade die Corona- Forderungen. Wie feministischer Das Private ist politisch! Es braucht Pandemie zeigt, wie wenig wir Aktivismus gelingt, gesetzliche Rahmenbedingungen geschlechterstereotype Rollenbilder K&S, Wien, 2020 und gesellschaftlichen Diskurs, damit überwunden haben und wie wichtig aus leeren Worten papierechteWahl- der solidarische Kampf aller von Österreichische Liga für Menschenrechte
Der 18 streitbare Pionier MAX KOCH MACHT DAS, WAS ER FÜR RICHTIG HÄLT. KONVENTIONEN INTERESSIEREN IHN NICHT, EINGEFAH- RENEN GLEISEN IST ER NIE GEFOLGT. UNERSCHROCKEN UND UNANGEPASST GEHT ER SEINEN WEG. DAS HAT ER AUCH Max Koch: immer IN DER ÖSTERREICHISCHEN LIGA FÜR offen für Neues MENSCHENRECHTE GEZEIGT. U ngewöhnlich war bereits der Gestapo festgenommen und am der Anfang. Max Koch Morzinplatz ums Leben gebracht – wurde am 15. Dezember drei Wochen nach der Geburt seines 1943 im Hotel Lux in Sohnes. Moskau geboren. Das war damals kein Luxushotel, wie der 1947 verließ die nunmehr sehr kleine Name suggerieren könnte, sondern Familie die Sowjetunion Richtung die Zentrale der Kommunistischen Wien. Seine Mutter fand eine Internationale und Fluchtort für Wohnung in der Graf-Starhemberg- seine Eltern, die dem Naziregime Gasse, einen Bürojob bei der sowje- Max, 1. Reihe, in Österreich aktiven Widerstand tisch dominierten USIA-Verwaltung; links außen: geleistet hatten. Sein Vater hat den autodidaktisch brachte sie sich später vernetzt mit 2. Weltkrieg nicht überlebt. Von der als Deutschlehrerin für das Botschaf- Freunden Roten Armee als Fallschirmagent ter- und internationale sowjetische eingesetzt, wurde er in Wien von Personal in Position. Max kam in den Österreichische Liga für Menschenrechte
Sr. Maria-Andreas 19 Weißenbacher erhält Fotos / Alexander Pollak (S. 18, oben), Martin Juen (S.19), SOS Mitmensch (S. 20) den Ute-Bock-Preis. Text / Andrea Helige, Mitarbeit: Louis-Benjamin Vaugoin Kindergarten, in dem es ihm sehr Leute kennengelernt. Den Oscar Und wieder stellte sich gut gefiel. Weniger Spaß bereitete Bronner, den H.C. Artmann, den Uzzi die Frage: Was tun? ihm offenkundig die darauffolgende Förster. Viele Künstler, Maler, Musiker Man kann es wohl den Start in ein Einschulung. Und so machte er sich waren dort.“ semi-bürgerliches Leben nennen. eines Morgens auf, spazierte statt in Einerseits verdiente sich der Heim- die Schule zum naheliegenden Kin- Selbst beim Heer, das er danach kehrer sein Geld als Nachtportier in dergarten und läutete dort entschlos- absolvieren musste, wurde kritisch einem Hotel, andererseits holte er sen an der Tür. Auf die erstaunte Fra- registriert, er habe Bücher im Spind. die Matura extern nach und arbeitete ge, warum er nicht in der Schule sei, Nach einigen trendigen Jobs wie sieben Jahre lang im Fernamt Wien. meinte er: „Dort ist Scharlach.“ Hatte dem Vertrieb von Plastiktüren er doch beobachtet, dass die Schule verschlug es ihn – eine spontane Dann wechselte Max Koch in einen im Falle einer Scharlach-Erkrankung Entscheidung – durch die Liebe nach Beruf, der erste Schritt in eine Rich- für zwei Tage gesperrt war. Er konnte Australien. Im Gepäck hatte er einen tung, die später zur Berufung werden spielen, alles war wunderbar. Nach kleinen Koffer mit Wäsche und einen sollte: Seine nächste Arbeitsstelle zwei Stunden stellte sich allerdings großen Koffer voll mit Büchern. Er war ein Kinderheim. „Dort“ so Koch, heraus: Seine Geschichte hat nicht lernte im Selbststudium Englisch „habe ich schnell gemerkt, dass diese gestimmt. Die Mutter wurde gerufen und mit Verbesserung der Sprache Heimkinder aus den verschiedensten und er wurde in der Schule zurück- wurden auch die Jobangebote at- Gründen – schlechte Schulzeugnisse, gestellt. Noch heute freut ihn das traktiver. Nach drei Jahren kehrte er verhaltensauffällig etc. – unglaubliche sichtlich: „Immerhin habe ich schon gern wieder zurück nach Wien. Probleme hatten, in die Arbeitswelt als Fünfeinhalbjähriger dem System ein Jahr abgerungen!“ Von der Leopoldstadt Der Ute-Bock- bis nach Australien Preis: eine Regelkonformität war seine Sache „Erfindung“ nie, die Schulzeit geprägt von von Max Koch häufigen Schulwechseln, die er zur Bildung von weitläufigen Netzwerken nutzte. Abrupt das Ende seiner Schulkarriere: Am 15. Dezember 1958 verabschiedete er sich förm- lich und höflich beim Direktor. Die Schulpflicht war abgeleistet. Dass es daher nur ein Halbjahreszeugnis und keinen Abschluss gab, schien für den Heranwachsenden belanglos zu sein. Natürlich kam es zu Diskussionen mit der armen Mutter: Wie sollte es weitergehen? Die Entscheidung fiel auf eine KFZ-Lehre in einer Peugeot-Werkstatt im 2. Bezirk, die er immerhin dreiein- halb Jahre bis zum Ende der Lehrzeit verfolgte. Fußballspielen, zahlreiche Bücher lesen und mit Freunden über Politik diskutieren gehörte zu den wichtigsten Aktivitäten seit seiner Schulzeit und Lehre. Schließlich war sein Weg als Autodidakt und Kom- munikator schon früh angelegt. Hinzu kam seine Begeisterung für das Café Hawelka: „Im Hawelka“, so Koch, „habe ich wieder neue, interessante
20 einzutreten.“ Während seiner Tätig- keit als Erzieher absolvierte er eine Ausbildung zum Sozialtherapeuten. Über einen Freundeskreis, unter anderen mit Peter Kreisky, gelang es ihm, mit seinen Ideen an Alfred Dallinger heranzutreten. Dallinger war bekanntlich ein Politiker, der nicht nur Visionen hatte, sondern auch an Projekten zu deren Umsetzung interessiert war. So wurde erstmals Arbeitsmarktpolitik für jene zugelas- sen, die nicht ins System eingezahlt hatten: Jugendliche mit Problemen und Obdachlose. Max Koch entwickelte ein Projekt für Jugendliche ohne Schulabschluss. „Unsere erste Aktion haben wir im Amerlinghaus gestartet. Wir hatten die Idee, dass Jugendliche, wenn sie kommen und sich gewissen Bil- dungsanmutungen aussetzen, auch gendliche auf, in die Mitte der 80er zunehmend auch junge Menschen Unglaublich, was Geld dafür bekommen.“ Das Konzept aus der am Karlsplatz beheimateten der Max Koch der Verknüpfung von Sozialarbeit Drogenszene hereintröpfelten. „Die und Ausgleich von Bildungsdefiziten Stimmung am Karlsplatz war aufge- da auf die Beine für Arbeits- und Zukunftschancen heizt. Wer konnte, hat einen großen Jugendlicher ging auf. Koch, mittler- Bogen darum gemacht, was bei den gestellt hat. Der weile im Jugendzentrum Meidling Gewerbetreibenden zu Verzweiflung Redoutensaal war angestellt, erstellte gemeinsam und Aggression gegenüber den Ex- mit Lehrern und Sozialarbeitern ein ponenten der Drogenszene geführt bis auf den letzten Modell zur Erlangung eines gültigen hat.“ Die Stadt Wien musste handeln. Hauptschulabschlusses. Die Jugendli- Koch wurde von der damaligen Sozi- Platz besetzt. chen bekamen monatlich 1.300 Schil- alstadträtin Ingrid Smejkal beauftragt, ling, Fahrscheine und Essensmarken. mit einer Expertenrunde Vorschläge FERDINAND Heute erinnert er sich: „Das war ein zu erarbeiten, die in ein Projekt zur LACINA bunter Haufen. Viele sind gekom- Errichtung einer niederschwelligen men. Wir haben die Jugendzentren, Beratungsstelle für Drogenabhän- die am Vormittag leer waren, als gige mündeten. Wichtig war dann Klassenzimmer genutzt. Das hat gut natürlich vor allem die Umsetzung. funktioniert.“ Damals entstand ein Bürgermeister Zilk beauftragte sei- Pilotprojekt mit engagierten Lehrern, nen engen Mitarbeiter Peter Hacker, der auch in der Entwicklungshilfe die noch keine Anstellung hatten, und der tatkräftig mithalf. Ein Haus in der tätig war, entwickelte Koch eine Schuldirektoren, die zur Abnahme Gumpendorfer Straße, der ehema- Ausbildungsmöglichkeit für Tischler- der Prüfungen bereit waren. Heute ist lige „Ganslwirt“, wurde umgebaut, lehrlinge, wobei hier der Fokus nicht dieses Konzept „state-of-the-art“. mit Notbetten und Waschmaschinen nur auf handwerklicher Ausbildung, ausgerüstet und es war für Betreuung sondern auch auf sozialarbeiterischer gesorgt. Das Projekt galt damals als Tätigkeit lag. Die Ausbildung der Engagement für die Jugend Vorzeigemodell in Europa. ersten Jugendlichen erfolgte am Seine Spuren hat der umtriebige „So- Standort Kaiserebersdorf; bereits zialmanager“ auch in einem anderen In der Beratungsstelle Hietzing hier war es Koch wichtig, die neue wichtigen Bereich hinterlassen. Max wurde Koch schnell klar, dass für Arbeitsmarktpolitik des Bundes Koch baute mit Unterstützung des Jugendliche weitere Angebote mit den Interessen der Stadt zu Vereins Jugendzentren im Amtshaus fehlten. Mit dem ambitionierten verknüpfen. Um die zunehmende Hietzing eine Beratungsstelle für Ju- Tischlermeister Heinrich Kosutek, Zahl an Jugendprojekten in Wien zu Österreichische Liga für Menschenrechte
21 Der SOS-Mitmensch- Obmann geht auch diese Aufgabe konzentriert an. bündeln, stellte die Stadt Wien dem Bürgermeister Michael Häupl statt. der materielle und inhaltliche Beitrag Verein Jugendzentren eine ehemalige Mit dessen Zustimmung entwickelte der Sozialpartner. Sie sind nicht nur Schule in der Triesterstraße zur Ver- Koch ein Projekt für jene Länder, in als Sponsoren aufgetreten, sondern fügung. Koch entwickelte das Projekt denen der Eiserne Vorhang gefallen Arbeiterkammer-Präsident Herbert „Lernstatt“, im Rahmen dessen die war und die in Richtung Demokratie, Tumpel war mit am Podium und hielt Tischlerwerkstatt und verschiedene Schutz der Umwelt, Schutz der Men- ein viel beachtetes Referat.“ Ein Mädchenprojekte angesiedelt waren. schenrechte unterstützt werden soll- weiterer Beitrag am Rednerpult ten. Koch suchte einen Trägerverein ist Lacina bis heute präsent: „Da Im Oktober 1992 wurde Max Koch und fand ihn in der Österreichischen war eine junge Migrantin, die sich zum Leiter des neugegründeten Liga für Menschenrechte. Präsident beschwert hat, sie könne nicht ver- Wiener Integrationsfonds bestellt: Ferdinand Lacina erklärte sich bereit, stehen, warum man mit ihr zunächst „Zunächst hatte ich nur ein Budget das Projekt in das Programm der immer in Babysprache kommuniziere, und ein Diensthandy.“ In kurzer Zeit Liga für Menschenrechte zu integ- schließlich sei sie doch hier geboren war ein Büro hinter dem Rathaus ein- rieren und war der ideale Partner und ihre Muttersprache Deutsch …“ gerichtet und ein Team engagierter schlechthin. Max Koch: „Der lang- MitarbeiterInnen gefunden. Koch jährige Generalsekretär Feliks Bister ***** widmete sich einerseits klassischen bekam mit Elisabeth Ebner eine Integrationsprojekten, Sprachkursen dynamische Mitarbeiterin und so ha- An Max Kochs Überzeugung, wie und forcierte andererseits die Kom- ben wir mit dem Projekt begonnen. wichtig es ist, gut vernetzt zu sein, munikation mit den Vereinen der Tolle Leute haben da mitgemacht, in Leute zusammenzubringen, mit Zuwanderer. In den Außenbezirken Tschechien etwa waren noch welche allen reden zu können, hat sich bis wurden Außenstellen gegründet und aus der Havel-Bewegung dabei. heute nichts geändert. Auch ohne mit gemischtsprachigen Mitarbeiter- Auch in Ungarn gab es sehr fort- Facebook, Instagram und Laptop Innen besetzt. Aus Sicht der Praxis schrittliche Kooperationspartner.“ ist er – „ein smartes Handy reicht“ – erfolgte die kritische Betrachtung z.B. nach wie vor exzellent vernetzt, und der von Bundesminister Löschnak Seminare wurden abgehalten, als Obmann von SOS Mitmensch initiierten Fremdengesetze, wonach Jugendliche eingeladen, ein am- weiterhin aktiv. Nicht nur über sein jeder Mensch über mindestens bitioniertes Hochglanz-Magazin Wirken für SOS Mitmensch gäbe es 10 m² Wohnraum verfügen müsse. konzipiert. Corinna Milborn wurde als noch einiges zu berichten. Für die Das Gesetz war gegen Spekulanten Chefredakteurin eingesetzt, sie hat Liga ist jedenfalls eines wichtig: Max gerichtet, aber bei konsequenter An- bei der Liga ihre Karriere begonnen. Koch ist ihr als aktives Mitglied bis wendung hätten 300.000 Menschen Das erste Titelbild hat Koch jetzt heute erhalten geblieben. nach Hause fahren müssen. „Ich noch präsent: eine junge Chinesin habe via APA-Aussendung darauf im Dirndl. aufmerksam gemacht. Freunde habe ich damit keine gewonnen.“ Trotz „Wir haben“, sagt Max Koch nicht großer Empörung wurde das Gesetz ohne Stolz, „auch viele spannende beschlossen und ist bis heute gültig. Veranstaltungen durchgeführt. Eine möchte ich hier anführen. Zum Zei- Bis 1998 war Max Koch Geschäfts- chen der Wertschätzung und Dank- führer des Integrationsfonds, dann barkeit haben wir in der Hofburg leitete er die internationale Abteilung für die Menschen, die mitgeholfen im BFI. Schließlich wurde er auch haben, Österreich wieder aufzubauen, Sprecher von SOS Mitmensch und einen Festakt ‚40 Jahre Gastarbeiter der Bewegung „Demokratische Of- in Österreich‘ veranstaltet.“ Der fensive“, die den Protest gegen die damalige Liga-Präsident Ferdinand erste schwarz-blaue Regierung orga- Lacina erinnert sich gut: „Unglaub- nisierte. „Wir waren in Brüssel und lich, was der Max Koch da auf die Lissabon, um das kritische demokrati- Beine gestellt hat. Der Redoutensaal sche Österreich zu repräsentieren.“ war bis auf den letzten Platz besetzt.“ Einige Details, die Lacina nicht ver- gessen hat: „Nicht nur, dass Do&Co Schlussendlich dann die Liga ein opulentes Buffet gespendet hat, Sein nächstes spannendes Projekt was der Stimmung im informellen Das Cover des Liga-Magazins fand Anfang der 2000er-Jahre be- Teil der Veranstaltung durchaus aus dem Jahr 2004: ein ganz reits unter der Ägide von zuträglich war, noch wesentlicher war spezielles Dirndl Österreichische Liga für Menschenrechte
22 Den Fokus auf das Kindeswohl
23 Fotos / Marta Kallai_on Scopio, Stephan Huger (Porträt) Text / Sebastian Öhner EIN ZWISCHENBERICHT finden kann, ist aufgrund der vielen schwierigen Abwägungsentschei- ZUR INITIATIVE RUND dungen, die in dieser insgesamt UM DAS VERNETZUNGS- höchst sensiblen Situation zu treffen TREFFEN „KINDESWOHL sind, oftmals nicht einfach zu wäh- IM MITTELPUNKT“ len. Dennoch heißt dies natürlich gleichzeitig, dass ein Versuch, besse- J re Regelungen im Sinne des Kindes- DER AUTOR wohls zu schaffen, umso bedeuten- edes Kind hat einen An- der für die Wahrung der Rechte von spruch auf den Schutz und Sebastian Öhner Kindern und Jugendlichen ist. die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig Studium der Rechtswissen- sind. Und auch ein Recht schaften am Juridicum Wien Ein Bohren von harten Brettern! darauf, dass bei allen Kinder betref- und an der Istanbul Universi- Neben diesen Punkten basierte die fenden Maßnahmen öffentlicher und ty, TR. Seit 2017 engagiert im wichtigste Wahrnehmung, die aus privater Einrichtungen das Wohl des Bereich Kinderrechte bei den der Diskussion gezogen werden Kindes eine vorrangige Erwägung Wiener Kinderfreunden und konnte, auf einer Tatsache, die auch ist. Dieser aus kinderrechtlicher Pers- in Kooperation mit verschie- gleichzeitig schon Ausgangspunkt pektive zentrale Anspruch ist in Art. 1 denen NGOs. Mitglied des der Vernetzungsinitiative war: dass des Bundes-Verfassungsgesetzes Forums kritischer Jurist*in- es von zwingender Bedeutung ist, über die Rechte von Kindern nor- nen, Mitbegründer der Platt- die Rechte der betroffenen Kinder miert. Doch auch wenn mittlerweile form „überzuckert – Tagesge- und ihr individuelles Wohlergehen sein zehnjähriges Jubiläum als öster- schehen rechtlich verstehen“. stets als zentralen Aspekt hochzuhal- reichische Verfassungsbestimmung Seit 2021 als Rechtsreferent ten. Nur unter der Einhaltung dieser gefeiert werden konnte, ist unüber- bei der Wiener Kinder- und Voraussetzung und der durchgängi- sehbar: Geht es um eine flächende- Jugendanwaltschaft. gen Anerkennung, dass es sich bei ckende Gewährleistung, dann gibt dem Kindeswohl um ein subjektives es immer noch viele Baustellen. Recht des Kindes handelt, kann auch tatsächlich davon gesprochen werden, dass den Maßstäben der Lösung für Obsorgestreitigkeiten Genau unter diesem Aspekt hat die Österreichische Liga für Menschen- 1 Durch das große Interesse, das sich in der breiten Beteiligung von verschiedensten Personen, die sich Kinderrechte im gesamten Prozess entsprochen wird. rechte – in Kooperation mit der in unterschiedlichen Bereichen für Naturgemäß ist das Unterfangen, letztjährigen Menschenrechtspreis- Kinderrechte einsetzen, manifestiert einen Beitrag zu einer tatsächlichen trägerin Maria Rösslhumer von den hat, wurde das starke Bedürfnis Verbesserung der Berücksichtigung Autonomen Österreichischen Frau- nach einer verbesserten Regelung des Kindeswohls zu leisten, ein enhäusern (AÖF) – Anfang des Jah- sichtbar. längerer und hindernisreicher Pro- res ein Vernetzungstreffen initiiert, zess. Denn auch wenn es als sehr bei dem einer dieser bestehenden Mängel bei der Berücksichtigung des Kindeswohls aus unterschiedli- 2 Gerade wenn es um die effektive Gewährleistung von Kinderrech- ten, insbesondere des Kindeswohls, erfreulich angesehen werden kann, dass die Kinderrechte immer mehr und auf verschiedenen Ebenen in chen Sichtweisen beleuchtet werden geht, ist ein interdisziplinärer Zugang, den Fokus rücken, ist sicherlich noch sollte. Konkret ging es bei dem bei dem Erfahrungen aus diversen einiges zu tun. Treffen, das unter dem Titel „Kindes- Professionen einfließen, unumgäng- wohl im Mittelpunkt“ stattfand, um lich. Denn nur bei einer solchen Wir freuen uns aber darauf, als die Frage, wie in Obsorgestreitigkei- Vorgehensweise können Regelungen Österreichische Liga für Menschen- ten, für die auch § 138 ABGB spezi- geschaffen werden, mit denen die rechte auch an diesem Thema fische Kindeswohlmaßstäbe festlegt, individuellen Bedürfnisse der Kinder weiter dran zu bleiben, unentwegt eine systematische Lösung gefunden und Jugendlichen im Sinne des Kin- dafür zu kämpfen und eine stärkere werden kann, um die Rechte von deswohls erfasst werden können. Berücksichtigung der Kinderrechte Kindern und Jugendlichen mehr in zu erreichen. Auch deshalb werden den Fokus zu rücken. Feststellen ließen sich dabei unter anderem drei generelle Erkenntnisse: 3 Die richtige Zugangsweise, wie das Kindeswohl in Obsorgever- fahren stärkere Berücksichtigung wir natürlich weiterhin über die den zahlreichen Diskussionen entsprin- genden Ergebnisse berichten. Österreichische Liga für Menschenrechte
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